Street Children´s Farewell von Himeka ================================================================================ Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- Kapitel 9: Wasser lief über seinen Körper, verbrannte ihm fast die Haut, aber er war zu schwerfällig, um es kälter zu drehen. Es war doch ohnehin recht angenehm… Seine Haare waren schwerer als sonst, zogen leicht an der Kopfhaut, verpassten ihm eine leichte Massage, wenn er den Kopf neigte und sie zu einer anderen Seite flossen. Seufzend stellte er das Wasser schließlich ab. Verdammt. Geholfen hatte es nicht. Er war verspannt und fühlte sich scheußlich, aber es half ja nichts, sich deshalb hier zu verkriechen. Da er seine Aufgabe gestern schon hatte vernachlässigen müssen, war er heute eben dran. Kira beaufsichtigen, damit er keinen Blödsinn machte… Langsam drückte er seine Haare aus, trocknete sich ab und stellte sich vor den Spiegel. Düsteres Bild, wenn er es recht bedachte. Er hatte offensichtlich nicht gut geschlafen. Bevor er da hinunterging, sollte er sein Erscheinungsbild noch um einiges steigern. Mechanisch begann er seine Haare zu kämmen. Immer und immer wieder, bis sie fest und glatt an seinem Kopf anlagen, dann begann er sie zu flechten, streng nach hinten. Es würde die Müdigkeit wenigstens ein bisschen vertuschen. Eines der schwarzen Shirts übergezogen, die Hotpants an, Lederhose drüber, Strümpfe. Der silberne Ohrstecker folgte, kitzelte leicht am Hals, während er das Lederhalsband mit dem silbernen Anhänger umlegte. Der Drache schaute genauso böse wie der auf seiner Wange. Lächelnd strich Zero darüber. „Hallo, mein Freund. Du siehst wieder munterer aus.“, meinte er, dann griff er beruhigt nach dem grünen Stirnband, das er sich umlegte und am Hinterkopf zusammenband. Heute, wo er die Haare so streng trug, wirkte das richtig gefährlich. Wie schön, da würde man ihn wohl wieder mal in Ruhe lassen, das war doch eine gute Aussicht. Um dieses Bild der Unnahbarkeit zu vollenden, zog er sich einen Lidstrich, bevor er sich vom Spiegel abwandte, seine Stiefel anzog und sich den Mantel schnappend und Josie Auf Wiedersehen sagend durch die Hintertüre davonstahl. Wollte er doch mal sehen, ob Kira wieder auf dumme Gedanken kam und früh joggen ging… Kira dachte nicht mal im Traum daran. Als er am nächsten Morgen erwachte, war er allein im Raum. Er wusste nicht, wo die Chibi-Schwestern waren, interessierte es ihn eigentlich auch gar nicht. Vorsichtig wollte er sich aufrichten, sank aber schon nach wenigen Sekunden zurück. Seine Schulter schmerzte immer noch. Schlimmer als zuvor. Missmutig versuchte Kira den Kopf so weit zu drehen, dass er auf den Wecker schauen konnte. Es war zehn. Aha. Dann waren sie alle also beim Frühstück. Na toll... Das ist nun die Strafe für die anfängliche Missachtung… Kira war klar, dass er nun nur so starke Schmerzen hatte, weil er der Wunde keine Zeit zum Heilen gegeben hatte. Klasse! Also würde er in den nächsten Tagen auf alles verzichten müssen, was ihm Spaß machte... Plötzlich begann es auf seinem Bauch zu kribbeln, überrascht hob er die Decke ein Stück nach oben, und sah dann eine kleine Beule das Shirt hinauf krabbeln, bis es aus dem Ausschnitt schaute. Yuki. Langsam hob Kira die gesunde Hand, strich der Maus sanft übers Fell. Dann ließ er die Hand wieder sinken. Er fühlte sich nutzlos. So unglaublich nutzlos. Er schaffte es im Augenblick nicht mal, allein aufzustehen. Rufen konnte er auch nicht, war er viel zu weit von den nächsten Leuten entfernt. Er lag schließlich in dem kleinen Raum der Zwillinge. Bis zum Aufenthaltsraum waren es mindestens 200 Meter Luftlinie... Also würde er warten müssen, bis irgendjemand ihn vermisste und dann zu ihm kam... Würde ihn denn überhaupt jemand vermissen? Doch, bestimmt... In Kira quoll etwas auf, das ihn an der Tatsache zweifeln ließ. Aber warum? Er hatte sich bisher bei keinem unbeliebt gemacht, geschweige denn irgendwen verärgert. Die Sache mit Ren verdrängte er. Zero hatte die Zwillinge um halb zehn das Haus verlassen sehen, dann waren immer mehr gekommen. Nur Kira nicht. Seltsam. Sehr seltsam. Der konnte doch schlecht noch immer schlafen. Tsubasa hatte doch gesagt, er wäre am gestrigen Tag schon am Nachmittag schlafen gegangen… Es dauerte etwas, bis der Entschluss reifte, aber dann betrat er das Haus. Alle waren ausgeflogen, er hatte sie alle akribisch gezählt und wusste, dass keiner mehr drin sein konnte außer Kira. Und selbst wenn, würde er sie einfach böse angucken, dann blieben sie sicherlich still. Die Zwillinge wohnten ganz oben in diesem Haus, auf der rechten Seite, das wusste er. Schließlich hatte er sich früher viel um sie gekümmert, weil sie trotz seiner frostigen Art niemals wirklich Angst vor ihm gehabt hatten, weil Tsubasa sie gemocht hatte… Jetzt kam ihm das zugute. Lautlos stieß er die Tür auf und betrat den kleinen Vorraum, ging direkt durch bis zum Schlafzimmer. Die Tür stand einen Spalt breit offen, gerade weit genug, um hineinzugehen. Er schlüpfte hinein. Da lag er. Kira. Mit seiner kleinen Maus, die er sachte streichelte. Das blonde Haar zerwuschelt und wirr, die Augen noch immer auf Halbmast vom Schlaf, das Gesicht blass, wahrscheinlich von Schmerzen… Oh Mann. Schweigend betrachtete er ihn weiter. Kira war schön. Ganz ehrlich, er konnte Ren ja verstehen, auch wenn er seine Methoden zutiefst verabscheute. Kira lag noch einige Minuten im Bett, flüsterte Yuki ein paar Worte zu, bis es ihm mulmig zu Mute wurde. Er fühlte einen Blick auf sich. Ganz sicher. Dieses Gefühl kam nicht von seinen Schmerzen, bestimmt nicht. Und er spürte auch, dass dieser Blick ganz und gar nicht feindselig war. Langsam hob er den Kopf, strich sich dabei mit der gesunden Hand durch die Haare. Dann ließ er den Blick durch den Raum schweifen. Er wusste, dass es nicht die Chibis sein konnten. Die hätte er gleich gesehen und erst recht gehört. Kira bezweifelte, dass die beiden es schafften, auch nur einige Minuten leise zu sein. Sein Blick glitt über das Inventar, zeitweise wurde er verschwommen, und er musste die Augen für einige Sekunden schließen. Es war wirklich schrecklich, wenn man Krank war. Erneut ließ er den Blick umher wandern, machte nachdem er ein paar Mal über die Stelle geschaut hatte, eine Person in der Nähe der Tür aus. Kira wollte den Mund öffnen, etwas sagen, doch das einzige was er hervorbrachte war erst ein heiseres Krächzen und dann ein Husten, weil ihm der Speichel in den Hals gelaufen war. Er streckte die Hand in Richtung des kleinen Tisches neben dem Bett aus, wollte sich das Wasser nehmen, was er kurz vorher dort gesehen hatte. Er schaffte es auch, dass seine Finger das Glas berührten, doch dann wurde er wieder von einem Hustenanfall geschüttelt, wobei das Glas zu Bruch ging. Er hörte ein deutliches scheppern, war der Boden schließlich mit Dielen verlegt. Stöhnend zog er die Hand zurück, die Person im Raum war längst wieder vergessen. Zero seufzte, ging dann zu dem Bett. Eine weitere Methode des Docs, seinen Patienten Gehorsam zu lehren. Er wollte gar nicht wissen, was er auf die Wunde getan hatte, damit Kira derartig krank wurde. Er hockte sich neben ihn und legte die Hand gegen die Stirn. Fieber. Eindeutig. Superklasse. „Idiot.“, murrte er. Diesmal war der Doc seiner Meinung nach zu weit gegangen. Und das würde er ihm auch noch mitteilen. Jemandem Schmerzen verursachen, schön und gut, aber jemanden krank machen, dass dieser jemand dann von kaputte Schulter auf Grippe oder so was umsattelte… Oder war es einfach so, dass die Grippe das geschwächte Immunsystem ausgenutzt hatte? „Du bist aber auch ein Pechvogel.“, sagte er schließlich und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. „Warte kurz, dann bekommst du etwas zu trinken. Und dann werden wir zu diesem Mistkerl gehen, damit er dich wieder zusammenflickt.“ Und schon stand er auf und ging in das Gemeinschaftsbad dieser Etage. Ein Glas und Wasser. Damit konnte man nicht so viel falsch machen… Nach einigen Sekunden der Stille spürte er plötzlich etwas Kaltes auf seiner Stirn. Es war schön. Angenehm. Gerade wollte er danach greifen, als es auch schon wieder verschwunden war. Kira versuchte umher zu blicken, aber er hatte kaum die Kraft, seine Augen offen zu halten. Ein plötzliches Gefühl von Müdigkeit überkam ihn, und er musste sich regelrecht dazu zwingen, nicht einzuschlafen. Warum eigentlich? Warum konnte er nicht einfach schlafen, alles um sich herum vergessen. Ein mürrischer Gesichtsausdruck schob sich in seine Gedanken und mit einem letzten gemurmelten „Zero...“ fielen ihm die Augen zu. Der Schwarzhaarige kam mit seinem Glas zurück, doch da schlief der Junge bereits wieder. Fieber war nicht so einfach zu ertragen, nicht wenn man schwach war und der Körper auf jedes noch so kleine Kinkerlitzchen reagierte. Vorsichtig setzte er sich neben ihn. Blass… und wirklich unglaublich schön. Sachte strich er die Haare aus der Stirn, dann hob er Yuki auf seine Schulter, bevor er Kira in die Decke wickelte und ihn hochhob. Sicherlich würde es dem Jungen nicht wirklich gefallen, wäre die Maus bei seinem Erwachen nicht mehr da. Aber hier bleiben war keine gute Idee. Wenn sich die Zwillinge nicht schon längst angesteckt hatten, würden sie es sicherlich in ihrer überbesorgten Art tun, wenn sie Kira helfen wollten. Sein Weg führte ihn die Treppe hinunter und durch die Straße zum Doktor. Als Zero schließlich die Tür aufstieß, waren seine Augen nur dunkle, schmale Schlitze. Kiras Stirn an seinem Hals war heiß und diese Hitze hatte seine Wut angefacht. Momentan kam es ihm so vor wie damals… damals hatte man ihm auch das genommen, was ihm wichtig gewesen war. Damals… hatte man ihm alles genommen, weil man ihn unter Kontrolle hatte behalten wollen. Heute… kam es ihm so vor, als hätte der Doc vor, ihm Kira zu nehmen. Der einzige Mensch, der ihm neben Tsubasa und dem Doc etwas bedeutete. Der einzige Mensch… den er nicht töten würde… Der bucklige Mann kam aus seinem Kabuff und allein Zeros Augen zeigten ihm, dass es jetzt gefährlich war. Er ging in Abwehrhaltung und deutete nur auf den Behandlungstisch. Seine Augen verrieten seine Gedanken nicht, aber er wusste, was gerade in Zero brodelte… und der Stab lehnte noch immer an der Wand neben dem Eingang, zudem hatte er die Ketten sicher auch dabei… Er wartete, bis sein Ziehsohn den Jungen abgelegt hatte, begann dann ihn zu untersuchen. Und die ganze Zeit über war er sich der Anwesenheit des Jungens in seinem Rücken und dem Dolch in dessen Hand nur allzu deutlich bewusst. Er blieb ruhig. Gut, um Kira stand es gerade wirklich nicht gut, aber das hatte er nicht beabsichtigt, das war Zufall. Aber mit Sicherheit war es seine Schuld, dass es so schlimm war. Ohne seine Sonderbehandlung und das Opium hätte die Krankheit sich nicht so ausbreiten können… Sicherlich ahnte Zero das, war ja nicht dumm, der Junge. Schweigen herrschte in der Luft, während der Doc das Fieber bekämpfte und Zero derweil jegliche Regung des blonden Jungens in dem Bettzeug beobachtete. Dann ging plötzlich die Tür auf und Tsubasa stand im niederen Türstock, durch einen Pager vom Doc gerufen. Sein Blick war ernst, als er innerhalb von ein paar Augenblicken erkannte, was Sache war, schnurstracks auf Zero zuging und diesem mit roher Gewalt das Messer aus der Hand nahm. „Krieg dich wieder ein, verstanden?“, fauchte er ihn an. Zero funkelte ihn an, schwieg. „Rei! Du wirst dieses Spiel nicht durchziehen! Das hatten wir schon einmal! Du wirst dich jetzt gefälligst einkriegen und hier nicht wie ein Irrer alles ermorden, was ihm auch nur nahe kommt, klar?“ Noch immer keine Antwort, nur kalte Berechnung. Tsubasa war der einzige, der diese Worte sprechen konnte. Er war der einzige, der darüber bescheid wusste und nicht stumm war. Er war der einzige, der begriff, was in Zero vorging. „Niemand hier hat vor, ihn zu töten. Niemand hier hat vor, ihn zu entführen! Und niemand hier wird dich mit ihm unter Druck setzen, hast du gehört? Er ist in Sicherheit! Und du auch!“ Die grünen Augen blitzen einmal mehr auf, da seufzte Tsubasa nur noch. „Rei…“, flüsterte er leise. „Rei!“ Seine Hände legten sich auf Zeros Wangen und zogen seine Stirn gegen seine eigene. „Wir sind nicht gegen dich. Erinnerst du dich? Der Doc hat dir immer nur geholfen. Er hat uns gerettet. Er hat dich da rausgeholt, erinnerst du dich nicht?“ Der angespannte Körper begann zu zittern. „Rei. Du bist in Sicherheit. Er ist in Sicherheit.“ Er lehnte sich leicht nach vorne gegen Tsubasas Brust. „Es ist alles gut, ja?“ Nicken. „Gut. Dann entspann dich.“ Zero atmete einmal tief durch, da ging plötzlich die Türe auf. So schnell konnte der Besucher gar nicht schauen, da flog auch schon der Dolch auf ihn zu und steckte direkt auf Augenhöhe neben ihm im Türstock. „Raus!“, grollte Tsubasa, der den zusammengesunkenen Körper Zeros mit seinem vor den Blicken abschirmte, und das Mädchen nickte verschüchtert. Sie war Leichenblass, trat den einen Schritt zurück und die Tür war wieder zu. So etwas war man von dem Chef doch gar nicht gewohnt… Der schwarzhaarige Japaner lächelte nur und strich über den Rücken seines Ziehbruders. Niemand würde ihn so schwach sehen. Niemals. Wenn sie dachten, er war schwach, dann war er in Gefahr, das war schon immer so gewesen. Schon früher. Weil er aus dem Ausland kam, weil er aus China war, weil seine Eltern ihn nicht hatten beschützen können. Also würde er dafür sorgen, dass man ihn auch in Zukunft für stark hielt, damit er in Sicherheit war, denn jemanden, der stark war, den griff man nicht ohne weiteres an… Der Doc berührte Tsubasa am Ärmel und als der junge Mann aufblickte, deutete der gebeugte Mann mit einem Nicken und einem beruhigenden Funkeln in den Augen auf die Liege. Tsubasa lächelte und nickte. „Rei?“ Der Junge in seinen Armen murmelte irgendwas Unverständliches. „Er ist über den Berg. Er wird es überleben.“ Ein leises Schluchzen war zu hören und Tsubasa drückte seinen Bruder an sich, wiegte ihn hin und her. Offenbar hatte er wirklich Angst gehabt. Kein Wunder, dass er so ausgetickt war. „Was willst du jetzt machen? Sollen wir ihn zurück zu den Chibi-Schwestern bringen? Oder in einen eigenen Raum? Den müssten wir dann aber erstmal einrichten und ich fürchte, dazu ist nicht genug Zeit und es fehlen uns Leute, die das tun würden.“ Ein Kopfschütteln folgte. Tsubasa war überrascht. „Soll er hier auf der Krankenstation bleiben? Vielleicht neben Ren? Das wird ihm nicht gefallen…“ Wieder ein Kopfschütteln. Der Japaner begann zu lächeln. „Rei, das bringt uns nicht weiter. Er braucht einen Raum, wo er Ruhe hat. Das weißt du auch. Wir können ihn nicht im Gemeinschaftsraum lassen.“ „Ich nehme ihn mit zu mir.“ Ganz leise. Ganz, ganz leise, aber gleichzeitig bestimmt. Tsubasa starrte auf die schwarzen, in den Zopf gezwungenen Haare hinab. Hatte er das jetzt richtig verstanden? Zero ließ freiwillig jemanden in sein Heiligtum an Wohnung? Sein Rei? Sein kleiner, schüchterner, übervorsichtiger Bruder? Wow, der Junge hatte mehr auf dem Kasten, als er gedacht hatte… er hatte sich viel schneller in Zeros Herz geschlichen, als er sich ausgerechnet hatte. Begabtes Kerlchen… „Okay. Dann bringen wir ihn zu dir hinauf.“, stimmte er weich zu und wiegte Zero noch ein bisschen hin und her. „Alles, was du willst.“ Es dauerte dann noch fast zwei Stunden, die Tsubasa Zero einfach nur hielt, bis dieser sich endlich wieder richtig unter Kontrolle hatte, aber dann brachten sie den Jungen gemeinsam durch die Hintertür und über die Feuertreppe in Zeros großen Raum. Ganz sachte bettete der Japaner Kira auf die schwarzen Laken, in denen er noch heller und zerbrechlicher wirkte als ohnehin schon. Er hatte Zero nicht zugetraut, ihn zu nehmen. Der Junge zitterte noch immer. Was musste in ihm nur abgegangen sein, als er erkannt hatte, was mit Kira war? Dabei war es im Endeffekt wirklich nichts weiter als Grippe. Harmlos mit den richtigen Medikamenten. Josie kam, landete auf Zeros Schulter, der sie sachte zu streicheln begann. Ihre aufmerksamen Augen begutachteten die fremde Person, dann meinte sie völlig überzeugt: „Katzen sind weiß!“ Zero lachte zittrig. „Genau, Jo, ganz genau. Und diese Katze ist jetzt hier, um gesund zu werden, also musst du leise sein, wenn sie schläft, okay?“ „Schsch.“, machte der Vogel und die beiden Brüder lachten leise. Josie traf den Nagel immer auf den Kopf. Etwas in Zeros Nacken bewegte sich und Josie war begeistert, als sie die weiße Maus erblickte. Schon wollte sie das Tier mit dem Schnabel aufnehmen und dahin bringen, wo sie ihrer Meinung nach hingehörte, da schüttelte Zero den Kopf und nahm sie selbst in die Hand. „Die gehört Kira.“, sagte er fest. „Die Schlangen dürfen sie nicht bekommen, klar?“ „Ich habe Kira lieb!“, bestätigte der Ara und Zero schoss Tsubasa einen bösen Blick zu, den dieser mit einem auffällig unauffälligen Pfeifen an sich vorbeischießen ließ. Das war Absicht gewesen. Ganz eindeutig. Dieser Satz… „Ich bring dich doch um.“, murmelte der Chinese und Tsubasa begann zu lachen. Er stand auf, kam zu ihm und küsste ihn sacht. „Oh, ich hab dich auch lieb, Rei-chan.“, flüsterte er, dann winkte er frech und verließ das Zimmer seines Bruders. Er hatte noch Arbeit, die getan werden musste. Kira war Zeros Aufgabe. Das erste, was Kira wieder mitbekam, woran er sich auch danach noch erinnern konnte, war unendlich... und grün. Als er die Augen öffnete, sah er sich allein auf einer großen, grünen, weiten Wiese. Die Sonne strahlte hell vom klaren blauen Himmel und er fühlte sich in eine Märchenlandschaft versetzt. Sein Blick schweifte über den Horizont, drehte sich im Kreis. Es war niemand da... oder doch? War da nicht eine Bewegung gewesen? Seine Augen fixierten sich auf einen Punkt am Horizont, klein und schwarz, aber gemächlich größer werdend. Als er nah genug bei ihm war, erkannte er kurze rote Haare und ein breites Lächeln auf dem Gesicht des Jungen, der nun laut lachend auf ihn zugelaufen kam. Auf Kiras Lippen bildete sich ein Lächeln und langsam breitete er die Arme aus. Der Junge sprang in eben diese und lächelte ihn an. Wie sehr er ihn doch geliebt hatte... Tetsu. Gerade wollte Kira den Kleinen an sich drücken, als sich die Umgebung plötzlich änderte und nun kein lachender Junge mehr in seinen Armen lag. Statt der grünen Wiese war er nun umgeben von grauen Mauern und ein feiner, beständiger Nieselregen prasselte auf seine Haut nieder. Nachdem er ein Gewicht in den Armen gespürt hatte, blickte er nach unten, seine Augen waren schreckgeweitet. Das lächelnde Gesicht des kleinen Jungen hatte sich in eine grauenhaft verzerrte Fratze gewandelt und die ganze Liebe, die Kira eben noch gespürt hatte, wandelte sich in eine Mischung aus Wut, Trauer, Schuldgefühlen und Verzweiflung. Es war seine Schuld, dass er tot war. Erneut blitzte das Lächelnde Gesicht vor seinen Augen auf. Er allein war Schuld. Nur weil er so egoistisch gewesen war. Wieder das Lachen. Nein. Er durfte nicht tot sein. ´Nii-chan!´ Das ging nicht. ´Ich hab dich lieb, Nii-chan!´ Warum er? Er war doch noch so klein gewesen. Tränen sammelten sich hinter Kiras Augen und er ließ ihnen freien Lauf. Was würde es ihm denn bringen, die ganze Wut, die Trauer, zurückzuhalten? Nichts. Nur noch mehr Schmerzen. Mit verschwommenem Blick schaute Kira nach oben, sah vereinzelte Blitze am dunklen Himmel zucken. Um ihn herum war niemand. Nur er saß am Boden. Mit seinem toten Bruder in den Armen. Dann gab es ein heftiges Donnergrollen und im nächsten Augenblick erhellte ein gleißender Blitz die Umgebung. An der Wand, an die Kira zufällig geschaut hatte, spiegelte sich ein Schatten. Schnell ruckte sein Kopf herum, versuchte in der Finsternis eine Gestalt auszumachen. Erst als ein weiterer Blitz erflammte, sah er die Person genauer vor sich. Sie war groß... hatte schwarze Haare... und ein grünes Band um die Stirn geschlungen... Ein Gangmitglied? Aber von wo? Kannte er diese Gruppe? Hatte er schon einmal mit ihnen Kontakt gehabt? Er wusste es nicht... Kira hatte es vergessen. Und doch... bei dem grünen Band begann etwas in seinem Kopf Alarm zu schlagen. Gerade wollte er die Hand nach dem Jungen ausstrecken, als ein erneuter Blitz alles erhellte und niemand mehr vor ihm stand. Als er wieder nach unten in seine Arme blickte, sah er auch dort nur Leere. Wo waren sie alle hin? Warum verließen sie ihn alle? Warum? Was hatte er getan? Hatte er etwas falsch gemacht? Langsam und schwankend stand er auf, und lief einfach die Straße entlang, die vor ihm entlang führte. Was sollte er jetzt tun? Warum war er hier? Was war seine Aufgabe? Kira wusste es nicht. Wusste gar nichts. Langsam lief er die enge Seitengasse entlang, hörte in der Ferne das Hupen von Autos und quietschende Bremsen. Schon bald wurden die Geräusche lauter und er konnte die Fahrzeuge auch sehen. Starr lief er weiter die Gasse entlang, achtete nicht auf die Wagen, die ihm immer näher kamen. Er lief, lief weiter und erst als er auf der Straße stand, blickte er zur Seite und sah das herannahende Auto direkt an. Langsam knickten seine Beine ein. Er hörte das Quietschen der Bremsen nicht mehr und als er den Boden berührte, versank er in einer unendlichen Schwärze. Panisch drehte er sich im Kreis, wollte einen Ausgang finden, sah jedoch nichts. Kira konnte nicht einmal seine eigene Hand vor Augen erkennen. Erst der kleine Lichtpunkt in der Ferne gab ihm den Mut, langsam auf ebenjenen zuzugehen und gerade als er hoffte, ihn zu erreichen, wurde er ganz und gar in das Helle gestoßen. Langsam öffnete er die Augen, hob seine Hand und fuhr sich damit über das Gesicht. Was.. was war das eben gewesen? Hatte er geträumt? War das wirklich nur ein Traum gewesen? Ja... Natürlich. Tetsu lebte schließlich nicht mehr. Langsam rollten ihm die Tränen aus den Augen, wurden mehr und mehr. Die Erinnerung an seinen Bruder ließ ihn einfach nicht los. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass es erst ein paar Wochen her war, dass er getötet wurde. „Tetsu-chan.... Ich hab dich auch lieb...“ Die Worte waren weniger ein Flüstern als ein Hauchen. Er musste diese Sache endlich verarbeiten, durfte nicht länger so an ihr festhalten. Sein Bruder war tot, und würde auch nicht zurückkommen, egal wie sehr er sich es wünschte. Und... er hatte jemand anderen gefunden, den er mochte, den er gern hatte. Zero blickte zu dem Jungen in seinem Bett. Schon seit geraumer Zeit war Bewegung in ihn gekommen. Seine Augen, seine Hände, seine Mimik… all das hatte sich bewegt wie im Traum, aber er hatte sich nicht gerührt. Nicht einen Millimeter. In der hintersten Ecke des Bettes hockte er, hatte das Kinn auf die Knie gestützt und ihn beobachtet. Seine Hände lagen ruhig und bewusst auf seinen Füßen, die ausnahmsweise nicht in den schweren Stiefeln sondern in weichen Socken steckten. Es war ihm egal. Kira bekam einen Einblick in alles, was er war, da machte diese Kleinigkeit auch nichts mehr aus. Josie hockte auf ihrer Stange, blickte ebenfalls zu dem blonden Jungen hinüber, der da weinte wie ein kleines Kind… Er weinte oft, so kam es ihm vor. Wann hatte er selbst das letzte Mal geweint? Als er zehn gewesen war, oder? Als er die Tattoowierung bekommen hatte, danach hatte er es sich nicht mehr erlaubt. Heute… aber sonst… Kira… war noch dazu fähig, war noch mutig genug dazu… Zero begann zu lächeln, versteckte es hinter seinen Knien. Begabter Junge. Eine einzige Handbewegung und leises Federrascheln ertönte, als der blaugelbe Ara aufflog und neben dem blonden Jungen auf dem Bett landete. „Katzen sind weiß!“, verkündete Josie glücklich und beugte sich über ihn, um ihn mit verdrehtem Kopf anzusehen. Und schon im nächsten Moment begann sie damit, ihm an den Haaren zu zupfen, seine Ohrläppchen zu untersuchen, ganz sanft, um ihm nicht wehzutun. Niemals hätte sie so etwas getan… Yuki kroch aus dem Hemdkragen des Jungen heraus und Josie hielt in ihrer Untersuchung inne. „Katzen sind blau!“, erklärte sie jedem der wissen wollte, dass hier etwas ihrer Meinung nach nicht stimmte. Mäuse gehörten in die Glaskästen, nicht ins Bett! Zero ließ es einfach geschehen. Jo das Reden überlassen war definitiv einfacher, als selbst zu ihm zu gehen und zu fragen, wie es ihm ging, wo so offensichtlich war, dass es ihm eben nicht gut ging. Kira lag still weiter im Bett, versuchte sich wieder zu fangen. Er musste mit dieser Sache endlich fertig werden. Auch wenn es erst eine Woche her war. Er durfte sich nicht in Schuldgefühlen und Trauer verlieren. Ein letztes Mal strich er sich mit dem Arm über die Augen, wollte die letzten Tränen vertreiben, da hörte er eine Stimme und im nächsten Moment spürte er einen kleinen Windstoß neben seinem Kopf. Bevor er sich umdrehen und nachsehen konnte, was diese ungewohnten Geräusche verursacht hatte, spürte er ein sanftes Krabbeln an seinem Ohr, was zu einem Kitzeln wurde. Dann begannen seine Haare zu ziepen und schon hörte er die nächsten Worte, drehte sich nun endlich zur Seite und blickte in das Gesicht eines gelb blauen Papageis. Kurz weiteten sich Kiras Augen, dann wollte er aufspringen und sich von dem Vogel wegbewegen, allerdings wollte sein Körper nicht das tun, was er wollte, das er tat. Bewegungslos lag er im Bett, ließ sich von dem Tier untersuchen. Als dieser dann allerdings seine Augen auf Yuki richtete, welcher an Kiras Hals entlang strich, langte er mit seinem gesunden Arm hoch zu seinem Kragen und zog die ängstlich quiekende Maus heraus, verschloss sie in seiner Hand. „Nein, nicht...“ Sanft strich er Yuki über das Fell, seine Augen waren immer noch auf den Vogel gerichtet. Dieser starrte ihn allerdings nur weiter an. Langsam begann Kira sich aufzurichten, jeder Muskel in seinem Körper wehrte sich dagegen und schmerzte. Nach etlichen versuchen schaffte er es doch, lehnte sich atemlos mit der gesunden Schulter an die Wand hinter sich. Dann blickte er sich im Raum um, besah sich alles so weit es ging, so weit es bei der spärlichen Beleuchtung möglich war. Neben sich sah er einen kleinen Nachttisch stehen, auf dem ein Glas stand, das mit Wasser gefüllt war. Vorsichtig griff er danach, wollte er doch nicht, dass es zerbrach. Nachdem er es in der Hand hatte, nahm er einen Schluck, ließ das kühle Nass seine ausgetrocknete Kehle hinunter gleiten. Langsam nahm er es wieder von den Lippen, drehte den Kopf noch ein wenig mehr. Neben dem Nachttisch sah man ein paar Meter leere Wand mit einem großen, verhangenen Fenster, davor ein Tisch mit Sofa und Sessel. Gegenüber eine Tür, die man allerdings nur schemenhaft erkennen konnte. Was dahinter und an der entgegen gesetzten Zimmerseite folgte, konnte Kira ob des wenigen Lichts im Zimmer nicht sagen. Nur eines der Fenster war ein wenig zaghafter bedeckt als alle anderen, und ließ so ein paar der Sonnenstrahlen durch. Langsam ließ er seinen Blick weiter in Richtung des Fensters wandern, sah die kahle Wand... Dann blickte er auf die linke Seite des Bettes und wäre, wenn er nicht so geschwächt gewesen wäre, mit einem Satz aus dem Bett gesprungen. Neben sich sah er die Silhouette einer Person, konnte im ersten Moment allerdings nicht zuordnen, um wen es sich handelte. Dann blickte er genauer hin, bemerkte ein paar durchaus bekannte Merkmale: Das grüne Stirnband, schwarze Sachen... Noch ein wenig energischer fixierte er die Person, war ihm nun allerdings klar, um wen es sich handelte. Ein letztes Schlucken, dann kamen die Worte. „...Zero.“ Wer auch sonst? Wer sonst würde sich um ihn kümmern? Der Schwarzhaarige schwieg. Also hatte er ihn letztendlich doch noch bemerkt, war doch klar gewesen. Und er hatte sein Zimmer gesehen. Auch wenn es dunkel war, was würde er sagen? Würde er ihn… dafür verurteilen, ihn… für schwach halten? Er bewegte sich sacht und hob den Arm, woraufhin der blaue Ara aufflatterte und zu ihm kam. Sachte knabberte sie an seinen Fingern, gurrte leise und schmiegte sich dann verspielt an ihn, zuppelte an seinem Ärmel. Seufzend blickte Zero von ihr auf und Kira an. „Wie geht es dir?“ Einfache Frage, mehr traute er sich grade nicht zu. Noch immer hatte er gemischte Gefühle dabei, sich so zu öffnen. Es hatte etwas von Offenbarung. Er schauderte leicht. Kira spürte einen leichten Wind über sein Gesicht streichen, als der Vogel die Flügel spannte und zu Zero flog. Kurz schloss er die Augen, dann erreichte die Frage des anderen seine Ohren. „Nicht so gut... aber auch nicht schlecht. Ich hab ein wenig Kopfschmerzen, aber...“ Prüfend legte er sich seine Hand selbst auf die Stirn. „…ich hab kein Fieber mehr.“, endete er dann grinsend. Ihm ging es zwar nun nicht super toll, aber er war nicht mehr so schwach, dass er nichts mehr machen konnte. Also ging es ihm besser als vorher. Zero nickte nur. Das Thermometer sagte da was anderes, aber wenn er das Fieber zumindest nicht mehr fühlte… War ja auch nicht mehr so hoch. „Wasser ist lieb!“, gurrte Josie und Zero schloss einen Moment die Augen. „Ich hab Kira lieb!“ Zeros Kopf fiel auf seine noch immer angezogenen Knie. „Jo!“, jammerte er schon fast wehleidig… Dafür würde Tsubasa bluten. Kira blickte den Vogel erstaunt an. Hatte er gerade wirklich das gesagt, was er glaubte, gehört zu haben? Dass er sprechen konnte war erstaunlich, aber was er sagte... Kira sah ungläubig zwischen Zero, der immer noch den Vogel auf dem Arm hatte und letzterem hin und her. Er mochte den Vogel. Er war lustig. Auch wenn das, was er sagte, nicht annähernd so lustig war. Mit einem leichten Rosaton auf den Wangen blickte er sich um, versuchte von der Situation abzulenken, indem er interessiert das Wasserglas in seinen Händen beobachtete und einen Schluck nahm. Zero seufzte. „Du solltest das nicht so ernst nehmen. Es war Ta-chan, der ihr das beigebracht hat.“, sagte er leicht drohend, seufzte dann erneut. „Josie, geh, mach Licht.“ Augenblicklich flog der Vogel auf und verschwand in der Dunkelheit neben der Tür. Es klapperte, dann flammte Licht auf. Josie kam zu ihm zurückgeflogen und Zero fing ihr Gewicht geschickt ab. Im Grunde war Kiras Scham ja niedlich. Aber er wollte ihn auch nicht in Verlegenheit bringen, schließlich war er momentan wehrlos und er sollte sich hier wohlfühlen… soweit das ging. Interessiert beobachtete Kira den Vogel. Er war wirklich erstaunlich. Er hörte auf alles, was Zero sagte und war wirklich hübsch. Das gelbblaue Gefieder schimmerte sanft, wenn er flog und sich einige der Lichtstrahlen reflektierten. Ein tolles Tier. Nachdem die Röte seiner Wangen nun nachgelassen hatte, blickte er wieder auf zu Zero. Einige Zeit blickte er ihn einfach nur an, ohne etwas zu sagen, dann begann sich Yuki aus seiner Hand zu kämpfen und flüchtete über seinen Arm in sein Shirt. Zitternd kauerte er sich auf Kiras Bauch zusammen. Kira besah sich die zitternde Beule einige Sekunden, bevor er sich besann, es für besser hielt, die Maus erst einmal in Ruhe zu lassen. Zero schwieg ebenfalls, doch obwohl es ihm eigentlich nichts ausmachte, war es diesmal anders. Er hatte Fragen erwartet. Fragen, auf die er keine Antwort wusste, die er befürchtete, die er… Solange diese Dinge nicht geklärt waren, konnte er hier schlecht weg, konnte er sich schlecht seinem Buch widmen oder seiner Musik oder was auch immer. Solange Kira nicht… zufrieden und gut versorgt war, konnte er sich nicht entspannen oder zurücklehnen… Ein weiterer Grund, warum er Gäste verabscheute. Schließlich hielt er die Stille nicht aus und auch wenn die kleine Maus mit Sicherheit sehr interessant war, war es nicht das, womit er sich gedanklich beschäftigen wollte. Er rutschte vom Bett, blickte auf den Jungen hinab, sekundenlang, abschätzend, berechnend. Dann: „Willst du was essen? Du hast Abendbrot und Frühstück ausfallen lassen.“ Die Stimme, die die Stille zerbrach, kam plötzlich, allerdings nicht unerwartet. Vorsichtig sah Kira zu Zero, versuchte ihm in die Augen zu blicken, hielt diesen grünen Steinen aber nicht lange stand. Langsam senkte er den Blick wieder, sprach dann. „Ja, gerne... Irgendetwas, ist mir egal was.“ Seine Augen blicken auf, lächelten den Vize seicht an. Zero blickte zurück, ausdruckslos, erstarrt. Wenn Kira wüsste, was er mit diesem… Unschuldslächeln für einen Gefühlssturm in ihm auslöste… Seine Finger kribbelten, sein Mund wurde leicht trocken und seine Kehle zog sich zusammen. Und sein Magen fühlte sich an, als hätte irgendjemand einen ganzen Schwarm Schmetterlinge aufgeschreckt. Abrupt drehte er sich um, kniff die Augen zusammen, einfach um sich von diesem schrecklichen Biest in seinem Bauch zu befreien, um sich von dem Anblick des Jungen losreißen zu können. Er ging zur Tür, öffnete sie, aber bevor er hinausging, blickte er zurück und lächelte ihn an. „Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht.“, erklärte er ihm warm, dann war er nach draußen verschwunden. Und prallte direkt in Tsubasa hinein, der soeben sein eigenes Zimmer verließ. „Hey, hey, unser Herzensbrecher!“, lachte er und knuddelte den sich sträubenden Chinesen einfach ab. „Was war denn das für ein Geständnis? So einen süßen Blick hab ich bei dir ja noch nie gesehen!“ Zero keuchte auf, versuchte sich aus dem Klammergriff zu befreien und hatte schlichtweg keine Chance, weil seine Arme blockiert waren und Tsubasa seine Technik einfach zu gut kannte. „Lass los!“ „Das geht grad auf keinen Fall!“, erwiderte sein Bruder. „Ich hab dich so lieb, da muss ich so einen Blick einfach ausnutzen, auch wenn er nicht mir gegolten hat!“ „Tsubasa…“ Doch als der Japaner auf das Grollen nicht reagierte, biss er zu. Einfach in sein Ohr, dass der andere erschrocken doch von ihm abließ. „Hey!“ „Was, hey?“, fauchte Zero dem empörten Anführer entgegen. „Wenn mich jemand angreift, dann werd ich mich doch wohl wehren dürfen!“ „Ich habe dich nicht angegriffen!“ „Dann eben sexuell belästigt!“ Gespielt enttäuscht blickte der junge Mann ihn an und Zero seufzte. „Schau nicht so, das hält ja keiner aus.“ „Du magst mich nicht mehr.“ Eine Augenbraue hob sich. „Wie kommst du darauf, dass ich dich je gemocht habe?“ Tsubasa begann zu lachen und wuschelte ihm durch die Haare. Das war sein kleiner Bruder. Liebevoll bis ins Mark. „Darf man fragen, warum du dein Häschen…“ „Ta-chan, du spielst gerade ernsthaft mit deinem Leben!“, unterbrach ihn Zero böse, dass der Japaner nur noch mehr lachte. „Okay, okay. Also, wie kommt es denn nun, dass der Süße da ganz allein im Zimmer hockt und du hier draußen bist? Hat er dich rausgeschmissen?“ „Sieht das so aus?“, murrte Zero, dann seufzte er. „Ich gehe in die Küche. Bis gleich!“ „Warte! Ich will mit! Vielleicht ist noch ein bisschen Kuchen da!“ Wieder verdrehte Zero die Augen. War ja klar. Die Naschkatze wollte wieder was essen. Dass Tsubasa trotzdem immer noch so schlank war, konnte man schon fast als Weltwunder verbuchen! Es war kein Kuchen mehr übrig, aber sie überraschten ein paar ihrer Leute beim Kochen. Sie machten Suppe. Wow, wie passend. Da würde er wohl noch etwas warten, bis er wieder hochging. Suppe war für fieberkranke Menschen doch das Beste, was sie bekommen konnten, oder? Vor allem Hühnersuppe, was die vier kochten. Zumal sie angeblich gleich fertig waren… Kira blickte dem Jungen nach, bis dieser den Raum verlassen hatte. Er war glücklich, sehr sogar. Endlich hatte er einen Ort und Menschen gefunden, die er mochte und bei denen ihm nichts passieren würde. Lächelnd lehnte er sich wieder in das Bett zurück, blickte sich einmal mehr im Raum um. Und nun bemerkte er die ganz und gar dunkle Ecke gegenüber dem Bett. Von seiner Position aus konnte er nichts sehen außer Glaskästen... viele Glaskästen. Sollte er aufstehen und nachschauen? Nein, wohl besser nicht, sonst bekam er am Ende noch Ärger. Es war schließlich nicht sein Zimmer und es gehörte sich auch nicht, sich ungefragt überall umzusehen. Es war ruhig, ganz und gar ruhig. Das einigste Geräusch war ab und zu ein leises Quicken von Yuki und das darauf folgende Schnabelgeklapper des Papageis. Josie beobachtete ihn von ihrer Stange aus der Ecke des Zimmers. Nach einiger Zeit streckte sie mit einem leisen rascheln die Flügel und flog zu Kira auf das Bett. Wieder drehte sie den Kopf zur Seite und heftete eines ihrer Augen auf Kira, ließ ihn nicht aus dem Blick. „Was ist los?“ Kira blickte den Vogel an, blickte dann auf die Beule unter seinem Hemd und wieder kam ein sehr fröhliches Schnabelklicken von Seiten Jos. „Nein, ihn gibt es nicht!“ Erneut trat er in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Vogels, spürte ganz genau seinen Blick auf sich ruhen. „Ich hab Kira lieb!“ Perplex starrte der Junge das Tier an. Was sollte das nun schon wieder?? Sollte das ein ja sein? Na ja, er hoffte zumindest, dass der Vogel seine Worte verstanden hatte. Genau diese Szene bekam Zero mit, als er, mit einem Tablett beladen, die Türe wieder öffnete. Josie vor Kira, der sie zweifelnd ansah, sie definitiv neugierig und unerschütterlich zutraulich… Genial. Klasse. „Jo, geh auf deine Stange, Kira muss jetzt was essen und du kennst die Regeln!“ Der Papagei krähte auf, knurrte wie ein tollwütiger Hund und wippte herausfordernd mit dem Kopf. Essen und sie sollte gehen? Ja, soweit kam es noch! „Jo!“ „Karamellbosbos schmecken Rei nicht!“ Zero knurrte böse. „Bonbons! Wann lernst du das endlich?“ Dieses blöde Vieh wagte es, hier vor Kira seinen wahren Namen zu verwenden? Wie konnte sie? Wie… Aber andererseits wusste sie es nicht besser und Kira konnte ja nicht wissen, dass sie ihn damit meinte, oder? „Geh, Platz machen!“, rief er und der Vogel hüpfte über die Bettdecke zur Seite, ließ Zero sich neben Kira auf die Bettdecke sinken lassen. „Hier, sie ist noch heiß, also Vorsicht!“, sagte der Schwarzhaarige sanfter und hielt dem Patienten ein Tablett mit einer Schüssel und Stäbchen entgegen. Daneben stand eine große Thermoskanne mit heißem Tee. Viel trinken, hieß die Devise. Josie nutzte seine offensichtlich friedliche Stimmung, flatterte auf und landete direkt auf seiner Schulter, knabberte ihm zärtlich am Ohr, zupfte an seinem langen Ohrring, dass er seufzend wieder aufstand. Er brachte sie zu ihrer Stange, setzte sie darauf und wollte zurückgehen, da war sie auch schon wieder da und landete auf seinem Arm. Er lächelte nachgebend. „Es ist aufregend, nicht wahr?“, flüsterte er ihr zu, streichelte über ihre gelbe Kehle. „Ein fremder Mensch, wo du seit Jahren außer Ta-chan und mir keinen mehr gesehen hast. Ein Mensch, der eine Maus hält und der dich interessant findet. Du merkst das, nicht wahr? Neugier und Interesse… darin ist er dir ähnlich und alles, was dir ähnlich ist, ist gut, nicht wahr?“ Seine Stimme war verträumt und er lächelte leicht. „Rei ist weiß!“, stimmte sie ihm stolz zu, rieb ihren Kopf an seiner Wange. „Wasser ist heiß!“ „Nein, Wasser ist nass.“, berichtigte Zero sie liebevoll. Immerzu brachte sie diese Sätze durcheinander. „Trottel!“, stimmte sie nicht minder zärtlich zu. „Die Katze tritt die Treppe krumm!“ Wieder seufzte Zero. Tsubasa war definitiv zu häufig hier. Wenn er ihr solche dämlichen Sätze beibringen konnte. Und wenn sie wieder mal ein neues Schimpfwort von ihm aufgeschnappt hatte, das er seinem Bruder an den Kopf geworfen hatte… Er kam zu Kira zurück, hockte sich auf das Bett, wieder ganz ans Fußende, soweit weg von Kira wie möglich, und lächelte ihm zu. „Sie ist schlecht erzogen.“, entschuldigte er sich gequält. Erst als sich die Tür öffnete, blickte Kira nach oben, entdeckte Zero und lächelte ihn an. „Hallo...“ Dann begann ein wildes Wortgefecht zwischen Zero und Jo welches Kiras ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Wieder einmal bemerkte er, wie gut der Ara doch sprechen konnte. Das Tier verdrehte zwar einige Worte, aber was machte das schon? Hauptsache man verstand sie. Erst als Zero ihm das Tablett hinhielt, widmete er seine ganze Aufmerksamkeit dem Chinesen. „Danke schön.“ Flüsterte er und nahm mit einem Nicken das Tablett entgegen, stellte es sich auf die leicht angewinkelten Knie. Dann nahm er die Stäbchen zur Hand und begann zu essen. Es war lecker und warm. Fast ein wenig zu warm. Da Kira schon vorher leicht warm gewesen war und er nun auch noch heißen Tee und warme Suppe aß, wurde es ihm unerträglich heiß. Vorsichtig versuchte er sich die Ärmel des T-Shirts so weit wie möglich hochzukrempeln, und streckte dann seine Beine unter der Bettdecke hervor, um auch so ein wenig Wärme abzugeben. Dann aß er weiter, beobachtete zwischendurch Zero. Als er fertig war, legte er die Stäbchen auf das Tablett zurück und widmete sich ganz dem Tee, der nun wenigstens um ein paar Grade abgekühlt war. „Zero... Was ist passiert, während ich geschlafen hab?“ Fragend blickte er sein Gegenüber an. „War irgendwas Besonderes?“ Der Schwarzhaarige blickte ihn nachdenklich an. Er hatte die ganze Zeit über geschwiegen, aber jetzt… „Wir waren beim Doc.“, erklärte er, ließ seinen Ausraster aber weg, ließ weg, dass Tsubasa ihn aufgehalten hatte. „Ansonsten ist nichts passiert. Ich habe dich mit Ta-chan zusammen hergebracht, seitdem hast du dich kaum noch bewegt.“ Die reine Wahrheit. Wenn unten bei den anderen Clan-Mitgliedern etwas passiert wäre, dann hatte er es schlicht nicht mitbekommen. „Ah so...“ Er hatte den anderen mal wieder Umstände bereitet. Das war nicht gut, aber er konnte es schlecht ändern. „Danke, dass du mir geholfen hast, und auch dass Tsubasa mir geholfen hat.“ Wieder schlich ein kleines Lächeln über seine Lippen. Dann ließ er seinen Blick durch den Raum wandern, zog unbewusst Yuki unter seinem Hemd hervor und begann ihn zu streicheln. Seine Augen blieben an der dunklen Ecke im hinteren Teil des Raumes hängen, sahen bloß den dunklen Umriss von Glaskästen. „Was… was ist das da hinten in der Ecke??“ Interessiert blickte er zu Zero. Der Chinese seufzte. Das war jetzt wohl die schlimmste Sache… Wenn das publik wurde, dann konnte er sich auch gleich die Kugel geben. „Jo ist nicht mein einziges Haustier.“, erklärte er langsam. Wie sollte er das am besten ausdrücken? „Ich… beherberge ausgesetzte Reptilien, die in dem Klima hier nicht überleben würden.“ Das war doch schon mal ein guter Anfang. „Besser du fasst nicht in die Terrarien, manche sind giftig.“ Wieder ein Seufzen. „Und besser sagst du den anderen nichts davon.“ Das klang jetzt schon fast wieder wie eine Drohung. Er wollte nun mal nicht, dass jemand davon erfuhr. Bei Kira war es vielleicht ja in Ordnung, aber dann auch nur bei ihm. „Alles rennt, rettet, flüchtet!“, posaunte Jo dazwischen und Zero begann gedankenversunken Kira beobachtend sie zu kraulen. Mit großen Augen blickte der blonde Junge den Schwarzhaarigen an. Reptilien also... Kein Wunder, dass er es ihm damals in der Stadt nicht sagen wollte. Aber doch passte es zu ihm. Zu Zero. Reptilien wurden von vielen Leuten als gefährlich angesehen und diese gefährliche Aura umgab auch Zero, wenn er draußen unter den anderen war. Lächelnd stützte Kira einen Arm auf die Bettdecke über seinen Knien. „Das passt zu dir... wirklich. Und wenn du es nicht willst, werde ich es auch keinem sagen. Versprochen.“ Langsam ließ er sich nach einigen Minuten in das Kissen zurücksinken. Seine Augen... sie waren plötzlich so schwer geworden... bleischwer. Und dabei hatte er gedacht, dass er schon wieder halbwegs fit war. Pustekuchen. Zero antwortete nicht darauf. Das passt zu dir… War das nun ein Kompliment? Meinte er es positiv, wie es sein Lächeln ihm weismachte, oder meinte er seine versteckte Beleidigung? Beides würde er nachvollziehen können. Nicht umsonst hatte er den Drachen direkt in sein Gesicht stechen lassen… Er wandte seine Augen von dem Jungen ab, starrte in die Ecke hinein, wo seine Lieblinge schliefen. Schweigend lauschte er den fremden Atemzügen. Es war ungewohnt, nicht unbedingt angenehm. Oder? Eigentlich doch, oder? Er hatte schon immer besser schlafen können, wenn er vertraute Atemzüge gehört hatte, aber waren Kiras vertraut? Eigentlich nicht. Und trotzdem beruhigten sie ihn. Komisches Gefühl. Komische Tatsache… Was sollte er mit dieser Erkenntnis anfangen? Dass er ihn gerne dahatte? Eigentlich… schon, nicht wahr? Er schaffte es nicht, sich gegen die Müdigkeit zu wehren und glitt sanft ins Land der Träume. Sein Geist wurde benebelt, sodass er nicht einmal träumte. Es war schön. Es war befreiend. Als die Atemzüge ruhiger wurden und gleichmäßig begann Zero wieder zu lächeln. Kira war schon niedlich. Dass er sich traute, in seiner Gegenwart zu schlafen… Er würde wetten, dass er der einzige außer Tsubasa war, der das wagen würde. Ganz langsam stand er auf, nahm das Tablett und trug es hinunter, ließ nur die Thermosflasche stehen. Anschließend öffnete er noch die Vorhänge der Fenster, die bei den Schlangen und Echsen waren, damit sie etwas Licht bekamen, denn jetzt war sie nicht mehr so stechend und die Tiere würden sich keinen Sonnenbrand mehr holen. Und weil er nicht wusste, was er danach noch machen sollte, setzte er sich wieder auf sein Bett und wachte über Kiras Schlaf. Selbst als es dunkel wurde schlief er nicht, döste höchstens mal, denn obgleich er es irgendwie genoss, den Blonden in seiner Gegenwart zu wissen, schlafen würde er in seiner Anwesenheit sicher nicht. So bekam er auch mit, wie die Sonne aufging und Jo, die auf ihrer Stange geschlafen hatte, nach frischem Futter verlangte, was er ihr schweigend und leise gab. Gleichzeitig verklickerte er ihr, dass sie still sein musste. So fraß sie schließlich schweigend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)