Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 55: Aufschlussreiche Lektüre ------------------------------------ Aufschlussreiche Lektüre Catherine schrieb die gesamte restliche Nacht Informationen und Fakten auf, sah die Unterlagen ihres Großvaters durch und fand so heraus, was sie beide unabhängig voneinander herausgefunden hatte, wo er ihr einen Schritt voraus war und was er nicht gewusst hatte. Sie ging die Sache langsam an, da auch sie langsam müde würde und nichts übersehen wollte. Auch ihr Großvater war darauf gekommen, dass die Wurzeln ihrer Familie in Schottland lagen, doch auch er hatte nur den Titel, nicht den Namen, herausgefunden und er kannte ebenfalls die Gründe für die Reise nach Frankreich nicht, vermutete aber, dass ein Unglück geschehen war. Natürlich, um darauf zu kommen, musste man nicht sonderlich intelligent sein, wenn eine Adelsfamilie ihr Gebiet verließ, um in einem fremden Land neu Fuß zu fassen. Sie seufzte und las weiter. Schließlich stieß sie auf die französischen Zeilen von Nostradamus, über die ihr Großvater ebenfalls einige Notizen gemacht hatte. Erst listete er einige Literaturstellen auf, dann die allgemeine Deutung der Worte: Die Interpreten meinten, dass Nostradamus mit diesen Worten seinen Ruf als Wahrsager begründet hatte, da er den Tod des Königs Heinrich II vorausgesagt habe… Diesem sei bei einem Zweikampf 1559 durch einen Lanzenstich, der vorher das vergoldete Visier des Königs zerbrochen hatte, das rechte Auge ausgestochen worden, woran er wenige Tage später qualvoll gestorben sei… Andere allerdings führen die ‚gewaltsamen Brüche’ nicht auf physische Gebiete zurück, sondern deuteten sie so, dass das Königshaus de Valois, aus dem auch Heinrich II stammte, zwei gewaltsame Brüche erleben würde, ehe es endgültig unterging und eine neue Dynastie in Frankreich herrschte. Catherine drehte sich auf die andere Seite und ließ das Blatt sinken. War das irgendwie relevant? Mit hochgezogenen Augenbrauen las sie weiter und stieß auf eine Notiz, dass ihr Großvater es als gesichert ansah, dass diese Weissagung erst 1614 das erste Mal abgedruckt worden war, weshalb er es als fraglich ansah, dass die Weissagung vor Heinrichs Tod bekannt war… Somit war es auch keine Weissagung, sondern irgendetwas anderes und zum Großteil belanglos. Catherine musste sich einen Wutausbruch verkneifen – wozu hatte sie sich gerade mit dieser Diskussion beschäftigt, wenn es nun nicht von Belang war? Ihr zorniger Blick fiel auf den Rand der Aufzeichnungen und verengte sich. Dort stand ‚Catherine d.M, Bewunderin von Nostradamus’ Jacques, Clarisse…’, doch sonst nichts und viel weiter unten fand sich noch eine Notiz darüber, warum Catherine von Jacques und Clarisse wohl Catherine getauft worden war. War das nicht auch unwichtig? Catherine d.M. deutete Catherine als Catherine de’ Medici, die Frau von Heinrich II, aber das war wohl nicht der Grund für ihren Namen. Catherine drehte das Blatt um und entdeckte einen ziemlich verschnörkelten Stammbaum, bei dem es sich zweifellos um eine unerlaubte Kopie in schlechter Qualität aus irgendeinem alten Buch handelte, doch sie sah den Namen des Königs Ludwig XII, der ein Großvater des Königs Heinrich II war. Dann war als Frau Heinrich II Catherine de’ Medici eingezeichnet, dann ihre Söhne und ihre jüngste Tochter… Marguerite, über der mit Handschrift etwas verzeichnet war, was Catherines Aufmerksamkeit erregte. Marguerite, mehrmals verheiratet und wegen diverser Liebhaber nicht gerade eine wirkliche Dame, wurde 1586 endgültig verhaftet und bis zu ihrem Lebensende im Chateau d’Usson festgehalten. Ihr letzter Liebhaber wurde exekutiert und ihr Kind, das sie 1587 in der Gefangenschaft gebar… Catherine stockte. Hatte das niemand bemerkt? …das Kind wurde nach Schottland zu einem gewissen Duke of Irvine in Sicherheit gebracht, da ihr Bruder Francois II die schottische Königin Maria I geheiratet hatte und wurde später mit dem Sohn des alten Dukes verheiratet… Catherine schüttelte den Kopf. Komplizierter ging es wirklich nicht mehr! Catherine lehnte sich zurück gegen das Kopfende des Bettes und versuchte, zusammenzufassen, was sie mit Hilfe ihres Großvaters erfahren hatte. Marguerite de Valois, eine Urenkelin von Ludwig XII und Tochter von Heinrich II und Catherine de Medici und hatte eine Tochter, die die spätere Duchess of Irvine wurde… Ja, soweit stimmte das. Catherine schloss die Augen und legte den Kopf gegen die Wand. Und was hatte sie nun von diesen wirren Verwandtschaftsbeziehungen? Sie hatte französisches Königsblut in den Adern – das hatte sie davon, aber nützen konnte ihr das auch nicht. Sie lachte leise. In ihrem Kopf drehte sich noch immer alles, doch eines war nun wenigstens klar: Warum die Familie ausgerechnet von Schottland nach Frankreich zurückgekehrt war. Catherine dachte noch eine Weile über die Notiz am Rand nach: hatten ihre Eltern das alles gewusst, hatten aber geschwiegen und auch Vincent nichts gesagt? Hielten sie ihr Schweigen für die einzige Möglichkeit, Catherine vor der Bruderschaft zu schützen? Und nur, weil sie Catherine hieß, würde niemand darauf kommen, dass sie es wussten – auch niemand aus der Bruderschaft. Oder war das alles zu weit hergeholt? Catherine wusste es nicht, zerbrach sich noch eine Weile den Kopf und gab schließlich ihrer Müdigkeit nach. Am nächsten Morgen wachte Catherine noch vor Lea auf und nahm sich das Tagebuch vor, in dem sie schon am Tag zuvor begonnen hatte zu lesen. Sie überflog noch einmal die Stelle, die sie bereits kannte und las dann weiter: ‚Ich sitze allein in meinem Zimmer und blicke immer wieder hinaus. In der Ferne sehe ich das Osterfeuer lodern, doch die Stimmen und Gesänge der Dorfbewohner verklingen, bevor sie mich erreichen. Vater sitzt am Kamin und starrt schweigend vor sich hin, während der Arzt immer noch bei Mutter ist. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann sie krank wurde. Es scheint mir schon immer so… Vater ist deshalb sehr betrübt, aber auch das gesamte Personal huscht nur mit leisen Schritten und gedämpften Stimmen an ihrem Zimmer vorbei, um sie nicht zu stören. Trotz ihrer Fürsorge werde ich das Gefühl nicht los, dass sie ihnen immer unheimlicher wird, da die Blicke, die sie sich untereinander zuwerfen, von Angst und Verzweiflung erfüllt scheinen. Ich denke, sie haben Angst. Ich habe auch Angst, aber nicht vor Mutter, sondern vor dem, was noch kommen wird.’ Catherine las einen Eintrag nach dem nächsten, ohne auf Namen oder auf etwas Neues zu stoßen. Mary schrieb über die Krankheit ihrer Mutter, die schon länger dauerte, als sie sich selbst erinnert konnte und die Ärzte hatten ihr verboten, sie zu besuchen, damit sie sich nicht ansteckte. ‚… Vater sorgt noch immer dafür, dass wir zur Heiligen Messe gehen, doch allmählich verliere ich das Vertrauen in einen guten Gott. Was tat meine Mutter, damit er sie mit dieser schweren Bürde strafte? In welcher Hinsicht verfehlte sie? Die Bewohner des Dorfes beäugten unsere Familie beim Kirchgang argwöhnisch, doch Vater will es nicht gesehen haben und züchtigte mich zu Hause für meine Bemerkung, als ich ihm davon berichtete… Catherine schüttelte bei sich den Kopf und las dann weiter. Irgendetwas schien zu passieren, was das kleine Mädchen bemerkt hatte, doch den Vater interessierte es nicht. ‚… Morgen wird Vater den benachbarten Höfen einen Besuch abstatten und sich mit den Vorstehern der umliegenden Dörfer über die Engländer unterhalten, die immer unverschämter werden. So sagte er das nicht, doch Anne spricht so. Mutter geht es sogar noch schlechter. Die Ärzte sind bei ihr und machen düstere Gesichter.’ Catherine stellte sich einen Moment vor, wie sich das Mädchen gefühlt haben musste. Sie hatte seit Jahren ihre Mutter nicht sehen dürfen und das einzige, was sie über sie erfuhr war, dass es ihr schlechter ging. Dabei wohnte sie Tür an Tür mit ihr. Sie hatte doch bestimmt nicht verstanden, was im Haus ihres Vaters geschah… Catherine verstand es ja selbst nicht. Sie schüttelte leicht den Kopf und las dann weiter. ‚Anne erzählte mir heute, dass Mutter viel Schlimmes erlebt habe, und erzählte mir von meinem Bruder, der in dem Jahr starb, in dem ich geboren wurde. Darauf sei sie zwei Jahre niedergeschlagen und kränklich gewesen, doch sie habe ihre Pflichten als Lady wahrgenommen. Dann war klar, dass sie erneut schwanger war, und es ging ihr wieder sehr gut, doch als sie ein totes Kind auf die Welt brachte, brach sie zusammen. Seit diesem Ereignis sei sie krank. Ich erinnere mich nicht, denn ich muss noch jünger gewesen sein. Sie hat mir außerdem gesagt, dass die Ärzte nie eine ernsthafte Möglichkeit gesehen hatten, meine Mutter wieder genesen zu lassen. Ein totes Kind zur Welt zu bringen ist ein Zeichen für Besessenheit durch den Teufel, aber meine Mutter ist nicht besessen. Die Ärzte lassen sie weiter zu Ader, weil Vater sie bezahlt, so scheint es hier allen. Hoffnung hat keiner von ihnen mehr. Vater ist noch nicht von seinen Terminen zurück…’ Catherine schüttelte den Kopf. Wie konnte der Mann unterwegs sein und seine Frau allein lassen und seine Tochter über überhaupt nichts aufklären? Catherine schauderte bei der Vorstellung der medizinischen Methoden und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die nächsten Einträge, die insgesamt spärlicher wurden. Sie erfuhr, dass Mary am 25. Januar 1608 sieben Jahre alt geworden war, man ihr aber auch an diesem Tag nicht erlaubte, ihre kranke Mutter zu sehen. Außerdem berichtete Mary weiter von feindseligen Blicken der Dorfbewohner und von Gerüchten, die in der Stadt kursierten, von denen der Vater nichts hören wollte. Die Situation schien Catherine überaus brenzlig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)