Jenseits der Träume von abranka ((Takeshi Kovacs)) ================================================================================ Kapitel 1: Jenseits der Träume ------------------------------ Nicht weit entfernt kann ich die Granaten einschlagen hören. Suchminen sind in der Luft, sondieren nach Lebenszeichen. Der Gegner unterschätzt uns. Unsere Sleeves sind bis ans Maximum aufgerüstet, natürlich auch mit einer guten Portion Wolfsgene, damit die Treue und Gebundenheit an das Alphatier – mich – stimmt. Mit dem Neurachem bin ich mit den Satelliten im Umlauf verbunden und wenn ich will, kann ich meinen eigenen Hinterkopf bewundern. Es ist aber eine dumme Idee, das zu tun. Zum einen bringt dieser Perspektivwechsel zuviel Verwirrung für das immer noch Grenzen besitzende menschliche Gehirn mit sich, zum anderen ist es zuviel Ablenkung. Ich muss wachsam sein. Unachtsamkeit kann auf diesem Schlachtfeld den Realen Tod bedeuten. Real. Keine Einlagerung, kein Resleeving in einem neuen Körper. Nichts. Nur das Ende. Und der Reale Tod hat selbst in einer Welt wie der unseren, die aus einem Haufen kolonisierter Planten mit ihren Kriegen, mit der Speicherung der gesamten Erinnerungen und Persönlichkeit eines Menschen auf einem Stack, der in einem der Nackenwirbel des jeweiligen Sleeves sitzt, mit Menschen, die aufgrund externer Speicherung Hunderte von Jahren alt werden – sogenannte Meths –, mit einer Wagenladung Desillusion, Machtgier und Geldabhängigkeit, sein Grauen nicht verloren. Nein, er ist jetzt ein neuer Sensenmann im schwarzen Mantel, der einen in Albträumen heimsuchen kann. Realer Tod, das ist die vollkommene Vernichtung des Stacks. Ganz gleich, ob durch eine Laserpistole, eine Sunjet, eine Granate oder aber eine Virenattacke... Unwillkürlich blitzen die Bilder von Innenin wieder auf. Mein letzter Einsatz als Envoy in einem dieser sinnlosen Kriege. Das Desaster der Virenattacke, dem fast die gesamte Einheit zum Opfer fiel. Jimmy de Soto, der mir noch immer in meinen Träumen begegnet und der irgendwo eingelagert ist, mit einer dicken, warnenden Aufschritt auf dem Stack: kontaminiert. Realer Tod. Und dennoch lebt er in mir, in meinen Erinnerungen weiter. Neben mir kauern die jungen Rekruten. Viele sind älter als ihre maßangefertigten Kampfsleeves, einige vielleicht gerade genauso alt. Sie lernen die Schrecken des Krieges erst kennen. Ihre Augen sind hoffnungsvoll auf mich gerichtet. Mich, den sagenumwobenen Ex-Envoy, das Alphatier. Ex-Envoy. Bitte mit Betonung auf Ex. Ich bin kein Envoy mehr, habe ich das Corps doch schon lange verlassen. Aber dass ich diese Uniform längst nicht mehr trage, heißt nicht, dass ich aufgehört hätte, ein Envoy zu sein. Ich werde es wohl niemals. Die Programmierung und Ausbildung, ja, die Konditionierung durch das Envoycorps zwingt mich regelrecht dazu, immer wieder in den Krieg zu sein. Ich gehöre dieser Spezialeinheit längst nicht mehr an, aber dennoch kann ich nicht aufhören. Jedes Mal ist es das bange Hoffen auf das Ende des Krieges. Die Abscheu vor seinen Grauen, vor dem Gemetzel, vor dem Töten. Ich habe es schon so oft gesehen. Hundertmal, Tausendmal. Es spielt keine Rolle wie oft. Es ist wie eines der virtuellen Regenerationsprogramme in Endlosschleife. Es ist immer das Gleiche. Selbst die Gesichter von Freund und Feind sind die gleichen. Selbst die Ziele der beiden Seiten entsprechen sich... Und warum bin ich hier? Weil ich auf den Kampf trainiert wurde. Weil ich in einer anderen Welt, in einem friedlichen Leben keine Chance habe. Ich muss zurück an meinen Auftrag auf der Erde denken. Als Detektiv. Kein Killer, nein, ein Detektiv. Am Ende war ich wieder ein Killer. Und das mit gutem Gewissen, denn das, wofür ich gekämpft habe, war es wert. Ich mag ein verkorkster Envoy sein, der nur deshalb kein Trauma besitzt, weil er seinen Geist dagegen abschotten kann – Envoykonditionierung –, aber dennoch habe ich meine Moral nicht verloren. Es gibt Dinge, die sollte diese Welt nicht zulassen. Und doch geschehen sie. Wie soll einem da keine Sicherung durchknallen? Vor allem dann nicht, wenn man es doch ändern kann. Wenn man in der Lage ist, den Kampf gegen jeden aufzunehmen – und ziemlich gute Chancen hat zu gewinnen. Das schreit geradezu danach, dass man Allmacht anstrebt – aber darauf sind wir Envoys wiederum nicht konditioniert. Nein, wir sind dennoch auf Befehle dressiert worden. Wer wagt es schon, eine Eliteeinheit zu entwerfen, die aus potenziellen Diktatoren besteht? Noch nicht einmal diese bescheuerten Politiker des Protektorats. Dieser verdammten Konditionierung habe ich es zu verdanken, dass ich wieder in einem Krieg stecke. Auf Seiten einer Partei, deren Ziele mich nicht interessieren. Der einzige Grund für meine Entscheidung für diese Seite war, dass die Offiziere mit den besseren Sleeves ausgestattet und bei Verletzung aus den heiklen Zonen ausgeflogen werden. Simple Gründe, aber gute. Und wieder kämpfe ich auf einem Planeten, dessen Himmel nicht der meine ist. Nein, es ist ein anderer Himmel, wie mir immer stets schmerzhaft bewusst wird, wenn ich des Nachts empor schaue. Ist das Leben in dieser Welt überhaupt noch erstrebenswert? Hat es einen Sinn? Ich weiß es nicht... Ich sehe wieder in die Gesichter meiner Truppe. Ich bin um so vieles älter als sie. Die ältesten sind vielleicht 30, 40 Jahre alt. Ihren Augen nach zu urteilen. Ich selbst, die Einlagerungen mitgerechnet, mit denen ich einige Straftaten in einer Datenbank abbüßen durfte, übertreffe sie um das Dreifache, nahezu Vierfache. Zumindest objektiver Zeit. Nach subjektiver Zeit sind die ältesten und ich vielleicht gleich alt. Hat dieses Leben noch Sinn? So viele Menschen sind irgendwo dort draußen, die ich verloren habe... Welche Sicherheiten, welche Arten von Freundschaften und Beziehungen auf Dauer kann es in einer Welt geben, in der Körper und Gesichter nichts mehr bedeuten? Dies hier ist eine Welt, in der ein junger schwarzer Familienvater sterben und als alter, weißer Mann resleevt zu seiner Familie zurückkehren kann. Es gibt keine Garantien mehr. Gar keine. Und vielleicht kehrt jemand sogar gar nicht zurück, wie mein Vater, der sich damals in der Resleevinganstalt einfach an mir und meiner Mutter vorbeigeschlichen hat, ohne dass wir überhaupt eine Chance hatten, ihn zu erkennen. Nicht, dass wir es bedauert hätten. Wir waren eigentlich ganz froh, ihn loszusein. Es hat einige Probleme gelöst. Schneller und sauberer, als es mit einer Sunjet möglich gewesen wäre. Man sollte nie außer acht lassen, wie sehr Gefühle an einen Körper gebunden sind. Das habe ich schmerzlich lernen müssen. Ein anderer Sleeve und die Hormone reagieren anders, rufen andere Gefühle hervor. Wie kann da so etwas wie Liebe noch dauerhaft existieren? Das hier ist eine Welt, in der es keine Träume mehr gibt. Jedenfalls nicht mehr für mich. Für mich gibt es hier nur noch den Krieg. Darauf vertrauend, dass meine Envoykonditionierung mir die Traumata vom Hals hält. Und vielleicht, finde ich dort draußen auf diesem Schlachtfeld oder auf einem anderen, auf einer anderen Welt, doch noch etwas, wovon es sich zu träumen und wofür es sich zu leben lohnt... Denn sterben, das will ich mit Sicherheit noch nicht. Auch, wenn ich dem Tod regelmäßig ins Gesicht lache. „Lieutenant Kovacs!“ Die aufgeregte, nahezu panische Stimme eines der Soldaten meint, mich aus den Gedanken reißen zu müssen. Er hat keine Ahnung, was es heißt, ein Envoy zu sein. Alle Sinne sind jederzeit bis zum Zerreißen gespannt. Auch dann, wenn ich scheinbar meinen Gedanken nachhänge. Ich habe schon längst gesehen, was kommt. Es wird Zeit für die Offensive. Die Schlacht erwartet uns. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)