In Liebe, Sophia von Ling-Chang ================================================================================ Prolog: -------- Ich möchte euch von Sophia erzählen. Sophia ist 8 Jahre alt und hat eine kleine Schwester namens Marina. Diese ist erst 6 Jahre alt. Sophias Vater ist Techniker und hat oft einen langen, schweren Arbeitstag. Danach hat er meistens keine Zeit für seine Kinder, die ohne Mutter aufwachsen, weil diese wegen einer schweren Lungenentzündung im Krankenhaus liegt. Jede Woche am Sonntag schreibt Sophia ihrer Mutter einen Brief, der diese auf dem Laufenden hält. Auch an diesem Sonntag schreibt sie ihrer Mutter einen Brief, in dem sie von den Ereignissen der vergangenen Woche erzählt. Sophia sitzt zu Hause an ihrem Schreibtisch vor dem Fenster und beginnt, zu schreiben. Sie geht in Gedanken die Woche durch und macht zu jedem Tag eine Notiz, damit ihre Mutter weiß, was an den Tagen passiert ist. Oft wiederholt Sophia in ihren Briefen die Hoffnung, dass Nadia, ihre Mutter, bald nach Hause komme. An diesem Sonntag ist der Brief besonders lang. Kapitel 1: ----------- Liebe Mama, wie geht es dir? Uns geht es gut. Papa hatte zwar eine Erkältung, aber jetzt geht es ihm besser. Marina ist noch in der Kindertagesstätte. In der Woche ist eine Menge passiert. Stell dir vor, da ich gestern Geburtstag hatte, waren wir im Kino. Wir haben einen animierten Film gesehen, sagt Papa. Es war toll. Marina konnte zwar nichts sehen, weil sie einen blöden Sitz erwischt hatte, aber ihr gefiel der Film auch. Am Montag habe ich jemanden auf dem Heimweg von der Schule kennen gelernt. Sein Name ist Sebastian. Er ist niedlich. Weißt du, ich bin heute auf ein Eis eingeladen. Ich mag ihn sehr, Papa sagt, ich wäre verliebt, oder so. Aber ich glaube, dass ich Sebastian lieb habe, als Freund oder so. Na ja, um 15 Uhr wollen wir uns treffen und ich freue mich schon riesig. Bald fangen die Ferien an. Wir werden wohl nichts unternehmen. Da warten wir lieber auf dich, denn wir wissen ja, dass du bald kommst. Marina konnte gestern nicht einschlafen, da hat sie Papa gefragt, was passiert, wenn du tot bist. Ich war plötzlich so traurig. Du wirst nicht tot sein! Ich möchte für immer bei dir bleiben, ja? Versprichst du mir das auch? Marina hat die ganze Zeit geweint und Papa war auch nicht froh. Bitte komm bald, ja? Die Ärzte sagen, dass du schwach bist, aber für mich bleibst du die stärkste und tollste Mama der Welt! Ich habe mir schon überlegt, was wir unternehmen werden, wenn du da bist! Vielleicht gehen wir auf den Rummel oder im Park spazieren oder essen … Am Dienstag habe ich eine gute Bewertung in meinem HSU-Test bekommen. Er handelte von Bienen. Ich habe bloß einen dummen Fehler gemacht. Ich wusste die Bedeutung des Berufes, bei dem man den Honig von den Bienen klaut, nicht. Papa sagt es wäre ein Imker. Jetzt weiß ich es. Schade … Ich hätte dir gerne von etwas Besserem berichtet. Papa arbeitet in letzter Zeit so oft und lässt uns immer öfter allein. Manchmal sind wir nachts alleine. Du weißt ja, dass ich Angst im Dunkeln habe. Deswegen mache ich abends immer das Licht an. Marina schläft auch manchmal mit mir in einem Bett, dann sind wir nicht so alleine. Wenn du da bist, möchte ich auch mit dir in einem Bett schlafen! Am Mittwoch hatten wir ein riesiges Sportfest! Die 25 Meter Staffel hat zwar die B gewonnen, aber wir haben wenigstens den zweiten Platz von dreien gemacht. Die C war noch schlechter! Lara hat gesagt, dass wir mehr trainieren werden und dann machen wir nächstes Jahr den Ersten. Wir haben uns alle vorgenommen, das zu tun! Im Werfen habe ich nur 9 Meter geschafft. Es war schrecklich. Ich konnte das noch nie. Papa sagt, das habe ich von dir! Marina kann auch nicht werfen! Wir beide sind dir wohl sehr ähnlich. Am Donnerstag war es sehr regnerisch. Wir konnten nicht mal mehr auf die Schaukel. Schade eigentlich. Papa hat sie vor zwei Wochen ja schön rot angestrichen. Er sagte, dass du rot immer sehr gemocht hast. Die Schaukel ist toll! Du musst, wenn du da bist, dringend drauf schaukeln. Am Freitag war der Regen dann weg. Wir haben in Sport Fußball gespielt und zwar draußen! Es hat großen Spaß gemacht, auch wenn wir alle immer ausgerutscht sind. Lara sagt, dass kommt von den Gummisohlen der Schuhe. Gestern war nichts los. Wir waren einkaufen, doch wir haben nur Essen gekauft. Papa hat an seinem Computer gearbeitet und ich habe Marina etwas vorgelesen. Der Tag ging schnell vorbei! Mein Geburtstag war also nicht spannend … Im Moment ist uns sehr langweilig. Die Schule macht auch keinen Spaß. Ich möchte dir aber unbedingt Sebastian vorstellen, wenn du wieder da bist. Er ist furchtbar nett. Marina und er und ich haben viel Spaß zusammen! Oft spielen wir auf dem Spielplatz Fangen oder Ball. Ich hoffe, du kommst bald und gute Besserung! In Liebe, Sophia Epilog: -------- Als Sophia am nächsten Tag, dem Montag, den Brief bei der Post abgibt, fragt sie sich, wann ihre Mutter wohl diesen erhalten wird. Sie geht zur Schule und lernt fleißig, damit sie am nächsten Sonntag ihrer Mutter einen weiteren Brief mit erfreulichen Ereignissen schicken kann. Sophia rennt nach der Schule nach Hause und macht ihre Hausaufgaben. Plötzlich klingelt es an der Tür. Sie öffnet diese und der Postbote reicht ihr den gleichen Umschlag, den sie am Morgen bei der Post abgegeben hat. Er lächelt traurig und meint: „Tut mir Lied, Sophia. Der Brief kann nicht zugestellt werden. Der Empfänger existiert nicht mehr.“ Damit dreht sich der Mann um und lässt die geschockte Sophia allein. Diese fängt an zu weinen und bemerkt erst in dem Moment, dass ihre Mutter wohl während der Schulzeit gestorben war. Dieser letzte Brief, den Sophia ihrer Mutter geschrieben hat, liegt noch heute in ihrem Sarg. Denn er soll die Erinnerung der Verstorbenen an die Familie erhalten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)