Sparking Angel von Kleiner_Tod ================================================================================ Kapitel 2: Der Bahnhof ---------------------- Kapitel 2: Der Bahnhof Lawrence schlenderte die Straße in Richtung Bahnhof entlang. Die Schule war aus und es regnete immer noch. Er genoss es, wie die nassen Tropfen sich auf ihn herabfallen ließen und langsam sein Gesicht mit einem Wasserfilm bedeckten. Das war auch eine gute Methode, um seine Gedanken ruhig zu stellen: Mit Musik in den Ohren den Regen fühlen, wie er kalt und nass auf das Gesicht fällt. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es noch ein Weilchen dauern würde, bis der Zug käme. Nach kurzem Überlegen lief er dann in Richtung des alten Friedhofs. Seinem Lieblingsplatz. Er liebte diesen Ort, vor allem im Winter, wenn der Schnee die Gräber sanft zu deckte oder im Sommer bei Gewitter. Die alte Pforte quietschte wie immer erbärmlich. Und wie immer fragte er sich, wann das mal einer beheben wollte. Sie quietschte schon, seit er auf diese Schule ging, und das war immerhin schon eine Weile. Also würde sich daran in nächster Zeit auch nicht so viel ändern. Er lief weiter über den Kieselweg, dessen Steine unter seinen Schuhen knirschten. Er hasste es, die friedliche Ruhe dadurch zu stören, aber an den Seiten waren Gräber und da wollte er dann auch wieder nicht drüber laufen. Also blieb ihm nichts weiter übrig, als weiter die Magie dieses Ortes zu stören, bis er sich schließlich auf dem Grabstein unter dem alten Baum niedergelassen hatte, wie er es immer tat. Sein schwarzer Ledermantel legte sich dabei wie eine Decke um den Stein. Nass wer er nicht, stand er doch mehr oder weniger im Schutz der alten Tanne. Nun schaute er dem Regen zu, wie er unermüdlich aufs Land fiel. Er unterstrich die Atmosphäre der Endgültigkeit, die diesem Ort beiwohnte. Was andere als unangenehm oder gar angsteinflößend empfanden, machte Lawrence in seltsamer Weise stärker. Die Anwesenheit des Todes ließ einen erst die eigene Macht spüren. Das hier war sein Ort der Kraft, seine tägliche Tankstelle, ohne die er sich irgendwie schwach und verletzlich fühlte. Sie schärfte seine Sinne jeden Tag aufs Neue. Seine Großmutter hatte früher einmal zu ihm gesagt: „Friedhöfe geben die einstige Kraft der Toten an die weiter, die ihn besuchen.“ Damals hatte er das für einen dummen Spruch gehalten, doch heute wusste er, dass es stimmte. Vielleicht hatte seine Großmutter ja auch gerne mal auf einem Grabstein gesessen und einfach nur dem Regen zugeschaut. Dieser prasselte immer noch ununterbrochen auf die Gräber nieder, als wolle er sie auswaschen. Die Kraft der Verstorbenen für Lawrence aus der Erde holen. Allmählich hatte er lange genug hier gesessen. Er musste noch seinen Zug erwischen. Also sprang er elegant von seinem Stein, drehte sich noch einmal zur großen Tanne um und verschwand dann wieder durch das quietschende Tor nach draußen. Dort schaute er erst einmal auf die Uhr. Sonderlich beeilen musste er sich nicht. Also nahm er einen kleinen Umweg durch den angrenzenden Park. Der Park war menschenleer. Wo sich an Sonnentagen viele Leute tummelten, lagen heute nur braune Blätter herum. Die dunklen Wolken spiegelten sich in den zitternden Pfützen und ließen alles grau und trist wirken. Der Regen gab natürlich auch noch seinen Teil dazu. Lawrence gefiel es. So konnte er ganz allein durch den einsamen Park gehen und sich seinen Gedanken widmen. Halt, Moment! Wollte er nicht genau das verhindern? „Mist...“, dachte er sich, beließ es aber dabei. Es gefiel ihm hier zu gut, als dass er wegen ein paar Gedanken umdrehen wollte. Er schlenderte weiter durch den Park bis zu dessen Ausgang an einer Straße. Er musste zuerst eine Weile stehen bleiben, damit er nicht von vorbeifahrenden Autos nass gespritzt wurde. „Beinahe, als würde man eine andere Welt betreten...“, dachte er bei sich, als er vom Bürgersteig aus auf die fahrenden Autos schaute. Ein wenig traurig blickte er noch einmal zum Park zurück...seine kleine Idylle schien ihn fast ebenso traurig anzuschauen. Sie wollte wohl, dass er als einziger bei ihr blieb...wie gerne hätte er das getan! Beim Weitergehen beschlich ihn langsam ein schlechtes Gewissen. Er wurde schon oft genug allein gelassen...warum ließ er denn jetzt den Park allein? Schlagartig schoss ihm die Antwort durch den Kopf: Er suchte einen Grund, um nicht weitergehen zu müssen. Das war es – er hatte Angst! Lawrence musste grinsen. „Ein schlechtes Gewissen wegen einem Park...“ Allerdings konnte sich dieses Grinsen nicht lange auf seinem Gesicht halten. Schon an der nächsten Kreuzung war es vollends verschwunden. Der Kreuzung in Richtung Bahnhof. Er wusste nur zu gut, was ihn dort erwartete. Gewalt, Schmerz...unbegründeter Hass. Lawrence verstand nicht, wie Menschen so etwas tun konnten. Er selbst war zwar kein Kind von Fröhlichkeit jedoch glaubte er an etwas: an die Liebe. Er hatte sie zwar noch nie erfahren, jedoch konnte er sich nur zu gut vorstellen, wie es sein musste, geliebt zu werden und lieben zu können. Jedoch würde er vielleicht nie dazu kommen. Einen Partner zu finden war für ihn schließlich alles andere als leicht. „Liebe ist eines der wahrscheinlich schönsten Gefühle der Welt...warum gibt es dann noch den Hass? Wozu ist er gut?“, fragte er sich nun und runzelte nachdenklich die Stirn. Als er am Bahnhof ankam hatte er zwar keine Antwort auf die Frage gefunden, jedoch hatte er die Zeit sinnvoller genutzt als sie mit Angst zu verschwenden. Vielleicht würde er die Frage irgendwann beantworten können...wenn er selbst einmal jemanden so sehr hasste, dass er ihm psychischen sowie physischen Schmerz zufügen wollte – und es dann auch tat. Dann würde er es vielleicht begreifen... Allerdings war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dazu. Nun galt es, sich so schnell wie möglich an der Gruppe vorbei zu den Gleisen zu schleichen. Er machte sich also auf den Weg. So schwer konnte das ja nicht sein. Wie durch ein Wunder kam er auch wirklich unbehelligt an ihnen vorbei. Er ließ sich also erst einmal erleichtert an der Wand herabsinken. Der Regen fiel immer noch ununterbrochen vom Himmel, landete kalt und nass auf Lawrences Gesicht. Er hatte die Augen geschlossen, sodass er nicht merkte, wie Ray langsam auf ihn zukam. Erst als es schon zu spät war und Ray ihn am Kragen hochriss, öffnete er die Augen. Erschrocken schaute er eine halbe Sekunde in diese kalten Augen, die wie zu Eis erstarrt auf ihn herabblickten, bis er einen dumpfen, aber heftigen Schmerz durch seinen Körper schnellen fühlte, dessen Zentrum sein in seinem Bauch lag. Ray hatte ihn geschlagen...wieder. Der Schlag hatte ihn derart unvorbereitet getroffen, dass er im ersten Moment keine Luft mehr bekommen hatte. „Was...willst du?“, keuchte Lawrence, als er endlich wieder im Stande war, zu atmen. „Warum fragste so blöd? Du weist`s ganz genau, Satanisten-Schwuchtel!“ Einen Moment lang sah Ray ihn verärgert an, bis er weiter schrie: „Ich will Geld sehn!“ Lawrence wand sich unter dem immer noch eisernen Griff seines Gegners, während er beinahe schluchzte: „Ich...kann nicht! Ich kann es einfach nicht...ich versuche es doch, Ray...“ Weiter kam er nicht, denn die Luft zum Weitersprechen wurde ihm mit einem erneuten Schlag in den Bauch genommen. Danach folgte ein zweiter, dann ein dritter. Die Welt verschwamm vor seinen Augen zu einem formlosen Klumpen, sein Körper war taub vor Schmerz und er konnte nur gedämpft die wütenden Schreie Rays hören. Wie von Fern drangen sie in sein Ohr: „Elendiger Scheißer!“ „Ich mach dich fertig“ „Wenn de morgen kein Geld dabei hast, biste tot, das schwör ich dir!“ Schließlich wurde alles schwarz und still...er fühlte nichts mehr. Irgendetwas fiel auf sein Gesicht. Kalt, nass. Regen? Mühsam öffnete er die Augen. Vor sich sah er die Bahngleise. Ein Zug fuhr gerade davon...ein paar Menschen liefen noch umher, kümmerten sich nicht um ihn. Als wäre er nicht anwesend. Unter Schmerzen hob er den Kopf. „Es regnet ja wirklich...“ Was war passiert? Sein Körper fühlte sich an, als wäre er an tausend kleinen Ketten am Boden festgeschnallt. Er konnte sich kaum rühren. Wie ein Blitz traf ihn die Erinnerung. Erschrocken sah er sich um, aus Angst, Ray könnte noch immer hier sein und nur darauf warten, dass er aufwachte. Nach ein paar Schrecksekunden sackte er erleichtert wieder in sich zusammen. Er war allein. „Wie viel Uhr ist eigentlich...?“, dachte er und hielt sich den Kopf, denn die Schmerzen wurden nur schlimmer statt besser. Während er sich suchend nach einer Uhr umsah, stand er mühsam auf. Seine Beine wollten ihn erst gar nicht tragen, erlagen aber bald seinem Willen und er bewegte sich langsam auf die Uhr auf der anderen Seite des Gebäudes zu. Hier kam auch wieder seine Angst zurück. Suchend schielte er nach allen Seiten, immer darauf gefasst, Ray zu erblicken. Jedoch fand er ihn nicht. Also hob er den Kopf und schaute auf die Uhr. „16.48 Uhr...der nächste Zug kommt gleich...ein Glück.“, dachte er bei sich und lief wieder auf die Bahngleise zu. Kaum war er dort angekommen, fuhr auch schon der Zug ein. Eine Menschenmasse quoll aus den geöffneten Türen. Es sah beinahe so aus, als würde der Zug immer kleiner und die Menschen würden herausgepresst – was natürlich Unsinn war. Beim Einsteigen schauten ihn einige Leute seltsam an, jedoch bekam er das schon gar nicht mehr mit. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt. Allerdings erfüllte es ich jedes Mal mit einem guten Gefühl, wenn ihn die Leute anschauten, als würde er von einem anderen Stern kommen. Wenigstens wusste er dann, waum sie so schauten... Bevor er so aussah, wie jetzt, schaute man ihn manchmal auch seltsm an...und es machte ihn unsicher. Er wusste den Grund nicht, fühlte sich ausgestoßen. Heute war es auch - allerdings aus freien Stücken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)