Schuljungenreport von abgemeldet (Dr. D-chan klärt auf) ================================================================================ Kapitel 13: Die beste Freundin ------------------------------ In der tiefschwarzen Nacht mit einem durch Wolken verdeckten Vollmond streifte der Dämonenjäger Sindbad durch das an das Internat angrenzende Waldgebiet, kroch durch Gestrüpp und machte Dinge, die es nicht einmal bei einem Survival-Training gab - wer von den Teilnehmern von solchen Trainings konnte schon sagen, dass er oder sie mit einem Bumerang nach dunklen Schatten jagte, um Gott einen Gefallen zu tun und die Unterwelt-Kreaturen für ewig zu bannen?! Wahrscheinlich keiner. Sindbad pustete sich eine seiner hellblauen Haarsträhnen aus dem Gesicht und zog sein Stirnband fester. Er konnte förmlich spüren, dass es hier nur so von Dämonen wimmelte, doch sie zeigten sich nicht - und er konnte sie nur bannen, wenn sie in einer bestimmten - für ihn sichtbaren - Gestalt vor ihm sstanden. Oder hinter ihm. Ganz egal wo, jedenfalls konnte er sie jetzt nur spüren, wie ihre kalten Gase ihre Nebel durch den Wald zogen. Sie drangen in seine Nase und rochen nach purer Verwesung, sodass dem Jungen schlecht wurde. Jetzt war aber leider keine Zeit, sich zu übergeben. "Sindbad, lange nicht gesehen." Vielleicht würde sich doch eine Minute finden, um den Mageninhalt auf den armen Waldboden zu verteilen?! Warum musste jetzt auch noch Noyn - also Hijiri - hier auftauchen?! Hatte sich Sindbad bei den letzten Malen noch beschwert, das der Dämonenritter nicht da war, so konnte er sich heute an solcherlei Gedanken nicht mehr erinnern. Er hatte heute zuviel von seinem eigentlichen Klassenlehrer gehört - er wollte ihn nicht mehr sehen und auch nicht seine dunkle, angenehme Stimme hören, mit der er heute so nah zu ihm gesprochen hatte. Diese Worte... mit dem liebevollen, aber auch unendlich traurigen und hoffnungslosen Inhalt, auf die er noch irgendwann antworten musste. Irgendwann... aber nicht jetzt. Nun musste er die Dämonen aus ihren Verstecken kitzeln und dann fertig machen. Ob Noyn ihm wieder im Weg stehen würde, musste er erst sehen. Wenn der Gute wüsste, dass er seinen Lieblingsschüler bei der Arbeit behinderte, würde er sich seine Taten zweimal überlegen, bevor er dazu überging, ihm kleine, "niedliche" Dämonen auf den Hals zu hetzen. "Wir haben uns heute Vormittag erst gesprochen, Meister", flüsterte Sindbad leise und auch die Bezeichnung 'Meister' für Noyn war nicht ernst gemeint. Diese Worte waren eh nicht wirklich für ihn bestimmt. Woher sollte er denn auch wissen, dass er zweimal etwas von der gleichen Person wollte?! Eigentlich konnte das Chiaki - oder Sindbad - mal wieder als ein Kompliment aufnehmen. Aber irgendwie auch nicht... Alles war so verzwickt und gar nicht so lustig. Oder doch? Mit einem Mal ging Sindbad ein Licht auf: Warum sah er eigentlich die ganze Sache so ernst?! Er drehte sich plötzlich um und visierte Noyn aus seinen dunkelblauen Augen an. Wieso machte er sich nicht locker und überraschte den Schwarzhaarigen mit einer Gefühlsregung? Es war doch ganz einfach, jetzt zu ihm zu gehen, ihm einen Kuss auf den Mund zu drücken und den ganzen Kerl anschließend auf den Waldboden?! 'Hemmungen, kleiner Chiaki? Was ist, wenn er abblockt?' "Er wird mir nicht widerstehen können, schließlich stellt er mir auch in dieser Form nach - ohne es zu wissen. Er wird sich darauf einlassen." 'Aber Chiaki... willst du das wirklich? Willst du diesem Mann das Herz brechen?' "Wieso... breche ich ihm damit das Herz? Schließlich will er doch etwas von Sindbad...!" 'Denk doch mal nach: Er wird sich schreckliche Vorwürfe machen, dass er dein wahres Ich sozusagen "betrogen" hat... und du willst doch nur einen Vorwand haben, warum du ihm auf seine Worte heute vormittag nicht antworten musst! Du bist so schrecklich feige...' "Ich weiß doch nur nicht, wie ich wirklich fühle! So könnte ich es doch herausfinden... er wird eh nie sehen, dass ich Chiaki bin. Darum... werde ich es versuchen. Nach dieser Mission heute Nacht werde ich zu ihm gehen und ihm mindestens einen Kuss abverlangen." Sindbad beendete seinen kleinen Monolog mit dem leise dahingehauchten Wort: "Mindestens..." Ehe er richtig darauf vorbereitet war, einen Dämon zu killen oder zu bannen - ganz egal wie man es nannte - wurde er von links angegriffen: Ihm fielen bald die Augen heraus, als sich plötzlich einer der Laubbäume aus den Erdboden befreite und seine Wurzeln nutzte, um auf ihn zu zu wanken. Die Äste knarrten bedrohlich und der Geruch von Moder und verfaultem Holz lag in der Luft, verpestete sie geradewegs. Der Blauhaarige rümpfte die Nase nach seinem ersten Schock und wurde im nächsten Atemzug von einer Windböe erfasst, die ihn mit einer großen Menge Laub in die Luft und gegen einen anderen Baum schleuderte. Woher kam so ein Wind, wo sie doch mitten im Wald waren?! Da gab es doch sowas gar nicht! Der Baum, an den er geschleudert worden war, schien ebenfalls von einem Dämon besessen zu sein, denn seine dünnen Zweige und Äste griffen nach ihm und umschlangen seine Arme und Beine, sodass er sich nach einiger Zeit des Strampelns nicht mehr bewegen konnte, denn je heftiger er sich wehrte, desto enger zogen sich die Gliedmaßen des Baumes um seine eigenen. Selbstständig konnte er sich hieraus nicht mehr befreien, nur einer konnte ihm noch helfen... "NOYYYYN!" Wo steckte dieses Sackgesicht, wenn man es mal brauchte?! Sindbad schrie noch einmal nach seinem eigentlichen Feind, doch keiner antwortete. Es tauchten nur auf einmal Heerscharen von super kleinen Dämonen um ihn herum auf, die ihn zwar böse ansahen, aber sofort begannen, die Äste und Zweige des Baumes zu zerkauen. Kamen die etwa von Noyn?! Warum konnte der nicht selber hierher kommen, um ihm zu helfen? Er wusste aber, dass er lieber dankbar sein sollte, denn sonst wäre hier hier oben in diesem blöden Baum wohl jämmerlich verreckt. Er schrie entsetzt auf, als er ein kleines Stück nach unten rutschte, weil ihn nur noch wenige Zweige oben hielten. Verzweifelt sah er nach unten und realisierte erst jetzt richtig, dass sich der Boden in weiter Ferne befand und er sich womöglich alle Knochen brechen konnte, wenn er da ungesichert herunter fiel. Toll... "Hört auf, ihr Mistviecher!!" Doch die kleinen beschimpften Dämonen hatten wahrscheinlich den Auftrag bekommen, nicht eher mit ihrer Arbeit aufzuhören, bis der Dämonenbanner von seinen Naturfaserfesseln befreit worden war... "Scheißeeeeeeeee!!!" Er schien heute aus dem schreien nicht mehr herauszukommen, denn als er nun endgültig dem Erdboden entgegensauste, kniff er nur noch seine Augen zusammen und hoffte, dass der Boden an der Stelle, wo er landete, weich war. Sehr weich... und... verdammt! "Verdammt!" "Verstehst du jetzt, warum ich meine kleinen Freunde schicken musste, um dich zu retten, süßer Engel?" Sindbad war sprachlos. Warum genau, wusste er auch nicht, aber plötzlich war alles andere um ihn herum unwichtig: All die Dämonen, die er noch bekämpfen musste, seine innere Stimme... und auch Chiakis - sein eigenes Wohl. Allein der Augenblick zählte, in dem er in Noyns Armen lag, mit denen dieser ihn sicher aufgefangen hatte. Seine dunklen Augen waren auf ihn geheftet, nur auf ihn. Und eine seltsame heiße Welle von Glück und Verlangen wallte sein Blut auf. Plötzlich umfasste er mit seinen Händen den Kopf des anderen und zog den Schwarzhaarigen zu sich herunter, um ihn auf den Mund zu küssen. Die Wärme der fremden Lippen auf seinen war so erregend und neu für ihn, dass er nicht mehr genug davon bekommen konnte. Doch Noyn löste den Kuss und sah ihn skeptisch an: "Warum das? Stimmt es tatsächlich, dass Schockzustände und Todesängste Kurzschlussreaktionen hervorrufen? Oder wie darf ich das hier verstehen?" Sindbad sah den anderen etwas entgeistert an, denn er hätte eigentlich nicht mit einer Frage gerechnet, die in diese Richtung ging. Denn die Frage des warums konnte er nicht wirklich beantworten. Von Noyn hätte er nur einen Kommentar erwartet, in dem der Schwarzhaarige feststellte, dass sich Chiakis Lippen auch woanders an ihm gut anfühlen würden - oder sowas ähnliches. Vor Schreck wusste er erstmal nicht mehr, was er antworten sollte. Nebenbei bemerkte er, dass seine Konter in Hijiris oder Noyns Nähe eh nicht so toll war. Sie war zwar immernoch nicht die schlechteste, aber es fiel ihm irgendwie schwerer, die richtigen, gut wirkenden Worte zu finden, um den anderen verbal auszuknocken. "Wahrscheinlich... hast du recht." Irgendetwas musste er doch sagen! Und im Nachhinein wurde ihm nun auch langsam klar, was er da gesagt hatte. Eine Zustimmung, dass er gerade im Affekt gehandelt hatte, völlig ungeplant - und dabei hatte er doch eigentlich gewusst, warum er Noyn küsst hatte! Er wollte doch... herausfinden, ob sich da etwas zwischen ihnen entwickeln konnte. Oder war er kurz davor gewesen, etwas sehr dummes zu tun, indem er mit Noyn rummachte und ihn nicht wissen ließ, dass er es war - sein "Lieblingsschüler"... "Naja, da du ja jetzt gerettet bist, stell ich dich wieder auf deine eigenen Füße", lächelte Noyn - mit einer kleinen Spur von Wehmut, die an Sindbad aber nicht spurlos vorbei ging: Was hatte er sich eigentlich in seinem kleinen, dummen Köpfchen gedacht, Noyn zu küssen?! Warum wollte er auf einmal herausfinden, ob es gut war, mit Hijiri zusammen zu sein? Er war sein Lehrer - sein Klassenlehrer, um genau zu sein! Und auf den wollte er sich auf einmal einlassen? Auf einen Mann?! 'Chiaki... äh, Sindbad - reiß dich zusammen! Du wolltest doch eigentlich versuchen, mit einem süßen Mädchen anzubandeln. Was erlaubst du dir, freiwillig einen Mann zu küssen?' Sein gewissen machte ihm solche schlimmen Vorwürfe, dass der Blauhaarige entsetzt die Hand, die Noyn noch auf seiner Schulter liegen hatte, wegschlug. Er schnaufte tief durch und hob seinen Kopf, um Noyn in die Augen zu sehen: "Vergiss das alles. Ich habe im Affekt gehandelt." Dann war er plötzlich weg, sodass sich der Schwarzhaarige erstaunt einmal um die eigene Achse drehte. "Interessanter Affekt... ich hoffe, du handelst öfter so", schmunzelte er dann leicht, auch wenn er gründlichst verwirrt war. Dieser Kuss hatte ihm gut gefallen, auch wenn er "nur" die Lippen des anderen gespürt hatte. Elektrisierend und... lecker. Anders konnte man dieses Erlebnis kaum beschreiben. Wieso war in der Praxis eigentlich alles anders als in der Theorie?! Chiaki stöhnte auf, als er sich nach der erfolgreichen, aber seltsamen Mission auf sein Bett fallen ließ. Erst hatte er sich ausgemalt, wie es wohl wäre, Noyn zu verführen, ihn glauben zu lassen, dass er ihn wollte. Ein Mittel zum Zweck, damit er sich selbst entscheiden konnte, ob er etwas mit Hijiri anfangen konnte... Erst jetzt bemerkte er den puren Egoismus, mit dem er beinahe gehandelt hatte. Er hätte Noyn nur etwas vorgespielt und ihn verdammt unglücklich gemacht, wenn er sich am Schluss doch nicht für ihn entschieden hätte. Und wann hatte er eigentlich vorgehabt, diese "Testphase" zu beenden?! Gott, wie dumm war er gewesen... Zum Glück hatte ihn sein gewissen doch noch etwas aufgerüttelt. Oder waren es Noyns Worte gewesen, die ihn zum Nachdenken gebracht hatten? Diese Worte, bei denen er geglaubt hatte, sie niemals von dem Dämon zu hören. Wie auch immer, irgendetwas war es gewesen. Er seufzte leise und schloss die Augen, die er vorher beim nachdenken weit aufgerissen hatte, weil ihm das Ausmaß seiner Fast-Taten in den Sinn gekommen war. Dieses Leben im Internat machte ihn noch vollends verrückt. Erst Hijiris ständige Annäherungsversuche, dann die Geschichte mit Mizuki, der erst ihn angemacht hatte und nun mit Sanji zusammen gekommen war und zu guter Letzt auch noch dauernd die anstrengenden Missionen! Wenn er sich mit Noyn zusammentun würde, hätte er einen Gegner weniger... - ach, was dachte er da schon wieder?! Er konnte sich noch gut an die einstigen Worte des Schwarzhaarigen erinnern: 'Sei schön lieb zu mir und ich tu dir nichts', oder so in etwa. Aber... halt mal: Noyn hatte ihm heute geholfen und keinerlei Dank dafür erwartet. Und obwohl er ihn immer kalt abgewiesen hatte. Vielleicht würde er nie aufgeben... aber auf jeden Fall hatte er ihn gerettet... tja, und er hatte sich dann doch noch bedankt. Mit einem Kuss. - Genau! Das war es! Falls Noyn noch einmal fragen sollte, warum er ihn geküsst hatte, konnte Sindbad guten Gewissens sagen, dass er sich bei ihm auf diese Weise bedankt hatte. Wieder ein Problem weniger. Chiaki reckte und streckte sich ein wenig auf seinem Bett, wickelte sich in seine Decke ein und überhörte gekonnt Sanjis leises Schnarchen, bevor er einschlief. ~*~ Nachdem der neue Tag mit einem schönen, vom Morgen geröteten Himmel begann, wollten Chiaki und seine beiden Zimmermitbewohner am liebsten gar nicht aufstehen. Zu angenehm war das warme Bett, die müde, schläfrige Stimmung... Ein guter Tag für ein Frühstück am Bett... Doch Mizuki war erbarmungsloser Frühaufsteher und noch gemeiner in der Anwendung der Lautstärke, mit der er die anderen beiden munter machte: "Aufstehen, ihr Schnarchsäcke, geschlafen werden kann in der Nacht! Ein neuer Tag hat begonnen und die Sonne lacht!" Das stimmte allerdings. "Das ist doch aber kein Grund, hier zu rumzubrüllen, Mann!", meinte Sanji etwas grummelig. Er wurde von dem schon aufgestandenen Blonden mit einem Guten-Morgen-Kuss auf die Wange und dann auf das nackte Schlüsselbein begrüßt und spürte dann auch schon das Gewicht seines Freundes auf sich, der einfach auf ihn draufgesprungen war. Er keuchte, etwas von seiner Fassung verlierend: "Mach das noch einmal und ich bin tot!" Mizuki kicherte und begann, den unter ihm liegenden an den Seiten zu kitzeln, was dieser natürlich ganz und gar nicht romantisch fand und anfing, eine Mischung aus schreien und lachen zu artikulieren. "Hör... sofort... auf damit!", brachte er zwischen seinen Lachanfällen hervor und versuchte, den anderen von sich herunterzuschubsen. Doch Mizuki hielt sich an ihm fest und schmiegte sich ganz nah an den Schwarzhaarigen, damit er ihn nicht loswerden konnte. So in ihr kleines Spiel am Morgen vertieft, bemerkten sie nicht, wie Chiaki auf leisen Sohlen, mit Duschzeug und frischen Klamotten unterm Arm das Zimmer verließ, um sich für den Tag frisch zu machen. Als er endlich unter dem angenehm warmen Wasser stand, welches seinen Körper weckte, seufzte er wieder einmal tief, als er bemerkte, dass es immer schwerer für ihn wurde, nicht neidisch auf seine Mitbewohner zu werden. Es tat ihm richtig weh, die frische Liebe des Pärchens so nah mitzuerleben, auch wenn er es ihnen wünschte. Einerseits wusste er, von wem er solche Liebe bekommen konnte... andererseits wollte er es nicht wahrhaben, dass ein Mann mit ihm zusammen sein wollte. Er konnte doch nicht von einem Tag auf den anderen schwul werden, mal etwas übertrieben ausgedrückt, oder? Aber vielleicht war er ja auch schon sein ganzes Leben lang dazu ambitioniert, einen Mann zu lieben... War es vielleicht vererbbar? - Nein, das war ein altes Ammenmärchen, Chiaki glaubte nicht an sowas. Doch er musste sich eingestehen, dass er den Rothaarigen irgendwie anziehend... ja, attraktiv fand. Und wenn er ihn berührte, brannte sein Körper an diesen Stellen. Was sollte er nur machen?! Sein Schwur war ihm eigentlich gar nicht mehr so wichtig, zumal er eigentlich nur besagte, dass er niemanden nur als purer Geilheit anfallen würde. Das wäre ja auch beinahe passiert, wenn er in der Dorfbar nicht auf Mizuki gestoßen wäre, der ihn von seinen Problemen abgelenkt hatte. Seltsamer Weise hatte es ihn eigentlich kaum geschockt, dass er nun das Zimmer mit zweien teilte, die auf einander - also auf das gleiche Geschlecht - standen. Irgendwie war seine Toleranz in den letzten Wochen und Monaten erstaunlich gestiegen. Er musste sich an Rijou erinnern, mit dem er auch über das Schwulsein gesprochen hatte. Beziehungsweise - der Ältere hatte, ohne es zu wissen, Chiakis Problem angesprochen: Das Verhältnis eines Schülers mit seinem Lehrer. Es ging also... wie man an Rijous persönlichen Beispiel sah, doch die größte Frage war immernoch, auf sich Chiaki auf so etwas einlassen würde - immerhin hatte er vorgehabt, spätestens nach Ende der zwei Jahre Schule wieder in seine Heimatstadt zu ziehen und es noch einmal mit Marron oder jemand anderem zu probieren. Immerhin hatte er in einer Stadt viel größere Chancen, eine geeignete Partnerin zu finden, mit der er sich wirklich gut verstand und die er liebte. Was sollte das also hier mit Hijiri?! Spätestens wenn die Schule aus war, wurde die mögliche Beziehung beendet und das war's. Da waren doch keine Zukunftschancen... Nach dem Duschen war er noch immer in Gedanken versunken, sodass er gleich vergaß, sein Duschzeug mitzunehmen. Doch er bemerkte es erst nach dem Mittagessen und machte sich sofort fluchend auf, es in den Duschräumen zu suchen. "Wegen dir, Hijiri...", grummelte er leise und bekam einen mittleren Anfall, als er sah, dass seine Sachen nirgendwo mehr auffindbar waren. Na toll, da konnte er sich also alle seine Sachen neu kaufen, denn von so einer Art Fundbüro hier im Internat wusste er nicht. Allerdings könnte er aber mal jemanden danach fragen, schließlich hatte er keine Lust, sich in den teuren Läden im Dorf neue Sachen zu holen, auch wenn er genug Geld hatte. Sein tolles Duschgel gab es dort bestimmt nicht zu kaufen - und das wollte er unbedingt wiederhaben! Es erinnerte ihn irgendwie immer an Zuhause... und das Gefühl wollte er nicht missen, besonders nicht hier, wo er doch eigentlich keinen kannte - jedenfalls nicht länger als sein Anfang des Schuljahres. Missmutig schlenderte er durch die Gänge des Gebäudes und bemerkte, dass es nicht nur von außen zu wuchtig und groß war. Es war ein Altbau mit breiten Steintreppen, breiten Gängen und hohen Räumen, die aber trotzdem gemütlich waren. Auch wenn hier kein einziges weibliches Wesen anzutreffen war (außer vielleicht einige Reinigungskräfte oder die nette ältere Frau von der Essenausgabe), fand er es langsam doch ganz nett hier. Seltsamer Weise achtete er neuerdings bei seinen Mitschülern auch auf ihr Aussehen... das hatte er vorher noch nie gemacht, nur bei den Mädchen aus seiner alten Schule, mit denen er sich sowieso immer sehr beschäftigt hatte. Vielleicht... machte er das jetzt in seiner neuen Klasse gewohnheitshalber, auch wenn dort keine Mädchen mehr waren. Und... er musste zugeben, dass die meisten der Jungs nicht einmal so schlecht aussahen. Es gab viele... nun ja, hübsche Menschen unter ihnen. Aber... warum fiel ihn sowas auf?! Besah er sich seine neuen Schulkameraden so genau, weil er in ihnen immernoch Konkurrenten sah - oder fand er langsam Gefallen an der männlichen Statur? Gott, das konnte er alles nicht glauben. Und wenn er es jemandem erzählen würde, der ihn von früher als Playboy und gleichzeitigen Frauenversteher kannte, würde sich wahrscheinlich ins Hemd machen vor Lachen, weil dieser besagte Schwarm des schönen Geschlechts jetzt kurz davor war, zum anderen Ufer zu wechseln. Dabei war das alles gar nicht so komisch, denn Chiakis Innerstes verlangte danach, sich mit jemandem unbeteiligten darüber zu unterhalten. Er /musste/ es einfach tun... Marron anrufen. Auch wenn sie nicht mehr zusammen waren, hoffte er darauf, vernünftig mit ihr reden zu können. Freundschaftlich. Denn irgendwie... war ihm die Lust vergangen, wieder etwas mit ihr zu beginnen. Er wollte sie als gute Freundin... Vertraute behalten, nicht mehr und nicht weniger. Nach seinem Duschzeug konnte er auch später suchen, hatte er sich gedacht und wollte sich jetzt endlich den wichtigeren Dingen zuwenden: Er hatte sein Handy fest umklammert, als er Marrons Nummer in seinem Telefonbuch suchte und als er sie gefunden hatte, atmete er tief durch. Er hatte Angst, die falschen Worte zu finden... oder dass er dem Drang nicht widerstehen konnte und wieder auflegte, wenn er nur ihre Stimme hörte. Aber diesmal hatte er etwas wichtiges zu besprechen... da musste es klappen. Er drückte auf die kleine grüne Taste, hörte das Freizeichen. "Ja?" Ihre Stimme. Und es klappte. Sie brachte ihn nicht sehr aus dem Konzept. "Ich bin's, bitte leg nicht auf." "Nein, das tu ich nicht. Wir sind ja keine kleinen Kinder mehr." Okey, das traf ihn ein wenig, da er beim letzten Mal ja aufgelegt hatte, aber er sagte nichts zu dem Thema. "Ich wollte dich etwas fragen... zuerst mal, wie du zu dem stehst, was wir hatten und jetzt haben... beziehungsmäßig." Eine kurze Pause folgte, in der Chiaki versuchte, ruhig zu atmen, auch wenn er zugeben musste, das er ein bisschen aufgeregt war. "Also... ich muss dir gestehen, dass ich jemand neues gefunden hab. Bitte sei mir nicht böse. Aber erstaunlicher Weise ist es für mich entspannender, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht über meine zweite Identität Bescheid weiß." "Wer ist es?" "Mmm... Yamato." "Ha", machte Chiaki tonlos. Na sowas. "Aber ich denke, wir können normal reden, ohne uns irgendwie anzugiften. Schließlich waren es die Umstände, die uns getrennt haben. Oder?", meinte das braunhaarige Mädchen. "Das denk ich auch, denn irgendwie bist du auch die einzige, mit der ich über Dämonen und den ganzen Scheiß reden kann", lachte Chiaki - noch etwas unsicher. Vom anderen Ende der Leitung erscholl auch ein fröhliches Geräusch und die Worte: "Du bist auch mein Vertrauter, wenn's um Jeanne und Sindbad geht. Aber warum hast du eigentlich wirklich angerufen?" Die Lage zwischen ihnen hatte sich entspannt und Chiaki wurde auch ruhiger, lächelte ein wenig. Es war gut, dass sie wieder miteinander redeten und es störte ihn auch nicht, dass sie jetzt mit Yamato zusammen war. Er gönnte es dem Kleinen. Insgeheim musste er leicht grinsen... er hatte es gemocht, ihn damit aufzuziehen, dass er für einen Jungen etwas zu klein geraten war. Aber vielleicht kam der finale Wachstumsschub erst jetzt, man konnte ja nie wissen. "Ich bin auch kurz davor, mit jemandem zusammenzukommen... eventuell." "Auf deinem Jungeninternat?!" "Ähm... ja." "Wie jetzt?" Chiaki bildete sich ein, ein kleines Grinsen von Marron förmlich hören zu können. "Kann es sein, dass du gerade grinst?" "Ich?! Wie kommst du denn darauf?", gluckste sie belustigt. Der Blonde seufzte und konnte sich vorstellen, dass es schon ein bisschen befremdlich klang, wenn der größte Frauenheld aller Zeiten so etwas andeuten ließ, dass er an einem Mann interessiert war - beziehungsweise einer an ihm. "Entschuldige, aber ich hatte wirklich für einen Moment gedacht, dass du vielleicht mit einem schnuckeligen Typen bald was am laufen hast. Aber du wirst bestimmt in der Nähe der Schule von einem Haufen Mädchen-" "Er heißt Hijiri Shikaidou und ist mein Klassenlehrer." Nun herrschte wirklich Totenstille. Chiaki hoffte, dass jetzt nicht irgendwie der Akku seines Handy alle geworden war oder sonstige Telefonpannen, sondern dass Marron einfach nicht wusste, was sie auf seine Unterbrechung hin antworten sollte. "...Hey, am Telefon jemanden zu verarschen ist nicht schwer..." "Und die Wahrheit zu sagen ist auch einfacher", grummelte der Blonde leicht, mit einem Seufzen in der Stimme. "Tut mir leid, das sollte jetzt nicht böse klingen", entschuldigte sich die Brünette, "wie kann ich dir denn helfen?" "Tja, dieser besagte Typ ist nebenbei auch noch eine Art Dämonzüchter, der mich regelmäßig bei meiner Arbeit als Sindbad stört. Er kann kleine Dämonen beschwören, welche ganz schönen Bullshit machen, um mich zu ärgern. Er nennt sich Noyn Claude." "Oh. Von dem hab ich schon gehört. Bin ihm nur noch nie begegnet, da er es bevorzugt, schnell unterzutauchen, wenn er von jemandem gesehen wurde, der ihn nicht sehen soll. Er soll recht schwer einzuschätzen sein, ob er stark oder schwach ist..." "Er schaut mir immer auf meinen Hintern und macht mich mit dummen Sprüchen an." Marron lachte darauf herzlich und grinste dann: "Und was hast du gemacht, damit er jetzt so sehr auf dich fokussiert ist?" "Nichts! Das ist ja das Problem... gleich am ersten Schultag hab ich ihn angepöbelt, weil ich dachte, er ist ein Schüler, der mich dumm von der Seite anmacht. Dann hab ich erfahren, dass der Typ mein Lehrer ist... und seitdem rennt er mir hinterher. Und vor ein paar Tagen hat er angefangen, mir dauernd zu sagen, dass er in mich verliebt ist." "Und wo ist das Problem?" "Ich bin nicht schwul!!" "Und warum spüre ich dann ein Lächeln, wenn du von ihm erzählst? Du scheinst dich doch gut mit ihm zu verstehen." "Naja...", Chiaki war ein wenig sprachlos, als er bemerkte, dass Marron sofort wusste, dass er gelächelt hatte. Und dass er irgendwie auch gern von Hijiri erzählte. "Hast du ihm gesagt, dass du nicht schwul bist?" "Ja, schon oft... aber er hat so eine Art an sich, dass ich mich irgendwie zu ihm hingezogen fühle, auch wenn ich eigentlich vorhatte, ihn nicht mehr anzusehen oder gar mit ihm ein Wort zu wechseln." Das Gespräch half ihm dabei, sich selbst über seine eigenen Gedanken klar zu werden. Marrons Fragen wühlten ihn ein wenig auf und er besah die Situation auch von einem anderen Standpunkt aus. "Dann bist du vielleicht gar nicht so abgeneigt, etwas mit ihm anzufangen." Sie sprach das aus, wovor er sich am meisten gefürchtet hatte: Vor seinen wahren Gefühlen. Es war auf eine Art schon irgendwie teuflisch von der Gottesgesandten, ihn so mit seinem Innersten zu konfrontieren... "Aber... er ist mein Lehrer! Vom Gesetz her dürfen wir keine Beziehung haben. Und außerdem... bin ich mehr an der weiblichen Bevölkerung interessiert." "Aber warum willst du dich unbedingt drängen, hetero zu sein? Wenn du Herrn Shikaidou magst, musst du doch nicht so hart zu dir sein und dein Selbst verleugnen. Gib ihm doch wenigstens eine Chance... Und woher weißt du, dass es dir mit ihm nicht gefällt - im Bett, meine ich." "Es fühlt sich gut an..." "Ahaaaa?", machte Marron, mit der Absicht, Details zu erfahren. "Naja, so viel ist ja noch nicht passiert..." "Ahaaaaaa?!" "Küssen... oberhalb der Gürtellinie - er bei mir - sonst nichts!", fügte er vorsichtshalber noch hinzu, damit Marron nicht auf die falschen Gedanken kam. Warum war sie auch nur so neugierig?! Sie hing eindeutig noch zuviel mit Mijaco zusammen, der Polizisten-Tochter... oder Schnüffelnase, wie man sie auch nennen wollte. "Na dann... wenn du meinen Tipp hören willst: Versuch es wenigstens. Wenn du schon mal weißt, dass er auch eine zweite Identität hat, kannst du ihm spätestens wenn er zusammen seid auch von Sindbad erzählen... Denn vor so jemandem brauchst du keine Geheimnisse haben. Und: Ich wünsch dir viel Glück." "Danke, Marron." "Bis bald... und lass dir nichts von den anderen Jungs abgucken", kicherte sie. "Jaja, schon klar..." Chiaki grinste auch und drückte schließlich auf die Taste auf seinem Handy, um das Gespräch zu beenden. Er lächelte irgendwie befreit und fühlte sich bestärkt in seinem Vorhaben, Hijiris Gefühle nicht einfach wegzuschmeißen. Denn schon vor dem Telefonat mit Marron hatte er gewusst, dass er das nicht konnte. Mindestens ein Versuch war es wert. Egal ob als Sindbad oder als Chiaki... es war schließlich die gleiche Person, um die es ging. Er würde einfach versuchen, öfter in seiner Nähe zu sein, sich mit ihm zu unterhalten und herauszufinden, wer der andere Mann war - und ob er wirkliche Gefühle für ihn hatte... Denn ein wenig Skepsis lag in Chiakis Handlungen immer, er konnte sich einfach nicht sicher genug sein, dass es jemand mit ihm ernst meinte. Denn auch, wenn er jetzt über seine erste Liebe hinweggekommen war, wollte er so etwas nicht noch einmal haben. Wegen so einem simplen Grund wollte er keine weitere Beziehung enden lassen. Es gab noch genug andere Sachen, von denen er viele noch gar nicht kannte, weil er mit Marron zu wenig Zeit verbracht hatte, wegen denen man sich trennen konnte - oder auch nicht. Und er war ganz heiß darauf, alle guten und schlechten Facetten einer Partnerschaft auszukosten. Vielleicht war Hijiri ja doch der richtige Mensch dazu. Probieren schadete ja nicht. Und vielleicht war es doch nicht so schlecht, auf Männer zu stehen. Chiaki grinste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)