Die Kraft der Elemente von ladynin ================================================================================ Kapitel 3: Das weiße Orakel --------------------------- Seit über einen Monat reisten die fünf nach Süden, ins Land der tausend Lichter, wo sich der Berg der Hoffnung befand. Sie wollten das weiße Orakel finden, das ihnen Antworten auf ihre vielen Fragen geben würde, so wie es der Dorfälteste gesagt hatte. Seit dem Vorfall in Chizus und Kiyoshis Dorf hatten sie keine Dämonen mehr gesehen. Ihre Reise verlief verdächtig ruhig. Doch das sollte sich bald ändern. Es war noch früh am Morgen und die Sonne strahlte noch nicht sehr warm. Zitternd hatte Chizu ihren Umhang fester um sich gezogen, als sie versuchte das ausgegangene Lagerfeuer neu zu entfachen. Fluchend warf sie die Feuersteine von sich, als sich auch nach dem bestimmt hundersten Mal noch immer nichts tat. Plötzlich schoss wie aus dem Nichts ein Feuerball hervor und schlug in einen nahe gelegenen Busch ein, der sofort Feuer fing. Erschrocken sprang das Mädchen auf und schlug die Hände vor den Mund. Wie hatte das passieren können? Ungläubig starrte sie auf die Flammen. Erst jetzt reagierte sie – und schrie auf. Sofort schraken die übrigen vier aus dem Schlaf auf. Kiyoshi war zuerst auf den Beinen und lief zu seiner Schwester. „Chizu, was ist passiert, warum schreist du so?“ Anstelle einer Antwort zeigte das Mädchen auf den brennenden Busch. Kiyoshi traute seinen Augen nicht. Woher kam plötzlich das Feuer? „Ich hab versucht das Lagerfeuer zu entfachen, aber es ging einfach nicht! Und plötzlich war da ein riesiger Feuerball, der einfach auf den Busch zuflog!“, erklärte sie. „Ist dir etwas passiert?“, fragte Taro besorgt. Chizu schüttelte den Kopf. „Steht hier nicht so herum, wir müssen das Feuer löschen!“, rief Yukiko und griff nach den Wasserflaschen. Endlich reagierten auch die anderen und gemeinsam hatten sie das Feuer schnell gelöscht. Erschöpft ließen sie sich ins Gras sinken. „Woher kam bloß das Feuer?“, fragte Ayumi verwirrt. Doch keiner konnte ihr eine Antwort geben. So starrten sie stumm vor sich hin, bis Yukiko das Schweigen durchbrach: „Wir sollten bald aufbrechen. Ich hoffe, das weiße Orakel wird uns Antworten geben.“ „Du hast Recht. Wenn wir gleich aufbrechen, können wir es vielleicht noch heute Abend erreichen!“, meinte auch Kiyoshi. „Schon wieder so weit laufen!“, stöhnte Chizu, worauf sie einen genervten Blick von Ayumi erntete. Doch alle waren mit dem Vorschlag einverstanden, schließlich wollte jeder von ihnen gerne wissen, was genau es mit ihrer „Mission“ auf sich hatte, denn noch immer wussten sie nicht mehr als am Tag, an dem sie aufgebrochen waren. Es dämmerte bereits, als sie einen einsamen Berg ausmachen konnten. Er schien nicht sonderlich hoch zu sein, aber den Gipfel würden sie unmöglich noch heute erreichen können. „Heute schaffen wir es nicht mehr bis ganz nach oben“, stellte Yukiko fest. „Ich kann so und so nicht mehr weiter laufen!“, stöhnte Chizu, ließ sich auf einen Stein nieder und rieb ihre schmerzenden Beine. „Schlagen wir hier unser Lager auf“, schlug Taro vor. Niemand hatte etwas dagegen, schließlich war es schon spät und alle waren müde von dem langen Marsch. „Ich gehe Feuerholz sammeln“, verkündete Yukiko, wie sie es fast jeden Abend tat. Weite Strecken zu laufen machte ihr kaum etwas aus, was alle immer wieder bewunderten. „Ich helfe dir“, sagte Kiyoshi und stand auf. Obwohl Kiyoshi oft an seine verstorbene Frau Hina dachte und sie schrecklich vermisste, genoss er die Zeit mit Yukiko. Oft half er ihr beim Feuerholz sammeln und freute sich auf diese gemeinsame Aktivität. Er wusste, dass er in ihr eine Freundin gefunden hatte. „Du bist aber auch wirklich für alles zu blöd!“, rief Taro Ayumi zu, die gerade wieder aus dem Wald zurückgekommen war. Sie hatte sich entschlossen, etwas zu Essen zu fangen, denn in dieser Gegend gab es außergewöhnlich viele Tiere. Außerdem wollte sie nicht im Lager bei Taro und Chizu bleiben, die eng nebeneinander saßen und sich über Chizus Vergangenheit als angehende Priesterin unterhielten. Nun stand sie vor den beiden, in der einen Hand hielt sie ein fedriges Tierchen, das sie mühevoll gefangen und eigenhändig getötet hatte. Warum bei den Göttern schrie Taro sie also so an? „Das ist ein Omonagi, Ayumi!“, meinte Taro vorwurfsvoll. „Na und? Es war ganz alleine und ganz einfach zu fangen, außerdem ist es viel größer als die Tiere, die du immer fängst! Davon werden wir ausnahmsweise alle satt!“ „Ich werde das bestimmt nicht essen“, lachte Taro. „Ach, und kannst du mir auch sagen warum nicht?“, presste Ayumi trotzig hervor. Das tat er doch bloß um sie zu ärgern! „Weil Omonagis giftig sind...“ Schlagartig lief Ayumi rot an. Überall liefen die verschiedensten Tiere herum, die sie in den letzten Tagen bereits gegessen hatten, aber sie erwischte natürlich ausgerechnet ein Giftiges! Schnell drehte sie sich um und ging zu ihrem Schlafplatz. Am liebsten wäre sie im Boden versunken, aber sie konnte doch auch nichts dafür, dass sie noch nie von Omonagis gehört hatte! Schnell warf sie einen Blick zu Taro und Chizu, die sich vor Lachen kaum halten konnten. „Die amüsieren sich ja prächtig über mich“, dachte Ayumi frustriert und schlang die Arme um die Beine. „Und du bist nicht verheiratet, Yukiko?“, fragte Kiyoshi, während er sich nach einem Stück Holz bückte. „Meine Hochzeit stand kurz bevor, aber dann...“ Ihre Stimme stockte. „Schon gut“, meinte Kiyoshi verständnisvoll, „ich weiß, was du sagen willst.“ „Ich habe ihn kaum gekannt, aber er wäre sicher ein guter Ehemann gewesen. Ich hatte keine Probleme damit, meine Heirat mit einem mehr oder weniger Fremden zu akzeptieren. Ayumi hingegen glaubt an die große Liebe“, erzählte Yukiko. „Und du glaubst nicht daran?“, fragte Kiyoshi überrascht. Das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht.“ Auch Kiyoshi wurde nachdenklich. „Ich frage mich, ob ich nach Hina jemals wieder jemanden werde lieben können.“ Betrübt schaute er zu Boden. Auch Yukiko wusste nicht, was sie sagen sollte. Stattdessen legte sie ihm eine Hand auf die Schulter, worauf er sich umdrehte, ihre Hand nahm und sagte: „Ich glaube noch immer an die Liebe, du solltest das auch tun.“ Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Yukiko wandte sich ebenfalls lächelnd ab. Vielleicht hatte er Recht. „Wir sollten zurück gehen, bevor Ayumi und Taro sich gegenseitig die Augen auskratzen, genug Holz haben wir jedenfalls“, sagte sie schnell, worauf Kiyoshi sich ein leises Lachen nicht verkneifen konnte. „Dass die beiden auch immer streiten müssen!“ „Ich bin nur froh, dass sie nicht verheiratet sind“, meinte Yukiko, worauf Kiyoshi sie fragend anschaute. Das Mädchen kicherte. „Ach, das weißt du ja gar nicht. Ayumi und Taro hätten heiraten sollen, doch einen Tag vor der Hochzeit wurde unser Dorf zerstört“, erklärte Yukiko. „Und sie hatten sich nicht so gern, dass sie das nachgeholt haben?“, gab Kiyoshi sarkastisch dazu, worauf beide laut auflachten. Als die beiden wieder beim Lager angekommen waren, fanden sie Ayumi schmollend am Schlafplatz und Taro und Chizu ins Gespräch vertieft im Gras sitzend vor. „Was hab ich gesagt, die halten es nicht einmal eine Stunde ohne zu streiten aus“, seufzte Yukiko. Der nächste Tag begann früh für die fünf. Zu groß war die Neugier auf die Antworten des Orakels. Schnell hatten sie ihre Sachen gepackt und machten sich an den Aufstieg des Berges der Hoffnung, der majestätisch aus dem Boden ragte. Der Weg, der nach oben führte, war sehr schmal, an der einen Seite ragte die Felswand hinauf, an der anderen ging es steil nach unten. Keiner wollte riskieren dort hinunter zu fallen, also gingen sie langsam hintereinander her. Allen schlotterten die Knie, als sie hinab schauten, bemühten sich aber, sich nichts anmerken zu lassen. Nur Chizu drückte sich eng an den Felsen und bibberte vor Angst. „Also so eng ist der Weg nun auch wieder nicht“, dachte Ayumi und verdrehte die Augen. Bei Taro hingegen flammten die Beschützerinstinkte auf. Er drängte sich an Ayumi vorbei, die vor ihm ging und trat auf Chizu zu. „Nimm meine Hand, wenn du Angst hast. Ich pass schon auf, dass du nicht fällst“, sagte er hilfsbereit und streckte ihr seine Hand hin, die sie sofort dankbar ergriff. Ayumi warf den beiden einen genervten Blick zu. Das war ja mal wieder typisch für Chizu. „Ich bin ja so ängstlich und muss beschützt werden“, machte Ayumi mit sehr hoher Stimme und schlug sich übertrieben auf das Schlüsselbein. Yukiko schüttelte den Kopf. Ayumi übertrieb wieder einmal maßlos. Es war bereits später Vormittag, als sich vor ihnen plötzlich ein unglaublicher Anblick bot: Fünf riesige weiße Säulen auf schneeweißem Sand bildeten direkt vor ihnen ein überdimensionales Pentagramm. Genau in der Mitte befand sich ein Brunnen, in dem glasklares Wasser völlig still stand. Ehrfürchtig starrten die fünf das Orakel an. Chizu schmiegte sich an Taro. „Ob es gefährlich ist, das Orakel zu befragen?“, flüsterte sie ihm zu. „Klar ist es gefährlich, Orakel fressen immer kleine blonde Mädchen“, meinte Ayumi trocken und ging langsam auf den Brunnen zu. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, als sie schließlich davor stand. Sie winkte die anderen zu sich. Etwas zögerlich setzten die sich in Bewegung und standen schließlich um den Brunnen herum. „Es passiert ja gar nichts“, sagte Ayumi enttäuscht. „Vielleicht muss es irgendwie aktiviert werden“, meinte Kiyoshi und tauchte nachdenklich einen Finger ins Wasser. Plötzlich ertönte ein tiefes Grollen und die Säulen begannen strahlend hell zu leuchten. Erschrocken fuhren die fünf zurück und starrten wie gebannt auf die Wasseroberfläche, die auf einmal Wellen schlug. Sie wurden immer höher und höher, bis sie einen Kreis im Brunnen bildeten. Dazwischen materialisierte sich eine Frau. Alles an ihr war schneeweiß, ihr Haar, ihre Augen, ihr wunderschönes Kleid, sogar ihre Haut, die beinahe durchsichtig erschien. „Seid willkommen! Ohne Zweifel seid ihr die Auserwählten der Elemente“, ertönte ihre warme, melodiöse Stimme, die sie sofort gefangen nahm. Ehrfürchtig starrten die fünf die Frau an. „Elemente?“, fragte Yukiko skeptisch, worauf das Orakel ein leises Lachen ausstieß. „Alles steht in einem empfindlichem Gleichgewicht zueinander. Die Leere und das Sein; Feuer, Wasser, Erde und Luft. Diese Elemente fließen durch euch, sie geben euch viel Macht. Aber seid bedacht, nur gemeinsam seid ihr stark, die Elemente halten sich im Gleichgewicht, ohne dieses Gleichgewicht geraten sie außer Kontrolle.“ „Wie setzen wir sie ein?“, fragte Yukiko. „Die Kräfte sind ein Teil von euch. Sie folgen euren Gefühlen und bald auch eurem Willen!“, war die Antwort. „Warum musste Hina sterben?“, fragte Kiyoshi mit schmerzerfüllter Stimme. Das Orakel schaute ihn ausdruckslos an. „Weil nur diese Wut und dieser Schmerz die Kraft in dir auslösen konnte.“ „Das ist nicht fair“, flüsterte er und ballte die Hände zu Fäusten, aber das Orakel ging nicht weiter darauf ein und wandte sich Taro zu. „Nun, wie lautet deine Frage?“ „Wie finden wir Tsukumo?“ „Folgt der Spur der Dämonen, sie führt euch ins Land der tausend Schatten. Lasst euch von den Elementen leiten!“ Nun drehte sich das Orakel zu Chizu und schaute sie auffordernd an. „Welches Element beherrsche ich?“, presste sie zögernd heraus. Die Ehrfurcht vor dem Orakel raubte ihr fast die Stimme. „Du beherrscht das Feuer!“ „Heißt das, dass dieser Feuerball gestern von mir kam?“, fragte Chizu aufgeregt, doch das Orakel hob gebieterisch die zierliche Hand. „Nur eine Frage sei jedem von euch gewährt!“ „Was? Dann bleibt ja nur noch eine Frage übrig!“, rief Yukiko erschrocken. „Ja und noch dazu die von Ayumi“, stellte Taro fest und verschränkte die Arme vor der Brust. „Frag bloß etwas Sinnvolles!“, sagte Chizu zu Ayumi, doch das Orakel gebot ihr Einhalt. „Sie hat die Frage bereits gewählt. Hier sei nun auch die Antwort: Sie ist näher als du denkst!“ Damit war die Frau verschwunden, die Oberfläche des Wasser war wieder ruhig und auch die Säulen hatten aufgehört zu leuchten. Die fünf schauten sich an. „Das ist ja so aufregend!“, quietschte Chizu, während Yukiko sich Ayumi zuwandte, die abwesend in den Brunnen starrte. „Welche Frage hast du gestellt?“, wollte sie wissen. „Ob ich die große Liebe finde...“, flüsterte Ayumi ihrer Freundin ins Ohr. Sie wollte nicht, dass die anderen ihre Worte mitanhörten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)