Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 42: Ostara auf Thirlestane Castle ----------------------------------------- Ostara auf Thirlestane Castle Venedig. Regen prasselte unaufhörlich auf die Pflastersteine und vermischte sich mit dem dunklen, bewegten Wasser der zahlreichen Kanäle. Lestat streifte seit der Dämmerung allein durch die leeren Gassen zu Seiten des Wassers. Seine Hände hatte er tief in seinen Taschen vergraben, nicht weil die Kälte ihn störte, sondern weil er die Wärme mochte. Der Regen hatte ihn inzwischen gänzlich durchnässt, doch auch das war ihm egal. Seine Gedanken waren bei Catherine, doch es war ihm nicht möglich, mehr über ihren Verbleib wahrzunehmen, als dass sie wohl soweit in Ordnung war. Je länger er über sie nachdachte, desto mehr Fragen taten sich für ihn auf, doch keine einzige von ihnen konnte er formulieren. Catherine. Sie erinnerte ihn ein bisschen an Maharet und an Jesse, aber das war unmöglich. So ähnlich sahen sie sich ja auch nicht. Maharet und Jesse hatten rotes Haar, Catherines Haar war eher… duftend, glänzend und weich… rotbraun. Eher sogar braun als rot. Lestat schüttelte den Kopf. Nein, es war schon rotbraun. Und ihre Augen waren auch grün, wie Jesses und Maharets Augen, aber das war auch schon alles. Lestat überquerte schließlich die Calle Fraterna und bog in die Calle del Magazen ab. Wenig später erreichte er den Palazzo Querini, auf dessen Fassade die Spiegelung der Straßenlampen im Wasser tanzte, aber Lestat versuchte immer noch, seine Gedanken zu ordnen. „Dein Spaziergang war nicht sehr erfolgreich, wie es scheint.“ bemerkte Marius und trat aus dem Schatten des Gebäudes heraus. Lestat trat näher und schüttelte nur stumm den Kopf. „Was ist zwischen euch passiert?“ Lestat lächelte flüchtig. Seine Augen schimmerten dunkelblau, als er meinte: „Ich kann es mir nicht erklären, aber… Marius! Es ist das passiert, was eben zwischen Mann und Frau passiert.“ „Das ist doch nicht möglich!“ Marius wich ein Stück zurück. „Da du nicht dabei warst, würde ich sagen, du glaubst mir.“ schlug Lestat vor und zog seine Hand zurück. Marius schüttelte den Kopf. „Das ist nicht möglich… Wie ist das möglich?“ fragte er und Lestat steckte seine Hände zurück in die Taschen. „Wenn ich es mir erklären könnte, würde ich es dir erklären. Ich kann es nicht. Wir suchen Erfüllung nicht bei einer Frau, sondern im Töten und im Blut, das weiß ich. Das wusste ich auch, als ich bei ihr war, aber gleichzeitig habe ich mich menschlicher gefühlt. Wie gesagt: ich kann es nicht erklären.“ Marius seufzte und schwieg einen Augenblick, bevor er wieder das Wort ergriff: „Was hast du da nur wieder angestellt, Lestat?“ Lestat verzog das Gesicht und schloss die Augen. „Ich hätte dir nichts sagen sollen! Ich gebe dir in vielem Recht, Marius, aber darauf hatte ich kaum Einfluss und mit Sicherheit habe ich nichts angefangen…“ „Bitte! Keine Details!“ unterbrach Marius ihn, legte ihm die Hand in den Nacken und zog ihn näher zu sich. Lestat wartete ab. „Wann fängst du endlich an, zuerst zu denken und dann zu handeln?“ fragte Marius fordernd an sein Ohr und wandte sich dann ab. Lestat legte den Kopf schief und zuckte die Schultern. „Ich kann es nicht mehr ändern. Und es ist nichts passiert. Es geht ihr gut.“ „Es ging mir nicht darum, dass du deine Blutlust vielleicht nicht hättest unterdrücken können. Mich interessiert, warum sie dich als Sterbliche so angezogen hat, dass du mit ihr geschlafen und nicht von ihr getrunken hast.“ Marius ging vor Lestat auf und ab. „Sollen wir nicht hineingehen?“ fragte Lestat und wies zur Tür. „Und du meinst, drinnen diskutiert es sich besser?“ „Wir diskutieren nicht, Marius. Du redest und ich höre zu. Das ist keine Diskussion.“ „Wenn du es sonst auch so genau nehmen würdest!“ seufzte Marius und wirkte wieder einmal für einen kurzen Augenblick menschlicher denn je. Lestat lehnte sich an die Hauswand und setzte einen Fuß auf den kleinen Vorsprung auf Kniehöhe. Abwartend verschränkte er die Arme vor der Brust und blickte Marius an. „Siehst du es denn kein bisschen ein?“ flüsterte Marius nach einer Weile. „Was soll ich einsehen, Marius? Dass die Nacht mit ihr der größte Fehler meines Lebens war… Nein, das war sie bei weitem nicht! Und das weißt du. Du kennst mich. Und du weißt, dass ich in meinem Stolz und… nenn’ es, wie du willst … Verblendung, Hybris, Größenwahn, weitaus schlimmere Dinge entfesselt habe…“ „Akasha.“ flüsterte Marius nickend. „Das hast du nicht wissentlich getan, Lestat.“ fuhr er leise fort. Lestat nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. „Ich wollte es. Ich wollte sie. Akasha. Die Königin. Unsere ehemalige Königin. Marius, ich wollte ihr Blut. Natürlich wusste ich nicht, welche Ideen sie verfolgen würde, aber ich wollte sie. Ich liebte sie…“ „Wie du jetzt Catherine liebst? Oder um nicht ganz so weit zu gehen: Wie du jetzt Catherine willst? Oder ist das etwas anderes?“ fragte Marius und Lestat überlegte. „Marius, sieh’ uns an! Wir stehen hier wie zwei normale Männer, die über eine sterbliche Frau sprechen, und einer von beiden macht dem anderen Vorwürfe, weil der seine Triebe nicht unter Kontrolle hatte! Schon allein das war es irgendwie wert.“ gab Lestat schließlich zu und strich sich sein nasses Haar mit beiden Händen zurück aus dem Stirn. „Was auch immer du noch hier draußen willst, mich beginnt der Regen zu nerven.“ fügte er hinzu und ließ Marius allein draußen stehen. Catherine beobachtete Lea und ihre gleichaltrigen Freundinnen, wie sie im Kreis um den Altar wirbelten, ausgelassen tanzten und lachten. Hin und wieder lachte auch Catherine und als Lea das sah, kam sie zum Tisch und ergriff sie bei der Hand. „Komm! Mach’ mit!“ „Lea, ich kann das nicht!“ wehrte sich Catherine, erhob sich aber, weil Lea einfach zu stark an ihrem Arm zog. Lea stellte sich auf ihre Zehenspitzen und wisperte ihr ins Ohr: „Glaub’ mir, es ist auffällig, wenn du nicht mitmachst! Komm!“ Catherine nickte und folgte ihr in die Mitte des Raumes und trat mit Lea an den Altar. Lea griff nach einem silbernen Kelch und reichte ihn Catherine. „Was ist das?“ „Kräuter. Keine Drogen.“ entgegnete Lea und nickte Catherine noch einmal zu. „Trink! Meine Mutter schaut her. Trink’, sonst wird sie misstrauisch. Ich pass’ schon auf dich auf!“ Lea legte den Kopf schief. Catherine lachte, nahm ihr den Kelch ab und setzte ihn an die Lippen. Der süße, dickflüssige Trank benetzte ihre Lippen und ihre Zunge und veranlasste ihre Geschmacksnerven dazu, sich zusammenziehen. „Ja, er ist süß!“ lachte Lea, als Catherine nur das Gesicht verzog, den Kelch aber nicht absetzte. Wenig später tanzte Catherine mit den anderen ausgelassen im Kreis. In ihrem Kopf drehte sich alles, ihre Glieder waren von einer wohltuenden Schwere befallen und eigentlich war sie so müde, aber es tat gleichzeitig so gut, sich zu bewegen, also tanzte sie weiter. Seit wann sie tanzte, konnte sie nicht mehr sagen. Immer wieder drehte sie sich und griff nach den Händen, die ihr die Mädchen hinstreckten, sah Lea herumwirbeln und dann wieder verschwinden. Catherine kam sich einen kurzen Augenblick wie ein Indianer vor, der stumm um ein Lagerfeuer wirbelte und gleichzeitig die Geister seiner Ahnen beschwor, doch so schnell der Gedanke seinen Weg in ihren verwirrten Geist gefunden hatte, so schnell war er auch wieder verschwunden. Sie lebte. Sie atmete. Sie fühlte. Langsam wurde ihr Körper immer müder und ihr Atem ging schneller, doch sie schenkte ihm kaum Beachtung. Ihr Herz schlug härter gegen ihren Leib, doch sie konnte nicht aufhören, sich zu bewegen. Endlose Zeit. Endloser Tanz. Catherine fühlte sich innerlich, als laufe sie unbeirrt auf eine Klippe zu, von der sie wusste, dass der Abgrund ihre Erlösung sein würde. Sie gab nicht auf. Sie fürchtete sich nicht. Sie wollte in diesen Abgrund hineinstürzen und erlöst werden! Plötzlich schlug ihr Herz unaufhaltsam gegen ihre Brust, als wolle es ausbrechen und für einen Moment verklangen die rhythmischen Musik und das Lachen und Reden der anderen und die übrigen Geräusche der Umgebung. Stille. Klare Stille, doch Catherine war bewusst, dass sie in den Abgrund stützte, obwohl sie noch tanzte. Regen. Wasser. Eine Stadt im Meer. Venedig. Ein alter Palazzo und zwei dunkle Gestalten - unbeirrt, obwohl der Regen unaufhörlich auf sie niederprasselte. Catherine wollte hören, was sie sprachen, doch sie hörte nur den Regen. Sie hörte den Regen, wie er auf die Straße fiel, in das Wasser des Kanals, wie er an den Dächern entlang rann und sich in den Rohren sammelte. Sie fühlte den Regen an seiner Kleidung und in seinem Haar. Der Regen duftete. Ihr Körper bewegte sich so schnell wie zuvor, doch er kam Catherine langsam und leicht vor. Sie stürzte nicht mehr, sondern sie flog. Sie schwebte. Catherine traten winzige Tränen in die Augen. Sie war losgelöst und frei, doch trotzdem in Sicherheit - wie in Lestats Armen auf dem Weg nach Crossbost. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)