Dark Age of Camelot von Lanefenu (Llienne's Life) ================================================================================ Kapitel 11: Zaphykels Vergangenheit ----------------------------------- Ich wappnete mich insgeheim schon gegen einen eventuellen unfreiwilligen Besucher, doch noch immer blieb es verdächtig ruhig. "Sind die alle ausgeflogen?" fragte ich beunruhigt. Gindar zuckte die Schultern. "Also ich werde mich nicht beschweren, auch wenn ich dir zustimmen muss. Das ist schon ziemlich seltsam." Zu unserer linken Seite tauchte ein schmales Fenster auf. Wir drängten uns zu dritt an die Öffnung und starrten beinahe gierig ins Freie. Es war inzwischen später Nachmittag und von draußen wehte ein kalter Wind herein, der jedoch wunderbar süß und berauschend in unsere Lungen drang, denn ihm folgte der Geruch von Freiheit. Wir gönnten uns die Aussicht jedoch nur einen kurzen Moment, ehe wir zögernd weitermarschierten. Da war etwas oberfaul, zweifellos. Vielleicht wieder ein bösartiger Schachzug von Mikata und meinem verräterischen Bruder? Der Gang machte alsbald eine erneute Biegung und verwandelte sich in eine gewundene Treppe, welche endlich nach oben führte. Es geschah so schnell, dass ich vor Schreck beinahe rücklings die Treppe hinunter stürzte. Inzwischen hatte ich mich an die vorherrschende Stille und Menschenlosigkeit fast gewöhnt, zumal weder Schritte, Stimmen oder Waffenlärm von Feinden zeugten. Und nun trat uns urplötzlich doch einer der Rebellen entgegen. Die Frau, die wohl auch an nichts Böses dachte, trug eine rot und blau gefärbte Plattenrüstung und einen roten Schottenrock. Sie war mindestens ebenso überrascht wie wir, denn sie prallte mit Gindar zusammen, fuhr heftig zusammen und starrte uns einen Moment lang völlig irritiert an. "Wer zum...wer hat euch rausgelassen? Wa..." ehe sie um Hilfe brüllen konnte, legte Gindar ihr rasch die Hand auf den Mund und stieß sie gegen die Wand. Die Frau trug keinen Helm, und ihr Kopf prallte unsanft gegen den kalten Stein. "Seid still und Euch geschieht nichts," sagte Gindar leise, was seinen drohenden Tonfall nicht entschärfte. Die Frau wehrte sich, doch als Jerali sich vor ihr aufbaute, erstarrte sie und nuschelte irgend etwas, was durch Gindars Finger hindurch nicht zu verstehen war. "Ihr solltet tun, was er sagt, Verehrteste," sagte die Nekromantin mit funkelnden Augen. "Oder wollt Ihr Bekanntschaft mit einem guten Freund von mir machen?" die Highlanderin schüttelte schweigend den Kopf und Jerali nickte zufrieden. "Erst vor einigen Stunden wurden drei neue Gefangene hierher gebracht. Sie," die Inconnu deutete mit dem Kopf auf mich, "eine Valkyn und ein Inconnu. Weißt du davon?" Nicken. "Gut, weißt du auch, wo man sie hingebracht hat?" die Frau zögerte und Jerali spreizte die Beine und hob langsam die Hand. Ich konnte die offensichtliche Furcht der Frau nicht nachvollziehen und warf Jerali einen fragenden Blick zu. Die Antwort folgte auf dem Fuße. Die Gestalt der Nekromantin wurde zu einem körperlosen Schatten und neben ihr stand plötzlich die hässlichste Kreatur, die ich je gesehen hatte, dagegen wirkte sogar das abstoßende Leichending von Brakalu anziehend. Ich musste spontan an die schauerlichen Moratänzerinnen aus dem Myrkwood Forest denken. Dieses Etwas war genauso dürr und bleich, bewegte sich unablässig hin und her und griff mit abstoßenden langen Leichenfingern nach Dingen, die ich nicht sehen konnte. Doch wo die Moratänzerinnen leichentuchähnliche Fetzen und bizarre Hüte trugen, war der Beschworene in eine zerfetzte Hose gekleidet, und statt einem Hut zierte ihn ein atemberaubend hässlicher Ziegenbart. Die Highlanderin wurde drei Nummern blasser und nickte heftig, worauf Gindar die Hand zurück zog. "Ja, ja, ich weiß wen ihr meint und ich weiß, wo man sie hingebracht hat," sagte sie eilig. "Bitte...hetzt nicht dieses...Ding auf mich." Jerali schwebte ein winziges Stück näher. "Das habe ich auch nicht vor," sagte sie eisig. "Sofern Ihr mir sagt oder besser noch zeigt, wo sie sind. Hat man sie zusammen eingesperrt?" die Unglückliche schüttelte schweigend den Kopf und Jerali knurrte leise. "Herr im Himmel! lasst Euch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen..." auf ihren unmerklichen Wink hin kroch das blasse Ding näher, hob die Arme und ließ die schuppigen, feuchten Finger über die Wangen der Highlanderin gleiten. Sie öffnete den Mund zum Schrei und Jerali hob mit einem scharfen "Na, na!" den Zeigefinger. Ich betrachtete die vor Angst Schlotternde ohne großes Mitgefühl. "Ihr müsst uns nur ein wenig weiterhelfen und könnt danach sofort Eurer Wege gehen. Holt ruhig Verstärkung, schreit ganz Murdaigean zusammen. Aber erst helft Ihr uns, oder..." ich ließ den Satz offen, schon allein weil ich selbst nicht sicher war, wie sich das `Oder´ auswirken würde. Jeralis Diener leckte sich über die verkümmerten Lippen und die Highlanderin stöhnte leise. "Ist ja gut, ich...ich werde euch hinführen. Z-zu wem wollt ihr...zuerst?" die Worte kamen ihr nur schwer über die Lippen, vermutlich schämte sie sich bereits jetzt ihrer eigenen Feigheit. Jerali wirkte höchst zufrieden. "Wer ist näher dran?" "Der Inconnu." "Wunderbar! bringt uns hin. Und mein kleiner Liebling wird genau hinter Euch gehen, es wäre also ein denkbar schlechter Moment, es sich jetzt doch anders zu überlegen. Müssen wir oben mit Besuch rechnen?" die Highlanderin schüttelte knapp den Kopf. "Das gesamte Heer ist..." sie biss sich auf die Lippen und brach ab. "Ja?" fragte Jerali drohend. Doch die Frau stöhnte nur erneut, schüttelte den Kopf und schwieg. Ich wollte der Nekromantin die Hand auf die Schulter legen und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass sie durch sie hindurchglitt. "Komm schon, sonst sagt sie gleich überhaupt nichts mehr. Erstmal sollten wir die beiden finden, danach sehen wir weiter." Die Inconnu zögerte kurz und nickte dann unwillig. "Ja, du hast recht. Also los, Teuerste." Die Wächterin biss sich heftig auf die Lippen und schluckte das, was ihr zweifellos auf der Zunge lang, mit einiger Mühe hinunter. Ich konnte mir gut vorstellen, welche Qualen sie gerade durchlitt- die Situation war alles andere als ehrenhaft. Mit steinerner Miene schritt die Frau die Treppenstufen, die sie gerade hinter sich gelassen hatte, wieder hinauf und sah sogar kurz über die Schulter zurück, ob wir ihr folgten. Sie führte uns durch einen nun schon sehr viel freundlicheren Gang, an den Wänden hingen sogar kostbar aussehende Teppiche. "Hier," sagte sie schließlich mit frostiger Stimme. Links von uns war eine doppelte Reihe von Fenstern in den Stein gebaut, doch zu unserer rechten Seite, auf welche die Highlanderin deutete, befand sich eine einzige Tür. "Herzlichen Dank," sagte Jerali lächelnd. "Wir werden uns gleich noch einmal eingehend unterhalten. Und damit Ihr dann noch hier seid, wird er Euch Gesellschaft leisten," sie deutete auf ihre Kreatur, die sich bei ihren Worten scheinbar mit diebischem Vergnügen auf die Highlanderin zubewegte. Die sagte izwischen gar nichts mehr, sondern starrte trotzig zu einem der Fenster hinaus und ballte nur leicht die Fäuste. Während wir durch die Tür traten, sagte Gindar beinahe bewundernd: "Ich vergesse immer wieder, was für ein Biest du sein kannst." Jerali hob nur leicht die Schultern. "Alles reine Trainingssache, und...oh, bei Arawn!" sie stürzte an Gindar und mir vorbei auf die andere Seite des Raumes zu. Wir folgten in gemäßigtem Tempo. Mich ergriff ein kalter Zorn, als ich die offenbar bewusstlose Gestalt des Inconnu betrachtete, den man mit weit weniger Zärtlichkeit als mich, statt ins Bett zu legen, an die steinerne Wand gekettet hatte. Der Nekromant hatte die Augen geschlossen, der Kopf war ihm auf die Schulter gesunken. Jerali drehte sich herrisch zu mir um. "Los! du hast die Schlüssel!" ich nickte und trat an ihre Seite. "Ich mach ja schon." Die Schlösser, die die metallenen Fesseln um die Handgelenke umschlossen, waren die gleichen wie an den Kerkerzellen. Ein kurzer Ruck, und ich konnte sie Brakalu vorsichtig abstreifen. Gindar betrachtete schweigend die violett glänzenden Spuren, die die nachlässig angebrachten Schellen angebracht hatten, während Jerali ihr Mündel erschrocken auffing und sich mit ihm auf den Boden setzte. "Braka," sagte sie eindringlich, "wach auf, los, wach auf. Es ist vorbei. Ich bins, Jerali! hörst du?" der Nekromant öffnete mühsam die Augen und blinzelte. "Je...ra?" fragte er, wobei bei der Aussprache des Namens plötzlich kein Akzent mehr zu hören war. "Du...hierr?" sie starrte ihn an und hab ihm dann zu Gindars und meinem Schrecken eine nicht gerade sanfte Ohrfeige. "Du verdammter Idiot! was sollte diese Aktion?! weißt du, welche Sorgen ich mir gemacht habe? meine Güte..." Brakalu blinzelte erneut und sah sie verstört an, ehe er sich mühsam in eine sitzende Pose erhob und das Gesicht an ihrem Hals verbarg. Ich betrachtete die beiden Nekromanten regelrecht gerührt und lächelte leicht. Plötzlich fasste mich Gindar am Arm und deutete zum einzigen Fenster, das es im Raum gab. "Übrigens...wir sind nicht allein." Ich folgte seinem Blick und kniff die Augen zusammen. Tatsächlich, wie hatte ich die hochgewachsene Gestalt, die im späten Nachmittagslicht beinahe zu verschwimmen schien, nur übersehen können? der Fremde erkannte offenbar, dass er entdeckt worden war, stieß sich leicht vom Fensterbrett ab und tat einen Schritt auf uns zu. Gindar spannte sich merklich und auch ich ballte instinktiv die Fäuste. "Wer seid Ihr?" fragte ich argwöhnisch. Die Gestalt hob den bisher tief gesenkten Kopf und betrachtete uns scheinbar desinteressiert. Ich hielt einen Moment unwillkürlich den Atem an- solche Schönheit hatte ich selten erblickt. Der Unbekannte war eine Frau, der übermäßig schlanken und großen Gestalt zu urteilen eine Elfe. Das Haar war in tiefblaues Tuch eingeschlagen, welches auch ihre Stirn bedeckte. Dafür leuchteten die Augen umso heller, klar und scharf wie die eines Fischadlers blieben sie an Gindars und meiner Gestalt hängen. Ihre Gesichtszüge erinnerten mich an jemanden, doch mir fiel nicht ein, an wen. "Seid nicht Ihr in mein Gemach eingedrungen?" fragte die Fremde mit ruhiger, beinahe gebieterischer Stimme. "Kommt es der Höflichkeit nicht näher, Ihr würdet mir Eure Namen zuerst sagen, ehe Ihr meinen erfragt?" Jerali hob hinter uns den Kopf, ohne Brakalu aus der Umarmung zu entlassen. Argwöhnisch, fast feindselig starrte sie die schöne Elfe an. "Für Höflichkeit haben wir derzeit nicht viel übrig, und auch an Geduld mangelt es uns," sagte sie scharf. Die Elfe wandte ihr langsam den Kopf zu und starrte sie schweigend an, ohne zu blinzeln oder gar zu antworten. Die Nekromantin runzelte halb verwirrt, halb ärgerlich die Stirn, hielt dem durchdringenden Blick jedoch stand. Schließlich schmunzelte die Elfe leicht und verschränkte die Arme vor der Brust. "Nun gut. Mein Name ist Brigit." Ich öffnete überrascht den Mund und auch Gindar blinzelte verblüfft. "Die...Königin von Hibernia?" fragte er nach einem Moment großen Staunens zweifelnd. Brigit neigte den Kopf und betrachtete den Ordensbruder aus halbgeschlossenen Augen. "Zweifelt Ihr daran?" Gindar entspannte sich und ließ rasch die drohend erhobenen Hände sinken. "Wie käme ich dazu." Ich betrachtete die Elfe noch immer beinahe ehrfürchtig. Brigit schien mir mein Starren nicht übel zu nehmen, strich eine Falte ihres langen Gewandes glatt und sah uns auffordernd an. Ich brauchte einen Moment, ehe der Groschen fiel, und rasch stellte ich Jerali, Brakalu, Gindar und mich selbst vor. Die Königin nickte. "Wir kennen uns ja schon," sie sah kurz zu Brakalu, der sich noch immer an Jerali lehnte und seine Fassung inzwischen wieder gewonnen hatte. "Und wir haben die Zeit genutzt, ein wenig zu plaudern," fuhr sie fort. "Also ist es wahr? Midgarder, Albioner und Hibernianer tun sich zusammen und ziehen gemeinsam ins Unbekannte. Wirklich interessant." Sie betrachtete uns nachdenklich und ihr Tonfall klang, als fühle sie sich in irgend etwas bestätigt. Ich lauschte unsicher zur Tür- ob die unglücksselige Wächterin wohl Wort hielt und noch immer still dort wartete? nun, Jerali hatte ihr ja einen -meiner Meinung nach- überzeugenden Grund da gelassen. Brigit bemerkte meine Unruhe nicht, oder ignorierte sie. "Aber wie ich sehe, wart auch ihr nicht erfolgreich. Bald werden sie euch ebenfalls foltern und drohen. Entweder gebt ihr nach, oder ihr bleibt standhaft. Zumindest das kann die einstige Königin Hibernias noch von sich behaupten." Sie ließ ein zynisches Lächeln aufblitzen, und hob die Hände, die schön und feingliedrig waren, doch ich bemerkte, dass ihr an der Linken der Ringfinger und Daumen fehlten, während man ihrer rechten Hand gewaltsam den kleinen Finger genommen hatte. "Grausame Mistkerle," sagte ich erschüttert. Brigit winkte ungehalten ab. "Jedenfalls ist eure Mission tapfer und beachtenswert, aber vermutlich leider völlig sinnlos. Es sind schon zu viele und die meisten haben Angst. Sie werden sich nicht gegen die Rebellen auflehnen." Ich gestattete mir ein kleines, hoffnungsfrohes Grinsen. "Die meisten haben Angst, da habt Ihr Recht. Aber nicht alle. Wir konnten einige Gefangene befreien und die meisten haben zugestimmt, uns im Kampf gegen den," ich zögerte kurz, "den Herrn Der Blutigen Drei zu unterstützen." Ich betrachtete die leicht zweifelnd dreinschauende Elfe einen Moment, ehe sich meine Augen vor Erkenntnis weiteten. "Und vor allem die Hibernianer werden sicher neuen Mut schöpfen, wenn sie sehen, dass ihre rechtmäßige Königin noch am Leben ist! wenn...wenn Ihr mit uns kommt, werden uns sicher auch alle Hibernianer hier folgen und dann müssen wir einfach gewinnen." Brigit sagte weder ja noch nein. Sie betrachtete mich und ich konnte mir gut vorstellen, was hinter ihrer Stirn vorgehen mochte: Was machte ein junges Mädchen, das eigentlich noch genau auf der Schwelle vom Kind zur Frau stand, dermaßen vermessen, tapfere Krieger und Kriegerinnen führen zu wollen, die lange vor ihr den selben Auftrag hatten und gescheitert waren? während sie noch zögerte, erscholl von draußen ein überraschter Aufschrei, doch ich hörte sofort, dass er nicht von der Highlanderin stammte. Jerali hob ruckartig den Kopf und legte Brakalu einen Arm um die Hüften, um ihn mit hochzuziehen, doch der Inconnu gab ein leises Keuchen von sich und schlug reflexartig ihre Hand weg. "Was hast du?" fragte sie verwirrt, während der Jüngere sich die Seite hielt. "Nichts," brachte Brakalu zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. "Geh nurr." Sie sah irritiert und besorgt auf ihn herab, strich ihm kurz über den Kopf und wandte sich zur Tür. Gindar tat es ihr gleich, winkte mich heran und stiße die Tür dann mit einem Ruck auf. Ich trat hinter den Ordensbruder und blinzelte verblüfft: Genau zu unseren Füßen lag der Waldläufer Feeyas am Boden und starrte mit entsetzten Augen Jeralis Diener an, der sich wie ein Raubtier über ihn beugte und den Blick gierig erwiderte. Von der Highlanderin war nichts zu sehen. "Du?" fragte Gindar verblüfft, während die Kreatur auf Jeralis ungeduldigen Wink hin eilig von ihm herunter kroch. "Was ist das für ein Ungeheuer?" stöhnte der Elf und starrte das blasse Etwas mit abscheuverzerrtem Gesicht an. "Wo ist die Wächterin hin?" gab Jerali scharf zurück und starrte auf den leeren Gang. "Hat Fersengeld gegeben, als dieses...Ding mich angefallen hat," gab der Waldläufer matt zurück. Jerali schüttelte ungeduldig den Kopf, aber Gindar mahnte sie mit einem ruhigen Blick zur Mäßigung und legte dem verwirrten Elfen die Hand auf die Schulter. "Schickt dich Vewo?" fragte er. Feeyas nickte stolz. "Sie haben sich im Burghof versammelt. Es ist wirklich wie verhext...gab kaum Widerstand. Man könnte meinen, Murdaigean wäre total verlassen." Gindar nickte nachdenklich. "Das ist wirklich seltsam." Feeyas wollte etwas erwidern, doch dann fiel sein Blick auf die Gestalt, die hinter mir durch die Tür trat. Seine Augen weiteten sich, er ließ die Arme sinken und fiel ungeschickt auf ein Knie herab. "Meine...meine Königin!" stammelte er fassungslos. Brigit sah auf den jungen Waldläufer ohne Spott an und ließ den Anflug eines huldvollen Lächelns aufblitzen. "Erhebt Euch." Feeyas rappelte sich mühsam auf, ohne den Blick von der schönen Elfe zu nehmen. In seinen Augen schimmerte es verdächtig, und er wandte rasch den Kopf ab. "Ich will ja nicht drängen, aber für Sentimentalität ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt," sagte Gindar behutsam. Ich nickte und schaute schweigend die Elfe an. Brigit erwiderte meinen Blick einen Moment, ehe sie langsam nickte. "In Ordnung. So lange es noch einen Menschen mit Hoffnung gibt, sollte man selbige nicht aufgeben. Ich komme mit euch." Ich unterdrückte gerade noch so einen triumphalen Ausruf und wartete ungeduldig auf Jerali, die nochmals in das Zimmer zurück gegangen war, um Brakalu zu holen. Auszug aus einer Lagerfeuergeschichte der Skalden: "...Und so war es, dass der Krieger stand Tapfer und mit erhobener Hand Alleine er aufs Schlachtfeld trat Jedem Mann ins Antlitzt gestarrt Und sein Lachen über die Ebene hallte Wie Meeresrauschen und Donner schallte Bis hundert Bögen sich nun hoben Und hundert Pfeile windschnell flogen..." Feeyas führte uns durch die Gänge, wobei er immer wieder ehrfürchtige Blicke zu seiner Herrin warf. Wenn die Highlanderin Alarm geschlagen hatte, so ließ man sich mit der Jagd nach uns Zeit, denn auf dem Weg zum Burghof wurden wir nicht ein einziges Mal aufgehalten. Der Waldläufer stieß eine ovale Eichentür auf und rotgoldenes Nachmittagslicht flutete mir ins Gesicht. Ich blinzelte gegen die Sonne und bekam einen unsanften Stoß in den Rücken, als Gindar durch einen ungeduldigen Schubs von Jerali gegen mich prallte. Ich stolperte ins Freie und sah vor mir all die Männer und Frauen, die wir aus den Zellen befreit hatten. Auf ihren Gesichtern zeigten sich Aufregung und Ungeduld, aber auch eine grenzenlose Erleichterung, endlich dem ewigen Zwielicht der Kerker entkommen zu sein. "He, Llienne!" ich fuhr zusammen und sah mich suchend um. Grinsend löste sich Keena aus der Menge und trat auf mich zu. Wir musterten uns einen Moment beinahe andächtig, ehe die Valkyn lachend die Arme um meine Schultern schlang. Hey, das ist das erste Mal, dass ich sie wirklich gelöst und ohne Spott oder Bittkerkeit lachen höre, dachte ich flüchtig und schloss die Freundin ebenfalls in die Arme. "Das Bild, was sich mir hier bietet, ist viel mehr als ich zu hoffen gewagt habe," raunte ich ihr leise ins Ohr. "Ich war fast davon überzeugt dass ich dich und das normale Tageslicht nie wieder sehe." Keena drückte sachte meinen Oberarm. "Aber es liegt nicht in deiner Natur, dich mit einem Schicksal einfach so abzufinden." Ich lächelte still und senkte den Kopf, damit sie meine Verlegenheit nicht bemerkte. Keena wandte sich Brakalu zu, der sie ernst betrachtete. "Und dich gibts auch noch, hm?" fragte sie augenzwinkernd. Der Inconnu nickte zögernd. "Die Gastfrreundschaft hierr ließ zu wünschen übrrig." Jerali beobachtete die beiden argwöhnisch und baute sich vor der Knochentänzerin auf. "Du bist also Keena, wie?" fragte sie beinahe herausfordernd. Die Angesprochene erwiderte den Blick verwirrt. "Stimmt." Jerali unterzog sie einer eingehenden Betrachtung, ehe sie sich einfach abwandte. "Die ist in Ordnung," teilte sie Gindar mit. Keena sah mich stirnrunzelnd an und ich biss mir auf die Lippen, um das Grinsen zurückzuhalten. "Ich mache euch später bekannt, okay?" Die Krieger und Kriegerinnen hatten in der Zwischenzeit offenbar die Waffenkammern geplündert, denn überall lagen Rüstteile, Schilder und Waffen aller Art herum. Vewo löste sich aus einer Unterhaltung mit einem Kelten und einer Koboldin und trat auf mich zu. "Und, bist du zufrieden?" fragte er mit mühsam verborgenem Stolz. Ich lächelte schon wieder. "Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr. Ist auch noch was für mich übrig? ich glaub, ich scheppere bei jedem Schritt. Und außerdem habe ich kalte Füße." Er lachte dröhnend, packte mich am Arm und zog mich zu einem kleinen Berg voller Kettensachen hinüber. "Hier solltest du mal stöbern." Er entfernte sich disrekt ein paar Schritte und ich beugte mich über den unordentlichen Haufen. Ich wurde tatsächlich fündig, und zu meiner leisen Freude handelte es sich bei Kettenpanzer und Axt um Stücke midländischer Herkunft. Ich wählte noch einen einfachen, weißgrauen Umhang mit Kapuze und warf ihn mir über die Schultern, ehe ich zu Vewo zurückkehrte, der inzwischen in eine Unterhaltung mit Gindar, Jerali, Keena und Brigit vertieft war. "...verstehe Eure Bedenken durchaus, MyLady, aber es ist der einzige Weg." Ich schüttelte mein kurzes Haar und stellte mich zu der kleinen Gruppe. "Hab ich was verpasst?" Vewo schüttelte knapp den Kopf. "Lady Brigit macht sich Sorgen, was passieren wird wenn wir auf offenem Feld von den Rebellen angegriffen werden. Das ist natürlich korrekt, aber wir können uns jetzt nicht einfach aufteilen und Albioner, Midgarder und Hibernianer zu ihren Teleportfestungen zurückschicken. Getrennt sind wir viel verwundbarer." Ich nickte leicht. "Wohl wahr." Brigit, die ihr Kleid gegen einen silber schimmernden Schuppenpanzer und einen bodenlangen, roten Kapuzenumhang getauscht hatte, bedachte Vewo mit einem kühlen Blick. "Und wer wird unsere," sie zögerte kurz, "Armee, oder wie immer Ihr das nennen wollt, führen? Ihr? dieses Mädchen?" sie nickte mir zu. "Bei allem Respekt, ich bin tief beeindruckt von Eurer Tapferkeit und Gerissenheit. Aber meine Leute in die Hände wildfremder Halbstarker zu geben..." sie schüttelte sachte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich war seltsamerweise nicht beleidigt, Keena hingegen schon. "Immerhin haben wir Halbstarken mehr erreicht als Ihr und Eure erwachsenen Helden," entgegnete sie spitz. Brigits Raubvogelaugen verdüsterten sich kurz. "Das habe ich doch gerade selbst gesagt," sagte sie schroff. "Trotzdem. Ich plädiere dafür, dass jedes Reich hier einen Sprecher wählt, welcher für alle einsteht. Ich selbst werde das für meine Leute tun, wem Ihr diese Aufgabe übertragt, bleibt ja Euch überlassen. Und nun sollten wir dieses Tor öffnen und uns einen Lagerplatz suchen- da können wir unser Gespräch gerne fortführen." Sie drehte sich auf dem Absatz um, dass ihr Umhang hinter ihr flog, und trat auf eine Gruppe ihrer Landsmänner zu. Gindar sah ihr in einer Mischung aus Ärger und widerwilliger Bewunderung nach. "Auf jeden Fall eine Frau, die weiß, was sie will," stellte er lakonisch fest. Jerali schnaubte. "Ich nenn das einfach mal Arroganz. Sie kann es halt nur nicht ertragen, dass da jemand besser gehandelt hat als sie, obwohl sie eine Königin ist...oder war, was weiß ich." Ich zuckte die Achseln. "Akzeptieren wir es einfach. Wer soll denn für euch Albioner sprechen?" Gindar grinste leicht und stieß Jerali verspielt in die Seite. "Sprechen und sich Gehör verschaffen kann kaum jemand besser als sie, davon hast du ja schon mehrere Beispiele bekommen." Jerali funkelte ihn an, sagte aber nichts. "Und nachdem die ganze Rettungsaktion hier deine Idee war, ist es auch nur recht und billig, wenn du den Part für Midgard übernimmst," dröhnte Vewo, schlug mir so heftig auf die Schulter, dass ich ein wenig in die Knie ging, und stapfte zu den anderen hinüber, die sich um das schwere Tor bemühten. "Moment mal..." rief ich ihm nach, doch Keena berührte flüchtig meine Hand, schüttelte den Kopf und grinste. "Lass doch," sagte sie. "Er hat doch recht. Du hast es dir verdient." Ich schüttelte den Kopf. "Ich hab doch überhaupt keine militärischen Fähigkeiten," sagte ich unsicher, doch Keena fegte auch diesen Einwand einfach beiseite. Ich wandte seufzend den Kopf ab und bemerkte aus dem Augenwinkel Nipitas, der offenbar mit größtem Vergnügen versuchte, den schweigsamen Brakalu zu irgend einer -wahrscheinlich unsinnigen- Debatte zu bewegen. "Man sagt, dass Kobolde und Inconnu sich sehr ähneln. Hast du davon auch schon gehört?" fragte Nipitas eifrig. Brakalu zuckte nur leicht die Achseln. "Ich habe davon gehörrt." Der Kobold setzte sich neben ihn und scharrte mit dem Fuß auf dem Kopfsteinpflaster. "Und? was sagste dazu? wie würd man wohl ´ne Kreuzung zwischen Kobold und Inconnu nennen? Kobonnu? oder Incobold?" ich schmunzelte und trat auf die beiden zu. "Hallo Nipitas." Er sprang auf und verbeugte sich mehr oder weniger galant. "Llienne! hatte dich gar nich so hübsch in Erinnerung!" Brakalu verdrehte leicht die Augen und wollte aufstehen, doch Nipitas drückte ihn grinsend wieder hinunter. "Hey, halt, moment noch. Ich muss dir unbedingt noch jemanden vorstellen, der wird dir gefallen." Er stieß einen durchdringenden Pfiff aus, und kaum drei Sekunden später stürmte Wuff an zwei erschrocken aufschreienden Lurikeen vorbei. Der Wolfshund hechelte begeistert und sprang an mir hoch, und ich grinste breit und kraulte ihm den unschönen Kopf. "Guck mal, Wuff! das ist Brakalu. Er ist ´n Inconnu, wie Jera. Sag mal hallo zu ihm!" Wuff tappte auf den Nekromanten zu, der regelrecht erstarrt war, offenbar vor Schreck. Das konnte man ihm schlecht verdenken, denn seine und Wuffs gelbglühende Augen befanden sich fast auf gleicher Höhe. Der Wolfshund fand offenbar Gefallen an Brakalu, denn er hechelte begeistert, stürzte sich mit einem Satz auf ihn und brachte ihn mühelos zu Fall, ehe er sich mit den mächtigen Vorderpfosten auf seine Schultern stemmte und die lange Zunge ungestüm über das Gesicht des Nekromanten gleiten ließ. Der Anblick war zuviel für mich, und Nipitas und ich brachen gleichzeitig in lautes Gelächter aus. Endlich ließ Wuff von seinem Opfer ab und trottete schwanzwedelnd wieder davon, als sei nichts gewesen. Noch immer lachend beugte ich mich über den Inconnu und half ihm auf. "Oh man, bitte entschuldige, aber..." Brakalu wischte sich mit steinerner Miene über das Gesicht und löste damit einen erneuten Heiterkeitsanfall aus. "Wie lustig," grummelte er leise, wurde aber von einem triumphierenden Ausruf am Tor unterbrochen. "Es ist geöffnet!" mein Herz begann zu klopfen. "Es geht los. Kommt!" ohne auf die beiden zu warten, marschierte ich zum gewaltigen Tor, das nun tatsächlich weit offenstand und uns förmlich einlud, in die Freiheit zu spazieren. Ich wandte mich an den erstbesten Mann, der mir gerade gegenüberstand. "Es waren doch ein paar einzelne Wachen in der Burg, was ist mit ihnen?" der Mann nahm Haltung an und konnte ein flegelhaftes Grinsen nicht ganz unterdrücken. "Die schlafen tief und fest, MyLady." Ich betrachtete ihn leicht verstört. Das Gesicht erschien mir vage bekannt, vermutlich hatte ich persönlich geholfen, ihn aus seiner Zelle zu befreien, und wurde nun mit tiefer Verehrung belohnt. Trotzdem machte es mich schrecklich verlegen, so genannt zu werden, und ich nickte nur knapp und wandte mich schleunigst wieder ab. Königin Brigit rief ein paar laute, zackige Befehle und bald marschierte der hibernianische Teil unserer großen Gemeinschaft ins Freie. Jerali nickte mir aufmunternd zu und scharte die Albioner um sich. Auf ihr Zeichen hin folgten sie den Hibernianern, und nur befand sich nur noch der midländische Teil der Gemeinschaft -meine Leute- im Burghof. Ich schluckte schwer, als sich all die Augenpaare erwartungsvoll auf mich hefteten. "Seid wachsam und bleibt dicht zusammen!" rief ich und bemühte mich, meine Stimme fest klingen zu lassen. Dann holte ich nochmals tief Luft, setzte mich an die Spitze des kleinen Zuges und marschierte hoch erhobenen Hauptes in die Freiheit. Wir schlossen uns den Hibernianern und Albionern schnellstmöglich wieder an, denn ich fand nach wie vor, dass Vewo recht hatte: Wenn wir in drei kleinen Gruppen getrennt durch die Gegend marschierten, würden wir leichter zu überrumpeln sein, als wenn wir zusammenblieben. Mit einem seltsamen Gefühl von Zufriedenheit beobachtete ich, wie sich bald hier und da einzelne Angehörige der verschiedenen Reiche aus ihrem Zug lösten und sich zu einem anderen gesellten. Offenbar hatten sich während der eintönigen, gemeinsamen Zeit von Gefangenschaft und Leid die ein oder anderen Freundschaften gebildet. Und nicht nur Freundschaften...fasziniert und gleichzeitig ungläubig betrachtete ich einen jungen Elfen, der eine blonde Bretonin an sich zog, den Kopf senkte und die Lippen auf die ihren legte. Absurderweise kam mir plötzlich mein Vater in den Sinn, mein großer, kampferprobter Vater, der die Hibernianer und Albioner stets verflucht hatte. Wenn er das hier sehen könnte, was würde er wohl tun? Gindar hatte sich ebenfalls von den Albionern entfernt und trat an meine Seite. "Unglaublich, nicht wahr?" bemerkte er mit einem leichten Lächeln. Ich nickte. "Wirklich unglaublich." Sein Lächeln wurde eine Spur spitzbübischer, während er mich ungeniert betrachtete. "Und?" ich hob fragend den Kopf. "Hm?" er machte eine weit ausholende Geste. "Ist das nichts für dich? eine verbotene Verbindung zu einem anderen Reich, eine Liebesbeziehung, die von niemandem verstanden und von den wenigsten gebilligt wird, eine..." ich hob rasch die Hand, um seinen spöttisch angehauchten Redefluss zu unterbrechen. "Ist ja gut, ich habs verstanden. Und nein, ich glaube, das ist nichts für mich. Außerdem...außerdem bin ich verlobt." Diese kleine, aber irgendwo nicht ganz unwichtige Tatsache war mir soeben zufällig auch wieder eingefallen. Wenn ich erst einmal wieder nach Hause gekommen war, würde dort nach wie vor ein Leifnir Havocbringer sein. Andererseits war ich nun schon so lange fort, er war jung und beliebt, und wenn ich Glück hatte, war in der Zwischenzeit vielleicht schon eine andere Frau an seiner Seite. Gindars Lächeln erlosch, als er mein düsteres Gesicht bemerkte. "Offenbar ist dein Verlobter nicht so ganz nach deinem Geschmack," sagte er gleichmütig. Ich nickte nur. Die Sache ging ihn nun wirklich nichts an. Er klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. "Das wird schon. Und selbst wenn man dich wirklich zur Heirat zwingt- mach das Beste daraus, vielleicht stellt er sich ja als gar nicht so übel heraus." Ich schnaubte ganz kurz. "Es würde mich zwar durchaus wundern, aber es sollen ja noch Zeichen und Wunder geschehen." Der Ordensbruder grinste und kümmerte sich überhaupt nicht um meinen hohntriefenden Tonfall. "Da siehst du´s." Wir wanderten noch eine ganze Weile weiter, ehe vor uns ein eher spärlicher Wald auftauchte. Die Männer und Frauen hatten lange ohne großartige Bewegung in den Verliesen gehockt, und viele waren durch die ungewohnte Anstrengung bereits jetzt erschöpft. Brigit bestand jedoch darauf, noch ein wenig tiefer ins Unterholz vorzudringen, damit man uns nicht auf den ersten Blick entdecken würde. Natürlich gab sich niemand die Blöße und protestierte öffentlich, außer dem ein oder anderen gereizten Blick oder auch Seufzer tat niemand seine Unzufriedenheit kund. Ich musste aber zugeben, dass die Elfenkönigin recht hatte- wenn wir einen sicheren Platz gefunden hatten, konnten wir immer noch ausruhen. Und das Schicksal schien es gut mit uns zu meinen, bald konnten wir die Burg Murdaigean kaum noch erkennen, über unseren Köpfen erhob sich eine natürliche Wand aus Zweigen und grünen Blättern, und weiches Moos bedeckte den Boden. Der Trupp hielt an, man ließ sich auf umgestürzten Bäumen, Wurzeln oder im Moos nieder, rieb sich die schmerzenden Füße oder streckte die müden Beine aus. Von hinten wehte ein begeistertes Gemurmel zu mir hinüber und ich wandte neugierig den Kopf. Die diebischen Seelen unter uns -vorzugsweise Lurikeen, Kobolde und Sarazenen- hatten es sich nicht nehmen lassen, neben den Waffenkammern auch gleich die Vorratsräume zu plündern. Jetzt breiteten sie stolz ihre Schätze auf dem blanken Boden aus: Krüge mit billigem Wein, Beutel voller Pökelfleisch- und fisch, harten Käse und getrocknete Früchte. Zwei grinsende Sarazenen verwiesen mit spöttischen Verbeugungen sogar auf ein bauchiges Bierfass, das neben allem thronte. Ich wollte lieber nicht wissen, wie sie sich angestrengt haben mussten, um die Last den ganzen Weg und über alle natürlichen Hindernisse hierher zu schleppen. Beim Anblick der Speisen schien bei manchen der Verstand einfach auszusetzen, und ein massiger Highlander stieß den Zwerg neben sich roh zur Seite und langte gierig nach einem der Krüge. "Nimm sofort die Finger weg!" brüllte Jerali, und der Missetäter fuhr erschrocken zusammen. Die Inconnu erkundigte sich nach dem Befinden des Zwergs, welcher verlegen abwinkte, und baute sich unheilvoll vor dem so viel größeren Highlander auf. "Wir werden teilen- alle. Jeder hat etwas zu bekommen, und keiner benimmt sich hier wie ein Tier." Nicht nur die Albioner, auch alle Umstehenden stimmten sofort zu. Noch eine Tatsache, die mich faszinierte. Gemeinsame Entbehrungen und Qualen schweißten zusammen und ließen bei allen nahezu die gleichen Gedankengänge entstehen. Jerali nickte zufrieden und wandte sich abermals dem Unglücksraben zu. "Du, mein Freund, siehst mir noch recht stark und bemuskelt aus. Deswegen wird es dich sicher nicht stören, wenn du die erste Wache übernimmst und dich als letzter an diesen großzügigen Gaben gütlich tust." Der Mann starrte sie einen Moment lang fast hasserfüllt an, besann sich aber und stampfte ohne ein weiteres Wort davon. Ich kam nicht umhin, die kleine, herrische Inconnu zu bewundern. Verstohlen warf ich Keena einen kurzen Blick zu und grinste. Die beiden ähnelten sich wirklich sehr. Ich ließ mich zurücksinken, bettete meinen Kopf an einen harten Baumstamm und schloss die Augen. Ich konnte wirklich stolz auf mich sein. Auf mich und alle hier. Bis auf den ein oder anderen kleinen Zwischenfall verhielten sich alle absolut vorbildlich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Männer und Frauen so gewissenhaft taten, was man ihnen auftrug, dass sie zusammen statt nebeneinander oder gar gegeneinander arbeiteten. Ich konnte wirklich stolz sein. Der leicht muffige Geruch von getrocknetem Fleisch stieg mir aus nächster Nähe in die Nase und ich öffnete das linke Auge. Keena hockte vor mir und wedelte grinsend mit einem Streifen Pökelfleisch vor meinem Gesicht hin und her. Ich verfolgte ihre Bewegungen eine Weile mit den Augen, ehe ich wie ein Hund vorschnellte und ihr den Streifen aus der Hand schnappte. Lachend ließ sie sich auf den Hintern plumpsen und reichte mir auch einen halbvollen, kleinen Krug mit Bier. "Eine Kriegerin sollte nicht mit verwässertem Wein bewirtet werden," erklärte sie zwinkernd. "Aber dieses Bier hier schmeckt eigentlich auch nicht viel besser. Warm und süffig, wie Pferdepisse." Unbekümmert stürzte ich das tatsächlich ziemlich abscheuliche Getränk herunter und wischte mir grinsend den Mund ab. "So, so, Keena weiß also, wie Pferdepisse schmeckt. Interessant." Sie schüttelte ihre blonde Mähne und gab mir eine spielerische Kopfnuss. Im selben Moment gesellten sich auch Jerali, Brakalu und Gindar wieder zu uns. "Kaum zu fassen," bemerkte Jerali belustigt, "zwei tapfere Kämpferinnen aus Midgard sitzen hier im Grünen und tollen wie die Kinder." Keena zuckte unbekümmert die Achseln. "Wir haben es uns verdient. Andere schlagen sich zum Zeitvertreib ein paar Zähne aus oder saufen, bis sie in Ohnmacht fallen. Aber erstens sind mir meine Zähne dafür zu schade und zweitens haben wir leider nicht genug zu trinken." Jerali nickte. "Klingt weise." Sie setzte sich hinter Brakalu und begann, die ohnehin halb aufgelösten Zöpfe auseinander zu zupfen und ihm die wirren Strähnen aus dem Gesicht zu streichen. Ich seufzte tief, faltete die Hände vor dem Bauch und lehnte mich wieder zurück. Versonnen sah ich Jerali zu, die in Ermangelung eines Kamms eine Hand zur Klaue formte, und die Finger vorsichtig durch die langen, schwarzen Haare ihres Mündels gleiten ließ. "Und was werdet ihr tun, wenn ihr wieder daheim in Albion seid?" Jerali überlegte, während sie andächtig weiterkämmte, doch Brakalu murmelte: "Ein Bad nehmen, mindestens eine Stunde lang." Gindar grinste. "Das hast du auch nötig. Wie wir alle, fürchte ich. Na ja abgesehen von baden werde ich...jetzt lacht nicht...ein Haus bauen." Er schloss träumerisch die Augen. "Endlich mein eigenes Haus. Nicht, dass ich etwas gegen die Gasthäuser in Cotswold und Camelot hätte, aber ein eigenes kleines Häuschen, komplett mit Garten und allem...ach ja, das hätte was für sich." Ich schmunzelte. "Warum nicht, daran ist doch nichts verwerfliches." Keena, die einem Firbolg und einem Nordmann beim Armdrücken zugesehen hatte, runzelte plötzlich die Stirn. "Sag mal Llienne, wo ist eigentlich Athriliath? ich hab ihn schon die ganze Zeit gesucht, aber er ist nicht da." Das Lächeln erstarb auf meinem Gesicht und ich wandte den Kopf ab. "Er ist tot. Der Rebellenführer hat ihn umgebracht." Keena ballte kurz die Fäuste. "Dafür wird er bezahlen." Ich nickte, ohne sie anzusehen. "Ich hoffe, dass er das tut. Vor allem, weil es mein eigener Bruder ist, der uns alle verraten hat." Die Valkyn starrte mich an. "Dein Bruder?!" ich schwieg und starrte verbissen zur Erde. Jerali sah zwischen uns hin und her. "Nützt doch nichts, deswegen jetzt in Melancholie zu verfallen," sagte sie gelassen. "Rechnet mit ihm ab, wenn ihr ihm gegenübersteht. Und dann tut es gründlich." Sie flocht Brakalu geschwind zwei neue Zöpfe und schlang dann die Arme um seinen Bauch, woraufhin der Jüngere heftig zusammenzuckte und ein abgehacktes Keuchen ausstieß. Jerali zog sofort die Arme zurück und starrte ihn an. "So, und nun wirst du mir sofort sagen, was mit dir lost ist. Das ist nun schon das zweite Mal." Brakalu verzog das Gesicht, löste die Schnürung, die seine Tunika an den Seite zusammen hielt und schob sie unwillig ein kurzes Stück nach oben. Jerali beugte sich vor und zog scharf die Luft ein. Ich lehnte mich über ihre Schulter, um auch einen Blick auf die Verletzung -oder was immer es war- erhaschen zu können. Tatsächlich handelte es sich um die Pfeilwunde vom Kampf in der Teleportfestung. Sie nässte leicht, blutete aber nicht, und die Haut um die Schussstelle herum hatte sich stark gerötet. "Verdammt nochmal, wieso hast du denn keinen Ton gesagt?" fauchte Jerali. Brakalu fühlte sich offenbar zurechtgewiesen und senkte den Kopf. Gindar legte der Nekromantin beschwichtigend die Hand auf die Schulter, schob sie mit sanfter Gewalt zur Seite und nahm ihren Platz ein. "Die Wunde ist verseucht, deswegen heilt sie nicht. Tut vermutlich verdammt weh, aber sie wird ihn nicht umbringen. Du hast in letzter Zeit aber auch gar kein Glück, was, Kleiner?" Brakalu verzog sarkastisch das Gesicht. "Ja, ich glaube, ich werrde mich beschw..." der Rest des Satzes ging in einem gequälten Keuchen unter, als Gindar prompt die Fingerspitzen auf das entzündete Fleisch presste und in voller Konzentration die Augen schloss. Bald wurde der Atem des Inconnu ruhiger und er ließ sich aufseufzend zurücksinken. "Na, so ist es doch schon viel angenehmer, hm?" sagte Gindar freundlich. "Man muss sich nur helfen lassen. Aber das lernst du auch noch." Er tätschelte dem Nekromanten tröstend die Wange und stand dann auf. "Ich werde dir etwas Wein holen, das kann nicht schaden." Ich spürte ein gewisses Bedürfnis und stand verlegen auf. "Und ich werd mich mal kurz unsichtbar machen. Bis gleich." Eilig entfernte ich mich von der Gruppe und tauchte tiefer in den Wald ein. Hinter einem Baum nestelte ich an den Lederschnallen und ließ die Beinlinge sinken. Während ich mich hinhockte und erleichterte, hört ich zwei gedämpfte Stimmen, die offenbar in einen Streit verwickelt waren. Erschrocken zog ich zog ich mein Beinkleid wieder hoch und duckte mich hinter den Baum. Wann würde ich endlich lernen, dass sich lauschen nicht gehörte? aber wie üblich behielt die Neugier die Oberhand. Vorsichtig schielte ich hinter dem Baumstamm hervor und sah zwei Gestalten, die sich nur wenige Meter entfernt gegenüber standen und heftig diskutierten. Verblüfft erkannte ich, dass es sich bei den Streithähnen um Vewo und Königin Brigit handelte. Vewo hob gerade die Hände, als wolle er die Elfe beruhigen. Ich spitzte die Ohren- das interessierte mich nun doch. "Brigit, ich weiß, wie du dich fühlst. Aber was glaubst du, was passiert, wenn du da einfach reinspazierst und der versammelten Meute die Situation erklärst? entweder wird man dir überhaupt nicht glauben und du endest ebenfalls am Galgen, oder es wird einen Massenaufruhr geben. Dabei könnten viele sterben, dein Sohn mit eingeschlossen. Und dieser falsche Lump hätte die Gelegenheit, sich im allgemeinen Chaos einfach aus dem Staub zu machen." Brigit hörte sich die fast beschwörenden Worte an, ehe sie wild den Kopf schüttelte. "Das mag ja alles sein, aber was glaubst du, was geschieht, wenn ich gar nichts tue und hier herumsitze? ich muss sofort zurück, am besten noch heute Nacht." Als der Berserker sie unterbrechen wollte, hob sie die Stimme, so dass ich sie nun ganz deutlich verstand. "Spar dir den Atem, Vewo. Ich weiß, du meinst es gut mit mir, aber Zaphykel ist mein Kind, und ich werde ihn retten." Meine Augen weiteten sich leicht, und hastig zog ich mich wieder hinter den Baum zurück. Vewo, den ich nun nicht mehr sehen konnte, sagte beschwichtigend: "Brigit, hör mir zu..." die Elfenkönigin antwortete nicht, vermutlich brachte sie den Berserker durch eine herrische Handbewegung zum Schweigen. Einen Moment später sagte sie mit schneidender Stimme: "Mehr habe ich nicht zu sagen. Vor Tagesanbruch bin ich zurück in Hibernia. Du solltest dich jetzt besser ausruhen." Nur das Geräusch ihrer sich entfernenden Schritte war noch zu hören. Ich starrte verwirrt auf den Erdboden und versuchte, einen Sinn in dem nur teilweise belauschten Gespräch zu finden. Zaphykel als Brigits Sohn? soviel hatte ich verstanden. Aber was meinte Vewo, als er die Elfe vor dem warnte, was geschehen würde wenn sie ´einfach da hinein spazieren und die Situation erklären täte´? ich erhob mich vorsichtig. Das musste ich sofort Keena erzählen. Doch ich hatte kaum zwei Schritte getan, als ich auf einen trockenen Ast trat, der natürlich prompt und mit einem deutlichen Knacken unter meinen Stiefeln zerbrach. Ich erstarrte und hörte das klirrende Geräusch von Eisen, das aus seiner Scheide gezogen wird. "Wer ist da, zeig dich!" knurrte Vewo hinter dem Baum. Während ich noch überlegte, ob ich nicht lieber schleunigst abhauen oder mich reuevoll zu erkennen geben sollte, tauchte der junge Mann schon zu meiner linken Seite auf. Erstaunt starrte er mich an, Schwert und Axt noch immer erhoben. "Llienne, was machst du denn hier?" ich schaute mit scheelem Blick auf die beiden Waffen, die keinen Zentimeter wichen. "Ahem, ich...ich musste mich erleichtern und hab euch zufällig...also, ich wollte nicht..." stotterte ich verlegen. Vewo folgte meinem Blick, schüttelte kaum merklich den Kopf und ließ hastig seine Waffen sinken. Er sah mich einen Moment prüfend an, ehe er sich mit einem schweren Seufzer an dem Baum hinabsinken ließ. "Setz dich. Ich sehe keinen Grund, warum du es eigentlich nicht wissen solltest. Vielleicht fällt dir ja sogar eine Möglichkeit ein, sie zur Vernunft zu bringen." Ich tat, wie mir geheißen, und kreuzte die Beine übereinander, während ich die Arme vor der Brust verschränkte. "Wen meinst du mit sie? Brigit?" Vewo nickte und sah einen Moment in die Richtung, in die die Elfe entschwunden war. "Hast du verstanden, was du da eben gehört hast?" fragte er. Ich schüttelte sachte den Kopf. "Nicht ganz," gab ich zu. Er seufzte nochmals. "Tja, nun, ich wusste zwar, dass Brigit einen Sohn hat...aber ich dachte, er wäre tot. Genau wie sein Vater." Ich sah ihn schweigend an. Vewos Blick verdüsterte sich noch mehr. "Das ist eine lange Geschichte, Llienne. Und eigentlich geht sie weder mich noch dich etwas an. Aber in diesem Falle ist es wichtig. Ohne Brigit werden wir den morgigen Kampf nicht überstehen." Ich schrak zusammen. "Von was für einem Kampf sprichst du?" der Berserker deutete vage nach Norden. "Unsere Späher haben sie schon bemerkt. Die Rebellenarmee kehrt zurück und sie sehen aus, als hätten sie schon eine siegreiche Schlacht hinter sich, denn bei ihnen waren Verletzte und Gefangene. Sie rasten nur ein paar Stunden entfernt und wenn sie weiterziehen, werden sie uns entdecken. Und dann," fügte er hinzu und seine Brauen zogen sich zusammen, "dann wird es ein Blutbad geben." Ich blinzelte verstört. "Dann müssen wir Brigit zurückholen, ehe sie ihnen geradewegs in die Arme läuft. Und anschließend sofort von hier verschwinden." Vewo schüttelte sachte den Kopf und zu meiner Verwunderung begann er, gedankenverloren zu lächeln. "Das ist ausgeschlossen. Wenn Brigit einen Entschluss gefasst hat, kann keine Macht der Welt sie davon abbringen, zu tun was sie für richtig hält. Oder glaubst du, es macht einen guten Eindruck wenn wir Hibernias Königin in Ketten zu ihnen zurückbringen? anders würde es nicht gehen." Ich studierte aufmerksam sein Gesicht. "Ihr kennt euch wohl schon länger?" Vewo schwieg einen Moment und machte damit deutlich, dass er über dieses Thema nicht reden wollte. Doch letztlich nickte er knapp, ehe er nach eine weiteren Moment fortfuhr: "Wie auch immer. Ich muss jetzt ein bisschen weit ausholen, es ist wie gesagt eine lange Geschichte. Sie beginnt dort, wo sich Lugh Lamfhota, König von Hibernia, seine Gemahlin Brigit nahm." Er seufzte einmal mehr und zwirbelte an seinem dichten, blonden Bart. "Anfangs brachten wohl nur politische Interessen die beiden zusammen. Lugh Lamfhotas erste Gemahlin war kinderlos gestorben und es wurde dringend Zeit, dass er einen Erben zeugte. Doch," er senkte die Stimme ein wenig, "die beiden...nun ja, lebten und herrschten schon viele Jahre gemeinsam über Hibernia, aber niemals traf die Nachricht ein, auf die sie alle hofften. Bis es eines Tages dann doch geschah und zwar völlig unerwartet. Der Anfang einer mittleren Katastrophe." Ich starrte ihn gebannt an. "Was passierte?" Vewo starrte zu Boden, und ich dachte schon, er hätte mich vergessen, als sein Kopf sich ruckartig wieder hob und er mich beinahe herausfordernd anfunkelte- als könnte ich etwas dafür, was immer sich vermutlich lange vor meiner Zeit abgespielt hatte. "Ein Kind wurde geboren, ein Sohn, wie ganz Hibernia es sich wünschte. Das Seltsame war, dass der Kleine seinem Vater absolut nicht ähnlich sah. Das machte viele stutzig, doch man nahm es hin. Als der Knabe heranwuchs, wurden die Fragen um seine Geburt immer drängender, Gerüchte entstanden, wie das nunmal so ist. Und dann begannen einige neugierige Seelen, in Sachen zu schnüffeln, die sie eigentlich nichts angingen." Er holte kurz Luft, und sein Blick wurde noch etwas wilder. "Und dabei wurde dann ein ziemlich schmutziges Geheimnis aufgedeckt. Brigit und Lugh hatten feststellen müssen, dass sie beide zusammen niemals ein Kind haben würden, und dass es auch demnach niemals einen rechtmäßigen Erben ihres Blutes für Hibernia geben würde. Da tat Brigit etwas, was genauso irrsinnig wie tapfer war. Hier muss gesagt werden, dass Lugh Lamfhota noch einen jüngeren Bruder hatte, der das höfische Leben, Politik, Macht und Korruption gleichermaßen ablehnte und eine schattengleiche Existenz mitten unterm gemeinen Volk führte. Und Brigit...ging zu ihm." Ich hob beide Augenbrauen. "Sie hat mit ihm...und dabei...?" Vewo nickte. "Ja, sie haben das Lager geteilt und endlich wurde Brigit schwanger. Sie erzählte Lugh nichts davon, denn wenn das Reich auch dringend einen Erben brauchte, wäre diese Schande die sie ihrem Gemahl damit einbrachte, sein Genickbruch gewesen. Wie gesagt, Zaphykel wurde also geboren und wuchs als rechtmäßiger Thronfolger auf. Als er aber etwa vier oder fünf Lenze zählte, hatten die besagten Schnüffler endlich konkrete Hinweise. Wie sie daran kamen, wurde niemals bekannt, aber das ist ja jetzt auch unwichtig. Lugh befahl, den Kleinen sofort zu...zu beseitigen. Er selbst zog unverzüglich in eine verfrühte Schlacht gegen Albion, um seine Ehre auf dem Schlachtfeld wieder herzustellen oder auf diesem zu sterben. Letzteres war dann der Fall, aber sein Befehl galt noch immer. Sie kamen in der Nacht und wollten Zaphykel umbringen und Brigit überließ ihn meiner Obhut." Er schwieg, ein Schatten huschte über sein Gesicht, als die Erinnerungen ihn offensichtlich übermannten. Leise fragte ich: "Und was hast du getan?" Vewo schlang die Arme um den Oberkörper, als wäre ihm kalt. "Ich schaffte ihn aus Tir na nOgh und reiste quasi bis ans hintere Ende Hibernias, wo meine Eltern lebten. Sie waren vor langer Zeit nach Hibernia entführt worden wie du, aber damals gab es noch keine Reibereien in Murdaigean und man behielt sie als Arbeitskräfte im Land. Ich wurde als Kind nach Tir na nOgh gebracht und leistete dort Küchendienst. Nur Brigit, die Königin selbst, hatte ab und an einmal ein freundliches Wort oder wenigstens ein Lächeln für mich übrig und darum hatte ich auch das Gefühl, als wäre ich ihr das einfach schuldig." Er lächelte traurig. "Zaphykel war völlig verängstigt und verwirrt und wir erzählten ihm haarsträubende Geschichten und Lügen. Es war ja zu seinem eigenen Schutz, weißt du? keiner hatte bei dem Aufruhr von Lugh Lamfhotas plözlichem Tod an den Kleinen gedacht und ich konnte mich mit ihm ungesehen davonstehlen. Brigit erklärte, sie selbst habe die Blutschande gerächt und ihren Sohn in Danas Schoß geschickt. Danach ging sie freiwillig ins Exil und wurde nie wieder in Hibernia gesehen. Erst Jahre später konnte man Lughs geflohenem Bruder habhaft werden und verbannte auch ihn. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht." Ich senkte den Blick. "Ich schon." Und als er mich groß anblickte, erzählte ich ihm, wie ich den verletzten Elfen in unseren Wäldern gefunden und sein letztes Andenken für seinen Sohn an mich genommen hatte. Vewo nickte. "Das ergibt damit alles einen Sinn. Zaphykel vergaß seine hohe Herkunft und wuchs bei meinen Eltern auf, und die Verräter, die die ganze Sache aufgedeckt hatten, setzten ihr Oberhaupt auf den hibernianischen Thron." Ich starrte finster auf einen imaginären Punkt am Erdboden. "Mikata und ihren Vater." Vewo nickte erneut. "Tja. Sie müssen Brigit irgendwo aufgespürt haben, und als die ersten Unruhen in Murdaigean losgingen, sperrten sie sie dort ein. Denn es hätte ja immer noch mal die Situation kommen können, wo sie sich als wertvolle Geisel entpuppen würde." Ich stand umständlich auf und klopfte mir Moos und Blätter von der Rüstung. "Wenn Zaphykel jetzt etwas zustößt, dann ist es nur meine Schuld. Er fühlte sich mir gegenüber zu Dank verpflichtet, bloß weil ich ihm seinen verdammten Kristall zurückgebracht habe. Und darum hat er Mikata aus freiem Willen belogen. Ich werde Brigit nach Hibernia folgen," fügte ich beinahe beiläufig hinzu. Vewo riss die Augen auf. "Du bist verrückt! nach allem, was du mir erzählt hast, besteht Mikatas einziger Wunsch wohl nur darin, dir eigenhändig den Kopf abzuschlagen." Ich schüttelte nachdrücklich den Kopf. "Mag sein, dass ihr das gefallen würde, aber sie wird es nicht tun, dafür sorgt mein Bruder schon. Außerdem hatte sie schon genug Gelegeheiten dazu. Ich will nicht in dem Wissen von hier fliehen, dass jemand meinetwegen den Tod findet." Vewo schwieg ratlos, ehe er hervorstieß: "Hätte ich das gewusst, ich hätt' meinen Mund gehalten. Erst schaffe ich es nicht, Brigit aufzuhalten, und nun willst du dich auch noch in ein völlig irrsinniges Abenteuer stürzen. Du hast jetzt nach all der Zeit die Chance, nach Hause zu kommen. Nutze sie und sei nicht so eine gedankenlose Närrin!" ich maß ihn mit einem abschätzenden Blick und seufzte tief. "Ich will ja auch nach Hause, Vewo, ich will es wirklich. Aber...ich kann nicht." Der Berserker hatte die Stirn in tiefe Falten gezogen und seufzte erneut, diesmal sehr tief. "Ach zur Hölle damit, ich kann dich ja verstehen. Doch um diesen Irrsinn mit wenigstens dem Hauch einer Chance anzugehen, brauchen wir Brigit." Ich runzelte die Stirn: "Aber du hast doch eben noch gesagt, dass..." ruppig fiel er mir ins Wort: "Das weiß ich. Aber was meinst du, was passiert wenn zwei Midgarder in Hibernia einfallen und..." er unterbrach sich ungeduldig. "Das können wir vergessen." Ehe ich antwortem konnte, wehte aus unserem Lager ein lauter Schrei zu uns herüber: "Die Rebellen! wir werden angegriffen!" Vewo sprang so heftig auf, dass seine Schulter über den Baumstamm schrammte und ein paar kleinere Zweige losriss. "Die Rebellen? jetzt schon?" fragte ich halb entsetzt, halb zornig. Umso besser, zischte eine Stimme in meinem Inneren. Mit etwas Glück würde Mikata dabei sein. Und dann... ich knirschte mit den Zähnen und schloss die Rechte um den Schaft meiner Axt. Mit sturmumwölkten Gesicht folgte ich Vewo, der im Laufschritt unser Lager ansteuerte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)