Reborn von abgemeldet (Sequel zu 東京幻想) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Vorsichtig zog Kirito die Tür hinter sich zu, nachdem er leise das Appartement verlassen hatte, weil er die anderen nicht wecken wollte. Takeo und er hatten den gestrigen Abend bei Kohta verbracht, um die Veröffentlichung ihrer Debüt-Maxi-Single [REBORN] zu begießen. Ehrlich gesagt hatten hauptsächlich der Bassist und der Schlagzeuger gefeiert, denn dem Sänger stand der Sinn im Moment nach so ziemlich allem, nur nicht nach Party. Eigentlich war er überhaupt nicht der depressive Typ, aber nachdem er das Wichtigste in seinem Leben verloren hatte, konnte ihm niemand vorwerfen, dass auch er mal den Halt verlor. Er war froh, dass ihm zumindest Takeo und Kohta geblieben waren... zwar war es nur ein recht schwacher Trost, aber wenigstens gab es überhaupt noch etwas, woran er glauben durfte. Die beiden waren die einzigen, auf die er sich wirklich verlassen konnte, auch wenn das seinen Schmerz über den Verlust von Aiji und Jun nur bedingt linderte. Angelo würde Pierrot niemals ersetzen können. Und was sie betraf... Er schauderte und zog seine Jacke etwas fester zu, bevor er die Treppen vor dem Haus hinab stieg. Und dabei war es nicht einmal so sehr der kalte Wind, der ihn frösteln ließ... Manchmal war das Leben einfach ungerecht, und weder sein üblicher Zynismus noch sein Optimismus halfen ihm dabei, die Schuld bei sich selbst zu suchen. Für ihn lag der Fall ganz klar auf der Hand: Er hatte versagt... Er achtete nicht weiter auf seine Umgebung, als er sich langsam auf den Weg zu seinem eigenen leeren, verlassenen Appartement begab. Ihm behagte der Gedanke, dass er sich allein dort aufhalten musste, ganz und gar nicht, doch was blieb ihm schon anderes übrig? Sollte er sich einfach irgendein Mädchen suchen, das wahrscheinlich ohnehin nicht in der Lage war, seine Einsamkeit zu vertreiben? Nein, das konnte er nicht... und er wollte es auch gar nicht. Zunächst hatte er sich wie ein Verrückter in die Arbeit gestürzt, um sich irgendwie abzulenken. Das letzte Pierrot-Album, schließlich sein Solo-Projekt, als Aiji und Jun unerwartet eine Band-Pause für ihre eigenen Projekte hatten einlegen wollen - und dann, nachdem er Pierrot endgültig hatte auflösen müssen, seine neue Band Angelo, bei der ihm Kohta und Takeo treu zur Seite standen... Allen Hoffnungen zum Trotz hatte es ihm nicht wirklich geholfen. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, weigerte er sich mit einer unglaublichen Beharrlichkeit, sie zu vergessen. Außerdem wollte er sie nicht durch irgendjemanden ersetzen. Zu einem gewissen Teil war er selbst dafür verantwortlich, dass sie nicht mehr bei ihm war, nun musste er auch mit den Konsequenzen leben. Natürlich waren ihm seine Fehler durchaus bewusst. Er hatte sie niemals verletzen wollen, dafür bedeutete sie ihm einfach zu viel... und dennoch hatte er sie verloren. Er fragte sich, wie es ihr wohl ergehen mochte. Hatte sie mittlerweile einen neuen Freund? War sie glücklich? Oder vermisste sie ihn ebenso wie er sie? Diese und noch viele andere Fragen beschäftigten ihn jedes Mal, wenn er einen Moment die Ruhe hatte um nachzudenken. Es hatte genug Möglichkeiten gegeben, sich bei ihr danach zu erkundigen... allerdings hatte er sich nie so recht getraut, sie einfach anzurufen und zu fragen. Immer wenn er sich gerade dazu durchgerungen hatte ihre Nummer zu wählen, hatte ihn im letzten Augenblick doch wieder der Mut verlassen und er hatte aufgelegt, bevor ihr Telefon klingeln konnte. Wovor hatte er eigentlich Angst? Davor dass sie ihn vergessen haben könnte? Oder dass sie einen neuen Freund hatte und mit diesem glücklicher sein könnte als sie es mit ihm selbst je gewesen war? Er wusste es nicht... Erschrocken stolperte er einen Schritt zurück, als er mit jemandem zusammenstieß. Vielleicht hätte er doch lieber darauf achten sollen, wo er hinlief. Kirito blinzelte und sein Herz drohte einen Moment auszusetzen. Vor ihm stand ein Mädchen mit kurzen pink-schwarz gefärbten Haaren. Doch auf den zweiten Blick musste er teils erleichtert und teils enttäuscht feststellen, dass es eine vollkommen Fremde war. Er entschuldigte sich knapp und eilte dann überstürzt an ihr vorbei. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Was war nur mit ihm los? Wie hatte er glauben können, dass sie es war? Er wusste, dass sie mit ihrer eigenen Band ziemlich erfolgreich war und dass einige Fans ihren Stil kopierten... Es konnte genauso gut sein, dass das Mädchen von eben lediglich ein Fan von Hide war... oder was auch immer... Aber es war ziemlich albern, bei jedem Anzeichen von Pink zu denken, sie wäre es... Er beeilte sich, zu seinem Appartement zu kommen, wo er gehetzt die Tür hinter sich ins Schloss warf und sich erst einmal mit einem tiefen Seufzer gegen die Wand lehnte. Es war schon seltsam, dass er es noch immer nicht geschafft hatte, über die Trennung von ihr hinwegzukommen... dabei war es doch schon über zwei Jahre her, dass sie zum letzten Mal miteinander gesprochen hatten... dass sie ihm endgütig Lebewohl gesagt hatte... Er schloss die Augen und atmete tief durch, bevor er sich schließlich von der Wand abstieß, seine Jacke und Schuhe auszog und dann ins Wohnzimmer ging. Seufzend ließ er sich auf das Sofa fallen und griff automatisch nach der Fernbedienung, um den Fernseher einzuschalten. "Heute haben wir einen ganz besonderen Gast bei uns, nämlich den international bekannten Regisseur Markus Jansen. Derzeit dreht er hier in Japan seinen neuen Film, mit großer Unterstützung der Universal Studios." Ein hoch gewachsener Mann mit kurzen schwarzen Haaren und dunkelbraunen Augen wurde eingeblendet. Kirito zog überrascht die Augenbrauen hoch. Irgendwo hatte er diesen Regisseur doch schon einmal gesehen, das wusste er ganz genau. Wo war das bloß gewesen? Der Schwarzhaarige grinste breit in die Kamera. "Ich bin froh, nach so langer Zeit wieder hier arbeiten zu können. Ursprünglich sollte der Film in Amerika gedreht werden, aber ich konnte meine Hauptdarstellerin beim besten Willen nicht dazu überreden, Japan zu verlassen, daher habe ich alles dafür in Bewegung gesetzt, um den Drehort zu wechseln." Die Moderatorin lachte. "Wieso haben Sie sich nicht einfach für eine andere Schauspielerin entschieden?" Markus zuckte mit den Schultern. "Das wäre sicher die einfachere Lösung gewesen, aber sie ist die einzige Person, die für diese Rolle in Frage kommt, auch wenn es recht schwierig war, sie davon zu überzeugen, mit mir zusammen zu arbeiten. Aber da wir uns bereits seit mehr als zehn Jahren kennen, habe ich es doch noch irgendwie geschafft." "Und wer ist die Glückliche?", wollte der Co-Moderator von dem Regisseur wissen. Nun schlich sich ein verlegenes Schmunzeln auf das Gesicht des Studiogasts. "Nun ja... als so unbedingt glücklich würde ich sie eher nicht bezeichnen... und ich würde es auch furchtbar gerne hier und jetzt bekannt geben, aber sie hat mir gedroht, dass sie nie wieder ein Wort mit mir wechselt, wenn ich es vorzeitig verrate." "Besteht auch privat eine engere Beziehung?", erkundigte sich nun die Moderatorin bei ihm. Der Schwarzhaarige lachte. "Sie würde mich niemals näher als unbedingt notwendig an sich heranlassen... eher würde sie mich umbringen!" In diesem Moment klingelte das Telefon. Irritiert stellte der Sänger den Ton leiser und nahm ab. "Hallo?" "Onii!", rief Kohta aufgeregt. "Hast du schon das Neueste gehört?" Kirito blinzelte verwirrt. "Kommt ganz darauf an, welche Neuigkeiten du meinst", entgegnete er. Er konnte hören, wie sein jüngerer Bruder am anderen Ende der Leitung schwer ausatmete. "Sitzt du?" "Was soll das? Sag mir doch einfach, was los ist! Hat jemand das Studio in die Luft gejagt? Wurdest du ausgeraubt?" "Nein", gab Kohta ungeduldig zurück. "Aber es wäre trotzdem besser, wenn du dich hinsetzt, bevor ich es dir erzähle... Vielleicht solltest du dir auch eine Zigarette anmachen oder einen starken Tee holen oder beides oder -" "Kohta!", brummte der Sänger unwillig. "Entweder rückst du jetzt sofort mit der Sprache raus, oder ich lege auf!" Der Bassist seufzte. "Ja, ist ja schon gut... Aber du solltest dich wenigstens vorher setzen..." "Ich sitze bereits." Kirito schlug die Beine unter. "Also, was ist?" "Nun ja...", druckste Kohta. "Du hast doch bestimmt schon davon gehört, dass sie bei Universal einen Film drehen?" Der Dunkelhaarige machte ein zustimmendes Geräusch und blickte wieder zum Fernseher, wo dieser Regisseur gerade einen amüsanten Kommentar abgegeben zu haben schien. "Hab ich, warum?" "Ist dir eigentlich klar, wer der Regisseur dieses Films ist?!", bohrte sein Bruder weiter. "Nicht wirklich", erwiderte der Sänger. "Er kommt mir zwar bekannt vor, aber ich weiß nicht, wo ich ihn schon einmal gesehen habe. Wieso, was meinst du denn, wer er ist?" "Der Ex-Freund einer gewissen Musikstudentin?" Kirito fiel vor Schreck fast der Telefonhörer aus der Hand. "Der Typ, der die ersten Videos für (R)Evolution gedreht hat?" Im Grunde wusste er die Antwort auf seine Frage bereits. "Genau der", bestätigte Kohta seinen Verdacht. "Und was meinst du, wen er unbedingt als Hauptdarstellerin wollte? Eine gewisse junge Dame, die wegen ihrer Band nicht hier weg will, die er aus der Schule kennt und für die er den Drehort von Amerika nach Japan verlegt?!" Der Sänger musste schlucken. Wieso war er eigentlich nicht sofort darauf gekommen? Es war doch mehr als offensichtlich. Es gab nur eine Frau hier in Japan, die dieser Regisseur seit über zehn Jahren kannte... "Bist du sicher, dass von ihr die Rede ist?", flüsterte er in den Hörer. Auch diesmal kannte er die Antwort, dennoch hoffte er darauf, dass er Unrecht hatte. So unwahrscheinlich das auch sein mochte. Kohta schnaubte. "Ich bitte dich, wer soll denn deiner Meinung nach sonst gemeint sein?!" Kirito schloss die Augen und lehnte sich zurück. Er wusste genau, dass nur von ihr die Rede sein konnte, auch wenn er es im Grunde nicht wahrhaben wollte. "Ruf sie an, wenn du mir nicht glaubst!" "Was?!" Ruckartig fuhr der Sänger auf. "Sag mal, spinnst du?!" Ein freudloses Lachen erklang am anderen Ende der Leitung. "Der einzige, der hier spinnt, bist ganz eindeutig du! Du vermisst sie doch immer noch, oder?" "Ja, aber..." "Dann solltest du sie anrufen. Und wenn du sie einfach nur fragst, wie es ihr geht und was sie so macht." Kirito verzog das Gesicht. "Das sagst du so leicht..." Kohta seufzte. "Jetzt hör mir mal zu, Onii. Ich verstehe zwar nicht, warum du nach so langer Zeit immer noch nicht darüber hinweg bist, aber du solltest dich bei ihr melden, mit ihr reden, dir endlich mal Gewissheit verschaffen und endgültig einen Schlussstrich ziehen, bevor du dich selbst fertig machst." Der Sänger dachte kurz darüber nach. "Wenn du meinst, dass das hilft..." "Wenn du dir ständig den Kopf darüber zerbrichst, was du anders oder besser hättest machen können oder sollen, bringt dich das erst recht nicht weiter." "Ja, du hast Recht..." "Siehst du", gab Kohta zurück. "Ruf sie an. Ich melde mich später wieder bei dir." Noch bevor Kirito etwas darauf erwidern konnte, hatte er aufgelegt. Der Dunkelhaarige zog eine Grimasse, dann stand er auf, um seine Zigaretten aus seiner Jacke zu holen. Kurz darauf setzte er sich wieder auf das Sofa und zündete sich eine Zigarette an. Abwechselnd sah er von einem Telefon zum Fernseher und wieder zurück. Für eine Weile tat er praktisch nichts anderes und er hatte bereits seine dritte Zigarette angesteckt, als er endlich einen Entschluss fasste. Zögernd tippte er eine ganz bestimmte Handynummer ein, die er noch immer auswendig wusste. Und zum ersten Mal nach sehr langer Zeit legte er nicht übereilt wieder auf. "Der gewünschte Gesprächspartner ist vorübergehend leider nicht zu erreichen." Ungläubig starrte er den Hörer an, als käme er von einem anderen Stern. Das konnte doch wohl nicht wahr sein... Nach einer halben Ewigkeit hatte er endlich mal den Mut sie anzurufen und ihr Handy war ausgeschaltet?! Klar, sie arbeitet schließlich viel, flüsterte eine leise Stimme irgendwo in seinem Hinterkopf. Ihr habt euch sehr lange nicht gesehen, gesprochen oder sonst wie miteinander zu tun gehabt. Ihr seid kein Paar mehr. Du bist nicht mehr der Mittelpunkt ihres Lebens. Kirito verbarg sein Gesicht in beiden Händen. Im Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als einfach im Erdboden versinken zu können. "Okay! Lasst uns eine Pause machen!" Naomi seufzte erleichtert, als Markus das sagte. Es war bereits das fünfte Mal, dass sie versuchten, diese eine Szene zu drehen. Wobei die Betonung hier wirklich in erster Linie auf versuchten lag, denn immer ging irgendetwas schief. Stative fielen um, ebenso irgendwelche Kulissen, ihr toller Filmpartner vergaß den Text und verletzt war er jetzt zu allem Überfluss auch noch, dieser Idiot. Es war wie verhext. Wie um alles in der Welt sollte man so vernünftig arbeiten können? Sie ignorierte alles um sich herum und machte sich direkt auf den Weg in die Cafeteria, wo sie einen Kaffee und ein paar Sandwiches holte. Mit ihrem Tablett setzte sie sich an einen der Tische und begann zu essen. Kurz darauf gesellte sich Markus mit einer Tasse Kaffee zu ihr. Er sah sie an und schmunzelte. Naomi zog eine Augenbraue hoch. "Was amüsiert dich denn jetzt schon wieder?", brummte sie mürrisch. Nun breitete sich ein freches Grinsen auf dem Gesicht des Regisseurs aus. "Irgendwie erinnert mich das hier an unsere allererste Begegnung." Sie sah ihn ausdruckslos an. "Wenn du dich noch so gut daran erinnern kannst, solltest du ja was daraus gelernt haben." Sein Grinsen wurde noch breiter. "Es ist wirklich interessant zu sehen, dass du dich in den zehn Jahren, die wir uns nun schon kennen, so gut wie gar nicht verändert hast." Die Gitarristin machte ein abfälliges Geräusch. "Das meinst aber auch nur du", meinte sie, bevor sie an ihrem Kaffee nippte. "Ich habe mich sehr wohl verändert, was ich hauptsächlich Luca zu verdanken habe! Und außerdem..." Sie brach mitten im Satz ab und widmete sich wieder ihrem Essen. "Ja?" Markus sah sie fragend an. "Nichts..." "Immer noch Probleme?" "Womit?" Naomi warf ihm einen abschätzenden Blick zu. "Mit dir? Immer." Der Schwarzhaarige lachte auf. "So meinte ich das nicht." Dann sah er sie ernst an. "Was macht eigentlich Toshiya?", wechselte er unvermittelt das Thema. Irritiert hob sie den Kopf. "Musik?" Markus verdrehte die Augen. "Eigentlich wollte ich wissen, wie es mit eurer Beziehung aussieht." "Welche Beziehung?", entgegnete sie verwirrt. "Wir sind Freunde, wieso fragst du?" "Ich kann lesen, Süße", gab er zurück. "Das weiß ich auch", brummte sie. "Und nenn mich nicht so!" Der Schwarzhaarige konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Nach diversen Berichten in verschiedenen Zeitschriften, die nicht mal ein halbes Jahr alt sind, hörte man bei euch schon die Hochzeitsglocken läuten. Was ist passiert?" Nun verlor Naomi langsam die Geduld. "Was soll schon passiert sein? Ich habe nicht vor, überhaupt irgendwen zu heiraten. Du musst nicht immer alles glauben, was diese Klatschreporter so von sich geben!" Markus betrachtete sie nachdenklich. "Bisher kam mir die Fool's Mate nicht unbedingt wie ein Klatschmagazin vor", wandte er ein. "Und es wurde in mehreren Artikeln über Dir en grey oder (R)Evolution erwähnt, dass ihr liiert wärt..." Er grinste wieder. "Das kam natürlich nach dem großen Schock darüber, dass du tatsächlich weiblich bist!" Naomi funkelte ihn böse an. "Ich habe nie behauptet, männlich zu sein! Außerdem geht es dich nicht das Geringste an, mit wem ich zusammen bin und mit wem nicht!" "Dann bist du also Single?" Sein Grinsen wurde noch breiter. "Heißt das, ich habe Chancen?" "Träum weiter!" Sie trank ihren Kaffee aus, ließ alles stehen und liegen und erhob sich vom Tisch. "Wir sollten langsam wieder an die Arbeit gehen, schließlich ist meine Zeit nicht unbegrenzt. Du weißt, dass ich nachher noch zur Probe muss." Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ die Cafeteria. Markus sah ihr kurz sprachlos nach, dann räumte er die beiden Tabletts weg und folgte ihr. Da hatte er anscheinend wieder ein Fettnäpfchen erwischt. In der letzten Zeit passierte ihm das häufiger. Etwas zu oft für seinen Geschmack. Das einzige, worüber sie sich freiwillig und gern unterhielt, war ihre Musik. Er machte sich ernsthafte Sorgen um sie. Es war nicht gut, dass sie so eine hohe Mauer um sich herum aufbaute und sich von allen abschottete. Aber mittlerweile wusste er einfach nicht mehr, wie er an sie herankommen sollte. Vielleicht war es eine gute Idee, Yûichi zu fragen, schließlich war er ihr bester Freund. Kirito trat gerade aus der Dusche, als es an der Tür klingelte. Er seufzte genervt, trocknete sich rasch ab und suchte nach einer Hose und einem Shirt. Er war noch nicht ganz angezogen, da klingelte es erneut. "Ja! Ich komme ja schon!", rief er und ging zur Tür. Als er öffnete, stand Kohta vor ihm. "Stör ich?", fragte der Bassist mit einem süffisanten Grinsen. "Ich bin nicht du", gab Kirito pikiert zurück und ließ Kohta herein. "Du hast mich grad quasi aus der Dusche geholt." "Was hat sie gesagt?", wollte der Jüngere wissen. "Gar nichts", brummte der Sänger, als er seinem Bruder ins Wohnzimmer folgte. Dieser blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihm um, so dass er fast mit ihm zusammen stieß. "Lass mich raten: Du hast gar nicht erst angerufen", vermutete Kohta. "Doch", erwiderte Kirito. "Ihr Handy ist aus." Der Bassist sah ihn ungläubig an und hielt dann nach dem Telefon Ausschau. Er musste auch nicht besonders lange danach suchen, denn Kirito hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht es wegzuräumen, bevor er duschen gegangen war, daher lag es noch immer auf dem Wohnzimmertisch. Kohta steuerte direkt darauf zu und überprüfte die Anrufliste. "Hm." Der Sänger zog missbilligend eine Augenbraue hoch. Auch wenn er es bis heute nie geschafft hatte, sie tatsächlich anzurufen, so war er jetzt doch beleidigt, dass Kohta an seinen Worten zweifelte. "Du scheinst wirklich versucht zu haben sie zu erreichen", murmelte der Bassist vor sich hin, dann sah er den Älteren misstrauisch an. "Oder hast du wieder vorher aufgelegt?" "Natürlich nicht!", gab Kirito entrüstet zurück. "Wenn ich dir sage, dass ich versucht habe sie anzurufen und ihr Handy abgeschaltet war, dann ist das auch so!" Beschwichtigend hob Kohta beide Hände. "Ist ja schon gut! Ich glaub's dir ja..." Er seufzte. Kirito wollte noch etwas dazu sagen, doch er bedeutete ihm leise zu sein, als er die Wahlwiederholung betätigte. Jedoch war er nun genauso erfolglos wie sein älterer Bruder zuvor - ihr Handy war immer noch ausgeschaltet. "Siehst du", murrte der Sänger, als Kohta das Telefon wieder auf den Tisch zurück legte. "Ich habe es doch gesagt." Der Bassist setzte sich auf die Couch und fuhr sich mit beiden Händen durch die kurzen schwarzen Haare. "Hm." Er verschränkte die Arme vor der Brust, schlug die Beine übereinander und legte den Kopf in den Nacken. Nach einem kurzen Augenblick stand er auf und ließ sich wieder auf das Sofa fallen, wo er das Gesicht in seinen Händen verbarg und offensichtlich über irgendetwas nachdachte. Kirito schaute ihm die ganze Zeit über verständnislos zu. "Sag mal, was machst du da eigentlich?", fragte er nach einer Weile, als Kohta die Beine anzog und beide Arme darum legte. Dieser sah verwundert auf. "Was...? Ach... ich überlege nur gerade... weil doch... es ist halt so... auch wenn ich nicht sicher bin... vielleicht bringt es ja was... verstehst du?" "Gar nichts verstehe ich", gab der Sänger irritiert zurück. "Worauf willst du hinaus?" Er setzte sich neben seinen Bruder und zündete sich eine Zigarette an. Kohta lehnte sich seufzend zurück, dann nahm er Kirito die Zigarette aus der Hand und zog daran. Prompt verzog er angewidert das Gesicht und gab die Zigarette zurück. Kirito konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, wurde aber sofort wieder ernst. "Also, was ist jetzt?" "Ich wollte nur... sie sind doch so gut befreundet... vielleicht kann er ja..." Der Bassist seufzte wieder. "Oder meinst du nicht?" "Wenn du irgendwann mal wieder in der Lage sein solltest, vollständige Sätze zu formulieren, lässt du es mich wissen, ja?" Kirito legte die Stirn in Falten. "Denn falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Ich kann keine Gedanken lesen." "Nicht?", grinste Kohta, wofür er einen düsteren Blick erntete. "Eigentlich dachte ich, das wäre selbstverständlich... ich meine, du bist schließlich mein Bruder und da solltest du schon..." "Kohta!", brummte Kirito drohend. "Was denn?" Der Bassist verdrehte die Augen. "Du hast doch gesagt, dass ich..." Er stockte, als der Sänger begann, ungeduldig mit den Fingerknöcheln zu knacken. "Ja... ist ja gut..." Kohta lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. "Ich dachte nur, wir könnten diesen Yû nach ihr fragen, oder wie er heißt..." "Vergiss es!", fiel ihm der Ältere ins Wort. "Warum?" "Du weißt genau, dass er und dieser Gitarrist uns noch nie leiden konnten. Sie werden uns mit Sicherheit kein Sterbenswörtchen verraten...", argumentierte Kirito. "Außerdem weigere ich mich, auch nur ansatzweise ein Wort mit einem von ihnen zu wechseln!" "Ja... aber...", stammelte Kohta. "Wenn sie nun eine andere Handynummer hat... oder was auch immer... wie willst du denn sonst irgendetwas herausfinden?" "Wer sagt denn, dass ich das will?", fuhr Kirito auf. "Du warst doch derjenige, der unbedingt wollte, dass ich sie anrufe!" Kohta zog die Stirn kraus. "Ich sehe doch, wie sehr du leidest, auch nach all der Zeit... du versuchst zwar, dir nichts anmerken zu lassen, aber mich täuschst du nicht." "Das gibt dir noch lange nicht das Recht, dich einfach..." "Ich will dir doch nur helfen, verdammt!", rief der Bassist aus, dann stand er auf. "Aber mach doch, was du willst! Vegetier ruhig weiter vor dich hin... Sag mir Bescheid, wenn du wieder bei Verstand bist!" Er stapfte zur Tür, wo er Schuhe und Jacke anzog, bevor er wütend das Appartement verließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)