Crescent Moon 2 von abgemeldet (Zeit der Stille) ================================================================================ Kapitel 7: Ein Tag in der Stadt (Teil 1) ---------------------------------------- Ein Tag in der Stadt (Teil 1) Drei Tage waren vergangen, seit der Brief aus Kyoto in der Moonshine-Bar angekommen war. Sie, Nozomu und Shion erwarteten nun fieberhaft die Ankunft von Akira. Jeden Morgen sahen sie hinauf auf die Straße, und hofften den kurz geschnittenen Schopf des Werwolfes zu sehen und seine Piercings, die sein ganzer Stolz waren. Shirogane hatte geschrieben, er würde in zwei bis drei Tagen in Tokio eintreffen. Daraus wurden vier Tage, schließlich eine ganze Woche. Auch was Mitsuru betraf, wurden die drei allmählich unruhig. Er sollte an diesem Auftrag genauso teilnehmen wie sie selbst und Akira, und bis jetzt hatte er kein Lebenszeichen von sich gegeben. Als er fast 3 Wochen fort war, begann sich Mahiru ernsthaft Sorgen zu machen. Obwohl sie es nicht zugab, war es nicht alleine Akira, auf den sie wartete. Dieses Wochenende entschloss sich Shion, die Bar geschlossen zu lassen. "Wenn einer der beiden hier Samstag oder Sonntag auftaucht, möchte ich mit jedem in Ruhe sprechen.", murmelte Shion vor sich hin. Den Broken Stones sagte er telefonisch ab, und erzählte danach, Joanna, die auch gleichzeitig Managerin der Band war, habe sich furchtbar aufgeregt. "Sie sagt, sie brauchen das Geld, das sie bei uns verdienen. Sie könnten es sich nicht leisten, auch nur einen Auftritt ausfallen zu lassen.", berichtete er mit gerunzelter Stirn. "Sie gehen mir auf die Nerven!", stieß Mahiru hervor. "Dieser Alan, dieser Tai, dieser Ken und diese Joanna - von mir aus können sie bleiben, wo der Pfeffer wächst." Mit diesen Worten knallte sie die Haustür zu, in deren Rahmen sie gestanden hatte und stapfte die Straße hinauf, in der die Bar lag. Sie würde sich heute mit Midori Kazue, ihrer alten Schulfreundin, wieder einmal zum Shoppen treffen. Midori hatte mittlerweile eine Ausbildung zur Rechtsanwaltgehilfin begonnen. Sie war genauso alt wie Mahiru, nämlich 19, und ließ sich oft in der Bar blicken, wenn sie Zeit hatte. Gut gelaunt wie eh und je unterfasste sie Mahiru, als sie sich in der City von Tokio trafen, und klatschte gut gelaunt über die neusten Gerüchte. Wie fast alle Frauen, die Nozomu begegneten, war sie von ihm sofort begeistert gewesen und fragte Mahiru regelmäßig über ihn aus. Midori hatte langes, schwarzes Haar und trug heute ein graues Top und einen grünen Rock. Mahiru wich Midoris Erkundigungen über Nozomu mit einem Lächeln aus und zog ihre Freundin an zahlreichen Geschäften vorbei, bis sie den Laden fand, den sie gesucht hatte. In der Zeitung hatte ein großer Artikel über ihn gestanden wegen seiner Neueröffnung, und nun wollte Mahiru ihn sich ansehen. Es war eine kleine Boutique mit einem Mischmasch aus traditioneller Kleidung und modernen Sachen, die zwischen riesigen, glitzernden Wolkenkratzern eingeklemmt war. Im Inneren der Boutique drängten sich zahlreiche Menschen, und es war so heiß, dass man kaum atmen konnte. Mahiru schlüpfte zusammen mit Midori ein einer kleinen, dicken Frau vorbei bis in den hinteren Teil des Geschäftes, wo sich die Röcke befanden. Ein Schild, das von der Decke hing, verkündete dies. Auch dort waren bereits viele Mädchen in Mahirus und Midoris Alter, und obwohl Mahiru solch ein Gewühl eigentlich nicht mochte, stürzte sie sich hinein als sie einen hellroten Rock entdeckte, der ihr ausnehmend gut gefiel. Eine andere junge Frau griff ebenfalls nach dem Kleidungsstück, ein kurzes Gerangel entstand bis Mahiru triumphierend den Rock in den Händen hielt und die Frau mit sauertöpfischer Miene abzog. Midori begutachtete ihn fachmännisch. "Er könnte dir passen!", sagte sie, und zog am weichen Stoff des Rockes. "Zumindest die Jungs werden dir hinterherlaufen!" "Das will ich gar nicht!", wehrte Mahiru, die rot wurde, ab, und suchte über zahllose Köpfe hinweg die Umkleidekabinen. Als sie aber feststellen musste, dass sich vor den drei einzigen Kabinen in der Boutique lange Schlangen gebildet hatten, verspürte sie nicht die Lust, sich dort anzustellen. Noch einmal musterte sie den Rock kritisch, bis sie seufzend ihn zurück an die Stange hängte, und die andere Frau, die ihn ebenfalls gewollt und in der Nähe bei einigen Shirts nach weiteren Sachen gesucht hatte, ihn nun sekundenschnell zu fassen bekam. "Warum hast du das getan, Mahiru?", fragte Midori leicht entrüstet, und machte Anstalten der Frau nachzulaufen, die jetzt stolz lächelnd sich einen Weg Richtung der Kabinen bahnte. "Ich habe keine Geduld, mich da jetzt anzustellen. Komm, lass uns gehen!", erklärte Mahiru bestimmt und wollte Midori mit sich aus der Boutique ziehen. Midori jedoch entriss ihr ihren Arm und stemmte die Hände in die Hüften. "Du wolltest unbedingt in diesen Laden, Mahiru. Wir sind kaum fünf Minuten hier drin, und du lässt zu, dass diese doofe Kuh die einfach das Ding da weg schnappt? Du bist immer in den falschen Situationen ohne Ehrgeiz!" "Es hat doch eh keinen Sinn... wir hätte sehr lange warten müssen und..." "Das ist doch kein Grund!", unterbrach Midori sie, drehte sich auf dem Absatz um und lief der Frau nach, die Mahirus Rock ergattert hatte. Mahiru seufzte erneut, und eilte Midori nach. Sie hielt sie noch einmal fest, und zwang sie, sich zu ihr umzuwenden. "Was macht das für einen Sinn, Midori? Komm, wir gehen raus. Es ist heiß hier, hätte Lust auf ein Eis oder irgendwas anderes zu essen. Du willst doch nicht blöd hier rum stehen während ich den Rock anziehe? Außerdem hat diese Frau ihn mittlerweile, und ich habe kein Recht, ihn ihr abzunehmen. Okay?" "Ich versteh dich nicht, Mahiru!", brummelte Midori und gab sich schließlich geschlagen. Gemeinsam verließen die Mädchen die Boutique und ließen sich von dem Strom Menschen mitreißen, der sich in der Fußgängerzone der City von Tokio gebildet hatte. Bald kamen Midori und Mahiru auf einen offenen Platz, eingegrenzt von zahllosen silbernen Hochhäusern, in deren Fassaden sich das makellose Blau des Augusthimmels wieder spiegelte. Auf dem Platz spendeten Bäume mit riesigen, breiten Kronen Schatten. Unter ihnen hatten viele Cafes und Eisgeschäfte ihre Tische und Stühle aufgebaut, sodass sich die Leute dort von der Hitze der sengenden Sommersonne im Schatten erholen konnten. Schon seit Jahren hatte es keinen so heißen Sommer mehr in Japan gegeben, und man war froh um jeden kühlen Wind, der zwischen den engen Gassen und breiten Autostraßen der Stadt entlang strich. Plätze im Schatten waren ebenfalls begehrt, und so hatten Mahiru und Midori Mühe, einen freien Tisch bei einem der Eiscafes zu finden. Erst nach einer halben Stunde entdeckte Midori einen Tisch für vier Personen unter einem der Ginkos, wie die Bäume hießen, die hier mitten in der Stadt wuchsen, und riss Mahiru im Laufschritt mit sich, damit sie den Tisch vor einem älteren Ehepaar, dass ebenso zielstrebig darauf zu ging, bekamen. Heftig schnaufend ließ sich Midori auf einen der Stühle fallen und grinste triumphierend dem Ehepaar entgegen, dass mit beleidigtem Gesichtausdruck abzog. Mahiru war die ganze Sache peinlich und sie zögerte, sich zu setzen. Sie fand es unhöflich, älteren Leuten einen Sitzplatz wegzunehmen, und wollte Midori dazu bewegen, wieder aufzustehen und dem Ehepaar den Tisch zu überlassen. Midori schüttelte aber eigensinnig den Kopf. "Hör zu: Ich hole jetzt ein Eis für uns und passt drauf auf, dass niemand den Platz fortnimmt. Ich bin gleich wieder zurück, okay?" Bevor Mahiru noch etwas erwidern konnte, war Midori schon wieder aufgestanden und eilte hinüber zum Eiscafe. Sie kannte die Sorten, die Mahiru immer nahm, weil es stets dieselben waren: Zitrone und Schokolade mit Sahne. Verlegen musterte Mahiru die graue Tischplatte, als Midori nach zehn Minuten nicht zurück war. Das Cafe war genauso überfüllt wie der gesamte Platz und die Tische unter den Bäumen, und sie musste deshalb lange anstehen. Mahiru war es unangenehm, hier alleine zu sitzen, und nichts zu tun. Es sah so aus, als benötige sie den Tisch für nichts, und sie war sich sicher, dass gleich jemand kommen und sie darauf ansprechen würde. Es würde tatsächlich jemand kommen, der sie ansprechen würde. Aber nicht auf die Tatsache, dass sie völlig einsam mitten in City einen der begehrten Tische im Schatten blockierte, ohne erkennbaren Zweck. Sondern wegen etwas ganz anderem. Während sich in Tokio und Kyoto neues Übel für die Lunar-Rasse herauf beschwor, und sich Akira noch irgendwo in Japan herumtrieb, hielt sich Mitsuru immer noch in der Hauptstadt Japans auf. Er war in den Untergrund gegangen, um Abstand von der Bar und seinen Freunden zu gewinnen. Seit mehr als drei Wochen verbrachte er die Nächte auf einer Baustelle, und zog tagsüber außerhalb der Stadt übers Land oder machte einfach nur lange Spaziergänge quer durch Tokio. Ihn erfüllte eine tiefe Unruhe, die ihn dazu trieb, ständig umherzuwandern und seine Umgebung aufs Genauste zu beobachten. Diese Unruhe schien sich über seinen ganzen Körper auszubreiten und schärfte seine Sinne aufs äußerste. Nie hatte er besser gehört, gesehen oder gerochen als jetzt, nie war seine Umgebung ihm mehr ins Bewusstsein gerückt. Er nahm alles um sich sehr intensiv wahr, er vernahm die leisesten Geräusche, roch jede Kleinigkeit auf seinen Wanderungen und sah jedes Ding, mochte es auch nur ein Staubkorn sein. Mit ihm hatte eine Veränderung stattgefunden. Und solange diese anhielt und nicht abgeschlossen war, war er nicht bereit, zurückzukehren zur Moonshine-Bar. In den letzten Nächten, in denen der Mond besonders hell und klar ohne eine einzige Wolke am Firmament gestanden hatte, war diese Veränderung besonders stark gewesen. Die Dunkelheit war für ihn nicht mehr wichtig gewesen, da er nun alles erblickte wie im Licht der Sonne. Selbst als er auf einem Wolkenkratzer mitten in der Nacht gesessen hatte, der fast 150m hoch war, hatte er unten auf dem Boden eine Mutter mit ihrem Kind so gesehen, als wären sie direkt vor seiner Nase vorbeigelaufen. Mitsuru war klar, dass seine Kräfte wuchsen mit dieser Entwicklung, die sein Körper durchmachte. Es beunruhigte ihn jedoch, weil er nicht die Gründe dafür kannte - und es machte im Angst, vielleicht eines Tages nicht mehr zu wissen, wer er war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)