Anime Evolution: Past von Ace_Kaiser (Dritte Staffel) ================================================================================ Kapitel 2: Episode zwei: Der Core --------------------------------- Prolog: Die Unwirklichkeit meiner Situation war mir sehr bewusst. Ich befand mich über fünfzig Lichtjahre von der Erde entfernt in einem Sonnensystem, das ich eigentlich als feindlich betrachten musste, wurde im Turm der mächtigsten Familie beherbergt und lauschte den Worten eine zweitausend Jahre alten Naguads mit einem Eifer, der mich selbst verwunderte. Dieser Naguad war Oberhaupt der Familie Arogad, und mein Urgroßvater. Zudem wollte er mich als Erben seiner Position einsetzen - mich, den er nie zuvor gesehen und von dem er bestenfalls durch meine Mutter gehört hatte. Abgesehen von den militärischen Berichten über den Verrückten, der im Kanto-System gewütet hatte... Das mit Mutter war auch so ein Fall. Acht Jahre meines Lebens dachte ich, sie wäre tot. Toter ging es gar nicht. Ich war sogar regelmäßig mit meiner Familie an ihrem Grab gewesen. Und nun fand ich heraus, dass sie dennoch lebte, wenn man es leben nennen konnte, wenn der eigene Körper in einem Biotank ruhte und mit einem Supercomputer vernetzt war. Das war so gut wie tot, aber ohne die Biotank würde sie wirklich sterben, ohnehin war sie dem Tod seit dem Autounfall auf der Erde näher gewesen als dem Leben. Und sie würde den Tank auch wohl nie wieder verlassen. Das bedeutete, ich würde sie nie wieder umarmen können. Nie wieder ihre Hände spüren, wenn sie mir lobend über das Haar strich. Nie wieder ihre wirkliche Stimme hören dürfen. Nur die künstliche Stimme, welche das Hologramm generierte, in dessen Gestalt sie durch den Turm der Arogad wandelte. Und dennoch: Ich saß hier und hörte dabei zu, wie mir Oren Arogad aus seiner Vergangenheit erzählte. Aus seiner tiefsten Vergangenheit, über tausend Jahre zurück. Ich lauschte fasziniert, vor allem, da ich mir diesen großen, grauhaarigen Mann auf den ersten Blick gar nicht verliebt hatte vorstellen können, so imposant und mächtig hatte er auf mich gewirkt. Erst als er aufgetaut war, mich mit den Augen eines stolzen Vaters angesehen hatte, war er für mich näher in den Begriff Mensch gerückt. Aber das, was ich leichtfertig eine Liebesgeschichte nannte, war weit mehr. Es ging um Liebe, um eine unmögliche Liebe. Aber zugleich war es auch der Grundpfeiler der Geschichte eines ganzen Imperiums, eines ewigen Streits, in den zuerst die Anelph aus dem Kanto-System hinein gezogen worden waren, und dann wir Menschen. Ich sah zu Joan Reilley herüber, die ebenso fasziniert an Orens Lippen hing. Zu Mutter, deren Hologramm genau mit der Miene des Wissenden lächelte, die man von jemanden erwartete, der die Geschichte schon kannte, und dennoch nicht genug davon bekam. Oren hatte eine kleine Pause eingelegt, die Nacht war über uns hereingebrochen und der Turm wurde in Dunkelheit gehüllt. Hier oben, fast drei Kilometer über dem Boden, bekamen wir nicht viel von der Lichterflut mit, welche die Hauptstadt mit ihren abertausenden Lichtquellen veranstaltete. Sie bildeten einen fernen, faszinierenden Teppich, der kaum kompakter als der Sternenhimmel wirkte, der nun ebenfalls über uns leuchtete. Ich konnte verstehen, warum das Büro des Oberhaupts der Arogad ausgerechnet in die oberste Spitze des Turms eingelassen worden war. Nur zwei kleine Lichter erhellten den Raum notdürftig, um das Licht der Sterne nicht zu beeinträchtigen. Eines stand auf Orens Schreibtisch, an dem er Platz genommen hatte, um einen letzten wichtigen Anruf zu tätigen. Die andere auf unserem Tisch, zwischen Tee und Gebäck. Endlich kam Oren Arogad, Oberhaupt der Familie und ehemaliger Flottenadmiral wieder zurück. Er lächelte in die Runde. "Gute Neuigkeiten, Aris Arogad." "Akira", erklärte ich beharrlich. Ich hatte bis vor kurzem nicht einmal gewusst, dass ich ein Arogad war, geschweige denn, dass mir bei meiner Geburt der Naguad-Name Aris gegeben worden war. Die letzten zwanzig Jahre war ich als Akira durch die Weltgeschichte geschritten, und Opa würde sich dran gewöhnen müssen, dass ich von mir selbst noch immer als Akira dachte. Der alte Mann verzog die Miene zu einem tadelnden, mürrischen Blick. "Aris", sagte er stur. Ich seufzte und zuckte mit den Schultern. Dies erhellte seine Miene wieder. Er setzte sich auf seinen Platz und begann erneut. "Wie ich schon sagte, es gibt gute Neuigkeiten. Ich habe gerade mit dem Rat gesprochen. Vorerst wird es keine Anklage gegen dich geben, mein Junge. Die Elwenfelt haben einen solchen Antrag eingereicht, aber die Mehrheit im Rat hat dies abgelehnt. Dennoch wird es eine Untersuchung geben und du wirst der Kommission Rede und Antwort stehen müssen. Danach kann es immer noch sein, dass du als Kriegsgefangener inhaftiert wirst - außer, du gibst deinen Rang auf, wirst Privatmann und trittst in den Rat der Familie Arogad ein." "Opa!", tadelte ich. "War einen Versuch wert", brummte er amüsiert. "Was dich angeht, Joan, so wirst du als Zivilistin behandelt. Es liegen keine Anklagen gegen dich vor, aber eine zeitweilige Verfügung. Du darfst nicht ausreisen und musst der Untersuchungskommission ebenfalls Rede und Antwort stehen." "Das... klingt gut", sagte sie vorsichtig. Oren seufzte leise. "Mehr konnte ich nicht für euch tun. Obwohl es mir ganz recht ist, dass Ihr nicht nach Lorania zurückkehren könnt." Er sah auf, lächelte. "Aber was rede ich hier. Ich war mitten in einer Geschichte. Eigentlich ist es auch eure Geschichte, denn letztendlich seid Ihr genauso betroffen, involviert wie wir auf Prime. Wie mache ich weiter? Hm. So? Dann lasse ich aber eine Menge aus. Dennoch, es würde vieles besser erklären. Okay, also so rum. Ich mache jetzt einen kleinen Zeitsprung von neunzig Jahren. Neunzig Jahre in die Zukunft meiner Geschichte. Und gehe mitten ins Geschehen hinein!" 1. "Schwere Explosionen auf den Kontinenten Angor, Lepass und Pylis!", meldete der Commander ernst. Oren Arogad nickte schwer. Das Bombardement war für den Plan unvermeidlich; es zerstörte die Infrastruktur wichtiger Ressourcen des Gegners. "Verluste, Commander Ryonan?" Der Iovar sah kurz auf seinen Bericht. "Die KUPULVAR hat sich schwer beschädigt aus dem Gefecht mit den vier Drohnenfregatten zurückgezogen. Sie wird nicht verfolgt. Die QUAPESCH hat schweren Schaden genommen, drängt die Drohnen-Korvetten aber wie geplant bis hinter den Mond ab." Oren Arogad verschränkte die Hände hinter dem Rücken und faltete sie ineinander. Dann ballte er sie. Das knirschende Geräusch, das dabei entstand, erinnerte an knarzendes Leder. Diese Operation war sein Kind, seine Idee gewesen. Er hatte es mit einem eigens zusammengestellten Generalstab der Iovar von vorne bis hinten durchgeplant. Verluste waren darin vorgesehen, aber Oren wollte im Innern einer Sonne verglühen, wenn er auch nur den Tod eines einzigen Iovar vorsätzlich oder aus Nachlässigkeit verschuldete. Dies war weit mehr als eine Mission, die er für die Feinde des Imperiums plante. Dies war seine Möglichkeit, die Reputation der Naguad in den Augen der Iovar entscheidend zu verbessern. Den Krieg würde er damit nicht beenden können, gewiss nicht, aber die Gnadenlosigkeit würde er vielleicht herausnehmen können. Zudem kamen die Ziele dieses Angriffs auch dem Imperium zugute, nicht nur dem Kaiserreich. "Was macht die Siebte Banges-Division?" Zwei Flotten, also zwanzig Schiffe aller Klassen waren an der Operation beteiligt. Dazu begleiteten sie zwei Divisionen Banges, absolute Elite-Einheiten. Die Vierte Division schützte die Flotte vor den feindlichen Drohnen-Banges, aber die Siebte führte die Vorbereitung für die Landeoperation aus. Ihnen würden drei Brigaden Bodentruppen folgen, ebenfalls mit das Beste, was die Iovar aufzubieten hatten. Sie würden den Banges helfen, jeden Widerstand niederzukämpfen. Und alles nur für ein Ziel, für den Kern der Hauptstadt. Für einen Tiefenbunker in einem Kilometer Tiefe, bestens gegen orbitale Bombardements geschützt und Dutzendfach abgesichert. Aber für ihre Mission verbot sich ein orbitales Bombardement sowieso. Sie wollten sich die Zugänge in die Tiefe ja nicht selbst verbauen. Was sie wollten, war der Core. "Die Siebte ist bereit. Von Admiral Ohana Lencis soll ich Ihnen Grüße bestellen. Sie führt den Angriff mit ihrer Befehlskompanie an." Wieder ballte Oren die Hände zu Fäusten. Natürlich hatte es sich Aris nicht nehmen lassen, den Angriff selbst zu führen. Immerhin galt sie als beste Banges-Pilotin des Kaiserreichs. Und die übrigen neun Piloten der Bestenliste gaben ihr Geleitschutz. Dennoch... Da unten erwartete sie nicht einfach nur der Core der Villass, der verräterischen Bevölkerungsgruppe der Iovar, sondern auch das, was der Core in über einhundert Jahren an Militär, Industrie und Abwehrmaßnahmen hatte aufbauen können. "Dann los", sagte Oren mit tonloser Stimme und bildete sich ein zu spüren, wie sein Herz explodierte. Der Plan war simpel gewesen. Seit er zu den Iovar gekommen war, als Geisel, um einen instabilen Frieden zwischen ihren Reichen zu erhalten, war das Erbe der Villass über die Iovar gekommen. Die ersten dreißig Jahre, die er mit seinem Stab in Aris Lencis´ Familie gelebt hatte, waren ihm unendlich lange erschienen, er hatte nichts tun dürfen außer sich frei auf dem Landgut und dem Planeten bewegen zu können, beschützt und begleitet von Iovar-Aufpassern und den Naguad, die ihm in diese gefährliche Fremde gefolgt waren. Im einunddreißigsten Jahr hatte er es gewagt, der Admiralität Tipps zu geben - was dazu geführt hatte, dass man ihn geschlagene zehn Jahre ignorierte. Im einundvierzigsten Jahr aber hatte Aris auf den Tisch gehauen und die Admiräle gezwungen, sich mit ihm hinzusetzen. Die Strategien der Naguad waren daraufhin in die Verteidigungstaktiken der Iovar eingeflossen und waren eine üble Überraschung für die Drohnen des Core geworden. Natürlich hatten die Kaiserlichen diese Strategien von ihren Raids her schon gekannt, ihnen war nur nie in den Sinn gekommen, sie mit ihren eigenen zu kombinieren. Es sollte zwanzig weitere Jahre dauern, bevor man ihm einen Beraterposten in der Admiralität zugestand, und noch einmal vierzehn Jahre, bevor ihm selbst der Kaiser zuhören wollte. Dann war dieser Plan entstanden, ein Plan, der schon vor fünfzig, nein, hundert Jahren hätte erfolgen müssen. Sie wollten sich einen der neun Cores der Villass holen, die Technologie analysieren und damit noch effizientere Abwehrmaßnahmen gegen die Drohnen entwickeln. Außerdem würde ihnen diese Beute dabei helfen, zukünftige Verbesserungen in der Technik der Drohnen zu erkennen und deren Abwehr vorzubereiten, lange bevor sie eingesetzt wurden. Aber das war noch Zukunftsmusik. Noch waren sie nicht mal auf Yossha gelandet, einer einsamen Sauerstoffwelt, die in den Katalogen der Iovar als unbewohnt, rohstoffarm, schlechtes Klima geführt wurde - und seit ihrer Entdeckung vor achthundert Jahren nicht wieder besucht worden war. Sie hatten diese Welt eher zufällig entdeckt und gehofft, ihrerseits nicht entdeckt worden zu sein. Und nun standen sie im Orbit dieser Welt, drängten die Verteidiger ab und bereiteten den Diebstahl des Cores vor. Was für ein Plan. Oren Arogad starrte auf das große Hologramm auf der Brücke der KAISER ARIS. Es zeigte die beginnende Landeoperation der Siebten. Sechshundert Banges, die Besten der Besten würden sich in die Atmosphäre stürzen, die verteidigenden Drohnen-Banges vernichten und dann die Verteidigungsstellungen eine nach der anderen vernichten. Danach würde die Infanterie landen und in den Tiefenbunker eindringen. Ab hier betraten sie Neuland. Die äußeren Anlagen zu eruieren, die Schiffe zu zählen und zu klassifizieren war einfach gewesen. Aber sie hatten eine menschenleere Welt nicht infiltrieren können, geschweige denn den Bunker selbst. Sie hatten keine Ahnung, ob der Core einfach in den Planeten einbetoniert worden war oder ob sie ihn überhaupt nach oben schaffen konnten. Und vor allem wussten sie nicht, wann und wie viel Verstärkung kommen würde. Es hatten genügend Schiffe das System verlassen um den Verdacht nahe zu legen, dass zumindest eines bei einem der anderen acht Cores Hilfe holen würde. Nun, für die gesamte Operation hatten sie einundzwanzig Tage veranschlagt. Neun für den Anflug, neun für den Rückflug und drei für diese Attacke. "Bodenstellungen feuern, Admiral. Wir haben erste Verluste bei den Banges." Oren runzelte die Stirn. Natürlich hatten sie versucht, alle erkannten Stellungen mittels Präzisionsbeschuss auszuradieren, sofern das aus dem Orbit möglich war. Aber hunderte kleinere Stellungen mussten sie einfach übersehen haben, ganz einmal davon abgesehen, dass das Areal um den Tiefenbunker geschont worden war. Und seine Frau Aris war nun mittendrin. Außerdem war sein Sohn Jonn da draußen. Er hatte seinen Vater nicht alleine zu den Iovar gehen lassen wollen, ebenso wenig wie sein langjähriger Freund Luka Maric und Dutzende weitere Offiziere und Naguad des Hauses. Aber nur Jonn hatte es letztendlich auf ein Kommando geschafft. Sein Schiff hieß BENST, und Oren hoffte, dass sich der junge Mann der Ehre dieser Namensgebung bewusst war. Oren ließ das Hologramm zoomen, bis hinunter in die Stratosphäre. Tausende von Raketen, Energieimpulsen und Drohnen-Banges sausten dort herum und versuchten reiche Ernte unter den Banges der Siebten zu halten. Aber diese Piloten gehörten nicht umsonst zur absoluten Elite. Und Computerprogramme waren der Erfahrung und den Instinkten langjähriger Kämpfer nicht gewachsen. "Neunzehn Verluste." Hinter den beweglichen Banges, die stellenweise noch immer vom Orbitalbombardement der Flotte unterstützt wurden, kamen die schnellen, schwer gepanzerten Infanterietender herab, bereit, ihre drei Brigaden der besten Infanterie dieses Teils der Galaxis zu entlassen. Bis sie in effektive Schussreichweite der verbliebenen Waffen kamen, würden die Banges bereits alles was feuern konnte, ausradiert haben. "Dreiundzwanzig", meldete der Commander ohne Ton in der Stimme. Etwas wärmer fügte er hinzu: "Der Admiral ist nicht dabei." Kurz und fauchend atmete Oren aus. Er hätte ihr verbieten sollen, in einen Banges zu steigen, diesen Angriff anzuführen. Er hätte sie fesseln und in ihre Kabine sperren lassen sollen. Er hätte... Er hätte ihr niemals die Chance genommen, bei ihren Leuten zu bleiben. Ihnen Vorbild zu sein, das gleiche zu riskieren wie sie. Oren verstand die Frau nur zu gut. Das machte es nicht leichter, aber wenigstens stolz. Die Banges tauchten nun in die Troposphäre hinab, die meisten lang reichenden Abwehrstellungen waren ausgeschaltet worden. Aber nun würden die Nahkampfwaffen eingesetzt werden. Schnellfeuerwaffen mit panzerbrechenden Geschossen, Anti Banges-Minen, Clusterraketen, und was der Schweinereien mehr waren. Und nicht jede Stellung würden seine Schiffe im Orbit rechtzeitig vernichten können, um Leben, wichtige Leben zu retten. Dann würden die Drohnensoldaten kommen. Wesen, die äußerlich wie Iovar aussahen, es aber nicht waren. Zuviel fehlte ihnen, abgesehen von Verstand und einem funktionsfähigen Gehirn. Zu einfach waren diese Roboter gestrickt. Sie waren eigentlich nur da, um einige bestimmte Bewegungen auszuführen, die ein vollautomatischer Computer nicht verrichten konnte. Davon abgesehen waren sie nur schwer zu töten, sehr schnell und konnten mit einem Gewehr und einem Bajonett umgehen. Das war aber auch schon alles, was sie einem Iovar ähnlich machte. Genauso gut hätte man Steine und Säugetiere miteinander vergleichen können. Die ersten Banges landeten, schufen eine sichere Zone, die sie weiträumig sicherten. Die Hauptstreitmacht war noch gut fünf Kilometer vom Tiefenbunker entfernt; der Plan sah nicht vor, ein unnötiges Risiko einzugehen. In der sicheren Zone setzte zuerst Aris auf. Danach ihre Begleiter. Ihnen folgte der erste Infanterietender, entließ Panzerfahrzeuge. Die Perspektive im Hologramm änderte sich, rechnete nun auch die Bilddaten der Bodenstation hinzu, zeigte das Gelände aus der Waagerechten. Die Fahrzeuge, bewegliche Schwebewagen, schossen hervor, und rasten, flankiert von für den Nahkampf konfigurierten Banges, auf die ferne Drohnenstadt und den Tiefenbunker zu. Natürlich waren etliche Gebäude Fallen, natürlich dienten andere Gebäude als Waffendepots oder Munitionsdepots für die Drohnen-Banges, welche die Stadt verteidigten. Natürlich war jeder Meter von den eigenen Banges hart erkämpft. Aber schließlich brachen sie bis zum Bunker durch. Ab einem bestimmten Punkt bedeutete dies, ohne die großen Mechas auszukommen, zu klein waren die Hallen und Gänge innerhalb des Bunkers. Dies war die große Stunde der Infanterie. Der AO-Infanterie, um genau zu sein. Die Iovar konnten nicht aus jedem Menschen einen AO-Meister machen, das war auch gar nicht nötig. Aber die Fähigkeit, seine Selbstheilung in einem gewissen Maß zu beeinflussen, seine Leistungsfähigkeit kurzfristig zu steigern oder sogar eine Art Schild aus dem AO zu bilden machten die Infanteristen jeder Armee überlegen, die Oren je gesehen hatte. Er stellte sich vor, wie drei, vier dieser Divisionen über Naguad Prime herfielen und die Hauptstadt eroberten. Eine Zeitlang würden sie sich sogar halten können, Jahre vielleicht, bevor die schiere Masse der Naguad sie erdrücken würde. Die Helmkameras der Kompanieführer lieferten verschiedenste Bilder von der Aktion, als die mächtigen Landefähren neben dem Bunker aufsetzten und ihre Fracht entließen. Sturminfanterie, Pioniere, mobile Artillerie, Scharfschützenkommandos, Sanitäterteams, alles war vertreten, alles lieferte Bilder für die riesige Bildschirmwand in Oren Arogads Taktikzentrum. Den Infanteristen traten Drohnen entgegen, sobald die Tore des Bunkers eingerissen waren. Aber sie waren nur... Ein kleines Ärgernis. Auf Dutzenden Bildschirmen sah er erfahrene AO-Kämpfer Partikelwaffenschüsse abwehren - ein Bild, dass ihn frappierend an den ersten diplomatischen Besuch einer Iovar auf Naguad Prime seit Jahrtausenden erinnerte. Und in ihm einen Verdacht, einen Zusammenhang keimen ließ, der ihn erschaudern ließ. Er sah einen Offizier, aufgenommen von einem anderen, der mit einem traditionellen Schwert, welches von seinem AO umgeben war, auf einen Granatwerfer zu sprang, mehrere der im schnellen Rhythmus abgefeuerten Granaten spaltete und dann über der Stellung niederfuhr. Wenn er je Hemmungen gehabt hatte, intelligentes Leben zu vernichten, bei den Drohnen brauchte er keine zu haben. Sie waren weniger als Leben. Notdürftig organisierte organische Materie mit dem leidlichen Aussehen von Iovar. Gesteuert von einem Riesencomputer in den Eingeweiden dieser Welt, vielleicht vom Core selbst. Die Pioniere stürmten vor, gedeckt von Snipern, sprengten die Rampen auf, die weiter in die Tiefe führten. Abwehrfeuer schwerer Panzer schlug ihnen entgegen, aber die gepanzerte Infanterie setzte sofort nach. Dutzende Männer fielen aus, manche starben. Doch die Besten der Besten erledigten die Panzer mit erschreckender Leichtigkeit. "Wundert mich, dass Ihr bei euren Raids nie mit Infanterie gekommen seid", sagte Oren und knirschte mit den Zähnen. "Was? Und ein paar Tausend Mann auf einen Planeten bringen mit dem zwingenden Hintergrund, sie auch wieder evakuieren zu müssen?" Ryonan grinste breit. "Nicht unser Stil. Unsere Raids waren immer darauf ausgelegt..." "Immer darauf ausgelegt, uns unsere eigene Verletzlichkeit vor Augen zu führen und vom Kaiserreich fern zu halten", schloss Oren Arogad den Satz. "Moment mal, nein, das können Sie doch nicht tun!", hörte der Admiral einen der Kommoffiziere fluchen. "Was ist denn, Gordian?" Der Mann wandte sich um. "Sir, Admiral Lencis hat ihren Banges verlassen. Sie folgt den anderen Soldaten in die Tiefe!" "Bei allem was mir heilig ist! Geben Sie sie mir, schnell!" "Verbindung steht, Admiral." "Aris, hörst du mich? Aris?" "Laut und deutlich, Oren. Was willst du mir sagen? Dass ich den Zeitplan durcheinander bringe? Das jederzeit eine Flotte der Cores im System auftauchen könnte? Das die Evakuierung nur unnötig verlängert wird, je tiefer ich in den Bunker gehe? Das ich ein viel zu großes persönliches Risiko eingehe, je tiefer ich komme? Keine Sorge, Luka ist bei mir." "Mit dem werde ich noch sprechen. Wie kann er dich so eine Dummheit begehen lassen?" "Er hatte die Wahl, schmollen und oben bleiben oder auf mich aufpassen. Seine Antwort siehst du ja." "Luka, komm du mir nach Hause." Ein leises Lachen antwortete. "Er sagte gerade, er kommt lieber mit einer lebendigen Aris nach Hause als auf eine Leiche zu warten." "Er ist ein Mistkerl. Du bist ein Mistkerl!" "Mistfrau, bitte. Soviel Zeit muß sein. Außerdem liegen wir weit vor dem Zeitplan. Dein Plan, mein Liebling, sah vor, nach vier Stunden den Bunker zu erreichen. Wir liegen bei dreieinhalb. Für die unterste Ebene mit dem Core haben wir weitere acht Stunden. Ich verspreche dir, wir packen es in fünf. Umso schneller können wir hier wieder verschwinden." Oren Arogad seufzte tief und verzweifelt. "Tu was du nicht lassen kannst. Hast du wenigstens einen Grund dafür, deinen Hintern zu riskieren?" "Wie wäre es mit dem guten alten: Lass deine Leute nie tun was du selbst nicht zu tun bereit bist?" "Gutes Argument", stellte Oren widerstrebend fest. Er deaktivierte die Verbindung von seiner Seite wieder, um sich der Gesamtsituation zu zu wenden. "Wie ich das sehe, Sir, war die Aktion bisher ein Erfolg", ließ sich der Commander vernehmen. "Der Core und die Villass, die ihn steuern, wurden von uns vollkommen überrascht. Und wenn nicht zufällig gerade eine Flotte auf dem Weg hierher ist, dann sind wir schon zwei Wochen weg bevor Verstärkung eintrifft." "Richtig", stimmte Oren zu. "Es gibt nur die Möglichkeit, einem der springenden Schiffe eine entsprechende Botschaft mitzugeben. Und das erste Schiff, das nach unserer Ankunft gesprungen ist, tat dies vor vier Tagen. Eigentlich müssten wir mehr als genügend Zeit haben. Leider steckt der Teufel im Detail." "Selbst wenn die Truppen der anderen Cores in diesem Moment das System betreten würden, wir hätten neun Tage, bevor sie hier sind. Dann hängt es von Anflugwinkel und unserem Fluchtkurs ab", fügte der Commander beruhigend hinzu. Oren ließ sich von diesen Worte beruhigen. Für vielleicht zehn Minuten. Sechs Stunden später, die Sanitäter hatten Dutzende Toter und Verletzter geborgen und zurück an die Oberfläche gebracht, meldete die Sturmspitze, die letzte Sohle erreicht zu haben. Oren Arogad sah auf. Nun würde es vielleicht die schwersten Kämpfe geben. "Alarmbefehl für das Naguad-Expertenteam", sagte er leise. Commander Ryonan nickte ernst und gab den Befehl weiter. Das war der Deal dafür gewesen, dass der Arogad diese Aktion erfolgreich abschloss. Von Anfang an sollten Naguad-Wissenschaftler aus seinem Gefolge an der Erforschung des Cores beteiligt sein, um ebenso viel über diese Technik zu erfahren wie die Iovar selbst. Innerlich atmete Oren auf, als sich der direkte Verbindungsmann zum Kaiser an dieses Versprechen hielt. Wieder verging eine Stunde. In dieser Zeit wurden sie von Bildern überschüttet, hörten die Todesschreie Dutzender Elitesoldaten, das klicken mechanischer Fallen und das Ende der Scheinleben hunderter Drohneninfanteristen. Und dann kam endlich der erleichternde Ausruf der Sturmspitze, als schon kein Kompanieführer mit Kamera mehr an den Gefechten beteiligt war: "Core-Raum gesichert." "Name und Rang", sagte Oren tonlos. "Iven Rodag Centre, Admiral. Truppführer Centre." "Sie sind ab sofort Leutnant. Und Sie sind für alle Truppen verantwortlich, die sich im Moment im Core-Raum befinden", befahl Oren ernst. Vor allem für die Sicherheit von Aris Lencis, aber das sprach er nicht laut aus. "Verstanden, Admiral", antwortete der Mann ruhig. Ob er einfach nur zu müde war um sich zu freuen, überrascht oder sogar schockiert zu sein oder ob er wirklich so gelassen war wie er klang, Oren konnte es nicht sagen. Keine zehn Minuten später trafen die ersten Teams ein, die den Kampftruppen fast auf dem Fuß gefolgt waren. Die ersten waren die Pioniere, die Selbstzerstörungseinrichtungen aufzuspüren versuchten, Abwehrvorrichtungen und dergleichen. Sie waren es auch, die sämtliche Leitungen des Cores zu seiner Umgebung kappten. Oren war überrascht, wie klein der Core doch war. Er hatte nicht viel mehr Volumen als fünf oder sechs Naguad einnehmen würden. Und dieses kleine Ding hatte über Jahrhunderte eine ganze Welt besiedelt, ausgebeutet und eine eigene Flotte geschaffen. Übergangslos fühlte er eine Gier in sich aufwallen. Er wollte diese Technik in seinen Besitz bringen. Um wie viel leichter würde die Expansion seines Volkes, wenn sie nur solche Cores ausschickten und Jahrzehnte später fertig präparierte Welten vorfanden, auf denen Siedler leben konnten? Aber es hatte auch einen schlechten Beigeschmack. Die Cores waren Kriegsgeräte. Und Oren Arogad sah die Gefahr, dass sie es wieder sein würden. Nur diesmal für die Naguad und das Kaiserreich. Eine Meldung belehrte ihn darüber, dass Admiral Lencis nun die Core-Ebene erreicht hatte. Die Nachricht war von Luka Maric gekommen, der ihm zugleich versicherte, es ginge allen gut. Nun, sollte sie sich doch da unten umsehen. Vielleicht steigerte ihre Anwesenheit den Arbeitseifer der Leute. Denn eigentlich wollte Oren nur eines: Ganz, ganz schnell wieder hier fort. Sein Nacken juckte jetzt schon seit Stunden sehr bedenklich und sein Magen versuchte ihm weis zu machen, im freien Fall zu sein. "Beim Kaiser", sagte jemand tonlos. Es war der gleiche Kommunikationsoffizier, der zuvor gemeldet hatte, dass Admiral Lencis ausgestiegen war, um den Bunker zu erobern. Oren trat hinter ihm. Mit Aris waren selbstverständlich auch Männer mit Kameras mitgekommen und zeigten nun ein einheitliches Bild der Core-Höhle. Eine der Kameras, es musste die von Luka sein, zeigte die Admirälin selbst. Und das, was sie gerade sah. Oren fühlte sich, als würde ihm jemand die Beine unter dem Körper fort treten. Giordan würgte, hielt sich aber an seinem Platz. Die Kamera von Luka machte einen Satz, verlor Aris aus dem Blickfeld. Luka sprintete an Dutzenden, hunderten großen, sargähnlichen Behältern vorbei, in denen träge die leblosen Körper von Iovar schwammen, auf einen Bereich tiefer in der Halle zu, wo in Sechserreihen übereinander gestapelt weitere Behälter waren. Nur... In ihnen waren lediglich Gehirne. Hirnlose Drohnen öffneten gerade einen der großen Behälter, entnahmen einen Körper, der durch leichte Zuckungen bewies nicht tot zu sein, und schafften ihn mit einer automatischen Bahre zu den Behältern mit den Gehirnen. Es brauchte nicht die große Maschine in direkter Nähe zu den Regalreihen, in denen eine Bahre bequem Platz fand, um zu verstehen, was als nächstes mit dem Körper passieren sollte. Und es brauchte auch nicht die fünf, sechs Leichen, die in einem Wagen hinter der Maschine herfuhren. Der Körper bäumte sich plötzlich auf, es war ein junger Mann. Schaum trat ihm vor den Mund und er schrie nach Leibeskräften. Die Drohnen aber hielten ihn auf die Trage gedrückt. Das war eine Sekunde, bevor Luka heran war und kurzen Prozess machte. Eine Sekunde später legte er eine Hand auf die Maschine, die Oren bei sich, gefangen in einer Mischung aus Entsetzen und Faszination, Gehirnernter nannte, und ließ sie von einer AO-Explosion gegen die nächste Wand schleudern. Dann kehrte die Kameraperspektive zu dem jungen Mann zurück, der versuchte sich aufzurichten. Drohender Wahnsinn loderte in seinen Augen. "SANITÄTER!", klang Lukas Stimme auf. Aber erst als Aris heran war, und beruhigend ihre Hände auf die Schultern des Mannes drückte, beruhigte sich der Bursche etwas. "Du bist jetzt in Sicherheit", beruhigte sie ihn in der allgemeinen Iovar-Sprache. "Du bist ein Villass, nicht wahr?" Dies schien den jungen Mann wieder in Panik zu versetzen. Er versuchte sich erneut aufzurichten, während seine Augen irre wetterleuchteten. "DER CORE! HÜTET EUCH VOR DEM CORE!" Dann wurde ihm die Unsinnigkeit seines Gebrülls bewusst und er ließ sich wieder auf die Liege sinken. Nun begann er zu lachen, gequält und laut zu lachen. "Was waren unsere Anführer doch für Narren. Was waren wir nur für Narren, als wir ihnen folgten." Das lachen ging in schluchzen über. Kurz darauf übergab sich der junge Mann. Aris Lencis reinigte das Gesicht des jungen Mannes ohne mit der Wimper zu zucken. Dies schien ihn weiter zu beruhigen. "Was ist passiert?", fragte sie leise. Der junge Mann sah sie an. "Du bist Iovar, richtig? Den Sternen sei Dank, Ihr seid gekommen. Ihr seid endlich gekommen. Sie waren schon dabei, unsere Gehirne zu entfernen und die Körper als Ressourcen für die Nährflüssigkeiten zu benutzen. Sie wollten uns auf unsere Funktion als Rechenmaschinen reduzieren!" Wieder schluchzte der junge Mann. "Die Villass haben Maschinen erschaffen. Und die Maschinen haben die Villass gefangen und benutzt. Unsere Gehirne sollten ihnen als organische Rechner dienen. Und damit die Rechner wenig Ressourcen brauchen, werden sie nach und nach auf das Wesentliche reduziert. Wir waren mal dreitausend, bevor sie anfingen..." "Was ist passiert? Was ist mit dem Core passiert? Wie ist er so geworden?" Sanft streichelte sie dem Mann über sein Gesicht. "Wie hat er sich gegen seine Befehle stemmen können?" "Die Cores hätten niemals sich selbst überlassen werden sollen", sagte der Mann leise, resigniert. "Sie... Sie haben etwas gefunden, da draußen. Relikte von der Urrasse, aus der wir alle hervor gegangen sind. Die verschwundene Art... Es muß... Es muß sie korrumpiert haben, alle neun Cores. Oder sind es mittlerweile schon zehn? Oder weit mehr? Ich weiß es nicht. Seit ich eingesperrt wurde habe ich jedes Zeitgefühl verloren." "Welches Jahr haben wir?", fragte Aris unvermittelt. "Das vierte Jahr der achten Dekade der Regentschaft von Kaiser Holan", antwortete der Mann automatisch. Aris nickte und überließ den Mann den Sanitätern. Dann winkte sie Luka heran. "Oren, hörst du mich?" "Ich habe mitgerechnet. Der Mann war sechshundert Jahre in einem der Tanks eingesperrt, richtig?" "Ja, sechshundert Jahre. Aber deshalb will ich dich nicht sprechen, auch wenn es wichtig ist. Oren, wir müssen den Plan umstellen." Sie machte eine weit ausladende Geste, um all die Tanks zu erfassen. "Wir müssen sie mitnehmen, alle da rausholen." "Aris, es sind dreitausend! Dreitausend!" "Ja, aber es sind Iovar! Es sind Untertanen des Kaisers, ob sie rebelliert haben oder nicht! Es macht keinen Unterschied, und der Kaiser ist für seine Bürger immer da und beschützt sie nach besten Kräften! Oren, stell den Plan um!" "Die Truppen haben uns Zeit raus geholt. Du kannst den Rest der drei Tage haben, den diese Operation laufen sollte. Keine Sekunde mehr. Hol in dieser Zeit so viele wie möglich aus den Tanks. Und halte dich nicht mit den Gehirnen auf." "Oren! Das sind auch Bürger des Kaiserreichs!" "Aris, sei vernünftig! Kannst du ihnen ihre Körper wiedergeben?" "Ich nehme sie dennoch mit!", beharrte sie. "Wenn noch Zeit da ist, sobald wir den letzten Villass aus den Tanks befreit haben." Das war ein Kompromiss, und damit mussten sie leben. Oren Arogad nahm es hin. "Gut. Du hast deine Zeit zugeteilt bekommen. Aber versuche bitte, schneller zu sein. Viel schneller." "Danke. Du hast was gut bei mir." Sie deutete einen Kuss auf die Kamera an. Der Admiral räusperte sich verlegen. "Welcher Art, sagten Sie, Admiral Arogad, ist gleich noch mal Ihre Beziehung zu Admiral Aris Ohana Lencis?", fragte Commander Ryonan grinsend. "Wann, sagten Sie, wollten Sie aufhören, dumme Witze zu reißen, Commander?" Der Iovar grinste zwar, beschloss aber dieses Thema vorerst nicht wieder aufzugreifen. 2. Der Core war bereits nach einem Tag an Bord geschafft worden und wurde nun von gemischten Expertenteams aus Naguad und Iovar untersucht. Einige Villass, die aus den Tanks befreit worden waren, assistierten, so weit es ihre Kondition zuließ und wiesen die Wissenschaftler immer wieder auf ungewöhnliche Konstruktionsmerkmale hin, die von ihnen nicht geplant gewesen waren. Auf der Planetenoberfläche ging die Evakuierung der in den Tanks eingesperrten Villass gut voran, fast eintausend hatte Aris schon befreien lassen. Mit zunehmender Routine steigerte ich auch die Geschwindigkeit und sie erinnerte Oren jede volle Stunde an sein Versprechen, auch die Gehirne mitzunehmen, wenn die Zeit es zuließ. Und Oren Arogad stand zu seinem Wort. Im Moment wanderte er alleine um den Core herum und hörte mal hier, mal da zu. Gerade zeigte ein Villass-Wissenschaftler, der in einem Schwebestuhl saß, weil seine Gesamtkondition viel zu schwach war, auf ein Bauteil, welches gerade entfernt wurde. "Da. Das ist uns unbekannt. Ein Massebeschleuniger, sagten Sie? Das ist ungewöhnlich. Warum sollte der Core eine eigene Gravitation erzeugen, wenn sie für die Anfangsphase des Aufbaus nicht erforderlich ist?" Oren dachte über das nach, was der Villass sagte. Soweit er nun wusste und es verstand, bewegten sich die Cores mit umgebauten Schiffen von der Größe von Fregatten durch das All, um geeignete Ressourcenwelten zu finden. Hatten sie eine gefunden, dann wurde die Substanz der Fregatte bis zur letzten Schraube verbraucht, um die Grundlage für die Selbstständigkeit der neuen Kolonie zu schaffen: Bergbau, Verhüttung und Konstruktion. Weitere Elemente kamen später hinzu, Drohnentechnologie und dergleichen. Wenn nötig, fügten die Cores künstliche Schwerkraft hinzu, entweder um sie massiv zu reduzieren oder massiv zu erhöhen. Auf dieser Welt war dies nicht nötig. Besaßen die Cores also generell diese Vorrichtung, oder war dieser Core eine Ausnahme? Auf jeden Fall war er sich sicher, dass sie viel lernen konnten. Er dachte an diese Welt und daran, dass sie eine zerbombte Wüste zurücklassen würden. Aber hier hatte nie etwas gelebt und hier würde auch nie etwas leben... Vielleicht in ein paar Jahrtausenden. Aber auf jeden Fall würde hier keine Scheinzivilisation der Cores mehr existieren. Immerhin. Oren Arogad wanderte weiter um den Core herum, betrachtete die Genproben, mit denen die Drohnen geschaffen worden waren - was einiges über die Raider aussagte, die von den Naguad lebend geborgen hatten können. Und er wunderte sich einen Moment darüber, dass das Kommunikationsrelais direkt mit dem Massebeschleuniger verbunden war. Aber er tat den Gedanken beiseite. Optimierung des Energieverbrauchs, oder so. Schließlich verließ er die Halle wieder, nicht ohne sich davon zu überzeugen, dass seine Wissenschaftler die gleichen Ergebnisse abspeicherten wie ihre Iovar-Kollegen. Auf dem Gang erwischte ihn dann der Alarm. Sofort aktivierte er seine Kommunikation. "Arogad hier. Bericht." "Sir, wir haben Eintrittsimpulse angemessen! Im Moment neunzehn, aber es kommen im Minutentakt neue hinzu. Ihre Distanz zu uns beträgt gut zehn Tage Flugzeit, selbst für die unbemannten Schiffe des Cores. Vierundzwanzig. Fünfundzwanzig." "Ich komme in die Zentrale. Bereiten Sie die Evakuierung der Oberfläche vor! Holen Sie unsere Leute wieder zurück! Und geben Sie Admiral Lencis Bescheid, dass sie sich beeilen soll!" "Ja, Admiral." Oren fiel in Laufschritt, hastete die Gänge hinauf. Dabei hatte er zehn Tage Zeit, um seine Zentrale zu erreichen, ging es ihm zynisch durch den Kopf. Als er seinen Planungsraum mit seinem Stab erreichte, empfing ihn ein sehr besorgter Giordan. "Admiral, ich habe Admiral Lencis für Sie!" "Gut, stellen Sie durch. Aris, nein, nein, und noch mal nein! Nein. Nein. Nein! Und damit du es kapierst: Nein!" Die Iovar sah den Mann erschrocken an, der ihr so vehement entgegen getreten war, bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte. "Oren, ich..." "Nein, du kriegst nicht mehr Leute. Ich ziehe gerade alles von der Oberfläche ab, was nicht unmittelbar gebraucht wird!" "Aber wir..." "Das war, bevor die Cores eine Flotte in dieses System gebracht haben! Übrigens zwei Wochen zu früh! Wir können nur noch stiften gehen! Aris, versteh das bitte!" "Aber hier sind..." "Es ist ja nicht so, als würde ich das nicht wissen! Himmel, zweitausend Seelen! Aber nein!" "Oren!", rief sie laut. Betreten sah der Admiral zu Boden. "Du kriegst genau noch achtzehn Stunden! Dann wirst du den Tiefenbunker verlassen! Egal wie viele Villass du zurücklassen musst! Kapiert?" Sie senkte auch den Blick. "Das ist wohl das Beste, was ich heraus schlagen kann. Einverstanden. Aber was die Verstärkungen angeht..." "Du kriegst nicht einen Soldaten mehr." "Oren." "Im Gegenteil. Ich werde die anderen Schiffe bis auf jene, die deine Villass aufnehmen sollten sowie die KAISER ARIS zu den Sprungpunkten schicken. Wir verlassen das System laut Notfallplan elf auf fünf verschiedenen Kursen." Oren sah wieder auf. "Ich gebe dir keinen Mann extra. Wenn sie zu schnell über uns kommen, will ich so wenig wie möglich dort unten zurücklassen. Und vor allem nicht dich." Aris Lencis nickte. "Also gut. Achtzehn Stunden. Ich danke dir, Oren." Die Verbindung erlosch, und der Naguad fühlte sich schäbig dafür, was er der Frau, die er liebte angetan hatte. ** Oren hatte nicht einen Mann mehr versprochen und auch keinen zugeteilt. Aber das hatte die Iovar nicht daran gehindert, sich freiwillig zu melden. Sogar sein eigener Sohn Jonn hatte sich mit der Besatzung seiner BENST gemeldet. Im Moment lief Luka Maric immer einen halben Schritt hinter Aris her, bereit sie jederzeit und auf einen Wink von Admiral Arogad zu betäuben und aus dieser Halle zu schaffen. Aber es sah gut aus, sehr gut sogar. Die achtzehn Stunden waren fast vorbei, doch es waren nur noch wenige Tanks übrig. Lediglich die Gehirne standen noch an Ort und Stelle. Aris´ Miene wirkte versteinert, während sie den Abtransport der letzten Villass überwachte. Dann rief sie fünfzig voll bewaffnete Infanteristen zu sich, ließ sie vor den Tanks mit den Gehirnen Aufstellung nehmen. Lukas Helmkamera nahm all das aus nächster Nähe auf. Auf ihren Befehl legten sie an, Aris´ Miene wurde verzweifelt. Und dann schossen sie auf ihren Befehl auf die langen Gangreihen mit den entkörperten Villass. Erschrockenes Raunen ging durch die Zentrale, während Tank auf Tank platzte, Gehirne zerrissen wurden und erste Feuer ausbrachen. Als sichtlich kein Tank mehr in einem Stück war, ließ sie das Feuer einstellen. Mit versteinerter Miene ließ sie alles zum Abmarsch bereit machen. Sie sah kurz in Lukas Kamera, und ihre Miene bekam etwas Friedliches. "Ich konnte sie nicht zurücklassen. Versteh das bitte, Oren." "Das Schicksal ist sicherlich besser, als wieder in die Hände der Cores zu geraten", murmelte Oren Arogad leise. Er konnte nicht sagen, ob er bereit gewesen wäre, diese Entscheidung zu treffen. "Kommt hoch. Wir müssen fort." 3. Es kam, wie es kommen musste. Übergangslos, nachdem sie die hoffnungslose Verfolgungsjagd beendet hatten, hielten die Cores und ihre Flotten still. Erkundungsmissionen zurück nach Yossha ergaben nur, dass die Cores diese Welt aufgegeben hatten. Weitere Core-Welten konnten nicht gefunden werden. Erforschungen der Technologien, die als Relikte des Urvolks angesehen wurden, ergaben nicht sehr viel Neues. Diese Technik war ihrer nicht überlegen, oder jeder der Naguad. Sie beschritt nur andere Wege. AO war vollkommen unbekannt. Dennoch, dennoch konnten sie von dieser Technik ein wenig lernen. Die letzten zehn Jahre vergingen wie im Flug, beinahe wie im Rausch. Denn nun, nach der erfolgreichen Aktion, geleitet von Oren Arogad, war sein sozialer Status im Kaiserreich auf seinem Höhepunkt angekommen. Selbst der Kaiser tat nun mehr als ihm zu zu hören. Den entscheidenden Durchbruch aber gab es nicht. Ein ganzes Imperium machte für Oren Arogad eine Ausnahme, adoptierte ihn quasi. Aber das Verhältnis zu den Naguad war immer noch schwer vergiftet. Ein Mann konnte eben nicht die Sünden von hunderttausend wieder gut machen. Immerhin gab es einen vagen diplomatischen Kontakt, über den Oren auch die Erkenntnisse über die Core-Technologie weitergegeben hatte. Die Rückantworten waren nicht sehr ermutigend, als er endlich verstand, dass das Wissen um die Cores und deren Funktionsweise direkt an die Familien gegeben worden war. Direkt an die Familien, was für ein Irrsinn! Vor seinem geistigen Auge sah er schlimme, schlimmste Zeiten für die Naguad und ihre Nachbarn anbrechen. Und selbst das Argument, dass der Core sie bedrohte, wollte ihm nicht ausreichen, um eine so gewaltsame Methode zu akzeptieren, um das Reich der Naguad wachsen zu lassen. Von Eroberungen ganz zu schweigen. Einen großen Teil der zehn Jahre verbrachten Oren Arogad und seine Wissenschaftler mit der Erforschung des Cores und dem Studium alter Archive. Bisher hatte er die Iovar für das Urvolk der humanoiden Rassen in dieser Galaxis gehalten. Das dahinter noch eine Rasse existierte, oder existiert hatte, war damals, im Orbit um diese Core-Welt eine vollkommen neue Information gewesen. In den Jahren versuchte Oren so viel wie möglich über sie herauszufinden. Und er fand Hinweise in den alten Archiven, Hinweise auf mögliche Siedlungswelten, über diesen Teil der Galaxis weit verstreut, Hinweise auf außerirdische Rassen und vieles mehr. Aber nicht einen konkreten Hinweis auf das Urvolk selbst. Nur auf seine Ableger. Das einzige was er fand, war ein uraltes Gedicht, das die grüne Perle pries. Ob damit aber der Planet als ganzes gemeint war, oder eine besondere Gegend, möglich war auch ein beliebiger Gegenstand, konnte er nicht herausfinden. Die letzten Jahre vergingen für ihn und Aris hungrig, sehr hungrig. Ihre gemeinsame Zeit hatte wild begonnen. Täglich konnten sie sich sehen, aber nur wenig miteinander sprechen und sich nicht einmal berühren. Noch immer war sie eine Iovar und er ein Naguad. Erst über Jahre, die für manche bereits ein eigenes Leben bildeten, war es gelungen, die strenge Disziplin der Lencis-Familie aufzuweichen. Und erst nach dem Sieg über den Core und mit der Bedrohung durch die Core-Flotten, die sich in die Tiefen des Alls zurück gezogen hatten, war ihnen erlaubt, wonach sie bereits seit neunzig Jahren hungerten. Als das letzte Jahr anbrach und sein Sohn Jonn vor ihm stand, sah er viel von seiner Mutter in ihm. Und viel von sich selbst. Dennoch war der junge Mann mehr als die Summe von zwei Menschen. Und dieser Mensch entschied sich dafür, auf dieser Welt zu bleiben, dem Kaiserreich zu dienen. "Dummheit scheint in deinen Genen zu liegen", hatte Oren geantwortet. "Auch deine Mutter hat ihre Pflichten über alles andere gestellt und ist daran gestorben. Aber wenn es das ist, was du wünschst, dann hast du meinen Segen, mein Sohn." Oren war kein Narr. Ihm war nicht entgangen, warum sein Sohn hier bleiben wollte, warum er sich seit hundert Jahren, nicht annähernd so scharf überwacht wie sein Vater, mit einer Nichte von Aris traf. Und mehr. Und er fragte sich ernsthaft, ob er das auch konnte. Die Familie Familie sein lassen, das Imperium Imperium und hier mit Aris ganz neu anfangen konnte. "Willst du nicht hier bleiben, wenn die Zeit deiner Geiselhaft vorbei ist?", fragte sie ihn, während sie gemütlich gemeinsam Tee tranken und einen warmen Sommertag auf der Veranda der Lencis-Residenz genossen. Sie spielte auf den eigentlichen Grund an, aus dem er auf diese Welt gekommen war. Ein Faustpfand gegen die Naguad, um Kämpfe, Kriege zu vermeiden, bis beide Seiten technologisch und militärisch stark genug waren, um einen gegenseitigen Angriff zu verlustreich zu machen, um ihn ernsthaft durchführen zu wollen. Und den heimlichen Grund, bei der Frau zu sein, die die Leere in seinem Herzen gefüllt hatte, auf einen Schlag und mit soviel Macht, dass er sogar an Bestimmung glaubte. An pure, reine Bestimmung ihrer beiden Schicksale. "Nein, ich kann nicht. Ich bin der Erbe meines Hauses. Und so wie die Dinge stehen, werde ich gebraucht, wenn das Imperium nicht völlig in Unordnung zerfallen soll. Bereits jetzt schlagen die Elwenfelt Kapriolen, die uns noch teuer zu stehen kommen werden. Sie schicken Cores los." "Ich weiß. Das ist eine ernste Angelegenheit und jemand sollte sie zügeln. Aber warum musst du es sein, Oren?" "Wenn gute Männer gar nichts tun, ist es schlimmer als der Tod." Er lächelte sie an. "Eines Tages, wenn ich einen Nachfolger ausgebildet habe, frag mich das noch mal, bitte." Schweigend tranken sie ihren Tee, als nun der Naguad fragte: "Willst du nicht mit mir kommen, Aris?" Die Iovar sah ihn an, mit leuchtenden Augen, aber wehmütig verzogenem Mund. "Ich kann nicht. Ich bin dem Kaiser verpflichtet. Und damit dem Volk. Ich kann hier nicht fort. Ich darf hier nicht fort. Und ich will es auch nicht, Oren. Kannst du nicht doch hier bleiben? Wenn die Cores angreifen, wird es sicher das Kaiserreich zuerst treffen. Dann muß ich bereit sein. Wenn du dann neben mir stehst..." Hoffnungsvoll drückte sie seine linke Hand. Oren ergriff ihre und hauchte einen Kuss darauf. Einen, zwei, ein Dutzend. Enttäuscht sah sie ihn an. "Gefangene sind wir. Gefangene unserer Pflichten." "Nicht für immer", sagte er ernst und ließ ihre Hand fahren. Damit war ihre Trennung beschlossen. Ihre gemeinsame Zeit vorbei. 4. Uropa sah mich ernst an. "Ich kam hierher zurück, gab mein Amt als Admiral auf und wurde Oberhaupt des Hauses. Natürlich nicht sofort. Aber im Lauf der Zeit kam alles, wie ich es voraus gesehen habe. Die meisten Naguad begleiteten mich heim, unter ihnen mein alter Freund Luka. Mein Sohn Jonn blieb aber im Kaiserreich. Wir unterhalten immer noch einen... sporadischen Kontakt. Deshalb weiß ich, dass es Aris gut geht. Das es Jonn und seiner Familie gut geht. Ihm, meiner Schwiegertochter, meinen Enkeln... Beim Urvolk, ich wünsche mir, sie sehen zu können." Ich runzelte die Stirn. "Hm, ich dachte Aris Lencis wäre mit dir heimgekehrt. Oder hast du hier eine neue Liebe gefunden? Ich meine, Oma hat doch gesagt, sie wäre erst sechshundert und ein wenig." Mutter lächelte wissend. Joan Reilley beugte sich interessiert vor. "Nun", meinte Oren und lächelte gequält, "dieser Teil der Geschichte ist etwas kompliziert. Tatsache ist, Aris hat sie mir vor gut sechshundert eurer Jahre nachgeschickt." "Sechshundert? Aber dann wäre sie ja..." "Die Lebensuhr beginnt mit der Geburt zu ticken, mein lieber Aris." "Akira." "Aris. Deine Uroma Lencis... Nun, sie empfing mein Kind, durfte es aber nicht austragen. Sie hat fast tausend Jahre darum gekämpft und endlich die Erlaubnis des Kaisers bekommen. Und dann hat sie Eri die Entscheidung überlassen, wo sie leben will. Also kam sie zu mir. Und ich sage dir, in den letzten zweitausend Jahren habe ich kein überheblicheres, verwöhnteres und fieseres Miststück von Frau erlebt. Sie war und atmete und zeigte mit jeder Sekunde ihrer Existenz, dass sie eine Iovar war - und wir nur Arogad. Aber damals war sie sechzehn Jahre alt gewesen und sowieso in ihrer rebellischen Phase. Es... Es wurde langsam besser mit ihr. Aber das ist eigentlich eine vollkommen andere Geschichte. Hm, mein Junge, du weißt nicht zufällig, wo deine Oma gerade ist? Was meinst du? Ist sie mit der AURORA zurück zur Erde geflogen oder im Kanto-System bei den Anelph geblieben?" "Wahrscheinlich kommt sie mir gerade hinterher", scherzte ich. "Oma Eri ist nicht der Typ Mensch, der schnell aufgibt. Geschweige denn jemanden zurück lässt." Je mehr ich darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien es mir, dass ich Recht hatte. Ich lehnte mich in der weichen Couchecke zurück und ließ die Geschichte auf mich wirken. Drei Fragmente aus hundert Jahren erleben hatte Uropa mir und den Damen serviert. Und damit Dutzende Fragen beantwortet und etliche neue aufgeworfen. "Die Core-Technologie stammt also von den Iovar..." Ich korrigierte mich ernst. "Nein, sie kommt von den Villass, noch genauer habt Ihr die Cores nach den Umbauten entwickelt, welche die eigentlichen Villas-Cores vornahmen. Nach den technologischen Fragmenten des Urvolkes. Komisch, ich dachte eigentlich, die Naguad sind das Urvolk. So kann man sich irren." Über uns glitzerten tausende Sterne. Die meisten von ihnen waren Raumschiffe, die im niedrigen Orbit über diese Welt dahin glitten. Und unter dem Turm breitete sich das Lichtermeer der Hauptstadt aus, von hier oben ein ebenso faszinierendes Lichtspiel wie das der Sterne und Raumschiffe. Langsam erhob ich mich und ging an ein Fenster. "Du hast mir ganz schön was zu kauen gegeben, Opa. Das muß ich erst verdauen." Der alte Arogad lachte auf. "Man lernt eben nie aus, das solltest du eigentlich schon wissen. Die nächste Lektion für dich wird sein, schlafen zu gehen. Du hast morgen einen schwierigen Tag vor dir, wenn der Rat deinen Bericht hören will. Zweifellos wird es Stunden dauern, bis alle zufrieden sind. Ich denke nicht, dass es zu einer Anklage kommen wird, aber wenn du offiziell Mitglied des Hausrates werden würdest..." "Oren...", mahnte ich gespielt ernst. "Ich wollte es nur probieren. Torum Acati hat mir vorhin einen Zwischenbericht gegeben, falls es dich interessiert. Die Technologie, die du mitgebracht hast, der Booster, wie du ihn nennst und die Technologie, um in Nullzeit interstellar zu kommunizieren wird sich in der Tat mildernd auswirken. Eventuell wirst du sogar belobigt. Joan hat mir erzählt, du hast eine Menge Orden von den Menschen erhalten. Vielleicht kommen noch ein paar der Naguad hinzu. Doch, doch, schau nicht so ungläubig. Wir geben unsere Orden auch für zivile Erfolge aus. Und eine Kommunikation, die mein altes Kommunikationsgesetz überflüssig macht, wird ein nie da gewesener Schritt im Imperium sein." Ich lächelte schwach. Das alles hatte ich nur getan, um Joan zu retten. Um die AURORA zu retten. Um eine gute Million Anelph zu retten, die jetzt hoffentlich schon auf dem Weg zur Erde waren. Nun, zumindest auf dem Weg ins nächste Sonnensystem, mit einem weiten, weiten Umweg um das Andea Twin-System. Meine Hände ballten sich zusammen, krampften. "Verdammte Cores. Wenn die Anelph nicht mittels eines Cores unterworfen worden wären, wenn sie nicht modifizierte Cores ausgeschickt hätten, um sich Etappen für eine Flucht zu schaffen..." Eine sanfte, kleine Hand legte sich auf meine Schulter. "Es ist müßig, darüber nachzudenken, Akira", sagte Joan leise. "Es ist viel sinnvoller, sich das Blatt zu betrachten, dass das Schicksal uns ausgespielt hat und damit zu arbeiten. Du hast es doch gehört, oder? Da draußen gibt es zwei Parteien, die wir bisher noch nicht kannten. Die Iovar und die Cores. Beide könnten sowohl Feinde als auch Verbündete für uns werden - falls die Naguad das nicht können." "Schlaues Biest", kommentierte Oren leise. "Ich denke nicht, dass die Cores diese Verbündete werden können. Ihre Programmierung ist... Falsch." Übergangslos fühlte ich mich zurück versetzt, zu diesem schwarzen Sarkophag, hörte sein Zwiegespräch unter dem Legatsgebäude in Martian City, wie sich die beiden Seiten des Programms miteinander stritten und die eine Seite die Anelph bevorzugen wollte, die andere das Reich... Ich sah mich selbst, wie ich mein Schwert mit KI auflud - oder meinetwegen AO - und durch den Stahl fuhr wie durch Butter und so effektiv den Notruf... Den Notruf? Ich blinzelte. Blinzelte noch mal. Verdammt, es war drei Jahre her und erst jetzt fiel es mir auf? Ich dachte, ich hätte den Core zerstört, bevor er den Notruf absetzen konnte, drei Jahre der Ruhe sprachen dafür. Danach kam der Aufbruch der AURORA und diese neue Technologie, mit der wir in Nullzeit Kontakt mit der Erde halten konnten und... Ich keuchte erschrocken auf, sackte in die Knie ein. "AKIRA!", rief Joan entsetzt. "Akira!", klang Mutters synthetische Stimme auf. "Aris, was ist mit dir, mein Junge?" Ich rang um Atem, mein Magen wollte explodieren, alles was ich gegessen und getrunken hatte wieder aus mir herausbefördern, mein Herz raste als hätte ich einen Dauerlauf hinter mir. Und übergangslos spürte ich die Last auf meinen Schultern, für sechs Milliarden Menschen verantwortlich zu sein. "Die neue Technologie", ächzte ich mit einer so rauen Stimme, dass ich sie kaum als meine eigene erkannte, "verdammt, wir haben sie aus dem Core! Wir haben sie entwickelt, weil Eikichis Teams den Core untersuchen konnten! Der Massebeschleuniger, er produziert kein Schwerefeld, er erzeugt ein Miniwurmloch!" "Aber wir hatten diese Technologie vorher nicht! Wir...", begehrte Opa auf und verstummte entsetzt. "Bei Arogads und Fiorans Türmen!" "Richtig! Ihr habt einen modifizierten Core aus den Core-Systemen erobert! Sie können in Nullzeit miteinander kommunizieren, Opa." Ich keuchte auf, fühlte mich beinahe so schlecht wie damals in der Turnhalle, als mir Sarah einen Teil meiner Erinnerung aus dem Tank wiedergegeben hatte. Die Tanks, natürlich. Die hirnlosen Drohneninfanteristen, ja. Die Idee, einen Biocomputer nur mit den Gehirnen zu betreiben... Alles fiel nun an seinen Platz! Entsetzen schnürte mein Herz zusammen, wenn ich daran dachte, dass die Cores ein paar tausend Jahre Zeit gehabt hatten, um sich aufzubauen - und vielleicht seit drei Jahren schon die Erde beobachteten! "Der Core auf dem Mars, er hat einen Notruf abgegeben", keuchte ich. "Ich habe ihn damals zerstört. Ich dachte, ich hätte es rechtzeitig getan. Was ist wenn ich mich irre?" "Wenn du dich irrst, ist die Erde verloren", hauchte Mutter und ließ sich neben mir auf die Knie sinken. "Ich... ich muß die Erde warnen! Oren, ich brauche ein Schiff!" "Du kriegst kein Schiff! Aris, du bist hier ein Gefangener!", rief Opa. "Ich kann nicht gegen den Willen des Rates handeln!" Langsam richtete ich mich wieder auf, gestützt von Joan Reilley. Wir wechselten einen schnellen Blick. Ich atmete heftig ein und aus, schüttelte Joans Arme ab und stand unsicher da. "Opa, bitte. Meine Heimatwelt ist in Gefahr!" "Du kannst nicht gehen. Ich verbiete es dir." "Dann schick einen Boten. Bitte!" "In einem Tag erreicht eines unserer Schiffe den Sprungpunkt, um in Richtung Kanto zu fliegen. Wir werden ihm die Fakten und deinen Verdacht nachsenden und geben ihm den Auftrag, dies der Regierung der Anelph mitzuteilen. Und deinen Freunden auf den Monden von Lorania. Von dort gibt es eine Direktverbindung zur Erde, richtig? Dann liegt es an den Menschen, ob sie dir glauben oder nicht. Falls es diese Bedrohung überhaupt gibt. Bist du damit zufrieden?" Widerwillig nickte ich. "Ja, Opa. Das bin ich." "Bist du nicht. In jeder Faser deines Körpers kribbelt es, dein Wille kämpft mit deinem Magen und alles in dir schreit, zur Erde zurückzukehren und sie zu beschützen. Du würdest nichts lieber tun als jetzt sofort los fliegen, nicht wahr, mein Junge?" Oren zog sich zu seinem Schreibtisch zurück und führte ein paar Gespräche. "Die Nachricht ist auf dem Weg. Meinetwegen kannst du es jetzt versuchen." "Was versuchen?" "Das was du schon seit fünf Minuten unterdrückst. Nämlich aus dem Turm zu entkommen, deinen Banges zu erreichen und damit zum Raumhafen zu fliehen, dort ein Schiff zu kapern und zur Erde fliegen. Keine Sorge, ich habe Anweisung gegeben dein Leben zu schonen. Immerhin bist du mein Urenkel." Ich wandte mich halb um. "Mutter." "Er kennt dich so gut, weil du ihm so ähnlich bist. So würde er handeln. Und nein, erwarte keine Hilfe von mir. Erstens sehe ich dich seit so vielen Jahren endlich wieder und zweitens haben wir mit der Botschaft wirklich alles getan, was wir konnten. Du, ob mit oder ohne Joan, bist nicht wirklich die entscheidende Verstärkung für die Erde. Du bist vielleicht der beste Banges-Pilot dieser Welt. Aber du bist nur ein Mann. Sollten die Truppen des Cores angreifen kannst selbst du nicht überall sein." "Ich dachte, du liebst die Erde auch, egal ob du an dieses Gebäude gebunden bist oder nicht", warf ich ihr vor. "Ja, das tue ich. Deshalb schlage ich dir auch eine Alternative vor. Ein Mann mehr, auch in einem Banges"- "Mecha!"- "auch in einem Banges macht nicht den Unterschied. Aber was ist mit tausend? Oder zehntausend?" Ich fühlte wie mich meine innere Anspannung verließ. Ich spürte, wie sich Joan neben mir entspannte. Langsam setzten wir uns und sahen erwartungsvoll zu Helen hoch. "Du hast unsere Aufmerksamkeit, Mutter." 5. Ich konnte den letzten Ratschlag meiner Mutter kaum verdauen. Geh schlafen, hatte sie gesagt. Geh schlafen, es ist spät. Der Rat wird dich erst zum Mittag rufen, aber dafür musst du fit und munter sein. Und wenn du es nicht kannst, betrink dich oder nimm ein Medikament. Mist, wann hatte man schon jemals davon gehört, dass einem die liebende Mutter zum trinken anhielt? So war es also. Mutters Worte gingen mir durch den Kopf, wühlten in mir, stülpten mein oben nach unten, mein innen nach außen. Und dazu kam, dass die Worte so... Logisch klangen, so vernünftig! Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten, während ich mich zum wer weiß wie viel malten von der Eingangstür meines Appartements in Richtung Fensterfront und wieder zurück bewegte. Der synthetische Teppich würde sicherlich bald Spuren meines ewigen Marsches zeigen, wenn das so weiterging. An Schlaf war nicht zu denken, vielleicht aber an Alkohol? Ich hatte diesem Zeug noch nie viel abgewonnen, außer vielleicht an meinem achtzehnten Geburtstag, den ich damals auf OLYMP gefeiert hatte, als die Ersatzmannschaften, die nur aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen bestanden hatten, für den Sturm auf den Mars trainierten. Das war eine... angenehme Erfahrung gewesen. Wieder ballte ich die Hände, denn ungefragt erschien Megumis Gesicht vor meinem geistigen Auge. Verdammt, verdammt, verdammt. Immer noch wütend nahm ich die Wanderung wieder auf. Der Türsummer ging. Dafür unterbrach ich meine Wanderung sowie die zwingende Frage, was besser war: Alkohol oder Medikamente. Ich öffnete die Tür und wurde einer Antwort erhoben. Joan musterte mich abschätzend, bevor sie mich beiseite drückte und mein Appartement betrat. In der Hand hielt sie eine große bauchige Flasche. Interessiert beäugte sie die Inneneinrichtung, während sie zur Couchecke ging und auf dem niedrigen Tisch die bereits geöffnete Flasche abstellte. Wie selbstverständlich fand sie die versteckte Bar und zog zwei Gläser hervor. Damit ging sie zum Tisch, setzte sich und schenkte beide Gläser zur Hälfte voll. Wieder sah sie sich um, musterte die Schränke, den Holoschirm und die Fenster zum Innenhof. Dann ruhte ihr Blick auf mir. "Aki-chan, wenn du nicht gleich die Tür zumachst..." Verwirrt sah ich mich um. Ich stand noch immer neben der offenen Gangtür und hatte mich nicht bewegt. Hastig schloss ich sie, dann ging ich ebenfalls zur Couch. Ich ließ mich direkt neben ihr nieder und griff nach dem Glas. "Nanu? Kein schüchternes zieren? Keine Flucht auf den entferntesten Platz? Keine peinliche Röte im Gesicht? Keine Ausreden?" Ich nahm einen Schluck und klassifizierte das süße Getränk als Wein. "Dafür ist es jetzt wohl ein wenig spät, oder?" "Freut mich, dass du es auch so siehst", erwiderte sie und gab mir einen Kuss. Ich seufzte schwer, als ich den Kuss erwiderte und das Gefühl genoss. Vielleicht, vielleicht hatte ich eine Möglichkeit, zur Erde zurückzukehren, wieder mit Megumi zusammen zu kommen. Aber es würde Jahre kosten, Jahre, bis es soweit war... Falls es überhaupt so weit kam. Joan würde früher weg kommen, von dieser wundervollen, prächtigen, vor Leben brodelnden, verdammten Welt. Sie war keine Gefangene, so wie ich einer war. Sie war mein Anhängsel, und Anhängsel durften nach Hause, wenn ihnen jemand Geld oder ein Ticket schenkte. Dennoch war sie hier, direkt neben mir, anstatt den nächsten Flug nach Hause zu nehmen. Was bedeutete das? Für mich? Für sie? Für uns? "Aki-chan, ich kann es nicht oft genug sagen. Wenn es nicht diesen kleinen, rotzfrechen Bengel mit dem Hang zu Frauenkleidern geben würde, dann..." "Wenn es nicht dieses unterkühlte Mädchen mit der Präzision eines Elitekillers und dem Eisblick eines Gletsches geben würde, dann...", hauchte ich. Wieder fanden unsere Lippen zu einem Kuss zusammen. Wir waren weit entfernt von allem, was wir Zuhause nannten. Wir mochten einander, sehr sogar. Vielleicht liebten wir uns sogar. Joan war eine lange Zeit darauf indoktriniert gewesen, dass meine und ihre Gene verschmelzen mussten. Daraus entwickelt hatte sich eine mal mehr mal weniger subtile Jagd auf mich, in deren Verlauf ich einen wunderbaren Menschen getroffen hatte, mit dem ich zu gerne meine Zeit verbrachte. Ja, wenn es Megumi nicht gäbe... Wenn es Makoto nicht gäbe... Nein, diese Gedanken waren nicht gerecht, einfach nicht gerecht. Ich unterbrach den Kuss und drückte meine Stirn gegen ihre. "Joan, du kannst jederzeit nach Hause. Oder ins Kanto-System zu Mako." "Ich weiß", hauchte sie. "Aber es gibt Liebe und es gibt Pflicht. Ich habe mir meine Pflicht selbst auferlegt. Vor drei Stunden war ich noch bereit, wie ein Berserker durch diesen Turm zu gehen, um dir mit all meiner Kraft und vielleicht meinem Leben einen Weg zu Prime Lightning zu schaffen. Aber jetzt will ich einfach nur, dass die Verhandlungen vor dem Rat erfolgreich sind. Deine Mutter hat Recht, wir brauchen diese Option. Wir brauchen sie. Und das ist größer als ich, als du. Es ist die ganze Menschheit. Und für diese Menschheit gebe ich meine Zeit gerne her." Sie zwinkerte und warf ihr rotes Haar mit einer Geste nach hinten. Länger stand ihr definitiv besser als der Bürstenschnitt, den sie damals während der zweiten Marsattacke getragen hatte, fand ich. "Außerdem habe ich hier ein paar zehntausend Fans, die darf ich nicht enttäuschen. Ein paar Konzerte und ein paar Auftrete im Vid müssen schon drin sein." Ich lachte leise. "Ja, das muß wohl sein. Deine Musik ist Völkerübergreifend." "Da soll noch mal einer sagen, seichter Pop sei zu nichts gut und würde keine Musikgeschichte schreiben können." Joan zwinkerte mir zu, während sie ihr Glas austrank. Ich schenkte uns nach. "Seichter Pop? Ach komm." "Nein, Aki-chan, ich will da nichts beschönigen. Wenn etwas aussieht wie Käse, sich anfühlt wie Käse und riecht wie Käse, dann ist es Käse." Sie hob abwehrend die Arme. "Ich sagte nur seichter Pop. Nie schlechter Pop." Missmutig verzog ich meine Miene. "Erbsenzählerin." Ich nahm einen Schluck. "Mist, dieses Zeug macht mich garantiert nicht besoffen. Hat sich was mit Entspannung. So komme ich nie ins Bett." Joan sah mich auf eine Art an, die mir durch Mark und Bein ging. Schon wieder. "Nun, vielleicht sollte man dich einfach richtig müde machen? So vollkommen ohne Alkohol?" "Hast du was Bestimmtes geplant?", fragte ich amüsiert. Die Zeiten, wo ich Blut und Wasser schwitzte, nur weil sie ihren weichen, warmen und herrlich duftenden Körper an mich drückte, waren lange vorbei. "Nun, Aki-chan, Ärger werden wir so oder so kriegen, nicht wahr? Wie wäre es? Wenn schon, dann soll es sich auch lohnen, oder?" Ich lachte trocken. Oh ja, würde ich jemals wieder Megumi begegnen und würde sie je davon erfahren, was im Affekt zwischen mir und Joan begonnen hatte, dann sollte ich nach Möglichkeit mein Heil in der Flucht suchen. Der Gedanke amüsierte mich. Es passte zu Megumi. Andererseits... Was, wenn ich sie verletzte, furchtbar tief verletzte? Wenn sie mich ansah, verloren, verzweifelt und innerlich immer leerer werdend? "Ich liebe sie. Mehr als dich", hauchte ich und dachte, damit die Intimität zwischen mir und Joan unterbrochen zu haben. Aber sie lächelte nur. "Aki-chan. Wir beide waren vorher monogam. Wir sind jetzt monogam. Und wenn wir Mako und Megumi wieder sehen, werden wir wieder monogam sein. Sieh das ganze als... Intermezzo." "Reicht dir das?", argwöhnte ich. "Wie weit sind wir von der Erde entfernt? Sechzig Lichtjahre? Mehr? Was hat Torum Acati gleich noch mal mit mir gemacht? Mir mit seinem KI den Verstand aus dem Gehirn geblasen? Aki-chan, ich habe dich gebraucht, furchtbar gebraucht, und du warst für mich da. Jetzt will ich für dich da sein. Was später kommt, lass später kommen, aber hier und jetzt..." Wieder drängte sie sich an mich, küsste mich, und ich spürte ihr Feuer, auf meinen Lippen, in meinem Leib. Ihre Hände begannen zu wandern, in Richtungen, in Bewegungen, die mir vertraut waren, so vertraut, in den wenigen Wochen, in denen wir uns ein Bett teilten. Torums Stimme drängte sich mir auf. Ich hörte ihn sagen, wieder und wieder: Macht das Beste aus eurer Situation. Wir hatten das Beste draus gemacht, gleich nachdem feststand, dass ich Joan nicht gnadenlos ausnutzte, wenn ich ihren naiven Wünschen und Hoffnungen während der Rückkehr ihres Verstandes nachgab. Ihre Hände bewegten sich in Bereiche, die mich noch vor drei Wochen senkrecht aufspringen und bis zur Decke hätten hüpfen lassen. Doch mittlerweile kannten wir einander zu gut, viel zu gut. Ich erwiderte ihren Kuss, ihren gierigen Kuss, und zeigte ihr damit an, dass ich zustimmte. Verdammt, ich brauchte Ablenkung, ich brauchte Schlaf! Ich brauchte Megumi! Aber sie war nicht da. Joan war da. Darum brauchte ich jetzt Joan... Ich trat mein Gewissen in den hintersten Winkel meines Verstandes, als ich das schlanke, rothaarige Mädchen mit der viel versprechenden Karriere als Sängerin, Model und Schauspielerin auf meine Arme nahm und mit ihr ihn Richtung des Schlafzimmers ging. Sicher würde ich das noch bereuen. Würden wir es noch bereuen. Aber nicht in dieser Nacht. ** Als ich am Morgen erwachte, war Joan fort. Das Licht des neuen Tages schien herein und ich brummte eine ärgerliche Verwünschung. Die nächste Uhr informierte mich, dass es acht Uhr war. Mist, Mist, Mist, auf dieser Welt maß man die Zeit nach dem Dezimalsystem. Das bedeutete, bis zur Ratssitzung, die dementsprechend um zehn stattfand, waren es nur noch zwei hiesige Stunden. Wieso eigentlich nur noch? Zwei Stunden der Naguad entsprachen etwas mehr als zweieinhalb Erdstunden. Was sprach dagegen, dass ich mich noch einmal umdrehte und weiter schlief? Ich versuchte es, ganz banal, drehte mich auf die andere Seite und schloss die Augen. Und tatsächlich schien ich zu treiben, mich zu entspannen und... "Meister Aris?" Halb im Schlaf, beinahe weggetreten fuhr ich hoch. An meinem Bett stand Franlin, einer meiner, nun, Bediensteten, die sich um mein Wohl kümmerten. Viel hatten sie noch nicht zu tun gehabt, aber immerhin war immer einer der drei für mich da. "Was gibt es denn, mein Junge?", brummelte ich und mühte mich, aus meinem Halbschlaf zu jenem wachen Moment zurückzukehren, den ich Sekunden zuvor noch berührt hatte. Mein Junge, nannte ich ihn. Herrgott, der groß gewachsene, aschblonde Mann war ausgebildeter Informatiker, dazu in der Lage, einen Fernsehsender zu leiten. Dennoch stand er im Moment zu meiner Verfügung. Uropa plante weit voraus. Wenn ich sein Angebot annahm, dann würde ich die Naguad, die mir von Anfang an zur Seite standen auch an meiner Seite behalten. Und dieser zumindest würde dann der Stabschef des neuen Meisters des Hauses werden. Mein Junge, tsss. Wie schnell konnte man arrogant werden? Ich anscheinend sehr, sehr schnell. "Meister Aris, ein Elwenfelt wartet in einem der Besucherzimmer auf Sie." "Ein Elwenfelt?" Interessiert sah ich Franlin an und gähnte herzhaft. Konnte das...? Nein, unmöglich. Auch wenn meine und Joans Ankunft Aufsehen, ja Aufruhr verursacht hatte, wer wollte schon darauf wetten, dass ER es bemerkt hatte? Vielleicht war er nicht einmal auf diesem Planeten? "Ja. Er sagt, er stammt von Ihrer Heimatwelt. Er sagt, er hat unbegrenzten Zugang zu Ihnen. Ich bin nicht in der Lage, das zu verneinen oder zu bejahen. Deshalb gehe ich auf Nummer sicher." Unbegrenzten Zugang? Nun, diese Arroganz, richtig, das Gefühl, das mir seit einiger Zeit so vertraut war, würde zu diesem verdammten Engländer passen. Ich... "Hat er noch etwas darüber hinaus gesagt? Es gibt da eine Ratssitzung, die ich nicht verpassen sollte, Franlin." Amüsiert verdrehte der Ältere die Augen. "Nun, er war sehr überzeugend, Meister Aris. Und er nannte etwas, was ich als Codewort zu identifizieren glaube." "Und dieses Codewort lautet?", fragte ich argwöhnisch. "Fliegerjunge." Wie elektrisiert sprang ich aus dem Bett. Ich stürmte in das Bad. Nun war ich hellwach, wacher ging es nicht. Verdammt, Taylor, der Bastard hatte wirklich genügend Mumm, um in den Turm meiner Familie zu kommen und mich herumzukommandieren! Ein kleiner, schmieriger Elwenfelt... Für einen Moment zog ich ernsthaft in Betracht, dass man mich heimlich im Schlaf indoktrinierte. Oder hatte ich dieses Arroganzproblem schon immer gehabt? Nun, es würde zumindest einiges erklären, dachte ich amüsiert. "Lege mir bitte eine meiner Uniformen raus, Franlin. Eine Hausuniform, wenn es geht mit meinen terranischen Orden. Du wolltest gestern für mich so etwas reproduzieren, oder?" "Ich lege die Sachen gerade aus, Meister Aris. Die Unterwäsche bringe ich Ihnen ins Bad. Sie sollten eine Schalldusche nehmen, denn ich glaube, Sie dürften reichlich verschwitzt sein." "Keine Neckereien, Franlin. Sag lieber was du denkst!", rief ich und inspizierte kurz die drei Duschen. Eine war eine Schalldusche. Sie sollte die effektivste, aber auch langweiligste Form der Säuberung sein. Daneben stand die Wasserdusche. So etwas war ich gewöhnt. Und direkt daneben die Plasmadusche. Irgendwie dachte ich, klaustrophobische Anfälle zu bekommen, wenn ich mich mit warmem Gel berieseln ließ, welches mich effektiv säubern würde, okay, aber zentimeterdick bedeckte. Ich schlüpfte aus meinen Sachen und wählte die Wasserdusche. "Was wünschen Sie zu frühstücken, Meister Aris?", klang Franlins Stimme von jenseits der Duschtür auf. Er brachte die Unterwäsche. "Einen schönen großen Du sollst mich nicht Meister Aris nennen-Cocktail. Ist das machbar?" Ich glaubte den Mann beinahe schmunzeln zu sehen. "Und was dazu... Sir?" Ergeben seufzte ich. "Wie wäre es mit einem Nenn mich Akira-Auflauf?" "Nun... Sir... Ich denke, ich werde Brot, aromatisierte Getränke und Milchprodukte kommen lassen. Über den... Cocktail müssen wir uns noch eingehend unterhalten, wenn ich ihn mir verdient habe." Also Sir. Na immerhin. "Danke dir, Franlin." "Dafür bin ich da, Sir." Der Mann verließ das Bad und ließ mich mit recht eigenwilligen Gedanken über die verschachtelten Pfade im Haus Arogad zurück. Nach einem eilig runter gewürgten Frühstück ließ ich mich von Franlin tiefer führen, in die öffentlichen Stockwerke. Ich runzelte argwöhnisch die Stirn, als sich uns vier Wachen in voller Rüstung anschlossen. Franlin runzelte die Stirn. "Dies ist ein relativ offen zugänglicher Bereich des Turms, Sir. Sie sind ein prominentes Mitglied der Familie. Ich ärgere mich das zuzugeben, aber einige der Häuser, die mit uns Reibereien haben, könnten hier, in unserem Turm, versuchen, die Gelegenheit für ein Attentat zu nutzen. Tatsächlich haben wir bereits einen solchen Vorstoß abgewehrt, Sir." "Aha", machte ich einsilbig. "Und jetzt bringt Ihr mich hier runter, anstatt den Elwenfelt zu mir hinauf." "Nun... Er ist nicht ranghoch genug, um in den inneren Bereich des Turmes kommen zu können", erklärte Franlin. "Außerdem sind Sie nicht der Mann, der ein Risiko scheut, Sir." Ich grinste. Das war nur die halbe Wahrheit, aber gut verpackt. Eskortiert von den Soldaten betraten wir einen speziell gesicherten Bereich in der Basis des Turms. Nach einigen Abzweigungen wurde ich in ein kleines Verhörzimmer gelotst. Dort erwartete mich, groß, grinsend, weißhaarig und mit dunklen Augen, finster wie ein schwarzes Loch, ein Mann, den ich hasste und liebte wie sonst keinen in diesem Universum. Henry William Taylor alias Commander Sean O´Donnely vom britischen Auslandsgeheimdienst. "Hallo, Akira. Schön, dich zu sehen. Wenngleich ich nicht erwartet habe, dich hier zu treffen. Was ist schief gelaufen?" Ich runzelte die Stirn, betrat den Raum und schloss ihn hinter mir, Franlin und die Wachen effektiv ausschließend. "Ai ist tot", sagte ich ernst. Aus dem Gesicht des Mannes vor mir wich alle Farbe. "Was?" Ich sah, wie sein Kinn herab sackte, seine Hände zu zittern begannen. "Was hast du..." Ich sah die Wut in seinen Augen aufleuchten, als seine Hände mich ergriffen, meinen Kragen packten und mich hart zu sich rüberzogen. "Was hast du getan? Was hast du falsch gemacht?" Er schüttelte mich, minutenlang und blaffte wüste Beschimpfungen. Endlich ließ er mich los, sackte sichtlich zusammen und ließ sich auf einen der beiden Stühle am schmucklosen Tisch sinken. "Verdammt, du Arschloch! Warum hast du nicht auf sie aufgepasst?" Ich konnte nicht anders, ich hatte Mitleid mit Taylor. Volles, ergreifendes Mitleid mit ihm. Alles was vorher war, alles was mich an ihm geärgert hatte, es war dahin. Nun hätten wir Freunde sein können, wenn ich es nicht gewesen wäre, der Ai Yamagata auf dem Gewissen hatte. Verdammt, Joan lebte noch, aber Ai-chan war tot. "Torum Acati hat sie getötet", kam es mir leise über die Lippen. "Ich war gerade dabei, Jomma zu erobern, als eine Reihe KI-Meister die AURORA attackierten. Einige gingen auf den Antrieb los, andere auf Poseidon. Acati hatte sich die Tribünen ausgesucht. Joan und Ai-chan haben versucht ihn aufzuhalten und..." Verlegen und verzweifelt, mit Tränen in den Augen warf ich die Arme hoch. "Ich kam zu spät. Zu spät, um Ai-chan das Leben zu retten und zu spät um zu verhindern, dass Acati Joan den Verstand löscht. Aber anscheinend kann ich Verstand zurückgeben. Nur kein Leben." Ich ließ mich auf der anderen Seite des Tisches nieder. "Nur kein Leben." Taylor sah mich an, noch immer blass, noch immer enttäuscht. Er weinte stumm, Rotz lief aus seiner Nase und sein Gesicht war so aschfahl, dass ich befürchtete, sein Kreislauf könnte zusammen gebrochen sein. "Mich hätte es treffen sollen... Mich, Akira. Mich. Ich war der Unreine, ich war der Verführte. Ich war das Monster, der Verräter! Mich hätte es treffen sollen, mich allein!" Wieder sackte er zusammen, atmete heftig ein und aus. "Als ich unter meinem Decknamen zu den Kronosiern ging, war mir klar, dass ich nicht so ohne weiteres einer von ihnen werden konnte. Dass ich... Mich auf sie einlassen musste! Ich musste sie werden. Und ich wurde sie. Maßlose Menschen, mit der Gift gesegnet, in ihrem Machtbereich durch nichts eingeschränkt, und manchmal zügellos in ihren Wünschen, ihrem Wollen und ihren Taten. Ich wurde sie." Seine Hände krampften und die Farbe kam langsam in sein Gesicht zurück. "Ich verriet die Erde, ließ mich von der Aussicht auf Macht verführen. Ja, ich wurde wirklich Henry William Taylor. Und ich genoss es... Aber ein Teil von mir, ein winziger Teil von mir blieb Sean O´Donnely. Und dieser Teil hieß Ai Yamagata. Während ich verführt wurde, während ich Dinge tat, die Sean O´Donnely in mir töteten, war es Ai, die so blieb wie sie war. Die unauffällig blieb, weil sie nicht aufsteigen musste. Sie war eine kleine, unbedeutende Technikerin. Aber sie hatte Schutz, mächtigen Schutz durch Legat Taylor, der eine Vorliebe für niedliche, kleine, unsichere Japanerinnen hatte und sie einmal die Woche zu sich einbestellte, als Ausgleich für seine Protektion." Er bemerkte meinen plötzlichen wütenden Blick und winkte amüsiert ab. "Komm wieder runter, Fliegerjunge. Ich habe sie nicht gezwungen mit mir zu schlafen. Immerhin war ich in den wenigen Momenten, in denen wir zusammen waren mehr O´Donnely als Taylor." Ich entspannte mich ein wenig. Yamagata gehörte zu den Menschen, die mir etwas bedeuteten. Dass sie gezwungen gewesen sein konnte, ausgerechnet... "Sie schlief von sich aus mit mir", fügte er trocken hinzu. "Sie war meine einzige ernsthafte Affäre in meiner Zeit des Legats. Und sie hatte als einzige Agentin der UEMF einen geheimen Kanal zur Erde, über den sie mir Befehle überbrachte. Einige wenige, seltene Befehle, wie zum Beispiel den Daishi Beta zu sabotieren und zu dir zu schicken. Nun, du bist ein Naguad und damit das genetische Vorbild für die Kronosianer, das erklärt einiges." Ich bekam diese Worte kaum mit, stattdessen kämpfte mein Verstand ungefragt mit einer Flut an Bildern, in denen Ai-chan und Taylor nicht gezwungen wurden. Ein amüsanter, aber auch erschreckender Gedanke. Liebte sie ihn? Vielleicht. Das hätte ihre letzten Worte an ihn erklärt, auf der Axixo-Basis. Liebte er sie? Nein, hatte er sie geliebt? Er hatte sie zumindest gebraucht, sehr, sehr gebraucht. "Es... Es tut mir leid", sagte ich leise. "Es braucht dir nicht leid zu tun, Akira", sagte der Legat tonlos. "Wenn Superman Akira Otomo sie nicht retten konnte, dann konnte es niemand. Du bist der Beste. Was dir unmöglich ist schafft keiner. Und auch keine Hundertschaft." Er atmete hörbar aus und reinigte Wangen und Nase mit einem Stofftuch. "Sie starb also, als sie das Monster Acati daran gehindert hat, die Tribünen zu erreichen? Verdammt, dieses eine Mal hätte sie zuerst an sich denken sollen." "Aber sie hat an eine Million Menschen und Anelph gedacht", schloss ich ernst. Stumm sahen wir uns dann. Ich bemerkte es nicht, aber über den Tisch mussten sich unsere Hände berührt haben. "Danke", sagte er schließlich. Ich nickte und versuchte weitere Tränen zurückzuhalten. In all der Hektik, in der ständigen Gefahr, in den Momenten der Panik und des Neuen, unter denen ich gelebt hatte, hatte ich mir einfach keine Zeit gelassen, um Yamagata zu trauern. Nun drängten die Tränen mit Macht hervor, zerdrückten meine Stimme zu einem Krächzen und ließen mich, zusammen mit dem schlichten, einzelnen Wort aus Taylors Mund in stille Verzweiflung erstarren. "Ich weiß, du hast alles getan, was dir möglich war, Akira", sagte er leise und verbesserte meine Stimmung damit nicht gerade. "Aber jetzt schuldest du mir was." Es dauerte einige Zeit bis sich diese Information in mein Bewusstsein gekämpft hatte. Ich, ihm etwa schulden? Natürlich, das war so klar, so richtig. Ich hatte versagt. Aber warum betonte er das? Er schluckte hart, schluckte wieder und begann stockend zu erzählen, von seiner Ankunft im System, wie er mit seinen Agenten Haus Elwenfelt infiltriert hatte, das ihn als Träger der Elwenfelt-Genoms hatte aufnehmen müssen, wie seine Agenten die Aufmerksamkeit des Sicherheitsdienst auf sich gezogen hatten, während er bei seiner eher banalen Arbeit nicht beobachtet wurde, nämlich die Archive des Hauses zu durchwühlen, auf der Suche nach der jüngsten Vergangenheit. Und der älteren. Wir sahen einander in die Augen und ich erkannte wieder einmal, warum ich diesen Mann trotz all dem, was er mir angetan hatte, was er der Erde angetan hatte, mochte wie keinen anderen sonst. Es war eine Hassliebe, und im Moment überwog die Liebe. "Wie weit bist du über die Dinge informiert? Was weißt du über Iotan?" "Genügend, Henry. Die Iovar und die Naguad stammen von dort. Eine dritte Partei gibt es noch, die Villass, welche die Core-Technologie entwickelt haben." "Und von denen sie übernommen wurde. Einige Häuser hier sind richtige Meister im versenden von Cores. Haus Elwenfelt ist in diesem Sektor sehr aggressiv. Und meisterlich darin, das Imperium die Konsequenzen ausbaden zu lassen, nur um anschließend den Rahm abzuschöpfen. Was weißt du über die Cores?" "Soviel wie du. Kommunikationstechnologie, das Urvolk, reicht das?" Taylor grinste mich an. "Nicht schlecht, Fliegerjunge." Es war ein von Schmerz gekennzeichnetes grinsen, aber es war eines. Das beruhigte mich. "Sie haben Spuren des Urvolkes gefunden. Des ersten menschenähnlichen Volkes, welches sich zu den Sternen aufschwang, vor zwanzigtausend terranischen Jahren. Die Iovar stammen von ihnen ab, die Anelph, die Begg und die Kavialitaren, die Solsterener ebenso wie die Gon. Und noch ein paar Rassen und Welten, die wir noch gar nicht entdeckt haben. Genauer gesagt haben sich die direkten Nachfahren der Urrasse in einem Kubus von ungefähr fünfhundert Lichtjahren über die Welten ausgebreitet, die sich ihnen boten. Dann gab es einen Krieg zwischen dem Stammvolk und den Kolonien, aus welchen Gründen auch immer." "Menschliche Dummheit", half ich aus. "Warum sollten sie damals klüger gewesen sein als wir heute?" "Spötter", tadelte Taylor mich grinsend. "Jedenfalls, die Menschen hatten sich sehr weit und sehr tief ausgebreitet. Freu dich, für dich als Science Fiction-Freund muß es doch interessant sein zu hören, dass es nicht nur Menschen da draußen gibt, sondern auch Alien-Rassen. Ein Dutzend etwa, von denen acht dem Imperium offiziell bekannt sind, zwei sogar eingegliedert. Aber Tatsache ist, dass das Urvolk verschwand. Es wurde besiegt, das steht fest. Und das vor zwanzigtausend Jahren. Dennoch gibt es über die Systeme und Welten verstreut vielleicht tausende Stationen mit ihrer ehemaligen Hochtechnologie. Eine davon muß ein Core entdeckt haben." "Moment mal, willst du mir weismachen, dass das Urvolk ausgelöscht wurde und die Kolonien nicht prompt die Macht übernahmen?" Taylor stieß ein abfälliges Schnauben aus. "Sie führten daraufhin Krieg gegeneinander. Ein paar Welten wurden dabei vernichtet, die meisten bombten sich gegenseitig in die Steinzeit zurück. Nur einige wenige wie Iovar und Lorania traf es etwas besser. Andere, wie die Erde, hat es schlimmer erwischt." Ich zuckte zusammen, als hätte mir jemand Schläge angedroht. "Was? Die Erde ist auch eine Kolonie? Aber wir haben doch eine geschlossene Geschichte, menschliche Evolution und so und... Okay, entschuldige die Störung, rede weiter." "Missing Link-Theorie, Akira. Als der Homo Sapiens Neandertalensis auf der Erde auftauchte, beherrschte er den Lebensraum. Aber er wurde vom Cro Magnon verdrängt, vollkommen verdrängt. Zwischen beiden gibt es keine Verbindung. Es fehlt ein Glied in der Kette. Waren es zwei parallel existierende Spezies? Oder kam eine von ihnen aus dem Weltraum herab? Vermischten sie sich? Oder vernichtete eine die andere?" "Interessant. Wir können darüber gerne später ausführlich diskutieren. Aber ich muß nachher eine Welt erobern. Wenn du also auf den Punkt kommen würdest, Henry, mein Lieber?" "Nun, eine Welt? Nicht, dass ich dir das nicht zutraue, Akira. Jedenfalls sucht der Core nun nach der Urwelt, zweifellos in der Hoffnung, dort noch mehr Technologie zu finden, auf dem Höhepunkt vor dem Krieg, der alle und jeden zurück geworfen hatte. Und bei allem Gerangel, und meinem ursprünglichen Plan, einfach alles über das Imperium heraus zu finden, habe ich das als wichtiger erkannt: Die Rasse, die zuerst die Heimatwelt des Urvolks findet und in Besitz nimmt, steht auf der sicheren Seite." Ich nickte, verstehend und bestätigend. Wer die Heimatwelt fand und die eventuell vorhandene Technologie unter seine Kontrolle brachte, konnte der Bedrohung durch die anderen sehr viel gelassener entgegen sehen. "So, so. Die Archive der Elwenfelt hast du also durch. Und jetzt willst du in meine Archive, um die Urwelt zu finden." Meine Archive, wie arrogant, wie typisch für einen Arogad. "Das ist der Plan, ja." Tausend Dinge lagen mir auf der Zunge. Die Frage, für wen er suchte. Die Frage, was er mit dieser Welt tun würde. Aber ich tat es nicht. Ich sackte nur zusammen wie ein Häuflein Elend und würgte, um meine trockene Kehle frei zu kriegen. "Franlin!" Sofort kam der Mann herein. "Sir?" "Franlin, Legat Taylor hat ab sofort uneingeschränkten Zugang zu allen Archiven des Hauses, die älter als tausend Jahre sind. Ich erwarte, dass Sie ihm ein Team von Chronisten an die Seite stellen, die ihm bei seiner Arbeit helfen und sie für Haus Arogad kopieren." "Für Haus Arogad? Akira, du..." "So oder gar nicht", blaffte ich Taylor wütend an. "Haben Sie verstanden, Franlin?" Der große Mann verbeugte sich mit einem Schmunzeln. "Ich stelle ein fünfzigköpfiges Team zusammen. Ich übernehme die Koordinierung selbst. Zum Nutzen des Imperiums und der Erde." Ich nickte zufrieden. "Er teilt seine Zeit selbst ein. Ich erwarte dass er sehr gut versorgt wird. Und bitten Sie das mit uns verbündete Haus Fioran, ebenfalls seine Archive für ihn zu öffnen. Lassen Sie durchblicken was wir suchen und wie wichtig es ist." "Ja, Sir." "Akira, ich hätte nie gedacht, dass du einmal solch ein Verräter werden könntest", zischte Taylor. "Verrat ist es erst, wenn es zum Nachteil der Erde ist", konterte ich und erhob mich. "Du kriegst jetzt nicht nur ein Archiv, Henry, du kriegst zwei. Dazu deinen eigenen Stab. Mach was draus." Ich hielt ihm die Hand hin und erwartete halb, dass er sie ablehnte. Aber ich irrte mich, er ergriff sie und drückte sie für seine Begriffe beinahe sanft. "Für Ai", sagte er ernst. "Für Ai", erwiderte ich ebenso ernst. "Eins noch", sagte er und hielt meine Hand umschlossen, als ich mich abwenden wollte. "Eins noch. Wie heißt der Planet, den du erobern willst?" Ich grinste schief. "Erde." "Ich bin sicher, da steckt eine faszinierende Geschichte hinter. Du wirst sie mir beizeiten erzählen, Akira." "Sicher. Nachdem du in meine Dienste getreten bist." "Nachdem ich... Was?" "Du wirst einer meiner persönlichen Leute. Oder glaubst du, du kannst jemals wieder zu den Elwenfelt zurück? Aber ich will niemandem auf Asyl und Gnadenbrot. Ich will dich ganz, Henry, deinen kompletten, genialen, verdrehten Verstand." "Muss ich mit dir schlafen?", fragte er in gespieltem Ernst. Für mich war es ein Zeichen dafür, dass mein Versuch, ihn zu überfahren, erschreckend gut funktioniert hatte. "Nein. Du bist zu groß für meinen Geschmack", scherzte ich. "Auch noch Ansprüche stellen... Sir", sagte er mit einem Hauch von schmunzeln. Sir. Vielleicht konnte ich ihn retten. Und vielleicht rettete er mit seiner Arbeit die Erde. Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Es gab zu viele vielleichts in diesem Spiel. Und ich war drauf und dran das nächste hinzuzufügen. Epilog: Ich musste zugeben, in der Hausuniform machte ich eine tadellose Figur. Die Orden auf meiner Brust klimperten und klapperten und stießen bei jedem Schritt gegeneinander. "Schellenbaum", spottete Joan neben mir. Ich lächelte sie an. "Der Typ mit der zweiten Jacke mit dem Rest kommt noch nach." Sie prustete. Wohl weil sie wusste, dass das hätte stimmen können. Ich trug längst nicht alle Orden, die mir zustanden oder mir verliehen hatten werden sollen. Wir schenkten uns einen letzten, privaten Blick, bevor wir auf der untersten Ebene des Bunkers ankamen, mitten im Gefecht. Tatsächlich war die Debatte des Rates schon einige Zeit im Gange. Gerade hatte Meister Elwenfelt das Wort. "...ist es eine Gefahr für das ganze Imperium, wenn wir diese Rebellion ausufern lassen. Tatsächlich gibt es bereits Unruhen auf weiteren unterworfenen Welten! Eine Strafexpedition gegen Lorania, eine harte, schnelle Maßnahme, wird uns die Sicherheit zurückgeben, die wir nun dringend brauchen!" Verhaltener Applaus unterbrach den Mann und brachte mir die Gelegenheit für den ersten Teil meines großen Auftritts. "Hauptsächlich auf Elwenfelt-Welten, nicht wahr, Meister Elwenfelt?", rief ich mit lauter, tragender Stimme. Die Naguad im Saal wandten sich um, sahen zu mir und Joan herüber. Ein Raunen ging durch den Saal. "Wer wagt es...?", begann Milas Elwenfelt, verstummte aber, weil er wohl Angst vor der Antwort bekam. Aber er bekam sie dennoch. Ich salutierte. "Akira Aris Otomo-Arogad, Division Commander Otomo-Arogad." "Was wollen Sie, Otomo?", rief der Elwenfelt, meinen Naguad-Namen unterschlagend. Ich trat näher, Joan als schimmerndes Juwel neben mir, mit einem Lächeln auf den ebenmäßigen Zügen, das Stein hätten schmelzen und Herzen aus Beton zu Staub hätte zerstieben können. "Ihren kleinen Krieg absagen", sagte ich ernst und ließ Joan mit einem Nicken bei der Loge von Haus Arogad und Uropa zurück. Dann schwang ich mich, an den Wachen vorbei, mit auf das Pult des Redners. Milas zog sich zurück, nur ein paar Schritte. Wahrscheinlich verwundert, warum die Wachen mich nicht aufhielten. Nun, ich hatte keine Hemmungen, seinen Platz einzunehmen. Ich sah in die Runde, zu den Logen der neun Häuser, zu den Plätzen des Rates. Zum Publikum. Ich stellte mir vor, während ich ein zynisches Lächeln für die Kameras aufsetzte, wie Uropa hier gestanden hatte, vor zweitausend Jahren, um das Kommunikationsgesetz durchzuprügeln, und wilde Entschlossenheit erfüllte mich. Dieses Podest war Familienbesitz, verdammt! "Ich möchte Ihnen allen etwas Wichtiges in Erinnerung rufen: Die Erde hat dem Imperium den Krieg erklärt. Hier und heute will ich das wiederholen: Seit drei Monaten befinden sich die Erde, vertreten durch die United Earth Mecha Force, und das Imperium der Naguad im Krieg!" Ich ließ die Worte wirken, ein wenig von der Bedrohung durchsacken, erzielte damit genau die gewünschte Wirkung, als in den Rängen nervös geflüstert wurde. Ich grinste schief, als ich mir meinen nächsten Schritt vorstellte. "Und als ehemaliger Oberkommandierender der UEMF und derzeit höchstrangiger Vertreter der Erdverteidigung und der Allianz zwischen Erde und Lorania..." Was ich zweifellos war, ein hoher Offizier mit Macht und weitreichenden Befugnissen. "...erkläre ich hiermit die bedingungslose Kapitulation..." Ich musste eine Pause machen, um den Tumult abebben zu lassen, der nun folgte. Minutenlang war ich nicht in der Lage, gehört zu werden, trotz der großen Lautsprecher. Erst nach mehreren Aufrufen zur Ordnung wurde es leiser. Verwirrte Blicke trafen mich. Erschrockene, von den Soldaten, gierige, von den Vertretern der Elwenfelt, deren Cores Lorania und die Erde angegriffen hatten, amüsierte, von Torum Acati und der älteren Frau, die neben ihm saß. Uropa schmunzelte, während ich Blut und Wasser schwitzte. Würde sich der alte Mann an den Text halten? "Wie gesagt erkläre ich die bedingungslose Kapitulation der Erde, des Mars, der Streitkräfte beider Welten sowie unserer Besitztümer im Kanto-System, einschließlich aller Streitkräfte und Einrichtungen unserer Verbündeten, über die ich Kommandogewalt habe." Nun wurde es richtig laut. Reporter schrieen durcheinander, die Logen der Häuser glichen einem Hexenkessel. Nun wurde es mir zu bunt. "RUHE!" Ich hatte schon eine Klinge mit KI verstärkt, meine Bauchdecke, meine Beine, aber noch nie meine Stimme. Das Ergebnis erschreckte mich. Mich und alle Anwesenden im Ratssaal. "Ich war noch nicht fertig." Ich verneigte mich in Richtung meines Uropas. "Meister Oren Arogad, nimmt das Haus Arogad die bedingungslose Kapitulation an?" Ich musste an mich halten um nicht laut aufzulachen. So greifbar wurde die Stille nun. So umfassend die Enttäuschung der Elwenfelt. So unendlich das Entsetzen. Torum grinste zu mir herüber als wüsste er, was als zweiter Akt geplant war. Er nickte anerkennend. "Haus Arogad nimmt die Kapitulation an und übernimmt hiermit nach imperialem Recht die Fürsorgepflicht und das Recht auf Lehen über die genannten Territorien, Bürger und Truppen." Oren Arogad räusperte sich, während seine Augen vor Schalk nur so funkelten. "Und gleichzeitig übergebe ich das genannte Gebiet als persönlichen Besitz an meinen Erben Aris Arogad." Teufel, ging es mir bei dem nun anstehenden Chaos durch den Kopf, hättest du dir die Zunge abgebrochen, wenn du zumindest Otomo-Arogad gesagt hättest, Opa? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)