Todesengel von Lunis ================================================================================ Zeit meines Lebens hatte ich nur einen Wunsch: Ich wollte Flügel! Große schneeweiße Schwingen die mich hinauf in den Himmel tragen sollten. Ich wollte allem davon fliegen, allen Sorgen, allen Nöten aber vor allem wollte ich vor mir selbst fliehen. Ich hasste mich selbst, fühlte mich schmutzig, und je mehr ich mich hasste desto mehr sehnte ich mich nach dem Himmel. Nach dieser reinen, weißen Welt in der nichts schmutziges existiert... Schließlich wurde mir mein Wunsch erfüllt, ich bekam Flügel. Aber es war nicht der Himmel den ich zu sehen bekommen sollte.... es war die HÖLLE. Aber ich will nicht zu weit voraus greifen, ich werde euch meine Geschichte erzählen, von Anfang an. Mein Name ist Lea, das ist hebräisch und bedeutet: "die sich vergeblich bemüht". Manchmal glaube ich das durch die Wahl dieses Namens schon mein ganzes weiteres Schicksal bestimmt wurde. Ich bin 16 Jahre und gehe in die 10. Klasse des örtlichen Gymnasiums. In der Klasse bin ich eine Außenseiterin, niemand will etwas mit mir zu tun haben. Aber das ist mir egal, ich war immer allein, ich bin es gewöhnt. Meine Eltern haben nie Zeit für mich, sie sind zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt um mich zu beachten. Mein Vater ist Angestellter in einer großen Firma und kommt erst spät nach Hause, und dann ist er so kaputt, das er vor dem Fernseher einschläft. Und meine Mutter muss sich den ganzen Tag um meinen kleinen Bruder Jonas kümmern, der mit einer schweren Behinderung geboren wurde, und der den ganzen Tag gepflegt und beaufsichtig werden muss. Da ist nicht viel Platz für mich. Wenn ich nach Hause komme ruft mein Mutter immer gleich: „Gut das du da bist, kannst du bitte für mich dieses oder jenes erledigen? Ich hab keine Zeit, Jonas braucht jetzt ...“ So geht das bis spät in die Nacht, manchmal schaffe ich es nicht einmal meine Hausaufgaben zu machen. So das die Lehrer am nächsten Tag schimpfen und meine Mitschüler lachen. Deshalb gehe ich lieber sofort in den Park. Da ist es schön ruhig, da ist niemand der sagt tu dies oder tu das. Man kann sich einfach hinsetzen und träumen. Ich träume immer davon, wie es wäre Flügel zu haben, in den blauen Himmel zu fliegen, und alles Probleme hinter sich zu lassen. Große weiße Schwingen die mich sicher hinauf tragen, in Gottes weiße Welt. Aber ich werde das weiße Paradies nie betreten, denn etwas so schmutziges wie ich gehört nicht in diese heilige Welt. Warum ich schmutzig bin? Weil ich meinen Bruder HASSE! Ich hasse Jonas, ich hasse ihn dafür, das er am Leben ist. Ich hasse und beneide ihn dafür, das meine Mutter nur Augen für ihn hat und mich übersieht. Ich hasse ihn dafür das er alles hat was ich mir wünsche; Liebe, Anerkennung und Wärme. Das ist doch alles was ich will... Ich weiß das es falsch ist und das Jonas nichts dafür kann, das er mit dieser Krankheit geboren wurde, aber so sehr ich auch gegen den Hass in meinem Innern kämpfe, er verschwindet nicht. Im Gegenteil, ich merke wie er von Tag zu Tag größer wird. Wenn ich sehe wie liebevoll meine Mutter Jonas ansieht, um mir im nächsten Moment mit abwesenden Blick irgendeine Arbeit aufzutragen. Manchmal möchte ich am liebsten laut aufschreien... Aber ich tue es nicht, es würde sich ja doch nichts ändern... Ich werde den Tag nie vergessen an dem sich mein ganzes Leben verändern sollte. Die Sonne schien, es wehte eine laue Brise und ich musste nachsitzen weil ich wieder mal meine Hausaufgaben nicht geschafft hatte. Es war also schon relativ spät als ich die Schule verließ. Sofort schlug ich den Weg in den Park ein, ich käme sowieso zu spät nach Hause, was machte es also wenn ich noch ein paar Stunden länger wegbliebe? Ärger würde ich so oder so bekommen. Trotz des schönen Wetters waren nur sehr wenige Leute im Park und ich konnte mir ziemlich sicher sein das ich, an meiner Lieblingsstelle, am See allein sein würde. Es war eine lauschige kleine Stelle, umgeben von Bäumen und Büschen, ziemlich schwer einsehbar. Dieser Ort gab mir das Gefühl vollkommen allein auf der Welt zu sein. Doch an der Stelle an der ich sonst saß, und auf den See hinausstarrte, stand diesmal ein junger Mann. Als er mich bemerkte, drehte er sich um und blickte mir direkt in die Augen. Er war von atemberaubender Schönheit, er hatte lockige braune Haare und Augen so schwarze wie Kohle und in ihnen glimmte ein Funke, der mich unwillkürlich zum erschauern brachte. Aber das ungewöhnlichste an ihm bemerkte ich erst auf den zweiten Blick: Er hatte Flügel! Riesige weiße Flügel! Sein Anblick raubte mir den Atem, ich konnte einfach nur dastehen und ihn anstarren, so schön war er. Es war wie ein Traum. Er blickte mir die ganze Zeit über direkt in die Augen und plötzlich sagte er: „Du kannst du mich sehen?“ „J..ja!“ stotterte ich. „Du bist ein Mensch. Wie kommt es das du mich sehen kannst? „Ich weiß nicht...“ Vielleicht weil...“ „Vielleicht weil ich mir immer gewünscht habe einen Engel zu sehen.“ „Du hältst mich für einen Engel?“ fragte er. „Ja. Du hast doch Flügel oder?“ „Ja, schon aber...“ Bevor er den Satz beenden konnte fragte ich ihn: „KANNST DU MIR FLÜGEL SCHENKEN?!“ „Was?“ „Ob du mir Flügel schenken kannst, ich wünsche mir nichts mehr als mit euch in den Himmel hinaufzusteigen.“ Er schaute mich verdutzt an. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. „Ha ha ha, wie kommst du nur darauf das ich dir Flügel schenken kann? Seh ich aus wie ein Djinni? Warum willst du überhaupt Flügel haben? Wenn du so gern durch den Himmel fliegen möchtest, dann steig doch in eine von diesen riesigen Maschinen, die ihr Menschen gebaut habt. Das wäre auch nicht so anstrengend als wenn du mit deinen eigenen Flügeln schlagen müsstest, um abzuheben.“ „E..es geht mir doch nicht ums fliegen. Ich will doch nur....“ „Was willst du?“ „.....ich will doch nur....glücklich sein.......“ „Und du glaubst als Engel wärst du glücklicher als jetzt?“ fragte er. „Ja, das wäre ich!“ Davon bin ich fest überzeugt!“ antwortete ich. Mit einem seltsamen Blick sah er mich an. Plötzlich kam er auf mich zu, nahm meinen Kopf in seine Hände und starrte mir wortlos in die Augen. Sein Blick machte mir Angst. In seinen Augen war etwas, das mir das Gefühl gab, zu Eis zu erstarren. Am liebsten wäre ich so schnell ich konnte nach Hause gelaufen, aber meine Beine gehorchten mir einfach nicht. „Du scheinst fest von deinem Traum überzeugt zu sein. Willst du immer noch das ich dir deinen Wunsch erfülle und dir Flügel schenke?“ „Ja!“ antwortete ich mit erstaunlich fester Stimme. Sanft berührten sein Lippen die meinen. „Ich küsse einen Engel.“ War mein letzter Gedanke bevor ich das Bewusstsein verlor. Als ich das nächste Mal meine Augen öffnete, hatte sich meine Welt von Grund auf verändert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)