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Sparking Angel

von

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Gedankenwelten

Kapitel 1: Gedankenwelten
 


 

Langsam stieg er die kurze Treppe zum Schulhof herab. Das Geräusch seiner Schritte auf dem nassen Beton verschwand im dichten Nebel. Ebenso wie der Busbahnhof hinter ihm und der graue Schulhof vor ihm. Der Nebel schien alles in sich aufzunehmen, restlos...bis auf ihn. Die schwarze Gestalt schien der Mittelpunkt der grauen Trostlosigkeit zu sein. Ein lachendes Kind durchbrach die Stille, wurde aber dennoch gedämpft. Es spürte nicht die traurige Stille um sich herum. Es wusste noch nicht um die schlechten Seiten dieser Welt. Es war noch so herrlich uner- fahren oder eben einfach normal. Lachte es vielleicht deshalb noch?

Er kannte die dunklen Seiten des Lebens, hatte er viele doch schon selbst erlebt. Jedoch hatte sich, seit dem ersten Tag auf dieser Schule, viel für ihn geändert. Er hatte endlich verstanden, dass er nicht so war wie die anderen. Und er hatte es aufgegeben, sich anpassen zu wollen. Hatte aufgehört zu lachen.
 

Gerade hatte er sich auf seinem Stuhl niedergelassen und begann nun langsam, seine Schulsachen auszupacken, als der Lehrer auch schon den Klassenraum betrat. Wie immer warf dieser ihm einen mitleidigen Blick zu, da er so alleine hinten an seiner Bank saß, doch das störte ihn schon lange nicht mehr. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt und deshalb schenke er dem Lehrer ein - wenn auch gefälschtes- Grinsen. Dem Lehrer schien dies zu genügen, denn er machte sich wieder auf den Weg zu seinem Pult. „So viel hat er gelernt, gibt es weiter und weiß doch nur so wenig...“

Schließlich begann der Unterricht, nachdem der Lehrkörper die Klasse zur Ruhe gebracht hatte. Auch Lawrence versuchte aufzupassen. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Leider gingen ihm viel zu viele Dinge im Kopf herum. Das erleichterte das Nachdenken über Mathematik nicht gerade. „Verflucht! Warum schaffen es die anderen, aufzupassen?!“, fragte er sich im Stillen und einen Augenblick später wurde ihm bewusst, dass er durch diesen Gedanken wieder einen wichtigen Satz des Lehrers nicht mitbekommen haben könnte. War er vielleicht einfach nur übermüdet? Hatte er gestern zu lange gearbeitet? Nein...das konnte nicht sein. Es war die Angst, die seinen Gedankenfluss nicht stoppen ließ. Ihm sogar praktisch das Fließen erleichterte, in dem es ein Tal baute, wo normalerweise Dämme hätten stehen sollen. Und es noch weiter regnen ließ...Tränen der Angst, die den Fluss noch stärker machten. Ein Sturm des Leidens.

„Mr. Hill, würden Sie für uns alles noch einmal zusammenfassen und erklären?“, fragte der Lehrer. Ein wenig Sarkasmus schwang in seiner Stimme mit – er hatte durchschaut, dass Lawrence in Gedanken war. Tja, er war eben ein Lehrer. „Ich denke, durch ihre ausführliche Erklärung dürfte es nun wohl jeder verstanden haben. Ich persönlich fände es logischer, mit dem Stoff fort zu fahren, denn bis zur Arbeit sind es nur noch zwei Tage.“, gab Lawrence zurück, in der Hoffnung, der Lehrkörper würde noch einmal Erbarmen haben und ihn nicht vor der Klasse bloßstellen. Zumal das mit der Arbeit wirklich stimmte – sie hingen hinterher und mussten bis zur Arbeit alles können. Das ganze nahm nur unnötig Zeit in Anspruch. „Mh...ich denke, da haben Sie Recht. Wir haben noch viel zu tun...also fahren wir fort...“ Glück gehabt. Allerdings würde das ganze wieder mal ein Gespräch auf dem Flur mit sich bringen. Doch das würde wahrscheinlich wie die anderen male auch nichts bringen. Ein Gespräch mit dem Lehrer brachte seine Gedanken auch nicht zur Ruhe. Leider. Wie gerne hätte er einfach nur einmal dem Lehrer zugehört, mitgedacht und einfach mal nichts anderes im Kopf gehabt. Nur Formeln und Mathematik...logisch und ohne Gefühle.
 

Nach einer weiteren Stunde in ungewollten Gedanken klingelte es endlich zur Pause. Lawrence wollte endlich aufhören zu denken...und das ging nur durch seinen MP3-Player. Er war schon dabei, sich einen Song auszusuchen, als er aus der Tür trat. Allerdings kam er nicht dazu, sich auch noch die Hörer in die Ohren zu stecken, denn wie erwartet stand vor der Tür der Lehrer.

„Mr. Hill...ich denke sie wissen ebenso gut wie ich, dass es so nicht weitergehen kann. Während der Stunde hängen Sie ihren Gedanken hinterher anstatt dem Unterricht zu lauschen.“ „Ich weiß, Mr. Owner...ich kann sie nicht stoppen. Ich weiß nicht, was ich tun könnte, damit es aufhört. Ich versuche es wirklich...“, gab Lawrence leicht verzweifelt zurück. Wie oft hatte er dieses Gespräch schon geführt, aber dieser Mensch wollte es anscheinend nicht verstehen. „Ich weiß nicht, welchen Gedanken Sie nachhängen. Seien es wichtige oder Unwichtige, Tatsache ist, dass Sie sich mehr auf den Unterricht konzentrieren müssen.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er schließlich fort: „Was beschäftigt Sie so? Ich glaube sagen zu dürfen, Sie schon sehr lange zu kennen...ich habe Sie kein einziges Mal herzhaft lachen sehen. Sie können mir auch nichts vormachen...Ihr Lächeln, dass Sie mir jeden Tag schenken, ist nicht echt.“ Wow! Er hatte es gemerkt? Lawrence dachte eigentlich, der Lehrer würde ihn für einen seltsamen Spinner halten, der den ganzen Tag in Gedanken vor sich hin grinste. Wie man sich doch täuschen konnte.

„Ich weiß nicht, warum ich soviel nachdenke...manchmal ist es wirklich unwichtig, aber ich merke erst später, dass ich gar nicht aufgepasst habe...dann versuche ich es, doch am Ende denke ich doch wieder über irgendetwas nach.“

„Ich kenne das...allerdings war es bei mir relativ selten und ich habe noch genug aufgepasst. Kann es sein, dass Sie Sorgen haben und niemanden, dem Sie sie erzählen könnten?“

Tatsächlich hatte Lawrence das...und niemanden, dem er sie erzählen WOLLTE – also auch keinem Lehrer. Nicht einmal einem, der seine Maskerade durchschaut hatte.

„Nein...Sorgen habe ich keine...außer meinen Noten. Ich bin nicht depressiv, wenn Sie das meinen.“, gab er schließlich zurück. Natürlich war es gelogen, aber er wollte wirklich nicht darüber reden – vor allem nicht hier und jetzt.

„Nun gut...wenn Sie meinen. Falls Sie aber doch einmal Probleme haben und mit jemandem darüber reden wollen, wissen Sie ja, wo Sie mich antreffen können.“, meinte er und verschwand mit einem Gruß im Lehrerzimmer.

Mit einem Blick auf die Uhr setzte Lawrence schließlich die Hörer in die Ohren und machte sich auf den Weg zum Ausgang.

Der Nebel von vorhin war immer noch da. Man konnte nicht bis ans Ende des Schulhofs blicken. Dort hinten sah man die Umrisse anderer Schüler nur noch schemenhaft. So wirkte der Schulhof beinahe gemütlich...nicht so voll gestopft.

Überwiegend aber trostlos und einsam. Die wenigen Bäume, die man momentan am Rand des Hofs sehen konnte, hatten all ihre Blätter verloren und trugen ihren Teil zur Szenerie bei. Zu einem eben dieser Bäume lenke Lawrence nun seine Schritte über den grau-schwarzen Asphalt. Das Geräusch verlor sich im Nebel, sodass man es nur gedämpft wahrnehmen konnte.

Unter dem Baum konnte er sich nun vollends auf die Musik in seinen Ohren konzentrieren. Sie ließ das Bild, das sich ihm bot, beinahe grotesk wirken.

Düstere Klänge bildeten die Kulisse des in den Nebel eingetauchten Schulhofs, der die lachenden Kinder beherbergte. Sie spielten, lachten und nur selten sah man ein Kind traurig oder verdrießlich dreinblicken. Selbst die älteren standen in ihren Cliquen und lachten über irgendwelche Dinge. Über die Klamotten des Lehrers oder das kleine Mädchen, das gerade sein Pausenbrot fallen gelassen hatte...beleidigt hob es dieses wieder auf und warf es in die nächste Mülltonne. Kurz darauf hatte es schon wieder ein weiteres in der Hand auf das es nun besonders aufpasste.

Es wirkte alles so surreal...

Ein Tropfen viel auf Lawrences Gesicht. Kurz darauf folgte ein zweiter. Er lenkte seinen Blick zum Himmel um ins Angesicht der grauen Wolken sehen zu können. Sie zogen weiter über die Schule hinweg wie eine dunkle Armee. Eine endlose Armee.

Immer mehr Tropfen fielen herab und scheuchten die Kinder unter das Vordach der Schule. So quetschten sich also alle darunter, nur Lawrence blieb unter seinem Baum. Er mochte den Regen. „Nur er bringt dich dazu, erhobenen Hauptes durch die Straßen zu gehen, wenn du weinst...“
 

Wieder im Klassensaal konnte er seinen Blick nicht vom Fenster wenden. Dort draußen fiel der Regen nun schon seit 10 Minuten und erschwerte die Sicht noch mehr. Das Wasser peitschte durch den Wind an die Fenster, wie die Gedanken in seinen Kopf. Für heute hatte er das Aufpassen aufgegeben. Er wusste ja noch nicht einmal, welches Fach sie gerade hatten! Dort vorne stand eine Lehrerin, die mit aller Kraft versuchte, die Klasse ruhig zu stellen, was durch ihre leise Stimme nicht gerade erleichtert wurde. Es beachtete sie schlicht und einfach niemand.

Man sah ihr die Erschöpfung an. Schweiß stand ihr auf der Stirn und ihr Blick verriet Hilflosigkeit. Ständig strich sie sich die schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht, wahrscheinlich eine Stressreaktion. Irgendwann war sie dann so fertig, dass sie sich auf den Lehrerstuhl fallen ließ. Sie ließ den Kopf in ihre Hände sinken, während die Klasse weiter ihren Dingen nachging und sie nicht beachtete. Lawrence war sich sicher, dass sie kurz davor war, loszuweinen.

Er stand auf und ging langsam nach vorne, wich dabei geschickt herumalbernden Klassenkameraden aus, bis er schließlich am Pult stand.

„RUHE!!“, schrie er in die Klasse hinein, so laut er nur konnte. Alle drehten sich verdutzt nach ihm um und gafften ihn an. „Seht ihr denn nicht, wie fertig sie ist?!“, fragte er wütend und zeigte auf die Lehrerin, die nun angefangen hatte, zu schluchzen. Ihre Schultern zuckten unkontrolliert auf und nieder während sie weiter ihr Gesicht in den Händen vergraben hielt.

„Könntet ihr euch vielleicht auch einmal annähernd wie normale 17-jährige verhalten? Man könnte meinen, wir sind im Kindergarten!“, sprach er nun etwas gedämpfter weiter.

„Versetzt euch einmal in ihre Lage!“, meinte er und zeigte wieder auf die Lehrerin. „Ich denke, dass es ihr größter Wunsch war, Lehrerin zu werden. Sie hat sich gefreut, unterrichten zu dürfen! Und wie behandelt ihr sie? Ihr hört ihr nicht zu, ignoriert sie! Verhaltet euch wie eine Horde Affen!“

Ein paar der Schüler senkten nun verlegen die Köpfe oder schauten schuldbewusst in eine andere Richtung.

„Schaut sie euch an! Sie sitzt hier – und weint! Wegen euch!!“, schrie er nun fast wieder und zeigte in einer ausholenden Bewegung über die ganze Klasse.

„Merkt ihr jetzt, wie falsch ihr euch verhalten habt? Wie unreif?“, fragte er, erwartete aber keine Antwort.

„Manchmal schäme ich mich, ein Teil dieser Klasse zu sein!“

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Lawrence sah sich um und erblickte die Lehrerin neben sich. Ihre Augen waren zwar verheult, aber sie lächelte tapfer.

„Danke...ich denke, ich kann jetzt auch alleine weiter machen. Bitte setz dich wieder.“, meinte sie und ihre Augen verrieten Lawrence große Dankbarkeit.

Er nickte nur und verschwand wieder in die letzte Reihe. Die Klasse war nun vollkommen ruhig. Die Lehrerin räusperte sich kurz, dann konnte sie endlich mit dem Stoff anfangen. Und Lawrence stellte zu seiner Freude fest, dass er noch gar nichts verpasst hatte.

Die ganze Stunde über passte er auf, dass sich das gleiche nicht noch einmal abspielte. Die anderen wussten, dass er sie beobachtete und so blieb alles ruhig. Noch eine Predigt wollte anscheinend keiner der Klasse. Und vielleicht hatten einige sogar verstanden was sie falsch gemacht hatten.
 

Nach der Stunde kam die Lehrerin zu Lawrence an den Tisch. Die Klasse tobte schon wieder herum und so merkte keiner, dass die beiden sich unterhielten.

Sie nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben ihn. Erst jetzt bemerkte Lawrence, wie lang ihre glatten, schwarzen Haare waren. Dann begann sie langsam: „Ich...wollte mich noch einmal bedanken. Ihr seid die erste Klasse, die ich auf dieser Schule unterrichte. Du hattest Recht – es war schon immer mein größter Traum gewesen, Lehrerin zu werden. Ich darf dich doch duzen, oder?“, fragte sie leicht verlegen. „Ähm...natürlich.“, gab Lawrence zurück und die Lehrerin fuhr fort: „Danke. Also...jedenfalls hatte ich mich sehr gefreut, dass ich auf dieser Schule endlich einen Platz bekommen habe. Alle sind sehr nett zu mir und ich dachte, dass die Schüler da wohl auch nicht die schlimmsten sein würden. Allerdings hat mich das ganze vorhin doch ziemlich mitgenommen, wie man wohl gesehen hat.“, meinte sie und man merkte, dass es ihr peinlich war, dass sie vor Hilflosigkeit geweint hatte. „Na ja...ich wollte mich eben einfach noch einmal für deine Hilfe bedanken. Wie heißt du eigentlich?“ „Lawrence Hill“, antwortete er. „Ich habe Ihnen gerne geholfen. Ich kann so etwas nicht mit ansehen. Es machte mich wütend und deshalb bin ich eingeschritten.“ „Vielen Dank noch einmal...ich bin übrigens Verena Ruddy. Ich denke nicht, dass das heute einer mitbekommen hat.“, meinte sie lachend.

„Nun...man sieht sich. Auf Wiedersehen, Lawrence“, sagte sie lächelnd und Lawrence erwiderte das Lächeln. Gleich darauf war sie aus dem Saal verschwunden.

Der Bahnhof

Kapitel 2: Der Bahnhof
 

Lawrence schlenderte die Straße in Richtung Bahnhof entlang. Die Schule war aus und es regnete immer noch. Er genoss es, wie die nassen Tropfen sich auf ihn herabfallen ließen und langsam sein Gesicht mit einem Wasserfilm bedeckten.

Das war auch eine gute Methode, um seine Gedanken ruhig zu stellen: Mit Musik in den Ohren den Regen fühlen, wie er kalt und nass auf das Gesicht fällt.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es noch ein Weilchen dauern würde, bis der Zug käme. Nach kurzem Überlegen lief er dann in Richtung des alten Friedhofs. Seinem Lieblingsplatz. Er liebte diesen Ort, vor allem im Winter, wenn der Schnee die Gräber sanft zu deckte oder im Sommer bei Gewitter.

Die alte Pforte quietschte wie immer erbärmlich. Und wie immer fragte er sich, wann das mal einer beheben wollte. Sie quietschte schon, seit er auf diese Schule ging, und das war immerhin schon eine Weile. Also würde sich daran in nächster Zeit auch nicht so viel ändern.

Er lief weiter über den Kieselweg, dessen Steine unter seinen Schuhen knirschten. Er hasste es, die friedliche Ruhe dadurch zu stören, aber an den Seiten waren Gräber und da wollte er dann auch wieder nicht drüber laufen. Also blieb ihm nichts weiter übrig, als weiter die Magie dieses Ortes zu stören, bis er sich schließlich auf dem Grabstein unter dem alten Baum niedergelassen hatte, wie er es immer tat.

Sein schwarzer Ledermantel legte sich dabei wie eine Decke um den Stein. Nass wer er nicht, stand er doch mehr oder weniger im Schutz der alten Tanne.
 

Nun schaute er dem Regen zu, wie er unermüdlich aufs Land fiel. Er unterstrich die Atmosphäre der Endgültigkeit, die diesem Ort beiwohnte. Was andere als unangenehm oder gar angsteinflößend empfanden, machte Lawrence in seltsamer Weise stärker. Die Anwesenheit des Todes ließ einen erst die eigene Macht spüren.

Das hier war sein Ort der Kraft, seine tägliche Tankstelle, ohne die er sich irgendwie schwach und verletzlich fühlte. Sie schärfte seine Sinne jeden Tag aufs Neue.

Seine Großmutter hatte früher einmal zu ihm gesagt: „Friedhöfe geben die einstige Kraft der Toten an die weiter, die ihn besuchen.“ Damals hatte er das für einen dummen Spruch gehalten, doch heute wusste er, dass es stimmte. Vielleicht hatte seine Großmutter ja auch gerne mal auf einem Grabstein gesessen und einfach nur dem Regen zugeschaut.

Dieser prasselte immer noch ununterbrochen auf die Gräber nieder, als wolle er sie auswaschen. Die Kraft der Verstorbenen für Lawrence aus der Erde holen.

Allmählich hatte er lange genug hier gesessen. Er musste noch seinen Zug erwischen.

Also sprang er elegant von seinem Stein, drehte sich noch einmal zur großen Tanne um und verschwand dann wieder durch das quietschende Tor nach draußen. Dort schaute er erst einmal auf die Uhr. Sonderlich beeilen musste er sich nicht. Also nahm er einen kleinen Umweg durch den angrenzenden Park.

Der Park war menschenleer. Wo sich an Sonnentagen viele Leute tummelten, lagen heute nur braune Blätter herum. Die dunklen Wolken spiegelten sich in den zitternden Pfützen und ließen alles grau und trist wirken. Der Regen gab natürlich auch noch seinen Teil dazu. Lawrence gefiel es. So konnte er ganz allein durch den einsamen Park gehen und sich seinen Gedanken widmen. Halt, Moment! Wollte er nicht genau das verhindern? „Mist...“, dachte er sich, beließ es aber dabei. Es gefiel ihm hier zu gut, als dass er wegen ein paar Gedanken umdrehen wollte.

Er schlenderte weiter durch den Park bis zu dessen Ausgang an einer Straße. Er musste zuerst eine Weile stehen bleiben, damit er nicht von vorbeifahrenden Autos nass gespritzt wurde.
 

„Beinahe, als würde man eine andere Welt betreten...“, dachte er bei sich, als er vom Bürgersteig aus auf die fahrenden Autos schaute. Ein wenig traurig blickte er noch einmal zum Park zurück...seine kleine Idylle schien ihn fast ebenso traurig anzuschauen. Sie wollte wohl, dass er als einziger bei ihr blieb...wie gerne hätte er das getan! Beim Weitergehen beschlich ihn langsam ein schlechtes Gewissen. Er wurde schon oft genug allein gelassen...warum ließ er denn jetzt den Park allein? Schlagartig schoss ihm die Antwort durch den Kopf: Er suchte einen Grund, um nicht weitergehen zu müssen. Das war es – er hatte Angst!

Lawrence musste grinsen. „Ein schlechtes Gewissen wegen einem Park...“ Allerdings konnte sich dieses Grinsen nicht lange auf seinem Gesicht halten. Schon an der nächsten Kreuzung war es vollends verschwunden. Der Kreuzung in Richtung Bahnhof.

Er wusste nur zu gut, was ihn dort erwartete. Gewalt, Schmerz...unbegründeter Hass. Lawrence verstand nicht, wie Menschen so etwas tun konnten. Er selbst war zwar kein Kind von Fröhlichkeit jedoch glaubte er an etwas: an die Liebe. Er hatte sie zwar noch nie erfahren, jedoch konnte er sich nur zu gut vorstellen, wie es sein musste, geliebt zu werden und lieben zu können. Jedoch würde er vielleicht nie dazu kommen. Einen Partner zu finden war für ihn schließlich alles andere als leicht.

„Liebe ist eines der wahrscheinlich schönsten Gefühle der Welt...warum gibt es dann noch den Hass? Wozu ist er gut?“, fragte er sich nun und runzelte nachdenklich die Stirn.

Als er am Bahnhof ankam hatte er zwar keine Antwort auf die Frage gefunden, jedoch hatte er die Zeit sinnvoller genutzt als sie mit Angst zu verschwenden. Vielleicht würde er die Frage irgendwann beantworten können...wenn er selbst einmal jemanden so sehr hasste, dass er ihm psychischen sowie physischen Schmerz zufügen wollte – und es dann auch tat. Dann würde er es vielleicht begreifen...

Allerdings war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dazu. Nun galt es, sich so schnell wie möglich an der Gruppe vorbei zu den Gleisen zu schleichen. Er machte sich also auf den Weg. So schwer konnte das ja nicht sein.

Wie durch ein Wunder kam er auch wirklich unbehelligt an ihnen vorbei. Er ließ sich also erst einmal erleichtert an der Wand herabsinken.

Der Regen fiel immer noch ununterbrochen vom Himmel, landete kalt und nass auf Lawrences Gesicht. Er hatte die Augen geschlossen, sodass er nicht merkte, wie Ray langsam auf ihn zukam. Erst als es schon zu spät war und Ray ihn am Kragen hochriss, öffnete er die Augen.

Erschrocken schaute er eine halbe Sekunde in diese kalten Augen, die wie zu Eis erstarrt auf ihn herabblickten, bis er einen dumpfen, aber heftigen Schmerz durch seinen Körper schnellen fühlte, dessen Zentrum sein in seinem Bauch lag. Ray hatte ihn geschlagen...wieder.
 

Der Schlag hatte ihn derart unvorbereitet getroffen, dass er im ersten Moment keine Luft mehr bekommen hatte.

„Was...willst du?“, keuchte Lawrence, als er endlich wieder im Stande war, zu atmen.

„Warum fragste so blöd? Du weist`s ganz genau, Satanisten-Schwuchtel!“ Einen Moment lang sah Ray ihn verärgert an, bis er weiter schrie: „Ich will Geld sehn!“

Lawrence wand sich unter dem immer noch eisernen Griff seines Gegners, während er beinahe schluchzte: „Ich...kann nicht! Ich kann es einfach nicht...ich versuche es doch, Ray...“ Weiter kam er nicht, denn die Luft zum Weitersprechen wurde ihm mit einem erneuten Schlag in den Bauch genommen.

Danach folgte ein zweiter, dann ein dritter. Die Welt verschwamm vor seinen Augen zu einem formlosen Klumpen, sein Körper war taub vor Schmerz und er konnte nur gedämpft die wütenden Schreie Rays hören. Wie von Fern drangen sie in sein Ohr: „Elendiger Scheißer!“ „Ich mach dich fertig“ „Wenn de morgen kein Geld dabei hast, biste tot, das schwör ich dir!“ Schließlich wurde alles schwarz und still...er fühlte nichts mehr.
 

Irgendetwas fiel auf sein Gesicht. Kalt, nass. Regen? Mühsam öffnete er die Augen. Vor sich sah er die Bahngleise. Ein Zug fuhr gerade davon...ein paar Menschen liefen noch umher, kümmerten sich nicht um ihn. Als wäre er nicht anwesend.

Unter Schmerzen hob er den Kopf. „Es regnet ja wirklich...“ Was war passiert?

Sein Körper fühlte sich an, als wäre er an tausend kleinen Ketten am Boden festgeschnallt. Er konnte sich kaum rühren.

Wie ein Blitz traf ihn die Erinnerung. Erschrocken sah er sich um, aus Angst, Ray könnte noch immer hier sein und nur darauf warten, dass er aufwachte. Nach ein paar Schrecksekunden sackte er erleichtert wieder in sich zusammen. Er war allein.

„Wie viel Uhr ist eigentlich...?“, dachte er und hielt sich den Kopf, denn die Schmerzen wurden nur schlimmer statt besser. Während er sich suchend nach einer Uhr umsah, stand er mühsam auf. Seine Beine wollten ihn erst gar nicht tragen, erlagen aber bald seinem Willen und er bewegte sich langsam auf die Uhr auf der anderen Seite des Gebäudes zu.

Hier kam auch wieder seine Angst zurück. Suchend schielte er nach allen Seiten, immer darauf gefasst, Ray zu erblicken. Jedoch fand er ihn nicht. Also hob er den Kopf und schaute auf die Uhr. „16.48 Uhr...der nächste Zug kommt gleich...ein Glück.“, dachte er bei sich und lief wieder auf die Bahngleise zu.

Kaum war er dort angekommen, fuhr auch schon der Zug ein. Eine Menschenmasse quoll aus den geöffneten Türen. Es sah beinahe so aus, als würde der Zug immer kleiner und die Menschen würden herausgepresst – was natürlich Unsinn war.
 

Beim Einsteigen schauten ihn einige Leute seltsam an, jedoch bekam er das schon gar nicht mehr mit. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt. Allerdings erfüllte es ich jedes Mal mit einem guten Gefühl, wenn ihn die Leute anschauten, als würde er von einem anderen Stern kommen.

Wenigstens wusste er dann, waum sie so schauten...

Bevor er so aussah, wie jetzt, schaute man ihn manchmal auch seltsm an...und es machte ihn unsicher. Er wusste den Grund nicht, fühlte sich ausgestoßen.

Heute war es auch - allerdings aus freien Stücken.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Leiser_Tod
2007-10-03T18:42:40+00:00 03.10.2007 20:42
Ah. Ich gebs zu, lange hats gedauert. Aber ich war noch nie von der schnellen Sorte, was sowas angeht...

Hmm..eigentlich wollte ich nur wissen, wasdu für einen Mist verzapft hast, dass keiner dir einen rev schreiben mag. Zu meiner Überraschung war es gar kein Mist...eine sehr anständige Geschichte sogar. (Ich sage nicht 'gut' oder 'schlecht', zwei Kapitel geben keinen Stoff für eine
eingehende Beurteilung...)

Schöne Bilder verwendest du, das mag ich sehr. Die Nebel-Motivik ist mir in der Breite der Beschreibung noch nie untergekommen...überhaupt finde ich deine (ich nenne es mal) Landschaftsbeschreibungen sehr schön.
'Die dunklen Wolken spiegelten sich in den zitternden Pfützen und ließen alles grau und trist wirken.' Ein wunderschönes Bild. ^^
Auch Wirkung des Regens - vor allem auf den Protagonisten...'Er mochte den Regen. „Nur er bringt dich dazu, erhobenen Hauptes durch die Straßen zu gehen, wenn du weinst...“' (deine Erfindung? ;)
Nur, übertreiben musst du damit nicht. (Ich will nicht unbedingt auf Einzelheiten herumreiten - sonst nimmt es gar kein Ende hier. :)

Und unser lieber Hauptchara...der mit dem schwarzen Mantel. Cool. Nur, wie sieht der Gute denn überhaupt aus? ;D Wenigstens ein paar äußerliche Beschreibungen wären nett, meiner Meinung nach.
Den Vorfall mit der Lehrerin fand ich, ehrlich gesagt, etwas unrealistisch. Ich meine, er gilt doch in der Klasse als Außenseiter, da
wagt man anzuzweifeln, dass sie auf ihn hören würden...Aber gut. (Aber ich habe einen Schreck gekriegt, als die Lehrerin sich bei ihm bedankt hatte - dachte schon, das wird jetzt eine LehrerIN-Schüler-Beziehung...;D)
Seine Gedankenwelt hast du übrigens auch sehr schön dargestellt. Seine nicht vorhandene Konzentration, seine unbewusste Verdrängung von Problemen...

Hmm, also viel mehr kann ich nicht wirklich hinzufügen. Ein sehr schöner Anfang und ich hoffe sehr, dass du dich nicht entmutigen lässt und weiterschreibst. ^^
na denn.


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