Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 67: Ein unvollständiges Schriftstück -------------------------------------------- Ein unvollständiges Schriftstück Catherine hatte alles aufgeschrieben und hatte sich ein Bild über alle Quellen gemacht, die irgendetwas mit Blut und Feuer zu tun hatten, und war zu dem Schluss gekommen, dass ihr Großvater zu Recht ‚das Blut der Lasair’ angenommen hatte. Ein Schauer jagte ihr über den Rücken. Sie begrüßte diese Möglichkeit nicht, aber es schien sich alles zu dieser Lösung zu verdichten. Sie lehnte sich zurück, legte die Unterlagen beiseite und suchte nach dem Tagebuch, das nicht auf ihrem Schreibtisch lag. Catherine erhob sich, schichtete die Unterlagen von einer Seite auf die andere, doch fand es nicht. Aufgeregt ging sie zum Schrank und durchwühlte ihre Kleider, doch auch dort war es nicht. „Verdammt.“ murmelte Catherine und biss sich auf die Lippen. Sie konnte sich das nicht erklären. Es musste hier irgendwo sein! Es war in ihrem Zimmer gewesen – in ihrem Schrank unter den Kleidern, in ihrem Nachttisch, auf dem Schreibtisch bei den Unterlagen und… Catherine sah sich suchend um, doch natürlich lag es nirgends offen da. Sie zog den Schreibtisch ein Stück von der Wand weg, ließ sich auf die Knie nieder und sah nach, ob es hinuntergefallen war. Fehlanzeige. Zuletzt hatte sie es auf ihrem Bett gesehen und dann hatte alles schnell gehen müssen. Es musste in der Nähe des Bettes sein. Darunter wahrscheinlich. Catherine beugte sich hinunter, hob die Tagesdecke hoch und erblickte es. „Gott sei Dank!“ stieß sie erleichtert aus, angelte nach dem Tagebuch und presste es an ihre Brust. Verwundert schüttelte sie den Kopf. Wo sollte es sonst gewesen sein? Wieso hatte sie sich so aufgeregt? Dazu gab es keinen wirklich Grund – es war von Anfang an unwahrscheinlich, dass es jemand gefunden hatte. Wann war sie schon einmal nicht in ihrem Zimmer gewesen? Kein Grund zur Aufregung. Sie beugte sich noch einmal nach vorne, um nachzusehen, ob auch sonst nichts mehr unter ihrem Bett lag außer ihrer Reisetasche, und stellte fest, dass keine Papiere und auch sonst nichts in die Richtung, aber ein kleines, weißes, rundes Ding dort lag. Sie streckte ihre Hand danach aus und zog es hervor. Ein Knopf. Catherine zog die Augenbrauen hoch. Ein Knopf, der nicht von ihrer Kleidung kannte. Das konnte sie mit Sicherheit sagen, da sie keine Kleidungsstücke mit solchen weißen Knöpfen besaß. Sie betrachtete ihn genauer und stellte fest, dass es der Knopf eines Hemdes war. Augenblicklich schoss ihr Lestats weißes Hemd durch den Kopf, aber das war unmöglich: Seit Lestat das letzte Mal hier gewesen war, war Catherines Zimmer etliche Male geputzt worden – und die Reinigungskräfte auf Thirlestane Castle waren gründlich. Lea kam gegen Abend erst wieder zurück und wurde von Elatha abgefangen, sodass Catherine ihr nur ein Zeichen gab, später zu ihr zu kommen, und gleich wieder die Treppe hinauf verschwand. Es dauerte nicht sehr lange, bis Lea tatsächlich an die Tür klopfte und eintrat. „Ist alles klar? Hast du noch etwas Seltsames bemerkt?“ fragte Lea nach der Begrüßung und setzte sich auf die Tagesdecke des Bettes. „Ich habe den Traum aufgeschrieben und diese… weissagenden Worte…“ Lea schüttelte den Kopf, worauf Catherine verstummte. „Nein, das meinte ich nicht.“ erklärte sie. „Ist dir an dir selbst noch etwas Seltsames aufgefallen?“ fragte sie. Catherine schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin völlig normal. Allerdings kann ich mich nicht an gestern Nacht erinnern. Der Streit mit Elatha… Ja, der ist noch präsent. Alles danach ist weg.“ „Hast du in den Büchern gelesen, nach denen du mich gefragt hast?“ „Nein. Kannst du dich später darum noch kümmern? Dann lese ich weiter im Tagebuch.“ Lea nickte. Es war zwar langweiliger, in diesen theoretischen Büchern nach Nebenwirkungen und Problemen zu suchen, aber Catherine hatte den Anfang des Tagebuchs gelesen und war somit eingelesen, und deshalb brachte es sie nicht weiter, wenn sie nun die Aufgaben tauschten. Und immerhin war es wahrscheinlich auch Catherines Vorfahrin, die das Tagebuch geschrieben hatte. Innerhalb der nächsten zwei Stunden hatte Lea alles vorwärts und rückwärts durchgeblättert, jeden Erfahrungsbericht fünfmal gelesen und war schließlich sicher, dass die Schäden, die Catherine erlitten hatte, nicht dauerhaft sein würden. „Ja… und die Erinnerung an die letzte Nacht müsste irgendwann auch zurückkommen.“ schloss sie ihre Ausführungen ab und nickte noch einmal. „Gut.“ entgegnete Catherine einsilbig und klappte das Tagebuch zu. „Fehlanzeige.“ fügte sie hinzu, als sie Leas fragendem Blick begegnete. „Wie? Das kann doch nicht sein!“ rief Lea völlig perplex. „Es stimmt aber.“ versicherte Catherine und hielt ihr das Tagebuch hin, doch Lea schüttelte den Kopf. „Irgendetwas muss doch aber noch passiert sein!“ beharrte Lea. Catherine seufzte, nahm sich das Tagebuch noch einmal vor und begann dann, den Inhalt des kleinen, wertvollen Buches zusammenzufassen: „Im April 1607 schreibt die sechsjährige Mary, dass ihre Mutter krank ist und ihr nicht erlaubt wird, sie zu sehen. Der Vater ist deprimiert und die Ärzte hüllen sich in Schweigen. Die Situation ist ernst. Erinnerst du dich?“ „Klar! Natürlich! Wie kannst du nur so etwas fragen…“ meinte Lea entrüstet, da ihr Erinnerungsvermögen ernsthaft angezweifelt wurde. „Schon gut!“ beschwichtigte Catherine sie und blätterte weiter. „Es folgen kürzere Einträge, die eigentlich nur mitteilen, dass sich der Zustand der Mutter nicht bessert…. Die Abstände zwischen den einzelnen Einträgen werden unregelmäßig und größer. Der nächste Eintrag, der etwas Neues mitteilt ist vom September 1607. Und zwar… Ach, ja: Sie besuchen noch die Messe und Mary hadert mit Gott… Du weißt, was ich meine, oder?“ Catherine hielt erneut inne und Lea nickte. „Gut… Dann steht in demselben Eintrag noch etwas über die argwöhnischen Blicke der Bevölkerung.“ „Ja, es scheint etwas vor sich zu gehen. Der Meinung waren wir doch, oder?“ fragte Lea dazwischen. „Ja, die Situation schien sehr angespannt.“ stimmte Catherine zu und suchte nach einem weiteren Eintrag. „Kurz darauf, nämlich im Oktober 1607 muss der Vater geschäftlich weg… Das ist eigentlich unwichtig, allerdings berichtet ein weiterer Eintrag im Oktober 1607 von diesem Gespräch mit Anne, der Amme, indem Mary erfährt, dass ihre Mutter ein totes Kind zur Welt gebracht hat. Und so weiter.“ „Ja, die Besessenheits-Geschichte. Ich erinnere mich auch daran.“ meinte Lea, wobei sie damit nichts betonen wollte. Catherine lächelte flüchtig und nickte, ehe sie weitersprach: „Genau. Die Ärzte… machen weiter, wofür sie bezahlt werden. So: und im Dezember hat Mary diese Horror-Begegnung mit ihrer Mutter, weil sie Stimmen aus dem Zimmer hört.“ „Okay, das wusste ich ja schon so ungefähr. Wie geht es weiter?“ fragte Lea und lehnte sich auf die Ellenbogen zurück. „Dann geht es weiter, dass sie nicht mehr hingeht, sich aber natürlich immer noch Sorgen um ihre Mutter macht… Immerhin ist sie ja ihre Mutter. Ihr Vater kommt irgendwann zurück… Das muss um Weihnachten gewesen sein. Mary schreibt irgendetwas von heidnischen Bräuchen der Dorfbewohner. Ich nehme an, sie meint das Schmücken mit Tannenzweigen um die Weihnachtszeit.“ Lea nickte. „Das ist möglich… Nein, das wird schon gemeint sein. Etwas anderes ergibt keinen Sinn.“ stimmte sie zu und ließ Catherine weitersprechen. „Der Vater bringt einen Freund mit. Einen Forscher, schreibt sie. Sie vermutet, dass er aber auch Arzt ist. Und dann… warte mal!“ Catherine las noch einmal den Abschnitt genauer durch und meinte dann: „Das hätte mir vorher auffallen müssen!“ „Was denn?“ wollte Lea wissen und beugte sich zu ihr nach vorne. „In diesem Eintrag vom Dezember steht: ‚Vater ist gesund aus Edinburgh zurückgekehrt und brachte einen Gast mit in das Haus. Er ist ein Forscher, ich aber denke, dass er auch Arzt ist und wegen Mutter hier ist. Die Bediensteten sind froh, dass erneut ein kultiviertes Abendessen mit einem vornehmen Bürger einer großen Stadt abgehalten wird. Es scheint, so können sie meine Mutter und ihre Krankheit vergessen.“ „Und? Ist das etwas Besonderes?“ fragte Lea, da Catherine eine kleine Pause eingelegt hatte. „Nein, aber jetzt kommt es: ‚Seine Person zieht sehr viel Aufmerksamkeit auf sich. Sein Erscheinen ist unglaublich. Alle sind von ihm fasziniert, doch ich fürchte ihn. Er ist unheimlich. Seine Haut strahlt weiß glänzend wie Perlmutt und seine Augen sind rabenschwarz.’ Weißt du, was ich denke?“ „Dieser Forscher oder Arzt…“ „Ein Alchimist.“ flüsterte Catherine und griff nach dem Zettel in ihrer Tasche. Alchimist. Schwarzes Haar. Schwarze Augen. Archibald. „Was auch immer. Von mir aus auch Alchimist. Er ist der Mann, den du in deinen Visionen gesehen hast. Die Visionen, von dem Jungen George und von der Kranken im Bett, meine ich. Dachtest du das?“ Catherine nickte. „Ja. Der Mann, den ich in meinen Visionen gesehen habe. Er ist Forscher, Arzt, Alchimist und Vampir.“ Sie schwieg eine Weile, um ihre Gedanken zu ordnen. Lea biss auf ihren Lippen herum und dachte ebenfalls nach. „Ich frage mich, ob irgendeiner der Vampire ihn kennt oder kannte.“ murmelte Lea. Catherine schüttelte den Kopf, doch es war ihr durchaus bewusst, dass es sein konnte, weshalb sie dann doch nickte und schließlich die Schultern zuckte. „Was war das jetzt? Nein? Ja? Keine Ahnung?“ fragte Lea und zog die Augenbrauen hoch. Catherine lächelte angespannt. „Ich weiß es nicht.“ „Und was spricht gegen die verschiedenen Möglichkeiten?“ „Nun. Wenn sie ihn kennen oder kannten, dann hätten sie auch etwas über Thirlestane Castle, über meine Familie und die allgemeinen Vorgänge in Vergangenheit und Gegenwart wissen können. Wenn sie ihn nicht kennen oder kannten, dann verstehe ich immer noch nicht, warum sie je hier waren und sich für diese Vorgänge interessiert haben. Und daraus folgt: Ich weiß nicht, was ich denken soll.“ erklärte Catherine, was Lea etwas verwirrte. „Soll ich das Ganze noch komplizierter machen?“ fragte sie, nachdem sie noch einmal über Catherines Worte nachgedacht hatte, wartete aber keine Antwort ab. „Was ist, wenn sie ihn damals nicht kannten, inzwischen aber kennen?“ fragte sie. Catherine stöhnte auf. „Das ist egal. Sie sind eh nicht hier, um uns tatkräftig zur Seite zu stehen.“ lehnte es Catherine ab, darüber ernsthaft nachzudenken. „Wenn sie ihn aber kennen würden….“ begann Lea wieder. „Lea! Das bringt uns nicht weiter!“ „Lass’ mich doch! Wenn sie ihn kennen würden, dann könnte man sie nach ihm fragen. Vielleicht wussten sie nur nicht, dass er damit etwas zu tun hat… Ja, genau: Wer sagt dir, dass sie etwas über die Vorgänge auf Thirlestane Castle wissen müssen, wenn sie ihn kennen?“ Catherine schüttelte den Kopf. „Niemand, aber überleg’ einmal: Wenn wir sie fragen, ob sie ihn kennen – abgesehen davon, dass sie weg sind und wir sie also nicht fragen können, dann sagen sie uns: Ja, den kennen wir oder kannten wir… Oder was auch immer, aber dann wissen sie immer noch nichts, was uns in dieser Sache weiterhilft. Deshalb ist es egal, ob sie ihn kennen oder nicht. Wichtig ist das Wissen über die Vorgänge und das haben sie auf jeden Fall nicht. War das jetzt richtig oder habe ich mir selbst widersprochen?“ Catherine wusste es wirklich nicht mehr genau, nickte aber schließlich. Lea nickte auch. Sie hatte Recht. „Und das war alles, was das Tagebuch hergibt? Wirklich alles?“ fragte Lea. Catherine hätte es selbst nicht geglaubt, wenn sie es nicht gesehen hätte, also nahm sie Lea ihre Zweifel nicht übel, sondern übergab ihr das Tagebuch, dass sie sich selbst überzeugen konnte. Nach einer Weile ließ Lea das Buch sinken und meinte: „Tatsächlich. Die folgenden Einträge bis zum März 1608 handeln von belanglosen Dingen… und die letzten Seiten sind herausgerissen. Und das bedeutet…“ „Dass sie entfernt wurden, weil sie entweder wertlos waren oder etwas sehr Wichtiges enthielten.“ schloss Catherine. „Letzteres ist meiner Ansicht nach wahrscheinlicher… Wer hat sie entfernt? Und wo sind sie jetzt? Was stand noch im Tagebuch?“ fragte Lea, doch richtete diese Fragen nicht an Catherine. „Das werden wir wohl nie erfahren.“ vermutete Catherine leise. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)