Scharfrichter von Carabesh (Denn Töten muss nicht Sünde sein) ================================================================================ Kapitel 5: Der Bahnhof ---------------------- Disclaimer: (Kaffee aus Munueras Kaffeetasse schlürf) Mir gehört immer noch nichts, obwohl das Team mittlerweile wieder umbesetzt wurde. Aber ich habe mich entschlossen die Tasse zu behalten! (freudig weiterschlürf) Yvonne: (Taschentuch zück und Tränen aus Augenwinkeln wisch) Ich bin einerseits glücklich, andererseits auch wieder traurig. Glücklich bin ich weil Scharfrichter nun meine eigentlich erste FF ist, die sich gut entwickelt hat und trotz mehrerer Kapitel zuende geschrieben wurde. Traurig bin ich, weil diese FF mir viel Spaß bereitet hat (na gut, Spaß ist das falsche Wort, bei dem Thema, die sie behandelt, aber ihr wisst schon was ich meine oO). Und so präsentiere ich voller Stolz und ohne Profit das letzte Kapitel von ‚Scharfrichter – Denn töten muss nicht Sünde sein’! Kapitel 5 Der Bahnhof Und der Rabe rührt’ sich nimmer, sitzt noch immer, sitz noch immer, auf der bleichen Pallas-Büste übern Türsims wie vorher; und in seinen Augenhöhlen eines Dämons Träume schwelen, und das Licht wirft seinen scheelen Schatten auf den Estrich schwer; und es hebt sich aus dem Schatten auf dem Estrich dumpf und schwer meine Seele – nimmermehr. [Edgar Allan Poe – Der Rabe] Erfolglos hatte der Bürgermeister Fantasio etwas zu trinken angeboten, sich dafür aber selbst an Hochprozentigen gütlich getan. Zusammengesunken saß er in einem Sessel mit geschnitzten Füssen und starrte in eine Leere, die nur er sah. Fantasio hatte ihm gegenüber platz genommen und beobachtete das Feuer, einzige Licht- und Wärmequelle, im Kamin. Pips lag auf seinem Schoß und wartete auf eine Streicheleinheit, bekam sie aber nicht. „Nun“, begann der Bürgermeister, verstummte aber wieder, zupfte an seinem Schnauzer und fixierte einen nicht vorhandenen Punkt im Raum. „Fragen sie mich nicht nach einer Jahreszahl, ich erinnere mich nicht. Aber, wie gesagt, kurz, nachdem ich meine Ausbildung beendet hatte, da zog eine Frau hierher, zusammen mit ihrem Sohn. Keine zehn Jahre alt, der Junge. Sie… sie kamen aus dem Mittelmeerraum. Wir alle fragten uns, wie sie ausgerechnet nach Rummelsdorf kam. Gauloisus hieß sie. Wir kümmerten uns jedoch nicht weiter darum und gingen unserem Alltag nach, ja… unserem Alltag.“ Fantasio bemerkte die versteckte Verwirrtheit im Unterton des Bürgermeisters. „Das ging etwa zwei Monate so weiter… zwei oder drei, ich weiß es nicht mehr. Dann ging auf einmal ein Anruf bei der Polizei ein. Von der Nachbarin kam der Anruf, dass der Sohn ihr einen Brief gegeben hätte, in dem… in dem Herr Gauloisus bekennt, seine Frau ermordet zu haben. Er schrieb darin,… darin, dass er es nicht länger einsah, hinter ihr herzu… herzulaufen. Außerdem wollte er nicht mehr für ein Kind bezahlen, dass gar nicht… nicht seins war. Der größte Teil des Briefes war wirres Zeugs. Kein Zusammenhang. Aber immer wieder schrieb er, „dass seine Frau dafür bezahlen werde“ und anderes. Als die Polizei ankam, da fanden sie nur noch die Leichen der Eltern. Die Frau erstochen, der Mann… der hatte sich selbst umgebracht. Pulsadern aufgeschnitten. Aber der Junge…“, Der Bürgermeister seufzte und sackte noch mehr in seinem Sessel zusammen. „Der Junge hat gar keine Reaktion gezeigt. Nichts. Gar nichts. Einige haben gesagt, er stände unter Schock, andere meinten, der wäre immer so. Ein Autist. Oder ein Irrer. Er wurde mitgenommen. In eine Klinik,… glaub ich. Danach, da haben wir nichts mehr von ihm gehört. Nur die Nachbarin hat sich noch nach ihm erkundigt, aber etwa vier Jahre später starb sie. Dann wollte keiner mehr an ihn denken. Hat wohl aber danach auch kein Wort mehr mit jemand gesprochen. Hat er davor auch schon nicht.“ Der Bürgermeister schenkte sich noch einmal etwas in ein Schnapsglas ein, schluckte es auf ex und bot Fantasio erneut fragend die Flasche an. Und erneut lehnte Fantasio ab. Pips beobachtete den Bürgermeister mit Unbehagen. „Und was glauben Sie? Wo würde Gauloisus sich verstecken?“ Der Ältere runzelte die Stirn. „Der hat sich als Kind nur an zwei Orten rumgetrieben. In seinem Zuhause und am alten, stillgelegten Bahnhof. Hatte keine Freunde. War immer für sich allein. Aber selbst, wenn er irre war… blöd war er nicht.“ „Wie meinen Sie das?“ „War an der Schule wohl sehr gut. Hat aber kaum was gesagt. Die Lehrer meinten, er wäre sehr intelligent, … aber so unnatürlich ruhig.“ Fantasio verarbeitete die Information schwer schluckend. Wenn das stimmte, dann hatte er es nicht einfach mit einem bekloppten Mörder zu tun, sondern mit einem durchaus intelligenten Fanatiker. Er schluckte erneut. „Sie sagten gerade ‚unnatürlich ruhig’. Wieso unnatürlich?“ „Sie wissen schon… unnatürlich eben. Nicht einfach nur ruhig im Sinne von redet nicht viel, sondern ruhig im Sinne von verschlossen. Versteckt von seiner Umwelt eben. So, als versuche er krampfhaft nicht zu reden oder antworten. Grüßte nicht auf der Straße, nagte immer nervös an der Unterlippe. Wurde von vielen Kindern gemieden. Hatten einfach… Angst,… vor ihm. Ja… Angst… Angst ist passend…“ Den letzten Satz murmelte er mehr für sich selbst, als für Fantasio. Der Blonde stand auf und bewegte sich in Richtung Tür. „Ich danke Ihnen. Auch dafür, dass Sie mir noch so spät die Türe geöffnet haben. Ach,… wo wohnt eigentlich Wachtmeister Wastl? Ich weiß, rechtschaffende Leute soll man bei wohlverdienten Schlaf nicht stören, doch die Polizeistation dürfte jetzt ja wohl leer sein.“ „Der?... Der wohnt zwei Straßen weiter. Das Haus mit den Heckenrosen und dem Efeu an der Tür…“ Wastl war im schläfrigen Zustand mürrisch, man erwartete es kaum, bei dem sonst so freundlichen Provinzpolizisten. Er öffnete die Tür mit einem Blick, der Zeugen Jehovas sofort in eine panische Flucht gejagt hätte. „Wasn?“ Der Ton verriert alles: Schläfrig. Müde. Sauer. Fantasio rieb sich wärmend die Arme und fing an, dem Wachtmeister über seine Informationen aufzuklären. Jedoch schien Wastl erst einige Zeit zu brauchen, um zu begreifen, wer in seiner Tür stand, welches Wetter herrschte und was der Typ sich da zusammenstotterte. Doch nachdem ihn ein kräftiger (und kalter) Windstoß getroffen hatte, schaltete sich der Logikschalter in seinem Hirn wieder an und er erkannte Fantasio, registrierte das Wetter und verstand endlich, was dort zuvor unverständlich gebabbelt wurde. „Der… der Bahnhof?!“ Wastl verknotete beinahe seine Finger, als er das Schulterhalfter seiner Pistole umschnürte. „Da kommen wir doch jetzt nur mit einem Geländewagen durch. Da ist bestimmt alles zugeschneit. Schauen Sie doch nur mal raus!“ „Aber wir müssen hin! Gauloisus wird mindestens noch zwei weitere Morde begehen!“ „Okay. Okay. Mit meinem Wagen kommen wir bestimmt in die Nähe, aber wenn auf dem Weg ein paar weitere Strommasten umgekippt sind, dann bekommen wir ein Problem. Es gibt nämlich nicht so viele Wege zum alten Bahnhof. Wenn die versperrt sind, dann müssen wir zu Fuß weiter!“ Wastl zog schnell seine Jacke an. Fantasio stand schon an der Tür. „Und im absoluten Notfall kriechen wir halt durchs Unterholz! Los jetzt! Los!“ Pips verfluchte sämtliche Hektiker der Welt und wünschte sich insgeheim, bei Spirou geblieben zu sein, aber so, wie er den Reporter kannte, würde der sicherlich wieder einmal seine Hilfe benötigen. Gauloisus stand erhaben über seinem nächsten Opfer. Sein neuntes Opfer war anders als die anderen. Sie war älter. Sie war kränker. Sie war trotz der Blässe ihrer Haut absolut schmutzig. Sie war dreckig. Widerlich. Hässlich. Abstoßend. Ihre Eltern hatten keinen heiligen Bund geschlossen. Und mit ihrem Tod würde er für alle Unreinen der Welt ein sichtbares Zeichen setzen. Nach ihm würden andere kommen. Und nach denen wieder andere. Der Kreislauf würde auf ewig bestehen. Doch noch lebte sie. Noch. Wastls Wagen schoss durch die vereisten Straßen und gab knirschende Geräusche von sich, während der Wachtmeister versuchte, so schnell wie möglich zu fahren, ohne mit diversen Laternen, Briefkästen und Hydranten zu kollidieren. Pips klammerte sich fluchend unter Fantasios Jacke an den Blonden fest. So musste die Formel 1 sein, wenn der Wagen plötzlich verrückt spielt. Doch endlich erreichten sie den Bahnhof. Der Wind pfiff ihnen um die Ohren als sie ausstiegen und sich umsahen. Wastl deutete auf ein großes Gatter. „Da! Das Tor ist nicht abgeschlossen! Das haben vor Jahren irgendwelche Kiffer aufgebrochen!“ „Is gut!“ brüllte Fantasio durch den Wind und stampfte in die Richtung, in die der Polizist gedeutet hatte. Aber was tun, wenn er jetzt wirklich da ist? Fantasio zögerte kurz, als ihm der Gedanke durch den Kopf jagte. Ich kann nur hoffen, dass Wastl nicht vergessen hat, wie man mit einer Pistole umgeht. Die Stimmen hatten ihn verlassen. Sie waren weg. Einfach verschwunden. Sonst waren sie immer da gewesen. Hatten unverständliches gemurmelt, sich gestritten, gebrüllt, Befehle erteilt und Lob gesprochen. Aber jetzt war alles still. Totenstill. Nur sein eigener keuchender Atem war in den leeren, großen Gängen hörbar. Sonst nichts. Er begann zu zittern. Tausende von Fragen tauchten vor seinem inneren Auge auf und wollten nicht mehr fort. Doch nun meldete sich sein feines Gespür. Draußen war jemand. Draußen war ein Mensch und suchte ihn. Ihn! Jemand wusste von seiner Anwesenheit. Gänsehaut bildete sich auf seinen Armen und jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Seine Nackenhaare richteten sich auf und die Angst begann ihn in die Arme zu nehmen und drohte, ihn vollständig zu verschlucken. Fraß an seinen Nerven und fing an, ihn in eine hirnlose Panik zu versetzen. Er ging, schritt über das gefesselte Mädchen hinweg und wurde immer schneller. Rannte in Richtung Eingang. Und obwohl er rannte, war er beinahe geräuschlos. Ein Schatten in der Dunkelheit der Nacht. Fantasio schluckte. Die Nacht schien im Bahnhof ein Eigenleben entwickelt zu haben und wirkte auf beängstigende Weise fast schon materiell greifbar. Hinter sich konnte er Wastl spüren. Er bewegte sich etwas träge. Kindheitsalbträume wurden aus den Ecken von Fantasios Gedanken wiederbelebt. Alte Gespenster der Vergangenheit, aus schlaflosen Nächten, krochen hervor und nährten seine dunkle Fantasie. Sein Handgelenk wurde gepackt! Fantasio unterdrückte einen Aufschrei, als er plötzliches etwas Langes und Hartes spürte, das ihm in die Hand gedrückt wurde. „Nehmen Sie meine Taschenlampe“, raunte ihm Wastl ins Ohr. „Aber schalten Sie sie noch nicht ein. Wenn Gauloisus hier ist, dann wird er das Licht sofort bemerken.“ Fantasio nickte. Dann fiel ihm ein, dass Wastl ihn wahrscheinlich gar nicht sehen konnte und murmelte ein kurzes: “Okay.“ bevor er sich weiter seinen Weg durch die Dunkelheit bahnte. Seine Augen gewöhnten sich nur sehr langsam an die Schwärze und selbst nach wenigen Minuten konnte er immer noch nicht weiter als sechs Meter blicken. Pips huschte in die Dunkelheit davon. „Pips“, wisperte er. „Pips. Komm zurück.“ Er tastete sich noch ein paar weitere Schritte vor, die Taschenlampe wie eine Keule, schlagbereit, erhoben. „He.“, flüsterte Fantasio nach hinten. „Kennen Sie sich hier aus?“ „Hm…“ „Wenn ja, dann könnten Sie vorgehen. Ich weiß nicht, wo was beginnt…“ „Hchr…“ Fantasio erschauderte und ein eiskalter Schock jagte seine Wirbelsäule hinab. Das war nicht Wastls Stimme. Diese war… War anders. Fantasio drehte sich langsam auf der Stelle um und schaltete die Taschenlampe ein. Der Lichtkegel traf auf das Gesicht eines Mannes. Blass wie Leinen war seine Haut. Die Wangen waren eingefallen und tiefe Ringe bildeten sich unter den Augen. Das Haar war schäbig und glänzte fettig. Geronnenes Blut klebte auf dem Gesicht. Der Mann hob ein Eisenrohr über den Kopf. Fantasio zog scharf die Luft ein. Das Eisenrohr sauste blitzschnell nach unten. Der Bürgermeister wusste nicht, wie lange er seit dem Verlassen Fantasios das Kaminfeuer angestarrt hatte. Eine Minute? Eine Stunde? Die ganze Nacht? Er erhob sich ächzend aus seinem Sessel und wankte durch den Raum. Alles drehte sich. Er sah sich selbst. Jetzt, als Bürgermeister. Als kleinen Jungen, ein Kind. Sah sich, wie er seine Lehre begann, wie er dem Dorf half. Er taumelte zu einem großen Fenster, lehnte sich auf dessen Sims und starrte in die Nacht hinaus. Hatte er wirklich so viel falsch gemacht? Hatten alle nicht irgendwie etwas falsch gemacht? Hatte der Schlag ins Gesicht niemanden aufgeweckt? Er begann sein Handy zu suchen. Als er es hatte, wählte er wie in Trance eine Nummer und zählte das Klingeln. Eins… Zwei… Drei… Vier… Fünf… Sechs… Sieben… Acht… Neu- „Verdammte Scheiße? Wer ruft den noch so spät an?!“ „Ich bins.“ „Du? Was gibt’s denn? Hast du mal auf die Uhr…“ „Es ist wegen dem Mörder.“ „Mörder?... Mörder… Mörder… oh Schei-“ „Spar dir das für deine Azubis. Nen … Bekannter… von mir glaubt zu wissen, wo der Kerl steckt. Weiß sogar, wer’s ist.“ „Wer?!“ „Erinnerst dich an Gauloisus?“ „Heilige Mutter Gottes! Der?!“ „Ist nicht weiter wichtig. … Hör zu: Der Reporter un-“ „Er is Reporter?“ „Das ist jetzt egal! Pass auf: Der Kerl ist zusammen mit meiner Provinz-Polizei-Pflaume unterwegs ihn zu suchen …“ „Wastl ist ein ordentlicher Polizist. War bei…“ „Sie suchen zu zweit einen Kerl, der bereits mehrere Kinder umgebracht hat! Du leitest die Polizeistelle in Pfifferlingen und bist ein alter Kumpel von mir! Also tu mir bitte den Gefallen und rück mit ’n paar Leuten an.“ „… Und wohin?“ „Alter Bahnhof. Dort war er immer. Das Haus seiner Mutter steht ja schon seit gut fünf Jahren nicht mehr.“ „Ich komme mein Alter. Kannst dich drauf verlassen.“ Das Rohr verfehlte Fantasio zwar, aber er konnte trotzdem den scharfen Luftzug an seinem Gesicht spüren, als es vorbei glitt und neben ihm in den Boden krachte. Gauloisus jaulte wie ein getretener Hund. Er kam sich vor, wie ein Kaninchen vor der Schlange. Hilflos. Irritiert. Aussichtslos. Gauloisus rieb verwirrt sein Handgelenk, in das Pips vor nicht mal vier Sekunden gebissen hatte. Innerhalb eines Sekundenbruchteils fragte sich Fantasio innerlich, wie oft er jetzt schon dem Eichhörnchen sein Leben verdanke. Dann kehrte sein Geist auch schon wieder aus der Erinnerung in die Gegenwart zurück. Ein irres Grinsen klebte nun auf Gauloisus Gesicht und er hob erneut die Eisenstange über seinen Kopf. Seine Finger verfestigten den Griff um das Metall und der Blonde konnte deutlich spüren, dass sich sein Gegenüber auf einen Schlag vorbereitete, der den Boden in kleine Splitter verwandelte und seinen Schädel in Bruchstücke. „Halt! Warte!“ Und das Unglaubliche geschah: Gauloisus führte den Schlag nicht zuende sondern verharrte. „Warum… warum willst du mich töten?“ Fantasio begann zu beten, dass er antworten würde, aber NICHT, dass die Antwort etwas mit ‚Stimmen’ und ‚Auftrag’ zu tun hatte. Gauloisus ließ langsam das Rohr sinken, bis er es nur noch mit einer Hand festhielt und den Boden berührte. „Waren sie verheiratet?“ Seine Stimme klang, als würde er sie so gut wie gar nicht benutzen. „Hö?“ „Deine Eltern. Waren sie verheiratet?“ Jedes Wort schien ihm nur mit Mühe über die Lippen zu kommen. „Ja. Ja, sie waren verheiratet.“ „Dann darfst du leben.“ Fantasio stockte der Atem. Dann war seine bescheuerte und abgrundtief dämliche Theorie eines bekloppten Fanatikers, der Kinder metzelte, weil ihre Eltern NICHT verheiratet waren richtig? RICHTIG? Der Blonde wusste nicht, welches Gefühl zuerst da war: Unbehagen, Unverständnis, die lodernde Wut oder doch der Wunsch diesem Irren an die Kehle zu springen. Gauloisus verlor jedoch mit seinem letzten Satz jegliches Interesse an Fantasio und wanderte in die Dunkelheit. Der Strahl der Taschenlampe folgte ihm. Er blieb bei Wastl stehen. Wastl lag regungslos auf dem Boden und hatte ein kleines Rinnsaal Blut an der Stirn. Er atmete. „Dessen Eltern waren auch verheiratet.“ Gauloisus tippte kurz mit der Fußspitze gegen ihn, unschlüssig, was er mit den beiden Gästen anfangen sollte. Doch dann entschied etwas in seinem Kopf diese Frage und er schritt in die Finsternis zurück. Sie beide würden ihm nicht folgen. Der eine konnte nicht, und der Andere würde nicht. Schließlich hatte er ihm das Leben geschenkt. Fantasio rannte schnell zu Wastl. Der Polizist war jedoch nur bewusstlos geschlagen worden und der Blonde fragte sich insgeheim, wie Gauloisus es geschafft hatte, ohne dass er auch nur irgendetwas mitbekommen hatte. Vorsichtig zog er die Pistole aus dem Schulterhalfter. Der Lichtkegel tastete sich nun in die Richtung vor, in die der Mörder verschwunden war. Hastig und möglichst lautlos rannte er ihm nach, während draußen vor den Tor vier Polizeiwagen anhielten. „Ich… ich muss ihm… ihm helfen, “ murmelte Spirou als Abigail ihn ins Bett zurückzerrte. „Bitte… versteh doch…“ „Nein! Nichts versteh ich! Du bist krank! Sehr krank! Du bleibst im Bett! Für mindestens eine Woche!“ Mit diesen Worten verlor sie ihren letzten Rest Geduld und zog so heftig an seinem Arm, dass er von selbst ins Bett zurück fiel. „Aber ich…“ „Nichts aber!“ „Ich muss…“ „Du musst fast gar nichts im Moment! Nur liegen bleiben und gesund werden! Außerdem, wie willst du zu Fantasio gelangen? Er hat unser einziges Auto genommen und euers liegt draußen auf dem Feldweg und wartet auf den Abschleppdienst. Schlaf jetzt.“ „Ich…“ „Zwing mich nicht die Tür abzuschließen.“ Spirou gab letztendlich klein bei und Abigail setzte sich zu ihren Vater ins Wohnzimmer. „You’re worried.“ „I’m worried about so much.“ “Maybe a little game of chess will change it.” Richard lächelte seine Tochter aufmunternd an. „You’ll be able to forget about all these things.“ “I feel so helpless, Dad. So helpless...” Fantasio konnte seinen Augen nicht trauen. Natürlich hatte er schon von Leuten gehört, die sich aus diversen Gründen alte Gebäude als kostenlose Bleibe suchten, er hatte jedoch nie erwartet jemals in eine Art eigene Folterkammer zu stolpern. An den Wänden lehnten alte, verbogene und eingerostete Stangen, überall lagen schwere Eisenketten auf dem Boden, ein Satz Fleischermesser lag fein ordentlich sortiert auf einem splittrigen, angeschimmelten Tisch und überall war eingetrocknetes Blut. Und es stank! Es stank nach Krankheit, Tod und Verwesung. Am meisten nach letzterem. Gauloisus stand in der Mitte des Raumes, ihm den Rücken zugewannt. Irgendwo neben sich nahm der Blonde ein gedämpft Keuchen wahr. „Du darfst nicht hier sein.“ Fantasio zuckte zusammen. Gauloisus hatte sich umgedreht und blickte ihn direkt an. Er konnte nicht definieren, was genau im Blick des Mörders lag, doch, wenn er es genau beschreiben sollte, würde er am ehesten … eine gewisse Menschlichkeit … sagen. Es passte so gar nicht zu ihm und seinen Taten. Es ließ ihn so …so harmlos wirken. „Wenn du hier bist, dann reden die Stimmen nicht.“ Ah ha, dachte Fantasio. Stimmen also? Doch ein Irrer. Aber wenn Gauloisus schon so redete, vielleicht würde er sich dann auch auf ein richtiges Gespräch einlassen… „Was… was sind das… für Stimmen?“ „Verschiedene. Sie reden halt mit mir.“ „Und warum… befehlen sie dir zu töten?“ Irrte er sich, oder hörte er Stimmen hinter sich im Gang? „Warum geht …die Sonne auf?“ Fantasio starrte ihn perplex an. Die Sonne? Was war denn das für eine Gegenfrage? „Ähm… weil die Erde sich um die Sonne dreht?“ fragte er in einem erklärlichen Tonfall. „Vielleicht will die… Sonne auch einfach wieder …aufgehen.“ „Was? Aber das macht doch keinen Sinn!“ Gauloisus lächelte. „Für mich macht es… es Sinn. Doch dein Denken hat für mich… weder Form… noch Farbe.“ Fantasio klappte der Mund auf. Wie bitte? Eskalierte das hier nun zur Philosophie-Diskussion? Fantasio erstarrte. Gauloisus lächelte weiterhin. „Wo Verstehen ist …muss kein Sinn… sein. Verstehen und …kom- …plexes Denken sind etwas… vollkommen …Verschiedenes.“ Gauloisus schenkte ihm nun ein Lächeln, wie von einem Schüler, der gerade seinen Lehrer etwas beigebracht hatte. „Ich weiß, du wirst… nicht verstehen, und das… verlange ich auch gar nicht, … doch ich wäre froh, wenn du …über meine Worte nachdenken ...würdest.“ Er atmete schwer zwischen jeder Satzunterbrechung. Der Blonde schluckte schwer. „Was … was ist mit den zwei weiteren Opfern?“ Gauloisus bedachte ihn mit einem bewundernden Blick. Er ging langsam auf den schimmeligen Tisch zu und nahm von dort eines der Messer. Mit dem Daumen prüfte er die Schärfe der Schneide. Fantasios Griff festigte sich um Wastls Pistole. „Ich hatte nicht …erwartet, dass mein kleines …Zahlen-Rätsel-Spiel so schnell …lösen würde“, Gauloisus seufzte. „Aber es gibt… scheinbar noch Menschen,… die sich an mich, meine Mutter und meinen… Vater erinnern. … Ihr werdet’s schon …finden. Habt …schließlich alle… gefunden.“ „Wolltest du sie … sie alle töten?“ Fantasio versuchte mit aller Macht das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken, es gelang ihm jedoch nicht. „Hmm… ja und… nein. Töten ist… ein Verstoß gegen… ein Gottes- …gebot, …aber sie hatten es… nicht anders verdient…“ „Es waren Kinder!“ Gauloisus zuckte mit den Schultern: „ …Schuldlos… schuldig.“ Heiße Wut kochte in Fantasio hoch. Er richtete die Waffe auf Gauloisus. Dieser beachtete ihn jedoch nicht weiter, sondern befingerte nur sein Messer. „Und was …dann?“ „Hä?“ Grandiose Antwort, lobte sich Fantasio in Gedanken. „Was kommt… danach? Draußen… im Eingang liegt… der einzige… Polizist im ganzen …Dorf. Draußen …wütet ein…. Sturm. Wo würdest …du mich hinführen,… wenn ich …mich jetzt ergebe? Würdest du mich… erschießen…, dann hättest… du ein anderes… Problem: Ich ha- …hab dich nicht …angegriffen. Also keine… Notwehr. Du …hättest ….mich er- …ermordet.“ Er warf dem Blonden einen kurzen Blick zu. „Außerdem… bist du … ni- …nicht die Sorte Mensch,… die auf …a- …andere schießt. Und nun,… entschuldige mich.“ Gauloisus legte das Messer zurück auf den Tisch und verschwand in den Schatten hinter ihm. „Nehmen Sie die Hände hoch!“ Fantasio drehte sich langsam um. Hinter ihm standen acht Polizisten. Alle richteten ihre Waffen auf ihn. „Waffe fallen lassen!“ Fantasio ließ die Pistole los und fing an, nervös auf der Unterlippe zu kauen. „Ähm… hören Sie: Ich bin nicht der Mörder. Mein Name ist Fantasio. Ich bin Reporter und…“ „Das isser nicht! Blond, Stirnglatze, groß,… das is der Reporter! Los! Durchsucht den Raum!“ Die Polizisten stürmten an Fantasio vorbei. Der Blonde konnte sich nicht helfen. Auf irgendeine Art und Weise kam er sich selten dämlich vor. „Gauloisus ist dort lang…“ Er deutete in die Dunkelheit. Einer der Polizisten schnaubte. „Das hätten Sie auch gleich sagen können!“ Jemand tippte Fantasio auf die Schulter. Hinter ihm stand ein stämmiger Mann mittleren Alters. „Mein Herr, ich möchte Sie bitten mit nach draußen in den Wagen zu kommen. Der Bahnhof ist nun polizeiliches Sperrgebiet… nanu, da is ja ein Eichhörnchen…“ Gauloisus hatte insgesamt nur zwei Minuten Vorsprung. Diese zwei Minuten waren jedoch für ihn ausreichend genug, um sich in einem der vielen Tunnel zu erhängen. Wieso er das tat anstatt zu fliehen konnte keiner sagen. Nur Gauloisus selbst hätte darauf antworten können. Fantasio war in einer der Polizeistreifen untergebracht worden, eine andere hatte Wastl schon in das nächste Krankenhaus gebracht. Eine halbe Stunde lang musste Fantasio dort dem Leiter der Polizeistelle Pfifferlingen erklären, wie er den (simplen) Zahlen-Code gelöst und überhaupt auf die Antwort gekommen war. Als er fertig war, war der einzige Kommentar des Polizisten „In Ordnung.“. Etwa fünf Minuten später brachten zwei der Polizisten eine junge Frau aus dem Bahnhof. „Ich glaube, es ist nur ein kleiner Schock.“ Sophia lächelte Fantasio aufmunternd zu. „Nur ein kleiner Schock?!“ Der nebenstehende Arzt schnitt sich fast in den Finger, als er mit einer Schere hantierte. „Mädchen, du wärst fast gestorben! Du… du…“ „Ja ja ja“, Fantasio wedelte abwertend mit der Hand. „Erinnern Sie bitte weder mich noch Fräulein Sophia daran.“ Sophia lächelte traurig. Fantasio schritt zum Fenster des Krankenzimmers und blickte schweigend hinaus. Schließlich verließ der Arzt den Raum und der Blonde räusperte sich: „Was… werden Sie hiernach tun?“ „Nun… darüber bin ich mir noch nicht sicher. Aber ich glaube, ich werde wegziehen.“ Sie zupfte an einer Strähne ihres weißen Haares. „Vielleicht nach New York, Sydney oder auch in etwas näher Gelegenes. Rom soll ja sehr schön sein. Und Sie?“ Fantasio blickte zu ihr. „Ich bleib hier. Hier hab ich Freunde, Familie und so’n Quatsch halt. Außerdem komm ich auch so schon oft genug in der Welt herum. Wo wir gerade davon sprechen, ich muss da noch zu Jemand, der mich bestimmt schon vermisst.“ „Tun Sie das. Aber Sie kommen doch noch mal wieder oder, denn wissen Sie, ohne Sie wäre ich jetzt bestimmt tot.“ „Natürlich. Dann bring ich auch noch ein paar Freunde mit. Sie werden sie mögen.“ „Albträume.“ Spirou presste sich einen Beutel Eis gegen die heiße Stirn. Fantasio seufzte und setzte den Rothaarigen mit seiner Dame Schachmatt. „Du träumst sie, ich erlebe sie.“ „Sag das nicht!“ Abigail tupfte sich mit einem Taschentuch Tränenreste aus den Augen. „Ich bin froh, dass es jetzt vorbei ist.“ „Tja…“, murmelte Fantasio. „Es ist immer wieder interessant, was zum Vorschein kommt, wenn man an einer Fassade kratzt.“ „Ich hab dich doch gebeten aufzuhören!“ Spirou nieste und Fantasio schlürfte weiter an seinem heißen Kaffee. Pips kuschelte sich weiter an Spirou. „Ach… nun ist es endlich vorbei. Also… ich und Pips werden keine Ego-Helden-Trips mehr machen, Spirou wird nicht mehr krank werden und du wirst nicht mehr in Benzin baden -…“ „Lustig. Siehst du, wie ich lache? Ha ha.“ „Kommst du Morgen mit zu Sophia? Sie freut sich über Besuch.“ „Klar. Aber… lasst uns heute nicht mehr darüber nachdenken. Einfach Schach spielen.“ „Sag mal… wie viel Urlaub haben wir noch? Jetzt könnte ich wirklich mal eine lange Auszeit gebrauchen.“ Ende Ich bedanke mich bei Yami_06; Mr Unbekannt; Timmy und Amethyst, die diese FF lasen und Kommis hinterließen. Außerdem bedanke ich mich dafür, dass ich keine Hass-Spams bekommen hab, weil das letzte Kapitel sich so lange hinzog. Eure Vermi (oder auch Carabesh/Sotez) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)