Mein Vater und ich von abgemeldet (Wir kennen uns doch kaum...) ================================================================================ Kapitel 2: Eskalation --------------------- "Nein." Chiaki schüttelte ganz langsam den Kopf, als schien er seine Antwort noch einmal zu überdenken. Oder er war einfach nur vorsichtig, damit seine Kopfschmerzen nicht noch schlimmer wurden.. Warum trank er eigentlich immer so viel, wenn er zwar wusste, dass er viel vertrug, am nächsten Tag dafür immer einen fetten Kater hatte?! Und dieser Filmriss heute! Er mochte es nicht sonderlich, wenn er etwas getan hatte, an das er sich danach nicht mehr erinnern konnte... irgendwie. Er kam sich dann immer so hilflos vor... Leute sprachen über Sachen, bei denen er zwar dabei war, dafür aber nicht mehr wusste, was geschehen war. Er nahm sich vor, das nächste Mal nicht mehr so viel zu trinken. Wenn es ein nächstes Mal überhaupt gab... Er wartete die ganze Zeit schon auf die Standpauke seines Vaters. Und außerdem hatte er ihn ja gefragt, wie er hierher gekommen war - er hatte ihm noch keine Antwort darauf gegeben... Er beschloss, noch einmal nachzuhaken: "Und, wie bin ich nun hierher gekommen?" Kaiki seufzte wieder erleichtert und brachte Chiaki dazu, seine Stirn zu runzeln. "Dich hat in der Tat jemand nach Hause getragen. Es war irgend ein Junge mit braunen Haaren. Wahrscheinlich aus deiner Klasse, oder?" Er wartete nicht wirklich eine Antwort seines Sohnes ab, doch er machte eine kurze Pause. "Ich habe dich dann hier auf die Couch getragen." "Danke", der blonde Junge grinste etwas hilflos und strich sich seine Haarsträhnen aus dem Gesicht, die ihm dahin gefallen waren. Sie waren kürzer als der Rest seines Haupthaares und nur knapp so lang, dass er sie sich hinters Ohr klemmen konnte. Darum fielen sie ihm auch ständig in die Augen. Er hatte seine Ellbogen auf seine Oberschenkel abgestützt und die Hände wie zum Gebet gefaltet. Aber er war irgendwie nervös und spielte deshalb mit dem Silberring an seinem linken Mittelfinger, den ihm seine Mutter vermacht hatte. Er erinnerte ihn an sie und er fühlte sich sicherer, wenn er den Ring trug. Und auf eine seltsame Weise wirkte er auf ihn beruhigend... So wie jetzt auch. Je länger er an dem Ring herumdrehte, desto ruhiger wurden seine Bewegungen. Sein Atem ging wieder regelmäßiger und er hörte auf, nervös zu sein. Er wusste ja nicht einmal, warum er es überhaupt so plötzlich geworden war: Es war ja nichts besonderes passiert. Er saß hier ganz normal neben seinem Vater und unterhielt sich mit ihm über den gestrigen Abend. Beziehungsweise, seit einigen Minuten schwiegen sie sich an... Kaiki war eben nicht der Gesprächigste, genauso wie er. Seit seine Mutter gegangen war, war es sehr still geworden. Sie hatte immer viel gelacht und die Wohnung mit ihrer fröhlichen Stimme erfüllt. Aber jetzt? Jetzt war sie nicht mehr da und keiner von den beiden Zurückgebliebenen war ein großer Redner. Sie hatten sich mittlerweile an die Stille gewöhnt, doch wenn es einen zu langen Zeitraum so totenstill war, musste einer etwas sagen. Und Chiaki wartete darauf, dass sein Vater etwas sagte. Umgekehrt war es nicht anders. Sie schwiegen sich an und starrten auf den Boden. Nebenbei hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Der Blonde war dazu übergegangen, an seine Mutter zu denken - und Kaiki dachte über gestern Abend, beziehungsweise heute früh nach. Er wusste immernoch nicht, warum er seinen eigenen Sohn geküsst hatte. Seit wann konnte er sich denn nicht mehr beherrschen?! Wurde er in seinen älteren Tagen etwa notgeil?! Guter Gott, das war sein Sohn!! Und er wusste noch zu genau, dass er gestern nicht nur daran gedacht hatte, Chiaki nur zu küssen... Und diese schlimmen Gedanken brannten sich in sein Gedächtnis ein... Er stand wohl schon zu lange unter Frauenentzug. Er fasste leise den Entschluss, sich morgen mal im Krankenhaus unter den Schwestern umzusehen - vielleicht fand er ja eine, an der er sich austoben konnte... Alles würde er tun, nur, damit diese Gedanken nicht mehr über ihn hereinbrachen, wie heiße, glühende Lava. Sie waren schlecht, sehr schlecht - und niemand durfte von ihnen erfahren... niemals. Sonst würde er hinter Gitter kommen - und das für eine lange Zeit. Und das konnte er sich als Chef eines über alle maßen gut angesehenen Krankenhauses nicht leisten... "Und... wie läuft's so im Krankenhaus?" Chiaki biss sich auf die Unterlippe. Diese Frage war so sinnlos! Wie sollte es denn laufen?! Es gab immer Kranke oder Verletzte, tagtäglich sah man im Fernsehen oder in der Zeitung die neusten Unfälle und Krankheitsausbrüche - wie würde es denn da so im Krankenhaus laufen?! Der Blonde hätte seinen Kopf in die nächstbeste Wand rammen können... "Ganz gut... gestern ist ja der eine Reisebus verunglückt, weißt du, welchen ich meine?" Kaiki sah zum ersten Mal seit einigen Minuten wieder zu seinem Sohn und hielt nach einem Kopfnicken oder ähnlichem Ausschau. Chiaki tat auch das, was er erwartet hatte: Er stimmte ihm zu und schien ihm zuzuhören. Kaiki fiel es schwer, seinen Blick wieder abzuwenden, doch er tat es lieber ganz schnell, damit Chiaki keinen Verdacht schöpfte... "Es gab reichlich Verletzte. Die meisten wurden bei uns eingeliefert. Wir haben alle Hände voll zu tun." Er lächelte leicht. Chiaki sah nicht zu ihm. Er machte "Mhm..." und überlegte wieder, was er sagen konnte. "Ich hab mir gestern Sorgen gemacht. Komm bitte um die Zeit nach Hause, die wir ausmachen - oder melde dich, wenn es länger dauern wird." "Hm... tut mir leid. Werd ich machen." Er klang etwas kleinlaut. War das etwa schon alles?! Sonst hielt er ihm immer längere Standpauken, erklärte ihm lang und breit, dass die gemeinsam vereinbarten Zeiten nicht nur zum Spaß da waren und er sie auf alle Fälle einhalten sollte, sonst bekäme er Ausgangssperre oder sowas in der Art... Aber jetzt war Kaiki wieder still und sagte nichts mehr. Komisch. Chiaki runzelte wieder seine Stirn und fuhr sich durch die Haare. Langsam wurde diese peinliche Stille beängstigend. Er wollte lieber in sein Zimmer gehen. Er hatte ja morgen wieder Schule und musste noch ein paar Hausaufgaben machen. Zwar machte er die sonst nie vor dem Mittag, geschweige denn, wenn die Sonne noch schien, aber heute war ihm jedes Mittel recht, aus dem Wohnzimmer zu kommen... "Ich... geh dann mal... in mein Zimmer..." Er stand ruckartig auf und zuckte zusammen, als es sein Vater ihm gleichtat und ebenfalls wie von der Tarantel gestochen aufsprang. "Willst du etwas essen?" platze der Dunkelhaarige heraus und sah ihn fast schon flehend an. Was war denn jetzt los?! Chiaki wich ein paar Schritte zurück und sah seinen Vater unsicher an. "Tut... tut mir leid." Kaiki fuhr sich auch nervös durch die Haare und drehte sich auf dem Absatz um, verschwand im nächsten Moment aus dem Zimmer. Chiaki blickte ihm leicht verstört nach und hörte in der Stille die Zimmertür seines Vaters zuknallen. Was war denn heute los mit ihm?! Hatte er etwa was verpasst, weswegen Kaiki so komisch drauf war?! "Scheiß Alkohol..." Wegen diesem Teufelszeug hatte er einen gewaltigen Filmriss und hatte heute immernoch Probleme, sich an etwas zu erinnern. Nein, das Zeug würde er in den nächsten Wochen stehen lassen - egal, wer ihn dazu auch einlud... Es war ihm fast schon peinlich und auf alle Fälle total unangenehm, nicht zu wissen, was mit seinem Vater war... und was er, Chiaki, möglicherweise damit zu tun hatte... Der blonde, hochgewachsene Junge setzte sich in Bewegung und trottete zu seinem Zimmer. Er fasste den Entschluss, unbedingt herauszufinden, was diese Nacht passiert war. Er musste es wissen! Er wusste zwar noch nicht, wann und wie er das machen sollte, aber es musste einen Weg geben... ~*~ Nach zwei Stunden, die er in seinem Zimmer verbracht hatte, unter anderem mit Musik hören und sinnlosen Skizzen auf ein Stück Papier malen, verließ er dieses wieder und ging in die Küche, um etwas zu essen zu suchen, beziehungsweise sich etwas zu kochen. Er wollte auch gleich seinen Vater fragen, weil dieser in Sachen Haushalt und Küche eine ziemliche Niete war. Schon seit eh und je war es Chiakis Aufgabe gewesen, Essen zu kochen und sauber zu machen. Aber er tat es auch gern, schließlich wollte er sich nicht freiwillig dem Chaos aussetzen, welches sein Vater anrichtete, wenn er nur fünf Minuten allein in der Küche war... Chiaki grinste vor sich hin und lief im nächsten Moment in seinen Vater hinein, der gerade ein paar Krankenhausakten durchsah und ebenso in seine Tätigkeit versunken war, wie sein Sohn. Der Blonde stolperte und fiel hin, riss Kaikis Akten mit sich und fand sich auf dem Boden sitzend in einem Haufen Papier wieder, welches wild verstreut um und über ihm verstreut war. Er registrierte erstmal gar nicht, was passiert war, dann warf er einen aufmerksameren Blick auf die Blätter und sofort war ihm alles total peinlich. Das waren alles sehr wichtige Papiere von verschiedenen Patienten seines Vaters, die weiß Gott nicht durcheinander geraten durften! Panisch sprang er auf und sammelte ein paar von den Akten ein, ohne zu wissen, welche denn nun zusammengehörten oder nicht. Kaiki sah dem ganzen mit einer zweifelhaften Faszination zu und konnte seinen Blick einfach nicht von dem Körper seines Sohnes reißen. Verzweifelt versuchte er, diese süße Röte in seinem Gesicht einfach zu ignorieren und daran zu denken, dass das, was Chiaki da gerade aufsammelte, wichtige Akten waren und dieses Durcheinander gar nicht so amüsant war. Seine Gedanken drehten sich nur noch im Kreis und er glaubte, die Kontrolle über sich zu verlieren. Er riss seine Augen weit auf und begann, leicht zu zittern. Sein ganzer Körper wollte nur eins: Chiaki! Das durfte doch nicht wahr sein!! Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und er merkte, wie sich ein heiserer Schrei aus seiner Kehle löste. Chiaki zuckte zusammen und ließ die eben aufgesammelten Blätter gleich wieder fallen, als er seinen Vater schreien hörte. Er wirbelte herum und erschrak, als er die weit aufgerissenen Augen des Schwarzhaarigen sah. Er sah fürchterlich aus...! Vorsichtig ging er einige Schritte rückwärts und starrte Kaiki an, ohne seinen Blick von ihm lösen zu können. Kaiki wusste, dass es gleich wieder eine Katastrophe geben würde: Aber bestand sein ganzes Leben nicht nur aus solchen?! Wann hatte er denn schon einmal Glück gehabt – außer bei der Arbeit und dem Geld?! Er war nie ein guter Vater für Chiaki gewesen, hatte ihm nie das geben können, was er eigentlich geben wollte - nicht einmal fünf Prozent davon! Was machte es denn da nun für einen Unterschied, wenn er ihn noch einmal... küsste?! Verlangen mischte sich in seinen Blick und er glaubte, irre zu werden, wenn er seinen Sohn nicht küssen konnte. Also stürzte er wie ein tollwütiges Tier nach vorn und riss den Blonden zu Boden. Dieser stieß einen entsetzten Schrei aus und wehrte sich so gut es ging. Er hatte den Blick seines Vaters bemerkt, wie sich in diesen etwas gemischt hatte, was er noch nie bei ihm gesehen hatte - und was ihm Angst machte... Kaiki fasste ihn grob an den Oberarmen und drückte ihn mit seinem ganzen Körper auf den Fußboden. Chiaki bekam nun wirklich langsam Angst und er war nicht mehr fähig, sich zu bewegen. Sein ganzer Körper war wie gelähmt, so geschockt war er. "Chiaki..." Kaiki bemerkte, wie heiser seine Stimme plötzlich war und er merkte deutlich, wie sein Sohn von einem starken Zittern gepackt wurde. Aus Angst... vor ihm... Mit einem Mal wurde ihm schlagartig klar, was er hier gerade im Begriff war, zu tun. Er starrte in Chiakis nun wirklich angsterfüllte Augen und atmete schwer. Dann entschloss er sich doch dazu und drückte dem Blonden einen zitternden, kurzen Kuss auf die Lippen. Danach stand er ruckartig auf und rannte, ohne nochmal einen Blick auf seinen Sohn zu werfen, aus der Wohnung. Gehetzt raste er die Treppen herunter und lief zu seinem Auto. Er stieg ein und war froh, dass er seine Autoschlüssel in der Jackentasche vorfand, die er trug. Er startete den Motor und fuhr mit quietschenden Reifen aus dem Parkplatz und dann in irgend eine Richtung. Egal wohin... nur weg von hier. Er zitterte immernoch und seine Lippen bebten. Er hatte es wirklich getan... Er hatte Chiaki geküsst - während dieser bei vollem Bewusstsein war! Er war irre! Total durchgeknallt!! Reif für die Psychatrie!! Chiaki war sein Sohn, sein eigen Fleisch und Blut!! Was er da tat, das war... pervers!!! Das durfte man nicht tun!!! Und trotzdem hatte er es getan... Hatte ihn... auf die Lippen... geküsst. Und es war gut gewesen. In dem Moment, in dem er Chiakis Lippen berührt hatte, war ein gleißender Blitz durch seinen Körper geschossen und hatte ihn verbrannt. Dieses Gefühl war noch intensiver als in der Nacht gewesen, als er seinen Sohn zum ersten Mal geküsst hatte, während dieser schlief. Und schon in diesem Moment hatte er sich geschworen, diesen Fehler nicht noch einmal zu begehen!! Und was machte er?! Verzweifelt biss er die Zähne zusammen und versuchte mit aller Kraft, seinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen. Wie sollte er denn jetzt Chiaki gegenübertreten?! Er würde ihn hassen, verachten - wenn nicht sogar anzeigen! Er hatte Angst davor, wieder nach Hause zu kommen. Angst vor der Reaktion seines Sohnes. Und das Schlimmste an der ganzen Sache war: Er bereute nichts. Der Kuss war sensationell gewesen. Er würde es sogar wieder machen - wenn danach nicht diese Gewissensbisse und die Angst wären. Aber vielleicht war er einfach noch zu durcheinander und musste sich noch ein wenig beruhigen. Fest stand, dass er irgendwann mal wieder nach Hause musste. Und dafür musste er gewappnet sein. Er musste seine Ruhe wieder finden. Und eine unumstößliche Ausrede für seine Tat... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)