Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 99: Selig sind die Toten -------------------------------- Selig sind die Toten Marius kam dicht hinter Lestat zum Stehen und blickte ihm über die Schulter. „Was ist das? Um Gottes Willen, was ist das?“ fragte er entsetzt und sah sich in dem weißen Raum um, der aussah, als handle es sich um eine Arztpraxis. Es war alles so steril, allerdings war es seltsam, dass es keinen Vorraum gab. Der Boden war mit weißen Fliesen ausgelegt. Überall standen weiße Vitrinen mit milchigen oder klaren Glasscheiben, weiße Schreibtische, weiße Stühle und allerhand elektronische Geräte. Selbst die Wände waren komplett weiß gestrichen – nun, es gab nur drei richtige Wände. An der vierten Seite verlief eine große, breite Glasfront, die den Blick in einen nächsten Raum freigab, in den seitlich eine Treppe hinabführte. „Lestat hatte Recht: es riecht nach Blut.“ stellte Armand fest und ging weiter in den Raum hinein. „Die Bruderschaft muss sich sehr sicher fühlen. Es gibt keine Überwachungskameras.“ meinte David. „Hat das Catherine nicht gesagt?“ entgegnete Lestat und wusste immer noch nicht recht, was er von all dem halten sollte. „Schon, aber Catherine hat sich auch über diesen Raum geirrt.“ „Sie wusste nicht, dass es ihn gab. Er muss neu sein. Das, was die Bruderschaft hier macht, muss neu sein.“ sagte Lestat und sah sich den Raum, der etwas unterhalb lag, genauer an. Technische Geräte. Monitore. Große, helle Leuchten, die gerade nicht angestellt waren. Klinen. Es war definitiv eine medizinische Einrichtung. Ein Labor. Lestat sog die Luft ein und schüttelte den Kopf. „Was hat das zu bedeuten?“ murmelte er und blickte hilfesuchend zu Marius und David, die sich allerdings an einem der Computer zu schaffen machten. „Ihr wisst schon, dass wir keine Aufmerksamkeit erregen sollten?“ fügte er hinzu und bekam nur ein Nicken als Antwort. Armand rüttelte an der Tür zu dem zweiten Raum und brach das Schloss auf, worauf Lestat etwas erwähnen wollte, es jedoch ließ, da es zwecklos war. Stumm folgte er Armand die Treppe hinunter und blickte sich um. Der Raum war leer und sauber. „Er scheint nicht immer leer gewesen zu sein.“ stellte Armand fest und ließ seine Hand über eine der metallenen Klinen streichen. „Es ist zwar sauber, aber nicht unbenutzt.“ fügte er hinzu, als Lestat nichts erwiderte. „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an.“ murmelte Lestat und erinnerte sich an den Schriftzug, den er über dem Eingang gelesen hatte. „Selig sind die Toten.“ „Das ist aus der Offenbarung des Johannes, oder nicht?“ fragte Armand und drehte sich zu Lestat um, weshalb er ihn nicken sah. „Wessen Blut riechst du?“ „Catherine.“ „Wie bitte? Das ist schwachsinnig, Lestat.“ „Nein, es ist ihres oder zumindest besitzt es eine sehr ähnliche Zusammensetzung.“ „Lucien?“ fragte Armand, obwohl er wusste, dass Lucien bereits zu einer Art Vampir geworden war. „Ich verstehe es auch nicht. Was macht die Bruderschaft hier unten? Es wird ja wohl keine Art Klinik für ihre Mitglieder sein.“ Catherine saß lange in ihrem Bett, ohne schlafen zu wollen. Es war ungewohnt, diese letzten Stunden der Nacht ohne Lestat zu verbringen, und auch wenn sie niemals bemerkte, wenn er sich kurz vor Sonnenaufgang von ihr verabschiedete, meinte sie nun, dass sie seine Anwesenheit immer wahrgenommen hatte und nicht ohne ihn einschlafen konnte. Es war unwahrscheinlich, dass sie in dieser Nacht noch zurückkehren würden – und Lestat mit ihnen. Sie waren schon zu lange weg und hatten wahrscheinlich viel in Erfahrung bringen können. Catherine wusste nicht genau, wie sie mit den Neuigkeiten umgehen würde. Sie hatte schließlich keine Ahnung, wie sie aussehen würden… nicht einen winzigen Anhaltspunkt, was sie erwartete, und das Drama von Thirlestane Castle ließ ihr auch keine Ruhe. Leas neue beziehungsweise ureigene Kräfte halfen nicht sonderlich dabei, sie zu beruhigen. Scheinbar überschlug sich nun alles. Scheinbar ging es tatsächlich auf das Ende zu, obwohl die Bruderschaft sich stiller verhielt, als sie es erwartet hatte. Nichts war geschehen, seit sie in Paris war. Nichts. Dabei musste sie damit rechnen, dass der Bruderschaft das nicht entgehen würde. Leas versuchte Ermordung war das letzte gewesen, was sie unternommen hatte – im Bund mit diesen hirnlosen Vampiren, diesen Blutsaugern, zu denen Lucien ebenfalls gehörte. Ja, wenn Catherine richtig und ausgiebig darüber nachdachte, war es zu still um die Bruderschaft geworden. War es die berühmte Ruhe vor dem Sturm? Lestat blickte von Marius zu David und wieder zu Armand. Es war ungeheuerlich, was sie ihm erzählt hatten, doch sie hatten ihm nur erklärt, was vor ihnen immer noch über den Monitor flimmerte. Tests. Versuche. Experimente. Ganze Reihen von Daten, die über Erfolge und Misserfolge Auskunft gaben. Eine Liste, die die verschiedenen Generationen der Entwicklung – der Schöpfung – berichtete. „Wir müssen sofort nach Paris zurück.“ flüsterte er tonlos, wobei ihm der Horror ins Gesicht geschrieben stand. „Es ist beinahe Tag…“ warf Marius ein, worauf David erwiderte: „Und wir wissen noch nicht mehr… Ich bin mir sicher, dass wir noch viel mehr finden können, wenn wir mehr Zeit haben…“ „Wir haben keine Zeit.“ unterbrach Lestat mit schneidender Stimme. „Ich muss zu Catherine. Ich werde wahnsinnig, wenn ich sie nicht beschützt weiß.“ „Louis ist doch…“ „Armand, ich habe das schlimme Gefühl, dass es nicht reicht, wenn Louis bei ihr ist.“ entgegnete Lestat. David machte sich am Computer zu schaffen und Marius blickte ihm über die Schulter, als sei das weitere Vorgehen nicht einmal zu einem Bruchteil Lestats Entscheidung. Armand schaute ihnen zu, doch warf auch immer wieder einen Blick auf Lestat, der unruhig auf und ab ging. „Es gibt einen Prototyp.“ meinte David, doch Marius schüttelte den Kopf. „Es gab einen Prototyp. Mehrere, um genau zu sein. Sie waren allesamt nicht überlebensfähig.“ meinte er und deutete auf die entsprechenden Stellen in der Datei. Eine Weile durchsuchten sie die Daten, die auf dem Computer gespeichert waren, und machten undefinierbare Geräusche, während Lestat in Gedanken seine Möglichkeiten hin und her schob, ehe ihm etwas Wichtiges einfiel, an das bisher scheinbar keiner seiner Begleiter gedacht hatte. „Wo werden sie gehalten? Sie müssen doch irgendwo untergebracht sein.“ brach er deshalb das ständige, angespannte Gemurmel und begegnete drei aufmerksamen Augenpaaren. Ein leises Klirren von Glas ließ Catherine aus ihrem leichten Schlaf aufschrecken, in den sie nach langem Nachdenken doch gesunken war. Sie hörte noch, wie die Splitter auf dem Boden zu liegen kamen, dann nichts mehr, sodass sie nicht genau sagen konnte, woher das Geräusch gekommen war. Lautlos rutschte sie vom Bett, auf das sie sich mit Kleidung gelegt hatte, und holte einen längeren Dolch aus ihrer Nachttischschublade, um vorsichtig nachzusehen, was geschehen war. Sie ließ sich nicht die Zeit, nach Schuhen zu suchen, denn schnelle Schritte huschten an ihrem Zimmer vorbei. Es waren mit Sicherheit mehrere, zu denen diese Schritte gehörten. Und es waren definitiv nicht Louis und Lea. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Aufregung… Sie lächelte gequält, da es sehr lange her war, dass sie derartige Aufregung gespürt hatte. Ihr Puls raste. Sie schluckte und spürte, wie ihre Kehle zugeschnürt war. Wachsam öffnete sie die Tür zu ihrem Zimmer und zwängte sich durch den Spalt in den Gang hinaus. Schnell warf sie zwei Blicke in jede Richtung und stellte fest, dass sie allein war – scheinbar. Was sich in der Dunkelheit, in den anderen Zimmern, in der Halle verbarg, konnte sie nicht sagen. Plötzlich kam ihr etwas in Erinnerung, das sie schon lange vergessen hatte: Die seltsamen Wesen, die sie zu Beginn dieses ungewöhnlichen Abenteuers in der Bibliothek angegriffen hatten… Was hatten sie gesagt? Dein Leib und deine Seele gehören schon längst nicht mehr dir… Oh, doch! Sie gehörten ihr! Und nur ihr! Nun, gut… Und Lestat. Unwillig schüttelte Catherine den Kopf. Sie musste sich konzentrieren, aber es machte sie so wütend, dass sie in all das hinein geraten war, dass sie einen Moment die Augen schließen musste, um nicht die Kontrolle über sich zu verlieren. Eine ungeheure Hitze erfüllte sie. Sie zwang sich, ruhig zu atmen – es war schlimm genug, dass jemand hier war, der nicht hierher gehörte, da brauchte sie es ihm nicht noch leichter machen, sie zu finden. Es kam ihr lächerlich vor, dass sie sich nur mit einem Dolch gegen eine unbekannte Zahl von Eindringlingen stellen wollte, und räumte ein, dass sie irgendwie zu Louis gelangen musste, ohne gesehen zu werden. Sie brauchte seine Hilfe. Lautlos schlich sie den Gang entlang, bemühte sich, auf den Teppichen zu gehen und öffnete schließlich leise die Tür zu Leas Zimmer. Sobald sie den Kopf hindurch streckte, blickte sie in erschrockene Gesichter und erblickte kampfbereite Haltung. Lea entspannte sich und Louis zog Catherine ganz in den Raum. „Wer ist das?“ fragte er gedämpft. „Ich habe keine Ahnung.“ gab Catherine zu und fügte ohne Atempause hinzu: „Wir sollten nachsehen.“ Louis nickte und wollte mit Catherine das Zimmer verlassen, als Lea sich ebenfalls dazu anschickte, der Sache auf den Grund zu gehen. „Nein, Lea. Du bleibst hier.“ wollte Louis bestimmen, der sicher nur ihr Bestes im Sinn hatte, doch sie schüttelte trotzig den Kopf. „Nein. Ich komme mit.“ widersprach sie und blickte zu Catherine, die ihrem Vorhaben nichts entgegensetzte. „Es ist besser, wenn ich mitkomme. Ich bin in größerer Gefahr, wenn ich allein hier bleibe.“ bearbeitete sie Louis, der schließlich widerwillig nickte. Gemeinsam schlichen sie zur Treppe und die Treppe hinunter, als drei Gestalten aus der Bibliothek kamen und wie angewurzelt stehen blieben. Auch Catherine, Louis und Lea hielten mitten in ihren Bewegungen inne und einen Moment lang standen sie sich so gegenüber. Catherine biss sich auf die Lippen, um vor Schmerz nicht laut aufzuschreien, als sie in den verzerrten Gesichtern der Gestalten, diejenigen kannte, die sie schon verloren und tot wusste: Lucien, Jacques und Clarisse. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)