Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 70: Ein voreiliges Urteil --------------------------------- Ein voreiliges Urteil Sie biss sich auf die Lippen und wandte den Blick ab. Wozu hatte sie sich hinreißen lassen? Sie wollte nichts darüber sagen, doch es war einfach aus ihr heraus gebrochen. Sie wollte nicht mit ihm streiten. Sie war doch so froh, dass er einfach nur da war, obwohl er offenbar keinen besonderen Grund dafür hatte und er nicht von David geschickt worden war, um ihr irgendeine Hiobsbotschaft zu überbringen. Sie wollte auch keine Hiobsbotschaft von ihm erfahren. Catherine spürte seinen Blick auf ihrer Haut, auf ihrem Nacken und zitterte leicht. Was würde weiter geschehen? Würde er sie fragen, was sie noch Neues wusste? Würde er ihr anbieten, ihr zu helfen und ihr beiseite zu stehen, egal was kommen würde? Oder würde er wieder einfach gehen? Letzteres schien ihr passend, doch insgesamt war sie der Meinung, dass er schnell tun sollte, was er tun wollte. So würde auch der eventuelle Schmerz darüber schneller vergehen, denn ein rascher Schnitt mit einer Klinge war leichter zu ertragen, als ein langsam bohrendes Messer, das sich immer tiefer in ihr Fleisch schob. „Wir haben Fehler gemacht.“ gab er schließlich zu und durchbrach das Schweigen. Catherine nickte. „Es hätte alles nicht so kommen sollen, aber nach dem, wie wir uns verhalten haben, konnte es nur dazu kommen… Logisch, nicht wahr?“ fragte sie und ging einige langsame Schritte auf und ab. Sie sah nicht, ob er nickte, doch sie vermutete es. „Wir haben Kardinal Salieri gefunden.“ meinte er. „Tot, nehme ich an.“ entgegnete Catherine, worauf er nun nickte. „Wie kommst du darauf?“ „Sein Portemonnaie lag im Tresor und es passt gut zu Elizabeth.“ erklärte sie. „Es sieht leider überhaupt nicht danach aus, dass Elizabeth ihn ermordet hat.“ teilte er ihr mit und wartete auf ihre Reaktion. Er hatte also doch einen Grund gehabt, zurück nach Thirlestane Castle zu kommen. Catherine verstand erst nicht, was er gesagt hatte, dann fragte sie verwundert: „Wieso nicht? Und wieso ‚leider’?“ „Sein Körper war blutleer… beinahe blutleer zumindest.“ erwiderte er und begegnete ihrem erschrockenen Blick. Langsam schüttelte er den Kopf. „Von uns war es niemand und auch sonst können wir ausschließen, dass es jemand unserer… Fähigkeiten war.“ „Ich verstehe das nicht. Niemand eurer Fähigkeiten?“ „Ja, sagen wir es so: wir hätten das nicht so unsauber und schlampig gemacht. Wir sind inzwischen mehr darauf bedacht, keinen Verdacht aufkommen zu lassen und all unsere Spuren unkenntlich zu machen… Louis kommt das alles bekannt vor, doch er kann auch nichts Genaues sagen. Wir haben alle versucht, den Mörder aufzuspüren, jedoch ohne Erfolg.“ „Was vermutet Louis?“ „Es gibt außer uns noch scheinbar eine andere Art von Vampiren… ‚Gedankenlose’ nennen wir sie, aber nicht, weil sie sich keine Gedanken über etwas machen, sondern weil sie eher überhaupt nichts denken. Verstehst du, was ich meine?“ Catherine nickte. „Ich hatte nur ein paar Mal mit solchen Geschöpfen zu tun, aber…“ Catherine brach ab. „Was?“ „Es hieß, sie seien beinahe vernichtet. Es war äußerst selten, wieder einen von ihnen jagen zu müssen. Und nun tauchen sie wieder auf.“ erklärte Catherine und Lestat nickte nachdenklich. „Wir beobachten das weiter, keine Sorge.“ meinte er schließlich und Catherine nickte. „Denkst du, das alles hängt irgendwie zusammen?“ „Elizabeth und die ‚Vampire’… Ich denke nicht. Vielleicht indirekt, aber sonst nicht. Was plant Elizabeth? Hast du etwas Neues herausgefunden?“ Catherine schüttelte den Kopf, zuckte die Schultern und begann zu erzählen, was sie bisher über Elizabeth und Elatha herausgefunden hatte, was in der Tat nicht viel war. Lestat hörte ruhig zu und fragte, nachdem sie geendet hatte: „Fühlst du dich hier sicher?“ Catherine schnaubte verächtlich. „Natürlich nicht, aber…“ „Dann komm’ mit mir.“ „… irgendetwas gibt es hier noch herauszufinden.“ beendete sie ihren Satz. Seine Worte drangen erst langsam in ihr Bewusstsein vor. Er wiederholte seine Worte nicht, sondern sah sie nur an. „Ich kann nicht.“ meinte sie leise. „Doch, du kannst.“ widersprach er ihr, doch sie schüttelte den Kopf. „Noch nicht.“ flüsterte sie und senkte den Blick. Der Wind fuhr durch ihr Haar und sie meinte, dass seine Hand über ihre Wange strich, doch als sie aufblickte, war sie allein und um sie herum war alles still bis auf die raschelnden Blätter der Bäume, die der Lufthauch der Nacht sanft hin und her wiegte. Catherine blieb noch eine Weile stehen und lauschte dem Wind, der immer noch durch die Blätter rauschte, als ob nichts geschehen sei. Es war auch nichts geschehen. Catherine schüttelte leicht den Kopf und lächelte flüchtig. Warum sie lächelte, wusste sie selbst nicht genau. Salieri war tot – nun wusste sie es mit Sicherheit… Vampire und nicht Elizabeth… Nachdenklich griff sie sich an die Stirn und blickte zum Schloss, das sich mächtig und dunkel in einiger Entfernung vom flachen Gelände der Parkanlage abhob. Thirlestane Castle. Catherine nickte. Sie würde das hier auch wieder hinter sich lassen, doch wann es so weit sein sollte, konnte sie nicht sagen. Langsam verließ sie den sicheren Schatten der Bäume und spazierte über das Gras auf das Gebäude zu. Was war das für ein Gefühl, das sie hier hielt? Gab es hier tatsächlich noch etwas herauszufinden oder verrannte sie sich in ihrer Sturheit in einer Sackgasse, ohne es zu bemerken oder bemerken zu wollen? Woher kam dieses Gefühl, nicht einfach gehen zu können – abgesehen davon, dass sie sich vielleicht vor den Aufgaben drückte, die sie in Paris endlich bewältigen musste. Es waren so viele Angelegenheiten zu bereinigen und endgültig aus dem Weg zu schaffen, das ihr beinahe schwindelig wurde, wenn sie nur daran dachte. In der Nacht schlief Catherine nicht besonders gut, doch sie träumte nicht, sondern wachte nur einige Male ohne besonderen Grund auf. Ihr Frühstück nahm sie wie gewohnt alleine zu sich, um darüber nachzugrübeln, womit sie an diesem Tag ihre Zeit verbringen würde. „Hast du Lea heute schon gesehen?“ fragte die Köchin. „Nein. Sie müsste doch schon in der Schule sein, oder nicht?“ fragte Catherine. Es war Donnerstag und ein normaler Schultag. „Dann ist sie heute bestimmt ohne Frühstück aus dem Haus.“ vermutete die Köchin und ging weiter ihren Aufgaben nach. Catherine nickte, beendete ihr Frühstück, trank schnell ihren Kaffee aus und verließ dann die Küche. Lea hatte sich auch angewöhnt, in der Küche zu essen, zum einen weil sie morgens noch ihre Ruhe haben wollte, zum anderen weil sie morgens sehr gut auf ihre Großmutter verzichten konnte. Catherine dachte an die vorige Nacht, in der Lea sich nicht so verhalten hatte, wie es für sie typisch war. Sie war sonst ruhig und duldsam… vernünftig eben, aber nicht so zickig und aufbrausend wie in der vergangenen Nacht im Büro. Catherine biss sich auf die Lippen. Irgendetwas musste vorgefallen sein… Sie hätte ihr nachgehen sollen, statt Lestat zu treffen. Langsam ging sie die Treppe nach oben. Ihr ungutes Gefühl wuchs mit jeder Stufe an, doch erklären konnte sie es sich nicht. Ihre Schritte waren auf dem Teppichläufer im Flur nur dumpf zu hören. Das Schloss war um diese Zeit bereits wieder still: die Mädchen waren in der Schule, Elizabeth im Büro und Elatha woanders. Hoffentlich bemerkte Elizabeth nicht die kleinste Veränderung in ihrem Büro, sonst… Nein, ihr konnte niemand etwas nachweisen und Elizabeth hatte selbst zu viel zu verbergen, sodass sie wegen eines Einbruchs nicht so einfach die Polizei rufen konnte. Catherine blieb plötzlich stehen und wandte sich zu der Tür um, die sie gerade passiert hatte. Leas Zimmer lag dahinter. Catherine hob die Hand zum Klopfen, ließ sie wieder sinken und hob sie wieder. Sie war wahrscheinlich sowieso in der Schule, oder nicht? Catherine klopfte, doch natürlich bat niemand sie herein. Zögernd legte Catherine ihre Hand auf die Türklinke und ließ sie unsicher noch eine kleine Weile dort liegen, blickte den Gang in die eine und die andere Richtung hinunter und öffnete dann mit angehaltenem Atem die Tür zu Leas Zimmer. Das Zimmer war leer. Kühle Morgenluft wehte durch das offene Fenster und bewegte auch die zurückgeschlagene zartgelbe Bettdecke. Catherine blickte sich um und schloss die Tür hinter sich. Es war falsch, was sie da machte, das wusste sie. Sie wollte Lea nicht nachspionieren. Heftig schüttelte sie den Kopf: Sie spionierte ihr nicht nach. Sie hatte lediglich sehen wollen, ob sie verschlafen hatte, wo sie doch ihr Frühstück verpasst hatte, doch sie war nicht hier. Sie musste doch zur Schule gegangen sein. Catherine nickte bei sich. Diese Erklärung war logisch, doch das ungute Gefühl regte sich immer noch in ihrer Magengegend. „Jetzt gib’ dich endlich damit zufrieden! Sie sitzt bestimmt in der Schule und ärgert sich über ihren nervigen Mathe-Lehrer…“ murmelte Catherine und schloss das Fenster energisch. „Warum sollte irgendetwas nicht stimmen… Gespenster zu sehen, war noch nie dein Ding, also nimm’ dich etwas zusammen und hör’ auf zu spinnen!“ schalt sie sich weiter. Sie atmete tief durch, ließ noch einen letzten Blick über das Bücherregal gleiten und unterdrückte das rebellierende Gefühl in ihrem Inneren. Missmutig rollte sie mit den Augen. Nun führte sie auch schon Selbstgespräche! Wohin sollte das alles noch führen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)