Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 6: Neujahr ------------------ Neujahr In Catherine machte sie eine unglaubliche Wut breit. Wie konnte ihr Bruder sie so verraten? Und wieso hatte sie es nicht früher bemerkt, dass sie sich auf ihn nicht verlassen konnte? All die Jahre, die sie zusammen aufgewachsen waren, hatte sie sich also in ihm getäuscht. Er, ihr großer Bruder, hatte offenbar kein Problem damit, sie zurückzulassen. Catherine ging in ihrem Zimmer auf und ab und schüttelte immer wieder bei sich den Kopf. Es war wirklich zum verzweifeln: da bildete man sie jahrelang aus, sodass sie alle möglichen Dämonen furchtlos bekämpfte, und wenn wirklich Entscheidungen von ihr gefordert waren, wünschte sie sich, ihre Eltern wären hier. Oder wünschte sie sich die beiden nur zurück, weil sie keine Ahnung hatte, was mit ihnen war? Waren sie tot? Nein, das hätte sie gespürt, oder nicht? Allerdings war das ungute Gefühl… Catherine griff sich an die Stirn und setzte sich an den Schreibtisch. Sie musste jetzt vor allem eines: Ruhe bewahren. Lucien blickte aus dem Fenster des Flugzeugs und dachte an sie. Daniele saß neben ihm und beobachtete ihn unbemerkt. Ob er schon bereute, dass er sie sich selbst überlassen hatte? Er konnte es unmöglich sagen. Er konnte es nicht aus Luciens verschlossener Miene lesen, in der ein Fremder nur Müdigkeit erkennen konnte. Auch er war müde und langsam schweiften seine Gedanken ab. Zumindest hatte er erreicht, was er wollte. Die Familie hatte er von Catherine getrennt. Alles andere konnte ihm im Moment egal sein. Daniele schreckte aus seinen Gedanken auf, als Lucien ihn direkt anblickte. „Was?“ „Nichts.“ meinte Lucien und blickte wieder hinaus. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm und der ganzen Geschichte, da gab er Catherines Gefühl Recht, doch er konnte nicht mehr zurück – und nur so war es möglich, Näheres zu erfahren. Sie verstand das sicher. Hoffentlich. Das Klingeln des Telefons riss Catherine aus ihrer mehr oder weniger unbequemen Position am Schreibtisch. Sie schwang ihre Beine, die sie im Schneidersitz gegen die Tischkante gelehnt hatte, auf den Boden und richtete ihren Oberkörper nicht ganz mühelos auf, rannte dann die Treppe hinunter und beantwortete den Anruf. „Hallo?“ „Hallo. Hier ist Adrien.“ „Adrien.. Hallo. Was… Seit wann telefonierst du?“ Adrien war mit Catherine in die letzten drei Klassen des Lycées gegangen und vermied es, in einem Haushalt anzurufen, von dem er nicht alle Bewohner kannte… das war schon fast sein Markenzeichen. Catherine musste darüber nur immer fast lachen und war jedes Mal froh, dass dieser junge Mann keine Psychologie studierte, da er sich dann eigentlich sofort selbst behandeln musste, sondern Maschinenbau. Das passte auch besser. „Ja, ähm.. Ich habe gehofft, dass du ans Telefon gehst.“ „Aha. Okay, was willst du?“ „Ich wollte dich fragen, ob du zu meiner Party kommst.“ „Hat die Anaïs nicht gesagt, dass ich nicht kann?“ „Doch, aber ich wollte es noch einmal von dir hören! Hallo! Wir haben Silvester und Neujahr und das feiert der normale Franzose schon!“ Catherine lachte gezwungen. „Ich kann nicht. Wirklich nicht. Mein Bruder...“ „Was ist mit dem? Musst du auf ihn aufpassen? Der ist doch älter als du!“ „Nichts ist mit ihm. Er ist nur… krank. Ich will einfach da sein.“ „Das heißt, du kommst wirklich nicht.“ „Richtig.“ „Na, schade ist es auf jeden Fall. ich hätte dir gern meinen Cousin vorgestellt. Der ist extra wegen dir aus Lyon gekommen.“ „Ja, sicher!“ lachte Catherine. „Ja, gut, nicht nur!“ lenkte Adrien ein und Catherine meinte: „Feiert schön!“ „Du auch… mit deinem kranken Bruder!“ „Das werde ich.“ versicherte Catherine. „Guten Rutsch!“ „Euch auch allen. Sag’ den anderen noch einmal Grüße von mir!“ „In Ordnung. Tschüß.“ „Tschüß.“ Catherine wollte schon auflegen, als er meinte: „Ach, Catherine… Noch was!“ „Was?“ „Habe ich dir schon einmal gesagt, dass du dich viel zu sehr für andere aufopferst?“ „Das stimmt überhaupt nicht. Tschüß!“ lachte sie und legte auf. Wenn er wüsste, wie Recht er damit hatte. Jedes Mal, wenn sie sich die Nächte um die Ohren schlug. Jedes Mal, wenn sie auf etwas verzichtete und verzichtet hatte. Jedes Mal geschah das für andere – meistens für Menschen, die sie nicht einmal kannte. Und ihr eigenes Leben hatte darunter gelitten. Und es würde weiterhin leiden, da sie wirklich ihre Aufgabe hatte, die sie erfüllen musste. Das war ihr jetzt völlig klar geworden. Sie hatte die Aufgabe. Es war ihre. Und sie musste es tun. Niemand konnte ihr das abnehmen. Sie konnte nur einigermaßen versuchen, einen Mittelweg zu finden und darin vielleicht ein bisschen Zufriedenheit finden, denn das Abschlachten von Dämonen bereitete ihr keine. Sie würde weiterhin ihre Aufgabe erfüllen, doch nicht auf den Befehl der Bruderschaft, wenn sich die Angelegenheit mit Imbolc und ihren Eltern nicht klärte. Sie würde allein kämpfen und insofern würde sich nichts für sie ändern, denn bisher hatte sich auch allein gestanden. Lucien trat in die dunklen Gänge der Bruderschaft, während Daniele ihm folgte. Ihre Schritte hallten und ihre Schatten tanzten an den Wänden. „Ihre Eltern erwarten Sie.“ „Sie sind also doch hier.“ „Sicher.“ „Wozu dient das, Daniele?“ fragte er scharf. „Ihr Vater wird es Ihnen erklären. Ich habe Sie auf seinen Wunsch kontaktiert. Er wurde auf seinen eigenen Wunsch verleugnet.“ „Wieso das alles?“ „Weil er seine Kinder kennt. Er wusste, dass Sie hierher kommen würden und der Bruderschaft gehorchen. Und er wusste, dass Ihre Schwester Catherine es nicht tun würde. Und genau das sollte so sein.“ Lucien verstand noch immer nicht, was für ein Spiel gespielt wurde, aber er fragte nicht weiter. Bald würde er seine Antworten bekommen, denn Jacques und Clarisse waren hier. Und sie würden alles erklären. Daniele folgte ihm und ergriff wieder das Wort: „Es war unter anderem eine Art Test für Sie.“ „Die Bruderschaft wollte also testen, ob sie mir vertrauen kann?“ „Ja.“ „Und Catherines Weigerung… bedeutet dann, dass sie ihr nicht trauen kann.“ „In gewisser Weise. Vor allem bestätigt ihre Weigerung aber etwas, was wir schon lange vermutet hatten. Wir haben ihr nie getraut.“ „Und mein Vater?“ „Ihr Vater ist als Mitglied des Rates dazu verpflichtet, die Bruderschaft zu schützen. Zur Not auch gegen die eigene Tochter, aber das wird er Ihnen genauer erklären als ich. Sie entschuldigen mich?“ Damit verschwand Daniele und Lucien klopfte an die Tür, die zu einem der Versammlungsräume führte. Catherine hatte noch mit Nathalie und ihrer anderen Freundin Anaïs telefoniert und ihnen versichert, dass sie heute Abend gerne zu Hause bleiben würde. Nun saß sie im Salon und sah aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus. Ihre Gedanken kreisten immer noch um Lucien, der die Treue zur Bruderschaft hielt – auch gegen sie. Hatte sie wirklich etwas anderes erwartet? Ihre Eltern und er waren immer ergebener gewesen und hatten im Handeln der Bruderschaft stets das richtige Handeln gesehen. Als Kind schon hatte Catherine nicht alle Regeln befolgt und dabei konnte sie nicht immer die Gründe nennen. Sie hatte nie gewollt, dass die Bruderschaft zu ihrem einzigen Lebensinhalt wurde, doch von allen Seiten hatte sie immer nur gehört, dass es anders nicht ginge. Anders. Alles ging anders. Alles. Seufzend stützte sie das Kinn auf und schloss die Augen für einen Moment. Ihre Eltern wussten bestimmt schon davon… ja, mit großer Wahrscheinlichkeit, auch wenn sie nicht in Rom waren, was Catherine immer noch bezweifelte. Wo sollten sie sonst sein? Auch wenn es in ihrem Leben nicht logisch zuging, so war das einfach der Logik zu entgegen gesetzt – so sehr, dass es nicht sein konnte. Die Finger ihrer freien Hand fuhren gedankenverloren über das Buch, das auf ihrem Schoß lag. Sie hatte es nicht einmal geöffnet, seit sie sich gesetzt hatte. Neben ihr stand ein Glas und eine Schale mit Obst, aus der sie immer wieder ein Apfelstück genommen hatte. Das Feuer im Kamin knisterte und sie hatte die schwachen Wandleuchten, deren Glühbirnen wie Kerzenflammen aussahen, angeschaltet, jedoch das Licht ziemlich gedimmt. Plötzlich erhellte das Feuerwerk den Himmel und durchzog die klare Luft mit rötlichem Rauch. Langsam erhob sie sich und trat zum Fenster. 2007. Aus einem unerklärlichen Grund schlug ihr Herz mehrere Male unregelmäßig und stark gegen ihre Brust. Schwer atmend taumelte sie zum Tisch neben dem Sessel und griff nach ihrem Glas. Die Schwärze vor ihren Augen nahm zu und ihr Körper gehorchte ihr kaum noch. Klirrend zerschellte das Glas am Boden und sein Inhalt ergoss sich über ihn. Eine Schwere drückte Catherines Körper zusammen und ihr Kreislauf versagte. Ohnmächtig stürzte sie zu Boden und in die Scherben. Dunkelrotes Blut quoll aus ihrem Handgelenk und vermischte sich mit dem Mineralwasser, weshalb es dünnflüssig auf die Holzscheite und das Feuer im Kamin zufloss. __________________________________________________________________ Das war's mal wieder. Hoffe, es hat euch beiden (Jeannine und Mangamieze. Ich weiß ja nicht, wer sonst liest) gefallen. Kommis: gerne, aber wenn euch nichts einfällt, dann denke ich, es war alles in Ordnung. Das nächste Kapitel kommt am Do/Fr. 31.1./1.2. (ungefähr) Gaaaanz liebe Grüße! Elena-Laurea. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)