Des Feuervogels Glut I von Lilienkind ================================================================================ Kapitel 27: Der Tag danach -------------------------- Tokio Stadtzentrum, Dezember „…Kai? Ich weiß, dass du wach bist.“ … „…hey, verarschen kann ich mich selber!“ „Was willst du?“ Mürrisch öffnete er ein Auge und blickte in das ironische Gesicht von Mina. Sie antwortete nicht, starrte ihn nur prüfend an - und wirkte erstaunlich ausgeruht…oder hatte er nur wieder zu lange geschlafen? „Wo ist…?!“, fuhr es ihm durch den Kopf. „Dranzer? Keine Sorge, er liegt hier auf der Fensterbank. Ich habe mir erlaubt, ihn auf eventuelle Schäden durchzuchecken, während du geschlafen hast. Vier Tage, um genau zu sein. Weißt du eigentlich, dass du ziemlich lustige Schlafgewohnheiten hast?“ „…ich habe was?“ Konnte sie ihn nicht wenigstens richtig wach werden lassen, bevor sie ihn wie ein Wortakrobat zutextete? „Und man hat dich ziemlich gut verkabelt. Das Ding da ist noch das harmloseste...“, sie deutete auf die Infusion. „Das machst du nur, um mich zu ärgern, oder?“, entgegnete ihr der Sechzehnjährige. Dass sie ihn aus dem Wasser gezogen hatte, war eine Sache. Aber musste sie ihm unbedingt noch alle demütigenden Einzelheiten über seine momentane Situation schildern? „Was ist mit Black Dranzer?“, versuchte er das Thema zu wechseln. Sie griff in ihre Hosentasche, ausnahmsweise trug sie Jeans und einen Pullover anstelle der sonst so aufreizenden Kleidung. Grinsend nahm sie ihren Blade hervor und hielt ihn direkt vor Kais Gesicht. „Ich wäre schön blöd, wenn ich keine Ersatzteile hätte.“ „Und was ist mit dir? Wieso bist du schon auf, nimmst meinen Blade auseinander und nervst mich?“ „Erstens ist mein Körper sehr robust und regeneriert sich schnell. Zweitens schlafe ich regelmäßig, ernähre mich halbwegs gesund und richte mich nicht so zu Grunde, wie du es tust. Und drittens…hab ich nicht versucht, mich zu ertränken.“ Bei ihren letzten Worten senkte sie bewusst die Stimme. „Hast du es jemandem gesagt?“ Kai übersprang die übliche Frage, wieso diese junge Frau ständig über all seine Angelegenheiten bescheit wusste. „Spinnst du? Hey, sogar ich kann mir sehr gut vorstellen, dass du nicht gerade begeistert wärst, wenn deine Angelegenheiten die Runde machen. Dein kleines Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben“ „Kleines Geheimnis?“ Hatte sie nicht einen noch entwürdigenderen Begriff dafür? Warum hatte sie ihn bloß zurückgeholt? Und wenn er schon unbedingt am Leben sein musste, wieso konnte nicht wenigstens Schatten an seinem Bett sitzen, und nicht Mina? „Du siehst aber nicht sehr glücklich aus für jemanden mit einer zweiten Chance…“, stellte die junge Frau fest und sah dabei plötzlich überraschend emotional aus. Hatte dieses unverschämte, eiskalte Gör so etwas wie Mitgefühl? „Ich weiß, du willst das nicht hören, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, wie du dich fühlst.“, fuhr sie fort. „Oh ja, da hast du recht“, entgegnete ihr Kai, „das will ich wirklich nicht hören.“ Missmutig unterbrach er ihren Blickkontakt und sah aus dem Fenster. „Krieg dich ein. Immerhin hab ich dir das Leben gerettet. Ist das nichts?“, beschwerte sich die junge Frau. „Wieso eigentlich? Wieso hast du mich aus dem Wasser gezogen?“ „Genau genommen musste ich dich sogar reanimieren und...“ „Erspar mir die Einzelheiten.“ „Also gut. Denkst du, ich lasse dich so einfach davon kommen? Hey, wenn du schon gegen mich verlierst, dann musst du dich auch an deine Abmachung halten. Und außerdem…“ Sie stockte und senkte ihren Blick. Verwundert harkte Kai nach: „Außerdem was?“ „Außerdem…mhh…“, sie überlegte und suchte schnell nach einer passenden Antwort als Platzhalter, „außerdem finde ich, dass du gar kein so übler Kerl bist.“ Kais kritischer Blick ließ sie sogleich bemerken, dass er ihre flüchtige Aussage nicht ganz für voll nahm. „Na gut, das ist zwar genau genommen kein kompletter Schwachsinn aber nicht das, was ich eigentlich sagen wollte.“, gab die Blauhaarige schließlich zu. „Und was wolltest du sagen?“, hielt der Halbrusse an einer Antwort fest. „Ich hab’s damals ver…“ „Hallo Kai! Geht’s dir besser?!“ In diesem Moment platzte Tyson in sein Zimmer. „Guck mal, ich hab dir was zu essen mitgebracht!“ Nacheinander schoben sich nun auch Daichi, Kenny, Hilary, Ray und Max ins Zimmer. Alle hatten ein widerlich überschwängliches Lachen aufgesetzt und brachten einen Höllenlärm mit sich. „Oh bitte, schmeiß sie raus!“, versuchte Kai die bunt gemischte Horde zu übertönen. Zögernd blickte ihn die Siebzehnjährige an, erhob sich aber schließlich und versperrte den Bladebreakers den weg. „Kai freut sich wirklich wahnsinnig, dass ihr alle gekommen seid. Aber er braucht sehr viel Ruhe. Er findet es zwar total blöd aber ihr müsst leider morgen wieder kommen. Also bis dann!“ Mit diesen Worten schob sie die verdutzte Bande zur Tür hinaus und schloss selbige direkt vor ihrer Nase. „Jetzt hab ich schon zwei Dinge gut bei dir!“, schmunzelte sie und nahm wieder an Kais Bett Platz. „Und was willst du?“ fragte sie der junge Mann interessiert. „Ich glaube, das würdest du mir sowieso nicht geben.“, antwortete sie, machte eine Pause und fügte hinzu: „aber ich sollte zumindest danach fragen.“ Verlegen sah sie aus dem Fenster, dann fuhr sie fort, ohne Kai anzublicken. „Die Geschichte mit Jonathan, also dein Plan mit mir, der ist gründlich nach hinten losgegangen Und ich wäre, jetzt, wo wir das Thema geklärt hätten, gerne wieder ein Mitglied der Phoenix…“, schilderte sie etwas verlegen ihren Standpunkt. Ein wenig überrascht schaute er sie an. Sie wollte, nach all dem, was er mit seinem intriganten Verhalten so gehörig verbockt hatte, tatsächlich wieder in sein Team? Wer garantierte ihr, dass sich an seiner so genannten Umsichtigkeit etwas ändern würde? „Ich…“, druckste sie weiter, „ich wäre – ehrlich gesagt - gern dabei, wenn du Tyson besiegst.“ Einen Moment lang schien es fast so, als hätte Kai in ihrer sonst so kühlen Stimme eine Spur von Verlegenheit wahrgenommen. Unschlüssig, wie er damit umgehen sollte, entgegnete der Sechzehnjährige schließlich: „Okay, von mir aus. Aber werd’ nicht übermütig.“ „Da ist noch etwas, um das ich dich bitten muss, Kai.“, erklärte sie ihm mit ernster Stimme, „Aber darauf komme ich zurück, wenn wir vier über Projekt Feuervogel sprechen.“ „Wo wir gerade von Brian und Alex sprechen, wo sind die beiden eigentlich?“, fiel dem jungen Mann in diesem Augenblick ein. „Im Gegensatz zu dir sind auch sie NORMALE Menschen mit NORMALEM Schlafbedürfnis“, meinte sie, „Auch sie brauchen mal eine Pause…immerhin haben sie 23 Stunden täglich hier im Krankenhaus gesessen, auch wenn gar keine Besuchszeit war. Du kannst echt froh sein, dass sie so loyal sind.“ Die Transsylvanierin erhob sich und schritt auf die Tür zu. Beschämt sah Kai ihr nach. Er glaubte nicht an Freundschaft. Sein Vertrauen war zu oft missbraucht worden, als das er sich je auf eine solche Bindung eingelassen hätte. Folglich war er sich nicht schlüssig darüber, wie er mit dem, was Mina ihm in den vergangenen Minuten vermittelt hatte, umgehen sollte. Sich blind darauf einlassen würde er mich Sicherheit nicht. Er war ja nicht bescheuert…! Aber irgendwie…war es gut, zu wissen,…dass es da jemanden gab, der auf ihn wartete. Eventuell würden Brian und Alex anders auf Projekt Feuervogel reagieren, als er es erwartet hatte. Es war die richtige Entscheidung, die Sache aufzuklären. Und es war sogar gut, dass Mina ihn zurückgeholt hatte. Auch wenn er noch nicht wusste, was genau daran positiv war. Sogar um Black Dranzer machte er sich keine Sorgen mehr. Irgendwie schien die junge Frau sein Leben wieder auf die Beine zu stellen und etwas Ordnung hineinzubringen… „Hey, Mina!“, rief er ihr hinterher, „Danke…“ Die Tür viel hinter ihr ins Schloss. Ob sie ihn noch gehört hatte, wusste er nicht. „…danke...“ ____________ Drei Tage später Tokio, Phoenix Castel, Dezember „Gib mal die Pizza rüber…und die Chips…“ „Du willst Pizza mit Chips essen?“ „Na warum denn nicht?“ „Kein wunder, dass du so fett bist.“ „Das sind alles Muskeln, jedes Gramm!“ Skeptisch sah Kai den beiden beim Essen zu. Er hatte Alex und Brian unter dem Vorwand einer Fressorgie ins Phoenix Castel gerufen. Letzterer hatte sich anfangs gar nicht mehr einkriegen wollen, als plötzlich sein Schwarm vor ihm stand. Die hatte das zwar angesichts seiner für ihn mal wieder typischen Reaktion nicht so lustig gefunden, war aber sichtlich froh, ihre Teammitglieder wieder zu sehen. Und dieses Mal nicht als Gegner. Inzwischen kaute sie genüsslich an einem Stück geräuchertem Fisch und schwieg. Scheinbar wartete sie darauf, dass Kai sein Versprechen einhielt und offenbar blieb die Angelegenheit komplett an ihm selbst hängen. Komischerweise kam ihm gerade jetzt das schwarze Motorrad in den Sinn, auf dem er vor einiger Zeit gerade noch rechtzeitig den Dome erreicht hatte. Als er es später suchen wollte, war es verschwunden. Auch der Schlüssel, von dem er sich sicher gewesen war, ihn mitgenommen zu haben, war unauffindbar. …wieso kam ihm das gerade jetzt in den Sinn? „Vag ngal, Kai…“, murmelte Brian mit vollem Mund und riss ihn aus seinen Gedanken, „sarung ascht gu unsch getzt ergestelt?“ Alex, der sich allmählich zum Fachmann für die Essgewohnheiten des Philippinen entwickelte, übersetzte den Kaudawelsch: „Er möchte wissen, warum du uns herbestellt hast…und ich auch, wenn ich ehrlich bin.“ Das war er also, der Moment der Wahrheit…es entpuppte sich als schwieriger als erwartet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)