Schuld und Strafe von Jerra ================================================================================ Schuld und Strafe ----------------- Als man sie zu ihm brachte, stand er ihr voller Abscheu gegenüber. Ihr offenes Gesicht, ihr neutraler Blick, ihre helle Haut – all das zeigte keine Anzeichen von der Sünde, die sie begangen hatte. Er selbst war es gewesen, der sie aufgelesen und unter dringenden Tatverdacht gestellt hatte. An ihren Händen klebte Blut, da war er sich sicher, aber gestanden hatte sie es nicht. „Danke, Ihr könnt jetzt gehen.“ „Seid Ihr euch sicher? Sollen wir die Fesseln nicht lieber wieder anlegen? Immerhin soll das Miststück den Mann mit bloßen Händen- “ „Danke. Ihr könnt jetzt gehen“, wiederholte er mit kühlem Blick und führte dabei, um der Tatsache Nachdruck zu verleihen, dass er offensichtlich im Stande war, sich ausreichend gegen das „Miststück“ zur Wehr setzen zu können, die Hand zum Griff seines Schwertes, das in seiner Scheide am Gürtel um seine Hüften ruhte. „Natürlich, Meister.“ Eine Verbeugung andeutend machten die beiden Wachen ein paar Schritte rückwärts und verließen den Raum. „Habt Ihr die Tat begangen?“, richtete er sich in einem Ton an sie, der sich offensichtlich um Höflichkeit bemühte, aber kein Schweigen als Antwort duldete. Das wenige Licht, das die dichte Wolkendecke reflektierte und in das hohe Zimmer warf, hinterließ einen matten Schein auf seinem schwarzen Mantel. Seine strengen, dunklen Augen waren direkt auf die ihren gerichtet und sie musste den Kopf ein ganzes Stück heben, um seinen Blick erwidern zu können. „Wie kommt Ihr zu der Annahme?“, antwortete sie mit ruhiger, gefasster Stimme. Nichts von der Scheu, die er bei ihr erwartet hatte, lag darin. Auch kein Trotz zeigte sich in ihrem Blick, wie er ihn von so vielen Angeklagten kannte. Ihre Lippen umspielte ein kleines Lächeln. „Zeugen haben Euch, kurz bevor die Tat stattgefunden haben muss, am besagten Ort gesehen. Außerdem fehlte von Euch tagelang jede Spur, was Euch nur mehr unter Verdacht bringt. Alle mit denen ich sprach, hegen keinen Zweifel an Eurer Schuld“, versetzte er. „Könnt Ihr sie denn beweisen?“ Ihre hellen Augen blickten zu ihm auf wie die einer Mutter, die ihrem Sohn mit sachter Stimme einen weisen Ratschlag erteilte. Die Antwort schwang darin bereits mit – und das ärgerte ihn. Er hatte schon ganz andere Verbrecher geständig gemacht und dabei nie auf das Mittel der Folter zurückgreifen müssen, was ihn im Stillen sehr stolz machte. Normalerweise genügte seine respekteinflößende Gestalt, seine entwaffnende Verhörtechnik und die erdrückende Beweislast, zu deren Erstellung er oft einen großen Teil selbst beitrug, um sein Gegenüber die Wahrheit sprechen zu lassen. So war er im ganzen Reich zu einem Symbol der Gerechtigkeit geworden und genoss beim Volk großes Ansehen. Wollte ein hoher Herr einen vermeintlichen Verbrecher ohne ausreichend Beweise verurteilt sehen, beauftragte er normalerweise einen anderen Richter. „Das ist nur eine Frage der Zeit“, war seine knappe Antwort. Seine zwischenzeitlich von ersten Zweifeln aufgelockerte Miene war nun wieder gefestigt und mit einem kurzen Rucken seines Kopfes gebot er ihr zu folgen. Wenige Tage hatte sie bereits in der kleinen, spartanisch eingerichteten Kammer verbracht, die an die Wohnung des Richters angrenzte und zur vorübergehenden Unterbringung verdächtiger, aber wenig gefährlicher Individuen diente, mit deren Fall der Meister sich befasste. Da bat er sie erneut zu sich in sein geräumiges, bis unter die Decke mit Büchern angefülltes Arbeitszimmer, durch dessen hohes Fenster genug helles Tageslicht drang, um sie blinzeln zu lassen. Eben hatte sie sich zaghaft auf die Kante eines Stuhles niederzusetzen gewagt, da ließ er mit großem Schwung einen Stapel lose gebundener Papiere auf den Tisch vor ihr fallen, dass sie der Knall wieder aufschrecken ließ. „Nun... ich habe es gewusst!“, eröffnete er. In seinen triumphierenden Augen funkelte Kälte. Seine Hand schnellte mit einem erneuten Knall auf die Akten herab. „Ihr seid bereits in der Vergangenheit mit Aktivitäten in Verbindung mit einer Untergrundorganisation aufgefallen, die den Staat veruntreuenden Gedankengehalt verbreitet.“ Schwungvoll schlug er eine der Seiten auf und deutete mit dem Finger auf das Geschriebene: „Da habt Ihr eure Beweise.“ Von seinem Enthusiasmus zunächst beeindruckt, fing sie sich schnell wieder und setzte ihre übliche, gelassen-freundliche Miene auf. Sie nahm Platz und sprach: „Ich gebe zu, da habt Ihr Recht. Ich stand noch bis zu dem Zeitpunkt, da ihr mich fandet und in Gewahrsam nehmen ließet mit dieser Gruppe in Verbindung. Ich schäme mich weder meiner Überzeugung, noch leugne ich meine Zugehörigkeit zu diesen Menschen.“ Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Doch was hat das mit der Tat zu tun?“ Er konnte es nicht verhindern, dass sich seine Augen für einen kurzen Moment vor Überraschung weiteten. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihre Zugehörigkeit zu jener Organisation so offenkundig zugeben würde, immerhin wäre dies bereits ein Grund, sie hinter Schloss und Riegel zu bringen. Eher hatte er darauf spekuliert, sie seine Vorwürfe abstreiten und sich in Widersprüchen verwickeln zu sehen, bis sie schließlich von selbst gestand. „Ich könnte Euch für dieses Geständnis verhaften lassen, das wisst ihr.“ „Das ist mir bewusst. Aber alles ist besser, als wegen einer Tat, die ich nicht begangen habe, aufgehangen zu werden.“ Und sie fügte lächelnd hinzu: „Ich lüge nicht.“ In den folgenden Tagen war er viel unterwegs, hörte sich um, besichtigte den Tatort wieder und wieder und sprach mit den Hinterbliebenen des Opfers, die die Angeklagte anscheinend noch nie in ihrem Leben gesehen hatten. Es war nicht so, dass seine bisherigen Indizien nicht ausgereicht hätten, um sie aburteilen zu können. Das Recht war in diesem Staat ein sehr biegbarer Begriff. Wozu also betrieb er den ganzen Zirkus? Seiner Meinung nach lehnte sie sich sowieso sehr weit aus dem Fenster. Entweder hatte sie vollkommen resigniert oder sie war tatsächlich unschuldig. Doch selbst wenn letzteres der Fall wäre, könnte er sie dennoch mit einem Fingerschnippen hinrichten lassen. Ihr Leben lag in seiner Hand und offensichtlich vertraute sie darauf, dass er die Wahrheit ans Licht bringen würde. Und vielleicht war gerade das es, was ihn weitersuchen ließ. Wie konnte ein Mensch nur eine solche Gräueltat vollbringen? Nicht, dass er ihr Werk jemals gut geheißen hätte, aber der sauberen Art, wie Auftragsmörder ihre „Arbeit“ verrichteten, war im Vergleich zu der Unmenschlichkeit, mit der jene andere Tat begangen worden war, Achtung entgegenzubringen. Das kühle Holz, gegen das er seine heiße Stirn lehnte, tat gut. Obwohl es ihm nicht so vorgekommen war, hatten die Anstrengungen der letzten Wochen offensichtlich ihre Spuren hinterlassen. Etwas hatte in ihm zu arbeiten begonnen. Jetzt stand er hier und hatte ihr eigentlich nur ein Abendbrot vorbeibringen wollen, dann aber unbewusst innegehalten und durch das kleine Fenster in der Tür einen Blick auf seinen Gast geworfen. In einem einfachen, halblangen Leinenkleid, das trotz des langen Aufenthalts in der kleinen Kammer und der spärlichen Beleuchtung immer noch weiß schimmerte, stand sie am winzigen Fenster ihres Gefängnisses, den Blick in die blaue Dämmerung gerichtet. Konnte ein Mensch wie sie eine solche Gräueltat vollbringen? Ihre bisherigen Aussagen, ihr Verhalten, ihre ganze Erscheinung... das alles sprach für ihn von Unschuld. Ihre zierliche Gestalt, die kurzen, hell schimmernden Haare, ihr Rücken, ihr- Was für ein Spiel trieb sie mit ihm...? Ihm war heiß. Sie freute sich immer auf seine Besuche zu den Mahlzeiten, auch wenn diese nur aus dem kurzem Moment der Übergabe und üblicherweise einem strengen Blick seinerseits bestanden. Er musste ihn lange geübt haben, so gut wie er ihn auf Anhieb beherrschte. Sie mochte auch die kleine Kammer, in der man sich heimischer fühlen konnte, als es einem Außenstehenden erscheinen mochte. Aber vor allem fühlte sie sich hier sicher. Beim leisesten Geräusch, den der Schlüssel im Schloss verursachte, drehte sie sich um und ging ihm mit langsamen Schritten entgegen. Sein Blick erschien ihr undurchsichtig wie nie und doch von einer einfachen Klarheit. Lächelnd nahm sie ihm das Tablett ab. Jetzt würde er ihr gleich in einem steifen Tonfall einen „Guten Appetit“ wünschen und sie würde sich wie immer über seine bemühte Höflichkeit amüsieren. Aber nichts geschah, er schien eingefroren. Sein langes, dunkles Haar hing in wilden Strähnen um sein Gesicht und seine Haltung hatte an Form verloren. Er, der sonst immer so auf Ordnung und einen aufrechten Gang bedacht war, schien alles andere als aufgeräumt. Sie stellte das Tablett beiseite, machte einen Schritt auf ihn zu und fragte mit besorgtem Gesichtsausdruck: „Ist Euch nicht wohl?“ Noch ehe er etwas erwidern konnte befand sich ihre rechte Hand bereits an seiner Wange: „Ihr glüht ja!“ Erschrocken und wie aus seiner Starre erwachend packte er ihr rechtes Handgelenk heftig und zog ihre Hand beiseite, um sich neuen Abstand zu verschaffen. „Lasst nur, ich kümmere mich darum!“, versetzte er sie wirsch, um die Kontrolle wiederzuerlangen. Aber dafür war es bereits zu spät. Als sie zwei Schritte tat klang das Rascheln ihres Kleides in seinen Ohren wider, kurz bevor sich ihre Lippen berührten. „Hast du die Tat begangen?“ Er war nach unten gegangen, um ihnen beiden Getränke zu holen. Auf dem Rückweg hatte er inne gehalten, als sein Schreibtisch mit den sich in den letzten Wochen angesammelten Akten seinen Blick auf sich gezogen hatte. So viel Gleichgültigkeit, wie er auch in seine Stimme zu legen versuchte, er setzte seine ganzen Hoffnungen in diese Frage. Strafe. Sie lag da, auf seinem Bett, oben am hohen Fenster. Der Regen warf blaue Schatten auf ihre weiße Haut, die heller schimmerte als je zuvor. Erschöpft ruhten ihre Glieder auf den weißen Laken. Ihr Blick reichte zum Himmel. Schuld. Strafe. Und er war die Gerechtigkeit. „Ja.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)