Father Dest's Erbe von Pansy (Fortsetzung zu "Sinnlose Versprechen") ================================================================================ Kapitel 5: - 5 - ---------------- - 5 – Silbern leuchtete der Mond am Nachthimmel und tauchte Jasons Gesicht in einen leicht verträumten Schein. Abwesend sah der junge Mann hinunter auf die Straße und fuhr sich nachdenklich durch das blonde Haar. „Die frische Luft tut gut, nicht wahr?“, rückte Holly näher an ihn heran und folgte seinen Blicken. „Die für diese Jahreszeit ziemlich warme Nacht lockt viele Menschen aus ihren Wohnungen.“ Lange sah sie den Bürgern der Stadt dabei zu, wie sie gut gelaunt durch die Straßen schlenderten, bis sich Jason irgendwann an sie wandte: „Das Essen war sehr schmackhaft. Ich danke dir für die Einladung.“ Behände drehte sie sich um hundertachtzig Grad und stützte sich mit beiden Ellbogen auf die Balkonbrüstung. „Ich habe dich eben gern bei mir“, erwiderte sie aufrichtig. „Wann zieht ihr eigentlich um?“ Er machte es ihr gleich und lehnte nun auch mit dem Rücken am Geländer. „Anfang nächsten Monat. Das heißt, wir werden jeden Tag nach der Arbeit nutzen müssen, um uns bis Weihnachten ein gemütliches Heim zu schaffen.“ Jason nickte nur und blickte durch das große Fenster auf Eddy, der allein auf dem Sofa saß, aber in keiner Weise einsam wirkte. Der Fernseher lief und hatte seine ungeteilte Aufmerksamkeit inne und war dafür verantwortlich, dass sich Amüsement in seinem Gesicht abzeichnete. Das Weinglas in seiner Hand, das er immer mal wieder an seinen Lippen ansetzte, unterstützte die reine Zufriedenheit in seinen Zügen. „Mit ihm an Heiligabend vor dem Kamin unterm geschmückten Christbaum sitzen, seine Hand auf…“, fuhr sie flüsternd fort, brach aber sogleich in ihren Ausführungen ab. „Das klingt kitschig“, lächelte sie Jason schwach an. „Macht nichts“, tat er ihre Verlegenheit mit einem Wink ab. „Für den Sinn für Romantik muss man sich nicht schämen. Die Welt ist ohnehin bieder genug.“ „Ich möchte dich nicht verletzen, Jason, aber… Lance kann dir keiner ersetzen, aber…“ Unsicher schüttelte sie den Kopf und vergrub eine Hand in ihrem smaragdgrünen Rollkragenpullover. „Zwinge dich nicht, jegliches Gefühl zu unterdrücken“, seufzte sie. „Du brauchst dir keine Sorgen machen.“ „Und warum kommt das dann so nüchtern über deine Lippen?“ Vorsichtig griff sie nach seiner Hand und hielt sie in ihre gebettet. „Du musst für niemanden stark sein. Bei mir darfst du dich fallen lassen, Jason. Du hast kein einziges Mal… geweint, als du die Ursache für den Tod deines Vaters erfahren und Lance verlassen hast.“ „Sein Tod ist fast zweieinhalb Jahre her“, entgegnete er gelassen. „Tränen von heute sind vollkommen überflüssig.“ „Und die Trennung von Lance?“ „Er ist selbst schuld.“ Sie schluckte. „Und was empfindest du wirklich?“ Böse sah er ihr in die Augen, doch seine Mimik wurde von Sekunde zu Sekunde weicher, bis er laut stöhnte: „Ich habe ihn geliebt.“ „Und er fehlt dir.“ Jasons Blick wanderte auf seinen Arm und er spürte erneut Lance’ Finger. Ein bitteres Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Egal, was ich auch machen würde, er lässt mich nicht los.“ „Wahre Liebe vergeht nicht einfach, aber sie wird tagtäglich verblassen. Und irgendwann wirst du bereit sein, dich auf jemand neues einzulassen.“ Eigentlich wollte Holly ihn trösten, doch ihr kamen ihre eigenen Worte vollkommen heuchlerisch vor. „Ich rede schon wieder ohne groß nachzudenken“, senkte sie die Augen gen Boden und ließ seine Hand wieder los. „Wer weiß schon, was die Zukunft bringt“, legte er seine Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an. „Solange ich dich habe, habe ich Hoffnung.“ Seine einzige Hoffnung, doch das musste sie nicht wissen. „Störe ich?“, drang Eddys Stimme an ihrer beider Ohren. Sich streckend stand er im Türrahmen, aber weder Skepsis noch Misstrauen ging von ihm aus. Holly runzelte die Stirn ob seines unpassenden Timings und doch trat sie von Jason zurück und auf ihren Freund zu. „Wir haben uns nur darüber unterhalten, wie herrlich die Nacht doch ist.“ „Selten für einen späten Herbsttag“, nickte er und legte seine Arme um Hollys Hüften, hauchte einen Kuss auf ihre Wange. Unwillkürlich schmiegte sie sich an ihn. „Und doch trägt die Luft den Duft von Schnee in sich.“ „Auf die kleinen, weißen Flocken… kann ich verzichten“, schmunzelte Eddy und ignorierte ihren gekränkten Blick. „Oder möchtest du jeden Morgen zur Arbeit schliddern?“, sah er zu Jason. „Fataler Fehler“, erwiderte der blonde Mann zwinkernd. „Heute Nacht wirst du wohl die Couch näher kennenlernen dürfen“, fuhr er scherzend fort. Pikiert blickte Eddy von einem zum anderen und Holly verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Ich dachte, ich hätte einen Freund, der sich ein wenig mehr an den schönen Dingen erfreut“, meinte sie. „Aber… Es ist eben lästig, wenn… Ich kann rutschige Straßen eben nicht ausstehen“, verteidigte er sich verzweifelt. „Na, dann bereinige die Sache mal“, ging Jason grinsend an ihm vorbei in die Wohnung zurück. Langsam ließ er sich auf das Sofa nieder und betrachtete Eddy, der wild gestikulierend auf Holly einredete, die ihm kurz zulächelte. Es war sehr erheiternd, dem Drucker dabei zuzusehen, wie er sich Stück für Stück wieder aus dem Fettnäpfchen arbeitete, in das er getreten war. Zwar war Holly eigentlich gar nicht wirklich gekränkt, dass er nicht viel für die weißen Flocken übrig hatte, aber sie ließ ihn wohl gerne ein wenig zappeln. Jason musste sich von der brünetten Journalistin zukünftig weitestgehend fernhalten, selbst wenn sie sein einziger Halt war. Er durfte nicht zulassen, dass sie aufgrund ihres bisherigen Wissens herausbekam, dass er sich hinter den Artikeln von R.I. verbarg und einen Gegenschlag plante. Tyrone von Zundersby würde sicherlich nicht tatenlos zusehen, wenn sie von seiner zweiten Identität wüsste. Und Jason war sich mittlerweile sicher, dass der Schlossherr Taten seinerseits vermutete. Aspir war äußerst gefährlich und sie musste vor ihm geschützt werden. Doch wie konnte Jason dies bewerkstelligen, außer vor ihr in gewisser Hinsicht zu flüchten? Bisher dachte sie noch, dass er lediglich unter der Trennung von Lance litt. Aber in ihm sah es ganz anders aus. Er wollte Rache. Rache für seinen Vater und für sich selbst. Mit hinderlichen Gefühlen konnte Aspir nichts anfangen. Die Sehnsucht nach Vergeltung war die einzige Emotion, die er beherbergen konnte. Mit Liebe konnte er keine wichtigen Personen auf seine Seite ziehen. Mit Glückseligkeit konnte er niemanden bezahlen. Und Herzlichkeit wurde lediglich mit Füßen getreten. Er brauchte Macht, um sich behaupten zu können. Und Macht musste man sich erkämpfen. Dazu bedarf es mehr als das Verarbeiten einer Beziehung, die ohnehin eine Lüge war. „… wohl Glück gehabt.“ Eddy lief seiner Freundin hinterher, die bereits mit beiden Füßen im Zimmer stand, und strich sich locker durchs Haar. „Und nun zu dir, Jason“, lächelte er dem blonden, jungen Mann zu. „Ich hole uns jetzt noch eine Weinflasche und dann nimm dich in Acht.“ „Ob das eine gute Idee ist?“, hob Holly die Brauen. „Am Ende dürfen wir dich wieder ins Bett tragen.“ „Nein, nein. Das wird schon nicht passieren.“ „Ach, ja?“, zweifelte sie. „Ja“, bestätigte er. „Ich lasse ihn trinken“, deutete er auf Jason. „Da habe ich wohl noch ein Wörtchen mitzureden“, erhob sich der junge Sartaren. „Seid mir nicht böse, aber ich bin müde.“ „Du drückst dich jetzt nicht wirklich, oder?“, beklagte sich der Drucker und erntete von Holly den nächsten recht abwertenden Blick. „Was habe ich denn jetzt schon wieder gesagt?“, folgte ein Seufzer. Obwohl sie grinsen musste, widmete sie ihre Aufmerksamkeit Jason. „Es war schön, dich hier zu haben.“ „Macht euch noch einen schönen Abend“, streckte er Eddy die Hand hin, die jener enttäuscht ergriff. „Das werden wir. Komm gut nach Hause“, meinte Holly und sah ihn ein letztes Mal eindringlich in die braunen Augen, ehe sie ihn umarmte. „Nächstes Mal darfst du wieder auf dem Tisch liegen und dümmlich grinsen“, hob Jason die Hand und lächelte Eddy herausfordernd an. „Nur feige Menschen verkrümeln sich jetzt“, erwiderte Eddy feixend. „Eddy!“, presste Holly hervor, doch Jason legte beschwichtigend eine Hand auf ihre Schulter. „Er hat doch Recht“, zuckte er die Schultern. „Heute würde ich den Kürzeren ziehen und darum gehe ich jetzt.“ Mit einer angetäuschten Verneigung schritt er rückwärts und war schneller aus der Wohnung verschwunden als die beiden schauen konnten. Jason und Aspir konnten verschiedener gar nicht sein. Während den einen das Verlangen nach Liebe und Zuneigung zerriss, labte sich der andere an dem Schmerz der Einsamkeit. Letzterer brauchte ihn nicht, um sich am Leben zu wissen, er benutzte ihn, um stärker zu werden. Und je mehr Jason unter dem Verlust litt und sich aus der Welt zurückzog, desto mehr gewann Aspir die Oberhand. Wahrlich kein harmloser Zwiespalt. Und doch… … konnte er nicht aufgehalten werden. Obwohl es sternenklar war, wehte recht warme Luft durch die Straßen von Asht-Zero. Jason gesellte sich zu den Menschen, die immer noch draußen unterwegs waren, und war dennoch keiner von ihnen. Weder trug er diese irgendwie unwirkliche Unbeschwertheit in seinen Zügen noch lachte er aus voller Kehle. Mit jedem Schritt straffte sich sein Körper und sein Gesicht drückte alsbald eine Entschlossenheit aus, die fast schon an Manie grenzte. Seine Augen wirkten irgendwie geisterhaft. Ganz als ob sie aus reiner Kälte bestünden. Seine Hände ballten sich immer wieder zu Fäusten, bis die Spannung aus ihnen wich und Jason sie in seinen Hosentaschen vergrub. Fast eine Viertelstunde lang setzte er unermüdlich einen Fuß vor den anderen und glitt unscheinbar durch die Straßen. Vorbei an gut gefüllten Kneipen und laut johlenden Jugendlichen. Genauso sollte es sein. Unauffällig und dennoch bedeutend. Unsichtbar und doch schicksalsträchtig. Unbemerkt schweifte sein Blick immer wieder in enge Gassen oder auf die gegenüberliegende Straßenseite. Vielleicht mochten die meisten Bürger ihn wahrlich nicht zur Kenntnis nehmen. Diejenigen, die er unterschwellig auf seine Seite ziehen wollte. Deren Augen er irgendwann öffnen wollte. Aber das galt nicht für eine ganz bestimmte Sorte von Menschen. Individuen, die ihm in die Quere kommen konnten. Die ihm anscheinend misstrauten. Lance’ plötzliches Erscheinen war kein Zufall gewesen. Ebenso das Einschreiten der FA. Da Tyrone ihm so einiges zuzutrauen schien, wieso sollte es dann Father’s Addendum nicht ebenfalls tun? „Ich weiß, dass ihr hier seid“, hauchte er in die klare Luft. Für sie war er der Gejagte. Die Beute. Doch für ihn waren sie nur einfältige Geschöpfe, die ihn aus entlegenen Winkeln beschatteten. Umkreisten wie ein wildes Tier. Aspir bemächtigte sich zunehmend Jasons und ungesehens übernahm er die Kontrolle. Jasons Schöpfung, die ihm eigens immer mehr zum Verhängnis wurde. Wenn sich der reine Herzenswunsch die Verselbstständigung ersucht… Wenn der Schwächere dem Kampf der Geister erliegt… „Dann nehmt euch vor Aspir in Acht!“, umspielte ein freudloses Lächeln seine Lippen. Unsanft wurde er im nächsten Moment an die nächste Hauswand gedrückt. „Jason“, drang Lance’ erstickte Stimme an seine Ohren. Krampfhaft umschlangen den blonden, jungen Mann zwei kräftige Arme und er fühlte warmen Atem auf seinen Nacken strömen. Irritiert blinzelte er und seine rehbraunen Augen überzog sogleich ein scheinender Glanz. Jason versuchte seinen Kopf zu drehen, um den anderen ansehen zu können. „Lance?“, fragte er verwirrt. Laute Rufe von Unbekannten hallten durch die Straße und übertönten das unkontrollierte Atmen, das von seinem schwarzhaarigen Freund ausging. „Lass mich los“, meinte er irgendwann einigermaßen besinnt und Lance tat wie geheißen. Die abrupte Unterbrechung der Berührung ihrer Körper ließ Jason sich mit einer Hand an der Hauswand abstützen. Nicht nur, dass er keine rechte Ahnung hatte, wie er bereits so weit von Hollys Wohnung entfernt sein konnte, die plötzliche Nähe zu Lance riss ihm zusätzlich den Boden unter den Füßen weg. Ein winziger Augenblick reicht, um zu obsiegen… „Ein halbes Jahr…“, hörte Jason Lance seufzen und seine Finger bohrten sich unwillkürlich in das harte Gestein des Hauses. Sich auf die Unterlippe beißend sah er zu Boden und versuchte seine Situation, in der er sich unvermittelt befand, zu begreifen. „Ich…“, legte sich eine von Lance’ Händen auf seine Schultern und erneut fühlte er den gestählten Körper in seinem Rücken. Von dort begann eine besänftigende Wärme durch seine Adern zu fließen und ein Kribbeln zu hinterlassen, das seine Härchen sich aufrichten ließ. Doch ein ungutes Gefühl keimte simultan in ihm auf. Eines, das so befremdlich wirkte und seinen Körper merklich versteifen ließ. „Geh!“, rief er aus und wand sich aus der Umklammerung. „Das Verbot, sich mir zu nähern, gilt immer noch“, fuhr er leiser fort und sah Lance drakonisch in die meerblauen Augen. Lance erwiderte den Blick voller Trauer, bis er laut ausatmete und nickte. „Pass gut auf dich auf“, hauchte er verzagt. Dann drehte er sich um und verschwand als Schatten mit zwei weiteren in der Nacht. Jason war vollkommen aufgewühlt. Seine zur Faust geballte Hand zitterte, ebenso wie der Rest seines Körpers. Um die sechs Monate lang hatte er es geschafft, Lance kein einziges Mal in Asht-Zero zu begegnen. Ihm aus dem Weg zu gehen und sich Stück für Stück von ihm zu entfernen. Und ein einziger Tag – nur ein Abend - machte seine ganze Aufopferung zunichte. Die Sehnsucht nach seinem Freund war dermaßen schmerzhaft, dass sie sich unaufhaltsam in sein Herz bohrte und ihn zu zerreißen drohte. Er hatte den Teil seines Herzens für immer ausblenden wollen, der von Lance durchtränkt war, doch nun war genau dieser so präsent wie noch nie zuvor. Es schlug krampfhaft nach dem schwarzhaarigen, jungen Mann, der soeben aus seinem Blickfeld verschwunden war. Die Hände im Haar vergrabend sank er auf die Knie und wollte schreien. Sein Mund öffnete sich, aber kein laut drang über seine Lippen. Es wäre ein markerschütternder Schrei gewesen, wenn er denn seiner Kehle entsprungen wäre. Stattdessen rann eine stumme Träne seine Wange hinab und tropfte über sein Kinn hinweg zu Boden. Das salzige Wasser verschmolz sofort mit dem rauen Untergrund und war alsbald nur noch ein Schatten seiner selbst. Ein winziger Augenblick reicht, um zu obsiegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)