It's your love story von abgemeldet (~The Suicide Book~) ================================================================================ Kapitel 1: 01 ~ Bröckchen ------------------------- It‘s your love story ~The Suicide Book~ ********* Vielleicht fällt mir bis zur Veröffentlichung ja noch ein anderer Titel ein, denn der hier ist leider alles andere als aussagekräftig... Das erste Kapitel geht nicht bis zu der Szene, bis zu welcher ich eigentlich kommen wollte, aber ich hol das nach, denn ich wollte erst mal das posten, was ich schon habe, bevor ich alles aus Frust wieder lösche... (Ist mir schon passiert... T___T) Mmh, ich hoffe, dass ich das hier noch ein wenig fortführen kann, denn bisher ist noch nicht alles so, wie ich es gern hätte... ano, mal schauen; bin aber eigentlich recht zuversichtlich... (^.^)v Ich würde mich freuen, wenn ihr es trotzdem lest und mir sagt, was ihr davon haltet, auch wenn meine eigentlich Idee noch nicht mal richtig begonnen hat... dedicated to: Ebichiru&Auris; ich hab euch einfach nur lieb... *knu~~~ff* It‘s your love story ~can‘t you just lie next to me pretending you love me~ ichi ~ 01 Bröckchen Ihm war kalt. So entsetzlich kalt. Sein Atem kondensierte nicht einmal mehr an der Frontscheibe seines Autos, welches er, mit gleichgültiger Sicherheit, durch den dichten Verkehrsjungle Tokyos lenkte. Es schien ihm beinahe so, als sei durch die Kälte nicht nur sein Atem erfroren und hing nun in Bröckchen an der Windschutzscheibe, sondern auch die Welt um ihn herum erschien in Bröckchen. Sie schien zerfallen zu sein, klimperte vor sich hin, schob sich durch die Zeit, auf nichts achtend, an alles aneckend. Er atmete noch einmal tief ein, bevor er sich, einfach um seine eigene Atemluft nicht in Kristallen vor sich zu sehen, eine Zigarette am Anzünder des Armaturenbrettes ansteckte und den Rauch durch das Innere des Wagens blies. Wie konnte ihm nur so schrecklich kalt sein, fragte er sich zum wiederholten Male, bevor er zu gähnen begann. Das ganz allein war schuld, dieses verfluchte Gähnen und obwohl er das mit ganz bestimmter Sicherheit wusste, so konnte er doch nichts anderes, als es entweder zu unterdrücken oder zu ignorieren. Einher kam diese bleierne Müdigkeit. Er fühlte sich beinahe erschlagen, festgefroren und langsam selbst ins Bröckchenstadium übergegangen, denn so sehr er sich auch bemühte, er konnte sich auch nicht daran erinnern, wann er das letzte mal richtig tief und fest geschlafen hatte. Auch wusste er nicht, die wievielte Nacht das jetzt schon gewesen war, in welcher er sich ruhelos, gedankenvoll und hellwach durch sein Bett gewälzt hatte, nur um letzten Endes doch aufzustehen und sich ins Wohnzimmer zu setzen, indem es seltsamerweise trotz voll aufgedrehter Heizung schneidend frostig war. Eine Decke hatte einfach nicht helfen können und Kaffee konnte er keinen trinken, denn davon wäre er niemals zur Ruhe gekommen. Tee besaß er zur Zeit nicht und die Aussicht auf einfaches heißes Wasser ohne jedweden Geschmack sagte ihm alles andere als zu. Also hatte er in seinem Wohnzimmer vor dem Fernseher gesessen und sich stundenlang Telefonsexwerbungen und anderes zwielichtiges Zeug angesehen, da um diese nachtschlafende Stunde einfach nichts anderes zu sehen war; noch nicht mal die Spielfilmkanäle brachten da Abwechslung und Musikkanäle besaß er nicht. Sein Ekel über diese Angebote hatte ihn dabei ebenso wachgehalten, wie die Kälte und seine starren Glieder. Eigentlich waren diese Werbungen doch gar nicht so schlimm, hatte er sich mehrfach einzubilden versucht, doch hatte dann aufgegeben. Zwar erklangen Stimmen aus dem Fernseher, aber diese sprachen nicht explizit zu ihm und als er das letzte Mal bei solch einer Nummer angerufen hatte, nur, um des nachts eine Stimme hören zu können, welche nicht vom Band kam und wenigstens bis zu einem gewissen Punkt lebendig wirkte, hatte sich eine so junge am anderen Ende der Leitung gemeldet, dass er vor Schreck den Hörer hatte fallen lassen. Erst da war ihm aufgefallen, dass er bei einer Agentur für die Vermittlung Minderjähriger angerufen hatte... Die Ampel schaltete nach endlosen Augenblicken auf grün und Kamijo trat aufs Gaspedal. Der Motor heulte in der kalten Dezemberluft auf; er war noch immer nicht warm gelaufen, obwohl der junge Mann nun schon seit etwa einer Stunde unterwegs war. Aber viel gefahren war er nicht und auch nicht weit gekommen, denn der Berufsverkehr der tokyoter Innenstadt stand eher still als dass er sich bewegte. Allerdings schien das Hupen leiser geworden zu sein, aber vielleicht lag das auch nur an seiner Übernächtigung und seiner langsamen Wahrnehmung. Abermals sog er den Rauch seiner Zigarette ein, um ihn dann abermals gegen die Frontscheibe zu blasen. Es kam ihm dabei beinahe so vor, als gefriere der warme Rauch aus seinen Lungen schon nach den ersten Zentimetern in der Luft und Kamijo hätte sich nur traurig bestätigt gefühlt, hätte der Rauch ein Kratzen an der Glasoberfläche vor ihm erzeugt, auf die er traf. Nach weiteren langgestreckten zwanzig Minuten erreichte er endlich seinen Bestimmungsort und bog dort in eine kleine Querstraße ein, weil der Parkplatz davor, wie er aus dem Seitenfenster erblicken konnte, bis auf den letzten Platz vollgestellt war. Er parkte sein Auto, dann würgte er den kalten Motor ab, stieg aus und verschloss den Wagen. Den Schlüssel zusammen mit seiner Hand in der Manteltasche verstauend, lief er über die Straße zu dem großen, grauen Gebäude, welches sich fast nicht vom grauen Himmel dahinter abhob. Er betrat den Fahrstuhl und drückte die richtige Taste, in der Hoffnung, dass es nun nicht mehr allzu lange dauerte, bis die Wärme ihn umschloss, bei welcher er sich schon nicht mehr zu erinnern glaubte, wie sie sich eigentlich anfühlte. Solange war ihm schon so kalt zumute, doch hätte man ihn danach gefragt, es wäre ihm erst in jenem Augenblick aufgefallen. Manchmal, so schien es ihm, war diese Kälte ein Teil seines Wesens, ein Teil seiner Welt, ohne die er sich an nichts erinnern konnte, ohne die keine Erinnerung Bestand hatte... Aber auch das war ihm so nicht bewusst... Auf dem Flur, auf welchem er ausstieg, schlug ihm eine feste Geräuschkulisse entgegen und in diesem Augenblick ging auch die Tür auf, nach deren Klinke er gerade greifen wollte und ein junger Mann erschien in seinem Blickfeld. „Kamijo, da bist du ja, ich dachte schon, du hättest verschlafen...“, ertönte die freudige Stimme ebenjenes jungen Mannes, der ihm die Tür geöffnet hatte und während sich Kamijo fragte, ob er denn jemals wieder in der Lage sein würde, zu verschlafen, zog ihn der junge Mann in die Garderobe zu einem Stuhl und schubste ihn in die weiche Lehne. „Du bist ja ganz kalt...“, stellte er vorwurfsvoll fest, bevor er sich umwandte. „He, Kazumi, ist der Tee schon fertig...? Kamijo verwandelt sich gleich in ein Eis am Stiel...“, rief er über seine Schulter hinweg und musterte Kamijo danach wieder stirnrunzelnd. „Wir haben nämlich Tee gemacht, Kazumi und ich...„ Kamijo blickte den Bassisten derweil aus müden Augen an. „Sind schon alle da, Emiru...?“, fragte er mit blauen Lippen und unterdrückte ein weiteres Gähnen, während er mit der linken Hand in seiner Jackentasche nach dem Autoschlüssel tastete, um ihn dann herauszuholen und in der Brusttasche mit Reißverschluss zu verstauen, da es nun schon der dritte seit sechs Monaten war und er ihn nicht schon wieder verlieren wollte. Der junge Mann vor ihm hatte ihn dabei beobachtet und schaute ihm nun strahlend ins Gesicht. „Mayu fehlt noch, aber er kommt bestimmt gleich...“ Mit diesen Worten ließ er seinen kleinen Mund auf und ab hüpfen und drehte sich nun zu Kazumi um, der in diesem Augenblick mit einer Tasse dampfendem Tee neben ihm trat. Er reichte ihn Kamijo, welcher die Tasse wortlos dankend entgegen nahm und hineinsah. Das heiße Wasser schien keinerlei Bröckchen zu beinhalten und dankbar presste Kamijo seine kalten Hände um die warme Keramik. Er wagte es jedoch nicht, zu trinken, denn er fürchtete, sich die Zunge zu verbrennen und das wäre gerade heute eine Katastrophe gewesen. Außerdem hatte er das unbestimmte Gefühl, dass ihm auch nicht warm werden würde, selbst wenn er in der Tasse badete. Emiru hatte derweil begonnen, fröhlich vor sich in zu plappern und Kazumi verzog sich mit einem Buch in eine andere Ecke des Raumes, in dem vier junge Stylistinen herumwuselten, von denen eine über alle Maßen nervös wirkte. Kamijo schloss die Augen und drückte seine Hände enger an die warme Tasse. Dann trank er einen Schluck, während Emiru weiterhin fröhlich plappernd ans Fenster trat und in den Hof hinabschaute. „...wäre gestern Abend gern noch mit Leila spazieren gegangen, aber es war einfach viel zu kalt. Leila und ich haben uns stattdessen einfach ins Wohnzimmer gesetzt und einen Videofilm angeschaut: Aristo Cats. Ich glaube, sie liebt das ebenso sehr wie ich...“ Kamijo hörte dem Bassisten nur mit einem Ohr zu und kurz trat die Frage in sein Bewusstsein, wer Leila denn eigentlich gleich noch mal war. Emiru erzählte zwar seit Tagen von nichts anderem mehr, aber irgendwie schien er vergessen zu haben, zu erwähnen, mit wem er sich denn nun genau Tisch, Bett und Leben teilte. „...ist einfach wundervoll, sie passt zu mir... Nur schade, dass sie nicht mehr lange bleiben wird... Meine Nachbarin kommt heute Nachmittag aus dem Urlaub wieder, ich habe Leila schon heute morgen in ihr Körbchen gesetzt und zu ihr rübergetragen... Und dann haben wir uns ganz traurig verabschiedet... Vielleicht sollte ich mir auch eine Katze besorgen... Es gibt ja sowieso viel zu viele, die nachts allein in der Kälte sitzen und nicht wissen, mit wem sie reden sollen und wer sie streichelt, weil einfach keiner da ist... Was meinst du, Kamijo...?“ Kamijo schreckte auf. Hatte Emiru eben direkt mit ihm gesprochen...? Er hatte gerade überhaupt nicht zugehört, sondern so lange in die bodenlose Teetasse gestarrt, bis er das Gefühl hatte, gleich hinein zu fallen. Doch nun riss ihn Emiru‘s letzte Bemerkung wieder in die Realität zurück. „Was...?“, entfuhr es ihm und Emiru drehte sich zu ihm. „Meinst du, zu mir würde eine passen, Kamijo...?“, fragte der Bassist den blonden Sänger, welcher ihn mit einem verwirrten Blick bedachte. „Eine... was...?“, murmelte er lahm und Emiru zog einen Flunsch. „Na, eine Katze... Du bist wohl doch noch zu müde, oder, Kamijo...? Wie hast du es hierher geschafft ohne am Steuer einzuschlafen und einen Unfall zu bauen...?“, fragte Emiru ein wenig empört, plapperte jedoch gleich wieder munter weiter, als sei nichts geschehen. „Eine Katze... Das wäre so schön... Ich würde ihr jeden Morgen ihr Futter hinstellen und dann könnten wir gemeinsam frühstücken... Tagsüber könnte sie an meinem Sofa herumkratzen oder mit Leila spielen und wenn ich nach hause komme, dann setzen wir uns gemeinsam vor den Fernseher und schauen Aristo Cats und Der gestiefelte Kater... Ach, wie schön wäre das... Findest du nicht auch, Kamijo...?“ Der Angesprochene hatte diesmal zugehört und nickte nun. „Das wäre eine schöne Idee, Emiru-chan... Eine Katze würde ganz ausgezeichnet zu dir passen...“ Emiru strahlte glücklich. „Super, dann gehen wir heute nach der Arbeit zusammen ins Tierheim und suchen ein hübsches Kätzchen für mich aus.... Eins, das auch für mich gemacht ist... Ich werde bestimmt eins erkennen, wenn ich es sehe, es ist ja dann für mich bestimmt, das Kätzchen... Schade, dass es sie nicht auch in rosa gibt... Das wäre doch schön, meinst du nicht auch, Kamijo...?“ Der junge Mann nickte nur abwesend, aber Emiru bekam das gar nicht mit, sondern klatschte begeistert in die Hände - die gute Laune und unterschwellige Nerverei mancher Leute war einfach zu allumfassend und unumstößlich - und verbrachte nun die nächsten zehn Minuten damit, sich lautstark Namen für sein neues Haustier auszudenken, während Kazumi in seinem Buch las und Kamijo, dem noch immer kalt war, sich bemühte, nicht in seine Teetasse zu fallen und dort zu ertrinken... Die Stylistin rümpfte gerade die Nase über Kamijo‘s tiefe Augenringen, als die Tür aufging und der Sänger im Spiegel vor sich Mayu erblicken konnte, der, vollkommen eingeschneit, hereinkam. Emiru blickte als erster auf. „Mayu, kommst du auch schon...“, rief er fröhlich und drehte sich dem Gitarristen zu, ohne auf seine völlig entnervte Stylistin zu achten, welche ihm eigentlich gerade einen Lidstrich ziehen wollte. „Wir dachten schon, du findest es nicht...“, lachte er, während Mayu begann, sich aus seinem Mantel zu schälen. Kamijo beobachtete ihn dabei im Spiegel vor sich, während seine Stylistin gerade den roten Lippenstift auf einen Pinsel strich, um damit die Konturen seiner Lippen anzudeuten. Mayu hatte gerade seinen Mantel abgelegt und stand nun mitten im Raum, ein wenig verloren, wie Kamijo fand. Schnee glänzte in seinen braunen Haaren und auch er sah ein wenig müde aus. Vielleicht kann er nachts auch nicht schlafen, dachte der Sänger, während er Mayu‘s schmale Gestalt im Spiegel beobachtete, in deren Haaren gerade die winterlichen Eiskristalle zu schmelzen begannen. „Weißt du was...?“, plapperte Emiru in diesem Augenblick und sprang aus seinem Stuhl, wobei er seine Stylistin zurückließ, welche sich, wie Kamijo mit einem schnellen Seitenblick feststellen konnte, nun vollends genervt mit zittrigen Händen an den Garderobenstuhl lehnte und für einen Moment die Augen schloss. Emiru trat jedoch, ohne darauf zu achten, zu Mayu und nahm dessen Hände in die seinen, während sich sein fast fertig geschminktes Gesicht vor Freude noch weiter erhellte, als er sogleich von Leila und seinen neuen Haustierplänen zu erzählen begann. „... und nach den Videodreh fahren Kamijo und ich ins Tierheim, um für mich eine Katze auszusuchen... Aber nicht irgendeine, ich will eine Katze, die ganz perfekt zu mir passt und nur für mich gemacht ist... Findest du das nicht auch eine schöne Idee, Mayu...?“ Der Angesprochene nickte, schwieg jedoch. Emiru plapperte denn auch weiter von seinen Adoptionsvorhaben, während er Mayu‘s Hände fest in den seinen hielt und sie vor Freude schwingen ließ. Kamijo beobachtete seine beiden Freunde im Spiegel und es verwunderte ihn mit jeder Sekunde mehr, die Emiru mit Plappern und Mayu mit Starren und Schweigen verbrachte, wie der Gitarrist nur so ruhig bleiben konnte. Die Augen des Sängers hingen an dem schmalen Körper des Gitarristen, welcher zu den richtigen Augenblicken nickte, sonst jedoch nur weiter vor sich hin blickte. Kamijo kam es beinahe so vor, als würde Mayu ganz und gar verdrängen, dass Emiru auf ihn einplapperte und ihm zusetzte. Der Schnee in Mayu‘s Haaren war nun fast vollkommen geschmolzen und hinterließ nasse braune Haare, aber Mayu schien dies gar nicht zu bemerken. Er stand einfach nur da, verloren in der Mitte des Raumes, kühl und wortlos. Kamijo wünschte sich in diesem Augenblick, dass der Gitarrist Emiru einfach mal unterbrechen würde, da der Sänger diesen Anblick plötzlich nicht mehr ertragen konnte. Doch Mayu schwieg weiter und starrte ins Leere. Neben Kamijo erhob sich Kazumi, in der Zwischenzeit komplett fertig geschminkt und auch schon angezogen, aus seinem Stuhl, um sich mit seinem geliebten Buch die letzten Minuten bis zur Kälte mit stillem Lesen zu vertreiben. Falls er bei Emiru‘s freudiger Geräuschkulisse überhaupt die nötige Konzentration dafür aufbringen würde. Kamijo beobachtete den Gitarristen noch immer und fragte sich gerade, warum sie diesen Dreh ausgerechnet an so einem kalten Tag in leichten Kleidern und auch noch draußen hinter sich bringen mussten, als Emiru ihn mit seinem hellen Lachen kurzzeitig aus dem Grübeln riss. „... und dann werde ich sie füttern und mit ihr Filme anschauen... Am liebsten Disneyfilme...“ Kamijo versank wieder in seiner Grübellei. Das hatte er vor einer halben Stunde schon mal von Emiru gehört. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Mayu. Der Gitarrist stand noch immer wie zur Salzsäule erstarrt und blickte aus müden Augen an Emiru vorbei auf keinen bestimmten Punkt. Kamijo wünschte sich abermals, der Gitarrist möge Emiru einfach unterbrechen, anstatt einfach nur dazustehen und nichts zu tun und Kamijo erwischte sich dabei, wie Mayu ihm plötzlich leid tat. Der Gitarrist wohnte allein in der Nähe des Studios, in dessen Aussenhof sie ihr neustes Video drehen wollten. Soweit Kamijo wusste, hatte er keine Freundin, die auf ihn warten würde, wenn er heute Abend vollkommen fertig mit den Nerven und zu Tode geschafft nach Hause kommen würde, um sich in die Arme einer Person fallen zu lassen, die ihre Wärme und ein Lächeln nur für ihn aufbewahrt hatte. Niemand schien jemals auf Mayu zu warten, aber so genau wusste Kamijo das auch nicht. Er war in diesem Augenblick nur sehr froh darüber, das Ayako zuhause für ihn da sein würde, wenn er, durchgefroren und hundemüde, nicht dass er das jetzt schon nicht auch wäre, nach hause kam und sich einfach nur von ihrer Wärme einlullen lassen wollte. Kamijo stellte sich das Gesicht der jungen Frau vor, mit welcher er seit etwa drei Monaten zusammen war. Sein Typ war sie eigentlich nicht. Ayako war eher von zierlicher Gestalt, hatte kleine runde, fast schwarze Augen und kurzes Haar. Eigentlich genau das Gegenteil von Kamijo‘s Frauengeschmack, weshalb er es sich nicht nehmen ließ, hin und wieder nach anderen zu suchen und diese auch zu finden, aber Ayako hatte sich in dieser Hinsicht als sehr angenehm erwiesen. Sie bekam seine Affären erst gar nicht mit und wenn doch, dann schien sie niemals eifersüchtig zu sein. Sie machte ihm keine Szene, wenn er sich tagelang nicht meldete, sie war gut im Bett und gab ihm alle nötigen Freiheiten. Nur eins vermisste er und das war das Gefühl, nicht allein zu sein. Generell sprach sie nicht viel, eigentlich kaum, aber wenn sie dann doch mal den Mund aufmachte, hörte Kamijo immer weg. Nein, Gespräche konnte er mit Ayako nun nicht führen, aber das war ihm egal, solange sie ihm das gab, was er zur Zeit am Nötigsten brauchte: Wärme und Befriedigung... Emiru hatte die ganze Zeit über munter weiter geplappert, hatte über Disney-Filme philosophiert und alle aufgezählt, die auch nur im Entferntesten etwas mit Katzen zu tun hatten. „... und dann mache ich ihr morgens Frühstück und wir können uns gemeinsam Aristo Cats anschauen und...“ An dieser Stelle verdrehte Mayu die Augen. „Emiru, das sagst du jetzt schon zum vierten mal... Ich glaube, du wirst langsam alt...“, unterbrach er ihn kalt und befreite sich aus Emiru‘s Griff. Er ließ den Bassisten stehen und wandte sich zu Kazumi‘s freigewordenem Stuhl. Emiru schnappte nach Luft ob der Beleidigung und empörte sich im nächsten Augenblick brüsk. „Alt...? Wer wird hier alt...? Ich ganz bestimmt nicht...“, rief er Mayu hinterher, welcher sich gerade in Kazumi‘s Stuhl gleiten ließ und Kamijo ein Nicken schenkte. „Du siehst ja wohl mal viel älter aus als ich... Du mit deinen Augenringen... Hast du schon mal in den Spiegel geschaut...?“ Kamijo warf Mayu ein mitleidiges Lächeln zu, was dieser ignorierte, während Kazumi‘s Stylistin ihm einen Umhang um die Schultern legte. Emiru lief derweil wieder zu seinem Stuhl und ließ sich von seiner Stylistin fertig schminken und ins Kleid verhelfen. Dabei murmelte er immer wieder die gleichen Beschimpfungen über Mayu‘s Beleidigung, die er ihm ja niemals zugetraut hätte und die Gemeinheit, dass Mayu so schamlos lügen musste. Endlich war jedoch das Kleid angezogen, das Make-up perfekt und Emiru baute sich hinter Mayu auf, um dessen Spiegelbild anzustarren. „Jetzt sehe ich wieder wie ein hübsches kleines Mädchen aus, so...“, schmollte er, bevor er Mayu die Zunge rausstreckte und sich zu Kazumi wandte, welcher von der ganzen Diskussion anscheinend gar nichts mitbekommen hatte, sondern nur selig in seinem Buch las. Kamijo beneidete ihn geradezu um diese Unwissenheit, denn er würde es wohl hauptsächlich sein, der Emiru‘s zutiefst gekränkten Stolz nachher wieder aufbauen musste. Der Bassist ergriff jedoch zu dessen Erstaunen Kazumi am Ärmel. „Komm Kazumi, wir gehen noch eine rauchen und lassen den gemeinen Herrn mit seinen Augenringen und seiner Midlife crisis allein...“ Mit erhobenem Haupt stolzierte der Bassist auf die Tür zu und zog einen unwissenden Kazumi hinter sich her, welcher gerade noch sein Buch auf den Tisch hatte fallen lassen können, bevor der rosa Bassist ihm aus der Tür buxiert hatte, die geräuschvoll ins Schloss zurück fiel. Mayu seufzte und richtete seine volle Aufmerksamkeit nun auf sein eigenes Spiegelbild. Kamijo warf ihm einen Blick zu, schwieg jedoch und schloss die Augen, als seine Stilistin ihm den Lidschatten auflegte. Ihm war noch immer nicht gerade warm, trotz Tee, und er wünschte sich angesichts des verheißungswürdig sehr kalten Tages, welcher ihm nun unmittelbar bevorstand, dass er vorhin doch in die Tasse gefallen und dort lautlos ertrunken wäre... „Mmh...“, machte Mayu‘s Stilistin eine gute viertel Stunde später und stemmte die Hände in die Hüften. „Mayu-san, Sie müssen unbedingt was gegen ihre trockene Haut tun...“, sagte sie und verzog den Mund. „Es wird langsam sehr schwer, das alles abzudecken, das Puder bildet schon Bröckchen auf Ihren Wangen...“, fügte sie hinzu und wischte Mayu die Puderbröckchen aus dem Gesicht; dann trug sie noch eine weitere Creme auf seine Wangen auf. Der Gitarrist starrte weiter reglos in den Spiegel. „Sagen Sie doch gleich, dass Sie unfähig sind...“, erwiderte er tonlos und warf ihr einen Blick zu. „Dann suche ich mir eine neue, von Ihrer Sorte gibt es ja zu viele, die das besser können als Sie...“, sagte er bissig. Trotzdem schaffte er es, seiner Stimme keinen anklagenden Ton zu verleihen, sondern mit einer Ruhe zu sprechen, die Kamijo mit einiger Verblüffung registrierte. Die Stilistin jedoch ließ die Cremedose fallen und wäre beinahe in Tränen ausgebrochen. „Wa... warten Sie, ich... hab... das nicht so gemeint... Ich wollte doch nur...“, stotterte sie und ihre braunen Augen füllten sich mit Tränen, von denen ihr einige auch sogleich über die Wangen liefen. Mayu zeigte sich jedoch gänzlich unbeeindruckt. „Na los, verschwinden Sie, Yoko wird mein Make-up richten... Gehen Sie raus zu ihr und holen Sie sie her...“ Damit wandte er sich wieder seinem Spiegelbild zu und schwieg. Das Mädchen hatte nun vollkommen angefangen zu weinen und zitterte am ganzen Körper. Kamijo und seine Stilistin, die gerade das letzte Rouge auf Kamijo‘s Wangen verteilten, starrten Mayu an, und als der Sänger sich gerade an das Mädchen wenden wollte, lief sie davon. Kamijo blickte ihr nach, dann erhob er sich. „Was sollte das denn...?“, verlangte er von Mayu zu wissen. „Du weiß doch, dass es ihr erster Tag ist... Du hättest sie nicht so anpflaumen sollen...“ Mit diesen Worten verließ er den Raum, um nach dem Mädchen zu suchen, welches er eben noch um die Ecke verschwinden sah. Emiru‘s Stilistin Yoko trat auf ihn zu und erkundigte sich, was passiert sei. „Ach, Mayu hat nur schlechte Laune und hat sie an ihr ausgelassen... Würden Sie so nett sein und sein Make-up fertig machen...? Wir sind eh schon spät dran...“ Sie nickte und verschwand, während Kamijo dem jungen Mädchen hinterher lief, sie auch schließlich einholte und sie beruhigte, dass man sie nicht feuern würde. Währenddessen hatte Mayu seine Puderquaste vom Tisch gefegt, sodass Yoko diese nun nicht mehr verwenden konnte und Mayu‘s Gesicht stattdessen mit einem Abdeckstift fertig schminken musste, der seiner trockenen Haut den Anschein von wächserner Festigkeit verlieh... to be continued... ********************* stay tuned for the next crime... Kapitel 2: 02 ~ how to feel warm -------------------------------- ni ~ 02 how to feel warm Der Videodreh im winterlichen Hof des Aufnahmestudios, in dem keiner der Band jemals vorher gewesen war, zog sich schier endlos hin. Kamijo verbrachte den ganzen Tag in einer Art Dämmerzustand und vertrieb sich die Zeit damit, in seinen Pausen immer wieder nach heißem Tee zu verlangen, den auch zu bekommen und gedankenlos hinunter zu trinken. Immer mehr und mehr trank er, aber warm wurde ihm deswegen auch nicht. Emiru schien der Gedanke an sein neues Haustier die nötige Energie zu geben um durchzuhalten und Kazumi schaffte es mit seiner Leichtigkeit gegenüber Dingen, die einfach getan werden mussten. Mayu jedoch... war einfach nur da. Er stand, wo er stehen sollte, tat, was angebracht war und schien sonst wenig Anteil an allem zu nehmen. Auch sah Kamijo ihm nie mit Mantel oder Decke bekleidet; ganz so, als würde er so tief in sich versunken sein, dass er gar nicht mitbekam, wie er an der kalten Luft langsam erfror. Mayu‘s Soloszenen waren trotz dessen als erste fertig, aber generell sollten an diesem Tag nur Soloszenen für das neue Lareine-PV gedreht werden; alles andere würde dann am folgenden Tag ablaufen. Kamijo stand mit seinem Tee in der Hand und einer Decke um die Schultern halbwegs windgeschützt hinter einem künstlichen Mauervorsprung, als Mayu sich zum Gehen fertig machte. Er würde noch einmal hoch gehen, sich umziehen und seine Sachen holen, dann wäre er weg. Kamijo verspürte plötzlich den Drang, mit ihm zu sprechen und schritt auf ihn zu. „Hey, bist du schon fertig...?“, fragte er lahm und versuchte dies mit einem Grinsen zu kaschieren. Mayu blickte ihn kurz an, dann nickte er. „Etto...“, sprach der Blonde weiter. „Was machst du heute Abend...? Ich wollte noch was trinken gehen, magst du nicht mitkommen...?“ Kamijo schenkte dem Gitarristen ein Lächeln, während er auf dessen Antwort wartete. Ja, die Idee mit Mayu einfach noch was trinken zu gehen gefiel ihm plötzlich sehr gut. Warum war er nicht schon früher darauf gekommen? Vielleicht könnten sie dann endlich mal wieder miteinander sprechen, dazu hatten sie in letzter Zeit wenig Gelegenheit gehabt, vielleicht könnten sie ein paar Mädchen anquatschen und mitnehmen und vielleicht könnte Kamijo herausfinden, weshalb Mayu in letzter Zeit so schweigsam war und sich so leicht aufregte... „Geh du mal lieber mit Emiru Katzen kaufen, da hast du mehr von...“, antwortete Mayu jedoch nach einigen Sekunden und ließ Kamijo ein wenig verdutzt stehen, bis dem einfiel, dass er ja wirklich noch was anderes vorhatte. Sich leise verfluchend, blickte er Mayu nach, der jedoch war schon außer Hörweite, als ihm endlich einfiel, was er darauf hätte sagen können... Der Sänger wenig später durch die leeren Flure der sechsten Etage auf der Suche nach einer Toilette. Er hatte dann doch irgendwann sein Maximum an Tee erreicht und um eine kurze Pause gebeten, zumal es auch wieder angefangen hatte zu schneien und er wirklich jämmerlich gezittert hatte. Also war eine Pause eingelegt worden; Kazumi und Emiru hatten sich sofort in den Cateringbereich zurückgezogen, Mayu war ja bereits gegangen und Kamijo nutzte seine Chance auch gleich und war losgerannt. Hier irgendwo musste es auch sein, hatte man ihm gesagt und als er um die nächste Ecke bog, erblickte er auch endlich das verheißungsvolle Schild, welches ihm verkündete, dass der Druck in seinem Bauch bald nachlassen würde. Er öffnete die Tür und stiefelte in die nächste Kabine, befreite sich aus seinem umständlichen Klamotten schloss die Augen. Dass Toiletten so schön sein konnten. Auch war es nicht so kalt in dem Raum, der angenehm nach Zitrone roch und Kamijo fühlte sich plötzlich sehr angenehm lethargisch. Er wollte gerade die Kabine wieder verlassen, als er Schritte hörte und eine Tür zuklappen. Neben ihm schienen noch weitere Personen zuviel Warmes getrunken zu haben. Kamijo horchte auf und wollte eben aus der Tür treten, als er ein Schluchzen vernahm. Ganz kurz erklang es zwar nur, aber Kamijo hielt sofort inne. Er wusste nicht, wer diese Person da draußen war, oder ob er sich nicht gerade verhört hatte, aber jetzt rausgehen wollte er plötzlich auch nicht mehr. Also blieb er stehen und horchte weiter als eine Stimme erklang: „Kalt...“, murmelte diese, dann wurde der Wasserhahn aufgedreht. „Aber gleich...“ Kamijo kannte diesen Flüsterton, hatte ihn schon gehört, aber durch die Geräusche des Wassers konnte er nicht genau zuordnen, wo er diese Stimme schon einmal gehört hatte. Einen kurzen Augenblick wunderte er sich noch, als plötzlich ein langezogener Seufzer erklang. „Mmmh...“ Kamijo grinste. Da wärmte sich wohl gerade jemand die Hände im warmen Wasser. Genau das würde er jetzt auch tun. Er öffnete endlich die Tür und trat heraus, ging um die Ecke zu den Waschbecken und hätte am liebsten gepfiffen bei dem Gedanken an einen warmen Wasserstrahl auf seinen kalten Händen, als er Mayu erblickte, welcher, nun wieder abgeschminkt und im Wintermantel, vor einem der Waschbecken stand. Wasserdampf stieg aus diesem Becken auf und kondensierte am Spiegel darüber. Kamijo näherte sich Mayu, der ihn noch nicht bemerkt hatte und wollte ihn gerade ansprechen, als Mayu zu ächzen begann und seinen Kopf in Kamijo‘s Richtung drehte. Seine Augen waren krampfhaft geschlossen, seine Hände noch immer unter dem Wasserstrahl, seine Arme bis hinauf zum Ellenbogen in Dampf gehüllt, als Kamijo erkannte, dass das Wasser aus dem Hahn kochendheiß sein musste. „Mayu...“, rief er und stürzte sich auf den Gitarristen, packte ihn am Kragen seines Mantels und zog ihn vom Waschbecken weg. Mayu bekam das alles fast nicht mit; er spürte nur plötzlich einen Ruck an seinem Hals und dann seine schmerzenden Hände. Er öffnete im nächsten Moment die Augen... Und erblickte Kamijo, welcher ihn anblickte. „Mayu, Herrgott noch mal, das Wasser ist kochendheiß.... Willst du dir die Hände verbrennen, bist du wahnsinnig...? Pass doch auf...“ Der Gitarrist starrte ihn jedoch nur an. Kamijo hielt ihn noch immer am Kragen gepackt hielt und begutachtete nun Mayu‘s Hände. „Die sind ja ganz rot...“, stellte er kopfschüttelnd fest und strich sanft über die heiße Haut des Gitarristen, welcher ihn einfach nur anstarrte. Bevor Kamijo jedoch erneut die Stimme erheben konnte, war Mayu wieder zu sich gekommen und entzog ihm nun seine Hände und steckte sie in die Manteltasche. „Hey, was... was sollte das denn grad bitte...?“, erkundigte sich der Sänger und sah Mayu nun direkt in die Augen. „Willst du dir wehtun oder wie...? Mann, sich einfach so die Hände zu verbrennen... Baka... Am besten du hältst sie noch mal unter kaltes Wasser, dann tuts auch nicht mehr so weh...“ Kamijo war zum Becken geschritten, drehte nun den immer noch laufenden Wasserhahn zu und machte sich nun daran, den nächsten aufzudrehen, damit Mayu seine lädierten Hände darunter halten konnte, als der sich plötzlich zu Wort meldete. „Ich wäre sowieso nicht mit dir weggegangen, da bin ich lieber den Abend alleine...“, sagte er und drehte sich im nächsten Augenblick um und stürmte aus der Tür. Kamijo konnte ihm, vor Überraschung keines einzigen Wortes fähig, nur noch hinterschauen. Die Tür schlug ins Schloss und Kamijo war wieder allein; das kalte Wasser aus dem Hahn lief noch... Der Sänger beschloss, Emiru und Kazumi nichts von seinem Treffen mit Mayu auf der Toilette und dessen seltsamen Verhalten zu erzählen. Stattdessen schlich er wieder hinunter auf den Hof, um dort festzustellen, dass der weitere Dreh für diesen Nachmittag abgesagt worden war; es schneite einfach viel zu sehr und sie brauchten einen blauen Winterhimmel. Also konnte Kamijo wieder in die warme Garderobe zurück, noch einen Tee trinken und sich dann mit Emiru auf den Weg zum Tierheim zu machen. „Das hattest du wohl geplant, ne...“, erwiderte der Sänger, als Emiru ihm erzählte, dass er nicht mit dem Auto, sondern mit der U-Bahn gekommen war. Der Bassist streckte ihm die Zunge raus. „Gar nicht... Aber ich hatte gehofft, du fährst mich nach hause...“ Kamijo blieb demnach nichts anderes übrig. Aber sein Nachmittag wurde deshalb nicht besser. Nach fast einer Stunde im Stau kamen sie endlich am Tierheim an, nur, um festzustellen, dass es geschlossen war. „Wir sind umgezogen. Besuchen Sie uns doch einfach in unserem neuen Zuhause.“, stand in verschmierter und nasser Schrift auf dem Schild an der Eingangstür. „Das ist ja so gemein...“, beschwerte sich Emiru schmollend. „Mit wem soll ich den heute Abend kuscheln...?“ Sein Blick fiel auf Kamijo. „Kann ich nicht noch mit zu dir kommen...?“, fragte er denn auch gleich. „Wir könnten noch was zu essen holen und es uns vor dem Fernseher gemütlich machen...“ Emiru strahlte bei diesen Worten, während Kamijo ihn einfach nur ansah. Nicht auch das noch... „Ähm... Nee, Emiru, das geht heute Abend wirklich nicht...“, antwortete er und hoffte, Emiru würde ihm diese Absage nicht übel nehmen. „Aber ich kann echt nicht mehr, ich bin einfach zu müde... Ich würde nach zwei Minuten eingeschlafen sein und du müsstest deinen Film dann doch allein schauen...“ Der Bassist blickte ihn an und zog eine Schnute. „Du willst mich ja nur nicht haben...“, murrte er. Kamijo überlegte fieberhaft, wie er die Wogen jetzt noch glätten konnte. Dass der Bassist aber auch immer gleich vom Schlimmsten ausgehen musste. „Das stimmt doch gar nicht und das weißt du... Vielleicht ein andermal, okay... Geh doch zu deiner Nachbarin, sie ist doch bestimmt wieder da... Dann könnt ihr zusammen über Leila sprechen und vielleicht hat sie noch n paar Tipps für Katzenhaltung für dich...“ Dieser Vorschlag stimmte Emiru gnädig und er lächelte Kamijo an. „Das ist eine gute Idee... Dann fahr mich nach Hause...“ Es dauerte weitere anderthalb Stunden, bis Kamijo endlich den Schlüssel in sein Türschloss stecken, die Tür öffnen und in den Flur fallen konnte. Er fühlte sich müde, beinahe erschlagen und wie nach einem Marathonlauf mit mindestens zwanzig Kilo Gepäck auf dem Rücken, dass von Katzen sprach und sich die Hände verbrühte. Kamijo musste beinahe grinsen bei diesem Vergleich. Heute war aber auch ein merkwürdiger Tag gewesen. Emiru konnte man ja noch verkraften; der Bassist war zwar ziemlich quenglig in letzter Zeit, aber immer noch da, wenn er gebraucht wurde und dann mit Feuereifer dabei. Mit Kazumi hatte Kamijo niemals wirklich Schwierigkeiten gehabt, mal abgesehen von der Zeit, als der große Braunhaarige zu ihnen als Drummer gekommen war und ständig Angst hatte, irgendetwas falsch zu machen. Kamijo hatte ihn immer wieder beruhigt und auch ihr Management hatte sich zufrieden mit Kazumi gezeigt. Der Drummer war dann ruhiger geworden und inzwischen schätzte Kamijo ihn gerade wegen seinem ruhigen, starken Wesen und seiner Leichtigkeit, mit Stress fertig zu werden. Er war wirklich dankbar dafür, dass Kazumi da war, auch, wenn sie nicht diese enge Freundschaft teilten, welche Kamijo einst mit Machi verband oder mit Mayu... Und da war er wieder, der Gedanke an Mayu. Kamijo hatte während der ganzen Fahrt von Emiru‘s Wohnung bis zu seiner eigenen nachgedacht, aber so wirklich erklären konnte er sich das mit dem Wasser nicht und er glaubte auch nicht dass es ein Versehen gewesen war. Zugegeben, Mayu hatte schon immer seltsam unpassende Dinge getan, wie zum Beispiel auf Pressekonferenzen zum Fenster hinauszuschauen oder Nudeln mit Apfelmus zu essen oder seine Fanpost gleich zu beantworten. Aber in letzter Zeit war er noch merkwürdiger als sonst und auch seltsam gereizt... Kamijo wusste aber auch jetzt noch nicht, was genau mit dem stillen Gitarristen los war. Er schob deshalb die Gedanken an ihn beiseite, schnürte seine Schuhe auf, warf sie in die Ecke und freute sich auf Ayako. Er rief ihren Namen. Sie jedoch antwortete nicht. Er rief noch einmal, aber wieder blieb alles still. „Wo ist sie denn...?“, fragte sich der blonde Sänger und schritt ins Wohnzimmer. Es war leer, aber auf dem Tisch befand sich ein Zettel. „Du bist bestimmt zu nichts mehr zu gebrauchen, wenn du kommst, also bin ich mit Sachiko ausgegangen. Warte nicht auf mich. Ayako“ Kamijo ließ den Zettel sinken und begrub seine Träume von seligem Vergessen in Ayako‘s warmen Umarmungen. Stattdessen stand ihm ein Abend allein ins Haus und niemand, mit dem er reden konnte. Nicht dass er das mit Ayako wirklich konnte, aber sie würde wenigstens zuhören und an den richtigen Stellen nicken. Hoffentlich würde er wenigstens heute Nacht wieder einmal richtig schlafen können... Kamijo schlich in die Küche und öffnete gerade den Kühlschrank, als das Telefon klingelte. „Mmh...“, meldete er sich. „Mann, du klingst ja fast wie tot...“, schallte es ihm von der anderen Seite der Verbindung entgegen. Kamijo schloss erleichtert die Augen, als er Sanaka‘s Stimme erkannte. Einen kurzen Augenblick hatte er gefürchtet, es wäre Emiru, dessen Nachbarin nicht da war. Aber es war Sanaka, den Kamijo schon eine Weile weder gesehen noch gehört hatte... „Sanaka... Ich bin so froh, dass du es bist...“ Der andere lachte. „Und du wirst gleich noch viel froher sein, denn ich stehe hier unten vor deiner Haustür... Lässt du mich rein, ich hab auch was zu essen dabei...“ Kamijo blickte auf und in diesem Augenblick knurrte auch sein Magen. Er ging zum Fenster, den Hörer noch immer in der Hand, da das Kabel lang genug war, und schaute hinaus. Unten vor der Tür des Apartmentblocks stand eine Gestalt mit eingeschneitem Haar und winkte zu ihm hinauf; neben ihr am Boden stand ein Plastikbeutel. Kamijo lächelte. „Natürlich... Komm rauf...“ Der Sänger legte auf, ging zum Sprechfunk an seiner Tür und drückte den Knopf... Er konnte Sanaka im sonst so stillen Hausflur hören, als der die Treppe hinaufeilte und als ihm der junge Mann mit den nassen Haaren endlich an der Tür um den Hals fiel und ihn an sich zog, fühlte er sich plötzlich sehr glücklich und eine Wärme breitete sich in ihm aus, die er im ersten Augenblick nicht verstehen konnte. Sanaka küsste Kamijo innig auf den Mund, bevor er sich von dem Blonden in dessen Wohnung ziehen ließ. „Ich wette, du hast nichts verändert, seit ich das letzte Mal hier war, nicht...?“ Sanaka kniff ihm ein Auge und grinste breit. „Wie heißt deine derzeitige Freundin...? Ich hoffe, sie ist nicht da...“ Kamijo tat überrascht, hatte diese Frage allerdings schon an der Haustür erwartet; Sanaka wusste schließlich von Kamijo‘s Eigenheit, sich immer gerade dann eine neue Freundin zu suchen, wenn es kalt wurde. „Ayako... Und nein, sie ist nicht da...“, antwortete er deshalb gespielt empört. Der braunhaarige Sänger lachte hell auf. „Wusste ichs doch... Du kannst mir nie was vormachen... Aber umso besser, ich hatte gehofft, du wärst allein...“ Mit diesen Worten nahm er Kamijo nochmals in seine Arme und strich ihm sanft über den Rücken. Der blonde Mann genoss diese Berührungen ungehalten und fuhr mit seinen schlanken Fingern die Wirbelsäule des anderen nach, was den zum Schnurren brachte. „Das solltest du besser lassen, sonst schleif ich dich gleich auf die nächste Couch und dann gnade dir Gott...“, murmelte Sanaka halb grinsen, halb schnurrend und löste sich abermals von Kamijo, um nach dem Plastikbeutel zu greifen, der noch immer im Flur stand. „Erstmal hab ich Hunger auf Nudeln...“ Mit einem Lachen folgte er Kamijo in die Küche... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ Auf Mayu, wartete wie sonst auch, niemand. Aber dies genaue Wissen, dass wirklich niemand da war, wenn er nach Hause kam, beruhigte ihn irgendwie, obwohl er noch nie genau darüber nachgedacht hatte. Aber so erlebte er wenigstens auch keine Überraschungen. Er zog seine Schuhe im Flur aus uns stellte sie auf eine Filzmatte, denn sie waren durch den Schnee draußen und den langen Weg vom Auto zur Haustür durchgeweicht und Mayu rieb sich mit seinen eiskalten Händen über die Knöchel, um beides ein wenig wärmer zu bekommen. Dann ging er ins Badezimmer, schob den Duschvorhang zur Seite und drehte das Wasser in der Badewanne an. Geräuschvoll strömte es aus den Leitungen. Der junge Gitarrist zog sich schweigend in der Stille des Zimmers aus. Eigentlich hatte er, als er aus dem Auto gestiegen war, mit dem Gedanken gespielt, einfach mal das Radio laufen zu lassen, während er eine heißes Bad genoss. Aber jetzt war ihm einfach nicht mehr danach, Stimmen zu hören, deren Reden er nicht kontrollieren konnte. Außerdem waren diese Stimmen körperlos. Mayu fröstelte bei den Gedanken an die körperlosen Stimmen in seinen Träumen; vor allem in der letzten Nacht hatten sie ihm wieder stark zugesetzt. Selbst unter all dem Make-up heute hatte man die Ringe um seine Augen sehen können. Still und leise hoffte er, der Film für das neue Lareine-Video würde später so stark belichtet sein, dass man das nicht sehen würde. Er streifte sich die nassen Sachen, draußen schneite und stürmte es inzwischen immer heftiger, vom Körper, griff nach dem Badeöl und schüttete es in die Wanne; dann stieg er ins warme Wasser und schloss entspannt die Augen. Nach wenigen Augenblicken schloss er den Wasserhahn und lehnte sich zurück. Seine Hände schmerzen etwas, als er sie ins Wasser tauchte, aber dann überkam ihn eine willkommene Müdigkeit und nach ein paar Minuten war er in der Wanne eingeschlafen... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ „Und dann stolperte 4ge über den Verstärker und fiel von der Bühne in den Graben...“, lachte Sanaka und griff nach seinem Weinglas, welches vor ihm auf dem Tisch stand. Kamijo beobachtete ihn dabei und grinste. Beide saßen sie in Kamijo‘s Wohnzimmer; es war inzwischen weit nach Mitternacht, aber die beiden Sänger hatten jegliches Zeitgefühl schon verloren. Kamijo hatte ein Bad genommen nach dem Essen, während Sanaka zuerst das Geschirr in der kleinen Küche abgewaschen und sich dann vor den Fernseher gesetzt hatte, um dort auf Kamijo zu warten, welcher, mit einem Handtuch um die Hüften drapiert, mit seinem nassen, kinnlangen, blonden Haar aus dem Bad kam und sich zu ihm auf die Couch setzte, wobei er den jungen Braunhaarigen erst einmal ordentlich mit Wasser bespritzt hatte. Sanaka hatte vor Schreck aufgeschrien, dann aber nach dem Blonden gegriffen und ihn in ein Gerangel verwickelt. Lachend hatte Kamijo um Gnade gefleht, die der andere ihm schließlich unter der Bedingung, dass über Nacht bleiben konnte, gewährt hatte. So läuft das irgendwie immer, hatte sank gedacht, dies dann aber nicht weiter beachtet. Nun saßen sie schon seit Stunden auf der Couch und erzählten von Vergangenem, ihren Bands und was sie generell gerade so taten. Ein ganz normales Freundschaftsgespräch, wie Kamijo fand und er zog sich nun die Wolldecke, die er sich geholt hatte, enger um die Schultern. Er fror etwas, aber wollte nicht aufstehen, um sich anzuziehen, da er Sanaka nicht unterbrechen wollte. „Und was habt ihr getan...?“, wollte er wissen und räkelte sich unter der Decke, da seine Glieder vom langen Sitzen langsam taub wurden. Sanaka schenkte ihm ein Lächeln und stellte sein Rotweinglas wieder zurück auf den Tisch. „Naja, was wohl...? Weitergespielt... 4ge wurde aus dem Graben gesammelt und zurück auf die Bühne gestellt... Aber das hättest du sehen sollen... Ich wette, so was würde Mayu zum Beispiel nicht passieren... Wo wir gerade von ihm sprechen; wie geht’s ihm denn...? Sonst erzählst du immer so viel von ihm dass ich denken müsste, ihr hättet da was und heute schweigst du dich aus...“ Kamijo schaute seinen Freund an und beide wussten, dass der Abend vorbei war. „Ich möchte auch nicht darüber sprechen, Sanaka...“, antwortete Kamijo nach wenigen Augenblicken leise aber bestimmend. „Und außerdem ist mir kalt, ich hole mir schnell...“ Aber der Blonde vermochte nicht, seinen Satz zu beenden. Sanaka war plötzlich nahe an ihn herangerutscht und legte ihm nun seinen Arm um die Schultern. „Du musst nicht darüber sprechen, wenn du nicht willst...“, hauchte er ihm ins Ohr. „Denn ich will es grad auch nicht hören...“ Seine Hände glitten langsam unter die Decke, strichen über Kamijo‘s warme Haut, entblößten diese und blieben in seinem Haar hängen. Sanaka betrachtete den jungen Mann vor sich, der nun nackt und frierend vor ihm auf der Couch saß. Dann küsste er ihn und Kamijo ließ sich sanft in seine Umarmung gleiten. Sanaka küsste ihn abermals, ließ seine Zunge in seinen Mund gleiten und strich ihm leidenschaftlich über den Körper, berührte ihn überall. „Schlaf mit mir...“, hauchte er dem Blonden ins Ohr, dann, ohne eine Antwort abzuwarten, zog er ihn von der Couch und ließ seine Decke liegen. Er küsste ihn auf die Wange, beugte sich dann vor und biss ihm in den Hals. Kamijo fühlte, wie seine Knie weich wurden und Mayu aus seinem Kopf verschwand. Dann spürte er nur noch, wie Sanaka ihn langsam vor sich herschob. In seinem Schlafzimmer angekommen, begann Sanaka, sich auszuziehen. Kamijo beobachtete ihn dabei, dann griff nach seinen Händen. Einen Augenblick schaute er ihm direkt in die Augen, dann schob er ihm die Hose herunter und beide stolperten zum Bett. Sanaka‘s Hände waren plötzlich überall und Kamijo wusste nicht, worauf er sich zuerst konzentrieren sollte. Als der andere jedoch auf ihm lag und er dessen weiche Haut an seiner eigenen spüren konnte und ihm erneut in die Augen blickte, strich ihm der andere mit der Hand sanft über die Wange. „Heute Nacht gehörst du mir... Und zwar nur mir...“ Sanaka küsste ihn wieder und Kamijo fühlte eine angenehme Wärme in sich aufsteigen, als er die Hand des anderen zwischen seinen Beinen spürte und sank in sein lang ersehntes seliges Vergessen... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ Mayu hustete als Wasser in seine Lungen kam und schreckte aus seinem Schlaf. Er fror plötzlich jämmerlich und die Wassertropfen, welche er eingeatmet hatte, brannten in seiner Brust. Abermals musste der junge Gitarrist husten, sosehr, dass ihm Tränen in die Augen schossen. Fluchtartig verließ er die Wanne und griff zu einem Handtuch, während der Hustenreiz weiter anhielt. Mayu würgte und beugte sich nach vorn, ließ sich dann auf die Knie sinken. Um Atem ringend drückte er die Hände an den Oberkörper. Von seinen nassen Haaren tropfte das Wasser, aber das kümmerte ihn nicht, er bemerkte es fast nicht. Denn plötzlich hatte er alle Mühe, gegen seine Tränen zu kämpfen, die ihm nun ungehalten über die Wangen liefen. Er schluchzte, noch immer am Boden kauernd. Dann, als der Husten nachließ, wischte sich mit einer fahrigen Hand über das Gesicht, trocknete sich zitternd ab und verließ das Bad, um ins Schlafzimmer zu stolpern und sich in seinem Bett zu verkriechen, die warme Decke beschützend um ihn geschlungen, während er den Tränen freien Lauf gewähren musste... to be continued... *********************************** stay tuned for the next crime... Kapitel 3: 03 ~ Der verlorene Schlüssel --------------------------------------- san ~ 03 Der verlorene Schlüssel Am nächsten Abend war das Video endlich im Kasten und Kamijo atmete erleichtert auf, als er in der Garderobe saß und seine Schuhe zuknotete. Wieder einmal hatte er zuviel warmen Tee getrunken, war auf die Toilette gerannt, nur um unterbewusst auf Mayu zu hoffen, der aber nicht kam und wieder einmal hatte er sich Minuten später gewünscht, in seiner Tasse einfach nur sang- und klanglos ertrinken zu können. Denn der Dreh hatte sich für ihn als äußerst unangenehm erwiesen. Nachdem er am Morgen nach Sanaka‘s unangemeldetem Besuch aus seiner Wohnung gestolpert war, um es wenigstens noch halbwegs rechtzeitig zum Dreh zu schaffen, hatte es einen schweren Schneesturm gegeben. Einen, den es, laut Wetterbericht, seit fast 100 Jahren nicht mehr gegeben hatte. Kamijo war also zu seinem Auto gerutscht, denn die Straßen waren aufgrund der extrem kalten Temperaturen der letzten Nacht zugefroren gewesen. Außerdem musste unter der Straße, in der er wohnte, ein Wasserrohr geplatzt sein. Der Asphalt war an einigen Stellen aufgebrochen und der blonde Sänger hatte es beinahe nicht geschafft, überhaupt aus der Parklücke zu kommen. Dann war er unterwegs gewesen und wieder fühlte er sich entsetzlich eingefroren und begann zu allem Überfluss auch noch zu Husten an. Endlich am Studio angelangt, wofür er diesmal fast eine Stunde länger als am Tag zuvor gebraucht hatte, war er so vollkommen mit den Nerven fertig gewesen, dass er seinen Autoschlüssel entgegen seiner Gewohnheit einfach nur in die Jackentasche buxiert und sein Handy im Auto liegen gelassen hatte. Letzteres war ihm allerdings erst später aufgefallen, als er es suchte, um eine Mail an Ayako zu schreiben und sie zu fragen, ob sie an diesem Abend zuhause sei. Wenigstens wurden nun die Innenaufnahmen des Videoclips gedreht, obwohl diese sich als nicht wesentlich wärmer für Kamijo herausstellten, da er in einer Szene fast nichts am Körper trug und sich gerade hier die Technik verabschiedete. Zitternd in eine Decke gehüllt, hatte er eine halbe Stunde rumgesessen und Emiru‘s Erzählung seines gestrigen Abends lauschen müssen. Dass die Nachbarin, welche schon an seiner Wohnungstür auf ihn gewartet hatte, ihn gleich eingeladen hatte, doch noch auf eine Tasse Tee mit rüber in ihr Wohnung zu kommen, dass Emiru dies sehr gern angenommen und bei der Gelegenheit auch gleich noch das Photoalbum der älteren Dame zu sehen gekommen hatte, in welchem sie sämtliche Katzen, die sie jemals besessen hatte, in Bild festhielt, um sie als teure Erinnerungen hegen und pflegen zu können. Zu allem Überfluss hatte Emiru ein sehr gutes Gedächtnis, wenn es um so was ging und ließ es sich daher nicht nehmen, Kamijo wirklich alles über Luna, Miss Mary, Tiger und Whool-chan zu berichten. „Aber diese Katzen waren auch zu schön...“, hatte Emiru gleich dreimal hintereinander geschwärmt und gleich wieder damit angefangen, wie gut eine Katze doch zu ihm passen würde und dass Kamijo sich unbedingt einen Namen ausdenken müsse, zu dem Emiru dann Stellung beziehen würde. Kamijo hatte sich nur an eine weitere Tasse Tee geklammert und an den richtigen Stellen genickt, aber er war viel zu müde, um Emiru zu unterbrechen. Eigentlich hörte er auch gar nicht richtig zu, sondern dachte an Sanaka in seiner Wohnung und daran, wie wohl er sich in dessen Armen die ganze letzte Nacht gefühlt hatte... Dann war Mayu neben ihm erschienen, hatte grußlos etwas von Kamijo zu wissen verlangt und war von Emiru angepflaumt worden, wieso er denn ihr Gespräch unterbreche. „Du meinst wohl eher Monolog... Ich glaube auch kaum, dass dir Kamijo zuhört, so wie er ausschaut...“ Dann war Mayu wieder gegangen, ohne Kamijo auch nur eines einzigen beiderseitigen Blickkontakts zu würdigen und der Sänger hatte nun alle Mühe damit, Emiru einerseits davon abzuhalten, dem Gitarristen sofort an den Hals zu gehen und andererseits zu versichern, dass er jedem Wort Emiru‘s mit unablenkbarem Interesse gelauscht hatte. Emiru hatte sich zufrieden gegeben und alles noch mal von vorn erzählt, bis Kazumi kam, um ihnen zu sagen, dass der Dreh für den heutigen Tag abgebrochen wurde, sie doch aber bitte noch zu einer Besprechung mit ihrem Management kommen sollten. Bei dieser Gelegenheit hatte er Kamijo auch gleich noch einen Zettel mit seiner neuen Handynummer gereicht. Jene Besprechung hatte sich fast drei Stunden hingezogen und nun war es bereits dunkel draußen. Kamijo wusste nicht genau, wie spät es war, aber er fühlte sich, als hätte er einen Rekrutenlauf hinter sich oder mindestens eine Woche ohne Schlaf. Er musste sich ausruhen, so schnell wie möglich. Auch quälte ihn sein Husten, welcher in den letzten Stunden, vor allem seit seiner Fast-Nackt-Szene, schlimmer geworden war; kurzum, der ganze Tag war wirklich zum Vergessen gewesen... Kamijo hielt beim Knoten seines linken Schuhs inne, als sich die Tür zur Garderobe öffnete, und sah auf. Sein Blick fiel auf Mayu, welcher nun an ihm vorbeilief und so zu tun schien, als sei der Sänger nicht anwesend. Er ging zu der Schrankreihe an der gegenüberliegenden Seite und öffnete eine der Türen, um seine Tasche und eine Jacke hervorzuziehen, die Kamijo noch nie zuvor gesehen hatte. Der Gitarrist wirkte reserviert, fast glaubte Kamijo, dass Mayu ihn nicht nur einfach ignorierte, sondern wirklich nicht mitbekam, dass er da war. Wie kalt er wirkte, irgendwie merkwürdig, so, Kamijo suchte nach dem richtigen Wort... abwesend. Kamijo setzte sich auf und beobachtete Mayu dabei, wie er sein Handy aus der Tasche zog, die Uhrzeit prüfte, und es im nächsten Augenblick wieder verschwinden ließ. Als sich der Gitarrist zu ihm drehte, fiel Kamijo‘s Blick auf dessen Hände. Das muss ihm gestern wirklich wehgetan haben, dachte der Blonde und legte der Kopf schräg, wie er es beim Überlegen für gewöhnlich tat. Aber warum sagt Mayu nichts? Er könnte etwas sagen... „Mayu-kun...“ Der Gitarrist schien erst beim Klang von Kamijo‘s Stimme auf dessen Anwesenheit aufmerksam zu werden und er zuckte kurz zusammen, drehte sich dann jedoch gleichförmig zu ihm um und blickte ihm direkt in die Augen. Kamijo wusste plötzlich nicht mehr, was gerade hatte sagen wollen, als sein Blick in dieses Braun fiel, welches seinerseits nichts zurückwarf. „Ano... Ich... Wegen... Wie geht es deinen Händen...?“, fragte er nach kurzem Stottern und erwiderte unsicher den Blick des Gitarristen. Der betrachtete ihn einen kurzen Augenblick, bevor er sich wieder, als sei nichts gewesen, seiner Tasche zuwandte. Kamijo war wie vor den Kopf gestoßen. Ignorierte Mayu ihn wirklich absichtlich oder war ihm die Sache im Bad gestern einfach nur unangenehm? „Mayu...?“, begann Kamijo erneut und streckte eine Hand aus, um nach Mayu greifen zu können. Der Gitarrist wich ihm aus und schwieg. „Mayu-kun, warum hast du...?“ Mayu unterbrach ihn diesmal jedoch unwirsch. „Ich habe gar nichts...“, antwortete er und verdrehte die Augen als Kamijo ihn fragend anblickte. „Mir war kalt und ich wollte mir die Hände aufwärmen... Und jetzt schau mich nicht so an als hätte ich versucht, Selbstmord zu begehen, okay...“ „Aber das Wasser...“ „...war nicht so heiß wie du dachtest... Der Dampf entstand durch die Kälte im Raum...“, vollendete Mayu gelangweilt den Satz. Dann zog er sich die Jacke an, die, wie Kamijo nun sah, innen mit einer Fellschicht gefüttert war. Auch trug Mayu mehrere dicke Pullover übereinander. Zugegeben, es war ja kalt draußen. Aber Mayu fuhr mit der U-Bahn und die Ein- und Ausgänge, die er auf seinem Weg zum und vom Studio benutze, brachten ihm nur einen sehr kurzen Weg unter freiem Himmel ein. Diese Maßnahmen schienen dem Sänger ein wenig übertrieben und er verzog die Mundwinkel. „Nya...“ Er beschloss, seine Taktik zu ändern. Vielleicht war Mayu die Sache wirklich einfach nur peinlich. Es musste ja nicht gleich etwas schlimmes hinter dem Verhalten des Gitarristen stecken. „Hattest du noch einen schönen Abend gestern...? Ich und Emiru sind...“ Doch Mayu unterbrach ihn abermals. „Sei still, Kamijo, wenn du nichts zu sagen hast und kümmer dich um deinen Kram...“ Mit diesen Worten packte er seine Sachen und verließ die Garderobe, während Kamijo ihm nur abermals hinterher starren konnte, ohne sich auch nur rühren zu können... „Hey, ist alles okay mit dir, Kamijo...?“, fragte Kazumi, als Kamijo vor dem Fahrstuhl ankam. Der Sänger schaute ihn überrascht an, hatte er doch vermutet, dass der Drummer schon vorhin mit Emiru gegangen war. „Jaja, ich bin nur so unendlich müde...“ Kamijo gähnte ungehalten und entschuldigte sich bei Kazumi dafür. Doch der Drummer lächelte nur weiter. „Dann solltest du so schnell wie möglich nach hause fahren und dich hinlegen, du siehst wirklich nicht gut aus... Ausserdem klingt deine Stimme reichlich belegt...“ Kamijo nickte ob dieser Worte und beide stiegen in den Aufzug, Kazumi drückte den Knopf. „Ich habe gestern Nacht auch nicht ordentlich geschlafen und ich glaub, Emiru hat mir vorhin echt den Rest gegeben...“ Kazumi lachte, senkte dann jedoch die Stimme wieder. „Hat er das...?“ „Versteh mich nicht falsch, ich finde es ja schön, dass er sein Herz jetzt so an diese Katzenidee gehängt hat...“, wehrte Kamijo ab, als Kazumi ihm einen fragenden Blick zuwarf. „Aber manchmal glaube ich, er macht das extra...“ „Was meinst du genau...?“ „Ich meine, ich denke, er mag es, wenn man ihm zuhört... Aber mich treibt das in den Wahnsinn...“ Kamijo winkte ab, als Kazumi fragend die Augenbrauen verzog. „So, wie Mayu dich in den Wahnsinn zu treiben scheint...?“ Kamijo starrte Kazumi an. Der junge Drummer hatte es auf den Punkt gebracht und ganz plötzlich bekam Kamijo es gewaltig mit der Angst zu tun. „Woher...?“, stammelte er und befürchtete einen Augenblick lang, dass er vielleicht etwas von gestern mitbekommen haben könnte. Aber nein, das war ganz ausgeschlossen; da waren nur Mayu und er selbst gewesen, daran bestand kein Zweifel. Kazumi lächelte im nächsten Augenblick verlegen und fuhr sich mit der rechten Hand über den Nacken. „Tut mir leid, ich hab grad euer Gespräch in der Garderobe mitbekommen, ich hatte was vergessen in Tonstudio nebenan vergessen und bin noch mal zurückgekommen...“, erwehrte er sich, nun noch verlegener. Kamijo wusste nicht, was er darauf antworten sollte. „Du hast etwas im Tonstudio vergessen...?“, fragte er im nächsten Augenblick lahm und kam sich gleich darauf sehr dumm vor. „Nein, das missverstehst du... Ich weiß zwar nicht, was mit ihm los ist, aber vielleicht ist er einfach nur überarbeitet...“, setzte er hinzu und zuckte die Schultern. Eine kurze Stille entstand, in welcher Kazumi sich seine nächsten Worte genau überlegte. Dann jedoch, als der Fahrstuhl mit einem Ruck zum Stehen kam, räusperte er sich. „Du magst ihn sehr gern, nicht...?“ Zu seinem großen Erstaunen lächelte Kamijo ob dieser Frage und schenkte ihm einen weichen Blick. „Ja, schrecklich gern... Deshalb mache ich mir auch Sorgen um ihn...“ Kazumi beantwortete das ihm gegebene Lächeln und stieg aus dem Fahrstuhl. „Nun, wenn er dich ebenso gern mag, wird er es dir schon zeigen...“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der Drummer und eilte auf die Ausgangstür zu. Kamijo schaute ihm hinterher und im leichten Schneegestöber vor dem Studio erkannte er eine andere Gestalt, in deren Arme sich der Drummer warf. Er küsste sie auf die Stirn und gemeinsam drehten sie sich um und verschwanden in der Dunkelheit des Parkplatzes. Dann leuchteten Scheinwerfer auf und ein Auto fuhr vom Hof. Kamijo stand noch immer im Eingansflur des leeren Studiogebäudes und wünschte sich verzweifelt, dass Ayako an diesem Abend zuhause sein möge. Dann begab er sich auf den Weg zu seinem eigenen Auto, während er in seiner Manteltasche nach dem Schlüssel suchte, nur, um wenige Augenblicke später vor der Wagentür festzustellen, dass dieser nicht da war... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ Der Sessel quietschte, als Mayu darin platz nahm. Er hatte schon immer diese Geräusche von sich gegeben und als wäre es gestern gewesen, überkamen den Gitarristen die Erinnerungen daran, wie er ihn vor seiner Haustür aufgelesen hatte... Eigentlich war das auch noch gar nicht lange her; erst zwei Monate. Aber seitdem hatte sich alles grundlegend verändert. Es hatte in seinem Wohnblock einen Selbstmord gegeben; gleich in der Wohnung nebenan hatte sich der junge Büroangestellte aus dem Fenster gestürzt... Mayu hatte ihn nicht gut gekannt, nur hin und wieder mal gesehen, wie der junge Mann mit dem dunklen Haar und den noch viel dunkleren Augen seinen Weg gekreuzt hatte, wie er immer in Eile gewirkt und ständig so ausgesehen hatte, als würde er vor Erschöpfung gleich an Ort und Stelle zusammenbrechen. Einmal nur hatte es der Gitarrist für nötig gehalten, mit ihm zu sprechen. Seine Zeitung war irrtümlich im Briefkasten seines Nachbarn gelandet und Mayu hatte sie einfach herausgenommen, wobei ein paar Briefe mit hinausgefallen waren. Der junge Büroangestellte war in diesem Augenblick die Treppe heruntergekommen, wie gewöhnlich in Eile. Als er Mayu jedoch an seinem Briefkasten sah, hatte er innegehalten. „Was tun Sie da...?“, hatte er gefragt und dem anderen Mann einen scheuen Blick zugeworfen. „Ich sorge dafür, dass meine Zeitung auch zu mir kommt...“, hatte der Gitarrist nur geantwortet und ihn dann ohne weiteres stehen gelassen. Er hatte sich einfach nichts dabei gedacht, hatte einfach nicht bemerkt, wie blass sein Nachbar ausgesehen und wie er gezittert hatte. Dann, am selben Abend, Mayu hatte gerade in der Wanne gelegen, vernahm er nach dem Ausschalten seines Radios mit einem Mal laute Stimmen durch die Wand in seinem Bad. Als er näher hinhorchte, konnte er ausmachen, dass sie von nebenan zu ihm herüber drangen. Zwar konnte er kein einziges Wort verstehen, aber er konnte definitiv zwischen einer männlichen, welche sehr ruhig und beinahe eingeschüchtert klang und einer weiblichen Stimme, die einen gereizten Ton vernehmen ließ, unterscheiden. Genervt hatte er an die Wand gehämmert und nach Ruhe geschrieen, die dann auch eingetreten war. Mayu hatte sich zufrieden gegeben und war zu Bett gegangen... Am nächsten Morgen war der junge Mann von nebenan tot gewesen. Als Mayu das Haus verlassen wollte, fuhr ein Krankenwagen um die Ecke und hielt direkt hinter der Häuserfassade auf der anderen Seite. Mayu war ihm gefolgt und erblickte einen ganze Ansammlung von Menschen, die alle herumstanden; manche hatten die Köpfe geschüttelt. Auf seine Frage, was denn los sei, antwortete ihm eine ältere Frau, die, wie Mayu wusste, eine Etage unter ihm wohnte, dass Hoshina ein Stockwerk über ihr aus dem Fenster gesprungen war und dass dies schon vor Stunden geschehen sein musste, da das Blut bereits restlos getrocknet gewesen war, als man ihn gefunden hatte. „Vielleicht haben Sie ja etwas mitbekommen, Sie wohnen doch direkt nebeneinander...“, hatte ein Nachbar gesagt, welcher ihr Gespräch mitbekommen hatte und trat nun dazu. Hoshina . Erst jetzt war Mayu aufgefallen, dass dies der Name des jungen Mannes war, welcher neben ihm gewohnt hatte und dessen Überreste nun zusammengesammelt und weggetragen wurden... Wie Abfall... Die Wohnung Hoshina‘s wurde kurze Zeit später aufgelöst und Mayu hatte den Sessel von der Straße aufgelesen, in welchem er jetzt saß. Aber nicht nur diesen Sessel allein, denn seit diesem Vorfall hatte sich etwas in ihm geregt, von dessen Existenz er bisher noch nicht einmal geahnt hatte und als er wieder und wieder in Gedanken die Gründe für diesen Selbstmord wälzte, fragte er sich, wer diese Frau gewesen war, mit der sich Hoshina so kurz vor seinem Tod gestritten hatte. Dann hatte er darüber nachgedacht, weshalb sich ein Mensch nur umbringen konnte. Als er das Gefühl in seinem Inneren, welches er in sich entdeckt hatte, zu analysieren versuchte, hatte er ganz plötzlich einen Grund gewusst und ihm war kalt geworden... Sehr kalt... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ to be continued... *********************** stay tuned for the next crime... Kapitel 4: 04 ~ a night's struggle ---------------------------------- author's note: an dieser Stelle habe ich fast zwei Jahre Pause gemacht, weil mir nichts mehr eingefallen ist und ich auch irgendwie keine rechte Lust verspürte, weiter zu schreiben... aber heute bei der Suche nach einem Uniordner sind mir die Zettel mit den Charaworks von Kamijo und Mayu in die Hände gefallen und ich habe sie noch noch einmal gelesen und festgestellt, dass ich sie immer noch sehr gut finde... ich hoffe, man merkt den zeitlichen Bruch nicht zu sehr... und bitte um Kommentare, da ich nicht weiß ob das so schlüssig ist... Nachtrag: die Idee zu diesem Kapitel kam mir diese Woche im Hauptseminar über Heinrich von Kleist, als meine Dozentin auf die Frage, warum in Kleists Werken ausnahmlos kaputte Familien portraitiert werden, antwortete, dass er im Leid seiner Figuren eine gewisse Art von Erfüllung fand und dass er schließlich seit seinem dreizehnten Lebensjahr auf der Suche nach jemandem war, der mit ihm zusammen in den Tod geht... und diese Einstellung zum Leben hat mich tief beeindruckt, wenn ich sie auch nicht verstehen kann... ihr werdet noch erfahren, was von Kleists Lebensziel auf diese Geschichte ausübt, aber keine Angst: ich lasse niemanden sterben... proceeding to: yon ~ 04 a night's struggle Kamijo hatte seine Winterjacke ausgezogen und sie ausgeschüttelt. Dann hatte er sämtliche Taschen nach außen gekehrt, alle Zettel herausgenommen und auch in seinen Hosentaschen nachgesehen. Zwischendurch hatte er immer wieder in die Brusttasche gesehen, in welcher er seinen Schlüssel für gewöhnlich sicher verwahrte, aber war jedes Mal enttäuscht worden. Der Schlüssel war nicht wieder aufgetaucht; er war einfach verschwunden. Aber das konnte doch nicht wahr sein. Kamijo achtete immer so sorgsam darauf, dass er immer wusste, wo sein Schlüssel war, genau so wie seine Geldbörse und sein Handy. Er ging in Gedanken noch einmal alle Orte durch, an denen er an diesem Tag gewesen war, schritt im Geiste alle Wege ab, auf denen er heute unterwegs gewesen war, aber es wollte ihm einfach nichts besonderes einfallen. Vielleicht, dachte er, hatte er den Schlüssel so ungünstig in eine Tasche gesteckt, dass dieser in der Garderobe herausgefallen war. Ja, da musst es sein. Kamijo zog seine Jacke wieder an und klappte den Kragen hoch und lief zurück zum Studiogebäude... Aber er wurde enttäuscht. In der Garderobe hatte man bereits schon ausgefegt und den Müll geleert und Kamijo konnte auch keinen Angestellten des Reinigungsteams entdecken, den er nach dem Verbleib eventueller Fundsachen hätte fragen können. Geknickt und zutiefst wütend auf sich selbst verließ er das Studiogebäude abermals und überlegte auf dem Weg von der Drehtür zu seinem Auto, was er nun machen sollte. Nach hause laufen schloss er von vorn herein aus; an seinem Autoschlüssel hing leider auch der für seine Haus- und Wohnungstür. Zwar hatte einer seiner Nachbarn einen Schlüssel aber Kamijo wusste, dass der für zwei tage auf Geschäftsreise war, denn er hatte den jungen Sänger gebeten, in seiner Abwesenheit ein Auge darauf zu werfen, ob denn der Hausmeister auch den Türknauf seiner Wohnung ölen würde, welcher doch allzu schrecklich quietschte. Was also tun...? Sein Handy lag ebenfalls im Auto, also konnte er noch nicht einmal jemanden anrufen und auch seine Familie wohnte viel zu weit entfernt. Er durchsuchte seine Taschen nach Kleingeld, um wenigstens mit der Bahn zu Sanaka oder sonst wem fahren zu können, wobei ihm Kazumi‘s Zettel mit dessen neuer Handynummer in die Finger viel. Kamijo zählte sein Kleingeld: es würde für ein Telefonat reichen. Dann fiel ihm ein, dass er gar nicht wusste, wie er zu Sanaka kommen könnte; der Jüngere hatte ihn immer nur mit dem Auto mitgenommen oder Kamijo war selbst gefahren. Die genaue Adresse wusste er nicht und auch Sanaka‘s Handynummer konnte Kamijo nicht auswendig. Der junge Mann seufte und lief über die Straße zum nächsten Convenient Store, um von dortaus seinen Drummer anrufen zu können. „Hallo Kazumi, tut mir leid, dass ich dich noch störe...“, meldete er sich als der andere den Hörer abgenommen hatte. „Aber ich habe leider mein Schlüsselbund verlegt und komme nun nicht mehr in meine Wohnung und ich dachte... nunja, vielleicht kannst du mir helfen...“ „Oh...“, bekam er als Antwort. „Das ist wirklich schlecht, Kamijo... Ich würde dir sehr gern helfen, aber ich befinde mich gerade mit Sachiko auf der Autobahn; wir sind auf dem Weg zu ihren Eltern in Yokohama und wollen dort die Nacht über bleiben... Morgen sind doch keine Aufnahmen mehr...“ Kamijo hatte während er Kazumi‘s Erklärung lauschte, zunehmend das Gesicht verzogen und starrte nun auf den Telefonkasten vor ihm. Doch gerade als er etwas sagen wollte, hob Kazumi erneut die Stimme. „Warum rufst du nicht Emiru an...? „Nein, ich glaube, das halten meine Nerven heute einfach nicht mehr aus, aber danke für deine Hilfe Kazumi...“, lehnte Kamijo den Vorschlag ab. Zu Emiru fahren war jetzt so ziemlich das letzte, was seine ohnehin schon arg geschundenen und überreizten Nerven ertragen konnten. „Mmmmh... Dann bleibt dir wohl nur Mayu übrig... Hast du seine Nummer...?“ „Nein, mein Handy liegt ebenfalls im Auto...“ „Oh, du hast wirklich Pech heute, nicht...“, versuchte Kazumi ihn zu beruhigen und fügte daraufhin noch sanft und heiter hinzu: „Ich gebe dir seine Nummer und du fährst einfach zu ihm... Das macht ihm sicherlich nichts aus und vielleicht findest du so heraus, was mit ihm los ist und ob er überhaupt irgendwas hat...“ Kamijo brummte ob dieser Vorstellung, beschloss jedoch nichts zu sagen. Es war schließlich nicht Kazumi‘s Schuld, dass er seinen Schlüssel verlegt und sein Handy im Auto liegen gelassen hatte. Er beschloss weiterhin, auf den Vorschlag seines Drummers einzugehen und es wenigstens bei Mayu zu versuchen, obwohl er von dieser Aussicht auch nicht sonderlich angetan war. Aber alles war besser als Emiru und dessen gerade hochkochende Katzensympathien. Nachdem er sich Mayu‘s Handynummer aufgeschrieben und sich noch einmal bei Kazumi entschuldigt hatte, unterbrach der blonde Sänger das Gespräch um Mayu‘s Nummer zu wählen. Während seine Finger über die Wählscheibe tasteten, dachte er Nocheinmahl an seine letzte Begegnung mit dem Gitarristen zurück und daran, wie der ihn angepflaumt hatte. Nein, dachte Kamijo und schüttelte den Kopf, Mayu würde alles andere als nichts dagegen haben, wenn er ihm berichtete, was er vorhatte... „Komm rein...“, murmelte Mayu und zog die Wohnungstür weiter auf. Kamijo warf ihm ein verlegenes Lächeln zu und trat in den kleinen Flur ein. Er beugte sich hinunter, um seine Schuhe aufzuknoten und hob an, Mayu noch einmal zu danken, dass er ihn für diese Nacht aufgrund seiner Schussligkeit beherbergte aber als er den Kopf hob, hatte Mayu den Flur bereits verlassen und Kamijo sah, wie die Schlafzimmertür zuschwang. Er verzog die Lippen und legte den Kopf schräg, so, wie er es immer tat, wenn er nachdachte oder ihm etwas seltsam vorkam. Dann jedoch stand er auf und reckte die Schultern. Er hatte sich diese Miesere selbst zuzuschreiben, also würde er sie nun auch ertragen müssen und vielleicht, Kamijo hoffte dies tief in seinem Inneren, obwohl ihm auf Anhieb genügend Zweifel kamen, behielt Kazumi recht und Kamijo könnte Mayu auf seinen derzeitigen Zustand ansprechen, ohne dass der Gitarrist ihn dabei anschrie. Vorsichtig tastete sich der blonde Sänger durch den kleinen Flur, vorbei an einem Schuhschränkchen und der offenen Badezimmertür. Mayu‘s Wohnung war kleiner als er sie in Erinnerung hatte, allerdings war es nun auch schon beinahe ein Vierteljahr her, dass der Gitarrist ihn das letzte Mal zu sich eingeladen hatte. Früher, so ging es Kamijo durch den Kopf, hatte er das öfter getan und Kamijo selbst war öfter hier gewesen. Er erinnerte sich noch daran, wie Mayu in diese Wohnung eingezogen war und daran, dass sie Kamijo von Beginn an als sehr klein und nicht gerade zweckdienlich erschienen war aber Mayu hatte, als der Sänger dies erwähnte, nur gelacht und gemeint, dass er nun mal nicht so viele Sachen besäße wie Kamijo und dass er mit den anderthalb Zimmern dieser kleinen Hochhauswohnung schon zurecht kommen würde. Mayu hatte gelacht, ging es Kamijo ebenfalls durch den Kopf und während er die Schlafzimmertür öffnete, fragte er sich, wann der andere dies das letzte Mal in seiner Gegenwart getan hatte... Mayu‘s Schlafzimmer sah noch genauso aus, wie Kamijo es in Erinnerung hatte. Der große Futon, welchen der Gitarrist dereinst von seinen Eltern geschenkt bekommen hatte und auf welchem sich Bücher, lose Gitarrenseiten und Frühstücksteller stapelten, ließ erkennen, dass er immer noch Mayu‘s liebster Ort in der ganzen Wohnung zu sein schien. Auch war er der einzig unordentliche Platz in dem geräumigen Zimmer. Kamijo hatte sich immer gefragt, wo Mayu eigentlich schlief und ob er bei den ganzen Dingen in seinem Bett überhaupt noch selbst Platz fand, aber der Gitarrist hatte bei dieser Bemerkung ebenfalls gelacht und nur geantwortet, dass dies ja nun wirklich nicht Kamijo‘s Sorge sei... Nachdem er sich an die schwachen Lichtverhältnisse gewöhnt hatte, fiel Kamijo auf, dass sich doch etwas verändert hatte. Den Sessel dort an der Wand unter dem Fenster kannte er noch nicht und auch die Blumen, die Mayu sonst auf dem Fensterbrett zu stehen hatte, waren verschwunden. Kamijo hätte sich sicherlich noch weiter umgeschaut, hätte Mayu ihn nicht in diesem Augenblick ganz unvermittelt angesprochen. „Du kannst die Decke hier haben...“ Mit diesen Worten warf Mayu Kamijo eine Steppdecke zu und schickte sich an, sich hinzulegen. Kamijo stand noch immer an der Tür und beobachtete Mayu dabei, wie der sich nun auf dem Futon ausstreckte. „Kann ich mal dein Bad benutzen...?“, fragte er und legte die Decke neben der Tür auf den Boden. „Tu was du nicht lassen kannst...“, bekam er als Antwort zurück, bevor Mayu seine eigenen Decke über sich zog und das Nachttischlicht löschte... Kamijo hatte sich seiner klammen Kleidung entledigt und diese auf einem Haufen in einer Ecke des Badezimmer liegen gelassen. Dann hatte er sich notdürftig gewaschen und sein Haar gekämmt, während er überlegte, ob es in Ordnung sei, in Shorts neben Mayu schlafen. Aber da der ihm nichts anderes angeboten hatte, hatte Kamijo im Grunde keine andere Wahl. Er ließ die Badezimmertür angelehnt und ging zurück ins Schlafzimmer. Durch den Schein der Lampe im Flur, die Mayu hatte brennen lassen, und der nun durch die Glastür ins Schlafzimmer fiel, geleitet, fand Kamijo den Weg durch das Zimmer mit der Steppdecke unter dem Arm, ohne irgendwo an einem Möbelstück oder der Wand anzustoßen und ließ sich neben Mayu auf dem Futon, welches der scheinbar abgeräumt hatte, nieder. Er deckte sich zu und zog sich den Stoff bis an die Ohren, weil ihm kalt war. Den ganzen Tag war ihm schon kalt gewesen und eigentlich hatte er gehofft, diesem Zustand wenigstens im Bett Abhilfe zu verschaffen; allerdings hatte er, als er diese Pläne hegte, nicht damit gerechnet, dass es nicht Ayako sein würde, die neben ihm lag sondern Mayu, welcher sich von ihm weggedreht und auf die Seite gelegt hatte und von dem Kamijo nur das braune Haar sehen konnte. Der Sänger schob diese Gedanken beiseite und ermahnte sich abermals zur Raison, wenn auch noch immer genau so freudlos, und rief sich ins Gedächtnis, dass er es war, der den Schlüssel verloren hatte und dass er wirklich froh darüber sein konnte, dass Mayu sich seiner erbarmt hatte und ihm Quartier gewährte, obwohl er ihn an diesem Nachmittag noch so kalt angefahren hatte. Überhaupt war dieser Tag so seltsam gewesen. Es schien dem jungen Mann, als sei alles, aber auch wirklich alles anders verlaufen, als er es eigentlich geplant hatte. Erst die Kälte beim Dreh und die Probleme mit der Technik, dann sein Husten und seine zunehmend schlechte Laune, der abrupte Abbruch ihrer Arbeit und die Besprechung mit den Management, welche Kamijo im Nachhinein immer sinnloser vorkam. Dann sein Versuch, mit Mayu zu sprechen, dessen schroffe Worte und dann zu allem Überfluss auch noch der verlegte Schlüssel, welcher das Platzen seiner Träume für einen gemütlichen, warmen Abend zuhause mit Ayako in seinem Bett nach sich zog. Noch nicht einmal Sanaka hatte er anrufen können; allerdings war er davon überzeugt, dass der Jüngere die Wohnung noch am Vormittag verlassen haben musste, so wie er es für gewöhnlich tat, wenn er bei Kamijo blieb un der am nächsten Tag ins Studio musste. Kamijo zog die Nase hoch und dachte daran, wie wundervoll geborgen er sich in der vorhergehenden Nacht gefühlt hatte. Es war ihm beinahe so vorgekommen, als habe Sanaka, als er ihn in die Arme geschlossen und geliebt hatte, auch einen Teil seines Schmerzes mit sich genommen, der Kamijo‘s Seele nun weniger belastete. Kamijo zog abermals die Nase hoch und kuschelte sich tiefer in die Bettdecke. Wie gern wäre er nun bei ihm gewesen, in Sanaka‘s Armen, behütet und beschützt, anstatt hier neben Mayu zu liegen und nicht zu wissen, was der andere dachte, nicht zu erahnen, womit der Gitarrist sich in seinen Träumen herumschlug... „Könntest du bitte dieses Geschniefe lassen...?“, unterbrach Mayu seine Gedanken und Kamijo spürte, wie sich der andere auf den Rücken drehte. „Das nervt...“, fügte Mayu hinzu und zog sich die Decke noch ein Stück weiter über den Kopf, dass Kamijo nun gar nichts mehr von ihm erkennen konnte. Der blonde Sänger murmelte eine Entschuldigung und drehte sich ebenfalls auf seinen Rücken, da ihm das Atmen so um einiges leichter viel. Das Kissen hatte er bereits zusammengestaucht und er bettete nun seinen Kopf darauf, was ihm eine angenehm erhöhte Liegeposition ermöglichte. Ans Schlafen war jedoch erst einmal nicht zu denken und so lagen sie beide nun im matten Schein des Flurlichtes und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach und sah seine eigenen Geister... Mayu hatte, als Kamijo ihn an diesem Abend angerufen hatte, gerade sein Abendbrot in vollkommener Stille in seiner kleinen Küche hinter sich gebracht und wollte ins Bad um sich noch ein wenig ins heiße wasser seiner Wanne legen, um dort vergessen zu können. Es war still in seiner Wohnung gewesen und auch durch die verhältnismäßig dünnen Wände war kein Laut zu ihm herüber gedrungen; aber das war nichts wirklich bemerkenswertes für Mayu, immerhin war die Wohnung nebenan noch immer nicht wieder neu vermietet worden. Wahrscheinlich, so glaubte Mayu, war es für eventuelle Nachmieter ein böses Ohmen, dass der vorhergehende Bewohner auf so tragische Weise aus dem Leben geschieden war. Nein, die Stille war nicht neu für den Gitarristen, neu war nur, dass sie ihm ganz plötzlich etwas auszumachen schien. Er war es eigentlich gewohnt, wenn er zu hause war, weder Fernseher noch Radio angeschaltet zu haben, obwohl er über beides verfügte. Aber seit dem Tod seines Nachbarn hatte Mayu Alpträume, in denen er von körperlosen Stimmen gejagt wurde und egal wie schnell und weit er rannte, er hatte ihnen bisher nie entkommen können und war jede Nacht schweißgebadet aufgewacht. Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal richtig durchgeschlafen, ja, angenehme träume gehabt hatte. Doch gerade als er vor dem Spiegel stand, sein Bild darin anblickte und feststellte, wie blass und müde er aussah und sich bei diesem Anblick der drückenden Stille um ihn herum bewusst wurde, hatte das Telefon geklingelt. Mayu hatte sich stumm angehört was Kamijo ihm zu sagen hatte und hatte dann mit kurzen Worten sein Einverständnis erteilt, den Blonden zu beherbergen. Dann hatte er aufgelegt und hatte mechanisch begonnen, sein Futon für zwei Schläfer vorzubereiten, die Teller in die Küche zu bringen und die Bücher in den Schrank zu stellen. Als Kamijo klingelte, hatte Mayu ihm geöffnet... Und nun lag der andere neben ihm in seinem Bett und war sicherlich genau so wach wie er selbst... „Mayu...“, erklang die Stimme des Sängers unvermittelt neben ihm. „Darf ich dich etwas fragen...?“ Der Gitarrist brummte nur zur Antwort, sagte jedoch nichts. Durch die Bettdecke über seinem Kopf hörte er den anderen leicht gedämpft aber konnte dennoch sagen, dass Kamijo‘s Stimme ein wenig zurückhaltend klang. „Ich...“ Der junge Sänger räusperte sich und schniefte kurz, dann spürte Mayu, wie er sich bewegte. „Was ist los mit dir in letzter Zeit...?“, beendete Kamijo seinen Satz und fügte einen Augenblick später hinzu: „Ich erkenne dich so gar nicht wieder, seit wann bist du so...?“ „Sei ruhig, wenn du nichts wichtiges zu sagen hast, Kamijo, mit mir ist alles in Ordnung...“, unterbrach Mayu ihn monoton und diesmal spürte Kamijo, wie der andere sich bewegte und, nachdem der Sänger Mayu das Gesicht zugewandt hatte, ihm nun den Rücken zeigte. „Ja, aber...“, bemühte der Blonde sich zu intervenieren, wobei ihm der Gitarrist allerdings abermals zuvorkam. „Du bildest dir mal wieder was ein... Und jetzt sei still, ich will schlafen...“ Mit diesen Worten rollte Mayu sich zu einem Ball zusammen und überließ Kamijo seinen eigenen Gedanken... Kamijo wusste nicht, wie lange er geschlafen oder was ihn geweckt hatte, aber als er die Augen aufschlug, fühlte er sich kein bisschen wacher als zuvor. Im Zimmer war es nach wie vor dunkel, obwohl Mayu die Vorhänge nicht zugezogen hatte und diese Dunkel verriet dem Sänger, dass er nicht lange geschlafen haben konnte. Er lag auf der Seite, dem offenen Raum zugewandt und eben wollte er sich zusammenrollen um wieder einschlafen zu können, als er ein leises Keuchen vernahm. Zuerst glaube er, sich dies möglicherweise nur eingebildet zu haben und schrieb es seinen doch leicht überreizten Nerven zu, aber da ertönte das Geräusch erneut und Kamijo spürte, wie Mayu sich neben ihm bewegte und ihm im nächsten Augenblick in den Rücken trat. Der junge Mann keuchte ebenfalls auf und drehte sich zu seinem Gitarristen um, der abermals nach ihm trat. „Mayu...“ Verwirrt blickte er auf den anderen hinab und stellte fest, dass der nicht, wie er kurz vermutet hatte, wach war, sondern mit geschlossenen Augen dalag. Ein Zittern ging durch seinen Körper und abermals ließ er ein Keuchen vernehmen. Die Bettdecke hatte er bereits von sich gestrampelt und lag nun schutzlos und mit ringenden Händen auf den Lacken. Kamijo beobachtete ihn genauer. Der Gitarrist schien einen Alptraum zu haben, doch gerade als Kamijo eine Hand nach ihm ausstreckte und seinen Namen rief, um ihn aufzuwecken, schreckte Mayu mit einem abgehackten Schrei aus dem Schlaf... und fiel dem Sänger um den Hals. Kamijo erschrak heftig und zuckte zusammen. Mayu kniete keuchend und zittern vor ihm und presste seinen Körper an den des Sängers, welcher ihm im nächsten Augenblick reflexartig die Arme um die Schultern legte. „Mayu... Mayu-kun... Schschscht...“, redete er beruhigend auf ihn ein und strich mit der Hand über seinen Rücken. Der Gitarrist zitterte noch immer und Kamijo konnte seinen Atem stoßweise in seinem Nacken spüren. Seine Haut fühlte sich heiß und klebrig an und seine Arme zogen ihn heftig an Mayu‘s Oberkörper. „Hey, hattest du einen Alptraum...?, versuchte der Sänger Mayu abermals zu beruhigen und zog ihn nun seinerseits enger an sich. Doch der andere antwortete ihm nicht und auch sein Zittern ließ nur ein wenig nach, als er sich plötzlich ein Stück von Kamijo löste und ihm in die Augen blickte. Schweigend und ohne Kamijo ganz aus seiner Umarmung zu entlassen, erwiderte er den Blick des anderen mit leeren und seltsam unfokussierten Augen, bevor ihn ein abermaliges Zittern durchfuhr und er zu schluchzen begann. Er senkte den Kopf und Kamijo war nun vollends verwirrt, doch bevor er auch nur ansetzen konnte, um etwas zu sagen, zog Mayu ihn wieder an sich und der junge Sänger wurde bestimmt aufs Bett zurückgedrückt, wobei Mayu wortlos über ihm zu liegen kam. Dann spürte Kamijo Mayu‘s Lippen an seinem Kinn und dessen heißen, stockenden Atem auf seiner Haut, welcher sich erst nach einigen Momenten beruhigte. Dann lag Mayu still. Er war wieder eingeschlafen oder, wie Kamijo nun verstand, gar nicht richtig wach gewesen. Seine Lippen lagen noch immer an Kamijo‘s Kinn wie bei einem beinahe endlosen Kuss und als der blonde Sänger seiner Verwirrung wieder Herr wurde, legte er seinerseits die Arme enger um seinen Gitarristen, strich sanft über dessen Rücken und schloss die Augen... to be continued... ************************** stay tuned for the next crime... Kapitel 5: 05 ~ Sehnsucht ------------------------- author's note: an diesem Kapitel habe ich mehr als einen Monat geschrieben und wusste zwischendurch einfach nicht mehr, was ich tun soll, damit ein Gespräch zustande kommt... jetzt gefällt es mir sehr gut und es werden Dinge gesagt, die noch wichtig sein werden... das ist zumindest meine Plan... dedicated to: Sabina, die mir geholfen hat, auf die Bremse zu treten und auris, die mich in sich hat blicken lassen... und dem song "all the way for you" von Poets of the Fall, in welchem ich folgende Textzeile fand: "...if it's all I can do I'd take the fall for you... ...cause I will soar when I lay down with you and give my all for you..." anyway... proceeding to: go ~ 05 Sehnsucht ~es ist eine Sehnsucht in der Welt, an der wir sterben müssen~ Als Mayu am nächsten Morgen die Augen aufschlug, fühlte er sich zum erstmal Mal seit Wochen wieder wirklich munter und ausgeschlafen. Eine schwache Wintersonne schien ihm durch das Fenster ins Gesicht und ließ ihn blinzeln, sodass er einige Augenblicke brauchte, um sich seiner Umgebung wieder vollkommen bewusst zu werden. Er brummte und wappnete sich innerlich gegen die Flut von Bildern, die ihn für gewöhnlich aus seinen Alpträumen bis hinein in die Gegenwart eines jeden Morgens verfolgten. Er riss seine Augen weit auf und verzog die Brauen, als ihm im nächsten Augenblick klar wurde, dass er sich an nichts erinnerte. Nur daran, wie er eingeschlafen und wieder aufgewacht war und vor Erstaunen vergas er einen winzigen Moment lang Luft zu holen. Nahe an seinem Ohr hörte er Kamijo‘s ruhigen Atem und andere Bilder flackerten mit einem Mal in seinen Gedanken auf: Wie der Ältere am Abend zuvor zu ihm gekommen war und Mayu ihm mit bleierner Gleichgültigkeit Zutritt zu seiner Wohnung gewährt hatte. Wie Kamijo in der Tür gestanden hatte, wie ein Häufchen Elend und Mayu kaum in die Augen hatte blicken können. Wie Kamijo ihn tags zuvor vom Waschbecken weggezerrt und hatte und seine Entrüstung über Mayu‘s Leichtsinn, welcher eigentlich keiner gewesen war... Und dann wie Kamijo ihm ein Lächeln zuwarf, welches er jedoch übergangen hatte... Mayu fühlte sich plötzlich ein wenig verlegen und musste sich eingestehen, dass er seinen Freund in letzter Zeit vor allem mit Spott, Beleidigungen und Nichtachtung gestraft hatte. Auch, dass er ihn angeschrieen und Dinge gesagt hatte, welche er nun gern ungesagt gelassen hätte. Aber diese Fürsorge und das ständige Gefrage nach seinem Befinden seitens des anderen in den letzten Wochen waren einfach unerträglich gewesen. Zumal Kamijo ihm wohl sowieso nicht helfen konnte. Denn Mayu wollte... Und genau da lag das Problem, denn strenggenommen wusste er dies nicht. Er wusste nur was er nicht wollte: das schmerzhafte Ziehen in seiner Brust. Die Leere in seinem Herzen. Diese Art von Sehnsucht, die er nicht erkläre konnte. Doch auch wie er diese Gefühle loswerden konnte, wusste er noch nicht... Mayu wollte sich erheben um in das Gesicht des Sängers zu schauen, der noch immer unbewegt neben ihm lag. Doch als er Anstalten machte, sich zu bewegen, erstarrte er, als er Kamijo‘s Arm um sich gelegt vorfand und seine eigene Hand auf der Brust des anderen. Mayu blinzelte und regte sich für die Dauer eines Herzschlages nicht. Die zweite Überraschung des Tages neben den fehlenden Alpträumen, dachte er. Warum hatte...? Aber weiter kam er mit seinen Gedanken nicht. Denn in diesem Augenblick öffnete auch Kamijo die Augen, nur um sie gleich wieder zusammen zu kneifen als er in das Sonnenlicht blickte. Mayu beobachtete ihn aus nächster Nähe, denn er lag immer noch direkt neben dem Älteren, dessen Gesicht er zugewandt war und der nun begann sich zu ihm auf die Seite zu drehen. Mayu‘s Blick ruhte weiter auf Kamijo als der sich an die Helligkeit gewöhnt hatte und nun abermals versuchte, die Augen zu öffnen. Er brummte leise bei dem Versuch, dann öffnete er die Augen ganz... und blickte direkt in Mayu‘s Gesicht, das wenige Zentimeter vor ihm auf dem Kissen lag und dessen große braune Augen ihn nichtssagend, aber äußerst eingehend musterten. „Oh...“, entfuhr es Kamijo und er setzte sich auf, wobei Mayu‘s Hand von seiner Brust rutschte. „Morgen...“, begrüßte ihn Kamijo verlegen und Mayu konnte nicht anders als ihm ein kleines verstecktes Lächeln zuzuwerfen, welches jedoch im nächsten Augenblick wieder verschwunden war. Mayu war in letzter Zeit einfach nicht an diese Art von Gefühlsregung gewöhnt, doch Kamijo lächelte zurück. „Wie hast du geschlafen...?“, erkundigte er sich und Mayu senkte leicht den Blick. „Gut...“, antwortete er, bevor er, wieder seltsam verlegen, aufstand um nach seinen Klamotten zu suchen, während er Kamijo‘s Blicke im Rücken spüren konnte... Der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee stieg den blonden Sänger in die Nase, als er nach dem Duschen aus dem Badezimmer kam, das Haar noch leicht feucht und verstrubbelt, das Hemd noch nicht ganz zugeknöpft. Langsam betrat er die kleine Küche und stellte zu seiner großen Überraschung fest, dass Mayu auch für ihn auf dem kleinen Tisch neben dem Fenster aufgedeckt hatte. Der Gitarrist warf ihm einen Blick zu, dann beugte er sich zu seinem Kühlschrank hinunter, um noch einige verbliebene Essensutensilien auf den Tisch zu stellen. Seitdem er den Sessel vor seinem Haus aufgelesen hatte, herrschte ein stetiger Mangel an Nahrungsmitteln in seinem Hauhalt, was Mayu jedoch nur am Rande kümmerte. „Jetzt setz dich endlich, Kamijo...“, forderte Mayu den anderen halb genervt auf, Platz zu nehmen, was der mit einer leichten Verbeugung auch sogleich tat. Der Gitarrist schenkte Kaffee ein und ließ sich Kamijo gegenüber auf einem Holzhocker nieder. „Danke...“, murmelte der Sänger und nippte an seiner Tasse. Der Kaffee war heiß und stark; nicht, dass er auf die Wirkung wirklich angewiesen wäre, denn er hatte in dieser Nacht trotz Mayu‘s Gewicht auf seinem Oberkörper erstaunlich gut geschlafen und fühlte sich durchaus munter. Munter genug zumindest, um sich gleich nach dem Frühstück zurück zum Studio zu begeben, um seinen Autoschlüssel zu suchen. Kamijo Blick fiel bei diesem Gedanken auf Mayu‘s Hände. Sie waren nun nicht mehr rot, bis auf eine kleine Stelle an der linken Daumenwurzel, wo das heiße Wasser aufgetroffen sein musste und die sich Mayu wirklich verbrüht hatte. Zumindest wies seine papierdünne Haut darauf hin. Schweigend saßen sie voreinander, darauf bedacht, jedweden Blickkontakt zu vermeiden, während jeder von ihnen seinen eigenen Gedanken nachhing. Mayu versuchte gerade, das Wort Sehnsucht näher zu bestimmen als Kamijo sich halb übertrieben laut räusperte und nach den Messer griff. „Danke, dass du mich beherbergt hast...“, sagte er und wagte nun endlich, dem Gitarristen ins Gesicht zu schauen. Dieser starrte jedoch weiter nur auf seinen Teller und schwieg. Kamijo schürzte die Lippen. „Ich muss meinen Schlüssel wirklich irgendwo verloren haben...“, fügte er hinzu und wartete. Mayu hob den Blick für die Dauer eines Herzschlages, sah ihn an und blickte dann wieder auf den Teller, abermals schweigend. Erst als er Kamijo warme Finger an seinem Handgelenk spürte, fixierte sich sein Blick und er sah dem anderen direkt ins Gesicht. „Was willst du mir damit sagen...?“, fragte er. „Nun ja, eigentlich nichts besonderes, ich versuche nur Konversation zu betreiben... Sonst nichts...“ Mayu zog fragend eine Augenbraue hoch und spürte abermals Kamijo‘s Hand an seiner. „Mmmh...“, gab er als Antwort. „Du bist nicht sehr gesprächig in letzter Zeit...“, murmelte Kamijo im nächsten Augenblick, mehr zu sich selbst als zu Mayu und er erinnerte sich an seine Versuche im Studio, Mayu anzusprechen und dessen merkwürdige Taubheit für alles, was mit ihm, Kamijo, zu tun hatte. Und diese Gedanken schmerzten. „Was genau meinst du damit, Kamijo...?“, fragte Mayu, nun wieder leicht genervt klingend. Kamijo zuckte die Schultern. „Nichts besonderes... Es war nur eine Feststellung...“ „Nichts besonderes also...“, wiederholte Mayu seine Worte, dann saßen sie wieder schweigend da. Mayu rührte in seinem Kaffee. „Mayu, ich...“, begann Kamijo erneut und legte sein Messer aus der Hand, wurde diesmal jedoch unterbrochen. „Was willst du noch, Kamijo...?“ Die Art, in welcher Mayu seinen Namen ausgesprochen hatte, ließ dem Sänger einen kalten Schauer über den Rücken laufen und er fühlte, wie sich sein Herz zusammenzog. Er atmete tief ein. Diesmal würde er eine Antwort bekommen und wenn er sie erzwingen musste. Alle Zweifel und Unsicherheit von sich schiebend, sagte er: „Ich will wissen, worauf du so sehnsuchtsvoll zu warten scheinst...“ Mayu‘s Löffel fiel klirrend in die Kaffeetasse und der Gitarrist blickte Kamijo verstört an. „Bitte...?“ „Du wartest...“, murmelte Kamijo und wich dem Blick des Gitarristen scheu aus. „Auf irgendetwas wartest du, aber du scheinst selbst nicht zu wissen worauf... Du wartest und denkst nach...“ „Sagt dir das der kleine Fachpsychologe in dir...?“ „Nein...“ Kamijo lächelte. „Mein Instinkt... Ich kenne dich weiß Gott lange und gut genug...“ Mayu blickte ihn wenige Sekunden regungslos an, bevor er die Schultern zuckte und sagte: „Du wirst sentimental, lass das doch bitte...“ Er hatte wieder angefangen in der Tasse zu rühren. Sein Blick löste sich von Kamijo, als der ihn mit allem Schmerz, den er in seinem Inneren finden konnte, anschaute. Und dies schien seine erhoffte Wirkung auf Mayu nicht zu verfehlen. Er erwiderte Kamijo‘s Blick und seine Züge wurden ein wenig weicher. Kamijo warf ihm einen weichen, vorsichtigen Blick zu, dann fixierte er abermals Mayu‘s Hände auf dem Küchentisch. Mayu sah dies und ließ sie in seinem Schoß verschwinden. Kamijo verzog die Mundwinkel. „Mayu... Ich will wissen was mit dir los ist und wenn du mir das schon nicht sagen willst, dann tu doch bitte wenigstens so als sei nichts...“ „Bitte...?“ Mayu starrte ihn an, während Kamijo sich fragte ob seine Taktik, den Gitarristen aus sich heraus zu locken, wohl funktionieren würde. „Ich soll einfach so tun als sei nichts...?“, wiederholte er die Worte des anderen und sah ihn dabei aus geweiteten Augen ziemlich fassungslos an. Kamijo hatte Mayu‘s Reaktion beobachtend das Gefühl, dass er diesmal durchaus Erfolg haben könnte nach wochenlangem Fragen ohne jemals eine Antwort zu erhalten. Nach den Dingen, die er Mayu hatte tun sehen. Er schien auf der richtigen Spur zu sein, dabei hatte er eigentlich nur geraten und auf Sehnsucht getippt. Das Verhalten des anderen passte einfach zu gut; es war etwas ähnliches, was er an sich selbst festgestellt hatte. Er nickte. „Ich mache mir Sorgen...“, sagte er und Mayu schien sich bei diesen Worten wieder etwas zu fassen, denn er verdrehte die Augen. „Du machst dir immer Sorgen, Kamijo...“, antwortete er und nahm die Kaffeetasse zur Hand. „Was also willst du nun...? Jetzt sags schon damit ich endlich in Ruhe frühstücken kann...“, fügte er nach einem hastigen Schluck Kaffee hinzu. „Ich will, dass du wieder so wirst, wie du eigentlich immer warst; dass du das Grübeln sein lässt und zurück kommst...“ Kamijo hatte es gesagt. Und Mayu blickte ihn an, auf diese ganz besondere Art, wie nur er es konnte und die Kamijo so sehr vermisst hatte in den Wochen in denen Mayu erkaltet war. Er schien wieder etwas in ihm getroffen zu haben... Mayu starre Kamijo noch einen Augenblick lang reglos aus geweiteten Augen an, bevor er sagte: „Woher willst du wissen, dass ich nicht schon immer so gewesen bin und du nur nie genau hingesehen hast...?“ Er stütze sich dabei in gespielter Lässigkeit auf einen Ellenbogen und versuchte seiner Stimme Festigkeit zu verleihen. „Oder vielleicht habe ich dich die ganze Zeit belogen damit du mir vertraust...“, fügte er hinzu. Seine Worte waren herausfordernd gewählt. Sie sollten so klingen und Kamijo eine Stärke aufzeigen, die Mayu jedoch nicht empfand. Er hörte den anderen seufzen. „Ich vertraue dir auch so und das weißt du, Mayu-kun... Dafür hättest du nicht die Mühe aufwenden müssen, mich so umständlich zu täuschen...“, erwiderte Kamijo leicht gekränkt und griff ebenfalls nach seiner Kaffeetasse. Und Mayu begann sich unwohl zu fühlen. „Ich weiß, dass ich mich nicht in dir getäuscht habe, so gut bist du nicht...“, setzte Kamijo einen Moment später hinzu und stellte seine Tasse wieder zurück auf den Tisch. Mayu versuchte es erneut. „Ach nein...? Woher willst du das wissen... Möglicherweise bildest du dir das nur alles ein und ich bin schon immer so gewesen und du hast es nur noch nie bemerkt... Und überhaupt, ich verstehe deine Sorge gar nicht... Hast du vielleicht auch schon mal daran gedacht, dass ich gerade einfach ein wenig allein sein möchte, ohne mich vor dir rechtfertigen zu müssen...?“ Er trank abermals einen hastigen Schluck Kaffee. „Du übertreibst schlichtweg... Ich schnüffle ja auch nicht in deinem Leben herum also tu das auch nicht in meinem...“ „Das ist kein Herumschnüffeln...“, widersprach Kamijo und schüttelte energisch den Kopf. „Ich habe einfach nur das Gefühl, dass etwas in dir ist, dass ich weder kenne noch verstehe und so wie du dich zurück ziehst, könnte man denken, es ist jemand gestorben...“ Diese Worte trafen Mayu wie ein Schlag ins Gesicht. Kamijo schien das anhand seiner Reaktion auch zu erkennen, denn er fügte hinzu: „Ich habe das Gefühl, ich verliere dich... Stück für Stück... Als gingest du an einen Ort, an den ich dir nicht folgen, den ich nicht betreten kann, weil ich nicht eingeladen bin... Und davor habe ich ehrlich gesagt eine wahnsinnige Angst...“ „Davor hast du Angst...?“, murmelte Mayu. „Da hast du einmal in deinem Leben vor etwas Angst und dann ist es wegen so etwas...?“ „Ja...“, antwortete Kamijo überzeugt. „Davor habe ich die meiste Angst...“ Mayu löste seinen Blick von ihm und richtete ihn an die Decke. Die Wasserflecken dort oben bildeten ein Muster aus bizarren Farbmischungen und einander überlappenden Rändern und Mayu fragte sich kurz, was beim nächsten Rohrbruch geschehen würde, bevor er wie aus Versehen mit dem Fuß heftig gegen den Tisch stieß und so die beiden Kaffeetassen ins Wanken brachte. Der Inhalt seiner eigenen Tasse ergoss sich über die Tischplatte und aus den Augenwinkeln sah er, wie Kamijo aufsprang, als dessen Tasse in seinen Schoß fiel... Kamijo war vom Hocker gesprungen als ihm die heiße Flüssigkeit verbrühte und ruderte hilflos mit den Armen. Sein linker Fuß hing noch unter dem Tisch fest und er ergriff in letzter Sekunde die Tischplatte um nicht umzufallen. „Verdammt...“, keuchte er und kniff vor Schmerz die Augen fest zusammen. Der Kaffee war noch ziemlich heiß gewesen und Kamijo war empfindlich. Außerdem hatte sich die Flüssigkeit über ziemlich heikle Stellen seines Körpers ergossen. Er konnte die Augen erst wieder öffnen, als der gröbste Schmerz langsam abklang und sah Mayu sich gegenüber am Tisch sitzen. Er hatte sich, so schien es, keinen Millimeter bewegt und machte auch nun keine Anstalten, sich zu erheben. Stattdessen blickte er ihn einfach nur an. „Bist du wahnsinnig...?“, herrschte Kamijo ihn im nächsten Augenblick an und griff nach einem Geschirrhandtuch, welches hinter ihm auf der Spüle lag. „Willst du mich verbrühen...? Und wohlmöglich noch...“ Er führte diesen Satz nicht zuende und schaute Mayu nur fassungslos an. „Du bist blass...“, flüsterte der und beobachtete Kamijo dabei, wie er mit dem Handtuch seine nasse Hose abtupfte, auf der ein großer Fleck prangte. „Was denkst du denn...? Ayako wird sich freuen... Hoffentlich gibt das keine Brandblasen...“ Ungelenk zog er sich das Hemd aus der Hose und begann sich abzutrocknen. „Ayako...?“ Kamijo blickte auf und sah Mayu noch immer am Tisch sitzen, allerdings hatte er sich nun nach vorn gebeugt und blickte ihn ein wenig verwirrt an. Kamijo hielt inne. „Ayako... Meine Freundin...“ „Du hast eine Freundin...?“, fragte Mayu, noch immer verwirrt und verzog darauf fragend die Mundwinkel. Kamijo starrte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ja... Mayu, das musst du doch wissen...“ „Woher...?“, fragte Mayu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast mir nichts erzählt...“ „Das liegt wohl daran, dass jedes Mal, wenn ich dich anspreche, du mir entweder ausweichst oder mich gleich ignorierst...“ Mayu antwortete nicht darauf, sondern stand stattdessen auf und wandte den Blick ab. Er ging an Kamijo vorbei zur Spüle, ergriff einen Waschlappen und machte sich wortlos daran, den verschütteten Kaffee vom Tisch zu wischen. Kamijo beobachtete ihn schweigend. Als Mayu abermals an ihm vorbei lief, steckte er seine Hand aus um den anderen am Arm festzuhalten, zögerte jedoch und ließ die Hand wieder sinken. Mayu mied noch immer seinen Blick als er sich wieder zurück an den Tisch setzte. „Ich weiß, Kamijo, ich weiß... Aber zur Zeit kann ich einfach nicht anders, das musst du verstehen...“, murmelte er und Kamijo kamen diese Worte wie eine Art Entschuldigung vor. „Setz dich...“, fügte Mayu im nächsten Augenblick hinzu und wies mit der Hand auf den freien Hocker. „Ich gebe dir nachher eine Hose und ein Hemd von mir... So kannst du ja schlecht ins Studio fahren...“ Schweigend setzten sie ihr Frühstück fort und nachdem Kamijo seine Sachen gewechselt und sich von Mayu verabschiedet hatte, welcher ihn zu seiner Überraschung kurz umarmte, fuhr er mit der U-Bahn zurück zum Studio, nur um seinen Autoschlüssel im hellen Wintersonnenlicht im Schnee neben seinem Auto zu finden... to be continued... ************************** stay tuned for the next crime... Kapitel 6: 06 ~ the suicide book -------------------------------- author‘s note: ich habe aus dem ursprünglichen sechsten Kapitel zwei gemacht, weil ich schon fast zwanzig Seiten hatte und das ist zu viel für ein Kapitel allein... also kommst das siebente Kapitel bald, denn die Hälfte davon hab ich schon... proceeding to: roku ~ 06 the suicide book ~somehow I prefer to be the suffering one~ Wie Kamijo auf dem Display seines Handys sah, hatte er sieben Nachrichten und drei Anrufe verpasst. Und alle waren von Emiru bis auf den letzten Anruf um kurz nach Mitternacht, welchen er nun aufrief. Er war von Ayako. Kamijo brummte und legte das Handy beiseite. Er wusste auch so bereits was in jeder dieser Nachrichten stehen würde und warum Emiru so oft versucht hatte, ihn anzurufen und warum Ayako dies nicht getan hatte, da konnte er also auch bis zuhause warten, um sich dem in aller Seelenruhe zu widmen. Die Straßen waren an diesem Mittwochvormittag, zwei Tage vor Heiligabend, nicht ganz so verstopft, wie an den Tagen zuvor und die dunklen Wolken am winterlichen Himmel hatten sich weitestgehend zurückgezogen, um eine blasse Sonne zu enthüllen. Der Neuschnee von Vortag war an die Straßenseiten geschoben worden und Kamijo atmete eine mit kleinen Staubflöckchen, welche in der Sonne flackerten, durchsetzte Luft ein. Sein Wagen brauchte lange um sich auf eine wenigstens halbwegs angenehme Temperatur im Inneren aufzuheizen, aber Kamijo hatte das Radio eingeschaltet und freute sich nun auf zuhause. Hoffentlich würde Ayako dort auf ihn warten... Im Hausflur schlenderte Kamijo langsam die Treppe hinauf und sah dabei seine Nachrichten durch. Emiru hatte in seinen ersten drei weitere Namensvorschläge für Katzen geschickt und Kamijo gefragt, ob der an Montag mit ihm noch einmal ins Tierheim fahren würde, wohingegen die letzten vier sich damit befassten, warum er sich denn nicht zurückmeldete, immerhin seien hier wichtige Entscheidungen zu treffen. Kamijo musste beinahe schmunzeln. Sein Bassist meinte es wohl diesmal vollkommen ernst mit seinem Haustierwunsch; allerdings, dachte Kamijo reumütig, hieß das auch, dass er den anderen nun zurückrufen musste, um zu erklären, weshalb er dies am Abend zuvor nicht umgehend getan hatte. Nunja, mit diesem Problem würde er sich später befassen, denn ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es erst kurz nach elf war und um diese Zeit würde Emiru an einem arbeitsfreien Tag wie heute noch schlafen und es überhaupt gar nicht schätzen, jetzt schon geweckt zu werden. In der Wohnung angekommen, ging Kamijo ohne seine Schuhe auszuziehen gleich ins Wohnzimmer und ließ sich auf der Couch nieder. Er seufzte erleichtert auf, endlich wieder in den eigenen vier Wänden zu sein und begann dann erst die Schuhe auszuziehen. Er ließ sie neben der Couch stehen, er würde sie später wegräumen. Erst dann rief er nach Ayako, die jedoch nicht da war. Auf den Wohnzimmertischchen lag stattdessen ein Zettel: Ich komme heute Abend wieder, bin bei einem Freund. Ayako Kamijo seufzte erneut und ließ sich in die weiche Lehne sinken. Diese Frau kannte einfach zu viele Leute. Und überhaupt, da beschwerte sie sich bei ihm, dass er nie zuhause sei und dann war sie selbst nicht da, wenn er sie sehen wollte, obwohl er ihr extra einen Schlüssel gegeben und sie gebeten hatte, zu kommen wann immer sie wollte, ihm jedoch vorher bescheid zu sagen, damit er sich darauf vorbereiten konnte. Nur kurz kam ihm in den Sinn, dass dieser Zettel auch schon seit dem Vormittag des Vortages auf dem Tischchen liegen könnte, denn er selbst war ja seit über 24 Stunden nicht zuhause gewesen... Auch im Wohnzimmer flogen Staubflöckchen im blassgelben Licht der Wintersonne und Kamijo blieb noch einen kurzen Augenblick sitzen um ihnen bei ihrem trägen Tanz zuzusehen, dann stand er auf, warf seine kaffeebefleckte Hose und das Hemd in die Waschmaschine, stellte diese an und ging in die Küche, um sich einen Kaffee aufzubrühen. Mit der vollen Tasse und einer Packung Bonitoflocken setzte er sich an das Klavier in der Ecke seines Wohnzimmers, schlug die Verdeckung auf und begann, mit den Fingern über die Tasten zu streichen bevor er zu spielen begann und sich in seine Musik hineinträumte, alles um sich herum vergessend... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ Mayu hatte noch lange allein in seiner kleinen Küche am Frühstückstisch gesessen, auch als Kamijo schon längst gegangen war. Er hatte sich noch eine Tasse Kaffee eingeschenkt und kurz versucht, sich ein wenig ins lokale Radioprogramm reinzuhören, hatte dies jedoch sehr schnell wieder aufgegeben und das Gerät ausgeschaltet. Nun saß er da und dachte an Kamijo, während er geistesabwesend seine Hände knetete. Seit der andere ihn von dem heißen Wasserstrahl weggezerrt und angeherrscht hatte, war eigentlich nicht wirklich viel Zeit vergangen, nur knappe zwei Tage, aber trotzdem war alles irgendwie verändert. Und Mayu begriff einfach nicht warum.... Aber dieses Problem konnte warten. Mayu ging mit der vollen Kaffeetasse hinüber ins Wohnzimmer und ließ sich in seinem Sesseln nieder. Es war still im Haus rings um ihn herum; aus der Wohnung nebenan hatte er seit zwei Monaten nichts mehr gehört. Mayu schüttelte der Kopf und lehnte sich aus dem Sessel heraus aufs Fensterbrett um hinaus zu schauen. Es war ein sonniger, jedoch sehr kalter Wintertag, wie Mayu an den Eisblumen an seiner Fensterscheibe erkennen konnte. Er legte die Hand dagegen, doch die Blumen schmolzen nicht. Erst als er die andere auch noch hinzuzog, verschwand einige Eiskristalle an der Scheibe, der Rest blieb jedoch bestehen, auch als er dagegen hauchte. Frierend nahm er nun seinen Kaffee zur Hand, ließ sich in dem Sessel so weit es ging zurücksinken, nahm ein Buch vom Fensterbrett und die Bettdecke von Boden, welche Kamijo in der Nacht gehabt hatte und die er zwischen Sessel und Bett hatte liegen lassen, deckte sich zu und begann zu lesen... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ Das Telefon klingelte und ließ Kamijo aus seinen Träumen erwachen. Er legte Bleistift und Notenpapier, welches er zum Komponieren und Texten immer auf dem Klavier zu liegen hatte, beiseite und erhob sich von seinem Schemel. „Hallo...?“ „Kamijo, ich bins, Sanaka...“, ertönte es von der anderen Seite der Leitung. „Ich habe vorletzte Nacht etwas bei dir vergessen und würde das gern abholen, wenns geht... Hast dus gefunden...?“ Kamijo schüttelte der Kopf und grinste. „Vergessen... Ahja...“, antwortete er. „Ich habe nichts gefunden... Gibs doch zu, Sanaka, du kannst nur nicht genug von mir bekommen...“ Am anderen Ende der Telefonverbindung hörte er den anderen auflachen. „Sowieso, honey, sowieso... Nein, im Ernst, ich habe mein Handy bei dir liegen lassen... Ich hatte es in der Hosentasche; hast du mal in deinem Bett nachgesehen oder auf dem Boden...?“ Kamijo lachte nun ebenfalls und dachte an sein eigenes Handy, welches in der Nacht in seinem Auto Eiskristalle angesetzt hatte. „Warte kurz...“, sagte er. Dann ging er ins Schlafzimmer, hob die Bettdecken hoch, suchte unter den Kissen, auf dem Boden, unter dem Bett, aber konnte es nicht finden. Erst als er sich umdrehte und schon zur Tür hinausgehen wollte, um Sanaka zu enttäuschen, fand er es neben dem Kleiderschrank in einer Ecke. Er hob es auf und kehrte zum Festtelefon zurück. „Ja, ich habe es gefunden...“ Sanaka seufzte erleichtert. „Puh, ein Glück, ich dachte schon, ich hätte es unterwegs verloren... Oder deine Ayako hätte es entdeckt... Na, das hätte sie sicherlich nicht gut gefunden, dass ihr Freund Besuch bekommt, wenn sie nicht da ist...“ Er lachte abermals. „Wahrscheinlich hätte sie gedacht, du hättest Damenbesuch gehabt, bei den ganzen Glitzersteinchen...“ Kamijo schnaubte. „Oder sie hätte sich gefragt, was für ein Wirrkopf du bist... Einer der seinen Namen mit Glitzerherzen auf sein Handy klebt...“ Beide lachten, während Kamijo Sanaka‘s Handy auf den kleinen Wohnzimmertisch legte. „Nein, keine Sorge, Sanaka...“, sagte er und grinste. „Auf so etwas würde sie wohl eher nicht kommen...“ „Wie ist sie denn eigentlich so, deine Freundin...“, fragte Sanaka, nun wieder ernst. „Ich weiß eigentlich gar nicht, auf welchen Typ Frau du überhaupt stehst... Ich kann mich nur an die Kleine mit dem Locken und den Glubschaugen erinnern, die du letzten Winter hattest...“ „Sie hatte keine Glubschaugen, soviel Geschmack musst du mir schon zubilligen, mein Lieber...“, empörte sich Kamijo und schüttelte den Kopf. „Ich mag Frauen, die mir keine indiskreten Fragen stellen... Das ist sicherlich auch in deinem Interesse... Oder was hättest du gesagt, hätte Ayako dein Handy gefunden und wutentbrannt bei dir angerufen um heraus zufinden, mit wem ich in meinem Schlafzimmer war...?“ Sanaka lachte abermals. „Uah, grauenhafte Vorstellung... Ich hätte mir halt was ausgedacht, aber sicherlich hätte sie eh mit einer Frauenstimme gerechnet und sich bei meiner nichts dabei gedacht... Oder hast du ihr erzählt, dass du...?“ Kamijo unterbrach Sanaka noch bevor der den Satz beenden konnte. „Nein, Gott bewahre... Soweit sind wir noch nicht und werden es auch nie sein...“ „Mmh...“, hörte Kamijo den anderen antworten. „Ihr redet wohl nicht miteinander...“ „Nein und das ist auch gut so...“ Sanaka lachte abermals. „Ich finde das so unheimlich amüsant, du und deine Frauenpolitik...“ „Du nennst es Politik, ich nenne es Entspannung... Aber mal in ernst: Ayako und ich reden so gut wie nie miteinander, zumindest nicht über so was... Aber sie stellt mir keine unangenehmen Fragen und... Aber was erzähle ich dir hier eigentlich...“, blockte Kamijo ab und lachte verlegen. „Och, Kamijo, ich bin neugierig... Und auch ein wenig eifersüchtig... Sie hat einen Schlüssel für deine Wohnung und ich...?“ Sanaka klang nun ein wenig gekränkt, musste Kamijo zugeben. „Sie hat diesen Schlüssel, damit sie hier auf mich warten kann... Würdest du auf mich warten, Sanaka...?“, fragte er und erwarte schon halb eine spitze Bemerkung des anderen. Der jedoch schwieg einen Augenblick bevor er ernst und mit sonorer Stimme antwortete: „Ich würde jederzeit und überall auf dich warten, Kamijo... Ich dachte, das wüsstest du...“ Im Apparat rauschte es kurz und beide schwiegen. Kamijo wusste auf einmal nicht mehr, was er sagen sollte, doch er beendete diese ihm unangenehme Pause nach einigen Augenblicken mit einem Räuspern. „Wann willst du denn herkommen...?“, fragte er und biss sich auf die Unterlippe. „Ich dachte an heute Abend, ist das okay...?“, fragte Sanaka, nun plötzlich wieder heiter und mit dem ewigen Lächeln in der Stimme, welches Kamijo so anziehend fand. „Gut, ich bin zuhause... Am besten wäre es, du kommst so gegen acht... Ist das okay für dich...?“ „Ja, sicher... Bis dann, honey...“ „Ja, bis dann...“ Kamijo legte den Hörer auf die Gabel. Du würdest immer und überall auf mich warten...?, wiederholte er in etwa Sanaka‘s Worte und dachte darüber nach, ob ihn der andere nicht einfach hatte ärgern wollen. Dann jedoch zuckte er mit den Schultern und ging in die Küche, um sich etwas zum Mittag zu machen, obwohl die Uhr über seinem Geschirrschrank bereits halb fünf anzeigte... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ Bein Lesen hatte Mayu trotz wirklich guter Lektüre den halben Tag an Kamijo denken müssen. Irgendwann war ihm das zu viel geworden und er hatte beschlossen, ein Bad zu nehmen und so zu entspannen, war jedoch nach einer halben Stunde unverrichteter Dinge wieder aus der Wanne gestiegen und stand nun kopfschüttelnd und hadernd mit sich selbst in der Küche, um sich eine Tasse Tee und eine Kleinigkeit zu essen zu machen. Er trug seine Tasse und ein Schälchen mit ein wenig kaltem Reis vom Vortag und ungebratenem Tofu ins Wohnzimmer, stellte die Tasse auf das Fensterbrett und ließ sich in den Sessel fallen. „Autsch...!“ Mayu erhob sich mit schmerzendem Oberschenkel und befühlte die Sitzfläche, aus welcher das obere Ende einer Metallfeder herausschaute. „Nein, verdammt...“ Er versuchte, die Feder wieder zurück zu drücken, was ihm jedoch nicht gelang; sie war viel zu fest und das Metall einfach zu dick und stark für ihn. Seufzend stellte Mayu sein Schälchen neben den Tee aufs Fensterbrett und beäugte seinen Sessel mit in die Hüften gestemmten Händen. Kurzerhand entschloss er sich, den Sessel einfach auf die Seite zu legen, den Boden herauszunehmen und so die Feder wieder an ihren alten Platz zurückzubefördern. Zumindest hoffte er, dass es so funktionieren würde. Als er allerdings den Boden, welcher zu seiner Verwunderung aus Pappe bestand und sich erschreckend leicht und umstandslose ablösen ließ, zur Seite schob, entdeckte er, dass der Sessel innen unter der Sitzfläche einen Hohlraum aufwies. Mayu langte vorsichtig mit der Hand hinein... und zog ein etwa buchgroßes, in braunes Packpapier gewickeltes Packet heraus. Erstaunt wog und drehte er es in den Händen, dann setzte er sich hin, um es zu öffnen. Als erstes fielen ihm lose Briefe entgegen, dann ein Buch, etwas länger als seine Handspanne, gebunden in schwarz schimmerndes Papier. „Ein Notizbuch...“ Mayu hielt seinen Fund in den Händen und betrachtete ihn verwundert. Sein Nachbar Hoshina musste dies in dem Sessel versteckt haben, aber aus welchem Grund? Mayu legte das Buch zur Seite und sah sich nun die Briefe genauer an: es waren vier an der Zahl, noch in ihren Originalumschlägen und Mayu konnte erkennen, dass die Handschrift, mit welcher die Adresse geschrieben war, jeweils die gleiche war. Vorsichtig und langsam öffnete er einen Brief und holte eine Seite feinstes Papier heraus, wobei sein Blick sofort sowohl auf die filigran geschwungene Handschrift als auch auf das Wasserzeichen am unteren Seitenrand fiel. Mayu begann zu lesen: „Mein lieber Junge, wir haben deine Verlobungsaufhebung mit großem Bedauern aufgenommen. Dein gnädiger Vater und ich sind sehr enttäuscht über deine Nachricht gewesen, da eine Verbindung dieser Art unserer Familie sehr gute Geschäftsaufträge eingebracht hätte. Warum hast du nicht alles in deiner Macht stehende dafür getan, dass Manami-san sich mit dir vermählt? Wo es uns schon Unsummen gekostet hat, allein den Kontakt herzustellen und du weißt, dass wir einen Kredit dafür aufnehmen mussten. In ein reiches Haus einzuheiraten hätte dir sicher nur Vorteile gebracht, vielleicht hättest du den gnädigen Herren dort beerben und sein Nachfolger werden können. Es wäre die Chance für uns und unseren kleinen Familienbetrieb gewesen, mit ihnen Geschäfte machen zu können. Komm wieder nach Hause, du brauchst ja nun nicht länger in Tokyo zu bleiben. Mutter“ Mayu ließ den Brief sinken. Seine Gedanken überschlugen sich. Hoshina war verlobt gewesen...? Aber die Verlobung wurde gelöst. Hatte er dies getan oder vielleicht die Familie, aus der die Braut stammte...? Mayu beschwor das Bild seines unmittelbaren Nachbarn herauf. Er hatte gar nicht gewusst, dass der eine Verlobung gelöst hatte und fragte sich plötzlich, ob dieses Geschehnis vielleicht mit dem Besuch zusammenhängen konnte, den sein Nachbar am Abend vor seinem Tod bekommen hatte und welcher der Stimme nach zu urteilen weiblich gewesen war und mit dem Hoshina gestritten hatte. „Nunja, strenggenommen habe ich gar nichts über ihn gewusst... Außer, dass meine Zeitung hin und wieder in seinem Kasten gelandet ist...“ Mayu las den Brief noch einmal, konnte sich jedoch keinen weiteren Reim darauf machen. Aber alles passte so ins Bild, wie es Mayu durch den Kopf ging. „Und deshalb bringt er sich um...?“ Mayu fuhr mit den Fingerspitzen über das Briefpapier, dann faltete er es zusammen und legte es beiseite, um sich den anderen Briefen zu widmen. Vielleicht, so hoffte er, fand er dort eine Antwort. Der zweite Briefumschlag enthielt neben einer ziemlich liederlich geschriebenen Empfängeradresse nur eine schmucklose Papierkarte, auf welcher die Worte standen: „Ich habe die Verlobung lösen lassen... Ruf mich nie wieder an und versuche nicht, mich zu treffen... Du bist meiner nicht würdig...“ Das musste die Verlobte seines Nachbarn sein. Mayu öffnete den nächsten Umschlag und kam sich zunehmend verunsichert vor. Der Umschlag enthielt eine schriftliche Kündigung. Sie war auf den 30. September 2004 ausgestellt, also zwei Tage vor Hoshina‘s Tod. „Er wollte wohl die Schmach einer Kündigung nicht ertragen und ist ihr zuvorgekommen...“ Mayu begann der Kopf zu schwirren und er legte das Blatt Papier zu Seite. Den letzten Umschlag hielt er erst lange ungeöffnet in der Hand, bevor er auch diese Nachricht, wie die zweite auf einem Papierkärtchen, herausnahm und las: „Warum kommst du nicht nach Hause? Mach deiner Familie nicht noch mehr Schande und übernimm deine Pflichten. Ich schreibe dir diese Karte, weil du auf Nachrichten auf deinem Handy nicht reagierst.“ Mayu nahm alle vier Umschläge zur Hand und trug zusammen, was er gerade erfahren hatte. Sein Nachbar war mit einem Mädchen verlobt gewesen, das ihn nicht heiraten wollte, auf Drängen seiner Familie, welche jetzt nun enttäuscht von ihm war. Doch anstatt nach Hause zurück zu kommen, wie sie es von ihm wollten, hatte er seine Wohnung und sein Leben in Tokyo nicht aufgeben wollen, bis zu der Kündigung. Mayu ging durch den Kopf, dass dieser Selbstmord die Reaktion auf sämtliche Tiefschläge sein musste, welche das Schicksal seinem Nachbarn in den letzten Wochen vor seinem Tod beschert hatte. Dann fiel ihm das Buch wieder ein und er nahm es zur Hand. Auf der ersten Seite prangte ein Satz in roten Lettern: „Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden niemand helfen kann.“ Mayu schluckte, als er dies las. Dann blätterte er um. Auf den darauffolgenden Seiten waren Zeitungsartikel zu sehen, welche sauber ausgeschnitten und dort hineingeklebt worden waren. Mayu las die erste Überschrift: „18jähriger stellt sich vor den Zug und wartet - tot“ Darunter war das Bild eines dünnen Jungen mit kurzem, dunklem Haar, der scheu in die Kamera lächelte. Mayu überflog den Artikel kurz und blätterte dann abermals um. Ein nächster Artikel, ein nächster Tod, sogar ein Abschiedsbrief war zitiert, den das Opfer hinterlassen hatte. Ein sehr nüchterner, wie Mayu fand und er blätterte wahllos durch das Buch, las die Überschrift, überflog Artikel, betrachtete Bild von Menschen, die in ihrem Leben keinen Sinn mehr gesehen und den Tod gewählt hatte und ihm traten Tränen in die Augen... to be continued... **************** stay tuned for the next crime... Kapitel 7: 07 ~ Ungeplant ------------------------- author's note: der Titel ist blöd, aber mir ist auf die Schnelle jetzt nichts anderes eingefallen (obwohl er schon passt aber irgendwie nach nichts klingt... ich mag Titel, die toll klingen, nach solchen suche ich auch Bücher im Laden aus)... aus meiner Idee für ein Kapitel werden grad drei... auwaia, wie lang soll das hier noch werden...? es passieren ständig Dinge, die ich nicht mit eingeplant habe... wie Emiru's Auftritt in diesem Kapitel... anyway... proceeding to: nana ~ 07 Ungeplant Das Telefon klingelte erneut als Kamijo nach dem Essen gerade wieder ans Klavier zurückkehren wollte. Er stellte die Tasse mit dem frischgebrühten Tee auf den Wohnzimmertisch und langte nach dem Hörer. „Hallo...?“, meldete er sich und wurde im nächsten Augenblick auch schon von Emiru zugequatscht, welcher es scheinbar nicht einmal für nötig hielt, sich mit seinem Namen zu melden. „Kamijo, warum bist du nicht an dein Handy gegangen und hast mich heute nicht zurückgerufen, ich wollte dich doch so was wichtiges fragen und zwar wollte ich mit dir heute Nachmittag ins Tierheim fahren, um eine Katze zu kaufen, die für mich gemacht ist aber irgendwie habe ich jetzt verschlafen aber na ja, es ist ja noch nicht so spät und deshalb dachte ich, wir könnten das vielleicht doch noch machen und ich bin ganz aufgeregt und wenn du jetzt nicht abgenommen hättest, hätte ich Kazumi gefragt aber der ist ja bei seiner Freundin und hach, ich bin so froh, dass du dran bist und ich will unbedingt ins Tierheim und deshalb musst ganz schnell herkommen und mich abholen, damit wir...“ An dieser Stelle wurde es Kamijo zu viel und er unterbrach Emiru‘s Geplapper energisch. „Emiru, das ist jetzt wirklich ungünstig... Ich texte grad und Ayako müsste auch bald wieder hier sein...“ Emiru schmollte. „Och, Kamijo...“, meckerte er. „Das würde doch gar nicht lange dauern, du kannst doch schnell mit dem Auto vorbeikommen... Außerdem hast du mir versprochen, das zu machen...“ Kamijo saß in der Falle, denn er hatte es tatsächlich versprochen. „Texten kannst doch immer noch, sieh mal, ab Übermorgen machen wir eh Pause und bis Sylvester haben wir nur ein einziges Konzert, aber ich will Weihnachten nicht allein feiern, also entweder du holst mich ab und wir fahren ins Tierheim oder du feierst Weihnachten mit mir...“ „Um Gotteswillen...“, entfuhr es Kamijo und Horrorvisionen stiegen vor seinem geistigen Auge auf: ein Weihnachtsabend in Emiru‘s knallpinker Maple Kiss-Wohnung, der Bassist vermutlich im rosa-weißen Maidenkleidchen und er notgedrungener Weise im Anzug, das Geplappere würde nie aufhören und außerdem hatte er eigentlich schon andere Pläne und wenn Sanaka nachher zu ihm kam, würde er ihn fragen, was er eigentlich an diesem besonderen Tag so vor hatte. Aber zuerst... „Okay, Emiru, weißt du was, ich denke, ich habe noch etwas Zeit, also könnte ich noch vorbei kommen...“ „Super, aber beeil dich... Bis gleich...“ Mit diesen Worten legte er auf. Kamijo starrte noch einen Augenblick den Hörer an, bevor er auflegte, zur Couch schlich, sich seufzend fallen ließ und sich mit einem Blick in den dampfend heißen Tee abermals wünsche, einfach sang- und klanglos darin untergehen zu können... Kurz vor acht schloss Kamijo seine Haustür auf und wankte in den Flur. Er ließ seine Jacke achtlos fallen, stieg aus den Schuhen und ließ auch diese einfach stehen und schleppte sich ins Wohnzimmer auf die Couch, wo er sich erst einmal eine Zigarette anzündete. Er war mit den Nerven vollkommen fertig, Emiru hatte sein wirklich bestes getan. Nach den Anruf des Bassisten hatte sich Kamijo in sein Auto gesetzt, um ihn abzuholen, aber es gab eine Baustelle auf dem Weg, von der Kamijo nicht gewusst hatte, da das Radio seines Autos nicht funktionierte. Also hatte er versucht, in der spätnachmittäglichen Rush Hour einen anderen Weg zu finden, wobei er beinahe eine halbe Stunde nur im stop-and-go-Verkehr festgehangen hatte. Als er dann endlich bei Emiru ankam, wartete der Bassist schon schmollend vor seiner Haustür, zu Kamijo‘s Schrecken nicht in normalen Zivilklamotten, sondern in einem rosa-schwarzen Fummel, welcher, wie Emiru auf Kamijo‘s zögernde Nachfrage hin erklärte, einfach passender sei, ein Kätzchen zu finden, welches, wie Emiru wieder und wieder betonte, wie für ihn gemacht sei. So waren sie also zum Tierheim am anderen Ende der Stadt gefahren, wobei sich Emiru darüber mokiert hatte, dass Kamijo‘s Autoradio zu wirklich nichts zu gebrauchen sei und er stattdessen die Pausen füllen müsse, was er auch ausgiebig getan hatte. Endlich, nach einer gefühlten halben Ewigkeit, waren sie am Tierheim angekommen, welches diesmal, zu Kamijo unendlicher Erleichterung, offen war. Doch auch dort nahmen Emiru‘s Eskapaden kein Ende. Er eilte von Käfig zu Käfig in dem großen Raum, bemängelte die nicht artgerechte Haltung der Tiere, verlangte alle paar Sekunden Zustimmung von Kamijo und stand vor jedem Käfig, gab den Tieren Namen, pries ihre äußerlichen Vorzüge und fragte der Dame, welche die Tiere fütterte, Löcher in den Bauch. Kamijo war in gebührendem Abstand hinter ihm her geschlichen und hatte sich irgendwann nach draußen gestohlen, um wenigstens halbwegs ungestört eine Zigarette rauchen zu können. Eine halbe Stunde später hatten beide mit einer kleinen schwarz-weiß gemusterten Katzendame, welche Emiru liebevoll Marie taufte, das Heim verlassen. Auf der Rückfahrt hatte Emiru mit Marie auf dem Rücksitz gesessen, weil er den großen Käfig nicht in den Fußraum des Beifahrersitzes stellen konnte und hatte alle paar Minuten erwähnt, wie glücklich er sei, nun da er ein Kätzchen gefunden hatte, welches ach so gut zu ihm passte. „Ich feier Weihnachten übrigens mit Leila und meiner Nachbarin und natürlich mit Marie...“, hatte er Kamijo noch beim Aussteigen zugerufen. Der hatte ihm nur ein müdes Lächeln geschenkt. Wenigstens eine gute Sache hatte dieser Ausflug also gehabt... „Hey, warum sagst du nicht, dass du da bist, Kamijo...?“, empörte sich plötzlich eine Stimme rechts von ihm und Kamijo drehte sich zur Seite. „Ayako...“, entfuhr es ihm erschrocken. Er hatte sie gar nicht gehört. „Bist du also auch mal wieder da...?“, fragte er nach der Schrecksekunde bissig, doch sie lächelte nur und ließ sich neben ihm auf der Couch nieder. „Ich muss dir doch nicht erzählen, dass ich auch einen Job habe und außerdem warst du in letzter Zeit so abgespannt, dass ich keine große Lust hatte, herzukommen...“ „Ach...“, bemerkte Kamijo; etwas klügeres viel ihm so schnell nicht ein. Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und steckte sich gleich darauf eine neue an. Ayako sah ihm dabei missbilligend zu. „Du rauchst zuviel...“ „Möglich...“ „Hast du schon mal daran gedacht aufzuhören...?“ „Nein...“ „Dann wäre es vielleicht mal an der Zeit...“ „Kein Interesse...“ Sie verzog das Gesicht, dann plötzlich setzte sie sich auf seinen Schoß, nahm ihm die Zigarette aus der Hand, legte sie in den Aschenbecher und strich mit der Hand über die Kopfreihe seines Hemdes. „Ich wüsste dich vom Rauchen abzulenken...“ Kamijo blinzelte. „Ich...“ Doch in diesem Augenblick klingelte es an der Haustür. Dankbar für diese Unterbrechung, denn auf diese Art von Annäherung hatte er jetzt, nach diesen nervenaufreibenden letzten drei Stunden, nicht wirklich Lust, schob er sie von sich und schickte sich an, zur Sprechanlage zu gehen, doch Ayako hielt ihn am Arm fest. „Wir müssen noch über etwas reden...“ „Meinetwegen aber ich hatte einen anstrengenden Tag und das da ist bestimmt Sanaka...“ Er war es tatsächlich, aber Kamijo hatte auch mit niemand anderem gerechnet. Er öffnete die Tür und der Jüngere warf sich ihm an der Tür leidenschaftlich in die Arme. „Honey...“ „Sanaka... Wirf mich doch nicht gleich um, du Nuss...“ „Och, so hab ich das aber am liebsten, Darling... Du unter mir...“ Sanaka lachte laut und versuchte Kamijo zu küssen, doch hielt ihm die Hand vor den Mund. „Nicht so laut, ich bin nicht allein...“ „Willst du mich etwa eifersüchtig machen...?“ „Bitte...“ Kamijo sah Sanaka flehend an, bevor er sich aus der Umarmung löste und umdrehte... und Ayako in der Wohnzimmertür stehen sah... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ Etwa auf der Hälfte hatte Mayu aufgehört zu lesen und das Buch beiseite gelegt. Dann hatte er die Decke vom Sessel genommen und sie sich um die Schultern gelegte. Als ihm jedoch immer noch nicht wärmer wurde, hatte er sich noch mit dem Rücken an die Heizung gelehnt. Zusammengekauert saß er dort mit geschlossenen Augen, während seine Gedanken nur so durch seinen Kopf rasten. Seine Wangen fühlten sich rissig und klebrig an von den vielen Tränen, die auf ihnen getrocknet waren. Das Schicksal all dieser Menschen in den Zeitungsartikeln hatte ihn tief bewegt, so sehr, dass er seine Tränen irgendwann einfach nicht mehr zurückhalten konnte. Es war alles dabei gewesen von der Kurznachricht am Rande, dem Lückenfüller, dem normalen Zwanzig-Zeilen-Text bis hin zum Zwei-Seiten-Bericht, in welchem Teile von Abschiedsbriefen zitiert und trauernde Angehörige zu Wort gekommen waren. Neben einigen Artikeln hatte Mayu kurze handschriftliche Notizen in roter Tinte gefunden; kleine Buchstaben, welche Satzfetzen, kurze Texte und manchmal auch nur einzelne Worte bildeten. Doch diese hatten es meistens in sich gehabt, wodurch Mayu noch mehr Tränen in die Augen gestiegen waren. Doch er hatte ihnen freien Lauf gewährt, hatte noch nicht einmal ein Taschentuch benutzt. Die emotionale Verzweiflung hatte ihn mit sich hinfort geschwemmt und er war zuerst wie gebannt gewesen, doch die anfängliche Faszination hatte sich schon auf den ersten zehn Seiten wieder gelegt und war einem Gefühl gewichen, welches Mayu auch jetzt, da er das Buch weggelegt hatte, noch immer im Herzen spürte... Verzweifelt schniefend stand er auf und flüchtete, noch immer mit der Decke um die Schultern, in die Küche, um sich eine Kanne Tee zu kochen, doch das heiße Getränk verfehlte seine Wirkung und Mayu konnte sich erst beruhigen, nachdem er sich mit zitternden Fingern eine Zigarette angesteckt hatte. Er setzte sich auf einen der Küchenhocker und inhalierte den Rauch so tief, dass ihm schwindlig wurde. Aber so musste er wenigstens nicht mehr denken... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ „Sanaka, dein Handy liegt hier drüben...“, sagte Kamijo verlegen und zog den etwas verdutzten Freund ins Wohnzimmer, wo sich Ayako wieder auf der Couch niedergelassen hatte. Doch der andere beachtete ihn nicht, sondern ließ seine Blicke prüfend über die junge Frau gleiten. „Das ist also deine Freundin...“, stellte er fest bevor er sie förmlich begrüßte, was Kamijo sehr peinlich war. Doch er wurde errettet, denn Ayako‘s Handy klingelte in diesem Augenblick und sie stand auf und verließ ohne ein weiteres Wort, aber mit einem prüfenden Blick auf die beiden Männer, das Wohnzimmer und ging auf den Balkon. Kamijo sah ihr nach und wartete, bis sie außer Hörweite war und das Handy am Ohr hatte, dann packte er Sanaka am Arm und zog ihn in die Küche, wo er ihn anfuhr. „Verdammt noch mal, musst du denn jeden Mal gleich mit der Tür ins Haus fallen...? Ein Glück, dass ihr Telefon geklingelt hat...“ Sanaka sah die Situation gelassener. „Mann, jetzt hab dich doch nicht so, du meintest doch, sie bekäme so was eh nicht mit... Außerdem bin ich dein Freund und wir haben uns lange nicht gesehen, zumindest in ihren Augen und da kann ich dir doch wohl schon mal um den Hals fallen...“ „Sicherlich aber lass doch bitte beim nächsten Mal deine Kommentare dazu...“ „Mmmh, das klang vorgestern Abend aber noch ganz anders, honey...“ Kamijo schloss die Augen und verwünschte sein Talent, immer wieder in Situationen zu geraten, die potentiellen Stresscharakter besaßen. Er atmete einmal tief durch, bevor er sagte: „Jaja, Sanaka...“ Er öffnete die Augen wieder und schrak zurück, denn Sanaka stand nun direkt vor ihm und lehnte sich vor um ihn zu küssen. „Mal was anderen, Kamijo...“, flötete er und leckte ihm sanft über die Lippen. „Wo hast du denn letzte Nacht geschlafen...?“ Kamijo errötete schlagartig und Sanaka kicherte. „Warum...? Wie... Wie kommst du darauf...?“ „Mmmh, ich bin eben ein spitzenmäßiger Beobachter... Du hast die Klamotten eines anderen Mannes an... Deine riechen immer nach Salem Pianissimo und Platinum Egoist, egal, wie oft du sie wäscht und du benutzt das Parfüm immer und überall... Nur heute rieche ich nichts und außerdem kenne ich dieses Hemd nicht und auch nicht die Hose...“ Kamijo war sprachlos. Und Sanaka setzte noch einen drauf, indem er fragte: „Mit wem hast du geschlafen und warum trägst du seine Sachen...? Ist das auch der Grund, weshalb ich dich gestern Abend nicht auf dem Festtelefon erreichen konnte...?“ „Warum hast du mich eigentlich nicht auf dem Handy angerufen...?“, versuchte Kamijo abzulenken. „Die Nummer kenn ich nicht auswendig, viel zu lang... Du lenkst ab... Also...? Warum so sprachlos...?“ Kamijo starrte den anderen einen Augenblick an, bevor er seinen Ärger darüber, dass er die Fassung verloren hatte, herunter kämpfte. „Nur weil ich mal nicht zuhause bin, heißt das noch lange nicht, dass ich mit irgendwem irgendwo schlafe, klar...? Ich bin ja nicht du... Ich hatte meine Autoschlüssel verlegt und habe bei Mayu übernachtet... Zufrieden...?“ Sanaka sah ihn jedoch nur stirnrunzelnd an. „Und warum trägst du dann seine Sachen...?“ Kamijo murrte leise, dann erzählte er ihm von seinem Malheur mit dem Schlüssel, der Nacht bei Mayu, wobei er allerdings auf sämtliche Details verzichtete und dem Kaffee, dem der Gitarrist ihm über die Sachen gegossen hatte. Sanaka grinste zuerst, dann fing er an zu lachen. „Du nimmst wirklich alles an Pech mit, was du kriegen kannst, nicht, Kamijo...?“ „Jaja, spar dir deinen Spott...“ Sanaka grinste noch immer, als er sich auf einen Küchenstuhl setzte und die Arme vor dem Oberkörper verschränkte. „Hast du denn nun herausgefunden, was mit ihm los ist...?“, fragte er und Kamijo senkte den Blick und schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich... Er hat zwar zugegeben, dass da etwas ist aber nicht, was und ich glaube auch nicht, dass er das in nächster Zeit tun wird... Vielleicht braucht er einfach Urlaub...“ Sanaka musterte ihn. „Du aber auch, so wie ich das sehe... Du siehst, mit Verlaub, furchtbar aus...“ Kamijo seufzte und erzählte ihm von Emiru und dessen neuem Schoßtier, was Sanaka abermals dazu bewegte, den Kopf zu schütteln. „Ich glaube, dein Problem ist, dass du nicht nein sagen kannst, kann das sein...?“ Kamijo antwortete ihm nicht, stattdessen setzte er sich auf den Küchentisch und stützte ein Bein auf dem Stuhl ab, auf dem Sanaka saß. „Ich hatte es versprochen...“, versuchte er sich wenige Augenblicke später zu rechtfertigen. „Eine ehrliche Haut...“, grinste Sanaka und griff nach Kamijo‘s Hüften, um ihn vom Tisch zu sich auf den Schoß zu ziehen. Dann küsste er ihn und begann, ihm das Hemd aus der Hose zu ziehen... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ Nach der fünften Zigarette fühlte Mayu sich wenigstens etwas ruhiger und er kehrte ins Wohnzimmer zurück. Er griff abermals nach dem Buch und schlug es auf, diesmal von hinten. „Das Leben geht solange weiter bis es irgendwann einfach endet... Oder wir es beenden...“ stand auf der letzten Seite in roter Tinte. Hoshina musste die Worte sehr schnell geschrieben und danach sofort das Buch zugeklappt haben, denn die Tinte war verwischt und die Schrift verzerrt. Auf den folgenden Seite entdeckte Mayu weitere Sprüche: „Wo ist der Sinn im Lebens, wenn der Weg, den wir zu beschreiten haben, schon vorgegeben ist...?“ „Es liegt eine Sehnsucht in der Welt, an der wir sterben müssen...“ „Meine Alpträume werden von Nacht zu Nacht schlimmer, irgendwann werde ich springen müssen, um ihnen zu entkommen...“ „Ich habe ihr vertraut, so vollkommen vertraut, wie ich es vorher in meinem ganzen Leben noch nie getan habe... Doch sie hat mich einfach fallen lassen, als sie mich nicht mehr benutzen konnte...“ „Ich leide, um mir meines Lebens bewusst zu werden... Dieses Leid ist der einzige Zustand, in dem ich mir gefalle und ich würde auch Dinge tun, die ich nicht mag, nur um weiter leiden zu können, denn es ist die einzige heroische Tat zu der ich fähig bin...“ Nachdem er den letzten Spruch gelesen hatte, erfasste Mayu eine solche Panik, ein Gefühl von absolutem Schmerz, dass er aufsprang, in den Flur rannte, eine Jacke vom Hacken riss und aus seiner Wohnung stürmte. Erst an der nächsten U-Bahnstation bemerkte er, dass er das Buch noch immer in der Hand hielt... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ „Bist du des Wahnsinns...? Wir sind nicht allein...“, zischte Kamijo und versuchte, von Sanaka‘s Schoß zu rutschen, was ihm jedoch nicht gelang, denn Sanaka hielt ihn fest und küsste ihn abermals. Er knöpfte ihm das Hemd auf und Kamijo wehrte sich stärker, was Sanaka jedoch nur ein Grinsen entlockte, bei welchem Kamijo sich ernsthaft zu fragen begann, ob das immer noch ein Spiel oder bereits bitterer Ernst war. Mit einem Kniff in Sanaka‘s Seite schaffte er es aber letztlich doch aufzustehen. „Kamijo, was tust du da...?“, erklang plötzlich Ayako‘s Stimme in der Küche und Kamijo drehte sich zu ihr um. „Eine kleine Meinungsverschiedenheit...“, antwortete er und knöpfte sein Hemd wieder zu, wobei er Sanaka einen ärgerlichen Blick zuwarf. Die ganze Sache wurde ihm zunehmend peinlicher. „Aber Sanaka wollte sowieso gerade gehen...“ Mit diesen Worten verließ Kamijo die Küche und wartete im Flur auf den anderen. Der trat verlegen neben ihn. „Tut mir leid, honey, ich wollte dich doch nur foppen...“, entschuldigte sich Sanaka und senkte den Blick. Er schlüpfte in seine Schuhe, zog die Jacke an und blickte Kamijo erneut ins Gesicht. Als der jedoch keine Anstallten machte, etwas zu erwidern, knuffte er ihn in die Seite. „Hey, ich sagte doch schon, dass es mir leid tut... Was mir noch einfällt: wir geben kurz vor Neujahr ein Konzert, vielleicht willst du kommen...? Ich wollte dich Vorgestern schon fragen, habe es aber vergessen...“ „Mal sehen...“, murmelte Kamijo. „Wenn du versprichst, dich zu benehmen...“ „Ich kanns versuchen... Melde dich bei mir, ich warte auf dich... Bye, honey...“ Sanaka gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor er im Treppenhaus verschwand... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ Mayu stand zögernd in der Dunkelheit des Hauseingangs; die Beleuchtung über der Tür war defekt und nur die kleinen Lichter auf den Klingelknöpfen der Namensschilder gaben einen leichten, grünlichen Schimmer ab. Zwar wusste er, wie er zu Kamijo‘s Wohnung gekommen war, aber nicht wirklich weshalb. Ein innerer Drang, den er sich nicht ganz erklären konnte, hatte ihn hier her getrieben. Denn zugegeben; Mayu hatte neben Kamijo geschlafen und zum ersten Mal seit Wochen keine Alpträume gehabt. Auch hatte er sich nach dem Aufstehen wirklich wohl in der Anwesenheit des anderen gefühlt und die Sache mit dem Kaffee tat ihm ein wenig leid. Mayu strich über die linke Jackentasche, in welche er das Buch gesteckt hatte und drückte den Klingelknopf... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ Kamijo lag auf der Couch und sah Ayako dabei zu, wie sie geschäftig durch die Zimmer lief, immer wieder mit ihrem Handy am Ohr und einem seltsam entrücktem Gesichtsausdruck. Sie schien immer mit der gleichen Person zu sprechen und Kamijo fiel auf, dass sie hin und wieder errötete und dass sie, wenn dies geschah, immer darauf bedacht war, ihr Gesicht vor ihm zu verbergen. Und dieses Verhalten machte ihn nervös. Als sie wieder an ihm vorbeilief, das Handy am Ohr, packte er kurzentschlossen ihren Arm und hielt sie fest. „Ayako, bitte... Hör doch mal auf, hier ständig auf und ab zu rennen...“ Doch sie warf ihm nur einen verächtlichen Blick zu und antwortete: „Ich telefoniere...“ Ich hätte Sanaka doch nicht rauswerfen sollen, dachte Kamijo und vergrub sein Gesicht in den Sofakissen, als es an der Haustür klingelte... „Mayu, was führt dich denn hierher...?“, entfuhr es Kamijo, als er den anderen vor seiner Wohnungstür stehen sah. Verblüfft sah er Mayu an und winkte ihn, als der nichts erwiderte, hinein. Ayako lief noch immer durch die Wohnung, also verzichtete Kamijo darauf, beide einander vorzustellen, sondern nickte nur wortlos als Mayu mit einem Kopfnicken auf sie deutete und fragend die Augenbrauen hob. „Kann ich dir was anbieten...? Tee vielleicht oder möchtest du etwas essen...?“ „Tee wäre nett, danke...“ Nachdem sich beide mit jeweils einer Tasse in den Händen auf dem Sofa niedergelassen hatten, Ayako war inzwischen im Schlafzimmer verschwunden, blickte Kamijo Mayu fragend von der Seite her an. Mayu hatte bis auf den Dank für den Tee noch kein weiteres Wort gesagt und saß einfach da, blickte über die Tasse, welche er an seine Lippen gehoben hatte, hinweg und schwieg. Als er plötzlich den Kopf drehte und Kamijo‘s direkten Blick mit einem eigenen beantwortete, errötete Kamijo und sah wieder geradeaus. Beide schwiegen einige Augenblicke, dann sagte Kamijo: „Du hast Sanaka knapp verpasst... Hast du ihn unten noch gesehen...?“ Mayu schüttelte den Kopf und beide schwiegen wieder eine Weile. Dann setzte Mayu seine Tasse auf dem kleinen Wohnzimmertisch ab. „Tut mir leid, ich wollte dich eigentlich nicht stören, aber ich wusste nicht, dass...“ Doch Kamijo hatte bereits den Kopf geschüttelt. „Du störst schon nicht, keine Sorge...“, antwortete er und wandte sich dem anderen nun auffordernd zu. „Aber warum bist du hergekommen...? Hättest du vorher angerufen, hätte ich zu dir kommen können oder wenigstens was anderes als kalten Reis und Bonitoflocken im Haus gehabt...“, sagte er ein wenig verlegen und lächelte. Mayu blickte ihn an und zu Kamijo‘s großer Überraschung beantwortete er das Lächeln, wenn auch ein wenig zögerlich. „Das ist egal...“, sagte Mayu und errötete ebenfalls und Kamijo kam sich plötzlich vor wie in einer billigen TV-Soap. Er räusperte sich aber bevor er etwas sagen konnte, stand Mayu auf und begann gemächlich, durch das Zimmer zulaufen, während Kamijo ihn von der Couch aus dabei beobachtete. Als Mayu am Klavier ankam, strich er mit den Fingern über die Tastenabdeckung und deutete kurz mit einem Blick auf Kamijo auf den kleinen Klavierschemel. Kamijo nickte und Mayu setzte sich, dann schlug er die Klappe auf und fuhr nun über die Tasten. Dann schlug er eine an. Kamijo beobachtete ihn weiter schweigend. Er wusste, dass Mayu nur bedingt Klavier spielen konnte; der andere hatte ihn immer ein wenig beneidet um seine eigenen Fertigkeiten an diesem Instrument aber Kamijo hatte auch bereits in frühester Kindheit damit begonnen. Als er, noch in der Grundschule, die Filmmusik für sich entdeckt hatte, hatte er jede freie Minute genutzt, um zu üben und konnte nun mit einigem Stolz behaupten, dass er wirklich gut und sauber spielen konnte, sowohl vom Blatt, als auch nach Gehör. Das Komponieren war erst in der Oberstufe dazu gekommen, als er dieses kleine Mädchen an einer Straßenkreuzung gesehen hatte und die Melodie, welche sie gesummt hatte, ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Da hatte er zum ersten Mal einen Notenpapierblock gekauft und sich hingesetzt, um alles aufzuschreiben. Mayu schlug einen weiteren Ton an und Kamijo schloss die Augen, als Mayu beide Hände auf die Tasten legte und zu spielen begann. Er spielte nicht virtuos und auch kein besonderes Stück und Kamijo hätte sicherlich auch nur mit einer Hand spielen können, was Mayu nun mit beiden spielte, aber er genoss es unheimlich, dass zur Abwechslung ihm mal etwas vorgespielt wurde. Er atmete ruhig ein und aus und Mayu veränderte sein Spielen, vertauschte Töne, ließ einige weg und änderte langsam die Melodie. Dann hörte er auf. Kamijo öffnete die Augen und sah, dass Mayu nun ihn beobachtete. „An was schreibst du grad...?“, hörte er den anderen leise fragen und Kamijo erhob sich und trat ans Klavier. „Ich habe einfach so ein bisschen vor mich hin geklimpert und immer wenn es gut klang, habe ich es aufgeschrieben...“ „Mmmh...“ Mayu nickte, dann deutete er auf die Blätter. „Darf ich...?“ „Natürlich...“ Mayu nahm die Notenblätter und legte sie so, dass er vom Blatt spielen konnte, schien jedoch schon nach wenigen Augenblicken zu merken, dass es wirklich nur Melodiefragmente waren, welche Kamijo da zusammengeschrieben hatte. Kamijo lachte. „Die Übergänge muss ich noch schreiben und einen Text... Für unsere neue Single...“, sagte er und fügte leicht verlegen hinzu: „Wenn es fertig wird... Ich habe so viele Blätter herumzuliegen mit Liedteilen, dass ich gar nicht mehr weiß, womit ich anfangen soll...“ „Kamijo, du plapperst schon wieder...“, unterbrach ihn Mayu und schenkte ihm abermals ein Lächeln. Kamijo räusperte sich und ließ sich dann neben Mayu auf dem Schemel nieder. „Nunja, ich... Muss es ja ausnutzen, wenn du nun schon mal hier in meiner Wohnung bist... Warum bist du eigentlich gekommen, Mayu, hat das einen besonderen Grund...?“ Mayu starrte Kamijo aus großen Augen an und plötzlich erinnerte er sich wieder an das Buch in seiner Jackentasche und all die Dinge, welche es beinhaltete und abermals ergriff ihn die kopflose Panik, welche ihn hierher geführt hatte. Mit der Ruhe, welche sich seiner bemächtigt hatte, als er Kamijo‘s Wohnung betreten hatte, war es nun schlagartig vorbei. Kamijo hatte sich zu ihm gedreht und warf ihm einen fragenden Blick zu. Mayu schloss die Augen und bewegte sich einen Augenblick lang gar nicht, kämpfte mit einigen Mühen seine Panik hinunter und zwang sich im nächsten Augenblick, Kamijo mit derselben Gelassenheit anzusehen, welche er schon beim Frühstück nicht sonderlich überzeugend zur Schau hatte stellen können. „Mayu...? Alles okay bei dir...?“, hörte er Kamijo fragen und er spürte, wie der andere ihm die Hand auf die Schulter legte und sah, wie er zu einer weiteren Frage ansetzen wollte. Mayu sprang plötzlich auf und schlug die Abdeckung der Klaviertasten zu, wobei er Kamijo‘s linke Hand nur deshalb verfehlte, weil der Sänger, erschrocken ob Mayu‘s plötzlicher Reaktion, die Hand von den Tasten gezogen hatte... Mit einem lauten Knall schlug die Abdeckung zu und Kamijo erschreckte sich noch einmal. Er starrte Mayu aus großen Augen an, bevor er sich ebenfalls erhob. „Ich muss gehen...“, sagte Mayu tonlos und wollte schon an ihm vorbeilaufen, aber Kamijo griff nach seiner Hand und hielt sie fest. „Mayu...“, rief er und stemmte sein gesamtes Gewicht gegen die Versuche des Gitarristen, sich von ihm loszureißen. „Mayu, verdammt noch mal, so langsam mache ich mir wirklich echte Sorgen um dich... Jetzt sag mir doch endlich, was mit dir los ist, ich muss das jetzt wissen...“ Und als der andere ihm keine Antwort gab, sondern nur zu Boden starrte, fügte er hinzu: „Du kannst mir vertrauen, das weißt du doch, nicht...?“ „Wie kann ich dir vertrauen, wo ich mir noch nicht einmal selbst vertrauen kann...“, antwortete Mayu und versuchte abermals, Kamijo zu entkommen. Der jedoch zog ihn in eine Umarmung, einfach weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Eine Tür schlug mit lautem Knall zu. Beide zuckten zusammen und Kamijo spürte, wie Mayu‘s Arme sich um hin legten. „Wir müssen noch über etwas reden, Kamijo, erinnerst du dich...“, ertönte es plötzlich von der anderen Seite des Zimmers her und beide, noch immer in der Umarmung des jeweils anderen, blickten erschrocken in diese Richtung. Dort stand Ayako mit vor der Brust gefalteten Armen, ihr Telefon in der Hand und schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen anklagend an. „Zuerst lässt du dich von diesem Sanaka umarmen, küssen und sitzt auf seinem Schoß, obwohl ich nur ein Zimmer weiter bin und nun umarmst du den da und willst ihn gar nicht mehr loslassen...“, sagte sie, biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. „Da wird es dich ja auch sicherlich nicht sonderlich stören, dass ich meine Sachen gepackt habe und gehen werde... Denn irgendwie klappt das mit uns beiden nicht so wirklich und jetzt, wo ich dich mit den beiden gesehen habe, zweifle ich an deiner Liebe zu mir...“ Als Kamijo keine Antwort gab, schniefte sie kurz und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dann schrie sie ihn an. „Du hast dich nie dafür interessiert, was ich eigentlich will und mit mir geredet hast du auch nicht... Glaubst du, ich lass mir alles gefallen...? Ich gehe jetzt und, nur damit dus weißt, ich komme nicht wieder...“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief in den Flur. Kamijo bemerkte verwirrt, dass ihm der Mund offen stand und schloss ihn. „Das ist doch jetzt nicht wahr, oder...“ Er ließ Mayu los und lief in den Flur, wo Ayako bereits ihren Mantel angezogen hatte und nun in ihre Schuhe schlüpfte. Eine kleine Reisetasche stand zu ihren Füßen. Sie drehte sich nicht zu ihm als er ihren Namen sagte und verließ ohne eine Reaktion auf ihn die Wohnung. Kamijo stand noch einen Augenblick da, unfähig zu verstehen, was hier soeben passiert war und eine hilflose Wut bemächtigte sich seiner. Mayu war im Wohnzimmer stehen geblieben und hatte alles mit großen Augen verfolgt. Als Kamijo zurück ins Wohnzimmer kam, wusste er nicht wo genau ihm der Kopf stand. Er lief an Mayu vorbei, welcher sich nicht vom Fleck rührte. Seine Hände formten Fäuste, in ihm wurde die Wut immer größer und er spürte das Verlangen, auf irgendetwas einzuschlagen, zu schreien, um sich zu treten und seinen ganzen Frust aus sich heraus zu befördern, seine ganze Wut und Hilflosigkeit. Noch nie hatte ihn jemand so verlassen, wie Ayako es gerade getan hatte und überhaupt; was war das für ein gottverdammter Abend gewesen... Kamijo lief ruhelos durch das Wohnzimmer und versuchte seine angestaute Wut unter Kontrolle zu halten. Seine Zigaretten vom Tisch nehmend und sich im Laufen eine davon ansteckend ging er zum Klavier um zu spielen, aber er klappte die Tastenabdeckung gleich wieder zu. Sein Atem kam stoßweise, sein Herz schlug wie wild. Er war nicht in der Lage, sich zu beruhigen. „Kamijo...“ Kamijo beachtete Mayu nicht, als er an ihm vorbei in die Küche lief und sich dort auf einen der Stühle fallen ließ. Die Fingernägel hatte er tief in die Handballen gekrallt, so wie er es immer tat, wenn er das Gefühl hatte, vor lauter Gefühle platzen zu müssen. „Kamijo, beruhige dich, du hast schon die Packung ganz zerdrückt...“, erklang Mayu‘s ruhige Stimme von der Küchentür her. Kamijo drehte sich zu dem anderen, wobei Asche auf seine Hose fiel, was er jedoch nicht weiter beachtete. „Beruhigen soll ich mich also, Herrgott noch mal...“, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, bevor er aufstand und sich an die Spüle stellte. „Es bringt doch nichts, sich jetzt aufzuregen... Sieh mal...“ „Wer regt sich denn auf...?“, zischte Kamijo und drückte die noch nicht zuende gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus, wobei er sich ob seiner zitternden Hände verbrannte. „Was für ein gottbeschissener Abend... Erst terrorisiert mich Emiru und hält mich vom Texten ab, dann nervt mich Sanaka mit seiner verdammten Sorglosigkeit, dann Ayako mit ihrer...“ Kamijo fuchtelte nach Worten ringend mit den Armen durch die Luft. „Aber natürlich regt mich das nicht auf, ich bin ganz ruhig, Mayu... ICH BIN RUHIG...“ Die letzten Worte warf er dem Gitarristen regelrecht an den Kopf und dann passierte etwas, was Kamijo in seiner Aufregung so vollkommen überraschte, dass er einfach nur dastehen und es geschehen lassen konnte: Mayu trat an ihn heran, hielt ihn an den Armen fest und küsste ihn... to be continued... ********************* stay tuned for the next crime... Kapitel 8: 08 ~ Die Ruhe vor dem Sturm -------------------------------------- author's note: ja, es hat wirklich eine ganze Weile gedauert, bis ich mich aufgerafft und mir einen wenigstens halbwegs eleganten Übergang, will sagen dieses "Zwischenkapitel" ausgedacht habe, mit dem ich zum nächsten Kapitel und damit auch zum nächsten Abschnitt meiner story überleiten will... denn jetzt beginnt etwas neues; zumindest besteht der Anspruch darauf... but now let us proceed to: 08 ~ hachi Die Ruhe vor dem Sturm Die Welt hatte aufgehört sich zu drehen und Kamijo‘s Ruhelosigkeit verschwand so plötzlich wie sie aufgekommen war. Seine Gedanken setzten aus und mit einem Mal hatte er das Gefühl, als legte sich ein Schleier auf sein überhitztes Gemüt. Er hatte die Augen weiterhin geöffnet und eine Ruhe bemächtigte sich seiner, in deren beschränkter Fülle er seine unmittelbare Umgebung plötzlich scharf und klar vor sich wahrnahm: das honiggoldene Licht seiner Couchlampe, der Geruch nach Zigaretten und Parfüm in der Luft, die offene Küchentür - und Mayu‘s Lippen auf seinen eigenen. Der eigentliche Kuss, ein mehrer Kontakt zweier Lippenpaare, musste nur Sekunden gedauert haben aber Kamijo kam es ob seiner überrumpelten und damit geschärften Wahrnehmung so vor, als habe die Welt in ihrem Taumel innegehalten, nur, um sich nun wieder ruhiger, aber auch anders zu drehen. Sich der plötzlichen Stille in seinem Kopf bewusst werdend, löste er sich langsam von Mayu und hielt ihn mit den Händen an der Hüfte und einer Schulter fest und sah ihn an. Der Augenblick schien ihm unendlich kostbar, wenn auch verwirrend und Kamijo brauchte zwei Atemzüge, um sich seiner eigenen Sprachfähigkeit zu vergewissern und auch dann brachte er nur Mayu‘s Namen heraus... „Oh...“ Mayu löste sich aus Kamijo‘s Griff an Hüfte und Schulter und trat einen Schritt zurück. Der andere war in seiner Position verharrt geblieben und blickte ihn ruhig an; nur seine Augen verrieten eine leichte Verwunderung. „Kamijo... Nunja... Jetzt bist du wenigstens ruhig...“, setzte Mayu hinzu und wunderte sich im nächsten Augenblick über die Festigkeit in seiner eigenen Stimme. „Ja, jetzt bin ich ruhig...“, vernahm er Kamijo‘s Stimme, bevor sich der andere an ihm vorbei bewegte und sich auf die Couch fallen lies. Mayu selbst blieb ein wenig unsicher stehen. Seit seinem impulsiven Kuss, über den er erst jetzt nachzudenken begann, waren nur Augenblicke vergangen, aber Mayu spürte wie auch seine eigene vor kurzem noch kopflose Panik verschwunden war in dem Moment, wo er seine Hände nach dem anderen ausgestreckt hatte, um ihn an sich zu ziehen. „Okay...“, sagte er nun leicht verlegen und deutete den Umstand, dass Kamijo ihn noch nicht angeschrieen hatte, damit, dass der andere gerade ebenso verwirrt und aus dem Konzept gebracht war wie er selbst. Jetzt galt es nur, der Situation wieder ein Stück weit Kontrolle und Überschaubarkeit zu verleihen, ohne sich die Blöße geben zu müssen. „Ich glaube, ich lasse dich jetzt besser allein...“, sagte er. „Du... Ehm... Wir sehen uns dann...“ Mayu drehte sich um, verschwand im Flur und zog in Windeseile seine Jacke und Schuhe an; dann öffnete er die Tür und ging. Im Fahrstuhl auf dem Weg nach unten konnte er sich noch beherrschen und seine Hand davon abhalten, wie selbstverständlich über die Jackentasche zu gleiten, in welcher sich das kleine Büchlein mit den Zeitungsartikeln und der blutroten Schrift befand. Als er jedoch aus dem Haus auf die Straße trat, strömte die Panik mit dem Straßenlärm und dem künstlichen Licht der Laternen wieder auf ihn ein und er hätte sich ihrer genauso kopflos ergeben, wie in seiner Wohnung, aus welcher er geflüchtet war, hätte nicht mit solcher Klarheit im Zuge seiner nun wieder dahin strömenden Gedanken eine Verwirrung von ihm Besitz ergriffen, die ihn, nun, da er wieder in der kalten Nacht stand, mit dem Gefühl zurückließ, dass alles seinen Händen und seiner Kontrolle entglitten war. Mayu fühlte sich mit einem Mal so durcheinander, dass er an der nächsten Straßenecke die Hand nach einer Laterne ausstrecken und sich festhalten musste, sonst wäre er umgefallen. Ihm war plötzlich schlecht, sein Magen und sein Kopf drehte sich und er brauchte einige Minuten, um sich wieder zu erholen. Erst dann trat er den Heimweg an, wobei er mit der Hand wie zur Beruhigung über die ausgebeulte Jackentasche strich, in welcher sich das Buch befand, was ihn erst aus der Wohnung getrieben hatte, um ihn nun noch kopf-und ratloser zurück zu lassen, als er sich ohnehin schon fühlte... ~~~~~~~~***~~~~~~~~ Kamijo hatte noch lange auf der Couch im Wohnzimmer gesessen, bevor er sich ins Bett begeben hatte. Entgegen seiner eigenen Erwartung ob Ayako‘s Weggang und ihrer Worte hatten seine Gedanken die Frau nur am Anfang gestreift, bevor er darüber nachgedacht hatte, was in dieser Welt Mayu dazu gebracht hatte, so unerwartet bei ihm vorbei zu kommen, so merkwürdig zappelig zu sein, ihn zu küssen und wieder zu verschwinden ohne auch nur den Grund für sein Kommen verraten zu haben. Kamijo war darüber mehr als nur verwundern, doch er konnte sich keine Erklärung ausmalen, die wahrscheinlicher als mindestens hundert andere gewesen wäre. Irgendwann hatte er einfach aufgegeben und einfach nur dagesessen, während seine Gedanken wie automatisch zurück zu den Augenblicken glitten, in denen Mayu seine Lippen mit seinen eigenen überdeckt hatte. Kamijo warf sich durch eine unruhige und alles andere als erholsame Nacht, mehr als einmal war er versucht gewesen, aufzustehen und den Fernseher einzuschalten, wie er das noch wenige tage zuvor gemacht hätte, um bei Telefonsexwerbungen geistig abzuschalten. Er entschied sich jedoch, sich zusammenzureißen und der Gewohnheit, welche ihm praktisch gesehen eigentlich nichts bedeutete, da sie ihm neben der Leere in seinem Kopf nichts brachte - nie wieder würde er dort anrufen; der moralische Horror vor der Kinderstimme am anderen Ende der Leitung war seit dem letzten Versuch einfach zu groß geworden - nicht nach zu geben. So blieb er liegen und schlief endlich ein, nur um am nächsten Morgen innerlich genau so ratlos und verwirrt aufzuwachen, wie er eingeschlafen war. Es war Donnerstagmorgen, erst kurz nach sieben und draußen war es noch dunkel, aber Kamijo war hellwach und außerstande, sich noch einmal hinzulegen. Also stand er auf, um sich Kaffee und Frühstück zu machen. Während der Kaffee durch die Maschine tröpfelte, lief er hinunter zum nächsten Convenience Store um die Zeitung und eine Packung Kartoffelsticks mit Zucker zu holen und saß dann in der Küche und genoss den frühen Morgen, welcher langsam in den Vormittag überging, während Kamijo in der Zeitung las und sich dann, als der Kaffee alle war, mit einer Tasse Tee ans Klavier setzte und an seinem Stück weiterkomponierte. Dies alles geschah in einer Ruhe und Ausgeglichenheit die ihn selbst zutiefst verwunderte und vielleicht sogar beunruhigt hätte, hätte er sich nicht so ungemein wohl dabei gefühlt. Dass Ayako gegangen war, blieb zwar eine Tatsache, die er nicht zu ändern vermochte, aber Kamijo stellte, während er klimperte, auf seinen Zetteln Noten und Passagen strich und neue hinzufügte, fest, dass sie ihn nur milde überraschte. Und eigentlich auch nicht traurig stimmte. Kurz fragte er sich, ob er dies genau so denken würde, hätte ihn Mayu am Abend zuvor nicht auf so unerwartete Weise aus der Fassung gebracht, aber tief in seinem Herzen wusste er, dass es eigentlich auch vollkommen egal war, wo Ayako war oder nicht war. Kamijo war ruhig, gefasst und sogar ein wenig beschwingt als er endlich den Refrain seines Liedes zufrieden beendete. Gegen Mittag rief Kazumi an, um ihn nach dem nächsten Probentermin für das Konzert einen Tag vor Sylvester zu fragen und ihm, als Kamijo nachhakte, zu erzählen, wie es ihm in seinem Kurzurlaub gefiel und ihm seinerseits berichtete, wie er die Situation mit dem verlorenen Schlüssel gelöst hatte. „...und als ich an meinem Wagen ankam, lag der Schlüssel im Schnee vor der Fahrertür...“ Kamijo hörte Kazumi auf der anderen Seite der Telefonverbindung auflachen. „Au Mann, das nenne ich Glück im Unglück...“, sagte Kazumi und Kamijo lächelte. „Nya, wie man es nimmt, nicht...“ „Ach, Kamijo, da hast du wirklich noch mal Glück gehabt... Als du anriefst, dachte ich, du drehst gleich durch und ich hab mir echt Sorgen um dich gemacht...“ „Ja, ich weiß, tut mir leid, Kazumi, dass ich dir solch einen Schrecken eingejagt habe...“ Der andere lachte. „Nein, nein, das ist okay, ich bin nur froh, dass alles wieder in Ordnung ist... Du klingst wirklich erleichtert, das freut mich...“ „Ja, ich bin gerade ziemlich zufrieden mit allem... Nach Neujahr können wir wohl eine neue Single einüben, ich bin bis dahin sicherlich fertig...“ „Das freut mich zu hören, Kamijo... Sag mal, ich werde erst am Tag nach Heiligabend wieder zurück in Tokyo sein, ich hoffe du kannst mich bis dahin entbehren...“ „Sicherlich... Sei unbesorgt und hab eine schöne Zeit mit deiner Freundin...“ Kamijo lächelte und stellte sich, während Kazumi sich bedankte, vor, wie der große brünette Mann mit seiner Freundin im Schnee spazieren ging. Der Gedanke rührte ihn irgendwie. „Sag, was machst du eigentlich morgen Abend...?“, drang Kazumi‘s Frage einen Augenblick später an sein Ohr und Kamijo hörte auf zu lächeln. „Sicherlich triffst du dich mit deiner Freundin...“ „Ehm... Nein, sie hat andere Pläne, denke ich mal...“, antwortet Kamijo und wunderte sich nur am Rande darüber, dass seine Stimme so wunderbar gelöst klang. „Ich werde aber sicherlich jemand anderes finden... Also dann, Kazumi, bis in ein paar Tagen...“ Mit diesen Worten legte er den Hörer auf die Gabel und beschloss, dass es eine sehr gute Idee sein würde, am folgenden Abend einfach mal bei Mayu vorbeizuschauen, sollte Sanaka nicht schneller sein und ihn hier bei sich aufsuchen. Den Rest des Tages und den darauffolgenden Vormittag verbrachte Kamijo in einer Ruhe, von der er nicht wusste, dass er ihrer fähig war. Vom Frühstückstisch war er zu einem Spaziergang aufgebrochen und erst am frühen Nachmittag zurückgekommen und stand nun vor dem Kleiderschrank um sich in Schale zu werfen. Er wusste zwar noch nicht, was er mit Mayu unternehmen würde an diesem Heiligabend, geschweige denn, ob der andere überhaupt Lust und Zeit hatte, aber Kamijo stellte milde überrascht fest, dass er wahnsinnige Lust darauf hatte den anderen zu sehen und, nun, vielleicht konnte er ihn ja aus seiner Wohnung locken. Kamijo war überzeugt davon, dass ihm das gelingen würde, als er sein Haus in Richtung U-Bahnstation verlies... to be continued... **************** stay tuned for the next crime... Kapitel 9: 09 ~ Christmas Eve ----------------------------- author's note: dieses Kapitel zu schreiben war ein Akt... und eigentlich sollte es auch noch länger gehen, aber ich fand es dann doch besser, es auf zwei Kapitel aufzu teilen... (das sage ich oft, kann das sein...?) dedicated to Kisa, how helped me see the world from more than one angle... my god, I am getting corny and sentimental again... I am down right prone to be... anyway, let me dare you to: kyu ~09 Christmas Eve ~it is pain and weird affection that draws us together~ Kamijo bemerkte seine Nervosität, welche sich während der Bahnfahrt langsam aufgebaut hatte, erst richtig, als er auf den Klingelknopf mit Mayu’s Namen drückte. Die Straße in der die Wohnung des anderen lag, war, wie beinahe alle kleineren Straßen in der ganzen Stadt, nicht vom Schnee geräumt worden. Kamijo war auf dem Weg von der Station bis an die Haustür mehrere Male beinahe ausgeglitten. Jetzt zog der junge Mann seine Handschuhe aus und hoffte darauf, dass Mayu überhaupt zuhause war und er den langen Weg bis zu ihm nicht ganz umsonst gemacht hatte. Außerdem war Heiligabend und Kamijo hatte sich bisher noch keinerlei Gedanken darüber gemacht, was er tun würde, sollte Mayu nicht da oder anderweitig beschäftigt sein. Kamijo schluckte. Heiligabend wollte er nun wahrlich nicht allein verbringen, aber was wenn... „Hallo...?“ Die Gegensprechanlage rauschte und Kamijo beugte sich ein Stück hinunter um genau in das Mikrophon sprechen zu können. „Mayu...? Hier ist Kamijo... Kann ich zu dir raufkommen...?“ Es dauerte einen Augenblick bis der Türöffner summte und Kamijo öffnen und erleichtert in den Hausflur treten konnte. Oben an der Wohnungstür erwartete ihn Mayu mit leicht zerzaustem Haar und in Hausklamotten und schaute ihm ziemlich überrascht entgegen. „Was willst du denn hier um diese Zeit...?“, fragte er und zog eine Augenbraue hoch. Kamijo lächelte entwaffnend und lehnte sich, trotz unstetem Herzschlag, betont lässig und bequem gegen den Türrahmen. „Ich dachte, du bist vielleicht zuhause und hast heute Abend noch nichts vor...“, sagte er jovial und lächelte Mayu abermals an. „Kann ich reinkommen...?“ Mayu nickte kurz und trat beiseite und Kamijo schlüpfte an ihm vorbei in den kleinen, nur schwach von Wohnzimmer her beleuchteten Flur. Er zog Schuhe und Mantel aus und lies sich von Mayu ins Wohnzimmer geleiten. In dem Zimmer herrschte schummriges Licht; nur eine kleine Lampe an der Heizung brannte und daneben lag die Bettdecke, die Mayu Kamijo vor wenigen Tagen gegeben hatte. Der große braune Sessel, den Kamijo bei seinem letzten Besuch zum ersten Mal gesehen hatte, lag umgestürzt auf der Seite. Mayu hatte den Boden herausgenommen und kleinere Holzsplitter und Teile der Verkleidung hatten sich gelöst und lagen in einem kleineren Durcheinander auf dem Teppich. Ebenfall dort lagen ein Päckchen Spielkarten, ein kleines Buch mit schwarzem Einband und eine Kaffeetasse, welche noch halbvoll war. Es sah so aus, als hatte Mayu in der kleinen Lichtinsel gesessen und gelesen als Kamijo an der Tür geklingelt hatte. Kamijo blieb mitten im Zimmer stehen und fragte sich kurz, warum der andere vor der Heizung gesessen hatte, noch dazu mit einer Decke, anstatt, wie er es sonst erwartet hatte, auf seinem Futon liegend zu lesen. Dann jedoch drehte er sich zu Mayu um, welcher eben gerade die Wohnzimmertür hinter ihnen schloss. „Was ist denn hier passiert...?“, fragte er und deutete auf das auf der Seite liegende Möbelstück. Mayu zuckte die Schultern. „Eine Feder ist herausgesprungen und ich habe versucht, sie von unten wieder in die richtige Position zurück zu ziehen...“ Mayu schien der ganzen Sache wenig Aufmerksam zu schenken und blieb an der Zimmertür stehen, um Kamijo im orangen Licht der Lampe genau in Augenschein zu nehmen. „Schein glatt draußen zu sein... Du hast Schnee an der Hose... Bist du ausgerutscht...?“ „Beinahe...“ Kamijo sah an sich herab und erst jetzt fiel ihm die nasse Stelle am rechten Hosenbein auf. Er legte die Hand darauf und der Schnee schmolz in Sekunden. „Was machst du grad...?“, wollte er wissen, unsicher darüber, ob er den anderen nicht vielleicht doch ungebeten kam. Mayu jedoch zuckte abermals die Schultern. „Lesen...“, war seine kurze Antwort. „Und was bringt dich hierher zu mir...? Hast du meine Sachen mitgebracht...?“ „Oh...“ Kamijo verzog das Gesicht und verwünschte sich dafür, dass ihm diese offensichtliche Gelegenheit, mit einem wirklichen Grund bei Mayu zu erscheinen, nicht aufgefallen war. „Nein...“, sagte er verlegen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Hab ich leider total vergessen...“ „Aha...“ Auch diesmal war Mayu‘s Antwort kurz und Kamijo fragte sich ob der andere nicht nur danach gefragt hatte um überhaupt irgendetwas zu sagen. Mayu drehte sich denn auch ohne weiteres Interesse um und ging in die Küche. Kamijo folgte ihm. Mayu schien ihn nicht weiter zu beachten als er zum Wasserkocher griff um sich eine Tasse Kaffee einzufüllen. Kamijo war es irgendwie unangenehm, einfach in der Tür zu stehen und er räusperte sich nur um Mayu‘s Aufmerksamkeit wieder zu erlangen. „Warum nimmst du nicht die Tasse, die im Wohnzimmer auf dem Boden steht...? Ist der Kaffee darin schon kalt...?“ Mayu drehte sich zu ihm, die neue Tasse in der Hand. „Ist das nicht egal...?“ „Schon möglich... Mayu, komme ich dir irgendwie grad ungelegen...?“ Der Angesprochene blickte ihn einen Augenblick nur an, wie um den Sinngehalt seiner Frage oder einer möglichen Antwort abzuschätzen und sagte dann: „Nein, ich war nur gerade so versunken in mein Buch und habe überhaupt nicht mit dir gerechnet...“ Der Wasserkocher pfiff und Mayu drehte sich wieder der Arbeitsfläche der kleinen Küche zu. „Willst du auch eine Tasse...?“, fragte er leise und füllte Kaffeepulver aus einer kleinen goldenen Dose in die bereitgestellte Tasse. Kamijo nickt. „Ja, sehr gern...“ Zurück im Wohnzimmer lies Mayu sich auf der Bettdecke neben der Heizung nieder und Kamijo setzte sich auf den Fußboden ihm gegenüber hin. Einige Minuten lang schlürften beide schweigend ihren heißen Kaffee, dann blickte Mayu plötzlich auf. „Wenn du mir meine Sachen nicht wiederbringen willst, was willst du dann...?“ Er zog die Knie an und stellte die Tasse darauf ab. Kamijo fuhr sich ein wenig verlegen mit einer Hand durch die Haare, dann sagte er: „Naja, ich hatte Lust darauf, dich zu sehen und hatte gehofft, dass du heute Abend vielleicht nichts vorhast...“ „Aha...“ Ob dieser Aussage noch mehr als sowieso schon verlegen, zupfte Kamijo an einer Haarsträhne in seinem Nacken und lies seine Blicke durch das Zimmer und dessen Schatten schweifen. „Nun, ich wollte heute Abend etwas unternehmen angesichts des besonderen Datums und ich hatte gehofft, dass du mit dabei sein würdest...“ „Besonderes Datum...?“, fragte Mayu etwas verwirrt und Kamijo schaute ihm nun direkt und ebenso leicht verwirrt an. „Heute ist doch Heiligabend... Mayu, hast du das etwa vergessen...?“ „Naja, vergessen nicht, eher nicht mitbekommen...“, antwortete Mayu, nun selbst ebenfalls leicht verlegen. „Ah, jetzt wird’s mir klar...“ Verstehen durchleuchtete Mayu‘s monotone Züge. „Du hast ja eine Freundin mehr... Und da dachtest du, da ich ja auch keine habe, kommst du mal eben hier vorbei um an Heiligabend nicht allein rumsitzen zu müssen...“ „Genau das... Allerdings mit weniger Hinblick auf meine Exfreundin...“ Kamijo atmete hörbar aus und fixierte Mayu nun direkt. „Also, was ist...? Meinst du, du kannst dich losreißen von einem Abend bleierner Bücherspannung und mit mir nach Shinjuku kommen...? Ich hab nichts genaues geplant, aber mal ganz ehrlich: wir können doch hier nicht so rumsitzen, nicht an so einem Tag wie heute...“ „Ich habe in den letzten zwei Jahren nichts an Heiligabend unternommen und habe es bisher immer überlebt...“, sagte Mayu und seine Worte hatten etwas entgültiges. Doch Kamijo war weit davon entfernt, einfach sang- und klanglos aufzugeben und wieder nach hause zu schleichen. Er würde alles tun, um Mayu zum Ausgehen zu bewegen. Auch für vielleicht nur eine Stunde oder zwei. „Dann hast du definitiv was verpasst... Shinjuku ist wundervoll am heiligen Abend... Die Weihnachtsbeleuchtung überall und außerdem...“ Doch Mayu unterbrach ihn an dieser Stelle. „Kamijo, nur weil du keine Freundin hast und auf deinen Spaß nicht verzichten willst, willst du jetzt mich bis nach Shinjuku schleifen...? Um dort was zu tun...? Ich werde nicht mit dir händchenhaltend durch die Straßen wandern...“ „Nein, nein, das verlange ich auch nicht...“ Kamijo lachte obwohl er sich sicher war, dass Mayu keinen Scherz gemacht hatte. „Aber wir könnten doch einfach in eine Bar gehen und schauen was uns dort so an Frauen über den Weg läuft... Ich kenne einen englischen Pup dort an der Hauptstraße, gehen wir doch dort hin... Nicht jede Frau hat schließlich einen Freund zum Heiligabend-mit-verbringen und vielleicht ergibt sich was... Wir könnten essen gehen und vielleicht...“ Kamijo hatte einen neuen Einfall. „Vielleicht tut dir etwas weibliche Zuwendung ganz gut...“, gab er zu bedenken. Mayu lies ein schnaubendes Geräusch vernehmen, was entfernt nach einem Lachen klang und Kamijo lächelte ihn an. „Weibliche Zuwendung...? Du bist ja wirklich schnell über deine Trennung hinweg...“, sagte Mayu und lächelte nun wirklich, wenn auch nur leicht. „Ach, Schnee von gestern...“, winkte er ab. „Na, komm schon, gib dir einen Ruck... Lass mich nicht hängen... Lesen und Trübsal blasen oder was auch immer kannst du auch noch morgen Abend...“ „Na gut, na gut...“, erklärte Mayu sich endlich bereit und stand auf. „Ich werde ein guter Freund sein und dich nicht hängen lassen... Aber eins lass dir gesagt sein...“ Er hob den Zeigefinger in Kamijo‘s Richtung. „Wenn ich keine Lust mehr habe, dann gehe ich und es wird nichts geben, was mich umstimmen kann... Und du wirst es auch nicht versuchen...“ „Natürlich, natürlich... Ganz wie du willst...“, antwortete Kamijo, erfreut über seinen Erfolg. Hinter dem Rücken jedoch kreuzte er seine Finger, so dass Mayu es nicht sehen konnte. Er wollte es dem anderen auch nicht zu einfach machen und vielleicht war das seine einmalige Chance, Antworten auf Fragen zu erfahren, die ihn bereits seit Wochen nicht mehr losließen. Ganz zu schweigen von Mayu‘s Kuss zwei Abend zuvor. Außerdem hatten sie schon seit Wochen nichts mehr zu zweit unternommen; nicht, seit Mayu sich so plötzlich in sich selbst zurückgezogen und Kamijo damit ein kopfzerbrechendes Rätsel aufgegeben hatte. Der Gitarrist hatte von diesen Gedanken natürlich nichts mitbekommen und sah sich nun in seinem Zimmer um. „Warte hier, ich werde mir was anziehen und mich fertig machen...“, sagte er. Dann öffnete er den Kleiderschrank, suchte einige Augenblicke lang und verschwand dann mit einigen Klamotten in Richtung Bad... Mayu besah sein Gesicht im Spiegel. Die dunklen Ringe um seine Augen waren nach wie vor präsent und um seine Lippen hatte sich in den letzten Wochen ein gewisser Zug von Härte gelegt, welcher Mayu bisher nicht aufgefallen war. Nachdenklich hob er eine Hand und führte sie an seine Wange. Sein Spiegelbild kopierte seine Bewegung und sah ihm weiterhin wortlos in die Augen. Seit Kamijo zuletzt hier gewesen war, seit Mayu neben ihm eingeschlafen war, voller Angst, sich wieder in seinen Alpträumen zu verlieren, nur um dann aufzuwachen und festzustellen, dass sie ihn für diese Nacht nicht heimgesucht hatten, aus welchen Gründen auch immer, und etwas in Mayu hatte sich strikt geweigert, ihre Abwesenheit mit Kamijo‘s Anwesenheit zu erklären, hatte er zwei weitere Nächte erlebt. Und diese waren nach der einen geruhsamen wirklich höllengleich gewesen. Mayu hatte sich durch Stunden zwischen Wachen und Träumen geworfen, immer mit der Hoffnung, dass bei seinem nächsten Erwachen die Wintersonne schon durch seine Zimmerfenster scheinen würde, nur, um dann jedes Mal doch wieder mit der Dunkelheit konfrontiert zu werden. Seine Träume waren nach wie vor seltsam real und einnehmend und Mayu fühlte sich nach dem Schlafen keinen Deut wacher und besser als am Abend zuvor. Ja, er fühlte sich nach der ersten Nacht so gerädert, dass er am vorherigen Abend extra lange wach geblieben war, obwohl sein Kopf irgendwann zu schmerzen begonnen hatte und ihm immer wieder die Augen zufielen. Niedergeschlagen und überreizt hatte er sich dann hingelegt, nur um wieder die gleichen schrecklichen Bilder zu sehen... Mayu wandte sich vom Spiegel ab und versuchte den Schatten von sich zu schütteln. Langsam griff er nach Jeans und Pullover, um sich anzuziehen. Als er dann ein wenig Make-up auflegte, um die ungesunden dunklen Stellen in seinem Gesicht zu übertünchen, stellte er fest, dass er sich merkwürdigerweise darauf freute, dass Kamijo an diesem Abend zu ihm gekommen war. Vielleicht war es auch mehr eine Ahnung als echte Freude und diese Erkenntnis verwirrte ihn zusehends. Mayu wünschte sich, dass der andere einfach in seiner Nähe blieb, anstatt ihn hinaus in den Schnee und nach Shinjuku zu schleifen. Er hätte kein Problem damit gehabt, den Abend hier zu verbringen, in beiderseitigem Schweigen. Was jedoch wäre dann geschehen, wenn Kamijo das Buch entdeckt und hineingesehen hätte? Dieses Buch, was ihn erst in Kamijo‘s Arme getrieben hatte. Dieses Buch, welches ihn in seiner kopflosen Flucht dazu gebracht hatte, Kamijo zu küssen, nur um damit alles nur noch viel verwirrender und komplizierter zu gestalten... Mayu wurde sich beim Blick in sein Spiegelbild immer klarer darüber, dass er Kamijo die Existenz dieses Buches verheimlichen musste. Und genau das würde er auch tun. Es war dumm gewesen, es ihm zeigen zu wollen und Mayu entschloss sich dazu, alles zu tun, um dieses kleine, jedoch nicht minder schreckliche Geheimnis vor Kamijo mit allem was ihm zur Verfügung stand, geheim zu halten. Selbst wenn er ihm dazu an so einem kalten und für ihn selbst gänzlich bedeutungslosen Abend nach Shinjuku würde folgen müssen, um Kamijo‘s Zweifel zu zerstreuen und ihn im Auge behalten zu können. Er würde damit genau das tun, was Kamijo wenige Tage vorher in verzweifelter Unwissenheit von ihm verlangt hatte; so tun, als wenn nichts wäre. So würde er es machen und was dann geschah, kümmerte niemanden mehr. Mayu verschloss seinen Schmerz in seinem Herzen und verließ das Badezimmer... Die Straßen Shunjukus waren an diesem voller Menschen. Kamijo blickte sich um als er mit Mayu im Schlepptau aus dem Bahnhofsgebäude auf die Straße am East Exit trat. Die Nacht war kalt und klar, das letzte Schneien hatte aufgehört aber die Luft war nicht still. Wind war aufgekommen und auf dem Platz vor dem Ausgang drängten sich die Menschen; hier traf sich, wer immer sich in Shinjuku treffen wollte. Kamijo und Mayu, der sich, zu Kamijo‘s stiller Belustigung, eine tiefschwarze Mütze halb über die Augen gezogen hatte, machten sich auf dem Weg zwischen händchenhaltenden Pärchen und Leuten, die mit ihren Freunden in Gruppen unterwegs waren, weg von dem Platz inmitten des belebten Stadtviertels. „Wo ist denn dein Pub...?“, fragte Mayu und hielt sich näher an Kamijo, um den anderen Menschen um ihn herum besser ausweichen zu können und Kamijo im Gedränge nicht zu verlieren. „Dort entlang...“, antwortete Kamijo und hob die Hand. Als sie an der Hauptstraße ankamen, an welcher jedes Geschäft offen hatte, zeigte Kamijos‘s Armbanduhr gerade einmal neun Uhr abends an. Sie liefen die Fußgängerzone entlang, vorbei an den grellen Lichtern der Leuchtreklamen und Fensterauslagen der Läden und die Luft um sie herum vibrierte förmlich von den Geräuschen der anderen Nachtschwärmer um sie herum. Kamijo hätte nach Mayu‘s Hand gegriffen um sie beide schneller voran zu bringen, doch nach einem kurzen Impuls ließ er seine Hand wieder an seine Seite sinken; der andere hätte diese Geste sicherlich sowieso nicht zugelassen, auch wenn sie in diesem Augenblick nicht als Zuneigungsbeweis gemeint war, sondern als Wegweiser. Sie liefen über die breite Straße, dann nach links und betraten wenige Augenblicke später durch eine offene Tür in einem der großen, unförmigen Häuser eine kleine Kellertreppe, die sich nach unten schlängelte. Der Raum, den sie nun betraten, war wie die Straßen voller Menschen und auch hier vibrierte und pulsierte die Luft, aber es war nicht mehr so kalt wie draußen und auch haftete ihm eine andere Atmosphäre an. Kamijo sah sich um, entdeckte einen freien Tisch in einer der Ecken und ging zielstrebig darauf zu. „Was willst du trinken...?“, fragte er und schob Mayu die Karte hin. Dann legte er seine Jacke neben sich auf die Bank und griff nach der zweiten Karte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Mayu, der sich eben die Mütze vom Kopf zog, mit einer Hand durch sein Haar fuhr und sich umsah. Die Wände waren höher, als Kamijo sie in Erinnerung hatte, allerdings war er das letzte Mal mit Sanaka hier gewesen und hatte naturgemäß der Einrichtung wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Das alte Steuerrad mit den Griffen rundherum hing noch an der Wand und auch der Rettungsreifen in weiß und blau war noch da, aber seit Kamijo hier gewesen war, waren andere Dinge hinzugekommen. Die Holzverkleidung der Wände war dunkel lackiert worden und Kamijo fuhr mit der Hand über die Sitzbank, auf der er saß. Mayu hatte sich derweil hingesetzt und griff nach der Karte. „Ich nehme ein Strongbow Cider...“, beantwortete er Kamijo‘s Augenbraunzucken und ließ sich gegen die Holzverkleidung auf seiner Seite des Tisches sinken. „Hübsch hier...“, sagte er nach einem weiteren Rundumblick. Kamijo quittierte dies mit einem Lächeln. Als sie ihr Bier bestellt hatten, Kamijo hatte sich Mayu angeschlossen und ebenfalls ein Strongbow verlangt, blickte Mayu ihn über die Kerze auf dem Tisch hinweg an. „So, jetzt sind wir hier...“, stellte er nüchtern fest. „Und was willst du nun, das ich tue...?“ Kamijo griff ruhig nach seinen Zigaretten und bot Mayu eine an. Der lehnte jedoch ab. „Hier sein, unter Menschen...“, antwortete er und grinste süffisant. Mayu schwieg einen kurzen Augenblick, in welchem sich Kamijo seine Zigarette ansteckte. „Du meinst das wirklich ernst, nicht...?“, fragte er, was Kamijo erneut süffisant lächeln ließ. Er lehnte sich gemütlich nach hinten und blies langsam den Rauch in die bereits tabakgeschwängerte Luft. „Natürlich tue ich das...“ „Und du hattest sonst keine andere Wahl, was deine Abendbegleitung anging...?“ Es geht nicht darum, ob du meine einzige Alternative zu einem langweiligen Abend zuhause warst, dachte Kamijo, sagte es jedoch nicht. Stattdessen räusperte er sich und nahm einen erneuten Zug. Den Rauch stieß er beim Reden wieder aus als er sagte: „Das steht außer Frage, Mayu... Du bist hier, weil ich mit dir hier sein wollte...“ „Aha...“ Mayu blickte Kamijo mit kokettierter Ungläubigkeit an und Kamijo begann sich ein wenig zu ärgern. Er wollte Mayu zeigen, was er in der Welt außerhalb seiner eigenen Wohnung verpasste und ihn nebenbei ein wenig beobachten, herausfinden, ob es etwas zu entdecken gab, vielleicht ein Gespräch führen, eines, das nichts mit Belanglosigkeiten zu tun hatte; ein wirkliches Gespräch. Kamijo wusste nicht ob er sich über sich und seine eigene Naivität ärgerte oder über Mayu‘s Spielchen, denn schließlich hätte er wissen müssen, dass der andere es ihm nicht einfach machen würde und er beschloss, dass es an der Zeit sei, die Gesprächstaktik bis auf weiteres aufzugeben. Wenn eine Kriegstaktik nicht funktionierte und der General dies bereits während der Schlacht, am besten zu einem Zeitpunkt, bemerkt, an dem er noch einmal umplanen konnte, dann war er sehr gut damit beraten, sich schleunigst etwas anderes auszudenken. Kamijo wartete bis der Kellner, der gerade neben ihren Tisch getreten war, die beiden Flaschen Bier und zwei Gläser abgestellt hatte, dann begann er den Raum zu durchsuchen und wurde auch schnell fündig. Es gab nicht nur Pärchen, die diese Nacht zu ihrer ganz persönlichen Nacht machten, sondern auch viele, die allein oder mit Freunden unterwegs waren. Ich werde schon dafür sorgen, dachte er, dass du dich amüsierst und dass du redest. Im nächsten Augenblick kamen ihm zwar seine eigenen Gedanken äußerst herrisch vor, aber er schob alle Zweifel und Verwunderung beiseite und winkte zwei jungen Frauen zu, welche ihn und Mayu schon die ganze Zeit seit ihrem Eintreten in den Pub beobachtet hatten. Das geht fast zu glatt, dachte er noch, und erstickte ein Grinsen als er Mayu‘s erschrockenes Gesicht sah, als die beiden Mädchen sich zu ihnen setzten... Zwei Stunden später, Kamijo rauchte gerade die letzte Zigarette seiner aktuellen Packung und war in ein ziemlich sinnloses Gespräch mit dem Mädchen links von ihm vertieft, hatte Mayu das Gefühl, dass er die offensichtlichen und, er wusste nicht, ob das am Alkohol oder seiner eigenen Ruhelosigkeit lag, plumpen Flirtereien auf der Sitzbank ihm gegenüber nicht mehr sehr viel länger würde ertragen können. Er hatte Kamijo den ganzen Abend beobachtet, da das Mädchen neben ihm auf der Bank ihm keine wirkliche Ablenkung davon hatte bieten können, und musste nun zugeben, dass, obwohl er noch immer nicht genau wusste, was Kamijo mit diesem Ausflug nach Shunjuku oder den beiden Mädchen eigentlich genau erreichen wollte, Kamijo immerhin eines geschafft hatte: Mayu hatte den ganzen Abend über ihn nachgedacht. Und das so intensiv, dass er den Namen des Mädchens neben ihm schon längst wieder vergessen hatte. In dieser unbekannten Umgebung hatte Mayu in den vergangenen zwei Stunden eine Seite seines Freundes entdeckt, welche er bisher nicht zu kennen geglaubt hatte. Kamijo war zuvorkommend gewesen, hatte gelacht, geredet und geflirtet und er war in allem, wie Mayu zugeben musste, verdammt gut und sicher gewesen. Die Mädchen waren es, die im Vergleich zu ihm wie plumpe Mittelschülerinnen gewirkt hatten. Doch auch Mayu hatte sich gut amüsiert. Er war inzwischen bei der dritten Flasche Bier angelangt, welches ihm sehr gut schmeckte, die Musik gefiel ihm, obwohl der Fernseher neben ihrem Tisch an der Wand vor einer halben Stunde etwa begonnen hatte, ein Manchester United-Spiel zu übertragen und er hatte sich wohl gefühlt, ein paar Fragen zu beantworten, die ihm die beiden Mädchen gestellt hatten. Sonst hatte er sich beim Reden und beide Mädchen mit ihrem Interesse ihm gegenüber zurückgehalten; es war ganz offensichtlich Kamijo, an dem beide gleichermaßen interessiert waren. Aber Mayu störte dies nicht weiter und seine Hand war nur ein einziges Mal über die Jackentasche mit dem kleinen schwarzen Büchlein darin geglitten. Er hatte erst überlegt, es in der Wohnung zu lassen; aus Angst, sich ohne jedoch unsicher zu fühlen, hatte er es dann aber doch eingesteckt. Kamijo hatte davon nichts mitbekommen... „... du wärst sicherlich schockiert...“, sagte Kamijo gerade und lachte. Das Mädchen neben ihm, dessen hellbraun gefärbtes Haar ihr in Lockenstabwellen über die Schultern fiel, griff nach ihrem Bierglas und trank einen Schluck. Kamijo blinzelte ihr zu und Mayu fragte sich im nächsten Augenblick, ob Kamijo das Mädchen wirklich anziehend fand und sich gut amüsierte, oder einfach nur höflich war. Aber dann hätte er dieser ganzen Sache hier bereits mehrere Male ein Ende setzen können. Mayu beobachtete Kamijo weiter und bemerkte nicht, dass das Mädchen neben ihm ein wenig nach vorn rückte um ihrer Freundin unter dem Tisch geben den Fuß zu treten und ihr einen Blick zuzuwerfen. Sie hatte immerhin schon vor einer ganzen Weile jegliche Konversationsversuche mit ihm aufgegeben, deshalb hatte er sie nicht weiter beachtet.. „Ich weiß nicht genau...“, sagte das Mädchen neben Kamijo gerade und schüttelte ihr Haar. „Aber solange du weißt, wohin du gehst, ist alles nicht weiter dramatisch...“ Mayu hatte keine Ahnung, worum es ging aber anscheinend war das der beste Kommentar zum aktuellen Thema, den sie hätte machen können, denn Kamijo legte den Kopf schief und fuhr sich mit der Zunge kurz über die Unterlippe. Dann nickte er. „Du magst recht haben...“ Beide Mädchen kicherten. Dann sagte die, welche neben Kamijo saß: „Wo wir gerade darüber sprechen: was habt ihr zwei denn heute noch so vor...?“ „Mal sehen, was sich noch so ergibt, aber ich würde sagen, uns gibt es heute nur im Doppelpack...“ Beide Mädchen grinsten abermals und das Mädchen neben Mayu antwortete: "Umso besser..." Immer mehr verwirrt beobachtete Mayu, wie Kamijo mit ihm einen kurzen, aber intensiven Blickkontakt herstellte. Dann drehte er sich zur Seite, legte dem Mädchen einen Arm auf die Schulter und als er es küsste, spürte Mayu ganz unerwartet einen Stich im Herzen und war sich im nächsten Augenblick klar, dass irgendetwas an diesem Abend ganz gehörig falsch lief... to be continued... **************** stay tuned for the next crime... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)