Stumme Rufe von jikaku ================================================================================ Kapitel 4: Hass --------------- „Wissen Sie was? Ich hasse Sie!“, schreie ich meinen Mathelehrer an. Dieser sieht mich zuerst entsetzt an, doch dann warnt er mich: „Thomas, du solltest aufpassen, was du sagst.“ Ich werfe ihm noch einen Blick zu, der ihn töten könnte – aber leider nicht in der Wirklichkeit – und mache mich derart wutentbrannt auf den Weg nach Hause. Alle, die sich auf dem Gang befinden, starren mich an. Die denken sich jetzt wahrscheinlich: `Was nimmt der sich denn raus?΄ Vielleicht stimmen mir sogar einige zu. Zuhause angekommen, schmeiße ich die Schultasche in die Ecke meines Zimmers und plautze mich auf´s Sofa. Irgendwie hab´ ich´s echt satt. Als ich ihn schon vor vier Jahren sah, war er mir total unsympathisch. Und dann hatte ich ihn auch noch in Mathe bekommen, dem Fach, welches mir am wenigsten liegt! Von der ersten Unterrichtsstunde an merkte ich, dass mich der Lehrer nicht riechen konnte. Andauernd hat er mich für irgendwelche Lappalien vor der Klasse runter gemacht. Ich meine, ich habe mich anfangs ja noch bemüht, in Mathe besser zu werden, doch irgendwann hatte ich die Nase gestrichen voll. Inzwischen ertrage ich ihn schon vier lange Jahre. ... Ich weiß noch, wie er mir in einer Arbeit, die ich ausnahmsweise recht gut hinbekommen habe, eine fünf gegeben hat. Als ich die Arbeit mit der Arbeit meines Freundes verglich, merkte ich, dass ich in Wahrheit eine drei bekommen hätte. Natürlich bin ich zu ihm vorgegangen, doch er meinte nur, dass er nichts mehr ändern würde, da gäbe es sowieso keine Möglichkeiten einen Fehler bei der Korrektur zu machen. Daraufhin meinte ich, ich würde zum Direktor gehen. Doch der Lehrer meinte nur, dieser könnte mir eh nicht helfen und er wird es auch nicht, schließlich ist er selbst ein guter Freund des Direktors. Was blieb mir also anderes übrig, als klein beizugeben? Dieses Ereignis ist schon über zwei Jahre her. Zu dieser Zeit dachte ich nur, ich darf mich auf keinen Fall gegen einen Lehrer auflehnen. Nun, dass ich es an diesem Tag gewagt habe, zu protestieren, war sozusagen mein Untergang. Irgendwie schaffte der Lehrer es, die Geschichte solcherart umzudrehen, dass mich bald keiner mehr leiden konnte. Selbst mein bester Freund wollte nicht mehr mit mir reden, weil er Angst hatte, es würden ihn alle ignorieren. Ja, dass hätten sie. Seitdem bin ich alleine. Seitdem bin ich der Abschaum der Schule. ... Unglaublich, wie brutal wir Menschen zu unseren Mitmenschen sein können. Ja, es tat und tut noch immer weh. Nie werde ich diesen Mann, der mir das Leben versaut hat, vergessen. Ich meine, wenn ich wenigstens meinen Abschluss schaffen würde! Aber dank dieses Mannes kann ich mir das abschwatzen. Nie und nimmer werde ich die Prüfung bestehen, selbst wenn ich wie ein Irrer büffeln würde. ... Ich hasse ihn. Inzwischen bin ich nicht mehr auf dem Sofa; ich stehe nun vor meinem Schrank, in dem ich alle möglichen Dinge untergebracht habe. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich etwas aus diesem Schrank herausgenommen habe: eine Pistole. Als ich vor fast sechs Jahren mit meinem damaligen Freund durch die Gassen der Großstadt ging, gerieten wir in einen Kampf zwischen zwei Banden. Meinen Freund traf eine Kugel; ich griff mir die Pistole eines Toten und konnte mit ein paar Verletzungen fliehen. Diese Pistole habe ich in meinem Schrank aufbewahrt. Keiner außer mir weiß davon. Ich schaue, ob noch Munition drin ist. Ja, sogar noch drei Stück. Ich könnte auf einem abgeschiedenen Fleck probieren, ob sie noch geht. Dann hätte ich noch zwei Kugeln. Die reichen, um ihn zu umzulegen. Gleich am nächsten Tag mache ich mich auf den Weg. Da ich genau weiß, wo ich die Pistole prüfen kann, befinde ich mich bald auf einem weiten Feld. Halb im Gebüsch versteckt – man weiß ja nie, wer hier was zu suchen hat – schieße ich einmal. Es klappt also. Irgendwie unglaublich. Auf einmal steht ein Mädchen vor mir. „Mach´ das nicht.“, bittet sie mich. „Das geht dich doch überhaupt nichts an. Verschwinde und lass mich in Ruhe.“ Sie lächelt. Wie ein Engel. „Ich werde nicht gehen, solange du nicht von deinem Vorhaben absiehst.“ Habe ich mich gerade verhört? Nun schaut sie mich flehend an. „Bitte, lass mich dir helfen. Du denkst, dein Leben sei bereits verwirkt, aber wenn du mal mit deinen Eltern reden würdest, könntest du doch die Schule wechseln und dort für deinen Abschluss kämpfen. Hast du etwa Angst, es könnte genau das Gleiche wie an deiner jetzigen Schule passieren?“ Sie schüttelt den Kopf. „Es wird nicht noch einmal geschehen, glaub´ mir. Siehst du, wenn du den Lehrer erschießt, ist dein Leben auf jeden Fall verwirkt. Wenn du es jedoch nicht machst, hast du noch eine Chance, wenn nicht sogar mehrere.“ Die Erkenntnis, dass noch nicht alles vorbei ist, nimmt mir die Wand, die die ganze Zeit um mich stand, weg. Ich senke meinen Kopf. „Danke.“ Als ich wieder nach oben schaue, ist das Mädchen weg. Ich trete aus dem Gebüsch heraus – ich seh´ sie immer noch nicht. Aber wo kann sie sein? Sie kann doch nicht einfach so plötzlich verschwinden? Oder war sie etwa ein Engel? Nun ja, mit ihren langen, blonden Haaren und ihren strahlend blauen Augen sieht sie tatsächlich wie einer aus. Von meinem Vorhaben abgebracht, gehe ich zu Fuß nach Hause. Nun beginne ich ein neues Leben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)