Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 86: Die Siebte im Bunde ------------------------------- Die Siebte im Bunde Catherine kam erst am späten Vormittag zu sich und setzte sich im Bett auf, wobei sie nicht die geringste Lust verspürte, aufzustehen, sich anzuziehen und etwas zu essen. Ihr Blick wanderte auf den Nachtisch zu ihrem Wecker, den Lestat ausgestellt haben musste, bevor er sie kurz vor Morgengrauen verlassen hatte. Elf Uhr, stellte sie fest. Es war wirklich Zeit, in die Gänge zu kommen. Langsam und mit steifen Gliedern erhob sie sich, warf einen Morgenmantel über und ging mit frischer Kleidung über den Korridor ins Bad, wo sie sich Zeit ließ und über alles Mögliche, hauptsächlich aber Lestat und den vergangenen Abend, nachdachte. Irgendwann wandten sich ihre Gedanken der nahen Zukunft zu. Die Bediensteten – allen voran Guillaume – würden in wenigen Tagen wieder ihre Arbeit in der Villa beginnen, nachdem sie für Catherines Ankunft alles vorbereitet hatten und sie selbst seither keinen von ihnen gesehen hatte. Lestat und Marius hatten das mit Sicherheit ziemlich vorausschauend geplant, doch Catherine gefiel der Gedanke wenig, dass sie bald in ihrem eigenen Haus den Schein wahren musste. Es erinnerte sie an die Zeit vor dem Zerwürfnis mit ihrem Bruder Lucien und vor dem Tod ihrer Eltern, als ihr Leben noch in Ordnung war … Nein, besser gesagt: als ihr Leben noch in abartigen Bahnen verlief. Und dann wusste sie auch nicht, ob es so gut war, dass die Bediensteten wieder im Haus waren, allein schon weil mehrere Vampire im Keller nächtigten bzw. den Tag verbrachten! Jedoch sollten Lestat und Marius wissen, was sie taten – oder nicht? Wahrscheinlich, und am meisten störte Catherine immer noch, dass sie dann vorsichtiger sein mussten, damit niemand Verdacht schöpfte oder gar noch etwas erfuhr. Nachdenklich führte sie die Bürste durch ihr Haar und blickte dabei geistesabwesend in den Spiegel. Sie war nicht die einzige gewesen, die sich in einem fremdbestimmten Leben zurechtfinden und sich mit ihm abfinden hatte müssen. Margaret Barcley war es mit Sicherheit so gegangen – auch noch vor ihrem Prozess. Und wahrscheinlich ging es noch tausenden von anderen Frauen genauso – damals wie heute. Selbst das Gedicht oder das Lied, das George daraus machte, erzählte eigentlich von nichts anderem. Wer kannte das Gefühl nicht, dass die Zeit nur so zwischen den Fingern zerrann? Wer dachte nicht an vergangene Tage zurück und wünschte, er hätte diese oder jene Entscheidung getroffen oder nicht getroffen, hätte diese oder jene Gelegenheit genutzt oder vorbeiziehen lassen? Neid und Verachtung… auch das war in irgendeiner Form wohl jedem bekannt. Erst die nächsten Zeilen veranlassten Catherine, die Bürste sinken zu lassen und die Stirn zu runzeln. Eine zu eng gewordene Welt? Catherine konnte sich ungefähr vorstellten, was das für ein Gefühl war, da sie sich selbst auch oft von allen Seiten durch Erwartungen und Pflichten erdrückt gefühlt hatte. Seit allerdings Lestat in ihrem Leben war, fühlte sie das kaum mehr, obwohl jetzt auch nicht wenig Verantwortung auf ihr lastete und viel von ihr abhing. Sie fühlte es eigentlich überhaupt nicht mehr, bemerkte sie und musste lächeln. Lestat wusste überhaupt nicht, was er alles für sie tat, und sie würde ihre Meinung immer behalten, dass er für sie perfekt war. Amüsiert schüttelte Catherine den Kopf: sie kehrte doch tatsächlich von jedem Gedanken aus wieder zu Lestat zurück. Das war wirklich schlimm! Mit schnellen Bewegungen legte sie die Bürste aus der Hand und band ihr langes Haar streng nach hinten, um dann ihren sachlichen Gedanken mit kaltem Wasser ins Gesicht etwas auf die Sprünge zu helfen. Wie ging es weiter nach dem Sonnenuntergang und der anschließenden Kälte, die auch in ihr Herz einzog? Der Verlust des Vertrauens und der Freude… Auch das schien Catherine nicht unbedingt ein Indiz zu sein, das sie zu einer Person führte, doch der Herzenswunsch, den betreffende Person niemals wissen durfte. ‚Wissen’ im Sinne von ‚erfahren’. Catherine trocknete ihr Gesicht ab, schlüpfte in ihre Kleider und löste das Band aus ihren Haaren wieder, ehe sie nach unten in die Küche ging, um eine Kleinigkeit zu essen. In dieser Nacht würde David zurück sein. Marius und Armand würden ebenfalls wieder auftauchen, wo genau sie sich jetzt auch aufhalten mochten. Louis würde nicht einmal von Leas Seite weichen müssen, da Catherine sie ebenfalls miteinbeziehen wollte. Sie war in die Sache verwickelt und je mehr sie wusste, desto mehr konnte sie vielleicht beisteuern. Immerhin hatte noch niemand wirklich über die Ergebnisse dieser bewusstseinserweiternden Sitzung gesprochen – nicht einmal Lea und Catherine – und Catherine konnte nicht glauben, dass es keine Ergebnisse oder seltsame Erkenntnisse gab. Kaum saß Catherine in der Küche und biss in ihr Brot, bemerkte sie, dass sie tatsächlich keinen Hunger hatte. Trotzdem zwang sie sich, den Teller leer zu essen, trank noch einen Kaffee und hörte dann, wie sich die Tür langsam öffnete. „Guten Morgen.“ meinte Lea und setzte sich zu ihr, während sie Catherine musterte. „Morgen. Bist du schon lange wach?“ „Ja, eine Weile.“ gab Lea zu und blickte sich in der Küche um. „Du hast schon gegessen, nehme ich an.“ entgegnete Catherine und räumte ihren leeren Teller in die Spülmaschine. „Ja, sicher. Ich habe mich einfach bedient.“ „Wie schon öfters gesagt: du bist hier zu Hause.“ erinnerte Catherine und Lea nickte nachdenklich. „David kommt heute Nacht zurück. Er hat die Übersetzung der Runen von Crossbost und das bedeutet für uns, dass wir endlich weitermachen können.“ erzählte Catherine, als sie den Frühstückstisch abräumte und schließlich mit einer flinken Handbewegung einige Krümel in ihre andere Handfläche strich und sie in den Mülleimer warf. „Ah.“ murmelte Lea und blickte ihre Hand an, die sie ruhig in ihrem Schoß liegen hatte. „Lea, was ist los?“ „Nichts, wieso?“ „Es kommt mir so vor, als wolltest du mir etwas sagen.“ „Es ist nur… ich weiß nicht, wie ich das sagen soll… David wird zurück sein, Marius und Armand kommen dann auch wieder. Dann vergrabt ihr euch wieder in die Unterlagen und vielleicht kommt ihr dann auch weiter, aber…“ Lea brach ab und blickte Catherine gequält an. „Lea, du fühlst dich doch nicht etwa ausgeschlossen?“ fragte Catherine entsetzt und schüttelte den Kopf. „Nicht direkt, aber ihr… Versetz’ dich in meine Situation! Louis, Lestat, Marius, Armand und David sind alle Vampire. Dass ich mich wohl kaum in ihre Reihe stellen kann, ist sehr deutlich. Aber nicht einmal mit dir kann ich mich vergleichen. Du bist älter, hast offenbar überhaupt keine Angst und weißt scheinbar immer, was als nächstes zu tun ist. Da kann ich nicht mitkommen.“ gestand Lea und senkte den Blick. „Es ist nicht wahr, dass ich keine Angst habe, Lea.“ „Aber du… bist so sicher.“ „Ich bin sicher, weil ich sicher sein muss. Aber ich habe Angst, Lea. Ich habe Angst, dass wir nicht schaffen, was wir schaffen sollen. Ich habe Angst um dich, jetzt da ich weiß, dass wir für uns die einzige Familie sind, noch mehr als zuvor. Und du wirst es nicht glauben, aber auch ich weiß nicht genau, wie ich zu der Tatsache stehe, dass unsere einzigen Verbündeten Vampire sind…“ „Aber Lestat…“ „Ja, natürlich. Lestat. Ich liebe ihn und ich glaube ihm, dass er mich liebt. Es ist wirklich etwas Besonderes zwischen uns und mein Leben ohne ihn – nein, das kann ich mir wirklich nicht mehr vorstellen. Es geht mir um die anderen. Marius. David. Armand. Ich weiß nicht, was sie denken oder davon halten, dass Lestat und ich… so füreinander empfinden. Sie wissen, was zwischen uns ist, aber haben Lestat oder ich es je vor ihnen gezeigt? Nein. Und genau deshalb fehlt uns als Paar ein gewisser Platz in dem Ganzen – gut, vielleicht hat er mit Marius gesprochen und vielleicht weiß er, was sie denken, aber ich weiß es nicht. Versteh’ mich nicht falsch! Es belastet mich nicht so sehr, doch ich bin sehr gut im Ignorieren. Ich ignoriere das und ich ignoriere einen Großteil meiner Angst, um mich konzentrieren zu können.“ „Siehst du? Und ich kann nicht einmal das!“ entgegnete Lea und schüttelte heftig den Kopf. „Lea, du wurdest nicht so ausgebildet wie ich. Was ich innerhalb der Bruderschaft hinter mir habe, könnte man beinahe mit einer militärischen Ausbildung vergleichen.“ entgegnete Catherine. Catherine machte eine kurze Pause und dachte nach, wie sie Lea aufmuntern konnte. Sie konnte nachvollziehen, wie Lea empfand, doch die richtigen Worte schienen ihr einfach nicht einfallen zu wollen. Es war zum Verrücktwerden. „Was hältst du davon, wenn wir zwei heute noch einmal die neusten Erkenntnisse durchgehen. Lestat und ich haben gestern Abend noch das Leben Margaret Barcleys näher betrachtet. Ich hätte gerne, dass du es weißt.“ „Warum?“ „Wenn du es nicht willst, ist das auch in Ordnung, aber ich dachte, du könntest uns bei der Arbeit unterstützen. Ich möchte – abgesehen von persönlichen Gründen – auch aus rein praktischen und logischen, dass du in alles miteinbezogen wirst, da du nun einmal dazu gehörst. Du bist ein Teil von alldem. Wir wissen ja auch noch nicht, warum die Bruderschaft dich wollte.“ „Sie wollte nicht mich. Sie brauchte mich nur, um an dich heranzukommen.“ vermutete Lea, doch Catherine schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Die Bruderschaft mag sich geirrt haben, aber sie handelt nie ohne tiefergreifende Gründe. Da steckt mehr dahinter.“ „Kannst du das anhand deiner Erfahrungen aus deinen aktiven Jahren mit Sicherheit sagen?“ „Ja, durchaus. Signore Daniele hat meinen Bruder und mich – wie Salieri ganz zu Beginn gesagt hatte – mit Sicherheit auch zu einem bestimmten Zweck voneinander getrennt. Das war nicht nur die Entscheidung, ob wir für die Ziele oder gegen den Willen der Bruderschaft handeln. Da bin ich mir wirklich sicher.“ Lea nickte schweigend und schien nachzudenken. Catherine wusste, dass sie noch nicht überzeugt war, also fuhr sie fort: „Ich möchte dich außerdem dabei haben, da du Dinge beisteuern kannst.“ „Tatsächlich?“ fragte Lea und ihre Miene hellte sich etwas auf. „Ja. Du erinnerst dich noch an unsere bewusstseinserweiternde Sitzung?“ „Ich wünschte, ich würde es nicht. Auch da habe ich versagt.“ „Das stimmt nicht. Du hast nicht versagt.“ „Hm, ich gehöre nun also wirklich dazu? So wie… Louis und Lestat und du?“ „Ja, sicher. Du sollst alles wissen. Du kannst alles wissen.“ „Cool.“ meinte Lea und nickte. „Bei dieser Sitzung, Lea… Du hast dabei Dinge erfahren. Ich möchte, dass diese Dinge alle erfahren.“ antwortete Catherine und hielt Leas Blick stand. „Das sind deine intimsten Geheimnisse!“ rief Lea entsetzt und ungläubig, doch Catherine nickte. „Wahrscheinlich musst du dir noch einmal ganz genau Gedanken über diese Nacht machen, aber ich möchte, dass du zusammenträgst, was du erfahren hast. Es könnte wichtig sein.“ bekräftigte Catherine ihre vorherige Aussage und wartete ab, da Lea zu überlegen schien. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)