Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 89: Der Gründer der Familie ----------------------------------- Der Gründer der Familie „Nicht?“ fragte David irritiert. „Doch, entschuldige! Ich bezog mich nicht auf die Übersetzung, sondern auf etwas, das ich inzwischen wieder geträumt habe. Es ist ähnlich, aber nicht identisch.“ erklärte sie und wiederholte den Liedtext ihres Traumes, an den sie sich beinahe noch ohne Schwierigkeiten erinnerte. „Du hast auf Französisch geträumt?“ fragte Lestat. „Es könnte sein, dass die Veränderungen daher kommen. Oder es ist eine jüngere, ausführlichere Version. Was meinst du David?“ Catherine ließ David überhaupt nicht zu Wort kommen, sondern meinte: „Ja, ich denke, wir können die Abweichungen alle außer Acht lassen. Die Botschaft bleibt doch dieselbe, oder? Ob sie den Herzenswunsch nicht erkennt oder nie wissen durfte… Tatsache ist, sie vermisste etwas.“ „Ist es nicht schlimmer, etwas zu kennen, es aber nicht zu bekommen, als überhaupt nicht darum zu wissen?“ warf Louis ein und alle Augen wanderten in seine Richtung. Lea nickte nachdenklich und auch Catherine stimmte ihm zu. Die anderen blickten ihn nur an und warteten darauf, dass er vielleicht weitersprach, doch Louis blieb stumm. „Wie auch immer…“ murmelte Catherine, um nicht unnötig auf Details einzugehen. „Gibt es so etwas wie einen Titel zu diesem Gedicht? Wenn ja, sagt er etwas aus?“ fragte sie weiter und suchte wieder Davids Blick. „Einen Titel gibt es…“ begann er, doch brach ab, als Catherine ihm auffordernd zunickte. „Und?“ forderte Lestat ihn nun auf, weiterzusprechen. „Er ist nicht gesichert… Ich meine, er ist schon gesichert, aber er scheint nicht… Er scheint etwas jünger zu sein als das Gedicht. Zumindest haben wir ihn erst ab einer späteren Zeit überliefert.“ erklärte er, doch Catherine sah darin nicht unbedingt ein Problem. „Wie viel später?“ fragte sie. „Vielleicht fünfzehn bis zwanzig Jahre.“ „Das ist ja kaum etwas.“ meinte Marius, doch David schüttelte den Kopf. „Es gefällt mir nicht. Wer hat den Titel erstmals genannt?“ „Die Verfasserin. Sie hat ihn nur nicht niedergeschrieben.“ mutmaßte Catherine und begegnete Lestats Blick. „Weißt du das? Hattest du heute noch eine Vision?“ wollte er beinahe besorgt wissen. „Nein, nein, aber… Wer sollte es sonst gewesen sein? Man schreibt kein Gedicht, das keinen Titel hat – selbst wenn man nur eine Notiz macht. Dieses Gedicht ist überdacht und ich wette, dass es schon immer einen Titel hatte.“ entgegnete Catherine. „Ist das nicht gleichgültig? Ich meine, was sind schon fünfzehn oder zwanzig Jahre. Wir haben einen Titel. Darauf kommt es doch an, oder nicht?“ meldete sich Lea nun zu Wort. „Ja, so kann man es sehen…“ begann Louis, doch Marius unterbrach ihn: „Was David zu sagen versucht, ist etwas anderes. Jemand kann diesen Titel auch gewählt haben, weil für ihn mit dem Gedicht etwas Bestimmtes in Verbindung stand.“ Catherine zog eine Augenbraue hoch, nickte aber nachdenklich. „So wie ein Verwandter oder Bekannter? Von Margaret Barcley beziehungsweise Morair, meine ich.“ fragte Lea. „Ein jüngerer Zeitgenosse. Ein Verwandter, ja das ist möglich.“ murmelte Catherine und schloss für einen Augenblick die Augen. „George.“ meinte sie plötzlich und bemerkte erst danach, dass Lestat im selben Moment genau dasselbe gesagt hatte. David blickte die beiden überrascht an und schüttelte dann langsam den Kopf, bis Catherine erklärte: „George war das jüngste Kind und der einzige Sohn von Margaret Barcley. Ich habe ihn in einer meiner…“ „… Visionen gesehen. Das dachte ich mir beinahe.“ ergänzte David und sah nicht weniger unglücklich aus. „Habe ich irgendetwas nicht mitbekommen?“ fragte Catherine, der Davids Laune zunehmend auf die Nerven ging. Erst begrüßte er niemanden richtig, dann wollte er eher an den neuen Erkenntnissen arbeiten als an der Übersetzung, die er jetzt doch hatte, und jetzt rückte er nicht richtig mit der Sprache heraus. Welche Verbindung sah David oder sah er überhaupt keine? Catherine fand sein Verhalten seltsam, doch zwang sich zur Ruhe. „Er ist unzufrieden mit den Ergebnissen.“ raunte Lestat ihr zu. „Ich habe seine schlechte Laune inzwischen durchschaut.“ erklärte er Catherine. „Wieso denn? Ich meine… Wir haben so lange auf die Übersetzung gewartet. Nun haben wir sie. Wenn es uns sonst nichts bringt, dann wissen wir jetzt zumindest, dass es uns nichts bringt.“ meinte Catherine und Lestat meinte: „Ja, aber sag’ das ihm! Er ist, denke ich, mit so viel Hoffnung zurückgekommen, und jetzt bringen Lea und du immer noch neue Erkenntnisse, die er nicht hatte. Ich denke, das versteht er nicht.“ „Er ist übrigens anwesend.“ erinnerte David und Lestat blickte ihn an. „Habe ich Recht mit meiner Vermutung?“ fragte er und David nickte. „Ich bin tatsächlich unzufrieden mit den Ergebnissen.“ gab er zu und blickte in die Runde. „Ich verstehe nicht, was uns das Gedicht bringt.“ „Wir wissen, dass es von Margaret Barcley verfasst wurde. Margaret Barcley war nach unseren Vermutungen wichtig für einen Hexenzirkel in Schottland – Crossbost könnte eine Art Versammlungsort gewesen sein. Deshalb wurden die Runen dort eingraviert. Vermutlich ist das nach ihrem Tod geschehen und in Anklang daran, dass Morair zurückkehren sollte, um sich zu rächen – wofür wissen wir noch nicht.“ entgegnete Catherine und fuhr fort: „Der Titel, David.“ „Der Titel schließt den Kreis, Catherine. Der Kreis, der für Margaret Barcleys Familie von Frankreich nach Schottland und wieder zurück nach Frankreich führt, wird durch den Titel geschlossen.“ „Inwiefern? Wir wussten, dass ich mit ihr verwandt bin… Gut, wir haben es bisher nur wirklich annehmen können. Margarets Mutter war Marguerite de Valois, die nach Schottland auswanderte. Meine Familie ist aber in Frankreich. Schon deshalb ist es doch klar, dass irgendjemand dann wieder zurück nach Frankreich ist.“ „Jetzt haben wir aber Sicherheit. Der Titel lautet ‚Desire for Time’“ „Der Herzenswunsch ist die Sehnsucht nach Zeit?“ fragte Lestat und Catherine nickte. „Es sieht so aus.“ stimmte David zu. „Der Titel stammt also von George, meint ihr?“ fragte er und machte sich noch eine Notiz an den Rand des Blattes. „Und wie schließt der Titel jetzt den Kreis?“ wollte Catherine wissen, doch hob die Hand, da sie selbst weitersprechen wollte: „Warte! Sehnsucht nach Zeit… Lestat, meinst du, das sagt etwas über die Tatsache… Vermutung aus, dass Margaret von einem Vampir gebissen oder gewandelt wurde?“ „Eine Wandlung ist unmöglich, Catherine. Sie hätte sich niemals verbrennen lassen. Außerdem war es bei ihrer Hinrichtung Tag – nach deinen Schilderungen.“ erinnerte Lestat. „Ja, aber ich…“ „Moment mal! Was für ein Vampir? Lestat?“ mischte sich Marius ein und auch Armand trat einige Schritte auf den Tisch zu. „Später.“ bat er und forderte David auf, endlich alles zu erzählen, was er herausgefunden hatte. „Desire for Time. Oder auf Altenglisch ‚Duraig uine’. Sprich es Französisch aus und was erhältst du? Mit etwas Phantasie natürlich.“ „Duraig uine. Düraiuän… Du… Ravin!“ flüsterte Catherine und blickte von David zu Marius und dann zu Armand, Louis, Lea und schließlich Lestat. „Du Ravin.“ „Ja, wenn das kein endgültiger Beweis ist, dass es eine Verwandtschaft gibt.“ meinte Lea. „Das habe ich nicht einmal mehr bezweifelt. Wie könnte ich?“ fragte Catherine und schüttelte leicht den Kopf. „George kam also nach Frankreich zurück und hat sich über den Titel des Gedichtes definiert, dass daraus ein Name wurde? Ist das möglich, David?“ „Es ist die einzige Erklärung. Was mich nur verwundert, ist das Warum.“ gab er zu und Catherine bemerkte, dass Marius Lestat musterte, seit das Gespräch auf den unbekannten Vampir gekommen war. „Das Gedicht bedeutete ihm viel.“ vermutete Catherine leise und nachdenklich. „Lestat, wie alt war George, als seine Mutter hingerichtet wurde?“ „Ungefähr sieben Jahre.“ „Das heißt, er hat schon alles mitbekommen. Den Prozess und die Hinrichtung. Doch warum hat er sich dazu entschieden, nach Paris zu gehen?“ „Die gesamte Familie scheint aus Schottland verschwunden zu sein. Das haben wir doch schon einmal bemerkt. Sie verschwinden in Schottland und einer taucht in Frankreich wieder auf, wo er schnell zu Ansehen und Reichtum gekommen ist. Er erhielt Adelstitel und Vergünstigungen und lebte bald, als sei nichts geschehen.“ meinte Marius und Catherine nickte. „Genau das macht mich stutzig. George war immerhin Ausländer und noch dazu der Enkel einer Königstochter, die man wegen ihres unmoralischen Verhaltens nicht mehr in Frankreich wollte.“ entgegnete Catherine und blickte auf die Wand im hinteren Teil der Bibliothek, hinter der die wichtigsten und geheimsten Bücher aufbewahrt wurden, die man zur Recherche brauchen konnte. „Wir bräuchten die Chronik, oder?“ fragte David. „Ja, aber die vollständigste, die es gibt.“ stimmte Catherine zu und blickte zu Lestat. „Wo ist diese Chronik, von der du sprichst?“ fragte Marius und Catherine schüttelte den Kopf. Sie erinnerte sich, dass ihr Vater einmal für längere Zeit einem Ältesten der Bruderschaft ein dickes Buch gegeben hatte und später zurückerhalten hatte, doch soweit sie wusste, handelte es sich dabei nicht um die Chronik. Soweit sie wusste! Das war wirklich gut. Sie hatte auch geglaubt, die Chronik sei verloren, doch hatte dann ein Exemplar auf Thirlestane Castle entdeckt, was durchaus Sinn gab, wenn sie annahm, dass Elizabeth stets mehr gewusst oder angenommen hatte, als sie gesagt hatte. Langsam erhob sich Catherine und ging auf die holzvertäfelte Wand zu. Vielleicht waren ihre Gedanken nicht so abwegig, doch die Blicke der anderen in ihrem Rücken ließen sie nervös werden. Mit zitternden Händen schob sie mehrere der quergelegten, dünnen Holzplättchen zur Seite und löste damit einen Mechanismus aus, der eine Tür in der Wand öffnete und den Blick in einen dunklen Raum freigab. „Was ist das?“ fragte Lea und David eilte an Catherines Seite. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)