Scharfrichter von Carabesh (Denn Töten muss nicht Sünde sein) ================================================================================ Kapitel 3: Benzin ----------------- Disclaimer: Habt ihrs immer noch nicht begriffen? Mir gehören hier nur die OCs! Das Gedicht von Theodor Fontane (Die Brück am Tay) habe ich auswendig geschrieben. Es ist wahrscheinlich fehlerhaft, müsste jedoch größtenteils richtig sein. Kapitel 3 Benzin „Ob du es glaubst oder nicht“, sagte er zu der Alten. „Ich habe die Worte gehört, wunderschöne Worte. Zuerst dachte ich, es sei die Stimme meiner Frau, die sie sprach, aber dann merkte ich, dass es die meiner Tochter war. Ich hörte ihre Stimme so deutlich, als säße sie hier neben mir.“ „Ja, ja, im Fieber hört man so manches!“, erwiderte das Moosweibchen mürrisch. „ Ich hab schon von Leuten gehört, die schworen, die Toten hätten mit ihnen geredet. Tote, Engel, Teufel … Das Fieber ruft sie in Scharen herbei.“ [Cornelia Funke – Tintenblut] Das Feuer im Kamin knisterte nicht. Es flüsterte. Es flüsterte und sang in einer leisen und wohlklingenden Melodie, welche seine Augenlider immer schwerer werden ließ. Die Schatten der Gegenstände im Raum tanzten und sprangen umher, während die Silhouetten der Fische im Aquarium Schattenspiele an der Wand veranstalteten. Der gesamte Raum strahlte eine fast schon unreale Ruhe und Harmonie aus. Der Geruch von Herbstblumen und dem typischen Mitteleuropäischen Obst- und Laubbäumen vermischten sich in der Luft zu einer Symphonie aus ätherischen Düften, die so zart waren, dass es eine Unvorstellbarkeit war, diese Düfte irgendwann als abstoßend zu empfinden. Irgendwo rauschte Wasser in dieser wohligen, warmen Idylle und das weiche Sofa, auf dem er lag oder saß, bewegte sich. Dort war also noch jemand. Die Schatten setzten ihr Schauspiel fort und derjenige, der sie deuten konnte, dem wurden somit Geschichten und Märchen einer gigantischen Größe offenbart. Es war wie ein wunderschöner Traum. Er wurde geschüttelt. Ganz sanft, aber stark genug, um ihn aus seiner Trance zu reißen. Die Schatten erzählten nun keine Märchen mehr. Sie schwiegen. Die gesamte Atmosphäre des Raumes erlosch, wie eine Kerze im Wind. „Spirou. Du musst aufstehen. Wir können dich nicht tragen.“ Er kannte diese Stimme und auch diesen beruhigenden Ton. Als wäre er gerade aus einem langen Schlaf erwacht, wollte er sich recken und strecken, wie eine Katze, die den Buckel macht, doch seine Glieder waren schwer wie Blei. Es war, als hätte man ihm die Kraft zum Aufstehen und Bewegen genommen. Sie einfach aus seinem Körper rausgesaugt. Er blinzelte ein paar Mal. Er kannte diesen wunderbaren Raum gar nicht. Um ehrlich zu sein war er ihm vollkommen fremd. Das Rauschen des Wassers hatte aufgehört. Eine Stimme rief etwas. Es klang wie eine Aufforderung. Noch einmal versuchte er aufzustehen. Hätte er sich erheben können, wäre er wieder ins Kissen zurückgesackt. Doch er schaffte es nicht und blieb liegen. Nur die angespannten Muskeln zeigten, dass er versucht hatte, sich zu bewegen. Dann spürte er, wie man ihn unter den Achseln packte und hochhob. Er glaubte, kurz zu spüren, wie seine Füße umknickten und er ein Stück hinabrutschte. Doch die Arme schlangen sich um seinen Brustkorb und hinderten ihn daran, der Schwerkraft nachzugeben. Er bewegte sich, oder besser: Er wurde bewegt. Der Parkettboden, auf den sein Blick fiel, wanderte unter ihm her. Langsam versank er erneut in seinem Dämmerzustand. Man legte ihn in warmes Wasser. Plötzlich musste er an kaltes, dunkles Wasser denken und an goldbraune Locken, die sich verspielt kräuselten. Er bekam eine Gänsehaut. Totes Wasser! Neben ihm redeten zwei Personen. Draußen fiel die Temperatur noch etwas mehr. Es waren jetzt bestimmt schon unter Null Grad. Die Äste der kahlen Bäume schüttelten sich im Wind und der trockene Pulverschnee wehte über die Landschaft. Die letzten Auswüchse grüner Natur wurden im endlosen weiß erstickt nichts Lebendiges regte sich mehr im Freien. Es heulte und jammerte und am Himmel türmten sich große, dunkle und bedrohlich wirkende Wolkenberge auf, die der Nordwind immer mehr voranpreschte. Schwer sahen sie aus, die Wolken. Wie mordlustige Riesen lugten sie gen Boden und suchten nach unschuldigen Opfern, die sie heimtückisch überfallen konnten. Und mitten unter dieser Sturmschwangeren Luft lag das gerade mal 2000-Seelen-Dörfchen Rummelsdorf, dass vor Angst bebte und zitterte. Es lag fast im Dunkeln. Etwas weiter östlich hatte der Sturm bereits einen Strommast umgeworfen und die Straßen waren in Schwärze gehüllt. In den Fenstern schienen hier und da Taschenlampen oder flackerte die eine oder andere Kerze auf. Es wirkte etwas verlassen, vielleicht aber auch etwas friedlich, wie es so da lag. Niemand konnte die zukünftigen Geschichten dieses Dorfes erahnen. Niemand wusste, dass sich dort eine grausame Bestie in menschlicher Gestalt verschanzte. Niemand wusste, dass es bereits ein neues Opfer hatte. Niemand wusste, dass es gerade eben eine lange, dünne Eisenstange durch den Hals seines Opfers bohrte. Niemand. Doch bald würden sie wissen, dass das neue Opfer bloß ein acht Jahre alter Junge war. Fantasio setzte sich stöhnend auf einen Stuhl in der Ecke des Zimmers. Pips sprang auf seinen Schoß und rollte sich dort zusammen, während der Blonde das Eichhörnchen geistesabwesend kraulte. Er hatte Spirou ganz allein ins Badezimmer getragen und ebenfalls allein die Treppe hoch ins Gästezimmer geschleift. Richard Claude hätte ihm bestimmt geholfen, doch mit einem gebrochenem Bein war es einfach eine äußerst schwierige und langatmige Prozedur. Richard hatte sich wieder nach unten begeben um: „to look for a Fieberthermometer.“ Der Blonde konnte sich nicht helfen, musste aber über den starken amerikanischen Akzent des Apothekers schmunzeln. Doch er hätte das Fieberthermometer gar nicht benötigt. Als er den Rotschopf ins Bad getragen hatte, hatte er gemerkt, dass er eine erhöhte Temperatur hatte. Es war eigentlich nur die Frage, wie hoch sie steigen würde. Draußen knallten die Fensterbretter gegen die Wand. Spirou wälzte sich ruhelos im Bett umher. Fieberträume, dachte Fantasio. Unten wurde eine Tür aufgerissen und er erkannte die aufgeregte Frauenstimme: „Daddy! You never guess what has happened!“ Also war die junge Frau, die das Mädchen ins Krankenhaus gebracht hatte, die Tochter von Herrn Claude. „Abigail! Upstairs are two young man. One seems to be really sick!” “Two? A redhead and a tall blonde?” Fantasio wusste, dass es sich nicht gehörte, anderer Leute Gespräche zu belauschen, doch er konnte nichts anderes machen. Außer man nahm vielleicht an, dass die Fensterbretter mit ihren Klopfen eine Morsenachricht vermittelten, aber da sein Englisch besser war als seine Kenntnisse über das Morsen hörte er den beiden Amerikanern im unteren Teil des Hauses weiter zu. Unten wurde gerade mit einem „Yeah!“ geantwortet. „They found a little girl in the lake“, ihre Stimme wurde hastiger. „and so the redhead swam to her and…“ “In the lake?!” “Yes! I took her to the hospital”, nun wurde ihre Stimme ein Flüstern und Fantasio musste sich anstrengen noch etwas zu verstehen. „she’s dead.“ Pips fand sich innerhalb einer Sekunde auf dem Boden wieder. Er starrte verwirrt und leicht säuerlich den Blonden an - der ans Treppengeländer gestürzt war - der ihm noch vor kurzem eine wohlige Streicheleinheit verpasst hatte. „Sie ist tot?!“ Beinahe wäre Fantasio über das Geländer nach unten gefallen. Abigail Williams schaute erschrocken nach oben. Dann fasste sie sich jedoch wieder. „Yes. She… Ja. Sie war wohl schon tot, als sie im Wasser trieb. Aber die Ärzte meinen, dass sie irgendwo gefesselt war. Sie hatte starke Abschürfungen an den Hand- und Fußgelenken.“ Fantasio war geschockt: „Sie wurde ermordet?“ „They think so.“ „Die Ärzte?“ Plötzlich polterte es hinter Fantasio. Er wirbelte herum. Spirou lag, in die Decke verstrickt, auf dem Boden und hielt sich den Kopf. Er nuschelte etwas. Dann sah er sich um: „Wo bin ich?“ Richard Claude setzte zu einem humpelnden Eilspurt an, seine Tochter überholte in jedoch und schnappte sich das Fieberthermometer aus seiner Hand. „Ich mache das, Dad!“ Fantasio half Richard sich die letzten Stufen der Treppe hinaufzuzerren. Aus dem Gästezimmer ertönte Abigails Stimme: „40,2 Grad! Wird ne fiese Grippe werden.“ „We have some drugs against it... so don’t worry.” Richard klammerte sich verbissen an seine Krücke und humpelte eiligst von der Treppe weg, Fantasio folgte ihm, nicht wissend, was er tun, oder antworten sollte, da er sich in Gesellschaft zweier Apotheker doch schon ziemlich nutzlos vorkam. Abigail hatte Spirou wieder ins Bett bugsiert – und ihn sogar dazu gebracht drin liegen zu bleiben – und widmete sich nun scheinbar hochinteressiert dem Fieberthermometer, das sie hin und her schüttelte. „My dear daughter“, Richard seufzte. “ It’s not broken. Actualy, it’s really new.” “Dad, ich kenne dich nun schon lange genug, um zu wissen, dass du dich mindestens siebenmal draufgesetzt hast. Du lässt solchen Kleinkram immer auf dem Sofa oder den Stühlen liegen.“ Mr. Claude errötete merklich und murmelte ein verstohlenes: „Only five times…“ und verstummte dann auch schnell wieder als Spirou zu einem keuchenden Husten ansetzte. Nach dem Hustenanfall schaute er sich kurz um. „Wo bin ich?“ murmelte der Rotschopf. „In einer abgeschiedenen Apotheke“, fügte Pips in Gedanken hinzu. „Weil du Hornochse wegen einer Leiche in einen eiskalten See gesprungen bist.“ Nach dieser Klarstellung machte es sich der Sarkast auf Fantasios Schulter bequem. „Sie sind in der International Health Pharmacy. Ihr Freund hat Sie herge…“ „-tragen“, Brachte der Blonde Abigails Satz zuende. „Kannst du dich erinnern, warum wir hier sind?“ „Hat es was mit phosphorzierenden Lichtern und tanzenden Schatten zu tun?“ „Nein, das dürfte ein Traum gewesen sein.“ „Gut, es hätte dann auch keinen Sinn ergeben…“ Fantasio klatschte sich die Hand an die Stirn: „Spaß beiseite, Spirou. Wir sind wegen dem Mörder hergekommen-“ Abigail schluckte schwer. Richard schaute erschrocken auf. „- und nun bist du mit einer Grippe ans Bett gefesselt!“ „Wer sagt, dass ich ans Bett gefesselt bin?!“ Um allen die (ironische) Krone aufzusetzen hustete Spirou kurz auf. Fantasio, Abigail und Richard (selbst Pips) deuteten auf sich selbst und gaben ein lautstarkes: „Ich!“ zurück (bei Pips war es ein lautstarkes Quieken). Diese Anordnung ließ Spirou vorerst in seinem Bett zusammenschrumpfen. Er mochte die Dunkelheit. Er mochte sie mehr als alles andere auf der Welt. Einerseits war sie so kalt und einsam, andererseits war sie immer an seiner Seite und umfing ihn mit ihrem wärmenden Mantel aus Schwärze. Verhüllte ihn und seine Taten. Hatte immer ein Ohr für ihn und seine Tränen. „Ich liebe dich.“ Hatte er schon so oft geflüstert, doch nie hatte sie ihm geantwortet. Mit ihr kamen auch die Stimmen, die ihm alles mitteilten. Sie war ihre Botin. Ihr Herold. Sein ein und alles. Und während er sie erwartete, summte er leise eine Ballade vor sich hin, die er einst als kleiner Junge auswendig lernte. Es waren die letzten Strophen des Gedichts und er hatte es geliebt: Wann treffen wir drei wieder zusamm? Um Mitternacht, aufm Bergeskamm Auf hohen Moor, am Erlenstamm, Ich komme Ich mit Ich nenn euch die Zahl, Ich nenn euch die Namen, Und ich die Qual, Hei, wie Splitter brach das Gebälk in zwei, Tand, Tand, ist das Gebilde von Menschenhand. Die Dunkelheit begann nun sich über ihm auszubreiten und er überlegte sich seine neuste Heldentat. Er warf die Münzen vor sich. Wenn auch nur eine Person, ein Unwürdiger, die Zahlen entschlüsseln könnte, dann wüssten sie mehr. Und auch nicht. Dieses Gedicht ist aus einer besseren Zeit. Damals ging es mir noch gut. Damals hat Vater mich noch nicht geschlagen. Damals hat Mutter nie geweint. Damals. Und trotzdem hat es sich verändert. Und wie es sich verändert hat. Nichts war wie vorher – alles war neu. Und ich war völlig unbekannt. „Daddy, warum willst du nicht zu uns kommen?“ Richard Claude hatte sich einen Stuhl geschnappt und beobachtete Abigail und Fantasio über das Geländer hinweg. Seinen gebrochenen Fuß hatte er demonstrativ auf einen zweiten gebettet und lauschte ihrer Unterhaltung im unteren Teil des Hauses. „I’m not crazy! I can’t use more broken bones!“ Mit diesen wohlgewählten Worten drehte er sich ein bisschen. „I need a pillow. Abi? Can you give me a pillow, please?” Voller töchterlicher Liebe warf Abigail ihm ein Kissen zu (und zwar mitten ins Gesicht). „I hope you won’t teach that to your son!“ “Du hast einen Sohn?” Fantasio rührte in seinem – mittlerweile kaltem – Tee. „Er ist noch in den U.S.A. bei meinem Mann. Tom ist fünf. Sobald er sechs ist, will Chen mit ihm nachkommen.“, Gedankenverloren betrachtete sie ihren Ehering. „Wenn die beiden hier sind werden wir schauen, wohin wir gehen. Ich will nach Madrid“, Abigail schmunzelte. „Er jedoch nach Genf. Und Tom will nach London weil er unbedingt mit diesen roten Doppeldeckern fahren will.“ Fantasio schaute sich im Wohnzimmer um: „Ich bewundere schon die ganze Zeit eure Einrichtung. Du und dein Vater, ihr scheint ja viel herumzukommen.“ „Größtenteils mein Vater. Der versucht überall hinzukommen. Notfalls mit dem Ruderboot. Doch sein Französisch ist nie besser geworden. Das hat er mit Chen gemeinsam: Ihr Französisch ist und bleibt grauenhaft! Möchtest du etwas essen? Ich kann Suppe machen.“ „Won’t work!“ Erschallte es über ihnen. „Why not?“ „The storm caused a power blackout! Our lights are running on emergency power.” “Ihr habt ein Notstrom-Aggregat?” „Vater hatte die Idee. Wenn er Medizin mischt und der Strom ausfällt, kann es vorkommen, dass die Medizin darunter leidet. Deshalb sind Labor und alle Lichter des Hauses auf Notstrom ausgestellt.“, Abigail stand auf. „Ich geh ins Lager und werd unseren alten Camping-Kocher suchen. Hoffen wir, dass er noch funktioniert.“ Auch Fantasio stand auf und ging die Treppe nach oben. Dort angekommen lehnte er sich ans Geländer zu Richard (der es sich auf dem Kissen bequem gemacht hatte) und blickte in Spirous Zimmer. „Darf ich ihre fachmännische Meinung haben, wann der Patient wieder gesund wird?“ Richard winkte mit der Hand leicht ab: “I would say … about one week. Just a bad cold. All he needs is a warm bed an lot of tea.” In diesem Augenblick – kaum hatte er den Satz zuende – ertönte Abigails fluchender Schrei aus dem Lager. Fantasio stürmte die Treppe hinab und Pips sprang schlaftrunken von Spirous Bett (welcher übrigens nicht aufwachte). „I’ll follow soon.“ Und Richard erhob sich so schnell wie möglich von den Stühlen und begann den Abstieg über die Treppe. („I really need a lift…“) In der Lagertür blieben Pips und Fantasio stehen. Pips rümfte die Nase und sprang erst mal ein paar Hopser zurück und auch der Blonde bemerkte den beißenden Benzingeruch. Abigail fluchte, vollkommen nass, auf dem Boden vor sich hin. „What happened?!“ brüllte Richard auf der Treppenmitte. „Ich bin ans Regal gestoßen und ein Kanister mit Benzin ist auf mich gekippt.“ Plötzlich hielt sie kurz inne. Dann drehte sie sich schnell zu Fantasio: „Du musst nachschauen, ob hier irgendwo im Haus offenes Feuer ist! Wenn irgendwo eine Kerze brennt, dann schmeiß sie aus dem Fenster! Und öffne alle Fenster!“ Doch Fantasio hatte sich schon eine Flasche Mineralwasser neben der Tür geschnappt, und begann, den Kamin zu löschen – Pips nahm schon einmal die Räume unter die Lupe. Abigail rannte derweil in eine Decke gewickelt aus dem Lagerraum: „Läuft das Wasser?“ „Try it!“ Das Haus lag ruhig da. Der Junge schloss die Tür auf und wurde von seinem Heim mit dem Knacken des Schlosses begrüßt. Er war in der Schule. Heute hatten sie gelernt, bis Zwanzig zu zählen. Er fuhr kurz mit seinen Fingern über das kupferne Namensschild an der Tür und folgte den Rillen des ersten, großen Buchstaben: G. Er ging durch die Tür, legte seine Tasche ab und hing seine Jacke auf. „Ich bin zuhause!“ Seine Mutter antwortete nicht. Wahrscheinlich war sie weg, einkaufen, oder so was. Seit der uniformierte Mann gekommen und sie beide mitgenommen hatte, war sie oft nicht mehr da. Sein Vater hatte in den letzten Momenten getobt vor Wut! Seine Mutter hatte Angst vor ihm gehabt. Hatte irgendwen angerufen und geweint. Er holte etwas Brot und Aufstrich aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Küchentisch. Dort fiel ihm der schwarze Mantel auf – seine Mutter hatte nicht solche Mäntel. Es war ein Männermantel. Er biss sich noch ein Stück vom Brot ab und schlich langsam ins Wohnzimmer. Es war rot. Der Boden war rot. Die Wände waren rot. Die Möbel waren rot. Rot von Blut. In der Mitte des Zimmers lag seine Mutter. Aufgeschlitzt wie Metzgerfleisch. Ihre Kehle, ihre Arme, ihre Beine, ihr Gesicht, ihr Rumpf. Das Messer steckte noch in ihrer Brust. Senkrecht stach es hervor, als würde es aus ihr herauswachsen wie eine abstrakte Pflanze, die den Tod bescherte. Auf dem Sofa saß sein Vater und starrte ihn mit ausdruckslosen Augen an. Dann dachte er Abscheu in ihnen lesen zu können, dann Missgunst, Neid und schließlich Trauer. Danach waren sie stumpf und er war letztendlich leergeblutet. Seine aufgeschnittenen Arme hingen schlaff an ihm herab. Langsam ging der Junge auf ihn zu. In seiner linken Hand hielt er einen Zettel. Einen Brief. Er nahm ihn. Öffnete ihn. Las ihn nicht. Sah nur die rote Tinte auf dem Papier und drehte dem Vater den Rücken zu. Ging zurück in den Flur und aus der Wohnungstür. Direkt zu der Nachbarin und klingelte dort. Murmelte etwas Unverständliches und gab ihr den Brief. Entsetzen. Polizei. Nichts. In den letzten Jahren seines Lebens hatte er vor sich hin vegetiert und gewartet. Spirou wachte auf, hatte alles für einen kurzen Augenblick klar vor Augen und schlief wieder ein. Und mit ihm die bereits erkannte Lösung von allem. Und es verlor sich wieder, in der Schwärze seiner fiebrigen Träume. „Ich bin zuhause!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)