Mein Vater und ich von abgemeldet (Wir kennen uns doch kaum...) ================================================================================ Kapitel 3: "Aki-chan" --------------------- Was war denn das eben??! Der blonde Junge starrte auf die Wohnungstür, aus der sein Vater vor ein paar Sekunden gestürmt war. E-ein Kuss...?! War /das/ der Grund für sein komisches Verhalten heute?! Geschockt fuhr er sich mit der Zunge über seine Lippen, die leicht bebten. Sein eigener Vater... hatte ihn geküsst! So richtig auf den Mund...! Chiaki keuchte und richtete sich auf, da er noch auf dem Boden gelegen hatte. Er hatte sich lange Zeit nicht bewegen können, so sehr saß der Schock in seinen Gliedern. Jetzt hieß es... nicht irre werden. Noch immer lag dieses leichte Kribbeln auf seinen Lippen, was er immer hatte, wenn ihn jemand auf den Mund geküsst hatte. Aber wieso hatte er es bei seinem Vater...?! Ein kalter Schauer lief über seinen Rücken und er stand mit zitternden Beinen auf. Er lief langsam zur Couch und ließ sich auf diese fallen. Dieser Blick von Kaiki... Er hatte ihm solche Angst eingejagt. Er dachte, er hätte Tollwut oder sowas in der Art. Er war total wild geworden, hatte sich regelrecht auf ihn gestürzt. Chiaki war in diesem Moment das Herz in die Hose gerutscht. Er hatte an alles gedacht, dass ihn sein Vater umbringen wollte, schlagen, beschimpfen... aber doch nicht küssen! Und das war definitiv kein Kuss gewesen, den man kleinen Kindern gab, so wie es früher seine Mutter getan hatte. Und außerdem bezweifelte der Blonde, dass sein Vater nicht mitbekommen hatte, dass Chiaki fast erwachsen geworden war. Es wäre schon etwas seltsam gewesen, wenn er ihn plötzlich niedergeworfen hätte, um ihm einen Kleinkinderkuss zu geben! Aber wenn das nicht, warum küsste er ihn sonst?! Und der Klang seiner Stimme, mit der er seinen Namen so leise geflüstert hatte... Wieder lief dem Blonden ein heißer Schauer über den Rücken. Plötzlich hörte er ein Geräusch an der Tür. Er zuckte zusammen und begann, wieder zu zittern. War das sein Vater? Oder ein Einbrecher?! Oder ein Klassenkamerad...?! Langsam stand er auf und ging zur Tür. Das Geräusch war weg, aber irgendwie spürte er, dass da noch jemand draußen vor der Tür stand. Auf ihn wartete. Dass er aufmachte. Chiaki stand jetzt vor der Tür und sah durch den Spion. Er wich mit einem leisen Schrei zurück, als er Kaiki draußen stehen sah. Was sollte er denn jetzt tun?! Wenn er ihn wieder auf den Boden riss...?! Vielleicht wollte er ihn ja nicht nur küssen? Aber... das war sein Vater!! So etwas konnte er doch nicht tun! Sie waren vom gleichen Fleisch und Blut! Wie kam Kaiki denn auf solche Schnapsideen?! Durch ein zögerliches Klopfen wurde er wieder in die Realität zurückgeholt. Und er bemerkte, dass das alles nur Spekulationen und Vermutungen waren. Kaiki hatte nichts getan und würde auch nichts tun. Er würde doch nicht ihn, seinen eigenen und einzigen Sohn! Oder etwa doch? Chiaki merkte, dass er handeln musste, um zu erfahren... Also öffnete er langsam die Tür und guckte nur mit dem Kopf heraus. Kaiki sah ihn erst erschrocken an, dann wurden seine Gesichtszüge unheimlich ruhig: "Lässt du mich bitte rein? Ich muss mit dir reden." Chiaki zögerte, machte dann aber die Tür weiter auf und ging zur Seite, um seinen Vater in die Wohnung hineinzulassen. Erwartungsvoll folgte er ihm, immer auf dem Sprung, falls er ihn wieder überwältigen wollte. Er wusste selbst nicht, warum er Kaiki so treudoof folgte und ihn in die Wohnung hineingelassen hatte... Es konnte doch sein, dass er mit der Zeit kriminell geworden war und er hatte es gar nicht mitbekommen! Vielleicht wollte er ihn sogar... vergewaltigen! Aber irgendwie... konnte sich Chiaki das einfach nicht denken. Nicht Kaiki, nicht sein eigener Vater. So war er nicht. Er war viel zu ruhig, um so etwas zu machen... Auch wenn er es ihm nicht so sehr zeigte, wie er es sich gewünscht hätte, wusste Chiaki doch, dass sein Vater ihn liebte, weil er sein Sohn war. Das einzige Familienmitglied, was noch am Leben war. Alle anderen, Großeltern, Onkel, Tanten, waren schon früh verstorben. Und Minaco als letztes. Ab dann hatte Kaiki nur noch ihn... "Setz dich bitte." Der Schwarzhaarige holte seinen Sohn aus seinen Gedanken. Chiaki tat zögernd, wie ihm geheißen und setzte sich in einen Sessel gegenüber der Couch, auf der sein Vater Platz genommen hatte. "Ich..." Kaiki steckten die Worte im Hals fest. Er hatte nicht lang überlegt und war zu dem Entschluss gekommen, seinem Sohn die Wahrheit zu erzählen und sich nicht erst in unglaubwürdigen Lügen zu verstricken. Es würde zwar nicht leicht sein, da er sich selber noch nicht im Klaren war, was mit ihm los war und er bekam das Gefühl, voreilig zu handeln einfach nicht los, aber er musste es tun. So war es am besten. Ohne Lügen, gleich mit der Wahrheit auf den Tisch. Aber wo sollte er nur anfangen?! Was hatte er für Gefühle für seinen Sohn?! War das Lust, Verlangen... oder tiefe Zuneigung?! Oder einfach nur väterliche Liebe...?! Letzteres wohl eher nicht. Denn gab es denn Väter, die ihren Sohn küssen und berühren wollten, wo sie es lieber nicht tun sollten?! Aber was dann?! Kaiki raufte sich innerlich die Haare und stöhnte leise. Was sollte er nur machen?! Er war so schnell wieder hier... warum war er nicht länger weggeblieben, um einen kühlen Kopf zu bekommen?! "Was sollte... der Kuss?" meinte Chiaki zögernd und warf einen schüchternen und kurzen Blick zu seinem Vater. Er traute der Situation nicht so recht und Kaiki sah außerdem ziemlich fertig aus. Er hatte keine Ahnung, was hier los war... Der Schwarzhaarige war froh, dass Chiaki das Gespräch begonnen hatte, aber trotzdem hatte er immernoch keine Ahnung, was er ihm sagen sollte. Er druckste ein wenig herum, bevor er sagte: "Es... tut mir leid. Ich..." Weiter kam er nicht. Er hatte keinen Plan, wie er Chiaki beruhigen sollte. Denn dass dieser aufgewühlt und verwirrt war, sah man ihm sofort an. Dazu musste man kein Psychologe oder sowas in der Art sein. "Ich wollte dich nicht damit überrumpeln und eigentlich wollte ich es gar nicht und-" "/Warum/ hast du es gemacht?" unterbrach Chiaki seinen Vater und sah ihn durchdringend an. Es irritierte ihn, dass Kaiki so stammelte und sich in Floskeln der Entschuldigung verstrickte. Konnte er nicht einfach klar sagen, was los war?! Oder hatte er selber keine Erklärung für das, was er getan hatte...? Das wäre natürlich... beschissen. Denn wie sollten sie nun dieses Ereignis klären, wenn keiner von beiden wusste, was es sollte?! "Chiaki, ich... wirklich... ich weiß nicht, was mit mir los ist. Es kann sein, dass ich einfach übermüdet bin oder zu viel gearbeitet habe... meine Nerven...", der Schwarzhaarige vergrub sein Gesicht in seinen Handflächen. "Es kann aber auch sein, dass...", fing er wieder an, sprach aber nach unten und Chiaki verstand so gut wie nichts. "Wie bitte?", fragte der Blonde darum nach und beschloss, sich neben seinen Vater zu setzen. Er glaubte nicht, dass er nochmal handgreiflich werden würde. Denn so sah er momentan echt nicht aus... Mehr, als würde er im nächsten Moment umkippen und ohnmächtig sein. Total aufgelöst und fertig. So hatte er seinen Vater noch nie gesehen... Oder er hatte einfach zu wenig Zeit mit ihm verbracht, als dass er es gemerkt hätte. Er war eigentlich meistens mit seinen Freunden draußen. Kaiki hatte ja außerdem immer Arbeit gehabt. Was sollte er außerdem mit seinem Vater schon groß anstellen?! Eine Radtour machen...?! Chiaki lachte innerlich bitter. Wie in solchen Alle-sind-happy-Familien, die man manchmal in der Fernsehwerbung oder in diversen TV-Serien sah... So eine Familie hatte er noch nie gehabt. Und wollte er auch gar nicht haben... Es konnte ja gar nicht sein, dass in einer Familie immer alle glücklich waren und nichts einen Grund zum Streiten gab. Das war vielleicht der Wunschtraum vieler Menschen, aber praktisch war es einfach nicht möglich... Chiaki seufzte tief. Es gab immer etwas, was die Idylle zerstörte... Seine Familie war ja nicht erst nach dem Tod seiner Mutter so zerrüttet. Sein Vater hatte auch immer einen großen Teil dazu beigetragen, dass die Familie nicht öfters zusammen war, sondern jeder sein eigenes Ding machte. Chiaki konnte sich genau daran erinnern, dass ihn immer seine Mutter ins Bett gebracht hatte. Und nachdem sie gestorben war, hatte er ein Kindermädchen gehabt. Nach seinem 12. Geburtstag war sie dann nicht mehr da gewesen. Von diesem Zeitpunkt an hatte er so ziemlich alles im Alleingang gemacht. Er war eigentlich daran gewöhnt, dass sich niemand um ihn kümmerte. Aber irgendwie... langsam wurden die Sehnsüchte stärker... Nach einer Person, die sich um ihn sorgte, die bei ihm war, sein Herz wärmte und ihn einfach verstand. Vielleicht war das bei jedem so. Egal, wie er aufgewachsen war. Irgendwann im Leben gab es diesen Punkt, ab dem man nicht mehr allein sein und sein Leben mit jemandem teilen wollte. Tja, und diesen Punkt hatte er schon um einige Monate überschritten. Das merkte er nun immer stärker. Sein Herz war regelrecht ausgebrannt und suchte nach Liebe und Geborgenheit. Er hatte öfters darüber nachgedacht. Vielleicht war auch der frühe Tod seiner Mutter daran Schuld, dass er sich nun so... leer fühlte. Oder war das wirklich bei jedem so? Er hatte keine Ahnung. Genauso wenig darüber, warum ihn sein Vater nun geküsst hatte. Denn dieser hatte immernoch nicht weitergesprochen. Chiaki hatte plötzlich das Verlangen, Kaiki aufmunternd über den Rücken zu streicheln. Oder... ihm etwas Nettes zu sagen. Aber er wusste nicht, was dieser hören wollte... Denn eigentlich kannte er ihn ja kaum. Er kannte ihn nur als einen Menschen, der viel Arbeit hatte und nach Minacos Tod ähnlich einsam geworden war, wie sein Sohn. Wie musste es wohl sein, wenn die große Liebe von Jemandem starb? War das schlimmer, als die Mutter oder den Vater zu verlieren? Oder wenn ein Kind starb? Chiaki konnte sich ja nicht mehr bewusst daran erinnern, wie es war, als seine Mutter gestorben war. Hatte er geweint? Hatte er es begriffen? Hatte er gemerkt, dass er keine Liebe mehr bekam? Wusste das vielleicht sein Vater...? Er wollte ihn fragen. "Habe ich Mutter vermisst?" Kaiki hob den Kopf aus seiner Hand und sah verwirrt zu seinem Sohn. Wie kam er denn jetzt auf diese Frage?! Aber er wollte sie beantworten. Er dachte nach: "Du hast es wahrscheinlich nicht richtig begriffen, dass sie nicht mehr da war. Aber du hast das Kindermädchen auch nicht wirklich als deine neue Mutter angesehen. Von daher hast du vielleicht doch gemerkt, dass du von jetzt an ohne sie bist. Aber du hast nicht geweint. Du hast auch nie gefragt, was mit ihr ist, als du älter geworden bist. Vielleicht hast du ja doch schon mit deinen 4 Jahren etwas gespürt..." Dass das sein Vater alles noch so genau wusste, verwunderte den Blonden schon. Schließlich hatte er sich doch nie sehr oft - oder gar nicht - mit ihm abgegeben. Aber vielleicht... anscheinend doch. Vielleicht hatte er ihn ja doch beachtet... und ein klein wenig geliebt, als seinen Sohn. Plötzlich schlang Chiaki seine Arme um seinen Vater und drückte den Größeren an sich. Sein Gesicht vergrub er an seiner Schulter. Am liebsten würde er ja weinen, aber es ging nicht. Mit einem Mal bemerkte er, wie sehr ihm eine Person fehlte, die bei ihm war... Er seufzte tief und meinte: "Warum du mich auch geküsst hast... ich..." Er überlegte und brach dann ab. Das konnte er unmöglich verlangen. Sowieso war sich sein Vater ja selbst unsicher, warum er das gemacht hatte. Chiakis Wunsch würde ihn nur noch mehr verwirren. "Was hast du denn, Chiaki?", fragte Kaiki und drehte sich so, dass er seine Arme um die Taille seines Sohnes legen konnte. Er wusste zwar nicht wirklich, warum ihn der Blonde umarmt hatte, aber er konnte sich vorstellen, dass er sich einsam vorkam. Er nahm zwar nicht oft an seinem Leben teil, aber er hatte bemerkt, dass er kaum eine Freundin - oder einen Freund - länger als ein oder zwei Tage hatte. Er konnte sich schon vorstellen, dass ihm ein wenig Liebe fehlte... Aber... konnte er, Kaiki, ihm diese Liebe geben, die er brauchte? Er selbst war doch unfähig, Liebe zu zeigen... Das merkte er doch an seinen vielen Beziehungen, die er in den letzten Jahren gehabt hatte. Die hatten doch selbst kaum länger als einige Monate gehalten! Und nun wollte /er/ seinem Sohn /Liebe/ geben?! Pah, das hörte sich wirklich lächerlich an! Und außerdem... war das doch abartig! Ein Vater mit seinem Sohn!! Kaiki trichterte sich diese Worte immer wieder ein, aber irgend etwas sagte ihm, dass es doch eigentlich gar nicht so schlimm war. Er wusste nur nicht, was... "Mir fehlt Mutter", meinte Chiaki in diesem Moment und drückte sich noch mehr an den Schwarzhaarigen. Seine Gedanken spielten verrückt. Was sollte er nur über sich... und sein plötzliches Verlangen denken?! Und was würde Kaiki über ihn denken?! Oder hatte er ihn geküsst, weil er ähnliche Gedanken hegte? "In solchen Momenten fehlt sie mir auch... sonst bemerke ich es kaum, weil ich den Kopf voll mit Arbeit habe. Aber abends... oder eben in solchen Situationen, da wünsche ich mir immer, ich hätte mich mehr um die Familie gekümmert. Um dich..." Kaiki verstummte. Er hätte nicht gedacht, dass es so einfach sein konnte, solche Worte zu sagen. Hoffentlich verstand ihn Chiaki und das, was er ihm damit sagen wollte. "Vater...?" "Ja?" "Ich fand... den Kuss... nicht so schlimm", den letzten Teil des Satzes nuschelte Chiaki nur noch und war froh, dass ihm Kaiki in diesem Moment nicht in die Augen sehen konnte, "Ich meine... das ist bestimmt nur, weil ich mich... einsam fühle, aber... könntest du das... nochmal... machen?" Der Blonde konnte noch immer nicht glauben, was er da von seinem Vater verlangte, aber er war durch die Worte des Schwarzhaarigen, dass er sich ebenso einsam fühlte wie er, angespornt worden. Kaiki glaubte gerade, einen Ohrenfehler zu haben. Chiaki hatte ihn nicht gerade danach gefragt, was er gestern versucht hatte, nicht zu tun, oder?! "Aki-chan...?" Inmitten seiner tiefsten Verwunderung verplapperte er sich ausversehen und nahm nun ebenfalls die Farbe einer reifen Tomate an, als er bemerkt hatte, dass er Chiakis Spitznamen eben laut ausgesprochen hatte. "Wie bitte?", lächelte der Blonde jetzt und vergaß in diesem Moment sogar ein wenig seine Unsicherheit, die er gerade hatte. Es war nun mal nicht gerade oft, dass man den eigenen Vater um einen Kuss bat, der über einen normalen Gute-Nacht-Kuss hinausging... und auch noch in einem Alter, wo küssen etwas ganz anderes bedeutete... Und dieser Bedeutung war sich der Blonde natürlich bewusst... Aber... 'Aki-chan' war wirklich nicht das, was er von seinem Vater erwartet hatte. Er konnte sich das Lächeln einfach nicht mehr aus dem Gesicht wischen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)