Des Feuervogels Glut I von Lilienkind ================================================================================ Kapitel 7: Alptraumtanz ----------------------- Tokio (Japan), Anfang November Mit einem Schrei des eigenen Entsetzens wurde der Siebzehnjährige aus dem Schlaf gerissen. Schweißperlen rannen von seiner Stirn, schwer atmend blickte er um sich. Es war dunkel, das schwache Licht brach sich an einigen Details der spärlichen Einrichtung. Er befand sich in seiner Wohnung. Alex brauche einige Minuten, um zu realisieren, dass er geträumt hatte. Er tat einen deutlich vernehmbaren Atemzug, drehte sich zu Seite und ließ die Beine über die Bettkante herab, sodass seine Fußsolen den wuscheligen Teppichboden berührten. Alles um ihn war ruhig, nur das laute Schlagen seines Herzens durchbrach die Stille. Mitgenommen legte er das Gesicht in seine Handflächen, stützte die Ellenbogen auf den Knien ab. Einige Augenblicke lang verharrte er regungslos, setzte sich dann im Schneidersitz auf den Flokati vor seinem Bett auf den Boden und schloss die Augen. Er meditierte, um das erlebte zu verarbeiten oder wenigstens zu verdrängen. Ihn verfolgte dieser Traum in regelmäßigen Abständen, kam immer wieder zu ihm zurück. So auch diese Nacht, wenige Tage nach dem Turnierkampf…Alles war interessanter als gegen diese Amateure anzutreten aber er tat es immer noch lieber, als diese Bilder vor sich zu sehen… Bemüht ruhig sog ein einen tiefen Atemzug durch die Nase ein, korrigierte seine Haltung und entspannte sich. Eine volle halbe Stunde verging, dann knipste Alex das Licht in seiner kleinen Wohnung an und begab sich ins Bad. Sorgfältig streifte er sich die dünne Trainingshose und seine Boxershorts ab, sein Oberkörper war unbedeckt gewesen. Seine Kleider landeten im Wäschekorb, der junge Amerikaner nahm nun eine heiße Dusche. Er würde diese Nacht einen klaren Kopf brauchen, müde war er nicht und auch die letzten Bilder seines Traumes wichen unter der Einwirkung des Wassers. In etwa einer Stunde musste er im Phoenix Castel antreten. Nicht um zu trainieren, etwas wirklich Wichtigeres stand bevor. Glücklicherweise hatte er die Bilder aus seinem Kopf verbannt. Sie hätten ihm nur ihm weg gestanden, die Erinnerungen an die kalte, vom harten Licht der Neonröhren ausgeleuchtete und doch dunkel erscheinende Halle. Er befand sich inmitten einer vor sich hin arbeitenden Gruppe Wissenschaftler, jene eifrig auf modernsten Computern herumtippten, irgendwelche Zahlen und Formeln austauschten und ihn gar nicht zu bemerken schienen. Das jedoch auffälligste in seiner Umgebung waren die wuchtigen Glastanks, in denen mit Sicherheit ein Mittelklassewagen Platz gefunden hätte. Ausgefüllt waren sie von einer eigenartig grünlichen Flüssigkeit, Kabel hingen vom Oberen Ende des Tangs in das Sekret, verliefen durch dessen Abdeckung hinaus und zu einem der Rechner. Durch die trübe, grünliche Substanz stiegen einige Luftblasen nach oben, Alex glaubte eine Gestalt darin zu erkennen. Sie war in sich zusammengekauert, schwebte in der Flüssigkeit. Überall an ihrer Oberfläche waren Elektroden befestigt, an einer Stelle – vermutlich dem Haupt – mündeten die Kabel in eine Art Haube. Mitleidig beäugte der Blonde die Gestalt genauer. Eingesperrt zu sein, in einem künstlichen Koma gehalten…es musste sich grauenvoll anfühlen. Menschen waren barbarisch. Was sie als Wissenschaft bezeichneten, war nichts anderes als Folter. Im Glastank neben dem Exemplar vor seinen Augen erkannte der Siebzehnjährige ebenfalls eine solche Gestalt. Sie schien von der gleichen Art zu sein, dennoch unterschieden sich die beiden Wesen in ihren Details, sofern es der Siebzehnjährige erkennen konnte. Wieso erschuf die Menschheit solche Wesen? Wo sie in dieser Welt kein Zuhause fanden und letzten Endes an den unzähligen Experimenten zu Grunde gingen? Wie gerne hätte ihnen der junge Mann geholfen, sie von ihren Qualen befreit. Von einem Schicksal, jenes sie nicht verdient hatten. Wehleidig strich er mit der Hand über das kalte Glas. Ein Impuls jagte durch die Köper im trüben Sekret und ließ Alex zurückweichen. Ihre Augen öffneten sich und begannen bedrohlich zu leuchten. Einige Warnlampen leuchteten auf und ein Alarm war ausgelöst worden, die Schar von Wissenschaftlern geriet in Aufruhr, einige von ihnen verließen den Raum und wurden von anderen ersetzt. Eifrig wurde auf die Tastaturen der PCs eingetippt, doch es half nichts. Sie hatten die Kontrolle über die Wesen verloren. Ein lautes Knacken lenkte Alex´ Aufmerksamkeit zurück auf die Glastanks. Risse zogen sich durch die transparente Oberfläche und die Behälter zerbarsten, eine mittlere Flutwelle riss den jungen Mann mit sich, der in der Eile nicht mehr hatte reagieren können. Ein stechender Schmerz fuhr durch seinen Leib, Glassplitter durchbohrten seinen Brustkorb – oder waren es die Kallen des Wesens, jenes sich über ihn gebeugt hatte? An dieser Stelle wachte er jedes Mal auf, ohne die Gestalten genauer betrachtet zu haben. Es brachte nichts. Während Alex seinem Traum entkommen konnte, war jedoch jemand anderes in dem seinen gefangen. Jede Nacht wiederholte sich das Spiel, der gleiche Anfang, das gleiche Ende. Man mochte glauben, man könne sich nach einiger Zeit daran gewöhnen. Doch jede Nacht rissen die Wunden wieder auf, sie konnten nicht heilen sondern wurden immer tiefer. Und was anfangs wie ein vergleichsweise harmloser Alptraum ausgesehen hatte, war nun zu einem nicht mehr zu beseitigenden Parasiten geworden, der sich ungehindert, Nacht um Nacht, durch seinen Körper fraß und ihn allmählich zerstörte. Schwer atmend kauerte der Russe auf seinem Bett, zitterte geschunden von den allwiederkehrenden Qualen. Die nicht enden wollenden Peinigungen setzten ihm mehr und mehr zu, er war Gefangener seines eigenen Bewusstseins. Im vergeblichen Versuch, sich gegen die Folter zu wehren, schlug er um sich wobei die Bettdecke auf den Boden rutschte und mit ihr auch jeglicher Schutz vor der Kälte fort war. Wieder schlitterten Kai und ER die Böschung hinunter, liefen auf die vereiste Straße. Entkräftet schleppten sich die beiden jungen Männer über den glatten Untergrund. Es umgab sie eiskalte, staubtrockene Luft, die ihnen beinahe ihre Lungen zuzufrieren Schien. Ein weiteres Zucken jagte durch Kais nackten leib. Er wusste genau, was jetzt kam, doch sein Schicksal ließ sich niemals abwenden. Die kläglichen Versuche, doch endlich aufzuwachen, damit die Tortur vorüber war, scheiterten. Er war gefangen, jegliche Fluchtversuche misslangen und hinterließen nur noch mehr Schrammen an seiner blutenden Seele. Sie gelangten auf die Mitte der Straße, sie hatte vollkommen frei geschienen, doch hinter einem steilen Abhang erkannten sie die Gefahr – zu spät, um zu reagieren. Ein heftige Stoß erfasste Kai, schleuderte ihn bis in den Straßengraben. Ein lauter, qualvoller Schrei durchbrach die Stille, mischte sich unter die seines Begleiters und… War er es gewesen? Hatte nicht sein Begleiter in dieser Nacht sein Leben verloren? Einige Sekunden verstrichen, bis Kai begriff, dass der Aufschrei von ihm selbst stammte – in der Realität und nicht in seinem Alptraum. Er hielt sich an die Wand am Kopfende des Bettes gedrückt und starrte auf die Gestalt, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Auf dem zerwühlten Bett kniend blickte sie ihn an, hatte die Hand nach seinem vor Entsetzen bebenden Leib ausgestreckt. „Fass mich nicht an…!“, drohte der Silbehaarige und griff mit der linken Hand in Richtung seines Nachttisches, suchte nach einem spitzen Gegenstand oder etwas ähnlichem, um sich zu verteidigen. SIE! SIE hatte ihn aufgeweckt…hatte ihn…von seinem Leiden befreit(?). „was…“, hauchte er, als ihm jenes bewusst wurde. „was willst du hier…?“ Seine weit aufgerissenen Augen vergrößerten sich noch mehr, als ihn die Gestalt am Handgelenk packte, ihn an die Wand drückte. Weit über ihn gebeugt drängte sie ihn in die Enge, packte nun auch noch seinen anderen Arm und hatte den jungen Russen vollends in ihrer Gewalt. „du tust dir am ende noch weh“, flüsterte sie ihm beruhigend ins Ohr, küsste ihn zärtlich auf die Wange. „hab keine Angst, ich tu dir nicht weh“, drang ihre glasklare Stimme zu ihm durch, befreite ihn von der Anspannung und ließ ihn nun deutlich ruhiger atmen. Er kannte die Person, jene rittlings auf seinem Schoß hockte und ihn festhielt, ihm dennoch kein Gefühl der Bedrängung vermittelte. Ja, er kannte sie. Schon sehr lange. Doch wusste er nicht, woher. Entspannt schloss Kai die Augen, lehnte seinen Hinterkopf gegen die Wand und versuchte nicht mehr zu denken. Die wärmende Aura der Fremden durchströmte seinen Körper, umgab ihn wie ein sanfter Schutzschild. Sie hatte ihn schon einmal aufgesucht. Wie ein Irrer war er ihr zuletzt quer durch die Tokioer Innenstadt nachgejagt. Unter seinem leicht geöffneten Augenlid erkannte Kai nun ihr schneeweißes Haar, ihr bleiches Antlitz und ihre strahlendblauen Augen. Dies war ihre zweite richtige Begegnung. Ein sehr intimer Augenblick…und ein bisschen zu nah für Kais Geschmack. So stieß er sie mit sanfter Gewalt von sich herunter, hob die Bettdecke vom Boden auf und breitete sie über seinen frierenden Leib aus. Zwar trug er Boxershorts aber dieses …Wesen hatte inzwischen wirklich schon genug von ihm gesehen. „tut mir leid, dass ich hier einfach zu eingedrungen bin aber ich konnte das nicht länger mit ansehen.“, meldete sie sich erneut zu Wort, Kai gegenüber auf der Bettkante sitzend. „Wer bist du?“, entgegnete er ihr barsch, „warum mischst du dich in mein Leben ein?“ In Aufruhr geraten sprang er samt Decke auf, begab sich mehr oder weniger zügig in Richtung Tür und blickte abermals die junge Frau auf seinem Bett an. „Ich geh dich ´nen feuchten Dreck an also verschwinde aus meinem Leben!“, knurrte er hasserfüllt und einwenig unsicher. „Tust du das, Phoenix?“, nahm sie Notiz von seiner Aufforderung, „Du gehst mich mehr an als es dir im Moment lieb ist.“. Langsam erhob sie sich von seinem Bett und schritt auf ihn zu. „Beruhige dich wieder. Ich bin nicht so wie die Menschen. Ich gehöre zu einem anderen Teil deines Lebens als den, den du kennst.“ So vorsichtig, als sei sein Körper aus Kristallglas, tasteten ihre Fingerkuppen abermals nach seinem Arm, seinem Torso. Er fand keinerlei treffende Beschreibung in seinem Wortschatz um die Art und Weise zu beschreiben, in der sie ihm so unglaublich tief in die Augen blickte. Nach und nach verlor er sich in den Ozeanen, die ihre Opale widerspiegelten. Irgendwie schien ihr Blick in ihn einzudringen, beinahe als vermochte er nichts mehr vor ihr zu verbergen. Mit seiner Scheu wich nun auch der Drang, sich von ihr loszureißen. Es machte keinen Sinn, sich der angenehm vertrauten und doch vollkommen neuartigen Intimität zu entziehen. Ganz gleich, wer diese junge Frau war, ob er sie seit eine Ewigkeit kannte oder sie ihm vollkommen fremd war, es lag nichts falsches in ihren Augen, seine Instinkte warnten ihn vor nichts, es fühlte sich so unermesslich richtig an. Regungslos verharrte er, ließ den Augenblick von keinerlei Hintergedanken zerreißen. Gegen die geschlossene Tür gelehnt, vollkommen gedankenleer, würde er alles nur Erdenkliche über sich ergehen lassen, was dieses sonderbare Wesen mit ihm anzustellen plante. Zärtlich legte sich ihre Handfläche auf seine Wange, fuhr über die weiche Haut bis in sein geschmeidiges, zerzaustes Haar. Langsam nährte sich ihr Gesicht seinem Ohr, er spürte ihren lauwarmen Atem auf seinem Antlitz. „Ich werde dich nicht verletzen, Phoenix. Es ist dir gestattet, mir dein Vertrauen zu schenken.“ „Ver…Vertrauen?“, flüsterte der Silberhaarige zweifelnd, „…wie kannst du es wagen?!“. Wie von einer Sekunde auf die andere verändert stieß er sie abermals boshaft weg, öffnete die Schlafzimmertür und deutete ihr mit einer energischen Handbewegung, nun zu gehen. Er war nach all dem nun wirklich nicht in der Verfassung für etwas Derartiges. So plötzliche körperliche Nähe und gar die Bitte nach Vertrauen…für wen hielt sie sich. Einfach in seine Wohnung einzudringen und…Nein. Auf ein derartiges Spiel ließ er sich nicht ein. Vertrauen führte zu Ausnutzung seiner selbst und am Ende nur zu noch mehr Leid. Wie oft hatte er dieses Thema schon durchgekaut? Nun wirklich zu oft, um es noch ein einziges Mal in Erwägung zu ziehen. „Mach, dass du verschwindest.“, harkte er nach, riss die Tür so weit auf, dass sie scheppernd gegen die Wand prallte, und wiederholte seine Geste. Nach wie vor unbeeindruckt von Kais abweisenden Verhalten verließ die junge Frau sein Schlafzimmer, begab sich durch das kleine Foyer zum Ausgang der Wohnung und lächelte dem jungen Mann noch einmal zu. Dann verschwand sie, zog die Tür hinter sich ins Schloss und ließ nichts als die altbekannte Stille zurück. Kai stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Entnervt ließ er sich rücklings gegen eine der Wände sinken und atmete tief durch. „Ich muss die Fenster absichern…“, ging es ihm durch den Kopf. Am liebsten hätte er es noch diese Nacht erledigt, da alle Müdigkeit verflogen war. Aber er hatte heute sowieso etwas anderes…besseres vor. Lange hatte er auf dieses Ereignis gewartet, beinahe zu lange. Sein Rachefeldzug würde um Punkt Mitternacht beginnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)