Stranger than strange von Chibichi (Eine Sammlung von Emily the strange-FanFictions) ================================================================================ Kapitel 1: The strangeness of being bored of boredom ---------------------------------------------------- Es war ein perfekter Tag da draußen. Die Sonne schien nicht, der Himmel war düster und die Vögel sangen nicht ihre fröhlich dummen Lieder. Es war beinahe zu perfekt. Irgendetwas musste also nicht stimmen. Mystery konnte es geradezu in den Spitzen ihrer Schnurrhaare spüren, dass etwas nicht so „strange“ war, wie es eigentlich sein sollte. Normalerweise würde sie um die Zeit ein kleines Nickerchen machen, aber das komische Gefühl ließ sie einfach nicht schlafen. Sie stand langsam auf, reckte sich ausgiebig und verließ ihre dunkle, ruhige Ecke, um nachzusehen, was zur heiligen Birma da eigentlich los ist. Alles war soweit okay: Miles rannte kreuz und quer durch das Haus und sein Auge funkelte dabei, als würde er gerade etwas absolut Geniales aushecken. Sabbath lag auf dem Boden im Flur und sah aus, als hätte er vor einer Weile einen Kampf ausgefochten. Und Nee-Chee saß auf einer Fensterbank und hing schweren, philosophischen Gedanken nach. Also setzte Mystery eine Pfote ins Wohnzimmer, um dort mal nach dem Rechten zu sehen. Emily lag quer ausgestreckt auf dem großen, alten Sessel und sah total gelangweilt aus. Die schwarze Katze nickte. Jeder tat genau das, was er sonst auch immer tat. Ihr Gefühl musste sie getäuscht haben und sie wollte schon zu ihrer dunklen Ecke zurückkehren, als Emily laut seufzte: „Mir ist langweilig.“ „Erzähl mir was neues“, dachte die alte Katze im ersten Moment. Aber etwas an diesem Seufzer war seltsam und neu, daher entschied sich Mystery noch ein wenig abzuwarten. Emily starrte an die düstere Zimmerdecke voller Spinnweben mit einem solch melancholischen Blick, den nur die Vorsitzende der Langeweile hinbekam, und seufzte erneut. „Mir ist so langweilig“, flüsterte sie, „So langweilig. Ich sterbe vor Langeweile.“ Die Katze sah das Mädchen lange und sehr nachdenklich an. „Das ist es! Emily ist nicht wie sonst. Sie ist nicht sie selbst und genießt auch nicht die Langeweile wie sonst.“ Dieser Gedanke schoss Mystery flink wie eine Katze durch den Kopf und verunsicherte sie. Emily the strange benahm sich noch „stranger“ als jemals zu vor. Die Königin der Langeweile und der Melancholie, welche sie zu einer Kunstform perfektioniert hatte, konnte diese nicht mehr aushalten. Was für ein Katzenjammer! Wie vom Donner gerührt blieb Mystery nach ihrer nackenfellsträubenden Erkenntnis auf der Schwelle zum Wohnzimmer sitzen und beobachtete ihre junge Freundin, die so mitleiderregend vor sich hinseufzte. Was ging da wohl gerade in dem Mädchen vor? Aber so genau wollte sie das dann doch nicht wissen, schließlich ist die Neugierde der Katze Tod. Und wenn man so alt war wie Mystery und bereits sieben seiner neun Leben verbraucht hatte, sollte man lieber nicht zu viel riskieren. Als sich Emily dann ruckartig aufrichtete, machte Mystery einen Satz nach hinten. Der Gesichtsausdruck des Mädchens war beängstigend anders und merkwürdig entstellt. Ihre Augen strahlten grauenerregend, ihre Mundwinkel waren weit nach oben gezogen und es schien als würde ihr Mund von einem Ohr zum anderen reichen. Die alte Katze schüttelte sich bei dem schrecklichen Anblick und spitzte die Ohren. „Ich werde einfach mein Leben verändern“, verkündete Emily und gab so ein glucksendes, furchtbar fröhliches Geräusch von sich. „Warum sollte ich mich auch ständig langweilen oder düsteren Gedanken nachhängen? Andere Menschen machen einfach etwas gegen ihre Langeweile, also kann ich das auch. Bloß was?“ Das schwarzhaarige Mädchen saß nun senkrecht im Sessel und dachte angestrengt nach, wie sie ihre Langeweile vertreiben könnte. Schließlich hatte sie diese bisher immer mit offenen Armen empfangen. Mystery standen nun endgültig alle Nackenhaare zu Berge und in ihren Gedanken sah sie schon die grauenvolle Zukunft, in der keine Langeweile mehr existierte und Emily wie ein völlig normales Mädchen herumsprang. Garantiert würden dann nirgends mehr Spinnweben und dunkle Ecken im Haus zu finden sein. Stattdessen würden Spitzendeckchen und pastellfarbene Gardinen das gemütliche Zuhause verunstalten, bis sogar die anspruchslosen Mäuse und Ratten ausziehen würden. Dann würde es nur noch widerlichen Dosenfraß geben, denn Katzen würden Whiskas kaufen. Würgs… Vielleicht würde Emily mit diesem entstellten Gesichtsausdruck nicht allein bei dem Haus Halt machen, sondern auch deren Bewohner anpassen und dabei verzückt „Süß!“ kreischen. Mystery hatte schon alptraumhafte Sequenzen über Schleifen und Hüte vor Augen, denn sie erinnerte sich wage an eine Horrorserie über eine Artgenossin mit einer Vorliebe für hässlich-schnuckelige Kopfbedeckungen. Bestimmt schüttelte sie den Kopf. So weit würde sie es nicht kommen lassen! Während Emily noch nachdachte, drehte sich die alte Katze auf der Stelle um und rannte zu den anderen, um die Katze aus dem Sack zu lassen. Zugegeben, dieses Mal war es eine äußerst hässliche, dicke Katze, die ihr friedvolles, düsteres Leben schlagartig beenden könnte. Äußerst unsanft angelte Mystery Nee-Chee von der Fensterbank, der gerade kurz davor war sämtliche Probleme der Welt zu lösen. Danach stoppte sie Miles, der gerade aus dem Haus verschwinden wollte, um auf dem Schwarzmarkt alles Nötige für seinen neuen Plan zu erstehen. Sabbath lag Gott sei Dank immer noch im Flur und leckte sich seine Wunden, aber wie sie ihn kannte, sah sein Gegner bestimmt weit aus schlimmer aus. Nachdem auch er eingesammelt war, war die Bande endlich vollzählig und Mystery konnte nun, ohne wie die Katze um den heißen Brei zu schleichen, die grauenvollen Nachrichten übermitteln. Nee-Chees schwarz-weiß geringelter Schwanz zuckte nervös, obwohl er sich sonst nicht anmerken ließ, wie schwarz er sich nach diesen Neuigkeiten die Zukunft ausmalte. Miles blinzelte ungläubig mit seinem gesunden Auge, als würde er es nicht fassen können, dass Emily etwas gegen ihre Langeweile unternehmen wollte. Nur Sabbath war ganz und gar gelassen. Der junge Kater schien sich der Schwere des Problems nicht bewusst zu sein, schließlich nahm er Schwierigkeiten immer auf die leichte Schulter und suchte geradezu nach ihnen. „Wir müssen unbedingt etwas unternehmen, bevor Emily unser aller Leben auf den Kopf stellt. Kaum vorzustellen, was passiert, wenn sie wie die breite Masse werden will.“, verkündete Mystery, nachdem sie die Hiobsbotschaft einige Momente auf die anderen einwirken ließ. Sabbath kratzte sich äußerst cool am rechten Ohr und entgegnete: „Dude, müssen wir überhaupt etwas unternehmen?“ Miles funkelte ihn kurz an. „Natürlich müssen wir etwas unternehmen. Ansonsten kannst du dich gleich mal als Grinsekatze üben. Emilys abstruse Idee wird Auswirkungen auf uns haben, dann ist es vorbei mit deinem coolen Image.“ Der schnellste Kater der Stadt machte eine kurze Pause, um nachzudenken. „Ich werde gleich zum Schwarzmarkt flitzen, dort finde ich garantiert etwas, das uns in dieser Lage weiterhelfen kann. Vielleicht schieben wir dieser ganzen Anti-Langeweile-Idee mit Beruhigungsmitteln einen Riegel vor.“ Mystery schüttelte den Kopf. „Wir können Emily doch nicht unter Drogen setzen, obwohl… Nein, wir müssen eine andere Lösung finden.“, sagte sie so bestimmt, dass Miles keine Widerworte mehr gab. Nur zur allergrößten Not würde sie diese Idee in die Tat umsetzen wollen. „Dude, ich kenne da einen Schlägertrupp, der könnte schon dafür sorgen, dass Emily es nicht zu weit treibt mit diesem Glücklich-bis-an-ihr-Lebensende-Scheiß.“, gab Sabbath lässig von sich. Doch auch er erntete für seinen Vorschlag einen tadelnden Blick von Mystery. „Keine Drogen! Keine Gewalt! Wir schaffen das auch anders.“ Kein Wunder, dass sie die Anführerin war, schließlich musste einer von ihnen vernünftige Entscheidungen treffen. „Da beißt sich die Katze doch in den Schwanz!“, rief Miles aus. „Was bleibt denn da noch? Die wunderbare Wirkung von Chemikalien fällt weg, ebenso wie die Überredungskünste von einem Satz scharfer Krallen. Als nächstes bist du bestimmt auch gegen den Einsatz von Gedankenkontrolle.“ „Auch keine Gedankenkontrolle! Du kannst doch nicht irgendwelche ominösen Erfindungen an Emily ausprobieren. Vielleicht erleidet ihr Gehirn einen irreparablen Schaden und dann ist alles nur noch schlimmer.“, erklärte die alte Katze und sah hilfesuchend zu dem großen Denker der Bande, der bisher geschwiegen hatte. „Nee-Chee, sag doch auch etwas. Hast du vielleicht schon eine Lösung für unser Problem?“ Nee-Chee nickte sacht: „Ja, Sabbath hat Recht.“ Sabbath schnurrte zufrieden und leckte sich die linke Vorderpfote, während Mystery den philosophischen Kater ungläubig anstarrte. „Du meinst also auch, dass wir einen Schlägertrupp auf Emily hetzen sollen? Das kann doch nicht dein Ernst sein.“, rief sie entsetzt, als sie endlich ihre Sprache wieder gefunden hatte. Der Denker schüttelte den Kopf. „Nein, das meine ich nicht. Sabbath erster Vorschlag ist richtig. Wir unternehmen nichts und warten ab. Emily ist ein Mädchen, das sich nur in der Dunkelheit wohl fühlt. Sie wird vielleicht ein paar idiotische Dinge der weitverbreiteten Allgemeinunterhaltung ausprobieren, aber früher oder später wird sie sich nach Langeweile und Melancholie zurücksehnen. Soll sie sich doch mit dem Verteilen von Spitzendeckchen und dem lauten Rumtollen im Garten verausgaben…“ Mystery sah kurz zu Sabbath und raunte: „Auch eine blinde Katze stößt mal auf eine tote Ratte.“ Sonst war seine ausgesprochen coole Abwart-Taktik alles andere als förderlich. Die anderen nickten und der Vorschlag des Philosophen wurde einstimmig angenommen. Nee-Chee hatte mal wieder alles durchdacht, also würde man nur im Notfall eingreifen und die Gute-Laune-Aktionen sabotieren, falls Emily wider Erwarten daran Gefallen finden sollte. Während der Katzenrat tagte, hatte Emily erst mal ihren Sessel verlassen und die schweren Samtvorhänge vor den Fenstern geöffnet, um Licht und Frischluft in das Zimmer zu lassen, was sie normalerweise nie getan hätte. Danach war sie pfeifend (!) durch das Haus geschlendert und in den Garten gegangen, wobei das Gepfeife keinem Ramones-Song zuzuordnen war, sondern eher der fröhlich dummen Melodie von Vogelgezwitscher. Im Garten war sie einige Zeit lang einer merkwürdigen Beschäftigung namens Seilspringen nachgekommen. Sie hatte so etwas einmal bei einem kleinen Mädchen gesehen und der schien das Ganze richtig Spaß zu machen. Aus Mangel an einem Springseil musste ein altes Verlängerungskabel für Emilys Aktivität herhalten, doch wirklicher Spaß wollte nicht aufkommen. Das elende Hüpfen war eher anstrengend und schwierig. Also landete das Verlängerungskabel wieder im Gras und das schwarzhaarige Mädchen schlenderte aus dem Garten. Doch sie schlug nicht wie sonst den Weg zum Friedhof ein, sondern ging Richtung Spielplatz im Park, um den sie normalerweise einen großen Bogen machte. Dort spielten auch einige Kinder: Sie schaukelten, rutschten, warfen sich gegenseitig einen großen, bunten Ball zu oder bauten Burgen im Sandkasten und dabei sahen sie alle so glücklich und gar nicht gelangweilt aus. Entschlossen gesellte sich Emily zu ihnen, sie würde jetzt Spaß haben. Koste es, was es wolle. Zuerst versuchte sie die Rutsche, aber kein fröhliches „Huiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!“ kam ihr über die Lippen. Auch beim Schaukeln blieb Emily stumm. Diese blöde Schaukel überschlug sich ja nicht einmal… Das Ballspiel war auch nicht viel besser. So aufregend, wie es auf den ersten Blick schien, war es lange nicht und die anderen Kinder beschwerten sich nach einer Weile, weil sie angeblich den Ball zu hart warf. Dabei hatte der Junge, den der Ball ins Gesicht traf, nicht einmal ein blaues Auge bekommen und ein Zahn war ihm deswegen schon gar nicht ausgefallen. Okay, es blieb ja noch der Sandkasten übrig. Aber der Sand hielt auch nicht, was er versprach. Jeder Versuch einen kunstvollen Totenschädel zu formen war zum Einstürzen verurteilt. Etwas geknickt verließ Emily den Spielplatz und schlurfte durch die Straßen. Überall traf sie auf zufriedene, glückliche Menschen, die nicht die Spur von Langeweile oder gar Melancholie zeigten. Aber egal wie sehr das schwarzhaarige Mädchen auch versuchte diese zu imitieren, es klappte nicht. Dabei bemühte sie sich wirklich. Sie kaufte sich wie eine Horde anderer Kinder ein großes Eis. Aber wer zur Hölle mochte schon Vanilleeis mit Sahne? So landete die Eistüte kurze Zeit später in der nächsten Mülltonne. Ebenso fand sie heraus, dass sie nicht der Typ für einen Einkaufsbummel war. Die Läden in der Einkaufsstraße waren viel zu nichtssagend. Sie konnte nicht verstehen, dass sich andere Kinder ihre Nasen an Spielzeugläden platt drückten, dabei waren die Stände auf dem Schwarzmarkt, auf den Miles sie immer mitnahm, wesentlich interessanter. Emily versuchte auch wie diese eine Frau durch den Park zu joggen. Bei ihr sah es aus wie die Erfüllung des Lebens, aber in Wahrheit war es einfach nur ermüdend. Die Freisetzung von Glückshormonen durch Joggen war wohl doch nur eine Legende, zumindest im Fall „Emily the strange“. Als es dunkel wurde, kam das Mädchen wieder nach Hause geschlurft. Der Tag war wirklich anstrengend gewesen. „Ich bin zurück.“, verkündete sie müde. Sofort kamen gleich alle vier Katzen aus den unterschiedlichsten Ecken des Hauses angestürmt, was eigentlich sehr untypisch für sie war. Aber sie hatten gespannt auf die Rückkehr des Mädchens gewartet, um herauszufinden, wie sehr sich ihr Zustand bezüglich der Anti-Langeweile-Aktion verschlimmert hatte. So folgten Mystery und die drei Kater ihr auch ohne Umschweife ins Wohnzimmer. Erschöpft sank Emily in den alten Ohrensessel und starrte an die Zimmerdecke. Die vier Katzen sahen ihre Freundin erwartungsvoll und auch etwas besorgt an. Die Stille im Raum war beinahe unerträglich, dann endlich brach das Mädchen das erdrückende Schweigen. „Mir ist so langweilig.“, verkündete sie und seufzte zufrieden. Ein kleines Lächeln huschte verstohlen über ihre Lippen, wie sehr hatte sie das hier doch vermisst. Emily the strange war wieder „strange“. Sabbath schaute Nee-Chee erstaunt an: „Dude, woher wusstest du, dass es genau so enden würde?“ Der Kater zuckte kurz mit seinem schwarz-weiß geringelten Schwanz und antwortet dann überlegen: „Eine Katze, die einen Kanarienvogel gefressen hat, kann darum noch nicht singen.“ Miles nickte erleichtert: „Wie wahr, wie wahr. Egal was Emily tut, Langeweile und Melancholie liegen ihr im Blut.“ Zufrieden schnurrend sprang Mystery auf den Schoss ihrer Freundin und rollte sich dort zusammen. „Wie gut, dass alles wieder beim Alten ist. Da war die ganze Aufregung für die Katz.“ Kapitel 2: Easy-peasy to feel queasy about greasy stuff ------------------------------------------------------- Ein schriller Schrei zerriss die Stille des Nachmittags. Ein Schrei des Erstaunens, ein Schrei des Entsetzens, ein Schrei der Entrüstung. Zu vertraut war man in diesem Haus mit den verschiedenen Nuancen des Schreiens, um das nicht sofort heraushören zu können. Ein wütendes Aufstampfen und wildes Fluchen setzte Sekunden später ein. „Ah, dieses kleine, scheinheilige *Piep*! Wie kann sie es wagen?! *Piep* *piep*, einfach so eine *piep* *piep* zu veranstalten! Argh, das ist doch *piep*. *Piiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiep*!!!!!!“ „Na klasse, damit ist die Ruhe wohl vorbei.“, seufzte Mystery. „Warum muss eigentlich immer etwas sein, wenn ich ein Schläfchen halten will?“ Sie reckte und streckte sich reichlich, bis sie endlich aufstand und ihr gemütliches Eckchen auf dem Dachboden verließ. Langsam tigerte sie die staubigen Treppen hinunter, immer der lautstarken Fluchtirade aus dem Wohnzimmer nach. Unten an der Treppe saß ein verdutzt aussehender Sabbath und murmelte vor sich hin: „Dude, das ist mal ein krasser Wortschatz. Wo hat sie denn bloß *piep* aufgeschnappt?“ Anerkennend pfiff er durch die Zähne, bis er Mystery wahrnahm. „Dude, hast du ne Ahnung, was da los ist? Emily geht ja ab wie Schmidts Katze.“ „Vorhin hat sie noch friedlich vor der Glotze gesessen.“, ließ Miles verlauten, der scheinbar eben von einer kleinen Schwarzmarkttour zurückgekehrt war. Zumindest lag neben ihm ein verdächtig wirkendes Bündel, in dem sich garantiert nur etwas Verboten-Unheilvolles befinden konnte. Mit einem lässigen Satz sprang Nee-Chee, der bis dahin zwischen den spinnenwebenverhangenen Vorhängen gesessen hatte, zu ihnen und spekulierte: „Vielleicht wurde kurzfristig das Halloween-Special abgesetzt, auf das sie sich so gefreut hatte. Erinnert ihr euch noch an letztes Halloween? Da hat sie fast einen Tobsuchtsanfall bekommen, weil ihr Lieblingshorrorfilm dann doch nicht gezeigt wurde.“ „Wilde Vermutungen bringen uns auch nicht weiter. Wir sollten mal lieber nachschauen, was die Katze ins Haus geschleppt hat.“, schlug Mystery vor und tapste vorsichtig zum Ort des Geschehens, dicht gefolgt von Sabbath, Miles und Nee-Chee. Im Wohnzimmer tobte Emily noch immer ausgelassen vor Zorn. „Wenn ich diese miese, kleine *Piep* in die Hände bekomme, dann…“, schrie sie und pfefferte dabei einen altertümlichen Kerzenständer an die Wand. „Zuerst versaut sie mir meinen Tshirt- und Merchandiseverkauf und nun das! Du verlogenes *Piep*! Dir bereite ich mal einen gloomy day!“ Bebend vor Wut sank sie in den alten Sessel und umkrallte die Armlehnen, bis ihre Fingerknöchel ganz weiß waren. Die vier Katzen näherten sich langsam dem schwarzhaarigen Mädchen. In so einer Verfassung hatten sie Emily vorher noch nie gesehen. Es musste also etwas wirklich Schreckliches passiert sein. Bei den Worten Tshirt- und Merchandiseverkauf hatte Mystery die Ohren gespitzt. Oft genug hatte sie ihrer Freundin über die Schulter geschaut, wenn diese über das Internet die Verkaufszahlen ihrer Fanartikel überprüft hatte. Und in der letzten Zeit waren die Zahlen etwas zurückgegangen und der Grund dafür war ein kleines, rothaariges Mädchen, Emilys größte Konkurrentin. Da musste also des Katers Kern liegen. „Was hat denn Smaragd, oder wie sie noch mal hieß, gemacht?“, maunzte die alte Katze. Für jeden normalen Menschen hätte sich das garantiert wie ein langgezogenes Miau angehört, aber Emily war ja nicht normal, sondern absolut „strange“. Daher konnte sie auch in vielen Fällen ganz genau verstehen, was ihre vier samtpfotigen Freunde von ihr wollten. „Was sie gemacht hat?“, regte Emily sich auf. „Seht es euch lieber selber an. Es ist einfach unbeschreiblich.“ Mit diesen Worten schaltete sie den Fernseher wieder an und was dort zu sehen war, war wirklich nackenfellsträubend. Eine total niedliche Ruby Gloom spielte fröhlich lachend mit ihren verkorkst süßen Freunden. Absolute Friede-Freude-Eierkuchen-Sülze! Angewidert wand sich Sabbath vom Bildschirm ab und raunte: „Dude, das ist grauenhaft! Einfach nur grauenhaft.“ Miles hielt sich mit der Pfote sein gesundes Auge zu. „Das ist schlimmer als jede Gehirnwäsche.“, jammerte er vor sich hin. „Sogar schlimmer als die Teletubbies.“ Nur Nee-Chee, der große Denker, blieb unbeeindruckt und kniff nachdenklich die Augen zusammen, während sein schwarz-weiß geringelter Schwanz leicht zuckte. „Das ist ein verdammt ausgeklügelter Schachzug. Die verschreckt damit alle Schöngeister der Dunkelheit und spricht dafür die Kitschliebhaber an.“ „Schlimmer noch. Sie verrät damit alles, was mir hoch und heilig ist.“, brummte Emily. „Zuerst bringt sie lauter Shirts auf den Markt mit Sprüchen wie ‚Even my sunny days are grey’ oder ‚I love being different’ und ich dachte da noch, dass das okay wäre. Hey, halt noch ein Mädchen, das die Dunkelheit liebt und am liebsten mit ihrer Katze unterwegs ist. Aber was soll das denn nun?“ Fassungslos deutete sie auf das quietschbunte Geflimmer auf der Mattscheibe. Mystery nickte verständnisvoll. Emily war ein Kind der Dunkelheit und alles, was diese Dunkelheit lächerlich machte, entfachte ihren Zorn. „Aber jetzt ist die Katze nun einmal den Baum hoch. Was sollen wir denn dagegen unternehmen?“, fragte sie in die Runde. „Ganz einfach. Wir gehen nach Gloomsville und regeln das. Ansonsten kann ich mich ja auch gleich in Emily Erdbeer umbenennen und ins Erdbeerland ziehen.“, erklärte Emily bestimmt und ihre Augen glommen entschlossen auf. So stampfte also eine wütende Emily quer über den Friedhof nach Gloomsville, dem Ort des putzigen Schreckens, links und rechts flankiert von Mystery und der Gang. Sabbath hatte kurz vor dem Aufbruch noch schnell seine Krallen gewetzt, während Miles seinen geheimen Vorrat an Obskuritäten vorsorglich geplündert hatte. Die in Gloomsville konnten sich warm anziehen, denn ein paar Anti-Zuckersüß-Fanatiker würden mit ihnen ein wenig Katz und Maus spielen. Nach einem schönen Marsch über den Friedhof, der eine etwas beruhigende Wirkung auf Emily hatte, gelangten sie an die Grenze nach Gloomsville. Alles sah hier beinahe genau so düster aus wie Zuhause, aber wenn man genauer hinsah, erkannte man an manchen Stellen kleine Ornamente in Herzchenform und anderen Schnickschnack. Der einäugige Kater schüttelte den Kopf: „Von Dekoration haben die keine Ahnung. Da gehören Spinnweben und Totenköpfe hin. Vielleicht auch ein paar fleischfressende Pflanzen in den Vorgarten…“ „Ja, wir wissen es, Miles. Auf dem Schwarzmarkt sind grad die Venusfliegenfallenwochen. Schließlich haben wir nun schon fünfzehn davon im Garten.“, versetzte Mystery genervt. Von den Pflanzen hatte sie schon lange die Nase voll, nachdem so ein überzüchtetes Exemplar mal ihren Schwanz anknabbern wollte. „Jetzt streitet euch doch nicht.“, fuhr Emily dazwischen. „Ihr vergesst wohl, warum wir hier sind? Wir wollen denen mal die Meinung sagen.“ Der junge Kater mischte sich auch ein: „Dude, aber rubbel die Katz. Die werden sich noch wundern.“ Zielstrebig steuerten sie auf das große Haus oben auf einem Hügel zu, weil selbst aus der Ferne das glockenhelle Lachen und freudige Rufen von Ruby Gloom und ihren Freunden zu hören war. Diese Geräusche verursachten eine Gänsehaut bei Emily, zu sehr erinnerten sie diese an die schrecklichen Erlebnisse ihrer Anti-Langeweile-Phase. Im Garten des Hauses bot sich auch das Grauen, das Emily erwartet hatte. Ruby Gloom, ein rothaariges Mädchen in einem schwarzen Kleid mit rot-gelb geringelten Strümpfen, tollte über den Rasen. Dicht hinter hier liefen und flogen zahlreiche, seltsame Gestalten: eine schwarze Katze mit einem roten Halsband, ein Zyklopenmädchen mit einer großen Schleife im schwarzen Haar, ein kleines Gespenst, ein traurig aussehendes Mädchen in einem blauen Kleid, ein Rabe in einem violetten Frack, ein Skelettjunge mit roten Chucks, eine ängstliche Fledermaus und ein Junge mit einem grünen und einem blauen Kopf, der ein Smileytshirt trug. Alle lachten und tobten ausgelassen. „Fang mich doch, Iris!“, rief Ruby dem Zyklopenmädchen zu, während der Junge mit den zwei Köpfen sich mit sich selber zankte: „Du hast Doom Kitty entkommen lassen, Len.“ –„Gar nicht wahr, Frank. Dafür hast du doch Boo Boo vorhin nicht fangen können.“ Mystery musste sich vor Unmut schütteln. Wie gut, dass Emily nie auf die Idee kam, gemeinsam durch den Garten zu tollen. Im Keller zu experimentieren oder Seancen auf dem Friedhof abzuhalten war ja viel unterhaltsamer. Bevor der ganze niedliche Spaß zu viel für ihre Nerven wurde, baute sich Emily vor der Gesellschaft auf und räusperte sich lautstark. Mit einem Schlag wurde es eine Spur düsterer und es war mucksmäuschenstill. „Oh mein Gott!“, kreischte Ruby aufgeregt. „Das ist ja Emily the strange! Wie schön, dass du uns besuchen kommst. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich eine Party für dich vorbereitet. Los, Misery, Poe, holt ein paar Erfrischungen für unsere Gäste.“ Sofort setzten sich der Rabe und das traurige Mädchen in Bewegung, wobei diese Misery auf dem Weg ins Haus über einen Blumentopf stolperte. Emilys Augenbrauen zuckten unmerklich und sie musste sich wirklich zusammenreißen, um nicht laut loszuschreien. Eisig taxierte sie Ruby und murmelte unheilvoll: „Ich komme wegen deiner Fernsehserie…“ „Du hast sie gesehen? Toll, toll, toll! Ist sie nicht fantastisch?“, brabbelte das rothaarige Mädchen munter drauf los. „Hab ich es euch nicht gesagt? Die Serie ist ein Hit, sogar Emily findet sie toll. Aber du hättest deswegen doch nicht unbedingt zu uns kommen müssen, um uns dafür zu gratulieren. Das wäre doch nicht nötig gewesen.“ „Deswegen bin ich nicht hier…“, warf Emily brummig ein, als sie endlich wieder zu Wort kam. Ruby stutzte kurz: „Ach, deswegen nicht? Ah, ich verstehe, du wolltest uns endlich mal richtig kennenlernen. Ja klar, da wohnen wir so nah bei einander und sind uns noch nie begegnet. Das ist wirklich eine Schande. Na gut, dass du hergekommen bist. Wenn du möchtest, kannst du gleich hier bleiben und wir machen eine Pyjamaparty.“ „Eine Pyjamaparty kann sehr lustig werden.“, erklärte das traurige Mädchen und drückte Emily ein Glas in die Hand, das diese skeptisch auf seinen zitronig-süßen Inhalt prüfte. „Darum auch nicht!“, verkündete Emily mit donnernder Stimme, die keine Unterbrechungen zuließ. „Sagt mal, seid ihr blind? Seht ihr nicht, dass ihr euch verkauft? Wie könnt ihr nur so einen seichten Kuschel-Wuschel-Schmus im Fernsehen zeigen? Versteht ihr denn nicht, dass ihr das Leben in der Dunkelheit in den Dreck zieht?“ Fassungslos sahen die Bewohner von Gloomsville sie an. „Soll das heißen, dass du keine Lust zu einer Pyjamaparty hast?“, fragte Iris vorsichtig. Ruby strahlte sofort wieder: „Kein Problem, wir können die Party ja verschieben. Aber vielleicht hast du ja Lust eine Tasse Tee zu trinken. Wir haben vorhin ganz tolle Plätzchen gebacken.“ „Habt ihr nicht zugehört? Wir stehen nicht auf so einen Friede-Freude-Eierkuchen-Kitsch. Wir basteln gerne Voodoopuppen, entwickeln gruselige Geräte oder gucken Horrorfilme. Wir haben absolut keinen Bock auch nur ansatzweise niedlich zu wirken. Wir sind anders! Und ihr habt das zuerst vorgeheuchelt oder was sollten die ganzen Tshirts mit den düsteren Sprüchen, die ihr über das Internet verkauft habt? Ihr beschmutzt den guten Ruf von allen andersdenkenden, andersartigen Dunkelheitsfanatikern.“, rief Emily, die sich gerade wieder in Rage redete. „Soll das heißen, dass du auch keine Plätzchen magst? Möchtest du lieber ein Stückchen Sahnetorte?“, erkundigte sich Skelettie, der Skelettjunge mit den roten Chucks. Für eine Sekunde war das Gesicht von Emily ausdruckslos. „Ahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh!!! Ich halte es nicht aus! Die sind doch alle wahnsinnig hier. Wie kann man nur so zuckersüß sein?“, schrie sie. „Reg dich nicht auf. Lass uns lieber gehen, die sind mir echt unheimlich hier.“, beschwichtigte Mystery ihre Freundin. Miles stimmte ihr zu: „Die haben wohl zu oft ihre eigene Serie gesehen und sich selbst gehirngewaschen.“ Sabbath fauchte der seltsamen Gesellschaft noch einmal zu und half dann den anderen Katzen dabei, die fassungslose Emily wieder nach Hause zu schaffen. „Warum waren die jetzt eigentlich hier, wenn sie keine Plätzchen mögen?“, erkundigte sich die Fledermaus Flattermann. Ruby sah dem Mädchen mit ihren vier schwarzen Katzen hinterher und zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung… Wollen wir nicht lieber weiter spielen?“ Es hatte einige Zeit gedauert, bis die fünf Freunde zurück in ihr wunderbar düsteres Haus gelangten. Immer wieder war Emily auf einen der Grabsteine gesunken und hatte entgeistert gemurmelt: „Warum? Macht denen das etwa auch noch Spaß? Wie kann man nur?“ Erst als Emily wieder in ihren Sessel verfrachtet worden war, konnten Mystery und die anderen aufatmen. Nach ein paar Stunden war sie wieder die Alte. Nur die Verkaufszahlen ihrer Fanartikel machten ihr noch Sorgen. „Keine Panik. Das wird sich schon wieder einrenken. Die echten Fans der Düsternis werden sich nicht von diesem Gefühlsschmalz abschrecken lassen und bleiben ihrem Genre treu. Du wirst sehen.“, beschwichtigte Mystery. Emily schüttelte den Kopf: „Das ist einfach zu krass, selbst für die ganz Hartgesottenen. Der Verkauf wird in den Keller gehen. Und wovon sollen wir dann leben? Dann müssen wir aus dem Haus raus. Dann gibt es keine Shoppingtouren mehr über den Schwarzmarkt. Wir müssen dann in einem rattenverseuchten Kellerloch leben…“ „Dude, so ein rattenverseuchtes Kellerloch hört sich doch toll an. Klingt urgemütlich.“, meinte Sabbath. Miles sah fragend zu Nee-Chee rüber. „Aber so weit wird es doch nicht kommen, oder? Dass wir nicht mehr auf dem Schwarzmarkt einkaufen gehen können.“ In Gedanken ging er bereits die nächsten Angebote der Giftmischerwoche durch, die er verpassen könnte. „Nur keine Sorge. Die Verkaufszahlen werden nicht weiter sinken. Und wenn, dann trägt das die Katze auf dem Schwanz fort. Es wird schon alles beim Alten bleiben.“, erklärte der große Philosoph und natürlich würde er wie immer Recht behalten. Erleichtert atmete Emily auf. „Ihr habt bestimmt Recht. Also wozu aufregen? Wenden wir uns den angenehmen Dingen des Lebens zu. Wie wäre eine Partie Gläser rücken?“ So kehrte wieder Ruhe in das „strange“ Haus ein und von da an wurde ein gewisses Fernsehprogramm für immer vermieden. Kapitel 3: A hitch to ditch the twitching witch board ----------------------------------------------------- Ein einsamer Sonnenstrahl fiel durch den winzigen Spalt zwischen den dunkelroten Samtvorhängen auf die schwarze Katze, die auf dem staubigen Boden des Wohnzimmers ein Nickerchen hielt. Der schmale Streifen Licht reichte aus, um Mystery aus ihren dunklen Träumen zu reißen. Blinzelnd hob sie kurz den Kopf und wollte sich eigentlich wieder gemütlich zusammenrollen, als eine kleine Bewegung am Kamin ihre Aufmerksamkeit erregte. Vielleicht eine Maus. Hoffentlich eine junge Unerfahrene, die noch nicht die Gefahr einer Katze kannte. Ansonsten wäre ihr Ruf bald dahin, wenn die Mäuse keine Furcht mehr vor ihr hätten. Schließlich hieß es ja: Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Und nicht: Hält die Katze ein Nickerchen… Kaum merklich spannte Mystery die Muskeln an und fuhr ihre scharfen Krallen aus. Bereit zum Sprung, um der vorwitzigen Maus einen Denkzettel zu verpassen. Vorsichtig linste sie zum Kamin. Aber dort huschte kein unvorsichtiges Mäuschen entlang. Verwundert blinzelte die alte Katze. Hatten ihre Augen ihr einen Streich gespielt? Wo vorhin noch Bewegung war, war bloß noch der unerschütterliche Steinkamin. Allerdings waren plötzlich die heimeligen Spinnweben verschwunden. Irgendetwas Merkwürdiges passierte hier, das konnte Mystery bis in ihr gesträubtes Nackenfell spüren. Sie erhob sich und huschte auf leisen Pfoten aus dem Wohnzimmer. Schließlich musste hier ja jemand nach dem Rechten sehen und wie immer war sie dieser Jemand. Mit gespitzten Ohren tigerte sie durch das Haus. Miles polterte im Keller herum. Was zur heiligen Birma trieb er da wieder? In den letzten Tagen war er ständig spurlos verschwunden, um dann Stunden später mit ominösen Päckchen wieder aufzutauchen und sofort wieder im Keller zu rumoren. Mystery schwante nichts Gutes von diesen geheimnistuerischen Aktivitäten. Eines Tages würde wegen seinen Experimenten und der Giftmischerei noch einmal das ganze Haus explodieren und dann wäre auch ihr achtes Leben vorbei. Aber das war ja nicht das Merkwürdige, was sie erforschen wollte. Kopfschüttelnd ging sie an der Kellertreppe vorbei und wand sich der Küche zu. Dort saß Nee-Chee auf dem Fensterbrett und starrte bewegungslos nach draußen. Nur sein schwarzweißgeringelter Schwanz pendelte leicht herum und verriet äußerste Konzentration. Mit einem eleganten Satz sprang Mystery zu ihm hoch und schaute ebenfalls aus dem Fenster. Im Garten machte Sabbath sich einen Spaß daraus, zwischen den schnappenden Venusfliegenfallen hin und her zu wetzen, während Emily sich in den Schatten der riesigen Buche zurückgezogen hatte und zum hundertsten Mal Frankenstein las. „Sag mal, ist dir heute etwas Seltsames aufgefallen?“, unterbrach Mystery die Gedanken des Philosophen. Nee-Chee blickte sie irritiert an und brauchte einen Moment, um zu antworten. Zu sehr hatte er sich in seine Überlegungen über den Sinn des Lebens vertieft. Der entscheidende Gedankenblitz war nur einen Katzensprung weit weg gewesen. „Etwas Seltsames? Meinst du das Paket von Okkultistische Obskuritäten, das heute für Miles abgegeben wurde?“ „Nein, das ist doch normal. Ich meine etwas seltsam Seltsames“, erwiderte sie und fragte sich im Stillen, was Miles nur wieder ausheckte. Nachdenklich strich sich Nee-Chee mit der rechten Pfote über die Nase und murmelte: „Ist es seltsam genug, dass die dicke Staubschicht auf dem Dielenschrank fort ist?“ „Genau das meinte ich. Die Spinnweben am Kamin sind auch weg. Das ist doch merkwürdig, zumindest merkwürdiger als alles andere hier.“ Dabei schaute sie noch einmal zu dem Beet mit den fleischfressenden Pflanzen hinaus, die für ihren Geschmack viel zu groß geworden waren. Jenen Teil des Gartens hatte sie seit geraumer Zeit gemieden wie die Katze das kalte Wasser. „Es käme doch keiner von uns auf die Idee sauber zu machen. Irgendetwas geht hier vor. Wir sollten mit den anderen sprechen.“ Ergeben nickte Nee-Chee. Er wusste nur zu gut, dass Mystery stets merkte, wenn etwas nicht stimmte. Der Sinn des Lebens musste also warten. Es hatte sie einige Mühe gekostet, Miles aus dem Keller zu holen. Angeblich stand er kurz vor dem Durchbruch wozu auch immer, denn mehr wollte er nicht verraten. Nee-Chee hatte ähnliche Schwierigkeiten damit, Sabbath einzufangen. Wenigstens Emily hatte sofort ihr Buch zugeklappt und war ins Haus gegangen. Aber nun waren sie alle im Wohnzimmer versammelt. Selbst Sabbath konnte mal endlich stillsitzen, obwohl sein Blick während Mysterys Ausführungen immer wieder nach draußen schweifte. „Dude, weck doch nicht schlafende Katzen, nur weil ein bisschen Staub weg ist“, gab der junge Kater von sich und kratze sich am linken Ohr, das eine gehörige Kerbe aufwies. Eigentlich wollte Mystery gerade eine spitze Antwort fauchen, als Emily begeistert aus dem Sessel sprang und auf etwas zeigte. „Da, schaut euch das an!“ Überrascht blickten die vier schwarzen Katzen in die Richtung. Dort schwebte ein eingestaubter Kerzenständer mitten in der Luft. „Das haut den stärksten Kater um“, rief Miles und starrte mit weitaufgerissenem Auge auf das fliegende Objekt. „Ha, von wegen schlafende Katzen wecken…“, zischte Mystery, „Ich habe es ja gesagt, hier passiert etwas Merkwürdiges. Wir haben einen Geist im Haus.“ „Ich hole sofort das Hexenbrett“, rief Emily aufgeregt und rannte aus dem Zimmer. Nach einigem Klappern und Rascheln im Flur eilte sie wieder mit einem Karton unter dem Arm zurück ins Zimmer. Mit wenigen Handgriffen hatte sie das Hexenbrett ausgepackt und auf den Boden gelegt. „Dude, also mal wieder eine Séance“, seufzte Sabbath und schlenderte langsam zu dem Brett herüber. So viel Spaß wie Emily bereiteten ihm Séancen nicht. Meistens musste man ewig lange warten, bis die Geister sich dazu herabließen, mit ihnen zu sprechen. Er konnte einfach nicht die Geduld dafür aufbringen und fühlte sich schnell wie die Katze auf dem heißen Blechdach. Zumindest war dieses Mal der Geist schon anwesend und musste nicht erst gerufen werden. Nach und nach setzten sich die schwarzen Katzen zu ihrer kleinen Freundin und legten ihre Pfoten auf die Planchette des Ouija-Bordes. „Ich rufe dich, Geist mit dem Kerzenständer. Bist du noch da?“, sagte Emily mit klarer Stimme und schaute erwartungsvoll auf das Hexenbrett. Nee-Chees Schwanz zuckte vor Anspannung, als sich der Zeiger langsam bewegte. Vielleicht kannte dieser Geist endlich mal den Sinn des Lebens. Ruckelnd kam die Planchette auf dem Ja-Feld zum Stehen. „Frag den Geist, warum er die Spinnweben entfernt hat“, ließ Mystery verlauten. „Nein, frag lieber nach dem Sinn des Lebens“, meldete der Philosoph sich zu Wort. „Warte, frag, ob er Ahnung von Alchemie hat“, mischte sich Miles ein. Emily schüttelte den Kopf. „Eins nach dem anderen. Geist, verrätst du uns deinen Namen?“ Der Zeiger bewegte sich erneut. A-M-A-N-D-A. Das schwarzhaarige Mädchen schien ein wenig enttäuscht. Schon wieder nicht Edgar Allan Poe oder Bram Stoker. Sie seufzte leise. „Amanda, Mystery lässt fragen, warum du die Spinnweben entfernt hast.“ Gespannt waren fünf Augenpaare auf den Seelenschreiber gerichtet. Langsam zuckte der Zeiger wieder von Buchstabe zu Buchstabe. W-E-I-L S-I-E G-E-S-T-Ö-R-T H-A-B-E-N. Irritiert sah Emily ihre Katzen an. Warum sollten Spinnweben jemanden stören? So ganz einleuchtend war diese Antwort nicht gerade. „Okay, Amanda, kennst du den Sinn des Lebens?“, versuchte sie eine andere Frage. Für einen Moment war es totenstill im Raum. Scheinbar dachte Amanda kurz nach. S-A-U-B-E-R-K-E-I-T U-N-D O-R-D-N-U-N-G. „Dude, will sie uns verschaukeln?“, raunzte Sabbath. Nee-Chee schüttete betrübt den Kopf. „Amanda hat also auch keine Ahnung. Als wenn so eine Banalität der Lebenssinn wäre.“ Emily kraulte dem Philosophen mit der freien Hand tröstend das Ohr. Diese Séance war wirklich eine Enttäuschung. „Sag mal, Amanda, was für ein Geist bist du eigentlich?“ E-I-N P-U-T-Z-T-E-U-F-E-L. „Na klasse, das hat uns gerade noch gefehlt“, beschwerte sich Mystery. Miles zog als Erster seine Pfote zurück. „Pech gehabt. Vielleicht ist bei der nächsten Séance mal ein gescheiter Geist dabei. Ich verzieh mich dann wieder in den Keller.“ Und schon trottete er zurück zu seinen Experimenten. „Zu schade aber auch“, murmelte Emily und stand auf, „Na ja, dann lese ich halt noch ein bisschen.“ Sabbath trollte sich wieder in den Garten, um die fleischfressenden Pflanzen zu ärgern. Und Nee-Chee kehrte mit einer Katerstimmung zurück in die Küche, um weiter über den Sinn des Lebens zu grübeln. Nur Mystery blieb im Wohnzimmer sitzen und betrachtete nachdenklich das Ouija-Bord. Das Merkwürdige war doch nicht so interessant gewesen, wie sie gedacht hatte. Zumindest konnte sie jetzt das Nickerchen fortsetzen. Mit einem Satz war sie auf dem Sessel und rollte sich behaglich zusammen. Zwar war das Seltsame nicht interessant, aber es war noch immer seltsam und vor allem nachhaltig. Das Hexenbrett rumpelte auf dem Boden, dass Mystery nicht einschlafen konnte. Der Zeiger zuckte noch immer. W-A-S I-S-T D-A-S N-U-R F-Ü-R E-I-N S-A-U-S-T-A-L-L H-I-E-R. Genervt sprang die alte Katze vom Sessel. Irgendwo musste doch ein ruhiges Plätzchen sein. Das Ouija-Bord rappelte lautstark, als Mystery in die Küche ging. Sie rollte sich gerade auf dem Tisch ein, da schwebte das Bord in den Raum. Nee-Chee, der wieder auf dem Fensterbrett saß, drehte sich erstaunt um. „Die ist aber hartnäckig.“ I-G-I-T-T E-S M-Ü-S-S-T-E M-A-L G-E-S-P-Ü-L-T W-E-R-D-E-N. „Das kannst du laut sagen“, fauchte Mystery, „Die hat mich gerade schon genervt. Und jetzt kommt sie einfach hinter mir her.“ Es war schrecklich, wohin man seine Pfote setzte, überall tauchte Amanda mit dem Hexenbrett auf und beschwerte sich über die fehlende Ordnung. Ü-B-E-R-A-L-L S-T-A-U-B. Selbst wenn man sie links liegen ließ, nörgelte sie weiter. H-I-E-R G-E-B-L-I-E-B-E-N. I-H-R S-O-L-L-T-E-T H-I-E-R M-A-L R-I-C-H-T-I-G A-U-F-R-Ä-U-M-E-N. Am Ende des Tages hatten die Bewohner des strangen Hauses die Nasen gestrichen voll. „Verdammt nochmal, zieh Leine! Verschwinde!“, brüllte Emily das Brett an. „Hier wird nicht aufgeräumt.“ D-A-S W-A-R-A-B-E-R N-I-C-H-T N-E-T-T. „Das sollte auch nicht nett sein. Du bist eine verdammte Nervensäge mit deinem blöden Putzfimmel!“, rief das schwarzhaarige Mädchen erbost und schnappte sich das Ouija-Bord. Wütend pfefferte sie es auf den Boden. „Raus aus meinem Haus!“ „Dude, wie werden wir den Wischmopp nur wieder los? Das hält ja keiner aus“, fragte Sabbath. Nee-Chee überlegte laut: „So einfach haut die nicht wieder ab.“ „Vielleicht hilft Weihwasser?“, schlug Miles vor. „Zufälligerweise gab es gerade welches zum Sonderangebot auf dem Schwarzmarkt.“ „Das ist eine klasse Idee, damit schaffen wir sie uns vom Hals. Und ich kann endlich ungestört schlafen“, stimmte Mystery zu. Miles rannte sofort zu seinem Vorratsschrank und kramte etliche Flaschen Weihwasser hervor. Emily hatte endlich von dem Brett abgelassen und schnappte sich gleich drei der Flaschen. Überall im Haus verschüttete sie Weihwasser und grinste dabei hämisch. Erst als der letzte Tropfen verschüttet war, war sie zufrieden. „Jetzt müsste sie aber wirklich das Weite gesucht haben“, seufzte sie und ließ sich in den alten Sessel sinken. Mystery nickte bedächtig: „Das schon, aber in gewisser Weise hast du ihr auch ihren Wunsch erfüllt. Es sieht hier viel sauberer aus als vorher.“ „Dude, egal. Hauptsache, das Weibsstück ist fort“, kommentierte Sabbath den blitzeblanken Zustand des Hauses. Zufrieden schnurrend strich er um den Sessel. Zumindest würde es für die nächste Zeit keine Séancen mehr geben. Emily schien nicht mehr so erpicht darauf zu sein, mit Geistern zu kommunizieren. Kapitel 4: Stave off strange – Save our souls --------------------------------------------- Ein düsterer Morgen dämmerte herauf. Innerhalb von Sekundenbruchteilen sollte sich dieser ruhige Morgen in das reinste Chaos verwandeln. Zumindest konnte niemand behaupten, man hätte ihn nicht gewarnt. Seit geraumer Zeit hatte Mystery schon prophezeit, dass eines Tages das geheimnisvolle Treiben im Keller für großen Ärger sorgen würde. „Irgendwann fliegt das ganze Haus noch in die Luft, dann haben wir unsere neun Leben verwirkt und können uns die Katzenminze von unten angucken“, pflegte sie zu sagen. Bis zu jenem schicksalshaften Morgen waren diese Prophezeiungen wenigstens in Sabbaths Ohren nur die übervorsichtigen Worte einer alten Katze. Ein gewaltiger Knall riss die Bewohner des strangen Hauses aus ihren dunklen Träumen und ließ die Grundmauern regelrecht erzittern. Alarmiert sprang Mystery aus dem gemütlichen Sessel und sauste zur Eingangshalle, von der dieser ohrenbetäubende Lärm gekommen war. Dichte Rauchschwaden drangen aus dem Keller und ein hustender Miles torkelte die Treppe hinauf. „Dude, was geht denn hier ab?“, erkundigte sich Sabbath, der gerade von seinem nächtlichen Streifzug durch die Gemeinde zurückgekehrt war. „Ich dachte schon, das Haus stürzt gleich ein, so wie es vor sich hin gewackelt hat.“ „So hat es sich auch angefühlt“, bemerkte Nee-Chee. Sein schwarz-weiß-geringelter Schwanz zuckte noch etwas nervös, als er durch die Küchentür trat. Endlich hatte sich Miles‘ Husten gelegt und der Kater blinzelte seine Freunde mit seinem gesunden Auge an. „Das Experiment, an dem ich schon so lange arbeite, stand kurz vor seiner Vollendung. Die Maschine lief einwandfrei. Aber irgendetwas scheint dann doch schief gegangen zu sein…“ „Ich habe es ja immer gesagt! Deine ganze Geheimniskrämerei wird noch einmal dafür sorgen, dass das Haus in die Luft fliegt. Und heute hast du es ja beinahe geschafft!“, fauchte Mystery schlechtgelaunt. Schließlich konnte sie sich bessere Arten vorstellen, früh morgens geweckt zu werden. Inzwischen war auch Emily die Treppe vom Obergeschoss herunter geschlurft und nuschelte gähnend: „Es ist ja noch mal gut gegangen. Vielleicht lässt sich der Fehler ja beheben. Am besten wir schauen uns den Apparat an, sobald sich der Rauch etwas verzogen hat.“ Mystery schüttelte unwillig den Kopf: „Warum muss überhaupt an diesem gefährlichen Ding rumgebastelt werden? Wenn das so weiter geht, ist das Haus bald endgültig ein Trümmerhaufen.“ Der einäugige Kater ignorierte den Einwand und wog nachdenklich das Angebot des Mädchens ab. Nur ungern offenbarte er seine neuen Erfindungen, wenn sie noch derart in den Kinderschuhen steckten, schließlich wurden Vögel, die zu früh sangen, abends von der Katze geholt. „Nun gut, ihr könntet ja einen kurzen Blick darauf werfen“, murmelte er zögerlich, „Die Monster-Maschine ist wirklich komplizierter, als ich gedacht hatte.“ Der junge Kater mit der Ohrkerbe schaute neugierig seinen Freund an. „Dude, was macht denn so eine Monster-Maschine?“ „Na ganz einfach, sie holt Monster in unsere Welt. Das ist logisch, oder?“, erklärte Miles mit vor Stolz geschwellter Brust, „Stell dir doch nur mal vor, wie toll es wäre, Dracula einladen zu können. Oder mit Dr. Jekyll über Chemie zu diskutieren. Es gäbe so viele Möglichkeiten.“ Mystery ließ nur ein verächtliches Raunzen vernehmen. Im Stillen malte sie sich schon Schreckensszenarien mit hunderten von Werwölfen aus. Aber ihre Freundin war vollkommen begeistert. „Du hast vollkommen Recht, Miles. Es wäre einmalig, jederzeit ein so berühmtes Monster um sich zu haben. Wir sollten uns wirklich beeilen und die Maschine richtig in Gang bringen.“ Voller Tatendrang schritt Emily zur Kellertreppe. In diesem Moment erklang ein heftiges Poltern dort unten. Miles spitzte überrascht die Ohren, während Mystery einen kleinen Satz nach hinten machte und zischte: „Jetzt explodiert das Ding garantiert noch.“ „Das bezweifele ich“, mischte sich der Philosoph der Truppe ein, „Das klang viel eher nach schweren Schritten im Keller.“ Aufgeregt sauste der schnellste Kater der Stadt hinunter in sein Laboratorium und rief: „Vielleicht hat es ja doch geklappt und das erste Monster ist bereits hier, um uns zu besuchen. Schnell, beeilt euch!“ Das schwarzhaarige Mädchen folgte ihm auf dem Fuße. So eine Gelegenheit einen ihrer Romanlieblinge in natura zu begegnen, wollte sie sich um nichts auf der Welt entgehen lassen. Die drei anderen Katzen trotteten nach kurzem Zögern mit etwas Abstand hinter ihnen her. In Mysterys Fall ging das nicht ohne halblauter, prophetischer Schwarzmalerei von statten. Der Keller war noch immer etwas rauchig und die nackte Glühbirne, die an der Decke hing, spendete nicht ausreichend Licht, um sofort erkennen zu können, woher das Poltern kam. Unschlüssig standen Emily und die vier Katzen an der Treppe und blickten angestrengt durch den Qualm. „Dude, seht ihr das auch?“, erkundigte sich Sabbath und starrte zum hinteren Kellerteil. Ein riesiger Schatten zeichnete sich gegen den Rauch ab und dumpf polternde Schritte näherten sich ihnen langsam. Emily blickte gebannt zu dem Besucher hinüber und stieß atemlos hervor: „Oh mein Gott, das ist garantiert Frankensteins Monster.“ Untypischerweise klang ihre Stimme ganz piepsig, ihre Knie fühlten sich ganz wacklig an und ihre Hände waren vor Aufregung schweißnass. So würden wohl normalere Mädchen reagieren, wenn sie ihre geliebte Boyband treffen könnten. Aber Emily war nun einmal nicht normal. Mit jedem weiteren dröhnenden Schritt des Monsters wurden die fünf Bewohner des strangen Hauses nervöser, einer solch bekannten Persönlichkeit endlich gegenüber treten zu können. Nach und nach lichtete sich der Rauch und sie konnten mehr als nur einen Schatten erkennen. Beim anblick des Monsters stieß Emily einen spitzen Schrei aus: „Er ist pink!!!“ Voller Entsetzen starrte sie das Monster an. „Das stand aber nicht so im Roman!“ „Das… das kann nicht sein!“, rief Miles, „Da muss etwas erheblich schief gelaufen sein. Schlimmer als ich vorhin vermutet hatte.“ Nee-Chee schaute mit schiefgelegtem Kopf auf die absonderliche Erscheinung: „Na ja, vielleicht ist sonst alles in Ordnung mit ihm. Die Farbe ist zwar schrecklich, aber dazu kann er ja nichts.“ Auf dem Gesicht des Monsters breitete sich ein seliges Lächeln aus und mit hoher, verzückter Stimme sprach es die grauenvollsten Worte aus. „Schmusekatze! Knuddeln will!“ Die vier schwarzen Katzen tauschten kurz entsetzte Blicke aus, um dann in Windeseile an ihrer Freundin vorbeizustürmen und die Treppe wieder hinauf zu rennen. „Ich habe es von Anfang an gesagt!“, fauchte Mystery, „Die ganze Experimentiererei bringt nichts als Ärger. Jetzt hast du uns ein pinkes Knuddelmonster auf den Hals gehetzt!“ Besagtes Knuddelmonster nahm mit den Worten „Miezekätzchen, warten!“ die Verfolgung auf und ließ eine verdatterte Emily allein im Keller zurück. Irgendwie hatte sie sich dieses Treffen anders vorgestellt. Nachdenklich betrachtete sie die Monster-Maschine. Währenddessen verlief die wilde Verfolgungsjagd einmal quer durch das Haus, hinaus in den Garten und durch das Kellerfenster wieder hinein in das Haus. Der heiligen Birma sei Dank schien das Monster nicht sonderlich intelligent zu sein und blieb daher vor dem schmalen Fenster stehen. Das echte Romanmonster hätte wohl einfach ohne Rücksicht auf Verluste das Fenster auf Monstergröße erweitert. Zumindest blieb den Katzen so die Gelegenheit etwas zu verschnaufen. „Dude, das ist das uncoolste Monster, das ich je gesehen habe“, erklärte Sabbath und schüttelte sich. Miles sah ratlos in die Runde: „Dabei kann ich mir wirklich nicht erklären, wie es dazu kommen konnte.“ „Es lag an dieser Mixtur, die das Monster materialisieren sollte“, warf Emily ein, die die Maschine eingehend untersucht hatte, „Die ist irgendwie verunreinigt und hat deshalb so einen Nebeneffekt erzeugt.“ Ungläubig riss der Kater sein gesundes Auge auf. „Verunreinigt? Wie kann das denn sein? Ich benutze doch nur die besten Schwarzmarktprodukte.“ „Die Besten würde ich nicht gerade behaupten“, ließ der Philosoph verlauten. Sein geringelter Schwanz pendelte von der Werkbank herunter, auf die er sich gesetzt hatte. „Dieses Päckchen hier enthält Gruselgranulat, das mit Fluffigweichpulver versetzt ist. Man kann das rosa Pulver ganz deutlich auf dem Paketboden erkennen. Es ist wirklich ein Wunder, dass du das nicht gesehen hast.“ Miles sah etwas kläglich aus und murmelte undeutlich: „Die Mixtur habe ich letzte Nacht angerührt, da ist mir das nicht aufgefallen. Ihr wisst ja, nachts sind alle Katzen grau…“ Die alte Katze bemerkte spitz: „Na klasse, wegen deiner Farbenblindheit werden wir noch zu Tode geknuddelt. Ich hatte gehofft mein vorletztes Leben auf etwas angenehmere Weise zu verlieren.“ „Dude, dann müssen wir das Monster halt wieder los werden“, meinte Sabbath lässig, „Hat die Maschine keine Umkehrfunktion?“ „Schmusekätzchen!“, drang der entzückte Ruf des Monsters bis in den Keller. „So weit ich das sehe, hat Miles das alles mit eingebaut“, erklärte Emily, „also wäre die wichtigste Frage, wie wir das Monster dazu bringen, in die Maschine zu gehen.“ „Irgendwie müssen wir es wohl wieder in den Keller locken, aber wer hängt der Katze die Schellen um?“, fragte Nee-Chee. Sabbath kratzte sich kurz am Ohr und legte den Kopf schief: „Dude, das Monster mag Glöckchen?“ „Quatsch!“, versetze Mystery, „Nee-Chee fragt, wer den Lockvogel spielt. Ich würde sagen, dass das die Aufgabe des Schnellsten von uns ist. Außerdem Miles‘ Monster-Maschine, Miles‘ Monster, also Miles‘ Aufgabe.“ Damit war es beschlossen und die alte Katze konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Aber wie soll ich es denn locken?“, erkundigte sich Miles zweifelnd. Emily dachte angestrengt nach und murmelte: „Normale Monster mögen Dunkelheit und so etwas, aber dieses ist wirklich sonderbar.“ „Na dann denken wir einfach wie dieses pinke Ding!“, schlug Nee-Chee vor. „Du meinst, wir binden Miles ein Schleifchen um, damit er niedlich ist und das Monster ihm erst recht folgt?“, fragte Mystery nach. In diesem Moment tat ihr der Kater fast schon wieder etwas leid. „Ganz genau! Das ist der richtige Denkansatz“, bestätigte der philosophische Kater, „Du brauchst es dann nur in den Keller zu locken und bringst dich dann in Sicherheit. Von der Treppe aus legen wir eine Spur mit niedlichen Dingen rüber bis zur Monster-Maschine hin. Und sobald es in der Apparatur steht, drücken wir den Knopf. Dann heißt es auf Nimmerwiedersehen, Monster!“ Der junge Kater nickte: „Dude, dann fehlen uns nur noch niedliche Dinge und die Schleife für Miles. Aber woher sollen wir denn so etwas nehmen?“ „Ich wüsste da schon etwas.“ Emily klang peinlich berührt und sie lief zartrosa an. „Wir benutzen die Dinge aus der Truhe des Schreckens.“ „Die Truhe des Schreckens?“, echoten die vier Katzen irritiert. Inzwischen war aus dem Zartrosa ein Knallrot geworden. „Na ja, die Truhe des Schreckens ist voll mit schrecklich unpassenden Geschenke, die ich mal bekommen habe. Rosa Schleifchen und pinke Kuscheltiere und all so grauenvoller Kram, mit dem ich absolut nichts anfangen konnte. Aber ich habe die Sachen aufgehoben, weil ich dachte, dass man damit vielleicht herumexperimentieren oder es anders nützlich verwenden könnte.“ Mit diesen Worten schritt das schwarzhaarige Mädchen zum hintersten Kellerwinkel, in dem eine alte Truhe stand, die mit einer dicken Staubschicht und etlichen Spinnweben bedeckt war. Zögerlich öffnete sie den schweren Deckel und seufzte. Es musste wohl sein, wie sollten sie sonst das Monster wieder los werden? Ergeben holte sie den schrecklichen Inhalt aus der Truhe und verteilte ihn wie eine Spur aus Brotkrumen von der Treppe bis zur Maschine. Zum Schluss band sie noch Miles eine rosa Schleife um jede Pfote und den Schwanz. Sabbath hielt sich jammernd die Augen zu: „Dude, dass mir das nicht zur Gewohnheit wird und du immer so rumläufst.“ Miles schüttelte sich widerwillig bei dem Gedanken. „Niemals!“ Dann stieg er schweren Herzens die Treppe hinauf. Während sich die Übrigen im Keller versteckten, konnte sie ein liebliches Miau von Miles hören, mit dem er das Monster anlocken wollte. Und tatsächlich entfernten sich die polternden Schritte vom Kellerfenster in Richtung Haustür. Angespannt hielten alle im Keller den Atem an, als Miles, wie von wilden Hunden gejagt, die Treppe hinunter flitzte. Krachend stolperte das Monster hinter ihm her und säuselte mit extrem hoher Stimme: „Miezekätzchen! Kuscheln komm!“ Dieser Ruf allein genügte, um Miles senkrecht hoch zum Kellerfenster hinaus zu katapultieren. Zurück blieb das Monster, das unschlüssig auf der Treppe stehen blieb. „Schmusekatze?“ Doch bevor es einen Entschluss fassen konnte, entdeckte es den verteilten Plunder aus der Truhe des Schreckens. Mit entzückten Süß-Rufen sammelte es den pinken Teddy, das blonde Püppchen mit dem violetten Kleid, das rosa Herzkissen und anderen Kram ein, bis es vollbeladen in der Maschinenkammer stand. Im selben Moment legte Emily den Umkehrschalter um, während Nee-Chee auf diverse Knöpfe drückte. Die Monster-Maschine ruckelte und knallte, dass die Funken flogen. Aber sie erfüllte ihren Zweck ein letztes Mal, um den endgültig den geist aufzugeben. Das pinke Frankensteinmonster war verschwunden. „Dude, es ist weg! Wir sind mit heilem Fell davon gekommen“, verkündete Sabbath erleichtert. Miles steckte seinen Kopf durch das Kellerfenster und begutachtete den nun monsterfreien Keller. „Dann befreit mich doch endlich von diesen schrecklichen Schleifen.“ Mit einem Satz landete er wieder im Keller und versuchte sich mithilfe seiner Krallen diese Verschandlungen vom Hals zu schaffen. Mystery erbarmte sich dann doch, ihm dabei zu helfen. „Na, da bist du aber nochmal auf den Pfoten gelandet. Diese Monster-Maschine war viel zu gefährlich. Nur gut, dass sie jetzt Schrott ist“, verkündete sie. „Vielleicht hast du Recht“, beschwichtigte Miles sie, der jetzt nur noch froh war, die Schleifen loszuwerden. „Die nächsten Experimente werde ich ein paar Nummern kleiner halten. Und ich achte darauf, dass das Haus nicht in die Luft fliegt.“ Dabei grinste er spitzbübisch. Schließlich würde der Schwarzmarkt bald Alchemieangebote haben und mit etwas Glück würde bei einem kleinen Versuch mal echtes und kein Katzengold entstehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)