Das Blut der Lasair von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 116: Schwere Stunden ---------------------------- Schwere Stunden Catherine wusste nicht, wie lange sie noch darauf gewartet hatte, dass Margeret noch einmal zu ihr sprach, doch sie wusste, dass sie nun aufgegeben hatte. Sie war allein. Niemand würde ihr helfen. Allein konnte sie nicht sagen, was geschehen musste, um das Unheil doch noch zu verhindern. Allein konnte sie nichts ausrichten. Allein war sie verloren. Müde sank sie auf den Boden und spürte, wie das Blut ihre Kleidung durchnässte. Blut. Wie Regen. Und der leichte, warme Hauch eines Windes, der sich plötzlich in eisige Kälte verwandelte. Zu Beginn empfand sie den kühlen Wind noch als angenehm, dann schnitt er in ihre Haut, ließ sie inmitten der Flammen, die um sie loderten, frieren und zittern. Catherine schloss die Augen und tauchte in die erfrischende Dunkelheit ein, die vor ihren Augen herrschte. Nichts mehr war da. Kein Blut. Keine Schmerzen. Keine Wut… Kein Leben. „Ich kann es nicht tun.“ flüsterte sie und schüttelte den Kopf. „Ich brauche dich. Ich brauche dich. Hilf’ mir!“ murmelte sie weiterhin, doch sie erwartete nicht mehr, dass jemand sie hören würde oder ihr jemand antworten würde. Plötzlich wich die schwarze Dunkelheit und ein wenig Licht drang durch ihre geschlossenen Lider. Catherine öffnete ihre Augen und erkannte zuerst nichts, dann dunkelgrüne Büsche und braune Erde. Das wenige Licht drang durch die beinahe noch kahlen Baumkronen, doch ihre Äste tauchten die Gegend in erdrückende Dunkelheit. Die Abwesenheit von Licht war nicht so schlimm wie ein wenig Licht. Im Schatten lauerten die Gefahren. In der Dämmerung herrschte die Unsicherheit. Langsam erhob sie sich und sah sich um. Sie kannte diesen Ort. Sie war schon einmal hier gewesen – nicht als sie selbst, doch nun war sie selbst hier… Der Wind wehte durch ihr offenes Haar und trug leise geflüsterte Worte zu ihr. ‚héo naefre wacode dægréd tó bisig mid dægeweorcum’ Unsicher drehte sie sich um, da sie Stimme hinter ihr zu sein schien, doch sie blickte ins Leere. Hinter ihr lag nur Dunkelheit und Stille. ‚ac oft héo wacode sunnanawanung thonne nihtciele créap geond móras’ Sie wandte sich der Stimme zu, doch erblickte wieder niemanden. Es war wie in ihrem Traum. Das war ihr Traum. Catherine wusste, dass sie sich erleichtert fühlen sollte, doch konnte es nicht. Die Gefühle von Margaret Barcley waren auch für sie deutlich zu spüren. Furcht. Verzweiflung. Todesangst. Sie musste weiter. Sie durfte nicht verweilen. Mühevoll ging sie weiter. Ihre Füße sanken in dem von Nässe aufgeweichten Weg ein und hinterließen tiefe Spuren. Regentropfen berührten sanft ihre Haut und perlten zuerst zaghaft an ihrem Haar nach unten, doch bald war das Blut abgewaschen und sie war völlig von Wasser durchnässt. Es war keine Zeit, sich darüber zu freuen. Außerdem zitterte sie sehr vor Kälte. Sie zog ihren schwarzen Umhang dichter um sich und stiefelte weiter. Sie musste weg von hier. Sie war hier in Gefahr – ihre gesamte Familie war es. Sie fror und gleichzeitig loderte die Wut in ihr. Wie hatte sie ihnen je Glauben schenken können? Wieso?! Sie konnte nicht mehr. Zu lange schon bahnte sie sich ihren Weg durch die schlammige, kalte Erde, doch ihre Todesangst trieb sie weiter. Sie spürte nichts mehr – keinen Schmerz, keine Wut, kein Leben. Erschöpft sank sie zu Boden und schloss die Augen. Dann nahm sie alles nur noch durch einen Schleier wahr. Sie war nicht mehr da. Schmerzen und Kummer betäubten sie. Sie war ein lebloser Körper, der sich gerade noch so bewegte. „Da ist sie! Fasst sie!“ zerrissen hässliche Stimmen die Stille. Sodann folgten Hände. Überall Hände, die an ihr zerrten und an ihr rissen. Schließlich ein dumpfer Schlag und dann nichts mehr. Ein dumpfer, ungnädiger Schlag… ungnädig, weil er nicht das letzte war, das sie spüren sollte. Erst später wieder Dunkelheit und Nässe. Und pochender Schmerz. Immer noch. Schmerz, der ihr zeigte, dass sie doch noch lebte. Leider. „Es ist Zeit, dich schuldig zu bekennen!“ Stimmen. Scharfe Stimmen und Schläge. Folter. „Gestehe! Sag’ jetzt und hier die Wahrheit!“ Folter. Sterben. Ja. Gnade. Doch lügen? Schmerzen und erstickte Tränen, die ihre Unschuld beteuerten. Doch dann brachen die Männer sie. „Ich gestehe! Ich bekenne mich schuldig!“ schrie sie und brach dann zusammen. Alles, nur die Schmerzen... die sollten aufhören. Lange kam keine Antwort, doch dann durchbrach sie schneidend die Dunkelheit. „Wer mit dem Feuer spielt, wird brennen…“ Sie schloss die Augen nicht, doch in ihrem Inneren fühlte sie eine Wandlung. Erleichterung. Alles war gleichgültig geworden. Wahrheit. Lüge. Licht. Dunkelheit. Leben. Tod. Alles war dasselbe. Sie behielt die Augen offen und blickte den Mann an. Sie blickte von einem Mann zum anderen. Stand ihnen das Urteil zu? Waren sie besser als sie selbst? Waren sie die Richter, die sie fürchten musste? Sollte? „Möchtest du Gott um Vergebung bitten?“ Sie blieb stumm und man brachte sie fort. Nein. Ihr Richter war Gott. Keine Sterblichen. Sollten sie tun, was sie wollten. Gott – oder eine andere höhere Macht – würde über Schuld oder Unschuld entscheiden. Geschrei. Lautes Geschrei und immer wieder Schläge gegen ihre Beine, sodass sie strauchelte. Sie wollten sie fallen sehen. Sie wollten sie leiden sehen. Sie wollten sich an ihrem Elend ergötzen. Und eigentlich… waren sie nicht nur froh, dass es sie erwischt hatte und niemand anderen? Nicht sie selbst? „Des Teufels Ausgeburt!“ Sie schüttelte nicht den Kopf. Sie wusste nicht, ob die Menschen nicht Recht hatten. Es war eine Möglichkeit… eine Möglichkeit, die sie damals genutzt hatte, hatte sie nun hierher geführt. „Brennen soll sie!“ Die Leute waren aufgebracht, bespuckten und bewarfen sie, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Es machte nichts mehr. Ihr Tod machte nichts mehr. „Verdammt bis in die Ewigkeit!“ schrie ihr einer wütend entgegen. Ewigkeit. Das Wort zerriss ihre Taubheit. Das Wort drang ihr bis in Mark und Knochen. Das Wort kroch bis tief hinein in ihr Herz und ließ alles entsetzlich klar werden. Ewigkeit. Verdammt bis in die Ewigkeit. Angst. Tiefe, entsetzliche Angst erfasste ihre Seele, als sie den Scheiterhafen hinaufgeführt wurde. „Mylady, Duchess of Irvine, Ihr wurdet als Hexe und Ketzerin überführt und werdet deshalb an diesem Tag bei lebendigem Leib im Namen der heiligen römischen Kirche verbrannt.“ Das Feuer wurde entzündet und dicker Rauch stieg auf. Die Menschen grölten. Der Strick schnürte ihr in die Handgelenke und Beine und in ihren Leib. Der Reisig stachelte und kratzte, doch sie hielt ihrer Angst stand. „Möge Gott Eurer Seele gnädig sein!“ leierte der Vorstand. Er meinte es nicht so. Er glaubte nicht an Gott. Er glaubte nicht Gottes Gerechtigkeit – nur an seine eigene und die der Männer, auf dessen Geheiß er handelte. Wut und Zorn züngelte in ihr auf, wie die Flammen, die sich ihr langsam bedrohlich näherten, da Männer mit Kapuzen das Reisig in Brand steckten. „Im Morgenrot, beim ersten Sonnenschein, wirst du bereits Asche sein!“ sangen die Kinder und hüpften ausgelassen im Kreis. Immer wieder wiederholten sie ihre Worte. Kinder. Das war der letzte Ort, an dem Kinder sich aufhalten sollten. Das war das letzte, was Kinderaugen sehen sollten. In Windeseile umzügelten sie die hohen Flammen und tosten laut um sie herum. Sie musste husten. Sie war froh, dass ihre Kinder nicht hier waren, dass sie das Land verlassen hatten. Ihre Kinder, denen sie nur eine Mutter hatte sein wollen. Ihre Kinder, durch die sie selbst bis zu einem gewissen Grad weiterleben würde… Würden sie sich an ihre Liebe erinnern? Oder würden sie glauben, was alle glaubten und sich für alle Zeit von ihr abwenden und die Erinnerung an sie aus ihrem Gedächtnis zu bannen versuchen? Wie war die Welt, in der sie aufwachsen würden? Wie war das Leben, das sie ihnen vermacht hatte? Welche Chancen hatte sie ihnen gegeben und welche hatte sie für immer zunichte gemacht? Nein, nicht sie. Nicht sie war allein verantwortlich. Auch die anderen. Die Männer in ihren Kutten. Die Männer, die selbst nicht recht darauf glaubten, dass sie Recht mit ihrem Urteil hatten. Vielleicht wussten sie sogar, dass sie nicht schuldig war… dennoch war ihr Schicksal der Flammentod… weil sie … wusste. Nein… weil sie glaubten, dass sie wusste. Plötzlich verspürte sie eine unbändige Wut in sich und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Luft zum Atmen fehlte ihr schon. Der Rauch ließ ihre Lungen krampfen und biss in den Augen. Die Hitze der Flammen strahlte zu ihr, doch das Feuer berührte sie noch nicht direkt. Niemand konnte solche Macht haben wie diese Männer. Niemand sollte solche Macht haben. Sie fühlten sich Gott ebenmäßig und was auch immer ihre Pläne waren, die sie durchkreuzen musste… konnte. Wollte. Sie sammelte ihre Kräfte und ihre Stimme und rief gegen die Flammen an. Lestat sah, dass Catherines Körper zitterte, doch gleichzeitig war eine Kraft und Stärke in ihn zurückgekommen, die ihn beinahe glauben machte, dass Catherine sich gleich erheben konnte. „Sie hat lange nichts gesagt.“ murmelte Marius, doch Lestat schüttelte den Kopf. „Ich bin mir sicher, dass sie etwas sieht, das sie sehen muss.“ entgegnete Lea und dachte angestrengt nach, was das sein konnte. Sie blickte auf das Blatt vor sich, auf das sie alles aufschreiben wollte, was Catherine sagte, doch da Catherine lange geschwiegen hatte, hatten sich am Rand schon kleine Kringel und ausgefüllte Kästchen angesammelt. Lea konnte nur vermuten, dass es etwas Wichtiges war, das Catherine sah. Sie hoffte es. Und sie hoffte, dass Catherine einen Weg fand, sich ihnen mitzuteilen. Ob sie wusste, dass alle hier in ihrem Zimmer waren? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)