Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 45: Schwarzes Haar und schwarze Augen --------------------------------------------- Schwarzes Haar und schwarze Augen Als sich Catherines Blick wieder zurück aus der Ferne einer lang vergangenen Zeit auf das Blatt vor ihr konzentrierte, traute sie ihren Augen kaum, denn sie hatte sich Notizen darauf gemacht. Sie hatte sich tatsächlich nur einigen der Zeichen kleine Kreuzchen und Striche gemacht und hatte unten auf das Blatt mehrere Worte geschrieben. Worte, die sie zwar nun lesen konnte, die aber weiterhin in einer fremden Sprache waren. Eine sehr eigentümliche Sprache, wie Catherine fand, doch sie kam ihr trotzdem seltsam vertraut vor. Langsam las sie noch einmal die halbe Zeile, die sie vor sich hatte. ‚héo naefre wacode dægréd tó bisig mid…’ Immer wieder lief ihr Blick über ihre eigene Schrift und dann wieder über die Runen, immer wieder von links nach rechts und wieder von vorn. Sie kannte die Worte, doch sie wusste nicht woher. Vielleicht täuschte sie sich, denn sie hatte nun tatsächlich bestimmt tausendfach über diese wenigen Worte gelesen und sie konnten sich schon in ihr Gedächtnis eingebrannt haben. ‚héo naefre wacode dægréd tó bisig mid…’ Obwohl Catherine den Inhalt nicht verstand, schloss sie, dass der Satz unvollständig war. Was war das für eine Sprache? Die ursprüngliche Sprache Schottlands – also Gälisch? Catherine lehnte sich mit prüfenden Augen zurück. ‚Naefre’ – das klang wie ‚never’ und ‚bisig’ vielleicht wie ‚busy’, aber vielleicht sollte sie das auch irgendjemandem überlassen, der Gälisch konnte. Ob Elizabeth es… Nein! Elizabeth würde davon nichts erfahren, beschloss Catherine und wunderte sich über die Mechanismen in ihrem Hirn, die seit jeher die gleichen gewesen waren. Hatte sie als Kind ein Problem mit den Hausaufgaben gehabt, war sie zu ihrer Mutter oder ihrem Vater gerannt, hatte sie als Kind ein Problem mit ihren Eltern gehabt, war sie zu ihrem Großvater Vincent gerannt, hatte sie ein Problem mit irgendwelchen Proleten gehabt, musste Lucien ihr helfen, da sie selbst sie ja nicht verprügeln durfte – das hatte man ihr sinnvollerweise verboten. Welches Mädchen kann sich schon mit mehreren Kerlen gleichzeitig anlegen? Na, klar! Das ist heutzutage doch ganz normal! Das kann jedes! Catherine verzog spöttisch die Mundwinkel, wenn sie daran dachte, wie sehr sie sich früher in bestimmen Situationen zusammengerissen hatte, nur um nicht aufzufallen. In der Bruderschaft war es Salieri gewesen, der ihr mit Rat zur Seite gestanden hatte und nun hatte sie sich wohl doch schon so an Elizabeth gewöhnt, dass sie auch gleich automatisch ihren Rat holen mochte, aber Elizabeth war schlecht und hinterhältig und nicht vertrauenswürdig. „Sieh’s ein, Catherine!“ murmelte sie zu sich selbst und betrachtete weiter das Blatt. Sie hasste ihre Hilflosigkeit, aber da war eben auch niemand, der ihr half. Auch Lestat hatte sich… nun er war eben weg. Catherine saß noch eine Weile in der Bibliothek und dachte über die Art Vision nach, die sie erlebt hatte, doch dann bemerkte sie einen Schatten neben sich und blickte auf. „Kann ich dich kurz sprechen?“ flüsterte Lea. Catherine nickte und Lea zog sich einen Stuhl neben Catherine. „Was ist mit Edinburgh? Wann hast du das vor?“ „So schnell wie möglich. Du kannst Elizabeth schon einmal sagen, ich hätte eine Andeutung gemacht, dass ich am nächsten Wochenende etwas vorhätte. Meinst du, du bekommst das hin?“ „Ich bin ja nicht doof.“ entgegnete Lea etwas beleidigt, aber kaum hörbar. „Das hat damit auch überhaupt nichts zu tun. Du weißt doch, wie ich das meine.“ rechtfertigte sich Catherine etwas ungeduldig, worauf Lea sie prüfend anblickte. „Alles in Ordnung?“ fragte sie deshalb. „Ja, es würde zu lange dauern, es dir hier und jetzt zu erzählen. Komm’ später in mein Zimmer.“ bat Catherine und Lea nickte. „Nach dem Mittagessen?“ „Nach dem Abendessen.“ korrigierte sie Lea und sah dann Lea nach, die nach einem kurzen Nicken wieder die Bibliothek verließ. George. Sagte ihr das etwas? Natürlich nicht. Seufzend erhob sich Catherine und räumte ihren Platz frei, falls jemand anderes noch an diesem Tisch arbeiten wollte. Mit den Blättern in der Hand verließ sie die Bibliothek und traf im Eingangsbereich auf Elatha, die gerade ihren Mantel an einen Haken hängte. „Schon fertig für heute?“ fragte sie, worauf Catherine nickte. „Ich denke, ich gebe auf. Ich komme einfach überhaupt nicht weiter.“ flunkerte sie. „Na, das war zu erwarten. Was machst du dann heute noch?“ „Ich denke, ich gehe spazieren. Wenn die Sonne schon einmal scheint, sollte man das ausnutzen.“ entgegnete Catherine ohne auf Elathas erste spitze Bemerkung etwas zu sagen und ging an ihr vorbei die Treppe hinauf. „Wolltest du nicht mit Saerlaith wegen der Runen sprechen?“ hielt Elatha sie noch einmal schnell zurück. Catherine schüttelte den Kopf und meinte: „Nein, das hat sich erledigt. Wie gesagt: ich mache wahrscheinlich nicht weiter. Saerlaith und du, Elatha, ihr seid in so Sachen eh viel geschulter. Ich überlasse das euch.“ Elatha nickte und Catherine beeilte sich, die Treppe hinaufzukommen und in ihr Zimmer zu gelangen. Sollte sie noch ein Wort des Lobes auf Elizabeth/Saerlaith oder Elatha von sich geben müssen, würde ihr mit größer Wahrscheinlichkeit schlecht werden und unmöglich, diese Übelkeit zu verbergen. Das war schon beinahe wieder zum Lachen – aber nur beinahe. Ihre Vision – war es überhaupt eine Vision? – hatte auf jeden Fall mit Thirlestane Castle und mit ihren Vorfahren zu tun, die ja hier gelebt hatten. Catherine bedauerte, dass sie alles aus der Perspektive des Kindes gesehen hatte, denn so hatte sie gerade nicht das Gesicht der Frau sehen können, sondern nur ihre Hände und dann ihre Finger spüren können, die sich angstvoll in seine Schultern gebohrt hatten. Und die Stimme der Frau hatte älter geklungen, als ihr Hände und Finger gewirkt hatten, so glaubte Catherine zumindest. Unwillig schüttelte sie den Kopf. Gedanken in diese Richtung brachten sie nicht weiter, da sie sich die Antworten auf die folgenden Fragen nicht aus den Fingern saugen konnte. Der Vampir musste ihr Ansatzpunkt sein, auch wenn bei ihm die Gefahr ebenfalls groß war, dass sie nicht weiterkam. Ein Vampir, der im 17. Jahrhundert in Schottland gewesen war… Hätte sie doch wenigstens die Archive der Bruderschaft zu Verfügung oder die in der Villa in Paris! Catherine trat ans Fenster und blickte hinunter in den Park. Ein Vampir mit schwarzem Haar und schwarzen Augen. Ohne Zweifel war er schon älter gewesen, als er gestorben und zum Vampir geworden war, doch das vampirische Blut hatte ihn verjüngt und die Falten aus seinem Gesicht gewischt. Die Haut war schimmernd hell und der Blick aus seinen Augen stechend, obwohl sie so dunkel gewesen waren. Sie seufzte und verließ dann mit ihrer Jacke ihr Zimmer. Bis Lea nach dem Abendessen kommen würde, hatte sie noch eine Menge Zeit. Catherine ging die Auffahrt entlang und trat dann auf die Straße hinaus. Zwei Passanten blickten sie etwas misstrauisch an, doch erwiderten dann ihren höflichen Gruß. Catherine zwang sich noch zu einem Lächeln, dann ging sie in die entgegengesetzte Richtung davon. Glaubten nun selbst die Bürger von Irvine nicht mehr, dass es sich bei Thirlestane Castle um eine private soziale Einrichtung handelte? War ihnen das ganze Schloss unheimlich, weil Geschichten von vergangenen Zeiten über Generationen weitergegeben worden waren und jetzt unbewusst das Denken der Leute beeinflusste? Vielleicht waren aber auch erst neulich Gerüchte über jene Nacht des 2. Februar hindurch gedrungen, doch andererseits… wie sollte das geschehen sein? Es war keine Polizei eingeschaltet worden und alle Spuren von den älteren Hexen fein säuberlich beseitigt worden – sogar die Leichen der Hexen waren an einem unbekannten Ort nach keltischem Ritus bestattet worden. Nicht einmal die jungen der Hexen waren dabei anwesend gewesen, sondern nur die ältesten der Hexen. Saerlaith, Elatha, Isleen, Saraid und Celach. Das hatte sie alles von Lea erfahren, die sich darüber beschwert hatte, dass sie der Bestattung nicht beiwohnen hatte können. Es gab Wichtigeres! Der Vampir mit dem schwarzen Haar und den schwarzen Augen. Kannte Lestat ihn vielleicht? Lestat. Catherine schlenderte langsam und nachdenklich stundenlang durch die Straßen, kam an mancher Straßenkreuzung zweimal vorbei und kehrte dann über den Park auf das Schlossgelände zurück. Der Wind bewegte leicht ihr Haar, doch die Wärme des Frühlings war inzwischen auch hier im hohen Norden angekommen und hatte sich in den letzten Tagen festgesetzt. Catherine näherte sich der Baumgruppe und setzte sich auf einen trockenen Baumstumpf. Sie betrachtete die Gräber und atmete bewusst den schweren Duft der feuchten Erde ein. Sie schloss die Augen und atmete noch einmal tief ein. Sie liebte ihn. Ihn. Den Duft von feuchter Erde… Und Lestat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)