Dark Age of Camelot von Lanefenu (Llienne's Life) ================================================================================ Kapitel 10: Der Aufstand ------------------------ Auszug aus einem bösen Spottlied auf die Albioner: "Kommt, ihr Leute, kommt gelaufen Kommt zu mir in Scharen Denn nur für euch, da hab ich hier Geschichten ganz besonderer Plagen: Ratet mal, wer lieber flieht Wenn´s Verhältnis hundert zu vierzehn steht Ganz recht, da hab ich auch gelacht: Die Albioner in der Schlacht. Was glaubt ihr wohl, wer einsam bleibt Weil alle Freunde geh´n im Streit Da habt ihr Recht, ihr wisst es schon: Eine albionische Diskussion..." "Bist du es wirklich?" fragte ich fassungslos und merkte kaum, wie sich Mikata rasch meinem plötzlich schlaff gewordenem Griff entwand. Der Mann schlug die Kapuze zurück, schüttelte sein rotbraunes Haar und nickte. "Ja doch," sagte er, "und es freut mich auch, dich wiederzusehen, Schwesterchen." Es war tatsächlich mein Bruder Storvag. Ich starrte ihn an, unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren. "Aber du..." sagte ich schwach, "wieso in Bragis Namen bist du..." er grinste leicht. "Wieso ich hier bin? das ist eine berechtigte Frage. Ich werde dir alles erklären. Aber hier ist ein ungünstiger Ort." Ich starrte ihn weiterhin unverwandt an. "Storvag," sagte ich langsam, "warum hast du Athriliath getötet? warum?" meine Stimme wurde gefährlich laut. "Was tust du hier?! steckst du mit ihr unter einer Decke? bist du etwa..." ich brach stockend ab. Storvag grinste weiterhin, keine Bösartigkeit sprach aus seinem Gesicht, nur Spott und Belustigung. "Du kannst mich den Herrn von Murdaigean nennen, Schwesterherz. Ich glaube, das trifft es am besten. Ich bin zwar nicht oft mit Mikata einer Meinung, aber in diesem Falle muss ich ihr zustimmen: du warst sehr, sehr dumm. Llienne, meine kleine, süße Schwester...unbelehrbar, eben doch noch eine Kindfrau." Ich taumelte zurück, als hätte er mich geohrfeigt. Fast behutsam legte er einen Arm um meine Taille, zog mich zu sich heran und holte einen winzigen Zierdolch aus seinem Mantel. Ich wehrte mich nicht, mein Schock saß für den Moment zu tief. "Wirst du mich töten?" fragte ich leise. Er schmunzelte und küsste mich auf die Nasenspitze. "Was denkst du von mir, du bist doch meine Schwester. Ich weiß, man hat dir in letzter Zeit oft gegen deinen Willen das Bewusstsein gestohlen, und ich fürchte, nun werde ich auch damit anfangen müssen." Ich sah ihn aus halbgeschlossenen Augen an und machte immer noch keine Anstalten, mich zu wehren. "Warum, Storvag? sag mir das, nur das. Warum?" vorsichtig steckte er sich den Dolch zwischen die Zähne, griff nach meiner Hand und drehte sie um, dass die Fläche nach außen zeigte. "Später, Llienne, später." Mit einem entschuldigenden Lächeln nahm er den Dolch aus dem Mund und fügte mir einen raschen, winzigen Schnitt zu. Es tat nicht weh, trotzdem riss ich die Finger reflexartig zurück. Immer noch entsetzt und mit einem schwer zu beschreibenden Gefühl totaler Enttäuschung erwiderte ich seinen Blick, ehe eine schwere Müdigkeit meine Beine hinaufkroch und sich in meinem ganzen Körper ausbreitete. Es war nach wie vor völlig schmerzfrei und im Gegenteil ein beinahe angenehmes Gefühl: Mein Körper schien meinem Geiste einfach davonzudriften, eine wohlige Wärme ergriff mich und die Welt zog sich in einen sanften Schleier zurück. Ich schlief. Etwas klapperte leise, als die Welt sich ein paar Stunden später dafür entschied, den Schleier wieder abzulegen. Oder war ich es, die einfach nur langsam erwachte? ich erinnerte mich an kaum etwas und zu meiner leisen Überraschung stellte ich fest, dass mir absolut nichts mehr weh tat. Mein Kopf fühlte sich frei und leicht an, die Beine vielleicht noch ein wenig zu weich, aber ansonsten ging es mir ausgezeichnet. Und noch etwas fiel mir auf: Meine völlig verdreckte Rüstung -oder das, was zuletzt davon übrig geblieben war- war verschwunden und mit einem bodenlangen Seidengewand vertauscht worden. Einen Moment befühlte ich den fliederfarbenen Stoff neugierig zwischen Daumen und Zeigefinger. Ich hatte sehr selten Stoffkleidung getragen und wenn, dann nur grobe Baumwolle oder Mutters abgetragene Leinenhemden, die ich ob meiner geringen Körpergröße als kurze Kleider hatte nutzen können. Dieses Gewand war an den Hüften und Ärmeln geschlitzt und besaß auf der Brust eine feine, dunkelblaue Stickerei. Auch meine unzähligen winzgen Verletzungen waren nicht nur versorgt, sondern nahezu verschwunden, hier musste ein wahrer Meisterheiler am Werk gewesen sein. Ich fühlte mich, wie ich mir eingestehen musste, wie neu geboren. Doch wo war ich? wieder ertönte ein leises Klappern und ich setzte mich behutsam auf. Nun...ein Zimmer für mich allein und ein geräumiges Bett wären dann wohl des Guten zuviel gewesen, und somit passte ich in meiner feinen Kleidung nicht so ganz in die Kerkerzelle, in welche man mich gesperrt hatte. Der Raum war allerdings auf den zweiten Blick sehr viel komfortabler, als ich zunächst gedacht hatte: Es gab fünf schmale Schlafgelegenheiten in Form von zwei Doppelbetten an beiden Wänden und dem fünften quer dazwischen, ein großes Fenster -vor dem natürlich Gitter hingen- ein winziger Kamin, vor welchem ein paar Felle lagen sowie ein oder zwei schlichte Wandteppiche. Ganz rechts in der Ecke gab es eine kleine, eiserne Tür, die vermutlich den Gang zu einem Abort öffnete. Ja, insgesamt war das kein Vergleich mit den Verliesen, von denen man sonst hörte und in denen die Gefangenen an die Wand gekettet in fauligem Stroh und ihren eigenen Ausscheidungen schlafen mussten. Ich selbst hatte, wie ich feststellte, auf dem fünften Bett geschlafen. Und obwohl die Matratze und Steppdecke relativ dünn waren, hatte ich nicht wenig Lust, mich auf die Seite zu drehen und die Augen erneut zu schließen. Obwohl ich mich eigentlich sehr gut fühlte, fehlten mir in der letzten Zeit bestimmt hundert Stunden Schlaf und allein die Hälfte davon, um meinem für all die Strapazen viel zu jungen Körper ein Geschenk zu machen. Doch jetzt galt es erst einmal, herauszufinden wo ich war. Wieder klapperte es und ich sah mich um, um den Verursacher des Geräusches ausfindig machen zu können. Er trat in Form eines Kobolds auf, der mit einem unförmigen, schwarzen Kleiderhaufen am Kamin saß und Suppe aus einer Schale schlürfte. Ich setzte mich gänzlich auf und hätte mich dem Kobold am liebsten an den Hals geworfen- nach all den Monaten endlich wieder ein Midgarder unter den ganzen Hibernianern! ich beugte mich über das Bett und räusperte mich leise. Der Kobold bemerkte es nicht, sondern schlürfe ungerührt weiter. "Ähm...Entschuldigung," sagte ich höflich. Der Kobold schrak zusammen und sah sich um. "Wer, wo, was? ach, die Neue. Na, wie gehts, ausgeschlafen?" ich zog die Beine an den Körper und schlang die dünne Decke um die Schultern. Trotz des Feuers war mir plötzlich irgendwie kalt. "Mhm," machte ich und nickte fröstelnd. Der Kobold klopfte einladend auf ein Schafsfell neben sich. "Magst mir nicht ´n bisschen Gesellschaft leisten? deine Suppe haben sie leider schon wieder mitgenommen, hast ja auch gepennt wie ´ne Leiche, aber ich geb dir was ab, wenn du willst." Ich schmunzelte, irgendwie war mir der andere auf Anhieb sympathisch, und das nicht nur, weil er ein Midgarder war. "Gern," nickte ich und ruschte vom Bett. Tatsächlich fühlten sich meine Beine an wie Pudding, und ich griff hastig nach der Bettkante, um nicht einfach zusammenzusacken. "Hey, hey, alles in Ordnung?" fragte der Kobold erschrocken, sprang auf und legte seinen Arm um meine Schultern. Dass er sich dafür auf die Zehenspitzen stellen musste, sah ungemein komisch aus und ich kicherte leise. Der Kobold blinzelte verstört und ich winkte ab, noch immer glucksend. "Ja...ja, ja, alles in Ordnung, es liegt wohl nur noch an den Nachwirkungen des..." und plötzlich verloren sich meine Worte in einem hilflosen Schluchzer. Sämtliche Erinnerungen der vergangenen Stunden waren schlagartig zurückgekehrt, und ich fühlte mich elend. Athriliath war von meinem eigenen Bruder umgebracht worden, ich war seine Gefangene und gackerte in seinem Kerker wie ein kleines Kind. Unfassbar. "Schon gut," sagte ich, noch immer weinend, "es ist nicht Eure Schuld..." in den anderen Betten bewegte es sich und ich erkannte erschrocken, dass der Kobold und ich nicht allein waren. Und bei wem es sich um die Mitgefangenen auch handeln mochte, ich hatte ihre Ruhe gestört- sowas konnte einem im Gefängnis schlecht bekommen. Der Kobold bemerkte meinen Gesichtsausdruck und winkte beschwichtigend ab. "Die sind alle ganz in Ordnung, auch wenns Albs und ´n Hibbi sind. Mach dir keinen Kopf drum, Wuff hat die auch schon oft genug geweckt und ich hab keinen Ärger bekommen." Ich blinzelte irritiert. Wuff? ein ziemlich komischer Name für einen Kobold. Der andere schien den Gedanken förmlich aus meinem Gesicht zu lesen, denn er grinste noch breiter. "Nein, nein, mein Name ist Nipitas. Das hier ist Wuff," er deutete auf seinen Kleiderhaufen. Ich starrte ihn an. Doch urplötzlich begann das Knäul, sich zu bewegen und ich riss verblüfft die Augen auf: Was ich erst für einen Berg verfilzter Fellkleider gehalten hatte, entpuppte sich jetzt als der wohl hässlichste Köter aller Zeiten. Das Viech schien mehr Wolf als alles andere in sich zu haben, doch fehlte ihm jegliche Schönheit oder Anmut dieser wilden Tiere. Es hatte ein pechschwarzes, zotteliges Fell, krumme X-Beine und einen viel zu buschigen Schwanz. Die rosafarbene Zunge hing ihm aus dem Maul und es hechelte unentwegt. "Öhem," machte ich endlich, was mir in dem Moment doch noch als relativ einfallsreich erschien. Der Kobold war also ein Jäger und Wuff war sein Gefährte und Beschützer. Nipitas grinste stolz, strich sich über seinen spärlichen, dunkelbraunen Bart und streichelte Wuff. Dieser stieß einen einzigen Heulton aus und schnappte nach Nipitas' Hand. "Meine Güte, kannst du das Vieh nicht endlich ruhig stellen?" brummte plötzlich ein Frauenstimme. Ich wandte den Kopf und blickte zu meiner Überraschung in das verstimmte Gesicht einer Inconnu, die im rechten Hochbett geschlafen hatte. Außer Brakalu hatte ich noch nie einen Inconnu gesehen und war mir sicher, dass sie sich irgendwie alle ähnlich sein müssten -ein Fehler, den am Anfang jeder macht, wie ich später erfuhr- doch dem war ganz und gar nicht so. Die Augen der Inconnu waren genauso schwarz wie die von Brakalu, aber ihr Haar sehr viel kürzer, dunkelbraun und mit kunstvoll an den Kopf angeflochtenen Zöpfen durchzogen. Insgesamt wirkte ihre Gestalt ein wenig zarter, das Gesicht offener und feiner und jetzt huschte ob meines offensichtlichen Staunens sogar ein flüchtiges Lächeln über ihre Lippen. "Ist was?" fragte sie, doch es klang weder aggressiv noch herausfordernd. Ich schüttelte mit einiger Verspätung den Kopf. "Ihr habt mich nur gerade an jemanden erinnert," sagte ich und konnte ein tiefes Seufzen nicht unterdrücken. "Einen Freund von mir, der Eurem Volk angehört." Die Inconnu runzelte überrascht die Stirn. "Eine Midgarderin schließt Freundschaft mit einem Albioner? höchst merkwürdig." Ich stellte beiläufig fest, dass die Inconnu nicht nur sehr viel redseliger als Brakalu war, sondern auch die Gemeinsprache um einiges besser beherrschte, man hörte beinahe überhaupt keinen Akzent hindurchsickern. Sollte ich den Kleinen wiedersehen, werde ich ihm von ihr erzählen, dachte ich resigniert. Ehe ich antworten konnte, regte es sich in dem Bett unter der Inconnu und ein dunkelhaariger, noch recht junger Mann schälte sich aus seinen Decken. "Der Krieg schafft die seltsamsten Freunde, Jerali. Das weißt du doch auch gut genug. Und wir bilden hier ja schließlich auch keine Ausnahme, was, Nipitas?" er winkte dem Kobold zu, der den Gruß mit einem breiten Grinsen erwiderte. Meine verwirrung wuchs mit jeder Minute. Der Mann schwang die Beine aus dem Bett, stand auf und streckte sich ausgibig. Er hatte dichtes, schwarzes Haar und einen sorgsam gestutzen Bart, der ihn noch ein paar Jahre älter machte, als er wahrscheinlich war. Das Lächeln, das er mir schenkte, war durch und durch freundlich. "Aber ich finde, wir sollten uns alle einmal vorstellen. Mein Name ist Gindar, Ordensbruder im Reiche Albion und seit neuestem irgendwie Feind von niemandem mehr," er warf der Inconnu einen kurzen Blick zu und beide mussten schmunzeln. Die Inconnu sprang behende aus dem Bett, setzte sich unaufgefordert neben mich und wärmte ihre Hände am Feuer. "Tja, mein Name ist Jerali, Nekromantin von Albion und auf der glücklosen Suche nach meinem Mündel." Ihre Züge verhärteten sich. Ich legte kurz die Hand aufs Herz und senkte den Kopf. "Mein Name ist Llienne." Gindar setzte sich ebenfalls, und wir mussten ein wenig zusammenrücken. "Tja, und welche Geschichte hast zu du erzählen?" fragte er und fiel sich gleich danach selbst ins Wort: "Und wieso zum Henker haben die Pfeifen unsere Suppe wieder mitgenommen, ich komme bald um vor Hunger!" Nipitas grinste und schlürfte nachdrücklich. Gindar hob die Braue, murmelte etwas, das nach 'Gehässiger Schlumpf' klang, und wandte sich mir wieder zu. "Entschuldige." Ich winkte knapp ab. "Meine Geschichte ist eh unrühmlich," sagte ich lustlos. Gindar sah mich neugierig an, drängte mich aber nicht. Jerali rieb nachdrücklich die Finger über dem Feuer. "Ich glaube, da bist du nichts Besonderes," unkte sie. "Gindar und ich haben uns auch gründlich in die Nesseln gesetzt. Wir sind hergekommen, um unseren Freund zu suchen. Der Kleine ist gleichzeitig mein Mündel und ich hab ihm eigentlich noch nicht erlaubt, alleine in den Kampf zu ziehen." Ihre Fingerknöchel knackten leise, als sie die Fäuste ballte. Ich zog die Decke ein wenig höher. Mehr aus Höflichkeit fragte ich: "Wer ist denn dieses Mündel?" sie seufzte tief. "Wenn sie ihn getötet haben, werde ich diese Festung in Schutt und Asche legen, das schwöre ich. Sein Name ist Brakalu." Ich fuhr leicht zusammen und starrte sie an. "Oh," sagte ich langsam, "ich glaube...dann dürfte euch meine Geschichte vielleicht doch interessieren." Es fiel mir nicht sonderlich schwer, einen geeigneten Anfang zu finden. Ich berichtete, wie ich mit einer Freundin nach Dun Abermenai aufgebrochen war, wie Brakalu uns angegriffen hatte, von seiner Überwältigung und der anschließenden Gefangennahme durch hibernianische Bogenschützen. Ich erzählte auch von dem unglaublichen Angebot, das uns der alte Lurikeen gemacht hatte und wie ich schließlich dazu gekommen war, es doch anzunehmen. Über Zaphykel, Mikata, die Flucht durch die Nacht, den abscheulichen Murgar und letztlich der Kampf in der Teleportfestung, wo man uns getrennt hatte. Jerali ballte, während ich leise sprach, die Fäuste und hatte mich auch ein- oder zweimal aufgebracht unterbrochen -"Dieses Viech wollte ihn fressen?!"- und als ich endlich schwieg, war sie gar aufgestanden und betrachtete mich mit mühsam unterdrücktem Zorn. "Dann seid ihr beide, du und diese Valkyn, schuld daran, dass er jetzt vielleicht tot ist!" zischte sie und ihre schwarzen Augen glitzerten gefährlich. Gindar drückte ihren Arm herunter und schüttelte mahnend den Kopf. "Gemach, Jera. Wie hättest du gehandelt? unsere Reiche sind nach wie vor verfeindet, was hätten sie tun sollen? außerdem hat Braka die beiden angegriffen und nicht umgekehrt." Sie schnaubte, entspannte aber die Faust wieder. "Pah!" ich senkte tief den Kopf. "Ich wünschte, ich wäre nie nach Aegirham gegangen," sagte ich leise. "Dann wäre das alles nicht passiert." Gindar betrachtete mich mit schwer deutbarem Blick, doch Jerali schnaubte abermals. "Jammer nicht, es ist aber passiert. Alles. Und ich gedenke nicht, hier noch einen Tag länger zu schmoren." Wütend sprang sie auf und stieß dabei Nipitas an, der seine Suppe verschüttete und diese versehentlich auf Wuff spritzte. Der Wolfshund jaulte erneut und schnappte nach Nipitas' Bein. "Hey, hey, hey, mal vorsichtig hier!" quietschte der Kobold erschrocken und zog rasch das Bein zurück. Jerali drehte sich einmal um die eigene Achse und seufzte voller Inbrunst. "In welchem Sauhaufen bin ich hier nur gelandet." Gindar erwiderte meinen leicht hilflosen Blick gelassen und hob die Schultern. "Sie ist verständlicherweise ein bisschen gereizt. Brakalu ist fast wie ihr eigenes Kind und außerdem kann sie so enge Räume schlecht vertragen." Die Inconnu warf ihm einen drohenden Blick zu. "Pass lieber auf, mein Freund, sonst zeig ich dir, was du schlecht vertragen kannst." Gindar verdrehte die Augen, lächelte aber leicht und ließ sich ergeben zurücksinken. Im selben Moment regte es sich auch im letzten Bett, und ein junger, reichlich abgemagerter Elf schälte sich aus den dünnen Laken. Mit großen, dunklen Augen musterte er unsere Gesichter. Schließlich deutete er mit dem Kopf auf mich. "Wer ist das?" der Klang seiner Stimme ließ mich schaudern. Müde, abgekämpft und zugleich schrill, beinahe ängstlich. Um nicht zu sagen wahnsinnig. Gindar und Jerali wechselten einen kurzen Blick, und nur Nipitas schien als Einziger völlig unerschüttert zu sein. Ungnädig leckte er sich die suppenfeuchten Finger ab und schaute auf die Lache, die sich auf dem Fußboden ausgebreitet hatte. "Das ´s Llienne," teilte er großzügig mit. Der Elf starrte ihn verständnislos an, und Nipitas zuckte die Schultern, die verschüttete Suppe beschäftigte ihn mehr als seine neue Zellengenossin. Gindar verschränkte die Arme vor der angezogenen Knien. "Auf dass ihr euch auch kennen lernt...Llienne, das ist Feeyas, seines Zeichens Waldläufer. Feeyas, das ist die Schlachtensängerin Llienne." Ich wusste nicht so recht, was ich darauf erwidern sollte und nickte nur sparsam. Feeyas hingegen grinste breit und ein wenig kindlich. "Fein. Dann wird es hier vielleicht ein wenig lauter. Ich mag die Stille nicht, musst du wissen. Sie macht einem immer so unfreundlich klar, dass man allein ist und nicht wieder fort kann. Irgendwann fängt sie sogar an, dich zu verspotten. Das ist...ganz entsetzlich..." seine Stimme verlor sich, und ich warf Gindar einen erschrockenen Blick zu. Der Ordensbruder legte dem plötzlich heftig zitternden Hibernianer beruhigend die Hand auf die Schulter. "Ist ja gut, Feeyas," sagte er leise. "Wir wollen uns bemühen, dass es nicht leise wird. In Ordnung?" der Elf starrte ihn angstvoll an und konnte nur nicken. Meine Güte, dachte ich bestürzt. Was ein paar dunkle Wände und Gitter aus einem Mann machen können. "Wie lange seid Ihr schon hier?" fragte ich ungeschickt, darum bemüht, das seltsame Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Der Elf warf das dunkelgrün schimmernde Haar zurück und stieß einen tiefen Seufzer aus. "Exakt seit dem Tag, an dem die Herrin Brigit entführt wurde. Weh, weh! das ist Hibernias Strafe. Ein falscher König auf dem Thron hat Dana erzürnt und nun müssen wir dafür bezahlen. Ich kann seit vier Jahren den Wind und die Wälder nicht mehr spüren...ich will hier raus!" er hämmerte mit den Fäusten auf die Matratze ein. Jerali warf Gindar einen flehenden Blick zu, und dieser griff abermals und mit mehr Nachdruck nach den Schultern des leise wimmernden Elfen. "Feeyas, reiß dich zusammen," sagte er ruhig. "Wir wollen alle heim, aber es nützt uns gar nichts, wenn wir darüber den Kopf verlieren." "Wir kommen nicht heim. Vorher wird er uns töten. Er wird uns töten!" "Das wird er nicht." Ich neigte den Kopf und wandte mich flüsternd an Jerali. "Wovon, zum Teufel, spricht er?" die Nekromantin erwiderte ebenso leise: "Er meint den Führer der Rebellen. Den sogenannten Herrn Der Blutigen Drei." Ich zog die Augenbraue in die Höhe. Der Herr Der Blutigen Drei...das klang mir einfach zu sehr nach einer zu oft gelesenen oder gesungenen Geschichte, als dass ich so etwas wie Beunruhigung empfinden konnte. Tatsächlich hörte es sich fast schon ein wenig lächerlich an. Feeyas war da offenbar anderer Meinung, denn er verstummte schlagartig und seine Augen weiteten sich entsetzt. "Ihr...sprecht über ihn?" rückwärts wich er bis an die Wand zurück, als fürchte er, wir hätten eine todbringende Krankheit. Nipitas sah ob der kurzen Stille verwirrt auf, seine Hand ruhte in der kalt werdenden Suppe. "Ist was?" fragte er. Feeyas schlang die Arme um die Knie und wippte sachte vor und zurück, sein Blick wurde abwesend. Gindar ließ von ihm ab und setzte sich wieder auf seinen Platz. "So ist er nicht immer," sagte er mit gedämpfter Stimme, wobei er dem verstörten Waldläufer noch einen kurzen Blick zuwarf. "Aber die Gefangenschaft ist ihm nicht gut bekommen." Ich nickte nur und legte Wuff geistesabwesend die Linke auf den Kopf, um ihn zwischen den Ohren zu kraulen. Der Wolfshund brummte leise und ließ es sich huldvoll gefallen. "Dieser Herr Der Blutigen Drei...wer ist das? seit meiner Gefangenschaft in Hibernia wollte der König nur eins von uns, nämlich dass wir nach Murdaigean reisen und eine Verschwörung aufdecken. Ich jage irgendetwas oder irgendwem hinterher und habe überhaupt keine Ahnung, was hier gespielt wird. Andauernd macht irgendwer eine zweifelhafte Bemerkung oder versichert mir, dass ich alles später erfahren werde. Aber es kommt nie etwas. Ich will jetzt endlich Klarheit." Jerali griff sich ein schweres, schwarzbraunes Fell und legte es sich über den Schoß. Auffordernd nickte sie Gindar zu. "Die letzten Male hab ich erzählt, jetzt bist du dran." Ich sah den Ordensbruder erwartungsvoll an, und der junge Mann spielte bedächtig mit den Fingern, sein Blick hing an den träge flackernden Flammen. "Eine Verschwörung ist es zweifellos, und gleichzeitig ein Verrat, wie ich ihn mir unverschämter nicht vorstellen kann. Die Geschichte ist allerdings sehr lang und nimmt ihren Anfang mit der letzten Königin Hibernias." Ich nickte auffordernd. "Wir haben Zeit." Gindar lehnte sich noch ein wenig weiter zurück, räusperte sich und begann. "Den größten Teil meines Wissens habe ich auch nur aus dem, was mir andere erzählt haben. Es ist wohl so, dass in Hibernia derzeit die Hölle los ist. Die rechtmäßige Reichsvertreterin ist seit einiger Zeit spurlos verschwunden und ihre Berater haben sich über sämtliche Wünsche und Vorschläge des Hofes und Volkes gestellt und einen unrechtmäßigen Mann auf den Thron gesetzt. Wie ich mitbekommen habe, hast du ihn ja gut genug kennen gelernt." Ich knirschte mit den Zähnen und nickte schweigend, um ihn nicht zu unterbrechen. "Über den Verlauf der Dinge waren wohl einige nicht ganz unbedeutende Personen alles andere als erfreut und entschlossen sich spontan, dem nicht akzeptierten König abzuschwören und ihre eigenen Ränke zu schmieden. Und jetzt kommen wir zum delikaten Teil." Er beugte sich vor, seine dunklen Augen blitzten. "Da so ein kleiner Haufen von Rebellen schwerlich gegen ein gesamtes Reich bestehen kann, blieb ihnen nur ein Ausweg: sie verbündeten sich mit Verrätern aus Albion und Midgard. Es gibt immer irgendwen, dem die Regierung oder die regierende Person nicht gefällt, da stand Hibernia nicht alleine da. Sie versammelten sich klammheimlich im Vorposten Murdaigean, der aus nach wie vor unbekannten Gründen schon seit längerer Zeit unbeachtet blieb, und dort hielten sie lange Beratungen, planten für die Zukunft und einigten sich darauf dass sie, wenn ihre Zahl größer und ihre Position sicherer geworden war, auch in der Öffentlichkeit auftreten würden. Dafür zu sorgen, dass ihnen in Murdaigean niemand auf die Schliche kommen würde, war dann kein großes Problem mehr. Jedes Reich säte Angst unter seinen Landsmännern und festigte den Glauben mit dem ein oder anderen Meuchelmord oder dem spurlosen Verschwinden ganzer Gruppen." Ich nickte langsam und dachte an das, was Zaphykel mir erzählt hatte. Allmählich wurde mir so einiges klar. "Dieser Lurikeenkönig ist also unrechtmäßig auf den Thron gekommen und jetzt arbeiten seine eigenen Leute gegen ihn? was für eine Ironie des Schicksals." Gindar lächelte zynisch. "Ich würde das mit weit weniger Humor sehen. Was meinst du, warum die Kerker hier so gut gefüllt sind? das sind überwiegend alles tapfere Leute, die allen Warnungen zum Trotz nach Murdaigean reisten, um sein Geheimnis zu lüften. Und man hält sie hier so lange wie Vieh gefangen, bis sie ihren Widerstand aufgeben und sich den Rebellen anschließen. Viele tun es, andere bleiben bis zuletzt standhaft. Na ja und andere..." er warf einen schnellen Blick zu Feeyas, der von dem Gespräch scheinbar nichts mitbekommen hatte. Ich krallte die Hände in mein Kleid und starrte in die Flammen. "Und mein werter Bruder hat es offenbar sogar zu ihrem Anführer gebracht. Die Tochter des hibernianischen Königs nannte ihn ihren Herrn. Wie konnte er nur...so tief sinken." Gindar berührte flüchtig meinen Unterarm. "Das muss schrecklich für dich sein, aber du hast doch keine Schuld daran." Ich sah auf, meine Augen verdunkelten sich vor Zorn. "Ich rechne mit ihm auf meine Weise ab. Da gibt es auf jeden Fall noch etwas, was ich ihn unbedingt fragen muss." Der Ordensbruder sah mich gespannt an, und ich erzählte ihm vom sehr seltsamen Verhalten Storvags gegenüber meinem jüngeren Bruder Lars. Gindar nickte bedächtig. "Das sollte dein Hauptanliegen sein. Deinen kleinen Bruder vor diesem Mann zu beschützen. Was immer ihn vorwärts treibt, euer Bruder wird da vermutlich noch eine tragende Rolle spielen." Unerwartet mischte sich Jerali in das Gespräch ein, ihre Stimme klang hitzig: "Wo wir gerade bei beschützen sind...hast du inzwischen eine Idee, wie wir hier rauskommen? ich will endlich Brakalu zurück haben und aus diesem dreckigen Loch raus." Sie warf ihr Fell angewidert von sich und stand auf. Gindar wollte etwas erwidern, doch das Geräusch von schweren Schritten, die sich langsam unserer Zelle näherten, ließ ihn verstummen. Ich sah auf und gewahrte einen hageren, rothaarigen Mann in den Farben Midgards. "Sind die anderen jetzt wach?" brummte er und hob ein Holztablett, auf dem sich vier kleine Schüsseln voll dünner Suppe befanden. Ich betrachtete ihn und hatte urplötzlich eine ganz und gar unschickliche und vermutlich völlig unsinnige Idee. "Ja, wir sind wach," antwortete ich mit samtener Stimme, erhob mich und stolzierte zur Tür. Der Wärter betrachtete mich argwöhnisch, ging in die Hocke und stellte das Tablett ab. Ich sah ihm lächelnd zu. "Was grinst du so unverschämt?" fragte der Mann gereizt, offenbar war er abgestumpfte oder zornige Gefangene gewöhnt. Ich hob andeutungsweise die Schultern. "Ich habe so lange keinen stattlichen Midgarder mehr gesehen, da konnte ich nicht anders, als Eure Gestalt zu bewundern. Vergebt mir." Der Mann fummelte an seinem Gürtel, an dem ein schwerer Schlüsselbund hing. Er brummelte irgendetwas in seinen Bart und schloss grimmig die Zellentür auf. Ungnädig nickte er auf das Tablett. "Da, heb du es auf." Ich trat folgsam näher, ehe ich plözlich einen halb überraschten, halb schmerzerfüllten Laut von mir gab, das Gleichgewicht verlor und beinahe graziös auf den kalten Boden fiel. Der Wärter fluchte und trat in die Zelle. Wenn er wohl auch zu den Männern gehörte, die die Gefangenen bestenfalls als lästige, kostspielige Maden ansahen, so hatte er seine Befehle. Und ein verletzter Gefangener war für die Rebellen nicht nützlich, sollte er sich doch noch besinnen und die Seiten wechseln. "Was hast du?" knurrte er unwirsch, ging neben mir in die Hocke und berührte mich an der Schulter. "Au, ich glaube, ich habe einen Krampf. Ich kann das Bein kaum bewegen," sagte ich mit leidener Stimme und hob den Seidenstoff hoch, um es ihm zu zeigen. Der Mann war Midgarder und hatte ein gehöriges Maß an Selbstbeherrschung- so etwas lernte man im rauhen Norden schon im Kindesalter. Doch er war dennoch nur ein Mann und wohl schon ein paar Monate zu lange in diesen düsteren, freudlosen Gewölben, ging es mir sarkastisch durch den Kopf. Seine Augen begannen jedenfalls leicht zu schielen, er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ich sah ihn einen Moment lang schweigend an, ehe mein Fuß urplötzlich hochruckte und mit einem nachdrücklichen Laut gegen sein Kinn schlug. Der Mann ächzte und fiel auf den Rücken, sein Kopf landete mit einem neuerlichen Rumms auf dem Tablett mit den Suppenschalen. Für den Moment war es absolut still, ehe ich mit einem triumphierenden Lächeln zu seiner gefällten Gestalt hinüber robbte und ihm die Schlüssel entwand. "Will jemand mitkommen?" fragte ich und stand auf. Jerali trat näher und bedachte den Bewusstlosen mit einem faszinierten Blick. "Und das in deinem Alter!" stellte sich nüchtern fest. Nipitas grinste breit. "Ich glaub, ich sollte auch Gefängniswärter werden. Spezialisiert auf Frauen mit Beinkrämpfen!" ich hob eine Augenbraue und scharrte demonstrativ mit dem Fuß, was sein Grinsen noch ein wenig breiter werden ließ. Indes sprach Gindar leise auf Feeyas ein, der überhaupt nicht zu begreifen schien, was soeben geschehen war. Furchtsam betrachtete er den ohnmächtigen Nordmann und ließ sich nur widerstrebend in richtung Zellentür ziehen. "Das geht nicht gut, oh das geht niemals gut," sagte er nervös. Jerali trat mit großer Umsicht auf den Bewusstlosen und strich sich einen ihrer Zöpfe hinter das Ohr. "Was haben wir denn zu verlieren," sagte sie schroff. "Du kannst dich ja wieder ins Bett legen und weiterjammern." Die Aussicht schien dem Elfen noch weit weniger zu behagen, und er klammerte sich erschrocken an Gindars Arm. Ich betrachtete den Nordmann einen Moment und sah dann an meinem feinen, im Falle eines Kampfes völlig untauglichen Kleid hinab. "Dreht euch doch mal kurz um," bat ich und begann sogleich, die Arm- und Beinschienen des Wärters zu lösen. Gindar sah mich fast entgeistert an, doch Jerali kniete sich unverzüglich neben mich und half mir. "Da haben wir es wieder einmal," sagte sie spöttisch und warf Gindar, Nipitas und Feeyas einen gutmütigen Blick zu. "Männer verkraften wirklich weit weniger als Frauen." Kaum drei Minuten später lag der beinahe bemitleidenswerte Nordmann in einer Ecke der Zelle, wo man ihn nicht auf den ersten Blick sehen würde. Und gefesselt, geknebelt und im tiefsten Schlafe würde er wohl auch in absehbarer Zeit noch nicht Alarm schlagen. Seine Kleider waren mir selbstredend zu groß und auf die Stiefel hatte ich verzichtet, ganz einfach deshalb, weil sie schon im Falle von eventuellen Kletter- und Fluchtaktionen zu einer echten Behinderung oder gar meinem Verhängnis werden könnten. Soweit, so gut. Doch mein Handeln war eher eine spontane Idee gewesen und nun hatte ich keine Ahnung, wie es weitergehen wollte. "Lasst uns Brakalu und meinetwegen deine geliebte Valkyn suchen und dann von hier verschwinden," zischte Jerali und sah sich nicht zum ersten Mal unbehaglich um. Es musste sicher bald jemand vorbei kommen, schon allein deshalb, weil man den Wärter vermisste. Ich nickte langsam. "Ja. Und die anderen Gefangenen lassen wir auch frei." Gindar riss die Augen auf, und Jerali schnappte nach Luft. "Was? alle?" ich nickte irritiert. "Natürlich, die schmoren hier genauso unschuldig, oder?" die Inconnu schüttelte den Kopf. "Ja, aber...stimmt, natürlich tun sie das, aber hast du eine Ahnung, wie lange das dauert? und vor allem...das schaffen wir definitiv nicht unbemerkt!" ich stampfte leicht mit dem Fuß auf. "Dann sollen sie es halt bemerken. Die Gefangenen werden sicher gern bereit sein, für ihre Freiheit zu kämpfen. Und wie du sagtest," ich nickte Gindar zu, "es sind überwiegend tapfere Krieger. Die Rebellen können es ja gerne versuchen, es mit allen aufzunehmen. Also, noch jemand Einwände?" niemand widersprach. Ich nickte erleichtert. "Nipitas, es wäre wohl besser, wenn du voran gehst." Der Jäger warf sich in die Brust und salutierte zackig. "Logo, mach ich gern. Wuff, gib mir Rückendeckung." Der Wolfshund knurrte ungehalten, und Nipitas setzte sich eilig in Bewegung. Wir befanden uns offenbar im Keller, denn über uns erklangen mehrmals gedämpfte Schritte und jedes Mal sahen wir uns hektisch nach einem Fluchtweg um. Aber für den Moment blieb das Glück unser Verbündeter- es schien heute keine Neuzugänge zu geben, die Gefangenen hatten ihre Mahlzeiten bekommen und somit bestand für die Aufseher erst einmal kein Grund, in die kühlen, nach abgestandener Luft riechenden Gewölbe hinunter zu gehen. Die erste Zelle, an die wir traten, war weitaus weniger luxuriös als die, die ich mir mit den anderen geteilt hatte. Statt Betten gab es hier nur zwei unordentliche Haufen zerwühltes Stroh. Die Zelle war leer, doch es war anzusehen, dass sie bis vor kurzem noch einen Gefangenen beherbergt hatte: neben dem Lager stand eine halbvolle Schale mit noch frischer Suppe und im Stroh zeichnete sich grob der Umriss eines Menschen ab. Wir schlichen weiter und kamen bald darauf an eine weitere, kleinere Zelle. Nipitas bedeutete uns mit einer knappen Handbewegung, zu warten und trat an die Gitter heran. "Pssst, seid Ihr wach?" ich hörte ein leises Rascheln und eine sehr misstrauische Männerstimme: "Wer seid Ihr und was wollt Ihr?" Nipitas nickte uns zu und ich stellte mich neben ihn, um einen Blick auf den Insassen erhaschen zu können: es war ein junger Nordmann, etwa so alt wie Gindar, aber ein gutes Stück größer und muskulöser. Er hatte hellblondes, recht langes Haar und einen gleichfarbigen Bart, der von zwei kurzen, geflochtenen Zöpfen geschmückt wurde. Seine Augen verengten sich argwöhnisch, als er unsere kleine Gruppe betrachtete. "Bei Modis Eiern, was wird hier gespielt? meine Antwort lautet nein, also schert euch zum Teufel." Ich sah mich nervös um, der Nordmann hatte ziemlich laut gesprochen. "Seid etwas leiser, bitte. Wir sind keine Rebellen, man hat uns hier ebenso eingesperrt wie Euch, aber wir konnten entkommen." Der Blonde hob zweifelnd die buschigen Brauen. "Und wie habt ihr," das Wort betonte er leicht spöttisch, "geschafft, was anderen wackeren Männern nicht gelungen ist?" Jerali bedachte den großen Nordmann mit einem spöttischen Blick. "Manchmal braucht es eben nicht nur die pure Muskelkraft, Berserkerchen." Der junge Mann knurrte drohend. "Pass auf, dass ich dir nicht zu spüren gebe, wie wenig Muskelkraft ich für dich brauche, Fischgesicht." Jerali schnappte empört nach Luft. "Gehen wir weiter, soll dieser Tölpel hier bis zum jüngsten Tag hocken, das ist doch..." ich schnitt ihr rasch das Wort ab. "Wir werden von hier fortgehen, wenn nötig mit Gewalt. Und wir wollen niemanden zurücklassen. Im Gegenteil...wenn es zum Kampf kommen sollte, brauchen wir jedes Paar Hände. Was ist? wollt Ihr als Midgarder noch einen Tag länger hier gefangen sein, oder nach Hause zurückkehren und Euch irgendwann im Namen aller Milesier rächen?" der Blonde lauschte meinen Worten mit leicht gesenkten Kopf. Als ich geendet hatte, war er aufgesprungen und an die Gitter getreten. "Bei Modi, nein. Ich hab diesen Schweinestall hier satt. Holt mich hier raus und ich werde Euch meine Hände und meine Muskelkraft," er warf Jerali einen kurzen Blick zu, "gerne zur Verfügung stellen." Ich nickte und löste die Schlüssel vom Gürtel. Es dauerte nur einen kurzen Moment und der Mann war frei. "Endlich," brummte er. "Ich hab diese elenden Wände schon fast näher kommen sehen. Ah ja...mein Name ist Vewo, Berserker aus Galplen." Wir stellten uns der Reihe nach vor und setzten unseren Marsch fort, wobei wir dem getarnten Nipitas in einem großzügigen Abstand langsam folgten. Der düstere Gang wurde allmählich heller und die Geräusche der Oberwelt lauter. Meine Zweifel kehrten nun langsam auch zurück. Bisher hatten wir beinahe unverschämtes Glück gehabt, schon angefangen bei der grenzenlosen Dummheit des Wärters. Doch wie lange würde es uns hold bleiben? Auf dem Weg waren wir an viele weitere Zellen gekommen und zu meinem Unverständnis und auch Schrecken hatten sich längst nicht alle Gefangenen bereit erklärt, uns zu folgen. Im Gegenteil- unsere Zahl war bedenklich klein und ein paar der Befreiten zogen es nach langem Hin und Her tatsächlich vor, freiwillig wieder in ihre Zellen zurückzukehren. Jerali packte einen weißhaarigen Inconnu voller Ärger am Arm und riss ihn zurück. "Bei Arawns Meute, was soll das werden? du bist frei und kannst es vielleicht schon bald für immer sein, aber ein bisschen musst du uns schon dabei helfen! was ist nur los mit dir? mit euch allen?!" der Inconnu machte sich rasch los, starrte uns angstvoll an und antwortete in einer schnellen, melodisch klingenden Sprache von der ich kein Wort verstand. Gindar neigte den Kopf. "Er sagt, er glaubt nicht, dass wir Erfolg haben. Tatsächlich ist er noch nichtmal sicher, ob er uns vertrauen kann. Und ehe er das Risiko eingeht, dass sie ihm zur Strafe ein Auge ausbrennen, bleibt er lieber gleich hier. Denn wir werden das sowieso nicht schaffen." Ich lauschte ihm sprachlos und wandte mich an den Inconnu. "Ist das wahr?" doch der Kleine wich hastig zurück, vollführte eine rasche Handbewegung -vermutlich ein albionisches Schutzzeichen- und verkroch sich wieder in seiner Zelle. Vewo grunze ärgerlich. "Albioner!" Jerali warf ihm einen flammenden Blick zu. "Es waren auch genug Nord-Barbaren, die die Hosen voll haben, mein Junge!" Vewo hob drohend die Faust und Gindar drängte sich rasch zwischen die Streithähne. "Verdammt nochmal! geht das nicht noch ein bisschen lauter?! schlimm genug, dass die Leute hier nicht mit uns gehen wollen, müsst ihr beiden euch da auch noch gegenseitig provozieren? denkt mal drüber nach!" Jerali und Vewo sahen das offenbar ein und schwiegen beide, ließen es sich jedoch nicht nehmen, sich böse Blicke zuzuwerfen. Durchaus erschüttert ließen wir die, die uns trotz gutem Zureden absolut nicht folgen wollten, letztlich in ihren Zellen zurück und setzten unseren Weg mit etwas gedämpften Optimismus fort. Der lange Gang war nun schon sehr viel heller und musste bald sein Ende finden. Tatsächlich machte er nach wenigen Schritten eine Biegung und wir warteten, während Nipitas voran schlich. Einen Moment war es ruhig, ehe ein überraschter Aufschrei erklang, der rasch und abgehackt abbrach. "Ich glaube, nun können wir uns die Heimlichkeiten sparen, das muss einfach jemand gehört haben," sagte Jerali finster. Gindar legte ihr besänftigend eine Hand auf die Schulter und wir folgten traten nun ebenfalls um die Ecke. Wie ich beinahe erwartet hatte, befand sich hier ein Wachraum, der derzeit nur von einem Mann besetzt gewesen war. Hierbei handelte es sich um einen silberhaarigen Elfen, der jetzt langgestreckt und aus Nase und Ohren blutend im Stroh auf dem Fußboden lag. Nipitas enttarnte sich genau neben ihm und verbeugte sich. "Ist er tot?" fragte ich und spürte einen Kloß im Hals, als mir die Ähnlichkeit zwischen dem Reglosen und Athriliath auffiel. Nipitas zuckte die Achseln. "Weiß nich, vermutlich pennt er nur ´n Stündchen. Aber was jetzt? das is viel zu riskant, mit der Meute den direkten Weg zu nehmen, da können wir gleich warten, bis die nächste Ablösung kommt. Und außerdem wolltet ihr doch noch wen suchen, oder?" ich drehte mich zu den Männern und Frauen um, die sich uns angeschlossen hatten. Wir sind wirklich wenige, ging es mir durch den Kopf. Viel zu wenige. Und bei Bragi, die scheinen sich alle nur auf mich zu verlassen. "Ich weiß auch nicht, was jetzt die idealste Lösung wäre," gab ich zu, die ausgezehrten, teilweise sehr jungen, teilweise schon älteren Gesichter der Befreiten betrachtend. "Nipitas hat recht, wenn wir den Hauptweg nehmen, wird es im Chaos enden." Vewo räusperte sich. "Llienne, du bist erst seit kurzem hier, ich aber kenne mich recht gut aus. Such deine beiden Gefährten und überlass es mir, sie hier unbemerkt an einen halbwegs sicheren Ort zu führen. Ich werde dir dann jemanden schicken der dir sagt, wo wir uns treffen. Wenn du die beiden gefunden hast, geben wir das Versteckspiel auf. Ich bin es leid, vor elenden Verrätern wegzulaufen." Ich nickte langsam. "Gut, Vewo. Dann führt sie und schickt mir einen Schleicher. Wir," damit deutete ich auf Gindar und Jerali, "werden uns jetzt die oberen Stockwerke vornehmen. Wenn...wenn wir kein Glück haben...dann wartet nicht auf uns, ja?" Vewo nickte, doch in dem Moment mischte sich Feeyas, der bisher die ganze Zeit geschwiegen hatte, voller Empörung in das Gespräch ein: "Ich will aber auch mit euch gehen!" Gindar lächelte dem Elfen kurz zu. "Aber du wirst hier gebraucht, weißt du? vielleicht wird Vewo dich nachher zu uns schicken müssen, wenn wir nicht schnell genug zu euch zurückkehren können. Da wärst du sehr viel wichtiger." Feeyas lächelte strahlend und lenkte sofort ein. "Na gut." Ich nickte Vewo knapp zu. "Bragis Stimme mit Euch." Er legte kurz die Faust ans Herz und erwiderte meinen Blick. "Es wird schon gutgehen. Und wenn nicht...nun, dann haben wir uns unseren Platz in Walhalla zumindest ehrenhaft erkämpft." Damit drehte er sich um und trat in den Gang zurück, in welchem Nipitas bereits wieder verschwunden war. Jerali sah ihm halb verächtlich, halb sorgenvoll nach. "Na, wenn das mal gut geht..." Gindar war schon an der gegenüberliegenden Seite des Raumes. "Aber er hat ja recht. Auch wenn ich nach meinem Ableben höchstwahrscheinlich nicht in...eh...Walhalla enden werde." Jerali schnaubte leise, und nacheinander traten wir durch die Tür. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)