Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 62: Ein Leben für die Bruderschaft ------------------------------------------ Ein Leben für die Bruderschaft Lea verlor Catherines Gedanken und Empfindungen und wurde weitergetrieben. Sie konnte immer noch nicht entscheiden, was sie sah und erfuhr und was vor ihr verschlossen blieb. Lea wusste, dass Catherine sie ebenfalls nicht mehr vor bestimmten Erinnerungen fernhalten konnte, doch sie konnte ihr auch keinen längeren Aufenthalt in ihren gewähren. Das brauchte noch Zeit. Lea zog sich einen Moment aus Catherines Bewusstsein zurück, um ihre Gedanken zu ordnen. Sie atmete schwer. In anderer Leute Innerem zu stöbern, war nicht leicht und schon gar kein Sonntagsspaziergang. Lea betrachtete Catherine, die immer noch ruhig und konzentriert dasaß und keine äußeren Anzeichen der Erschöpfung auswies. Sie schloss daraus, dass sie alles unter Kontrolle hatte und alles richtig machte. Sie sollte sich entspannen und das tat sie. Lea hatte trotzdem nicht erwartet, dass sie so schnell einen Erfolg verzeichnen konnten. Stumm schüttelte Lea den Kopf und schloss die Augen wieder, um erneut in die Erinnerungen einzutauchen. Sie vermutete fast, dass es ein Glücksfall war, etwas zu sehen, das mit Lestat zusammenhing, da das mit Sicherheit tief in ihrem Inneren vergraben war. Sie rechnete damit, nun wieder kleine unwichtigere Szenen zu sehen, doch das musste sie eben in Kauf nehmen. Catherine stand nur in Hose und einem Top in einem weißen Zimmer vor einem Schreibtisch und griff nach ihrer Jacke. Eine Trainingsjacke. Überhaupt war sie in Trainingskleidung. Das Haar hatte sie in einem hohen Pferdeschwanz und sie schwitzte leicht. Catherine war jünger. Sechzehn. Beinahe siebzehn. Ein Mann saß hinter einem Schreibtisch und studierte eine Akte. Catherine kannte ihn. Emmanuel Bruyard. Arzt und Freund ihres Vaters Jacques. Er war eingeweiht. Keine Gefahr. Catherine schlüpfte in ihre Jacke und setzte sich in einen der beiden Stühle vor dem Schreibtisch. ‚Was ist mit deiner Verletzung?’ ‚Nichts. Sie ist geheilt.’ Der Arzt nickte und wandte den Blick immer noch nicht von der Akte ab, die er in den Händen hielt. ‚Stimmt etwas nicht?’ fragte Catherine und lehnte sich ein Stück weiter nach vorne. Lea fühlte sich plötzlich anders – ein wenig wie in ihren Visionen – und bemerkte, dass sie nicht mehr an die Erinnerung gebunden zu sein schien. Es war, als ob ein Gewicht von ihren Schultern genommen war, das sie vorher überhaupt nicht bemerkt hatte. ‚Deine Werte sind in Ordnung, aber ….’ Bruyard brach ab und Catherine zog die Augenbrauen hoch. ‚Ich möchte gerne noch einige Tests machen.’ ‚Wieso? Was stimmt mit meinen Werten nicht?’ ‚Die Blutwerte sind eigenartig.’ Catherine stockte und konnte sich das nicht erklären. ‚Das verstehe ich nicht. Ich trainiere wie üblich und ernähre mich nicht anders.’ ‚Es könnte trotzdem ein kleiner Eisenmangel sein… Wann sagtest du, hast du dir die Fleischwunde am Schienbein zugezogen?’ ‚Letzte Woche am Donnerstag.’ antwortete Catherine. ‚Vor neun Tagen also. Darf ich sie sehen?’ Catherine stellte ihren Fuß auf den Stuhlrand und zog ihr Hosenbein etwas nach oben. Bruyard lehnte sich erstaunt nach vorne und blickte prüfend die Hautpartie an, an der er die Verletzung in der vorigen Woche genäht hatte. Es war nichts zu sehen. Keine Wunde, keine Naht, kein Schorf, keine Rötung und keine Narbe! Absolut nichts! ‚Wer hat die Fäden gezogen?’ ‚Sie sind von alleine aufgegangen und dann habe ich…’ Catherine erntete einen strengen Blick von seiten des Arztes. ‚Ich musste wirklich nicht mehr sehr ziehen!’ meinte sie. ‚Und es ist doch verheilt.’ fügte sie hinzu, worauf er nickte. Das alles bereitete ihm ein wenig Kopfschmerzen, doch dass es ihr gut ging, war tatsächlich die Hauptsache. Wieder warf er einen Blick auf die Akte. Lea entschloss sich, um den Tisch herum zu gehen, um dem Arzt über die Schulter zu blicken, was so Seltsames in der Akte stand, das seinen Blick immer wieder auf das Papier bannte, doch sie wurde enttäuscht. Sie konnte nur mehrere unbeschriebene oder unbedruckte Seiten sehen. Natürlich! Catherine wusste schließlich auch nicht, was ihn so verwirrte, deshalb konnte auch Lea es nicht sehen und lesen. Trotzdem machte sich eine gewisse Enttäuschung in Lea breit. Sie blickte sich weiter im Sprechzimmer um und stellte fest, dass alles, was nicht in Catherines Blickfeld lag, in ihrer Erinnerung ebenfalls nur weiße, undefinierte Flächen waren, es sei denn, sie wusste, wo sich ein bestimmter Gegenstand befand – wie etwa das Waschbecken hinter einem Bücherregal, das sie von ihrem Stuhl sicherlich nicht sehen konnte. Catherine erhob sich, verabschiedete sich von dem Arzt und verließ das Zimmer. Draußen am Empfang ließ sie sich einen neuen Termin geben, verließ dann die Praxis. Auf der Straße wartete Lucien, der sie nach Neuigkeiten fragte, doch sie schüttelte den Kopf. Dann begannen sie, die Straße entlang zu joggen. Lea nahm sich aus dieser Erinnerung zurück. Sie hatte keine sonderliche Lust, ihnen hinterher zu joggen, zumal sie bemerkt hatte, dass es sich real angefühlt hatte, als sie in der Praxis gewandelt war. Sie wunderte sich, dass sie joggten, denn Catherine musste eine schlimmere Verletzung gehabt haben. Wusste Lucien nichts davon? Unwahrscheinlich, denn sie hatte sich diese Verletzung mit allergrößter Wahrscheinlichkeit bei irgendeinem Auftrag oder im Training zugezogen. Lea zuckte die Schultern und machte erneut eine kleine Pause. Sie fragte sich einerseits, wie lange Catherine diese Situation noch aushielt, andererseits lag die anstrengende Arbeit auch bei Lea, weshalb sie die Frage überhaupt nicht als beantwortenswert empfand. Lea konzentrierte sich wieder und wollte demnächst die Erforschung von Catherines Erinnerungen abschließen. Catherine war soweit, dass sie Lea suchen ließ, wonach sie wollte, das hatte Lea bemerkt, nachdem sie sich frei bewegen konnte. Aber wie durchsuchte man menschliche Erinnerungen? Da waren keine verzweigten Gänge, die von Nebelschwaden durchzogen waren, und immer wieder Türen, die in bestimmte Erinnerungen führten. So etwas gab es nicht. Vielleicht musste Lea sich vorstellen, was sie sehen wollte. Vielleicht hätte sie auch hinter Catherine und ihrem Bruder her rennen müssen, damit sie sie nicht verlor. Konnte es sein, dass sie sie nun verloren hatte und deshalb nicht mehr sehen konnte. Nein. Ruhig. Sie musste ruhig bleiben und ihre Konzentration auf Catherine aufrechterhalten. „Komm schon, Cate. Hilf mir ein bisschen.“ flüsterte sie nun zu sich und drang wieder in Catherines Erinnerungen ein. Zunächst waren es wieder Worte, Gespräche, Bilder, dann wieder Filme. Catherine und ein Mann. Okay, was sie taten, war wirklich privat. Lea schien es, als würde sie sich selbst umwenden. Sie wollte da nicht unbedingt zusehen. Zunächst kamen nur Worte, dann erschienen auch das Bild und schließlich die Umgebung dazu. Catherine stritt sich mit diesem Mann, doch es war später. Catherine war… 19. ‚Ich kann nun einmal nicht dauernd vorbeikommen, wenn du anrufst!’ ‚Das ist es doch überhaupt nicht. Du willst nicht. Du willst auch nicht, dass ich unangemeldet bei dir vorbeikomme. Das ist nicht normal.“ ‚Willst du damit sagen, dass ich verrückt bin?’ ‚Ich will damit sagen, dass ich dir nicht so wichtig bin wie deine bescheuerte Familie!’ ‚Meine Familie ist nicht bescheuert! Und ja, ich habe Verpflichtungen gegenüber meiner Familie, die ich erfüllen muss!’ ‚In welchem Jahrhundert lebst du?’ ‚Du wirst ungerecht. Ich sagte dir, dass ich … dass mir meine Familie über alles geht. Das wusstest du von Anfang an. Und trotzdem wolltest du mit mir zusammen sein. Was ist nun anders? Warum kannst du es nun nicht mehr hinnehmen?’ ‚Ich dachte, es legt sich. Ich dachte, du wirst merken, dass du aus deiner Familie weg musst! Dass es nicht normal ist, dass du noch zu Hause wohnst und nach Hause eilst, sobald dein Handy klingelt! Was wollen sie immer?’ Catherine sagte nichts. ‚Nichts? Catherine, sie kontrollieren dich. Sie rufen doch nur an, dass du kein eigenes Leben führen kannst. Sie gönnen dir nicht, dass wir glücklich sind…’ ‚Wir sind nicht glücklich, Sebastien. Das sind wir schon lange nicht mehr.’ ‚Und wessen Schuld ist das? Ist das auch noch meine? Nur weil ich möchte, dass wir so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen. Nur weil ich will, dass du 100%ig hinter mir stehst und du keine Geheimnisse vor mir hast?’ ‚Geheimnisse…’ ‚Woher hast du manchmal diese Verletzungen - blaue Flecke, Schrammen, Kratzer, tiefere Schnitte?’ Catherine blieb stumm. ‚Siehst du? Du hast Geheimnisse, die dir zu schaffen machen… Und ich darf nicht einmal fragen, warum du verletzt bist. Ich dachte, du brauchst Zeit, bis du mir vertraust, aber gegen deine Familie wirst du wohl nie etwas sagen. Wer ist es? Dein Vater?’ ‚Lass’ meine Familie aus dem Spiel! Es ist nichts in diese Richtung.’ ‚Catherine, ich will, dass wir uns nahe sind, aber dazu musst du mir eben vertrauen. Und wenn du mir nicht sagen kannst, was dich beschäftigt…’ Er brach ab. Catherine nickte und blickte ihn an. Tränen flackerten in ihren Augenwinkeln. Sie wollte ihn heranziehen und ihm alles sagen, doch es ging nicht. ‚…ist es besser, wenn wir uns trennen.’ beendete sie seinen Satz, griff blitzschnell nach ihren Sachen und verließ seine Wohnung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)