Schreibwerkstatt von YuriNicoloff (Meine Beiträge) ================================================================================ Kapitel 2: Gegensätze --------------------- Gegensätze Seit Anbeginn der Zeit herrschen Gegensätze auf der Welt. Ohne sie würde alles zusammenbrechen. Ein Einklang, ein Ausgleich zwischen den zwei Seiten schwarz und weiß muss herrschen, keine darf überwiegen. Lange habe ich gedacht, dass die Welt genauso war. Doch da war ich noch klein. Heute weiß ich es besser. Auf der Oberfläche der Ansicht scheint das Gute immer zu siegen, alles scheint toll. Kratzt man an dieser oberen Schicht, so sieht man die Wahrheit: Das Dunkel hat sich tief in den Menschen verfressen und niemand ist mehr unschuldig. Nicht einmal mehr die Kinder. Ihnen wird ihre unschuldige Seele schon früh genommen. Warum ich das so genau weiß? Woher ich komme? Ich bin eines dieser Kinder. War. Ich lebe in einer Welt, in eurer Welt, nur ist meine noch Jahrzehnte entfernt von der euren. Ganz recht. Die Zukunft. Die Welt wie ihr sie kennt existiert nicht mehr. Der Himmel ist schon lange grau und die Sonne glüht nur noch auf uns nieder wie ein Richter, unser Henker. Bis der Tag des Jüngsten Gerichtes gekommen ist, lebt die Gattung der menschlichen Rasse weiter und zerstört die Erde. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist im Laufe der Zeit immer größer geworden, eine Mittelschicht wie ihr sie kanntet existiert genauso wenig wie eure Welt. Mein Name ist Mie und ich gehöre zur oberen Schicht dieser Welt. Ich bin wirklich reich, nun ja, eigentlich mein Vater. Er ist nie daheim, arbeitet, gönnt sich Nutten auf seinen Auslandsaufenthalten. Meine Mutter weiß das, nur interessiert sie das herzlich wenig, sie macht dasselbe, nur schläft sie dauernd mit unserem Personal. Ich bin beiden relativ egal. Deshalb war ich auch freizügig in meinem Leben. Man lebt was man vorgelebt bekommt. Nein! Denkt jetzt ja nicht…alle, mit denen man ohne Konsequenzen seine Spielchen treiben kann sind die Leute der Unterschicht und deren dreckige Körper lasse ich nicht an mich ran. Aber meine Späße habe ich, zusammen mit meinen Freunden, schon über sie gerissen. Einmal, da haben wir an so einem Viertel angehalten, an dem die Kinder für ihre Familien anschaffen gehen. In der Unterschicht muss eben jeder so schnell wie möglich mitarbeiten, um die Familie zu ernähren. Jedenfalls haben wir ein paar von denen Geld angeboten, wenn sie es dort mitten auf der Straße miteinander treiben. Für uns war das nicht viel, ein paar große Scheine, aber für sie war das eine weitere Woche überleben. Natürlich haben sie es getan. Traurig, oder? Und wir haben uns einen Spaß draus gemacht. Einer der umstehenden Jungen hatte uns beobachtet und nur angesehen, als ob wir unter ihm ständen. Keiner meiner Freunde hat das mitbekommen. Im Nachhinein wundere ich mich nicht, der Anblick, wie es zwei Kerle etwas unbeholfen vor einem treiben und sich schämen ist schon faszinierend. So hatten sie auch nicht mitbekommen, wie ich mich von unserer Gruppe entfernt hatte und zu dem Jungen gegangen war. Seine stechend blauen Augen sahen mich nur desinteressiert an mit demselben überheblichen Blick. „Was willst du?“, fragte er schließlich mit einer rauchigen Stimme. „Wenn du denkst, ich mach bei euren dreckigen Spielen mit, vergiss es, und wenn du keinen Fick willst, dann verschwinde wieder.“ Sein Blick ließ nicht einmal locker und in mir kochte langsam die Wut hoch. Was fiel dem denn ein, so mit mir zu reden? Nun gut, unter all den Leuten hier auf dem Strich sah er noch recht passabel aus. Seine blauen Augen, seine fransigen braunen Haare, die kurze ungefütterte Jacke, welche nur ansatzweise den schmalen Körper zusammen mit der viel zu engen Jeans verdeckte. Aber dennoch sollte man so nicht mit möglichen Kunden umgehen. Nicht, dass ich es jemals in Erwägung gezogen hätte. Wie gesagt, ich lasse keinen dieser Kerle an meinen Körper, widerlich, allein schon den Gedanken denkend. Ich schnaubte nur und ging wieder zurück zu meinen Freunden, die Typen schienen wohl fertig, das konnte ich an dem Gegröle vernehmen. Hinter mir höre ich jedoch auch ein kleines Lachen, die Stimme gehört dem Jungen. Jetzt schon kann ich sie ihm zuordnen. „Komm wieder, wenn du deinen Stolz verloren hast.“ Anfangs verstand ich nicht, was er meinte. Aber seine Worte verfolgten mich auf dem Weg zur Bar, wo wir uns betranken, und schließlich auf dem Heimweg. Sie waren so etwas wie eine schlechte Botschaft, im Nachhinein habe ich mich gefragt, ob der Kerl gewusst hat, was mich am Abend erwarten würde. Ich kam Heim. Mich erwartete jedoch nicht das sonst so ruhige Haus. Stattdessen war jeder in hellem Aufruhr. Kisten wurden gepackt und heftiges Gemurmel ging durch die Menschenmenge, die unseren Besitz einpackte. Verwirrt sah ich mich um, entdeckte schließlich meine Eltern, meine Mutter weinend wie ein Wasserfall, mein Vater nur zornig herum blickend. Ich trat zu den beiden und sah sie fragend an. „Was ist hier los?“, verlangte ich zu wissen. „Was hier los ist? Was hier los ist?!“, schrie meine Mutter mich schon fast hysterisch an. „Dein Vater hat uns ins Bankrott geschickt!“ Ich sah sie mit geweiteten Augen an. Wir waren bankrott ergo wir waren…Arm!!! „Nun, ganz so schlimm ist es nun auch wieder nicht.“, merkte mein Vater genervt an. Er hatte wohl schon seit geraumer Zeit mit meiner Mutter hier gestanden und sie gehandhabt, wie auch immer er das tat, die beiden hatten ja Jahre lang kein einziges Wort miteinander gewechselt außer ‚Hallo’ oder ‚Auf Wiedersehen’. Mein Blick wanderte fragend zu ihm, er traf ihn und sah mich aus vollkommener Neutralität an. Ich wusste ja schon lange, dass ich beiden nichts weiter bedeutete, ich war sowieso nur ein ‚Unfall’, wenn man es genau nahm. Aber mit den folgenden Worten brach nun eine Welt für mich zusammen, in der ich mich wohl gefühlt hatte, der ich vertraut hatte: „Wir haben noch genug Geld für zwei Flüge aufbringen und unser Ferienhaus behalten können. Dort unten habe ich schon eine neue Arbeit sicher, dich können wir weder mitnehmen noch dort gebrauchen, Mie. Aber ich denke, du wirst auch alleine gut klar kommen, du bist doch schon 18.“ „17.“, gab ich benommen zurück. Die Worte sickerten nur langsam zu mir durch. Meine Eltern verstießen mich hier gerade wirklich. Meine Mutter war schon nicht mehr ansprechbar und mein Vater schien keine Widerworte zu dulden. Mir wurde klar, dass ich nichts mehr besaß außer der Kleidung an meinem Leib. Alles andere schien konfisziert oder so etwas. „Ich versteh schon.“, murmelte ich schließlich langsam. Ich schenkte beiden ein Lächeln, aber das war sowieso unnötig. Beide interessierte es doch nicht, wie es mir erging. „Ich komm schon klar, ich bin ja groß. Also, … bis dann.“ Ich drehte mich um und setzte meine Füße Schritt für Schritt aus dem Haus hinaus. Ich sah weder zurück noch sagten meine Eltern einen Ton. Für sie war die Sache erledigt, das ungewollte Kind nun endgültig abgeschoben. Ziellos lief ich durch die Straßen, mein neues Heim. Bei meinen Freunden konnte ich mich nun nicht mehr blicken lassen, denn ich gehörte ihnen nicht mehr an. Aus Erfahrung und Umgang mit ihnen wusste ich, dass ich nun nicht mehr ihr Freund war, ich war nun ein Teil der Unterschicht. Arm. Mittellos. Ich hatte kein Geld. Was sollte ich denn nun machen? Natürlich dämmerte mir tief in mir drin, was ich machen musste, um an Geld zu kommen, doch ich wollte es nicht wahr haben. Als ich zum ersten Mal wieder wirklich auf meine Umgebung achtete, da wurde mir klar, dass mein Weg mich in die Straße geführt hatte, auf der wir heute noch zwei Jungs zu unserem Vergnügen bezahlt hatten. Hier, wo ich diesen Typen gesehen hatte. Ich sah mich um. Die Jungen waren weg, aber er stand noch da, an ein und derselben Stelle. Innerlich gab mir diese Erkenntnis Genugtuung. Wahrscheinlich wollte ihn keiner haben, so arrogant wie er mit den Kunden sprach. Er war so ziemlich der einigste, der hier rum stand, andere waren schon früher von Autos abgeholt worden, ich hatte es oft genug mit angesehen. Seufzend ging ich also zu dem Braunhaarigen und stellte mich möglichst gelassen neben ihn an die Mauer. Mein Blick kreuzte seinen nicht einmal. Das rührte daher, dass ich nicht vom Boden aufsah, aber das brauchte ich auch nicht. Kurz darauf sprach er mich schon an, ich hatte seine Blicke auf mir gespürt. „Ist es nicht etwas spät für dich, alleine hier herum zu wandern? Solltest du nicht daheim bei Mami sein? Oder hast du es dir überlegt und willst doch einen Fick?“ Ich antwortete einen Moment nicht. Aus unerfindlichen Gründen sammelten sich Tränen in meinen Augen und ich begann zu Lächeln. Nun traute ich mich ihn mit meinen grauen Augen anzublicken. Seine Augen strahlten kurz darauf keine Arroganz mehr aus, eher leichte Besorgtheit. „Mami hat mich rausgeschmissen und ist mit Papa auf nimmer wieder sehen weggefahren, da wir nun arm sind. Nein, falsch, sie haben ja noch ein Haus und Papa eine neue Arbeit, ich bin arm. Ich gehöre hier her. Jetzt.“ Die Tränen stoppten nicht. Meine Hände begannen zu zittern. „Ich hab nichts für ne kleine Nummer mit dir, aber vielleicht schaff ich es ja heute noch ein bisschen Geld aufzutreiben.“ Meine Hände wanderten zu den Knöpfen meines Hemdes und öffneten es unbeholfen. „Aber das brauche ich dann zum Leben, also tut mir Leid, ich kann dir nichts geben.“ „Hey, ganz ruhig.“, konnte ich ihn flüstern hören und kurz darauf schlossen sich seine Hände um meine. „Beruhig dich doch erst einmal.“ „Dafür hab ich keine Zeit.“, gab ich bitter zurück. „Ich brauch das Geld, so schnell wie möglich.“ Nun hörte ich ihn seufzen, er ließ meine Hände los und knöpfte mein Hemd wieder zu. Verwirrt sah ich ihn an. „Was soll das?“, fragte ich nach. Für Spiele hatte ich doch keine Zeit. Ich musste Geld verdienen, mich einleben, so schnell wie möglich, ich hatte doch keine Zeit mehr. 17 Jahre hatte ich anders gelebt und nun musste ich mich umgewöhnen. Vom Regen in die Traufe. Der Braunhaarige antwortete mir jedoch nicht. Stattdessen nahm er meine kalte Hand in seine warme und zog mich mit ihm durch die Straßen. Auf meine Fragen antwortete er nicht. So gab ich es bald auf, ergab mich meinem Schicksal und folgte ihm brav. Nach einer Weile änderte sich die Gegend. Es war zwar nicht schön hier, aber nicht mehr so verdreckt, wie in der Straße vorhin. Er zog mich mit in ein Mehrfamilienhaus, die Treppen hinauf zum letzten Stockwerk und schloss auf. Was hinter der Tür lag war eine kleine Wohnung, für den Standard, den man von der Unterschicht gewohnt war, sehr hoch, fast schon luxuriös: Ein großer Raum, davon abgehend eine Tür zum Bad. Die Küche war mit in dem Raum, wahrscheinlich Wohnzimmer und Küche in einem. Dann eine Treppe, die zu einer kleinen Galerie führte, dort konnte ich den Ansatz eines Bettes sehen. Hier lebte er also. Doch bekam ich keine Zeit mich umzusehen und alles genau zu betrachten. Er zog mich mit sich die Treppe hinauf und mit einem Ruck hatte er mich aufs Bett geworfen. Überrascht sah ich ihn an und als er begann sich auszuziehen, da ergriff mich die Panik. Hatte er jetzt wirklich vor mit mir zu schlafen? Aber ich konnte ihm nichts zahlen und mitnehmen würde er doch wohl nicht jeden zu seiner Wohnung, oder? Das wäre Idiotie. Unmerklich hatte ich zu zittern angefangen und meinen Gegenüber anscheinend angesehen wie das Kaninchen die Schlange, denn er fing meine Augen mit einem fragenden Blick. „Was hast du denn?“, fragte er auch noch. War das nicht eindeutig? Ich schnaubte und kurz darauf lachte er. „Ich tu dir schon nichts, das denkst du doch, oder?“ Ich hatte meinen Kopf in die Kissen vergraben und versuchte den Kerl einfach zu verdrängen, doch er war gleich wieder da, als sich das Bett unter seinem Gewicht bewegte. Er zog die Decke über mich und legte sich neben mich, die Decke zwischen uns. Er legte den Arm um mich und zog mich heran. „Du bist ganz kalt. Nicht, dass du mir noch erfrierst.“, murmelte er. Ich drehte mich um und sah ihn ungläubig an. „Dir?“, wiederholte ich zweifelnd. „Ja, mir. Von nun an wohnst du besser hier als auf der Straße.“ „Du kennst mich doch gar nicht! Du kannst doch keinen Fremden aufnehmen.“, meinte ich sauer. Nicht, dass ich nicht zufrieden über ein neues, schönes Heim war, aber ich kannte ihn doch genauso wenig wie er mich. Nein, falsch, er wusste, was mir widerfahren war und ich wusste, wo er arbeitete. „Stimmt. Aber ich kann auch nicht zulassen, dass du deinen Körper unnötig verkaufst. Ich bring schon genug Geld auf, selbst mit meiner arroganten Art.“ Er schenkte mir ein Lächeln, welches mich seinen Worten ohne zu Zögern zustimmen ließ. Seine Hand strich durch mein pechschwarzes Haar. „Wie heißt du? Mein Name ist Alexander.“, fragte er schon fast väterlich. „Mie.“, antwortete ich nur einsilbig. Seine Hand verwöhnte mich gerade so sehr, dass ich mich kaum konzentrieren konnte. Langsam schloss ich meine Augen und machte es mir nun wirklich bequem. „Schlaf gut, Mie.“, hauchte Alexander leise, doch ich war schon zu weit weg im Land der Träume, als dass ich hätte irgendetwas sagen können. So begann Alexanders und mein Leben zusammen. Er arbeitete weiterhin auf dem Strich und ich blieb daheim. Mein Freund, ja, Alexander war zwei Monate nach unserem ersten Treffen mein Freund geworden, ließ mich nicht auf dem Strich arbeiten, deshalb hatte ich mir einen Job in einer Backstube gesucht, wo ich Geld verdiente. Ich habe angefangen Alexander zu verstehen, warum er auf dem Strich ist und weshalb er sich keinen anderen Beruf sucht, er ist nämlich sehr schlau. Aber das ist eine andere Geschichte. Meine Freunde haben mich nie wieder akzeptiert, wenn ich auf einem Besuch bei Alexanders Arbeitsplatz vorbeischaue und sie sich wieder einen ihrer Späße erlauben, beachte ich sie so wenig wie sie mich. Die Freunde von Alex haben sich schon sehr gewundert, dass wir zusammen gekommen sind, uns überhaupt ausstehen konnten. Er: stolz, unnahbar, ruhig, niemanden wirklich liebend und sich nur um engere Bekannte kümmernd. Ich: etwas schüchtern, dennoch sehr munter, manchmal tollpatschig und aufgeschlossen zu jedem. Wahrscheinlich ist das Letzte einer der Gründe, warum Alex mich aufgenommen hatte, ich hatte ihm ohne Nachdenken meine Probleme anvertraut, dass es er war, war nur ein Zufall gewesen, glaubt er und glaube ich auch. Wir passen jedenfalls nicht zusammen, ich bin ihm schon oft auf die Nerven gegangen und er mir genauso. Wenn seine Freunde dann mal wieder Witze über uns reißen, dann sagt er ganz gelassen „Gegensätze ziehen sich eben an.“ und keiner widerspricht ihm da, denn sie wissen ja, dass wir glücklich sind. Ja, Gegensätze können sich anziehen und abstoßen, ich habe gelernt, dass selbst in dieser doch so stark aufgeteilten Welt nicht alles schwarz oder weiß ist, selbst hier entfalten sich noch Mitteldinge, Grautöne, angezogene Gegensätze. ~YuriNicoloff~7.12.2007~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)