Hüter des Windes und der Zeit und des Lebens von june-flower (Wächter der Wüste - Yûuko & Clow) ================================================================================ Wächter der Wüste ----------------- Hüter des Winds und der Zeit und des Lebens Wächter der Wüste Einst erhob sich dort, wo heute nur noch Wind über den Sand regiert, wo nur noch die Sonne erbarmungslos auf den heißen Wüstensand herunter brennt... Einst erhob sich dort ein Tempel. ~***~ Mit einem Seufzer wandte sich der schwarz gekleidete Mann vom Fenster ab. Wie vergänglich Leben doch war... Besonders die Wüste hielt dem Menschen immer und immer wieder die eigene Sterblichkeit vor Augen. Vorausgesetzte, man war ein Mensch, natürlich. 20 Jahre, seit die Hüterin ihren Tempel verlassen hatte... Und schon hatten ihn die Wüstenwinde zurückerobert, schon hatten Sand und Wüstenpflanzen ihn bedeckt und was einst strahlend in der Morgendämmerung geleuchtet hatte, war heute nur noch ein kleiner Schatten in der Wüstensonne. Von seinem Balkon aus hatte der Hüter des Palastes die beste Sicht auf die zwei großen, silbernen Flügel, die noch aus den Dünen herausragten, die einzigen Überbleibsel des einstmals so stolzen Tempels. Trotzdem – als wären sie noch lebendig, so sahen sie aus, als ob sie sich jeden Moment in die Luft erheben und davonfliegen würden, so kamen sie ihm vor. Ein stilles Denkmal inmitten des Wüstensandes. Ein stummer Wächter seit Anbeginn der Zeit. Clow Reed warf einen letzten Blick auf die Ruine. Ohne ihre Hüterin war sie wie tot... Und dennoch voll von Erinnerungen. Ein Tempel, ein Palast. Ein Hüter, eine Hüterin. Alt wie die Wüste, in der sie lebten... Alt wie die Zeit. Seit sie gemeinsam diese Welt erschaffen hatten, hatten sie sie als Refugium benutzt, als ihre Sicherheit, ihren Ort der Stille. Immer wenn Hüter und Hüterin auf dieser Welt weilten, waren sowohl der Palast als auch der Tempel voll von Leben gewesen. Warum der Tempel so zerfallen war, seit seine Herrin weg war? Niemand wusste es, aber Clow hatte einen Verdacht. Vielleicht vermisste der Tempel seine Hüterin ja ebenso... Aber der Palast hatte stillschweigend die Aufgabe des Tempels übernommen und wachte nun allein über die Wüste, wo er früher diese Aufgabe gemeinsam mit dem Tempel erledigt hatte. Und Clow, der Hüter des Palastes, wachte über ebenjenen und auch über die Ruine. Im Stillen wünschten sich beide ebenfalls nur das Eine: der Palast sehnte sich nach der sprühenden Lebensfreude des Tempels, der Hüter sich nach seiner Hüterin. Traurig lächelnd schüttelte Clow den Kopf. So sollte er nicht denken. Seit Menschen begonnen hatten, sich rings um den Palast eine Heimat zu schaffen, war um den Wüstenpalast eine kleine Stadt entstanden. Vertriebene, Arme und Flüchtlinge, alle hatte er aufgenommen, damit sie hier Schutz fanden vor was auch immer sie ängstigte. Und weil diese Menschen Hunger, Krieg, Leid und Elend kannten, bemühten sie sich, all diese Übel dort zu lassen, wo sie hergekommen waren. Wie eine eingeschworene Gemeinde halfen sie sich gegenseitig und begannen ein friedliches, angenehmes Leben. Die freundlichsten Menschen der Welt. Der richtige Ort für Kinder, um aufzuwachsen. Der Blick des Magiers streifte durch die große Halle und blieb an einem etwa 5-jährigen Jungen hängen. Das selbe schwarze Haar, die selben schwarzen Augen. Toya bemerkt den Blick nicht, mit dem sein Vater ihn liebevoll musterte. Er war vollauf beschäftigt, mit seinem Freund in den kleinen Brunnen zu starren, der sich beinahe hinter den Säulen verbarg und leise vor sich hin plätscherte. Der blonde Junge neben Toya schaute konzentriert, die Lippen gespitzt, ins Wasser, die Stirn vor Anstrengung gefurcht. Vermutlich versuchten sie wieder, die Wirbel der zeit zu beobachten, dachte Clow. Yukito hatte bewundernswert starke magische Kräfte. Er würde einen guten Hohepriester abgeben, wenn er erst älter und geübter war. Im Vergleich zu seinem Vater hatte Toya keine magische Kraft, lediglich die Kriegermagie, die es ihm erlaubte, ein Schwert zu rufen und Feinde zu spüren hatte er rudimentär entwickelt. Er würde ein hervorragender Krieger werden, so viel war klar. Dass er ebenfalls die Wirbel der Zeit wahrnehmen konnte, bewies außerdem, dass er Magie spüren konnte, er schien nur nicht in der Lage zu sein sie verwenden zu können – außer im Kampf. Aber das spielte keine Rolle. Der Hüter des Palastes war zwar ein Magier, aber in erster Linie ein Krieger. Das war seine Hauptaufgabe – die Hüterin des Tempels war für Magie zuständig. Toya würde nach ihm Hüter werden. In Gedanken versunken strich Clow über seinen Stab neben ihm. Eines Tages würde er gehen müssen. ~***~ Glühend rot versank die Sonne in einem Meer aus Sand. „Ah.“ Die Frau auf der Düne sah zu, wie auf einmal ein Kranz aus Licht die Ruine des Tempels umgab. Schwarz hoben sich die Flügel gegen die leuchtende Sonne hervor. Wie sie diesen Anblick vermisst hatte... Sie war fortgegangen, weil es das war, was sie tun musste, und jahrelang hatte sie sich jeglichen Gedanken an eine Rückkehr verwehrt. Sie hatte eine Aufgabe. Sie wusste, was es zu tun gab... Lange sah die Hüterin des Tempels auf ihr versunkenes Zuhause hinab. Dann wandte sie mit Mühe ihre Augen ab und drehte sich um, und nun bot sich ihr ein ähnliches Schauspiel wie eben: Der strahlend weiße Palast wurde von der untergehenden Sonne in ihrem Rücken beschienen, und majestätisch thronte er über der kleinen Stadt zu seinen Füßen. Sie war noch nicht da gewesen, als die Hüterin diese Welt verlassen hatte, sie musste recht jung sein... Eine Aura der Ruhe und des Friedens umgab sie. Die Hüterin lächelte und warf ihr langes, schwarzes Haar zurück. Das war die Macht des Palastes. Er erfüllte die Herzen der Menschen mit Frieden. Der wütendste Mensch würde kommen können, würde sich beschweren und Streit beginnen – und dann augenblicklich die Liebe und das Verständnis spüren, welches der Palast ihm entgegenbrachte und würde sich fragen, ob ein Streit sich überhaupt noch lohnte. Natürlich konnte man sich auch streiten, es lag nicht im Wunsch des Palastes, jegliche Diskussion zu verhindern. Und leider war es auch schon vorgekommen, dass kriegerische Nachbarn gekommen waren und sich von Frieden und Ruhe nicht hatten abschrecken lassen... Aber das war selten. Ein dumpfer Schmerz erfüllte das herz der Hüterin, ehe sie ihn gewaltsam zurückdrängen konnte. Das war auch einst die Aufgabe des Tempels gewesen. Doch ohne sie war er nur ein Schatten seiner selbst... Leise seufzte sie auf. „Nun ja... Was sein musste, geschah. Immerhin ist er hiergeblieben.“ Ein Lächeln überzog ihr Gesicht. Wie es wohl sein würde, ihn wiederzusehen? Hüter und Hüterin. Eigentlich hatte sie sich jeden Gedanken an ihn verboten. Die Aussicht, ihn so lange nicht sehen zu können, hätte sie rebellieren lassen, beinahe hätte sie sich geweigert, die Aufgabe zu übernehmen, die ihr zugeteilt worden war. Sie hatte nicht gewusst, wann oder ob sie ihn überhaupt wiedersehen würde... Er wusste es nicht, konnte es nicht wissen. Sie war ruhig und beherrscht gewesen, als sie es ihm mitgeteilt hatte, nichts hatte auf Gefühle oder Motive hingedeutet. Keine Begründung, keine Entschuldigung. Kein Geständnis. Kein Versprechen. Und er hatte sie gehen lassen, sein so typisches Lächeln auf den Lippen. Die Hüter verstanden sich ohne ein Wort. Aber sie wusste nicht, ob er sie an jenem Tag verstanden hatte, ob er verstanden hatte, was sie sich wirklich wünschte. ~***~ “Nanu? Was machst du denn so spät noch hier? Schön, dass du dich mal aus deinem Tempel traust und vorbeikommst.“ Mit einem herzlichen Lächeln kam Clow Reed auf sie zu. Die Hände in den weiten Ärmeln seines Mantels versteckt, die Halbmondbrille gerade eben noch so auf der Nasenspitze. Kurz vor ihr blieb er stehen und musterte sie durchdringend. „Was ist los? Du sagst ja gar nichts.“ Mit den Augen fuhr sie die Konturen seines Gesichts nach, dann sah sie ihn an. „Ich muss gehen.“ Clow zog überrascht die Brauen hoch und trat einen Schritt zurück. Beinahe hätte sie die Hand ausgestreckt, um ihn an seinen weiten Ärmeln festzuhalten, aber sie besann sich eines Besseren. „Jetzt?“ „Ja.“ „Kommst du zurück?“ Die Hüterin wich seinem Blick aus. „Ich weiß es nicht.“ Er fragte nicht, wohin sie ging. Und auch nicht, warum sie, die Herrin der Dimensionen, nicht sagen konnte, ob sie wiederkommen würde. Vielleicht hatte er etwas gesehen? Er war schliesslich der Herr der Zeit. Aber selbst wenn er ihr Schicksal gesehen hatte, er sagte nichts. Sein Lächeln war wie immer, warm und liebevoll wie ein Sommerregen. „Pass auf dich auf.“ „Ja“, sagte sie und zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht. Drehte sich um, verweigerte sich die Schwäche, zurückzublicken und ihn ein letztes Mal anzusehen, damit er die Tränen nicht sehen würde, die sie weinte, um ihn und um das, was sie nie mehr haben würden weil sie nun ging. ~***~ Ein heiserer Schrei hallte durch den Abendhimmel, und Yûuko blickte auf. „Sandläufer!“ Ein Schwarm kleiner Vögel landete vor ihr auf der Düne, im noch warmen Sand. Ihre roten und grünen Brustfedern leuchteten glänzend im Licht. Rubinvögel, so wurden sie auch genannt, denn sie tarnten sich nicht durch gelbes oder braunes Gefieder vor möglichen Feinden. Ihre grellen Farben wirkten abschreckend und giftig. Sie hatte es noch nie probiert, aber sie nahm an, dass auch sie selbst ziemlich giftig werden konnten... Wie Edelsteine blitzen sie in der Sonne auf. Ein mutiger Rubinvogel hüpfte auf die Hüterin zu, die sich völlig still verhielt. Und dann – als hätte er erst all seinen Mut zusammen nehmen müssen – flatterte er auf und landete auf ihrem Arm. Genauer gesagt, auf das Bündel, welches sie im Arm trug. Neugierig legte der Kleine den Kopf schief und blickte hinunter. „Schau“, sagte Yûuko und schob das weiche Tuch beiseite. Helle Haut blitzte auf, und saphirblaue Augen... „Sieh her, Sakura. Wir sind zu Hause.“ ~***~ „Toya! Schnell!“ Von einem Augenblick auf den nächsten packte Yukito seinen Freund am Ärmel seiner schwarzen Tunika und begann zu rennen. Auch wenn man es dem schmächtigen, 5- jährigen Jungen im weißen Aufzug nicht ansah, er war verdammt schnell, und er schleifte Toya für einen Moment hinter sich her, ehe der sich wieder fing und neben ihm her rannte. „Was soll das?“ Aber eigentlich... Eigentlich wusste er mit ziemlicher Sicherheit, was Yukito da eben gesehen und gespürt hatte. Er stellte seinen Freund nicht in Frage. Wenn er sich völlig blind und taub stellte... Wenn er sich in die Dunkelheit einschloß und die Augen fest zukniff und sich die Ohren zuhielt und nicht daran dachte... Aber sogar dann wäre es wahrscheinlich unmöglich gewesen, die Aura, die auf sie zukam, nicht zu spüren. Selbst Toya mit seiner eher wenig ausgeprägten Gabe spürte das magische Leuchten der Person, die sich dem Palast näherte, ein unbeschreiblich helles, warmes und gütiges Licht, strahlend wie der Wüstenmorgen. Kurz fragte er sich, wie sein Vater dieses Licht wohl wahrnehmen würde? Er war so unglaublich viel stärker als er. Die Aura musste blendend weiß und hell für ihn sein... Aber dann wurde er abgelenkt. Vor ihm stand eine Frau in der Halle. Sie trug ein langes, schwarzes, enges Kleid, welches sich stark von ihrer porzellanfarbigen Haut abhob, und ihre langen, ebenfalls schwarzen Haare fielen ihr wie Spinnenseide über den Rücken. Sie war schlank und hochgewachsen, wahrscheinlich sogar größer als die meisten Menschen, die er kannte. Bestimmt war sie die schönste Frau, die Toya bisher in seinem Leben gesehen hatte und noch sehen würde. Und in dem Moment, in dem er sich staunend ansah, spürte er noch etwas anderes: ein kleines, hilfloses Leuchten, stark, aber unbeschreiblich klein. Ein Baby. Die Frau blieb stehen und sah ihnen entgegen, und Toya stockte ebenfalls. Schwarze Augen musterten ihn durchdringend, aber nicht unfreundlich, aber er reckte sich auf seine Zehenspitzen und versuchte, einen Blick in das Bündel zu werfen, welches die Frau bei sich trug, vorsichtig, als gäbe es nichts Kostbareres auf der Welt. Weil er so beschäftigt war, nahm er nur am Rande wahr, wie sein Vater beinahe laufend die Halle betrat und dann abrupt stehenblieb. Vom Eingang der Halle bis zum entgegengesetzten Ende waren es vielleicht 100m. Am einen Ende stand Yûuko, das Bündel Tücher fest an ihre Brust gepresst. Am anderen Ende Clow, der sein Sonnenszepter fest umklammerte. Beide sahen sich stumm an. Und ihre Augen bohrten sich ineinander, als gäbe es nichts anderes auf der Welt als sie Beide. Du bist zurückgekommen. Ja. Mit Mühe riss Yûuko sich schliesslich von den Augen los, in die sie noch hundert Jahre hätte unverwandt starren können, und wandte sich an den kleinen Jungen vor sich. „Würdest du Sakura bitte für einen Augenblick nehmen?“ Sie sprach mit dem 5-Jährigen, als wäre es ein Erwachsener, aber der nahm sie nicht einen Moment lang wahr. Als wäre sie aus Glas, nahm er das kleine Mädchen entgegen und hielt sie fest, als hätte er nie etwas anderes getan. Yukito trat einen Schritt näher an seinen Freund und strich dem winzigen Baby vorsichtig über die Stirn. „Sakura“, flüsterte Toya. Überrascht über den Ton in seiner Stimme sah die Hüterin ihn für einen Moment lang an. Dann lächelte sie warm. „Ich sehe, dass sie bei dir gut aufgehoben sein wird.“ ~***~ Clow Reed saß in seinem Sessel, ein Glas blutroten Wein in der Hand, den er langsam hin- und herschwenkte. Im Kamin brannte ein behagliches Feuer, denn Wüsten waren nachts sehr kalt. Besonders ihre Wüste. Wachsam betrachtete er Yûuko, die am Fenster stand und in die dunkle Nacht hinausblickte. Blass erhoben sich die Flügel der Tempelruine aus dem Sand. Irgendwie hatten die zwei Hüter es geschafft, noch kein einziges Wort miteinander gewechselt zu haben, und die Stille zwischen ihnen, die früher so angenehm gewesen war, war heute ohrenbetäubend laut. Yûuko beschloss, etwas dagegen zu tun, bevor sie vollends den Mut verlor. „Also, Clow! Dir geht’s ja hier wirklich gut, wie man sieht. Und Toya ist ein wunderbarer Junge. Er wird dir später mal einen guten Hüter für deinen Palast abgeben, wenn er älter ist!“ Fröhlich grinste sie ihn an. Dabei war Grinsen das letzte, wonach sie sich fühlte. „Hast du immernoch diesen guten Wein im Keller? Lass uns unser Wiedersehen feiern!“ Der große Magier runzelte die Stirn. „Du brauchst dich nicht zu verstellen, Yûuko. Lass die Maske weg. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du sie dir neu zugelegt hast – früher hättest du nie so gegrinst.“ „Wie gegrinst?“ „Gegrinst wie eben. So unecht. Zwangsläufig fröhlich.“ „Ach...“ Die gespielte Fröhlichkeit und Zwanglosigkeit fielen von ihr ab wie ein alter Schleier, und sie seufzte. „Du konntest mir nie etwas vormachen“, erinnerte Clow sie sanft. „Hier.“ Er goss ihr von dem Wein ein, und sie nippte daran, vorsichtig darauf bedacht, die Barrieren ihres Geistes oben zu halten. Als er das bemerkte, runzelte er die Stirn, sagte aber nichts. Dass sie sich weigerte, ihn hineinzulassen, war er nicht gewohnt, früher hatte er sie in ihrer gemeinsamen Magie berühren dürfen, wann er wollte. Auch Yûuko war versucht, nachzugeben, als sie seine vertraute mentale Berührung spürte. Aber dann dachte sie an die letzten Jahre und unterliess es. Zwanzig Jahre Stille und Einsamkeit in einer für sie unbekannten Welt hatten ihre Spuren hinterlassen. Wie sehr sie es vermisst hatte, sich telephatisch mit ihm zu unterhalten! Seine leisen Bemerkungen, sein freundliches, warmes Lachen... Es hatte ihr so gefehlt. Und sie wollte nicht, dass er nun sah, wie sehr... „Hast du alles erledigt, was du tun musstest?“ Seine Frage schreckte sie aus ihren Grübeleien auf und sie nickte. „Ja. Es ist alles vorbereitet.“ Ein erneutes Stirnrunzeln. „Worauf? Was wird geschehen?“ „Etwas schreckliches.“ Sie wandte sich ab. „Kräfte kommen ins Spiel, die nichts Gutes im Sinn haben... Zu viele trachten nach der Macht, durch die Welten reisen zu können.“ „Aber wir sind die Einzigen, die diese Macht besitzen... Dann bist du in Gefahr?“ Er dachte nicht an sich, nur an sie, und das rührte sie. Aber sie schüttelte den Kopf. „Nein. Es gibt noch jemanden. Es...“ Sie zögerte. Clow sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. „Noch jemanden?“ Dann schloss er die Augen und begann mit einer Suche auf der geistigen Ebene. Warte, hörte er plötzlich Yûukos Stimme und wäre beinahe zusammengezuckt, als er ihre Präsenz plötzlich in seinem Kopf spürte. Sie war nüchtern und kalt, nicht wir früher warm und freundlich. Aber sie gab ihm einen leichten Stoß, und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er keuchte leise auf. „Das Mädchen!“ „Ja.“ Yûuko sah ihn ernst an. „Erstaunlich, nicht? Sie ist noch so klein, und doch fast so stark wie wir. Wenn sich jemand ihrer Kräfte aneignet, bevor sie lernt, sich zu verteidigen, dann wird etwas Schreckliches geschehen.“ „Sie hat die Kraft, das Universum zu verändern“, sagte Clow und starrte ins Leere. „Was wirst du tun, um das zu verhindern?“ Die Hüterin wechselte ihr Weinglas von der einen zur anderen Hand. „Ich habe gehofft, sie könnte...“ Sie stockte. „Ja?“ „Ich habe gehofft, sie könnte hier bleiben, bei dir und Toya.“ Erstaunt hob der Hüter den Kopf. „Hier? Yûuko, damit bringst du alle Menschen hier in Gefahr! Sie kommen aus Krieg und Armut, und du willst allen Ernstes, dass sie ein Kind aufnehmen, welches Unheil über sie bringen könnte?“ Die hochgewachsene Frau schloss die Augen, und eine Träne lief ihr über die Wange wie eine Perle. „Ich wünschte, es gäbe eine andere Lösung“, flüsterte sie erstickt. „Ich wünschte, sie könnte bei mir bleiben. Aber es geht nicht anders, verstehst du? Sie muss hierbleiben. Sie muss. Als hätten diese Worte ihr Kraft gegeben, schlug sie die Augen wieder auf und funkelte den Mann vor ihr an. „Ich werde einen Teil ihrer Kraft im Tempel versiegeln. Wenn sie alt genug ist, oder wenn die Not groß ist, dann kannst du sie dorthin bringen und das Siegel lösen. Es wird nur gelingen, wenn du dabei bist oder jemand, dem du die Aufgabe übertragen hast – sonst niemand. Dann werden wir sehen, was geschieht.“ „Was ist, wenn ein Siegelbrecher sie dorthin mitnimmt?“ „Dann musst du ein Siegel hinzufügen. Clow, wie oft kommt ein Mensch vorbei, der die Gabe hat, Siegel zu brechen?“ Clow seufzte. „Du verlangst viel von mir, Yûuko. Ich habe die längste Zeit hier verbracht, in dieser Wüste, und nicht du. Mein Sohn ist hier geboren und aufgewachsen. Die Menschen hier sind meine Freunde.“ „Machst du mich dafür verantwortlich, dass ich gegangen bin? Ich habe weder den Tempel noch die Wüste freiwillig zurückgelassen.“ Ich hätte dich nie freiwillig zurückgelassen. Ruckartig drehte sich die schwarzhaarige Frau wieder dem Fenster zu. „Ich habe mein Zuhause verlassen, und sieh, wie es heute ist! Glaubst du, ich würde meine Heimat und meine Tochter hier zurücklassen, wenn ich nicht wüsste, dass ich muss?“ Clow beobachtete sie still. „Deine Tochter?“ „Ja.“ Sie sah ihn nicht an. Er sollte sie fragen, sie würde es nicht sagen. Clow Reed seufzte. „Ich werde gut auf sie Acht geben“, sagte er leise. „Was?“ Verblüfft vergaß Yûuko, wütend zu sein, und wandte sich ihm zu. „Hörst du neuerdings schlecht? Wenn du sie mir anvertraust, werde ich natürlich gut auf sie Acht geben und sie wie meine Tochter behandeln. Toya vertraut ihr schon.“ Der Hüterin fehlten die Worte. Immernoch perplex schaute sie den Magier an. „Hast du geglaubt, du müsstest noch mehr argumentieren, bis ich überzeugt bin?“ Lächelnd näherte Clow sich ihr. „Als ob ich dir je etwas abschlagen könnte.“ Vorsichtig berührte seine Aura die ihre. „Was quält dich so, Yûuko? Zeig es mir...“ Ich will dir helfen, sagten seine Augen, und Yûuko konnte sich nicht rühren. Als seine tröstende Präsenz sie umfing, liess sie die Mauern sinken, die sie um ihren Geist gebaut hatte, und ihre Magie berührte die seine. Ein Gefühl, welches sie Jahre lang schmerzlich vermisst hatte, durchströmte sie, und die Hüterin vergaß alle Vorsicht und liess sich fallen. Sie zeigte ihm die Prophezeiungen und die Wege des Schicksals, die sie gehütet hatte, die Dimensionen, die in Gefahr sein würden, die Umstände von Sakuras Geburt, was sie tun musste und warum sie nicht bleiben konnte. Und sie zeigte dem anderen Hüter, wie sehr sie ihn liebte, und er antwortete mit Zuversicht, Hoffnung, Geborgenheit und erwidernder Liebe. ~***~ „Mach dir keine Sorgen“, sagte Clow Reed zum tausendsten Male und strich ihr zärtlich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. „Sakuras Kraft ist versiegelt. Selbst Siegelbrecher werden es schwer haben, wir beide haben das Siegel gelegt und es wir d ihre Kraft bannen, bis es so weit ist. Toya hat sich ihrer angenommen und behütet sie jetzt schon wie ein eifersüchtiger Bruder... Es wird ihr sicher gut gehen, du wirst sehen.“ Zögernd nickte Yûuko und sah in die Richtung, in der sie die Aura der Tempelruine verspürte. Sakuras Schicksal war nun ebenfalls mit ihnen verbunden, genau wie ihres. Ein letztes Mal strich sie dem kleinen Mädchen liebevoll über das kleine Gesicht und küsste sie vorsichtig auf die Stirn. Dann drückte sie es an sich, als wolle sie es nie wieder loslassen... Nur um es kurz darauf widerstrebend dem Magier vor ihr in den Arm zu legen. „Sag ihr, dass ich sie liebe“, flüsterte sie erstickt, und der Mann lächelte bestätigend. Sag ihr, sie wird niemals allein sein... Ich werde immer bei ihr sein. Clows gütige Augen ruhten sanft auf ihr, als sie zum letzten Mal seine Aura berührte. Ich werde auch da sein, sandte er ihr. So, wie ich immer bei dir sein werde, Yûuko. Einen letzten Moment berührten sich ihre Hände, schlangen sich ineinander, als wollten sie sich nie wieder loslassen – Und die Hüterin verschwand. Wir werden uns wiedersehen, Yûuko. Selbst, wenn es lange dauern wird, selbst, wenn es Jahrhunderte braucht – Wir werden uns wiedersehen. Geh und nimm meine Liebe mit dir. Die Ruinen des Tempels erblühten in der Morgendämmerung. Eine Nacht war sie geblieben. Eine Nacht. Es würde für den Rest ihres Lebens reichen müssen. Aber in ihren Herzen würden die Hüter der Wüste immer zusammen sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)