Verbrannte Erde von Hrafna (Aus dem Leben eines Soldaten) ================================================================================ Kapitel 12: Konklusion *** Morgenrot: Abgesang eines Verrats ------------------------------------------------------------ Glossar: "kafteinn" bedeutet "Hauptmann" "herstjóri" bedeutet "General" "leiðtogi" bedeutet "Anführer" "ofursti" bedeutet "Oberst" "refur" bedeutet "Fuchs" (negativ besetzt) "herra" bedeutet "Herr" oder auch "Meister" Projekt X 2008: Verbrannte Erde Aus dem Leben eines Soldaten Konklusion *** Morgenrot: Abgesang eines Verrats Der Dämmerschein der Kerzen zeichnete die bläulichen Verfärbungen über seinem Rippenbogen dunkler, nahezu schwarz gegen die helle Haut, und das dumpfe Pochen, der Schmerz in seinem Brustkorb wurde unerträglich, als die Fingerkuppen der Heilerschwester mit etwas mehr Druck als notwendig über eine besonders empfindliche Partie des großflächigen Hämatoms tasteten. „Urgh...Verdammter Mist...“ zischte der Feuerdrache zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, und strafte die Schuldige mit einem anklagenden Blick, eine Missbilligung ihrer Tätigkeit, die sie nicht im Geringsten tangierte. „Ich kapier das nicht“, sinnierte sie stattdessen undeutlich, auf ihre Arbeit konzentriert. „Was?“ keuchte der Krieger, bevor er ihre Hand fasste und unwirsch von seiner Brust entfernte, wobei sein Augenmerk nicht auf ihr, sondern auf dem Kleinkind ruhte, das halbwegs auf seinem linken Oberschenkel liegend schlummerte, friedlich, unbekümmert. In den letzten Wochen hatte er Neisti nicht allzu oft zu Gesicht bekommen; nun bereute er es. Bis in die frühen Morgenstunden hatte er auf ihn gewartet... „Gibt es Neuigkeiten von Aska und Eldsvoði?“ „Nein“, antwortete sie lapidar, funkelte ihn verärgert aus ihren grünen Katzenaugen an. „Lenk nicht ab. Du erledigst im Alleingang die vier Herrscher, und das, ohne eine Schramme davonzutragen, und jetzt lässt du dich von ein paar blaublütigen Hinterwäldlern aus der letzten Provinz so zurichten? Was ist los mit dir?“ entrüstete sie sich ungläubig und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe. Irgendetwas in seinem verkorksten Hirn lief gehörig falsch - zwar nicht permanent, doch das mochte sich noch ändern. Dem ist nicht mehr zu helfen. Hraunar zuckte kraftlos die Schultern. Er spürte, wie seine Gedanken bereits wieder zu driften begannen, die Realität sich seinem Fassungsvermögen entzog, zu matt, um das Bewusstsein zu halten. Und ihm stand beileibe nicht der Sinn danach, in diesem Moment mit ihr über Belanglosigkeiten zu diskutieren. Der weibliche Drache schüttelte betont den Kopf. „Diverse gebrochene Rippen, Quetschungen, Stich- und Schnittwunden...“ Sie schweifte ab, als sie sich seiner verzehrenden Erschöpfung gewahr wurde und verstummte schließlich gänzlich. Wenn sie nicht aufpasste, schlief er ihr gleich, hier und jetzt, im Sitzen ein. „Hraunar, du kannst dich ruhig hinlegen“, sprach sie ihm behutsamer zu, berührte seinen unversehrten Unterarm, von der Befürchtung getrieben, dass er ihr ansonsten einfach umkippte und sich zusätzlich oder gar Neisti dabei verletzte. Im nächsten Augenblick fuhr sie zusammen, und auch ihr wegdämmernder Patient wirkte kurzzeitig wieder hellwach, als sich im Flur des Hauses ein ohrenbetäubender Lärm einstellte, aufgebrachte Schritte und Stimmen, dazwischen jemand, der hysterisch sämtliche Quartiere zusammen schrie und die vergeblichen Versuche der Wachen, den temperamentvollen, ungebetenen Gast zu bändigen. *** „Ich halte das für keine gute Idee“, merkte ihre Begleitung kritisch an, die Arme ineinander verschränkt und nicht unbedingt überzeugt dreinschauend, während er die mannshohen Palisaden aus seinem Versteck im Halbschatten abwägend beäugte. „Und genau deshalb interessiert niemanden deine Meinung“, blaffte sie zurück und schob sich an ihm vorbei. Rasch warf sie einen Blick umher, kontrollierte die Positionen der Wachposten und schwang sich anschließend mit einem eleganten Satz über die provisorische Umzäunung. Ihre Präsenz verschmolz, ihrer geschmeidigen Bewegung entsprechend, mit dem Zwielicht der ausklingenden Nacht. Unverbesserlich, dieses Weibsbild, dachte er mürrisch. Und was blieb ihm anderes übrig...? Gezwungenermaßen schloss er sich ihr an und erklomm den Palisadenzaun, im Gegensatz zu ihr jedoch fehlte ihm ein guter Teil an natürlicher Gewandtheit: ein Zipfel seines Gewandes verfing sich an den spitz zulaufenden Holzenden und er strauchelte infolge des unerwarteten Widerstands, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte, ruderte hilflos mit den Armen bis er kopfüber zu Boden stürzte. Ein dumpfer Aufschlag, gefolgt von einem gedämpften Fluch. Staub wirbelte in die klare Morgenluft. „Autsch...“ Die Mühe, sich wieder aufzurappeln, sparte er sich wohlweislich. „Vollpfosten!“ fauchte seine Komplizin erbost, angewidert von so viel idiotischem Ungeschick, ehe sie sich instinktiv ins nächste Gebüsch warf, ungeachtet seines Verbleibs. Denn es kam, wie es kommen musste. Ein Domino-Effekt, logisch, vorhersehbar, und nicht mehr aufzuhalten, wenn man den ersten Stein umgestoßen hatte. „Eindringlinge!“ gellte der Ruf über den Vorhof, die Alarmglocken schellten. Im Nu herrschte heller Aufruhr unter den Wachen, und ihre Chance auf einen Durchbruch, ob unbeobachtet oder nicht, das stand nunmehr außer Frage, schwand dahin. „Zur Hölle“, knirschte die Jugendliche, entschloss sich kurzerhand, angesichts der Übermacht, die ihren Weg zu blockieren begann, zu einer rabiateren Vorgehensweise. Alles oder nichts. Die Zeit drängte. Fix sprang sie auf und zerrte ihren Weggefährten auf die Beine, trieb ihn energisch vorwärts, geradeaus, querfeldein, schlug sich mit eiserner Entschlossenheit eine Bresche durch die heran eilenden Widersacher. Zur Ostseite, bis dahin mussten sie es schaffen. „Hraunar!“ schrie das Mädchen atemlos, im begriff, die hölzerne Schiebetür mitsamt dem davor postierten Soldaten niederzureißen, „Hraunar!!“ Sie brüllte sich die Seele aus dem Leib, bis ihre Stimme kippte, verfiel in Hysterie, und er wusste weder ein noch aus. Sie alleine aufhalten zu wollen glich dem irrwitzigen Unterfangen, einen Tsunami oder ein Erdbeben durch Körpereinsatz in seine Schranken zu verweisen. Erfolgsaussichten gleich Null. Jener ihr immanenter Fanatismus, der sich über Moral und Gesetze leichtfertig hinwegsetzte, barg ein stetes Risiko, eine Gefahr, die sie rückwirkend Leib und Leben kosten konnte – und das ohne Rechtfertigung, aus infantilen, nichtigen Gründen. Die Gegenwehr, die sie hier erfuhr, goss Öl in das Feuer ihres irrationalen Zorns und der Aggression, die in ihr wüteten. „Ach Aska...“ So viel Aufwand, so viel Lärm und Ärger um nichts; er hätte sich von ihr nicht überreden lassen dürfen. Das hat doch alles keinen Sinn... Seufzend hielt er inne, ergriff sein Kurzschwert und schleuderte es demonstrativ von sich, ergab sich mit erhobenen Händen. Im Hintergrund lebten Askas Schimpftiraden gegen ihre Häscher von Neuem auf. *** Die Augenlider des Jungen zuckten, das Gesicht von den flackernden Kerzenflämmchen mäßig erhellt. Er ähnelte ihm ungemein. Durch sein kindliches Antlitz schimmerte mit jedem Tag deutlicher das unleugbare Erbe seiner Ahnen hindurch, das ebenso durch seine Adern floss; seine Augen, der markante Kupferstich seines Schopfes, seine Züge, denen es lediglich noch an Definition mangelte. So einfach, zu einfach. Mit der Höllenklinge in der Hand und der nach Gerechtigkeit schreienden Stimme im Hinterkopf, sein Feldzug gegen die Willkür der vier Herrscher... Warum? Hatte er das Richtige getan? Gute Absichten genügten nicht. Nie. Resultierte ein Desaster daraus, schützten einen die wohlmeinenden Intentionen keineswegs vor dem Zorn des Mobs. „Der Weg, der mir richtig und klar erschien...“ Der noch immer neben dem Kleinkind weilende Feuerdrache verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, und seine Geduld neigte sich allmählich ihrem Ende zu, als zu allem Überfluss der Tumult auf dem Flur in ungekannte Sphären emporstieg. „Herrgott“, fluchte er und richtete sich ungelenk auf. Offensichtlich hatten sie einen sehr speziellen Gast, der einen persönlichen Empfang von ihm erwartete. Und wer da so ungeniert die allgemeine Nachtruhe missachtete, das konnte er sich lebhaft vorstellen. Grummelnd fuhr er sich durch das rote Haar, versucht, die wirren Strähnen etwas zu ordnen, ehe er die Schiebetür aufschob und auf den Gang hinaus trat. Bingo, dachte Hraunar, sein Unmut über den Radau vergessen, als er sich des vollen Ausmaßes des Schauspiels auf dem Korridor gewahr wurde. Aska. Dieses eine Wort, dieser Name erklärte alles. „Lasst sie los“, wies er gelinde amüsiert die vier Wachen an, die es gemeinsam nicht im Ansatz auf die Reihe gebracht hatten, die temperamentvolle Jugendliche im Nahkampf zu überwältigen. Gegen das Mädchen war kein Kraut gewachsen, Kämpfernatur durch und durch. „Tsk!“ macht eben dieses verdrossen, riss sich mit einer betonten Gestik los und stolzierte erhobenen Hauptes zu ihm herüber. „Verzeiht bitte, leiðtogi“, entschuldigte sich der Hochrangigste unter den Wachposten und verneigte sich höflich. Aska streckte ihm die Zunge heraus. Unterdessen winkte Hraunar ab, an die Holzwand gelehnt, erteilte den Befehl zum Wegtreten: „Ihr dürft gehen.“ Dann wandte er sich zu seiner Schwester, hob fragend eine Augenbraue. „Was?!“ konterte sie patzig, und ihre Haltung glitt abrupt ins Defensive ab. Argwöhnisch taxierte sie ihn mit einem abwehrenden Blick. „Was soll das? Wolltet ihr mit eurem nächtlichen Überfall meine Sicherheitsvorkehrungen austesten? Oder hattet ihr vor, mir eure neuen Fähigkeiten auf diese Art zu demonstrieren?“ erkundigte sich der neue leiðtogi, das Lächeln, das seine Miene einvernahm, versöhnlich, ehrlich. Hraunar wusste von Eldsvoði, hatte wohl ihre Präsenzen gespürt und gab sein Wissen ohne Zurückhaltung kund. Kein Rückruf. Sie verneinte betreten. Irgendetwas an ihm war eigenartig, anders - es irritierte sie. Für gewöhnlich strahlte Hraunar nichts als eiserne Entschlossenheit und eine unbegrenzte, zumeist destruktive Energie aus, Macht, eine unerschöpfliche Stärke, aber im Augenblick spürte sie eine für ihn absolut untypische Ruhe, eine latente Ambivalenz, wie sie sie derart wirklich selten bei ihm erlebt hatte. Sein Blick wirkte heute trübe, von einer leeren Müdigkeit verschleiert. Womöglich... Jemand, der den eigenen Vater auf dem Gewissen hat, das Schwert besudelt mit dem Blut dessen, der ihn zeugte und aufzog. Ob ihn seine Tat belastete? Bereute er es...? Aska begriff nicht. Stumm studierte sie die Maserung der Dielen, unfähig, ihre Gedankengänge zu verlautbaren oder ihre aufkeimenden Zweifel zu zügeln. Sprachlos. Jene Indifferenz bezüglich seiner Familie... Wie sollte das enden? Ein beschwingtes Pfeifen riss Aska aus ihrer aufwallenden Sinnkrise, und ihre Verwirrung war perfekt, als jemand ihr Wohlbekanntes um die vor ihnen befindliche Ecke bog. „Eldsvoði!“ „Huh?“ Der Angesprochene blinzelte verdutzt, grüßte dann mit einer starren Verbeugung seine Geschwister, und Aska registrierte sofort die Veränderung in seinen Augen, das Aufblitzen von Distanz und Unverständnis. „Wie zur Hölle bist du hier rein gekommen?“ schimpfte Aska, ihr Eifer mit seinem Auftauchen abermals entfacht. „Ich habe mein Problem sachlich geschildert und um Einlass gebeten“, erläuterte der jugendliche Feuerdrache – übrigens unversehrt, bis auf seine verstaubte Garderobe - und zuckte die Schultern. „Was auch immer“, murrte das Mädchen und schwieg. Die Situation war grotesk, absurd, das beschrieb es adäquat. „Alles in Ordnung?“ äußerte sich der Neuankömmling zuletzt plump und begutachtete dabei gründlich die weißen Bandagen, die auffällig unter dem unordentlich geschlossenen Gewand seines älteren Bruders hervorblitzten. Weniger Besorgnis als Neugier, sein Ton misste jegliche Emphase. Hraunar nickte dennoch, sich dessen unbewusst, und tat es mit einem lässigen „Halb so wild.“ ab, ignorierte das unangenehme Ziehen, das sich wie aufs Stichwort um seinen linken Wangenknochen herum meldete. Dass man ihm dermaßen dreist ins Gesicht schlagen würde, damit hatte er beileibe nicht gerechnet. In Zukunft würde er vorsichtiger sein. „Es ist wichtig“, platzte es plötzlich und unverhofft aus Aska heraus, und Eldsvoði staunte nicht schlecht, als sie ihn grob am Arm packte und hektisch um einen guten Teil seiner Oberbekleidung erleichterte. Die Abschürfungen und blauen Flecken von vor zwei Tagen, die er aus dem Kampf mit dem Krieger der Erddrachen davongetragen hatte, verblichen bereits. „Siehst du das? Siehst du das?! Er ist verletzt! Dieses Schwein von einem Erddrachen hat uns hinterrücks angegriffen, ohne Grund, in unserem Territorium! Ist das zu fassen, was die sich herausnehmen? Und der Kerl hat uns verspottet, er hat sich über die Herrscherfamilie lustig gemacht, er hat uns eiskalt beleidigt, er-“ „Aska. Beruhig dich erstmal“, gebot Hraunar ihr Einhalt, ohne Schärfe, aber nachdrücklich, „Erstens: Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo genau ihr euch herumgetrieben habt. Zweitens: Die Hierarchie innerhalb des Clans der Erddrachen gleicht der unsrigen kein bisschen. Die Tat eines Einzelnen muss nicht dem Willen der Allgemeinheit entsprechen. Und drittens: Soll ich wegen eines solchen Zwischenfalls riskieren, einen Krieg mit den Erddrachen vom Zaun zu brechen? Unser Clan ist in alle Himmelsrichtungen zersplittert und zersprengt. Unsere Einheit hat Priorität.“ Wenn er es wahrlich gewollt hätte, hätte er euch an Ort und Stelle getötet. „...“ So hatte sie sich ihre Rückkehr gewiss nicht vorgestellt. „Es ist schön, euch wohlbehalten wiederzusehen.“ Keine Fragen. Sinnlos. *** Er musste zugeben, er hatte sich an die Nähe des kafteinns gewöhnt. Und dieser hatte ihn restlos überzeugt: Logi hätte seine Kameraden aus freien Stücken niemals im Stich gelassen, und er hatte auch nicht erwartet, dass man ihm eiskalt in den Rücken fiel. Sie hatten sein Vertrauen auf übelste Weise missbraucht. Kameradenschweine. Logis wahres Schicksal, das tragische Los der Welt, hatte ihn berührt und aufgewühlt, alte Wunden in seiner Seele wieder aufgerissen, die er vernarbt, verdrängt gedacht hatte. Doch nun drangen sie erneut, mit einer frischen, ungeahnten Intensität auf ihn ein, die ihm den Schlaf raubte und mit Alpträumen heimsuchte, die den Schmerz in seinem rechten Unterarm wie an jenem Tag entfachten. Die Hoffnung auf Vergessen hatte er unlängst aufgegeben; diese Erinnerungen an seinen gotteslästerlichen Frevel hatten sich so tief in sein Gedächtnis eingeprägt wie das glühende Metall in sein Fleisch. Gebrandmarkt bis ans Ende seines Lebens. Von der Straße drangen die Rufe balgender Kinder hinauf. Die untergehende Sonne verwandelte den Horizont in ein flammendes Inferno, und die schwindenden orangeroten Strahlen, die durch das Bambusgeflecht des Fensters schienen, malten befremdliche Silhouetten an die gegenüberliegende Wand des Quartiers. Schwarze Gestalten, die die Hände nach ihm ausstreckten und ihn zu packen versuchten, doch da sich das Zimmer unaufhörlich zu drehen begonnen hatte, konnten sie ihn nicht erreichen. Nicht mehr. Erst, seit er das Gefühl hatte zu fallen, immer immer weiter, tiefer, wohin auch immer, zerstreute sich seine Furcht, sie würden ihm folgen. Wieso sollten sie? Zu weit, viel zu weit unten. Wenn sie sprangen, würden sie sterben. Im rotierenden Raum, unter der Obhut der Deckenmaserung, umgarnte ihn die Sicherheit, oder ein hübsches Fräulein mit sanften Händen, der Übergang erschien im fließend, eine Schönheit ohne Stimme, anmutig und grazil. Bloß die Schwere ihrer Schritte mochte nicht zu ihrem zierlichen Körperbau passen. „Sie hat eben einen schweren Gang“, sagte er sich mehrmals, „einen schweren Gang. Das liegt an ihrer schwierigen Aufgabe...“ Ihn zu beschützen, das war unmöglich, und die Vergangenheit ändern zu wollen, entsprach dem Traum eines Wahnsinnigen. Der Heiler lachte. „Wahnsinnig.“ Nein, nein, noch nicht. Zwar schüttelte die Mamsell Sicherheit vehement den Kopf und erhob den Zeigefinger, das Pochen des Spechtes jedoch gab ihm Recht. Darauf bestand er. Der Specht musste die Wahrheit klopfen. „Zum Gruße“, nuschelte er, als sich der Vogel ihm näherte und aus anthrazitfarbenen Augen musterte. „Eldur?“ Jemand schüttelte ihn, eine Hand auf seiner Schulter, aber es handelte sich dabei nicht um das sanftmütige stumme Mädchen, und das Gefieder des Spechts verflocht sich zu einem ihm bekannten Gesicht. Er schnappte nach Luft, als hätte er zu lange unter der Oberfläche eines überfrorenen Sees ausgeharrt. „Eldur!“ Schlagartig saß er kerzengerade auf seinem Bett und starrte den Soldaten an, zitternd, schweißnass vor Angst. Logi schwieg, ließ sich lediglich neben ihm nieder und gewährte ihm die Zeit, die er dringend benötigte, um sich zu beruhigen. Sein Rausch war verflogen, von einer behutsamen Bö in alle Windrichtungen zerstoben. „Hat's sich gelohnt?“ fragte der kafteinn nach einer Weile. Nein. Obgleich er die Antwort bitter auf der Zunge schmeckte, erwiderte er nichts. Kraftlos sank er zurück in die feuchten Laken, wälzte sich auf die Seite, sodass er seinem Genossen den Rücken zukehrte. Mit geschlossenen Augen zählte er wortlos die Schläge seines rasenden Herzens. „Ich halt's nicht aus“, gestand er etwas später, ruhigeren Atems, denn sie wussten beide, um was es ging. Seine Flucht vor der Realität. Opium. Durch sein Geständnis hatte Logi ihm alles offenbart, alles und das bedingungslos. Er hatte ihm eine quälende Wahrheit anvertraut, deren Konsequenzen er fürchtete und die sich bis jetzt ungehindert durch sein Gewissen gefressen hatte. Diese Ehrlichkeit hatte seine Seelenpein gelindert, seinen Verstand vor dem absoluten Ruin bewahrt. War es das? Die Ursache dafür, dass es für ihn selbst nicht endete... Weil er es all die Jahre verschwiegen und vertuscht hatte? Weil er davongelaufen war. „Ich schaffe es nicht ohne...“ flüsterte er matt, die Finger seiner linken Hand fest um das rechte Handgelenk geschlossen, „Es tut weh...“ Eldur bewunderte den Soldaten für den Mut, seine Agonie ihm gegenüber auszudrücken und in Worte zu fassen, sich ihm preiszugeben – im Nachhinein noch mehr als zuvor, denn er musste wohl oder übel auf die Umsicht des Feldheilers vertrauen. Ausgeliefert. Das daraus entstandene Ungleichgewicht zwischen ihnen behagte ihm nicht, und die einzige Chance, diese Courage zu honorieren und sich bei Logi zu revanchieren bedeutete für ihn, dass er gleichziehen und reinen Tisch machen musste. „Es ist dasselbe“, hörte er sich monoton ansetzen, während er die Bandage von seinem rechten Unterarm löste. Mit einem Ruck rollte er auf die andere Seite, in Richtung des kafteinns, und lagerte seinen unbedeckten Arm auf Logis Abdomen, über den Narben, die unter dem Stoff quer über seine Bauchdecke verliefen. Was wie ein Kontrast wirken mochte, das dunkle Symbol auf heller Haut, der olivfarbene Grund, erkannte der Soldat alsbald als eine von Farben unabhängige Einheit. „Wir sind beide bis in die Ewigkeit gezeichnet.“ Der umgekehrte, schwarze Lotos. Das Stigma der Sünder und Frevler. Erschöpft lehnte Eldur die Stirn an die Flanke seines Kameraden, seine Haare wie ein offener, roter Fächer. „Fast dasselbe“, korrigierte er sich schwankenden Tones, „mit dem Unterschied, dass meine Schuld dabei erheblich ist. Es...“ Wo sollte er nur anfangen? „Ich höre zu“, versicherte Logi. „Weißt du, meine Eltern... ich und sie, wir sind keine Blutsverwandten. Sie fanden mich damals als Säugling, ausgesetzt vor einem Kloster, zufällig, und sie nahmen sich meiner an, trotz meines angeblichen Makels.“ Wahrscheinlich meinte er damit seine unterschiedlich gefärbten Iriden, was Äbte und Priester gerne als Teufelswerk abstempelten und die Betroffenen in bestialischen Ritualen exorzierten. Nicht, dass sie jemals erfolgreich gewesen wären. Abergläubisches Gesinde. „Ich wuchs bei ihnen behütet und geliebt auf, es mangelte mir an nichts. Verwöhntes Gör trifft es gut. Irgendwann erzählten mir meine Zieheltern schließlich von diesen Gegebenheiten, aber ich störte mich nicht weiter daran. Wozu? Ich war glücklich, und als mein Vater meinem Wunsch Soldat zu werden nachgab, womit ich meine innere Unruhe zu versöhnen suchte...“ Zu diesem Zeitpunkt geriet das Rad des Schicksals in Bewegung. Am Anfang steht der Wunsch eines naiven Jungen, der Traum, als Soldat die Schwachen zu schützen. „Aus dem Weg!“ „Macht Platz!“ Hektische Stimmen mischten sich mit dem Geräusch von raschen Schritten. „Auf die Seite, lasst ihm Raum zum Atmen.“ Zwei hagere Burschen, leichenblass und verunsichert von der Situation, begleiteten den stämmigen Soldaten, der den Jungen auf dem Arm trug. Der rothaarige Knabe krümmte und wand sich sichtlich unter Schmerzen, und mittlerweile durchtränkte sein Blut auch die Kleidung seines Kommandanten, perlte von seinem Harnisch wie schwarzer Regen und tropfte auf den gefliesten Boden. „Besuch? Zu so früher Stunde?“ erklang die sarkastische Nachfrage. Das harsche Atemschöpfen der Krieger störte die heilige Ruhe des Klosters. Vor dem Abbild eines tierköpfigen Gottes kniete die Äbtissin, in sich und von der Außenwelt abgekehrt, die Hände im Schoß gefaltet. Doch der Dringlichkeit der Umstände und der Unhöflichkeit der vier Soldaten zum Trotz rührte sie keinen Muskel. „Ihr stört unser Morgengebet“, entgegnete sie knapp. „Der Junge stirbt, wenn ihr nichts tut!“ drängte der Kommandant ungeduldig, der Widerhall seiner Worte wie ein Donnerschlag in der Stille der Halle. „Schläft euer überqualifizierter Heiler wieder seinen Rausch aus oder wieso bittet ihr uns so freundlich um Hilfe?“ „Brími ist tot“, hielt der Soldat dagegen, jedweder Funke von Kompromissbereitschaft seinem harten Ton gewichen: „Weil er versucht hat, bei der Befreiung eurer Stadt zu helfen. Weil euer hübscher kleiner Morgengottesdienst mit Anwesenheitspflicht eine Konstante ist, die der Feind zu seinem Vorteil nutzt.“ Eine Weile geschah nichts. „Ársól, geh mit ihnen“, befahl die in bunte Gewänder gehüllte Äbtissin hölzern, „und sieh zu, dass sie die Schweinerei aufwischen, die sie hier veranstalten.“ Ihre Begegnung ist reiner Zufall. Als er die Augen öffnete, waren die Schmerzen vergangen, der Geruch von Blut verflogen. Eine sanfte Brise streichelte seine Stirn, die Luft erfüllt von einem melodischen Summen, und als er den Kopf schwerfällig drehte, erhaschte er einen Blick auf das Profil und das lange Haar der Frau, die auf dem Sims zwischen den Säulen saß, mit Nadel und Faden hantierend. Was für eine Schönheit. Der Anblick ihrer Beine, unbedeckt bis zu den Oberschenkeln, ihre makellose Haut, trieb ihm das Blut in die Wangen, und eine ihm unbekannte Hitze breitete sich in seinem Körper aus. „Wer...?“ Eine Frage, die unbeantwortet bleiben soll – zumindest von ihr. Und während er seiner Begierde gehorcht und sie sich dem Reiz des Unbekannten hingibt, sehen die Augen eines Dritten mehr, als sie sollten. Die innige Verbindung zwischen ihnen, ein unsichtbares Band des Einklangs, schien bereits vor ihrem Aufeinandertreffen geknüpft. Mehr als Sympathie oder eine zaghafte Ahnung der Zuneigung, wesentlich mehr, etwas Besseres, Höheres. Etwas, das er nie zuvor gespürt hatte, neu, vollkommen. „Hey.“ Ársól lächelte verstohlen, sich seines auf ihr ruhenden Blickes wohl bewusst, wohingegen sich die Züge des Kommandanten, der im Rahmen des Durchgangsbogens lehnte, verhärteten. Entnervt verschränkte er die Arme vor der Brust. „Ich habe Euch durchaus verstanden, herra“, antwortete sie höflich, die Lider niedergeschlagen, „Aber ich kann Euch heute nichts Anderes sagen als gestern: er erholt sich gut, doch braucht es seine Zeit, bis die Wunde ausgeheilt ist.“ „Aha“, machte er wenig überzeugt. „Ich gebe mein Bestes“, schwor die junge Frau und musterte ihr Gegenüber eindringlich. „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr die Nacht gerne hier verbringen. Ihr seht müde aus.“ Mit einer abschätzigen Gestik entzog sich der Kommandant der Konversation und wandte sich zum Gehen. „Was für ein Dickkopf!“ kommentierte Ársól das Verhalten des Soldaten mit einem Seufzen. „Ich mag deine Augen“, hauchte sie dem Jungen sachte ins Ohr, strich durch sein Haar, das ihm offen über die Schultern fiel. „Damit bist du die Erste und sicher auch Einzige. Normalerweise-“ „Shh“, unterbrach sie ihn und küsste ihn auf den Mund, ließ sich im Gegenzug von ihm hinunter auf das Lager ziehen... Die alte Nonne, die dem unbeabsichtigt beiwohnte, wusste bei bestem Willen nicht, wie sie darauf reagieren sollte. In ihrem gesamten Leben war ihr ein einziges Mal ein Kind mit unterschiedlich gefärbten Iriden untergekommen, ein Säugling, der den Ruf des Klosters zu ruinieren drohte und deshalb verschwinden musste. „Uns ist bekannt, dass es damals nicht deine Schuld war. Wir haben dich deswegen niemals behelligt. Jetzt jedoch... eine solche Sünde in unserem Haus zu begehen...“ „Nicht nur das!“ „Ársól, der Junge ist dein eigen Fleisch und Blut!“ „Das ist nicht wahr. Ihr lügt.“ „Ich wünschte es.“ All sein Flehen und Betteln stieß auf taube Ohren, verklang in den Katakomben des Klosters. Die Nonnen kannten keine Gnade. Blut und Kälte. Glühender Stahl und der Gestank von verbranntem Fleisch. Sein rechter Unterarm schmerzte höllisch, seine Kehle war rau, und irgendwann, zu spät, wurde es finster um ihn herum. Danach würde er sich nicht mehr daran erinnern, was wirklich geschehen war und wie lange es gedauert hatte. Die Mutter verschwindet im Nichts. Der Sohn überlebt dank seines Kommandanten, gebrochen und gebrandmarkt, und konzentriert sich fortan – scheinbar – auf seine militärische Karriere. „Ich habe mit meiner eigenen Mutter geschlafen...“ Schweigen. *** Von der Veranda aus konnte er das gesamte Gartenareal überblicken, einschließlich des Übergangs zum Hof, ein heimlicher Wächter auf seinem Posten vor der Höhle des Löwen. Dabei verkam das Schärfen seines Schwertes flugs zur Nebenbeschäftigung, sein Blick fixiert auf die Reflektion des herforingi in der blanken Klinge, und er gestand sich ein, dass ihn die filigranen Bewegungen, das kalligraphische Talent, das in Fölskvi schlummerte, jedes Mal aufs Neue faszinierte. Dass dem Schwertarm eines Kriegers so viel Feingefühl zu entspringen vermochte, und die Hand, die ansonsten den Griff einer Waffe sicher fasste, verhängnisvoll, tödlich, führte den Pinsel ohne Gewalt oder Zwang. Doch ebenso fehlte seinem Tun jegliche Leidenschaft. Keine Kunst, sondern lediglich ein Zeitvertreib aus Langeweile. Er tat es nicht oft, und wenn, dann bloß, wenn er sich unbeobachtet fühlte; wahrscheinlich widerstrebte es ihm, jene Begabung zu offenbaren, weil er es für einen Soldaten als ungebührlich empfand. Ob das nun stimmte oder nicht, war Ansichtssache. In seinem abwesenden Ausdruck spiegelte sich vor allem Konzentration, doch Kopar erkannte hinter dieser Fassade eine ungemeine Erschöpfung. Fölskvi war blass und die dunklen Ringe unter seinen Augen zeugten von der Schlaflosigkeit und Anstrengung der vergangenen Tage und Nächte. „Solltest dir eine Auszeit gönnen, Fölskvi“, stellte der Brigadier nachdenklich fest, sich wohlweislich hütend, einen belehrenden Ton anzuschlagen. Der Angesprochene hielt abrupt inne, unangenehm überrascht, und seine Haltung verkrampfte sich augenblicklich bei den Worten des anderen Feuerdrachen. „Ich bin beschäftigt“, gab er scharf zurück, und die finsteren Schatten, die seine Miene ergriffen hatten, vertieften sich, als Kopar sich zu ihm umdrehte und dessen ungerührt fortfuhr: „Glóra und Rjóð würden dich gerne wiedersehen.“ Fölskvis jugendliche Züge versteiften sich, während er die Brauen zusammenzog. „Ich weiß“, erwiderte er betont, seinen Missmut nicht verbergend, „was in den Briefen deiner Gefährtin steht.“ „Wenn du's so sagst, klingt's, als würdest du nachts meine Post durchwühlen“, begegnete sein Gegenüber ihm belustigt, langsam aber sicher überzeugt, dass man dem sturen Offizier heute weder mit Charme noch Wohlwollen beikommen konnte. Zwecklos. Seufzend lehnte er den Hinterkopf gegen den Türrahmen. Themenwechsel. „Haben deine zwei Brieftauben dir was Neues gezwitschert?“ Nach einem Moment des Zögerns blickte Fölskvi auf, ein kühles Lächeln auf den Lippen: „Durchaus. Hörvirs kleiner Ausflug ging schnurstracks in die Mongolei, wo er, sagen wir, ordentlich aufgeräumt hat.“ Ein groteskes Amüsement leuchtete in seinen Iriden, abgrundtief, verquer und unangebracht, dass Kopar schluckte. Zuweilen fürchtete er sich vor dem, was in den seelischen Untiefen des Kompanieführers lauerte, eine eisige Boshaftigkeit, die ihm vollkommen unbegründet erschien. „Ich find das nicht lustig“, mahnte er den jüngeren Drachen eindringlich, rügte ihn mit einem strengen Blick. In dieser Hinsicht verstand er keinen Spaß. „Ist es auch nicht“, pflichtete Fölskvi ihm ernst bei und deutete mit der Pinselspitze auf den Soldaten, „Aber es lässt auf etwas anderes rückschließen. Hraunars Taktik ist so simpel wie effektiv: er legitimiert seine Herrschaft durch Gewalt. Wer nicht spurt-“ „-wird vernichtet“, beendete der Brigadier den Satz, von düsteren Vorahnungen beschlichen. „Die Reaktion des Nordens ist exemplarisch. Sie stutzen, werden sich aber sicherlich nicht ergeben“, konkretisierte Fölskvi ungerührt, beinahe gelangweilt: „Auf Dauer klappt das trotzdem nicht. Sein erfolgreicher Putsch und das Auslöschen der Opposition ist sozusagen Schritt eins. Abschreckung und Einschüchterung durch Brutalität funktionieren, unglücklicherweise, für ihn, nicht ewig, Unterdrückung provoziert früher oder später eine Revolution.“ Kopar schnaubte. Das Joch der Machtlosigkeit... „Und was ist dann Schritt zwei?“ fragte er grimmig nach, von der Vorstellung einer solch verheerenden Zukunft überaus enttäuscht und mindestens ebenso erzürnt. Er konnte nichts dagegen unternehmen. Nichts. „Allem Anschein nach wird er den Hass, den er bewusst schürt, auf jemand anderen projizieren...“ Hraunars Kalkül war eine bedenkliche Entwicklung, die man besser nicht unterschätzte. In den Kirschbäumen schnatterten lautstark die Elstern. *** Was für eine üble Gegend. Rotlichtviertel. Beschämt senkte Eldur den Kopf und beschleunigte seine Schritte. Die koketten Blicke der Damen auf der Gasse, die definitiv aus dem anstößigen Gewerbe mit der Lust und den zahlreichen Etablissements in der unmittelbaren Nachbarschaft stammten, wurden ihm unangenehm, er fühlte sich, zu vollem Recht, beobachtet, verfolgt. Kalte Augen, leblos, wie die von Puppen oder Toten, ihrer Seele, ihres Seins beraubt. Ihre Penetranz allerdings strafte ihre scheinbare Leblosigkeit Lügen. Fröstelnd sah er zum pechschwarzen Nachthimmel auf. Der abnehmende Mond, der dort thronte und die roten Lampions neben den Hauseingängen spendeten gerade so viel Licht, dass er das Pflaster unter seinen Füßen und die Umrisse der Gebäude ausmachen konnte. Irgendwo hier... „Aha!“ Das war es. Nicht schön oder gar architektonisch wertvoll, eher... verlebt. Unscheinbar, alt, marginal verwahrlost. Seine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Absteige, heruntergekommene Spelunke waren die Begriffe, die ihm spontan dafür einfielen und noch eine Weile durch den Verstand spukten, als er die Kneipe in der dunklen Seitenstraße betrat. „Wo treibst du dich nur rum...“ sann der Feldheiler leise, für sich nach, während er sich in Schlangenlinien einen Weg durch das dichte Gedränge von Soldaten, Prostituierten und anderem fragwürdigen Gesocks bahnte, überzeugt, dass er Logi auf diese Weise niemals finden würde. Schwierig, sich überhaupt vorzustellen, dass der kafteinn sich an einen solchermaßen überfüllten Ort wagte. Wenn er den Ausklang ihrer letzten gemeinsamen Mission sowie dessen Konsequenzen bedachte ... Etwas zwischen ihnen hatte sich deutlich verändert, zum Positiven hin, obwohl er es nicht in Worte fassen, nicht benennen konnte; eine Mischung zwischen Vertrauen, Nähe und Ehrlichkeit, eine Emotion, die er bis dato nicht gekannt hatte. Der Geräuschpegel schwoll ins Unerträgliche an, der Geruch von Alkohol durchtränkte die schale Luft der beengten Räumlichkeiten. Eldur schwirrte der Kopf. Irgendwo hinter dem Tresen hatte er im Vorbeigehen einen flüchtigen Seitenblick auf die fünfte Kompanie und Brigadier Kopar erhascht, die sich ausgelassen ihrer Freizeit erfreuten und am billigen Reiswein verlustierten, und ihr derzeitiger Vorgesetzter war nicht gerade schlecht dabei. Apropos Vorbildfunktion. Wenigstens, das musste er Kopar zugute halten, lehnte er die Angebote der aufreizenden Straßenmädchen, die an seinem Tisch ein schnelles Geschäft witterten, konsequent ab – direkt, aber immer freundlich. Möglicherweise besaß er Familie, eine Gefährtin, Kinder... Hastig schob er die Gedanken der Einsamkeit, die jener Überlegung zu folgen drohten, beiseite, entschied sich in seiner Ratlosigkeit, sich bei einer der weiblichen Bedienungen nach Logi zu erkundigen. Das Mädchen, überfordert vom Andrang am Abend, zuckte die Achseln und huschte mit einer Entschuldigung auf den Lippen gleich darauf wieder von dannen. So viel dazu. Etwa eine halbe Stunde ergebnislosen Suchens später hatte Eldur jedwede Motivation verlassen, und er war drauf und dran aufzugeben, um seine Frustration in ein oder zwei Flaschen Wein zu ertränken, als ihn jemand anrempelte und er beinahe mit einem der Ecktische kollidierte. In diesem misslichen Augenblick entdeckte er Logi, zufällig, im hintersten Winkel des Raumes, und er vergaß die rüde Beschwerde, die ihm noch eben, wie ein Stück einer reifen, süßen Frucht, auf der Zunge gelegen hatte. „Ah.... Logi“, grüßte er unbeholfen, kaum drei Schrittlängen von dem Soldaten entfernt und nebenbei bemüht, sein Gleichgewicht nicht vollends zu verlieren. Der kafteinn begegnete seinem Blick lethargisch, zu betrunken, vermutete Eldur, nickte ihm dann vage zu. Man merkte Logi seine Trunkenheit nicht unbedingt an. Er benahm sich unauffällig, lediglich der Ausdruck in seinen dunklen Augen wirkte abwesend, seine Reaktionen verzögert, er sprach nicht mehr oder weniger als sonst. Eldur hingegen spürte alsbald, wie ihm der Alkohol zu Kopf stieg. Kurz vor Mitternacht. Die Avancen vom Nebentisch wurden stetig offensiver, und die Taktik des Heilers, Ignoranz, unterdessen Desinteresse, vorzuschützen, verlief unbeachtet im Sande. Logi nahm es sicherlich zur Kenntnis, sagte aber nichts. Wohlerwogen. Denn als Eldur den Mund aufmachte und taktvoll, minimal nuschelnd, um etwas mehr Privatsphäre bat – oder glaubte, dies zu tun - löste er genau die metaphorische Lawine aus, die er zu verhindern versucht hatte: die drei angesäuselten Damen, Soldatinnen, fraglos, gesellten sich sogleich zu ihnen an den Tisch, ohne Scheu und Hemmungen. Damenhafte Befangenheit...? Fehlanzeige. Eldurs Unbehagen wuchs, und das Bedürfnis, sich aus der unkoscheren Affäre zu ziehen, steigerte sich rasch in einen nicht mehr zu vernachlässigenden Drang, der den dichten Nebel, der seine Sinne umwob, für seinen Geschmack viel zu schnell klärte. Walkürenschwadron. Direkt neben ihm saß die Amazone des Dreigestirns, eine bedrohliche Erscheinung, größer als er, muskulös und mit einer autoritären Ausstrahlung gesegnet, vor der er sich am liebsten unter der niedrigen Tischplatte verkrochen hätte. Es war zu viel. Verunsichert blickte er zu Logi, formte mit den Lippen einen lautlosen Hilfeschrei, doch sein Gegenüber kümmerte das nicht im Geringsten. Der kafteinn ertrug die dreisten Annäherungen, die süßen Worte der Verführung und die wandernden Finger der beiden anderen mit stoischer Ruhe, während er auf schmalem Grat wandelte, eine Panikattacke zu erleiden, als sich die Hand der Walküre in seinem Haar verirrte. Jetzt gab es nur noch einen Ausweg: Flucht. Am Rande seiner Wahrnehmung bekam der Heiler während seines überstürzten Aufbruchs mit, Logi im Schlepptau, dass sich ein geringer Teil der fünften Kompanie im Stillen absetzte, eine Handvoll Personen, die allesamt keinen tieferen Eindruck bei ihm hinterlassen hatten. Ihre volltrunkenen Kameraden, samt sternhagelvollem Brigadier Kopar, überließen sie bedenkenlos den vergnüglichen Ausschweifungen ihres Rausches. Nach Mitternacht. Irgendwann. Der Fuchs schwebte im wonnigen Dunst der Ahnungslosigkeit, der Sinn für Zeit und seinen momentanen Aufenthaltsort war ihm längst abhanden gekommen, und es galt zu bezweifeln, ob er sich in seiner miserablen Verfassung auch bloß an seinen Namen erinnern konnte. Maßlos. Unmöglich. Nachdem er ihren Kneipenbesuch jählings, wie ein Irrer, beendet hatte, war er orientierungslos durch die vertrackten Gassen getorkelt, und da Logi mutmaßte, dass Refur nicht zu dem Typ Mann gehörte, der am späten Vormittag in einem billigen Bordell, umgeben von einer Horde lüsterner Frauzimmer, aufwachen wollte, hatte er sich dazu durchgerungen, den Betrunkenen nach Hause zu i]geleiten. Sprich, ihn zu tragen. Das Echo seiner Schritte hallte zwischen den Hauswänden wider, verklang in der Weitläufigkeit des Marktplatzes. „Stehst nicht mehr auf Frauen?“ hakte der kafteinn belustigt nach, von Schadenfreude beflügelt. Kein Nachteil, dass er sein Gesicht nicht sehen konnte. Refur winkte in einer ausladenden Gestik ab: „Nah. Ich steh einfach nich' so drauf, wenn mir 'ne Frau die Klamotten vom Leib reißt und mir vug... vulgäre Beleidigungen an den Kopf wirft.“ Lebhafte Fantasie – oder berichtete er aus Erfahrung? „Außerdem“, fügte er glucksend hinzu, sein verruchtes Grinsen regelrecht hörbar, „Unter E-ro-tik versteh ich was Andres.“ Was er damit meinte, vor allem mit der wunderlichen Dehnung des zentralen Ausdrucks, mochte ihm nicht einleuchten „Weichei“, kommentierte Logi nüchtern, woraufhin der Fuchs seine Klauen ausfuhr und ihm gnadenlos in die Schultern schlug, sich ruckartig so weit wie möglich zu ihm vor lehnte. „Aha, hat da jemand eine masochistische Ader? Macht's dich an, wenn man dir Tiernamen gibt? Ja, Logi?!“ sprudelte es enthusiastisch aus dem Feldheiler heraus. Logi beschwor seine Selbstbeherrschung. „Schnauze.“ „Wohin des Weges, die Herren?“ säuselte eine sonore Frauenstimme zu ihrer Linken und Logi hielt inne. Eldur brabbelte etwas Unverständliches. Selbstverständlich war ihnen, oder eher dem Fuchs, das Glück hold, erkannte der Soldat, denn bei der Frau, die sich nun kess vor ihnen aufbaute und die Arme vor der üppigen Brust verschränkte, handelte es sich, wie konnte es auch anders sein, um die Amazone aus der Kneipe. Ihre beiden Anhängsel drucksten passiv im Schutz der Halbschatten herum. „Was habt ihr zwei Hübschen es so eilig? Die Zeche prellen und drei Damen sitzen lassen. Nicht gerade die feine Art“, zirpte sie gespielt verletzt, die Mädchen kicherten, und Refur hielt nicht den Mund. „Das wüsstet ihr gern, ne? Wir-“ begann er verheißungsvoll und bedachte Logi mit einem zweideutigen Blick, „-haben da noch was vor“, schloss er und klapste seinem vermeintlichen Objekt der Begierde kräftig auf den Hintern. Einmalfehler. Im nächsten Augenblick löste der kafteinn seinen Griff um die Oberschenkel des Fuchses, der infolgedessen wie ein nasser Sack auf das Straßenpflaster plumpste. „Hey...“ Als sich die Welt um ihn nicht mehr drehte, waren Logi und die drei Kriegerinnen verschwunden. Wasserplätschern. Kalter Stein. Logis ruhiger Atem. Wahrscheinlich waren sie am Marktbrunnen. Eldur hatte Schluckauf. *** „Mir ist kalt.“ Einsam. Seine Worte waren zu bitter, zu verzweifelt, als dass er ihn hätte von sich stoßen können. Die unterschiedlich gefärbten Iriden blank, verzweifelt, kalt, im krassen Gegensatz zu seinem heißen Atem, dem hitzigen Leib, der sich an seine Brust presste. Diese Sehnsucht nach Wärme, und wenn sie auch nur körperlicher Natur sein mag... „Ich hab nichts gegen Männer“, wisperte er heiser. *** Versonnen betrachtete er die blanke Klinge seines Kurzschwertes, das Spiegelbild seiner eigenen, müden Augen, die ihm unverwandt entgegen blickten. Nicht sein erstes. Keines der Schwerter, die er jemals getragen hatte, war von ihm zu dessen ursprünglichen Zweck gebraucht worden, nicht einmal. Ihm mochten unzählige Genossen und feindliche Soldaten unter den Händen weggestorben sein, in den Lazaretten stank es nach Blut und Tod und Schmerz, aber er hatte niemals, niemals in seiner gesamten Laufbahn als Feldheiler und Soldat jemanden getötet. Er bereute es nicht – eine solche Tat hätte er nie und nimmer mit seinem Gewissen vereinbaren können. Das hatte ihm die Begegnung mit Logi, und die hohe Gewalttendenz des kafteinn erneut verdeutlicht. Verweigerer. Eldur seufzte, schob die Scheide über die Schwertklinge. „Ich tauge wahrlich nicht zum Soldaten“, stimmte er herforingi Fölskvis Worten verspätet zu, ein Eingeständnis, und verbat sich ein weiteres Zaudern. Die Verabschiedung eines naiven Kindheitstraumes. Es wurde Zeit. Auf sein zaghaftes Klopfen hin ertönte ein ziemlich unwirsches „Was?!“ aus dem Quartier des herforingi, und Eldur überlegte kurzzeitig, ob es nicht besser für ihn und seine Gesundheit wäre, umzukehren und später wiederzukommen, doch dem folgenden „Herein!“, einem Befehl, durfte er sich nicht widersetzen. Gesenkten Hauptes trat er ein, in Erwartung einer ordentlichen Gardinenpredigt von einem übellaunigen Offizier- „Brigadier Kopar?“ entfleuchte es ihm als er den Blick hob und das Zimmer leer vorfand, bis auf besagten Soldaten, übernächtigt und verkatert von seinem nächtlichen Gelage, der baren Torsos in der Mitte des Raumes stand und unselige Flüche murrte. Seine Verstimmung prägte seine Haltung, seine Miene maßgeblich. „Suchst herforingi Fölskvi, he?“ richtete er sich beiläufig an den Heiler, schenkte ihm einen finsteren Seitenblick: „Hat sich ohne Erlaubnis aus dem Staub gemacht, der gerissene Mistkerl.“ Wohin auch immer. Der Anlass interessierte ihn gar nicht mehr. „Ah, wie... ungelegen“, sagte Eldur langsam, kratzte sich am Hinterkopf, „Es ist so, ich... möchte den Dienst mit der Waffe quittieren. Herforingi Fölkvi hatte Recht; mit dem Schwert in der Hand bin ich keinen Pfifferling wert, als Soldat auf dem Felde ein Klotz am Bein meiner Kameraden. Ich will mich nicht der Militärpflicht entziehen, ich möchte die Position wechseln“, rechtfertigte sich Eldur mit einem milden Lächeln auf den Lippen: „Es liegt mir näher, Leben zu bewahren als sie zu beenden.“ Damit verbeugte er sich und schob sein Kurzschwert von sich. „Gute Entscheidung“, bekundete Kopar knapp, jedoch vermochte Eldur in seinen herben Zügen keine Überzeugung zu lesen. Nicht jedem von uns ist die Freiheit vergönnt, wählen zu können. „Entschuldigt bitte meine Störung.“ *** Logi saß auf dem Bett des Fuchses und schnürte gerade seine Stiefel, der Absatz des linken auf dem Überzug, als er Schritte auf dem Flur vernahm. Refur. Nicht zu überhören. Er war wach, seitdem sich sein Genosse vor Sonnenaufgang lautstark aus dem Bett gequält hatte, was auch immer er um diese Tageszeit zu erledigen hatte. „Trampel“, brummte er, und in jenem Moment öffnete sich die Tür. Der Heiler stoppte überrascht auf der Schwelle, musterte ihn gründlich mit gehobenen Brauen, obwohl er selbst ebenfalls nicht allzu frisch aussah. Oder es störte ihn schlichtweg, dass Logi die Schuhe auf seinen mehr oder weniger sauberen Laken abstellte, um sie zuzubinden. „Morgen“, grüßte er dann nonchalant, „Wohin geht's?“ Daraufhin wandte der kafteinn den Kopf, brach ihren Blickkontakt. „Nach Hause“, antwortete er, die Indifferenz seiner Züge wahrend, und Eldur schämte sich umgehend seines entgleisten Blicks und für das „Aber-“, das er nicht zu unterdrücken wusste. Der Ort, den du deine Heimat nanntest, existiert nicht mehr. „Ich weiß“, Logis Stimme war ruhig, seine Komposition gefasst: „Ich will es selber sehen. Der schmerzliche Ausdruck, der über das Antlitz des Fuchses flackerte, entging dem Soldaten nicht. Mitleid. „Was ist mit dir...?“ Er besaß die Erlaubnis seit Wochen. Während ihres neuerlichen Trips in den Osten, der sie dieses Mal allerdings durch unwegsames Gelände geradewegs in die Pampa führte, rätselte Eldur, von wem er dieses uneingeschränkte Einverständnis erhalten hatte. Und warum. Was hatte die Heeresleitung oder sonst ein höherrangiger Soldat davon, wenn er Logis Heimkehr befürwortete und ihm erlaubte, die Verwüstung, die eine Gruppe unbekannter Rebellen dort angerichtet hatte, persönlich in Augenschein nahm? Mitunter bedeutete es nichts. Dennoch... er befand das als schwer zu glauben, zu einfach. Er verdächtigte herforingi Fölskvi, und der hatte selten keine Hintergedanken. Insgesamt verstrich ihre Reise ereignislos und schweigsam. Logi wirkte in sich gekehrt, dabei jedoch nicht melancholisch, ja, beinahe zufrieden. Etwa am dritten Tag begriff er es: Logi würde jenen Weg nie wieder beschreiten. Er prägte sich die Landschaft ein, er genoss seine letzte Heimreise, so bitter sie auch ausfallen sollte. Ein Abschied für die Ewigkeit. *** Schwarze Erde. Ausgezehrt, verbrannt. Sie hatten nichts übrig gelassen - ausgenommen des Tores, welches wie eine makabere Höllenpforte, dekoriert mit versengten Totenschädeln, pervers, abschätzig, aus dem Ödland empor ragte. Als Wahrzeichen ihrer Gräueltaten. Der kalte Gebirgswind wirbelte grauen Staub auf. Eldur fröstelte. Logis Heimat war ein idyllisch gelegenes Fleckchen Boden, in der Ferne erkannte er Bergrücken und dicht bewaldete Hänge, das Dorf einst umringt von golden schimmernden Feldern und weitläufigen Wiesen. Hierher verirrte man sich höchstens. Missmutig presste er die Zähne aufeinander. Aus Versehen oder im Zuge einer größeren militärischen Aktion geschah so etwas nicht, Soldaten löschten keine unbedeutenden Käffer im Nirgendwo der Provinz aus, auch nicht zu ihrem Vergnügen. Nicht einmal die Kinder haben sie verschont. Nein. Das roch verdächtig nach einem privaten Rachefeldzug. Der Heiler blieb zurück, auf respektvollem Abstand, und wartete bei den Pferden, als Logi absaß und geruhsam über das Aschefeld schritt, die Abdrücke seiner Stiefel wie Spuren im Neuschnee, ins Gegenteil verkehrt. Die Stille war unerträglich, Totenstille. Scheinbar ziellos wandelte der kafteinn umher, beschritt Bögen und Wendungen ohne erkennbaren Sinn - als wäre nichts gewesen, als hätte sich nichts geändert - bis er mit einem Mal inne hielt und halbseitig in die Knie ging. Hier, genau hier. An dieser Stelle... Logi schloss die Augen, atmete tief durch. Auf diesem Grund hatte die Hütte gestanden, in der er seine Kindheit und seine Mutter all die Jahre alleine verbracht hatte, notgedrungen: der erste Sohn verschollen, der Gefährte gefallen und ihr zweiter Sohn im Dienste des verhassten Militärs. Was für ein einsamer Tod. Jemand, dem derart viel Leid im Leben widerfahren war, verdiente es nicht wie ein Hund zu sterben. Allein, verlassen, der Welt, die ihr alles genommen hatte, fremd. Bedacht vergrub er die Finger seiner rechten Hand im weichen Boden, schloss Asche und Erde in seine Faust. Alles, was blieb. Nachdenklich hob er die Lider, ließ das sandige Gemenge wieder aus seiner Handfläche rinnen. Wieso hatte er das getan? Hatte er solch einen Groll gegen seine bescheidene Herkunft gehegt? Keilir... „Logi!“ schallte die Stimme des Fuchses nach einer Weile der absoluten Stille in beachtlicher Lautstärke über die Ebene hinweg, doch Logi bedeutete ihm mit einem Wink, dass er die Bewegung hinter sich durchaus wahrgenommen hatte und sie nicht als alarmierend einstufte. Beherrscht richtete er sich auf. „...“ „So alleine hier draußen, Logi...?“ entbot der vermeintliche Unbekannte ihm schwankenden Tones seinen Gruß. Er klang nicht verwundert darüber, ihn gesund und munter aufzufinden, nachdem er in der Mongolei sicher gestellt hatte, ihn sorgfältig tranchiert zu haben. Ob er vermeinte, lediglich einem Geist gegenüber zu stehen? Es spielte keine Rolle. „Das ist nicht, was ich wollte... Ich...“ bekannte er resigniert, stockte, presste die Zähne in seine ohnehin zerschundene Unterlippe, eine nervöse Reaktion, die er schon als Kind gezeigt hatte, „Ich weiß, dass das nicht zu entschuldigen ist.“ Sie haben mich meiner Identität beraubt. Sie haben mich erpresst. Sie haben- Nichts davon kam ihm über die Lippen, und das eiserne Schweigen des kafteinns, seine neutrale Körperhaltung drängten ihn in die endgültige Kapitulation. „Es ist nicht so gelaufen, wie wir uns es vorgestellt hatten“, sprach der Neuankömmling dumpf weiter, seine Stimme ebenso kraftlos wie seine Präsenz: „Sínir ist tot... und wo Ákafi ist, das weiß ich nicht mal.“ Dass es Logi trotz dessen nahe ging, stand außer Frage. Seine Schultern versteiften sich und er ballte die Hände zu Fäusten, die Haut über seinen Knöcheln weiß, blutleer. „Ich kenne dich nicht mehr“, konstatierte er fest. Schuldbewusst senkte sein ehemaliger Genosse den Kopf. „Ständig in deinem Schatten zu stehen, war hart, Logi“, wandte der andere Feuerdrache vorwurfsvoll ein, der Nachdruck dahinter ein lächerlicher Abklatsch von der Inbrunst, dem Feuer, das früher seine Worte beschwingt hatte, „Gegen dein Talent hatten wir keine Chance, nichts als Bauerntrampel vom Lande. Es war nicht fair. Wir wollten uns einen eigenen Namen machen... heh, das Angebot war viel zu gut als dass es hätte wahr sein können.“ Er musste pausieren, um seine Gedanken zu sammeln – die Situation zehrte an seinen Nerven, kostete ihn eine Unmenge an Mühe und Überwindung. Und Logi machte es ihm unglaublich schwer. „Was uns nicht davon abgehalten hat“, fügte er reumütig, ehrlich hinzu, und spätestens an diesem Punkt wollte sein Gegenüber sich nicht mehr ausmalen, was die drei nach ihrem Verrat unter dem Vollmond durchlebt hatten. Um den Willen eines Drachen zu brechen... „Du warst mir immer wie ein Bruder. Ich habe dir vertraut. Keilir.“ eröffnete der Soldat seinem Gesprächspartner tonlos, „Das alles... ist eine Lüge gewesen...“ Keilir brach in die Knie, in die Asche seiner Vergangenheit, haltlos, zerschlagen. Was haben sie dir angetan? „Töte mich“, forderte er den kafteinn auf. „Was...?“ „Tu es! Bitte!“ verlangte er nun, energischer, „Ich ertrage das nicht.“ Überfordert fuhr sich der Soldat durch das halblange Haar, er zitterte vor unterdrückten Emotionen und rang verbissen um seine Fassung. Er verstand überhaupt nichts mehr. „Wieso bist du hier?“ stieß Logi harsch hervor und drehte sich letztlich, endlich zu ihm um, blickte ihm ins Gesicht. Was er sah, schockierte ihn. Was haben sie dir nur angetan, Keilir...? „Ich möchte zu Hause sterben“, und damit zog er das Kurzschwert samt Scheide aus seinem Gürtel und schob es von sich. Der letzte Wunsch eines Sterbenden... Logis Schwerthand zuckte. Vor ihm im Staub, um das Stichblatt des Schwertes gewickelt, lag eine silberne Identitätsplakette, und es war nicht die von Keilir. „Niemand rührt sich von der Stelle.“ Auf der Anhöhe nahe des Tores erspähte Logi den Umriss eines dritten Pferdes samt Reiter und als er sich wieder auf seine Umgebung konzentrierte, spürte er auch die Gegenwart mehrerer anderer Feuerdrachen. Soldaten. Bogenschützen, die sich nunmehr im Halbkreis formierten und nicht ihn, sondern Keilir aufs Korn nahmen. Dieser fügte sich widerspruchslos in sein Schicksal, verschränkte die Hände im Nacken. „Zielt nicht auf vitale Punkte“, wies der berittene Soldat seine Untergebenen an, mit den Fingern seiner rechten Hand umfasste er einen filigranen Rosenkranz, den er um den Hals trug. Das Schmuckstück gehörte mit Sicherheit jemand anderem. „Verstanden.“ Herforingi Fölskvi. „Das war's dann wohl.“ Der Offizier schenkte ihnen ein kaltes Lächeln. „Wir werden nachher noch ein hübsches, langes Gespräch miteinander führen...“ *** Am Horizont erschienen die ersten hellen Streifen der Morgendämmerung, kurz vor Sonnenaufgang, und die beiden Schattengestalten auf einem der gegenüberliegenden Hügel setzten sich langsam in Bewegung. Der Atem ihrer Pferde kondensierte in der kühlen Luft. „Was ist?“ erkundigte sich der weibliche Feuerdrache und zupfte die Kapuze seines Mantels zurecht. Ihr Partner schwieg, sein Blick fixiert auf das Geschehen im Tal. „Wir gehen.“ „Huh...?“ Obwohl sie höflich ein Nachhaken bezüglich seiner Beweggründe aussparte, erfasste er ihre Verwirrung sofort und begegnete dieser monoton: „Ich kenne ihn.“ Fölskvi. Er hatte sich verändert. Sie beide hatten sich verändert – und nicht zum Positiven hin. Wenn du nicht aufpasst, wirst du dir hieran höllisch die Finger verbrennen... *** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)