Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 30: Der Kampf um ein Ich -------------------------------- Noch immer jagte die Erinnerung an ihre Tänze mit Allen Siri einen Schauer durch sämtliche Glieder. Beide saßen wieder Seite an Seite in der offenen Kusche und befanden sich auf dem Heimweg. Lampen beleuchteten die vor ihnen liegende Straße mit mattem Licht, während die engen Gassen zwischen zwei benachbarten Häusern in tiefer Dunkelheit versanken und die über dem ganzen, wolkenlosen Himmel verteilten Sterne strahlten. Allen bemerkte das leichte Zittern von Siris Gliedern. „Ist dir kalt?“, fragte er fürsorglich. Siri musste sich anstrengen nicht zu lachen. Ihr Herz klopfte wie wild, in ihrem Bauch tanzten Schmetterlinge Tango, ihr Blut stieg ihr zu Kopf und wollte nicht mehr runterkommen. Wie konnte er sie da fragen, ob ihr kalt wäre? „Nein, mir geht’s gut…ich meine, mir ist nicht kalt.“, stotterte Siri und strich sich verlegen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Jedenfalls versuchte sie es, doch ihr Haar war zu kurz und blieb daher nicht hinter ihrem Ohr hängen. Plötzlich fiel ihr wieder ein, dass sie durch den Räuberüberfall auf den Konvoi ein beträchtliches Maß an Länge ihrer Haare verloren hatte, woraufhin ihr vor Verlegenheit noch mehr Blut in den Kopf schoss. Ob Allen sie deswegen nicht mehr mochte? Siri bekam auf einmal Angst, sie könnte ihn verlieren und griff instinktiv nach seiner Hand. Ehe sich beide berühren konnten, zog Allen seine Hand zurück und richtete seinen Blick auf Straße. Nur mit Mühe drängte Siri ihre Tränen zurück. „Ich habe mein Versprechen gehalten und dir Zugang zur höchsten Stelle des Kopfgeldjägernetzwerkes verschafft. Was wirst du jetzt tun?“, fragte Allen kühl. Allens Ton trieb einen weiteren Keil in Siris Herz, doch sie nahm sich zusammen. „Ich muss feststellen, ob Hitomi nun hier in Palas festgehalten wird oder nicht.“ „Wie willst du das anstellen?“ „Ich bitte Lord Trias um eine kleine Führung durch die Geschäftsstellen der Kopfgeldjäger. Ich werde ihm erzählen, dass ich mich besonders für die Buchhaltungen interessiere.“, erklärte sie. „Was soll dir diese Führung nutzen? Die werden wohl kaum eine offizielle Mitteilung in ihren Räumen ausgehängt haben.“, zweifelte Allen. „Natürlich nicht, Meister. Dennoch sollte die Führung mir das notwendige Wissen über die Räumlichkeiten vermitteln, um dort einzubrechen und die Akten einzusehen. Sollte Trias tatsächlich Merle angeheuert haben um Hitomi zu entführen, sollte der in diesem Fall zweifellos erfolgte Geldtransfer in den Akten verzeichnet sein.“ „Weißt du überhaupt, wie viele Akten die dort liegen haben? Man braucht Tage, um alles zu durchsuchen.“ „Falls die Buchhalter gute Arbeit geleistet haben, brauche ich etwa eine halbe Stunde, um mir verdächtige Bewegungen zu notieren. Inzwischen glaube ich jedoch nicht mehr, dass ich etwas finden werde.“ „Du meinst wegen des offiziellen Kopfgeldes.“ „Ja, Meister. Da auf Hitomi ein offizieller Haftbefehl erlassen worden ist, gäbe es für die Kopfgeldjäger keinen Grund mehr ihre Gefangenschaft zu verheimlichen.“, bestätigte sie. „Warum willst du dort überhaupt noch einbrechen?“, fragte Allen „Weil ich mich vergewissern muss.“, antwortete Siri. „Erst dann kann ich König Van Bericht erstatten.“ „Du gehst zurück nach Farnelia?“, wunderte sich Allen. „Ich komme selbstverständlich so schnell wie möglich wieder, Meister.“, beruhigte Siri ihn, während ihr Herz vor Freude sprang. Dann bemerkte sie eine Bewegung im Schatten einer Gasse links vor ihr. „Meister, ich glaube, wir werden verfolgt.“, flüsterte sie ihm aufgeregt zu. „Der Kerl folgt uns schon seit zehn Minuten. Schön, dass es dir auch endlich auffällt.“, wies er sie zurecht. „Verzeiht, Meister. Was machen wir mit ihm?“ „Viel interessanter finde ich die Frage: Warum setzt man jemanden auf uns an? Wo meine Villa steht, ist allgemein bekannt.“ Plötzlich hörte Siri ein lautes Klicken und es schien ihr, als wolle der Verfolger Allens Frage beantworten. Vor den Augen von Allen und Siri durchbohrte ein Bolzen den Hals des Kutschenführers und lies ihn auf seinen Sitz zusammenbrechen. „Runter!“, schrie Allen und drückte Siris Kopf auf ihren Schoß. Siri suchte mit ihrer rechten Hand verzweifelt nach dem Dolch an ihrem Oberschenkel, während sich die linke an ihrem Kleid festkrallte. Obwohl ihre Augen fest verschlossen waren, sah sie den Kutscher immer wieder vor sich sterben und fing an zu wimmern. Ganz unvermittelt verschwand der Druck von Allens Hand und sie konnte ihren Oberkörper aufrichten. Inzwischen bekam sie ihren Dolch auch in die Finger und fühlte sich daher etwas sicherer. Mit Schrecken erkannte sie, dass Allen sich mitten in einem Schwertduell vor der Kutsche mit dem vermummten Angreifer befand und es ganz und gar nicht gut für ihn aussah. Nur mühsam wehrte sich ihr Meister gegen die geschickten und sehr schnellen Attacken seines Gegners. Immer wieder parierte er die Schläge, wurde dabei jedoch stetig zurückgedrängt und kam selbst zu keinen einzigen Schwerthieb. Siri wollte sich schon in den Kampf stürzen, erinnerte sich dann jedoch daran, dass sie mit ihrem Kleid unmöglich kämpfen konnte. Mit beinahe unerträglicher Hilflosigkeit verfolgte sie das Duell, bei dem der Ritter weiter an Boden verlor. Schließlich gelang es dem Angreifer Allens Schwert mit einem kräftigen Hieb zur Seite zu schlagen und so für eine Sekunde seine Deckung zu entblößen. Diese Lücke nutzte er sofort und preschte in ihn hinein. Mit voller Wucht traf sein Knie Allens Bauch, woraufhin dieser zusammensackte. Offenbar damit zufrieden, seinen Gegner nur ohnmächtig geschlagen zu haben, ließ der Angreifer von ihm ab und kam mit betont langsamen Schritten auf Siri zu. Trotz des Kleides ging sie auf der Kutsche in eine Kampfstellung und wartete verängstigt auf den bevorstehenden Angriff. Eine Flucht erschien ihr sinnlos. „Komm nicht näher! Ich weiß mich zu verteidigen.“, drohte sie dem Angreifer verzweifelt. „Ach ja? Weißt du es denn besser als dein Meister?“, spottete die vermummte Gestalt und wies auf Allens leblosen Körper. Siri erschrak. Sie kannte die Stimme des Angreifers. Plötzlich überbrückte dieser die letzten sechs Meter zwischen den beiden mit einem einzigen Sprung aus dem Stand und ehe Siri auch nur zucken konnte, spürte sie seinen eisigen Atem auf ihrer Stirn. Mit ihrem letzten funken Kampfeswillen trieb sie ihre Klinge seinen Rippen entgegen. Blitzschnell ergriff seine linke Hand ihre rechte am Gelenk und hielt sie mit einem stahlharten Griff fest. Dann drückte er so fest zu, dass Siri ihren Dolch vor lauter Schmerzen und unter lautem Geschrei losließ. Die Klinge Grub sich in das Holz des Kutschenbodens unter ihren Füßen. „Schon viel besser, meinst du nicht auch?“, hauchte der Angreifer ihr ins Ohr und leckte an ihrem Hals. „Verzieh dich, Perverser!“, fuhr Siri ihn angewidert an und versuchte sich aus seinem Griff zu winden. „Du gehörst mir!“, flüsterte dieser amüsiert und biss sie zwischen Hals und Nacken. Sie schrie noch lauter auf als zuvor, während seine oberen Eckzähne durch ihre Haut stießen und das Blut aus den beiden Wunden hervorquoll. Gerade spürte sie noch, wie etwas in ihrem Kopf hämmerte, dann fiel auch sie in tiefe Dunkelheit. „Nein!“, kreischte Hitomi verzweifelt, woraufhin Merle sofort vom Cockpit aus in Hitomis dunkle Koje stürmte und sie dort schweißgebadet, schwer atmend und aufrecht auf ihrer Liege sitzend vorfand. In Hitomis Gesicht spiegelte sich blanke Angst, ihre Augen waren weit aufgerissen und ihre Finger gruben sich in den Stoff der Decke. Aufs Äußerste besorgt stürzte Merle auf sie zu und packte sie an ihren Schultern. „Was ist los, Hitomi? Sag doch etwas!“, flehte Merle sie an. „Sie kämpft…sie kämpft gegen seinen Einfluss an!“, stammelte Hitomi panisch. „Wer kämpft gegen wen? Von wem sprichst du?“ „Ich weiß es nicht…ich meine, ich habe beide Auren noch nie zuvor gespürt. Doch die eine…die eine kenne ich. Es ist die gleiche…die gleiche, welche ich in den Wolfshöhlen gespürt habe. Sie kämpfen…gegeneinander. Die andere Aura verliert. Sie wird schwächer…immer schwächer.“ Mehr musste Merle nicht hören um zu wissen, was mit ihr los war. Einfühlsam drückte sie Hitomi an sich, umarmte sie und flüsterte ihr ermutigende Worte ins Ohr. Erst fing Hitomi an zu wimmern. Nachdem Merle ihr gesagt hatte, dass sie alles rauslassen sollte, floss ein stetiger Strom aus Tränen aus ihren Augen. Nach einer halben Stunde hatte sie sich beruhigt und wandte sich aus Merles fester Umarmung. „Danke, Merle, mir geht es wieder besser.“, schniefte sie. „Danach siehst du mir aber nicht aus. Leg dich wieder hin! Ich bring dir erst einmal eine heiße Tasse Tee und werde deine Wache übernehmen.“ „Nein, Merle, bitte nicht. Lass mich für den Rest der Nacht Wache schieben! Ich kann sowieso nicht mehr schlafen. Gerade du musst morgen während dem Treffen mit Cid wach sein. Es könnte eine Falle sein.“, bat Hitomi. „Es ist keine Falle. Mein Kontaktmann in der Hauptstadt von Fraid ist vertrauenswürdig. Ich konnte keine Spur von Verrat in seiner Aura erkennen, als ich ihn heute traf.“ „Bitte Merle, lass mich ausnahmsweise Mal dir einen Gefallen tun.“ „In Ordnung.“, erwiderte Merle seufzend. „Ich stelle den Tee ins Cockpit und begebe mich dann ins Bett. Aber wehe du schläfst während der Wache ein. Das Schiff ist zwar getarnt, aber ein technischer Fehler lässt sich nie ausschließen.“ „Das weiß ich.“ Mühsam verließ Hitomi ihre Liege und stellte sich demonstrativ aufrecht hin. „Siehst du? Ich bin hellwach.“, behauptete sie. Merle konnte sich einen skeptischen Gesichtsausdruck nicht verkneifen, nickte dann aber und verließ Hitomis Koje. Hitomi sank zurück auf die Liege und versuchte zu vergessen, was sie eben gefühlt hatte und noch immer fühlte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)