Purple Rain von Herzblut (Zwei Fußballer ... ein Drama) ================================================================================ Kapitel 11: Ivan [Don't leave Me] --------------------------------- Fast alle sind bereits in der Mannschaftskabine, als ich hereinkomme. Ich trete an meinen Platz und Schaaf beginnt seine Rede. Während ich mich umziehe, sehe ich zu Miros Platz hinüber. Er sitzt nur da und schaut zu Boden. Etwas zieht in meiner Bauchgegend. Ich setze mich auch. Schaaf erklärt noch einmal die gleiche Taktik, wie schon im Training besprochen. Ich sehe nach einem Moment wieder zu ihm herüber. Er sieht Schaaf an. Warum sieht er nicht mich an? Hat er es nicht nötig? Will er mich nicht mehr ansehen? Verlangt es ihm nicht einfach danach? War ich nicht gut genug? Ich starre ihn weiter stumm an. Kein einziger Blick. Ich kann es nicht fassen. Es bringt mich völlig aus dem Konzept. ICH sollte derjenige sein, der es beendet. Der die Entscheidung trifft, wie es nun weiter geht. Und nun sieht er mich nicht einmal an? „Ivan, kommst du?“, fragt Tim und legt seine Hand auf meine Schulter. Ich zucke erschrocken zusammen. „Wo bist du denn mit deinen Gedanken?“ Ich zucke nur mit den Schultern. „Ich komme ja gleich.“ Tim verlässt die Kabine. Ich trinke noch einmal einen Schluck, in der Hoffnung, den Kloß in meiner Kehle los zu werden und trete dann hinaus in den Gang, der unter dem Stadion entlang führt. Vor der nächsten Biegung sehe ich Miro. Und ich kann nicht anders. Ich hole in mit ein paar schnellen Schritten ein und packe ihn am Arm. „Willst du mich jetzt gar nicht mehr ansehen?“, herrsche ich ihn leise an. Er zuckt zusammen. Mir fällt auf, dass sein Arm dünn ist. War er schon immer SO dünn? Er dreht sich zu mir, sieht aber zu Boden. „Nein- ähm, so ist das nicht-“, stottert er. Er klingt heiser. Ich schaue ihn an. „Sieh mich endlich an, verdammt!“ Kurz hebt er den Blick. Wir sehen uns in die Augen. Dann hält er sich die Hand vor den Mund. Er hustet. Gerade als er die Hand wieder runter nimmt, will ich etwas sagen, doch ich stocke. Ich starre ihn erschrocken an. Starre auf seine Hand. Blut. Hastig wischt er sich die Hände an seiner Hose ab. Ich komme nicht mehr dazu, ihn zu fragen warum zum Teufel er Blut hustete, denn plötzlich steht Schaaf vor uns und zerrt uns Richtung Aufgang zur Aufstellung. Ich sehe ihn an, will etwas sagen, doch er legt schnell den Zeigefinger auf die Lippen und deutet mir, dass ich schweigen solle. Dann treten wir hinaus aufs Spielfeld. Ich bin mehr in Gedanken, als beim Spiel. Doch Hannover kommt Gott sei Dank selten nach vorn raus und Konter waren noch nie wirklich ihre Stärke. So schaffen wir durch Boro das 1:0, und schließlich durch Diego noch vor der Halbzeit das 2:0. Miro ist nicht gut drauf. Ich sehe es ihm an. Er gibt zwar sein Bestes, aber er ist nicht annährend so gut wie sonst. Er sieht müde aus. Immer wieder versuche ich, mich aufs Spiel zu konzentrieren. Doch ich schaffe es irgendwie einfach nicht. Wie hatte alles schon wieder so anders kommen können, als ich dachte? Ich wollte keinen Gedanken mehr an ihn verschwenden. Wollte versuchen, ihn lediglich noch als Mitspieler zu sehen, und nun? Nun stehe ich da und habe eine riesen Angst, dass etwas nicht stimmt mit ihm. Blut. Es ist doch nicht normal wenn man Blut hustet! Das ist doch kein einfacher Husten! Man hustet nicht einfach Blut! Meine Nerven flattern. Warum habe ich solch ein komisches Gefühl? Ein Gefühl, dass etwas Schreckliches passieren wird! Eine dunkle Vorahnung. Nein, ich muss mich wieder einkriegen. Ich atme tief durch, versuche mich wieder auf das Spiel zu konzentrieren. Abpfiff. Halbzeit. Wir treten wieder in den Gang, Richtung Kabine. Es brennt mir unter den Findernägeln, ihn endlich zu fragen, was los sei, doch ich kann nicht. Die anderen würden es sofort mitbekommen. In der Kabine gibt Schaaf die Wechsel bekannt. „Da wir 2:0 führen, werden wir maximal austauschen, dann bekommen die anderen auch ihre Spielpraxis. Patrick für Clemens rechts außen. Tim und Andi, ihr tauscht, und Hugo und Zidan, ihr geht für Miro und Ivan nach vorn. Und denkt an die Defensive! Das habe ich im Training schon besser gesehen.“ Er kritzelt auf seinem Klemmbrett rum. „Also gut, holen wir uns die drei Punkte!“, verkündet er dann und marschiert aus der Tür. Während der ganzen zweiten Hälfte komme ich nicht in die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Zwischen uns sitzen noch zwei Mann und direkt neben ihm sitzt Schaaf. Was ist, wenn er ernsthaft krank ist? Wenn er nicht mehr spielen kann? Wenn er nicht mehr bei mir wäre. Was wäre dann noch übrig? Was, wenn er vielleicht sogar stirbt? Ich verscheuche den Gedanken. Nein. Du wirst nicht den Teufel an die Wand malen, sage ich mir. Wie zerbrechlich doch alles ist. Wie vergänglich. Wie schlagartig schnell sich doch alles ändern kann. Nie kann man sich in Sicherheit wiegen. Denn dann schlägt das Schicksal sofort gnadenlos zu. Und nie kann man wissen, was die Zukunft bringen wird. Niemals. Ich höre ihn wieder leise husten. Er versucht es zu unterdrücken. Er keucht fast. Ich fröstele. Schaaf ruft mich. „Ivan?“ Ich gehe hinüber. Er hat den Arm um Miro gelegt. „Bring ihn rein. Geht ins Entmüdungsbecken und dann bring ihn doch bitte nach Hause. Nicht das er sich noch ernsthaft was wegholt. Bei dem Wetter nicht zu verdenken.“ Ich nicke und wir verlassen den Platz. Unten im Gang fängt er sofort schwer an zu husten und stützt sich gegen die Wand. Ich will ihn stützen. „Es geht schon-“, flüstert er und weicht meiner Hand aus. Er ist kreidebleich. „Es geht nicht!“, sage ich entschlossen und halte ihn fest. Er erwidert nichts. Ich bringe ihn in den Aufenthaltsraum zum Entmüdungsbecken. Er zieht sich bis auf die Hose aus. Ich hole Handtücher. Gott sei Dank ist im Moment wenigstens noch niemand hier. Als ich wiederkomme ist er schon im Becken. Er lehnt gestützt am Beckenrand, die Augen geschlossen. Ich steige auch hinein. Ich nähere mich ihm vorsichtig. Als ich unter Wasser seine Hüften greife, zuckt er zusammen. Er sieht sich erschrocken um. „Wir sind allein.“, beruhige ich ihn. „Also was ist los?“ „Weiß ich nicht.“, nuschelt er. „Wie lange hast du das schon?“, will ich wissen. „Kein Ahnung. Ein paar Tage vielleicht-“, er schließt den plötzlich Mund wieder und dreht den Kopf weg. „Was ist?“ Ich drehe seinen Kopf zu mir. „Was ist? Miro!“ Ich zwinge ihn, mich anzusehen. „Ich- ich weiß nicht- ob-“, er schaut mir in die Augen, „ob es ansteckend ist.“ Ich küsse ihn. Will ihm zeigen, dass es mir egal ist. Doch er öffnet die Lippen nicht. „Miro! Verdammt, öffne den Mund, wenn ich dich küsse!“, herrsche ich ihn an. „Ich will dich nicht anstecken.“, sagt er müde. „So ein Blödsinn! Wenn dann hast du mich wohl schon gestern Nacht angesteckt, oder meinst du nicht?“, frage ich ihn leise. Sein Blick wird etwas heller. Ich küsse ihn wieder. Ich kann nicht anders. Ich muss es einfach tun. Er schmeckt so unglaublich gut. Ich küsse ihn und nach einem Augenblick öffnet auch er den Mund endlich. Dann nehme ich ihn in meine Arme und wir bleiben so sitzen. Das warme Wasser tut unendlich gut. Die Zeit vergeht und nach einer Weile erwache ich wieder aus meiner Trance. Ich merke, dass das Spiel gleich zu ende sein müsste. Ich tippe ihn vorsichtig an. „Hey, wir sollten verschwinden. Gleich wird hier der Teufel los sein.“, sage ich sanft. Er hebt müde den Kopf und nickt. Wir steigen aus dem Becken und ziehen uns an. Er hustet wieder. Fast noch schlimmer als das letzt mal. Besorgt sehe ich ihn an. Als er ein weiteres Mal hustet, reicht es mir. „Komm, ich bringe dich ins Krankenhaus!“, sage ich und nehme seine Sachen. Doch er hält mich zurück. „Nein!“, flüstert er heiser. „Miro! Die kriegen es sowieso beim nächsten Check raus! Du kannst das nicht vertuschen!“, diskutiere ich. Er schüttelt den Kopf und schaut mich ängstlich an. „Du verstehst mich falsch. Es geht nicht darum!“ Und plötzlich verstehe ich. Wenn er jetzt ins Krankenhaus käme, wäre er weg vom Fenster. Dann wären wir getrennt. Vielleicht sogar für länger, als wir bis jetzt ahnen. Bei Krankheiten wie Schwindsucht oder Lungenentzündung, wird man ewig unter Quarantäne gehalten. Ich könnte ihn nicht einmal sehen. „Bitte- nur noch heute Nacht.“, flüstert er und sieht mich flehend an. Ich nicke. Wir fahren zu mir. Er hustet wieder. Es ist gut, wenn Frauen zu Jogatreffen fahren. Wir haben kein weiteres Wort darüber verloren, aber er weiß, dass ich ihn zu mir bringe. Er schläft schon während der Autofahrt fast ein. Ich schaffe ihn schließlich zu mir ins Bett. Er glüht immer noch. Wohl vom Bad. Ich decke ihn zu und verschwinde noch einmal im Bad. Als ich zurückkomme, Hat er sich aufgesetzt. „Ivan?“, murmelt er. Ich krieche zu ihm ins Bett. „Ich bin ja da. Versuch zu schlafen.“ Ich nehme ihn in meine Arme, und streichle seinen Rücken unter der Decke. Sein Atmen klingt schwer. Mein Herz ist schwer. Schwer von den Sorgen, die ich mir mache. Sorgen um ihn. Sorgen, an die ich noch gestern überhaupt nicht gedacht hätte. Alles hat sich wieder schlagartig geändert. Er kuschelt sich noch enger an mich. Meine Brust wird feucht. Ich sage nichts. Doch ich kann es kaum ertragen, dass er weint. Ich schlafe nur phasenweise in dieser Nacht. Wache sofort auf, wenn er hustet oder sich bewegt. Doch es macht nichts. Ich halte ihn fest. Mehr will ich nicht. Irgendwann in der Nacht bin ich so mit den Nerven fertig, dass ich nur noch an die Decke starre und weine. Ich halte ihn in meinen Armen und weine. Ein überwältigendes Gefühl von Traurigkeit überschwemmt mich. Ich glaube, dass mein Herz zerbricht. Ja und genau so ein Gefühl muss es sein, wenn Einem das Herz bricht. Ich habe nie Liebeskummer oder ähnliches gehabt. Ich war ja nur einmal verliebt gewesen, und diese Jugendliebe habe ich zur Frau genommen. Auch musste ich bis jetzt auch noch nie einen harten Verlust betrauern. Meine Eltern sind wohl auf wie auch der Rest meiner Verwandtschaft. Und nun befällt mich zum ersten Mal dieses Gefühl. Diese unsägliche Traurigkeit. Ich brauche Stunden, bis ich mich wieder einigermaßen beruhige. Irgendwann fasse ich mich wieder. Doch die Traurigkeit bleibt. Als der Morgen graut, rufe ich den Notarzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)