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Das Blut an meinem Schwert

von

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Prolog

Genroku-Ära, 7. Jahr, 5. Monat (Juni, 1694) Provinz Kaga
 

Laut und gleichmäßig hallten die Trommelschläge pünktlich zur Stunde des Hasen über den Hof der Kaserne. Hideto Yukishiro rieb sich verschlafen die Augen und richtete sich auf. Um ihn herum erhoben sich seine Kameraden von ihren Schlafmatten und kleideten sich an. Hastig stand auch Hideto auf, um nicht wieder der letzte auf dem Platz zu sein. Eilig legte er seine leichte Rüstung an, die aus kleinen quadratischen Lederplatten bestand, die mit Metallringen verbunden waren und zog seinen schwarzen Wappenrock mit der goldenen Libelle, dem Zeichen seines Klans, dem Niu-Klan, über. Er warf sich die hölzernen Schulterplatten über und brauchte in seiner Eile und Müdigkeit einige Zeit, die Knoten zu knüpfen, welche die Holzplatten mit der Rüstung verbanden. Er war schon beinahe der letzte im Raum, nur Wada, ein stark übergewichtiger Junge von 16 Jahren mit hängenden Wangen und kleinen schwarzen Augen, die Hideto immer an ein Schwein erinnerten, zwängte sich noch keuchend in seine Rüstung. Mit einem Ruck zog Hideto den letzten Knoten seiner Strohsandalen fest und sprintete durch die Tür der Kaserne auf den sandigen Hof.

Es war noch früh am Morgen, die ersten Sonnenstrahlen durchbrachen den Frühnebel und lösten diesen auf. Die frische Morgenluft durchflutete Hidetos Lunge.

Seine Kameraden standen bereits in Reih und Glied vor ihrem kommandierenden Offizier und den beiden Trommlern, die bis auf das geflochtene Strohband, das sie um den Kopf trugen, nicht von den restlichen Soldaten zu unterscheiden waren.

In einem nicht enden wollenden Rhythmus schlugen sie ihre hölzernen Stöcke auf die Trommeln aus schwarzer Lackarbeit, die ebenfalls mit der goldenen Libelle verziert waren. Eilig nahm Hideto seinen Platz in der hinteren Reihe ein und nahm Haltung an. Gerade noch rechtzeitig als der Offizier, der in voller, polierter Rüstung vor ihnen stand, die Hand hob und die Trommeln plötzlich verstummten.

Obwohl Hideto starr zu dem Offizier blickte, hörte er wie Wada stöhnend auf den Platz gestürmt kam. Dem Krachen nach zu urteilen, war er wahrscheinlich über seine eigenen ungeschickten Füße gestolpert und hatte sich, zusätzlich zu seiner Verspätung, nun vor versammelter Truppe noch lächerlicher gemacht. Obwohl einige Soldaten kicherten hatte Hideto Mitleid mit dem ungeschickten Kameraden. Denn er wusste, was nun auf diesen zukam.

„Wada! 10 Runden laufen für die Verspätung! Und noch 5 für den gelungenen Auftritt!“, brüllte der Offizier durch die peinliche Stille, die sich über den Platz gelegt hatte, während Wada offenbar versuchte, unbemerkt im Erdboden zu versinken.

Sofort trottete Wada los und fing an, den Hof zu umrunden. Keine kleinen Runden, wie Hideto nur zu gut wusste – wie oft er schon hatte laufen müssen weil er zu spät aufgestanden war, konnte er längst nicht mehr zählen.

„Die anderen machen mir nach!“, erklang die Stimme des Offiziers laut und klar durch die Reihen. Er streckte sich kurz und fing dann an, Katas vorzumachen, die auf verschiedenen Kampfkünsten zusammengemischt waren.

„Ichi, Ni, San!“, rief er während der Bewegungen. Alle Soldaten machten synchron diese Bewegungsabfolgen nach, die sie jeden Morgen vor dem Frühstück absolvierten.

Hideto ließ seinen Blick schweifen, da er nicht mehr auf den Offizier achten musste, um die Übungen richtig auszuführen. Es war ein klarer Sommermorgen. Die Sonne ging hinter den weiß verputzten Mauern mit den kleinen schwarzen Giebeldächern auf, die den Platz und die Kasernengebäude großräumig umrundete. Der Platz befand sich hinter dem zweistöckigen Hauptgebäude, einem alten dunklen Fachwerkhaus mit einer breiten Veranda die das Gebäude umschloss. Es besaß ein schwarzes Schindeldach mit leicht nach oben stehenden Dachvorsprüngen, wie es bei der Pagodenbauweise üblich war. Die verschlossenen Papierfenster des Gebäudes ließen kein Leben in seinem Innern erkennen. Lediglich die breite Doppeltür im Erdgeschoss stand weit offen und offenbarte einen Blick in einen Flur mit hölzerner Decke und Trennwänden aus Holzgittern, die mit Papier bespannt waren, um die einzelnen Räume voneinander zu trennen.

Hidetos Blick fiel wieder auf Wada, der röchelnd mit hoch rotem Kopf seine zweite Runde anfing. Langsam trat Hideto der Schweiß auf die Stirn. Zwar war es noch früh am Morgen, doch die sommerliche, schwüle Hitze machte sich bereits breit, die schon vor Wochen Einzug gehalten hatte. Auch hatte es seit mindestens drei Wochen nicht mehr geregnet, was an den verdörrten Pflanzen und dem staubigen Boden, der bereits rissig wurde, erkennen konnte.

„Und nun die Stäbe“, hallte die Stimme des Offiziers von den Mauern wieder. Die Soldaten eilten zu der Wand die sich zu ihrer Linken befand, an der zahllose hölzerne Stäbe von etwa zwei Metern Länge standen. Jeder, der einen Bo ergattert hatte, lief hastig zu seinem Platz zurück. Nachdem alle ihre Plätze wieder eingenommen hatten und jemand dem Offizier einen Stab gebracht hatte, führte er seine Bewegungen fort und die Soldaten machten sie nach.

Einige Vögel flogen über den Platz und ließen sich zwitschernd in einem einsamen Baum in der Ecke des Kasernenhofes nieder. Die hölzernen Schulterklappen der Soldaten klapperten im Takt mit jeder Bewegung, die sie ausführten. Wada startete grade seine vierte Runde, doch er sah aus, als hätte er schon zweimal die Welt umrundet. Schweißperlen glänzten auf seiner breiten Stirn und Schaum sammelte sich in seinen Mundwinkeln, als hätte er die Tollwut. Hideto wusste, dass Wada nach seinen qualvollen Runden die Übungen, die seine Kameraden gerade vollführten, noch nacharbeiten musste, bevor er endlich zum Frühstück gehen durfte, wo er die Rest, welche die Anderen überließen, hastig in sich reinstopfen durfte.

Nach den Übungen mit dem Stab folgte noch das Training mit dem Schwert. Da dies alles nur einfache Übungen waren benutzten sie nur Bokken, Holzschwerter. Einerseits hasste Hideto das frühe Aufstehen, andererseits war er froh, dass sie diese Leibesübungen so zeitig machten, da die sommerliche Hitze, die sich bereits nach dem Frühstück auf dem gesamten Gelände ausbreitete, jede Bewegung nahezu unerträglich machte. Die Zeit schien sich endlos hinzuziehen, bis endlich die Stimme des Offiziers erklang.

„Das war’s fürs Erste“, rief der Offizier und gab das Bokken einem Soldaten, der es für ihn zu den anderen in die Fässer stellte, die sich ebenfalls an der Wand zur ihrer Linken aufreihten. Froh, dass das morgendliche Training vorbei war, brachte auch Hideto sein Holzschwert zu einem Fass und machte sich dann auf den Weg zum wohl verdienten Frühstück.

Auf dem Weg in den Esssaal unterhielten sich einige Soldaten über das Training. Manche machten sich über Wada lustig, der immer noch seine Runden lief. Sie stiegen die drei Stufen hinauf auf die breite, hölzerne Veranda, des Hauptgebäudes, im dem sich auch der Speisesaal befand. Oben angekommen, zogen alle ihre Sandalen aus und betraten den langen Flur und danach den großen, mit Tatamimatten ausgelegten Speisesaal, der sich direkte hinter der ersten Schiebetür auf der rechten Seite befand. Hier standen niedrige Holztische in Reihen, gesessen wurde auf dem Boden. Die Türen zu Veranda auf der anderen Seite des Raumes waren weit geöffnet, damit ein wenig frische Luft in den aufgeheizten Raum gelangte. Erschöpft von dem morgendlichen Training setzte sich Hideto an einen der Tische und aß eine große Portion Reis mit eingelegtem Gemüse und etwas gebratenem Fisch zur Stärkung.

Nach dem Frühstück wurden die Soldaten in Gruppen eingeteilt, die verschiedene Aufgaben zugeteilt bekamen. Hideto und vier andere, darunter auch Wada, der sich mit dem Essen beeilen musste, um noch rechtzeitig seinen Dienst anzutreten, erhielten den Auftrag, auf der westlichen Mauer der Kaserne Wache zu halten.
 

Nur kurze Zeit später kletterte Hideto die Holzleiter hinauf, die ihn auf den Wehrgang der Mauer führte. Er nahm seinen Platz am nord-westlichen Turm ein und ließ seinen Blick über die Gegend schweifen. In der Ferne schimmerte das Meer in einem strahlenden blau, während die Sonne mittlerweile eine Höhe erreicht hatte, die ihr erlaubte, ihre unnachgiebige Hitze auf das Land sinken zu lassen. Tag für Tag fragte sich Hideto, wieso sie überhaupt Wache stehen mussten. Schließlich hatte es seit der Schlacht von Sekigahara, vor über 100 Jahren, keinen Krieg mehr gegeben. Seit das Tokugawa Shogunat die Macht im Land übernommen hatte, erlebte Japan eine nie da gewesene Periode des Friedens.

Doch trotzdem trug Hideto seine beiden Schwerter an der Hüfte, die seinen Rang als jungen Samurai kennzeichneten. Außerdem hatte er sich einen mit Pfeilen gefüllten Köcher um gehangen und einen Bogen über die Schulter gelegt. Manchmal schossen er und einige seiner Freunde auf Tiere, die sich außerhalb der Mauern herumtrieben, einfach zum Spaß und als Übung. Das Bogenschießen war immer eine von seinen liebsten Disziplinen gewesen, obgleich er sowohl im schießen als auch im Schwertkampf ein respektabler Kämpfer geworden war seit er vor drei Jahren dem Heer Fürst Nius beigetreten war. Er war der zweite Sohn eines rangniedrigen Samurai, was ihnen auch das Tragen eines Familiennamen erlaubte: Yukishiro. Sein Vater hatte all seine Hoffnung in seine beiden Söhne gesetzt, die beide der fürstlichen Armee beigetreten waren. Hidetos älterer Bruder Mitsuo war mittlerweile zur Garde des Fürsten aufgestiegen, die mit ihm in seinem großen Anwesen weiter im Landesinnern lebten, während Hideto auch nach drei langen Jahren noch in der Kaserne wohnte. Dies verdankte er vor allem seinem hitzigen Temperament und seiner Faulheit. Manchmal fragte sich Hideto, ob er seiner Familie jemals Ehre bringen würde.

Plötzlich wurde er von lautem Gelächter aus seinen Gedanken gerissen. Er schaute sich verwirrt um und erblickte Wada, dessen Pfeile aus seinem Köcher über den Boden rollten. Neben ihm standen Aomori und Kitami, zwei Samurai von großem Wuchs, mit breiten Schultern und schadenfrohem Grinsen im Gesicht. Hideto mochte die beiden nicht. Sie waren überheblich und stifteten ständig Ärger, wobei sie es prima verstanden, sich im richtigen Moment aus der Affäre zu ziehen und jemand anderem somit den Ärger in die Schuhe zu schieben.

Keuchend bückte sich Wada um die verlorenen Pfeile wieder aufzuheben, wobei ihm der Bogen von der Schulter rutschte und ihm die Sehne ins breite Gesicht schlug. Er stöhnte vor Schmerz und versuchte seinen Bogen wieder auf seinen Rücken zu schieben während er mit der anderen Hand nach den Pfeilen tastete. Kitami trat bis auf einen Schritt an Wada heran und stieß mit seinem Fuß einige Pfeile die Leiter hinunter. Klackernd fielen die Geschosse die Stufen hinunter und blieben unten auf dem sandigen Boden liegen.

„Du musst besser aufpassen, Wada-San.“, sagte Kitami in einem belehrenden Ton, der seine Verachtung gegenüber Wada nicht verbarg. Im Gegensatz zu Kitami und Aomori, dessen Väter der obersten Leidgarde des Fürsten abgehörte, war Wada nur der Spross einer niedrigen Samuraifamilie, die in Schulden zu ersticken drohte.

Beschämt rutschte Wada über den hölzernen Boden und las einige Pfeile auf bevor er sich aufrappelte, um die Leiter hinunter zu steigen und die herunter gestoßenen Geschosse zu holen. Bevor er sich in Bewegung setzte, warf er Hideto einen kurzen Blick zu, der Schmerz und endlose Scham ausdrückte. Wut entbrannte in Hidetos Innerem und seine Hand verkrampfte sich am Griff seines Schwertes. Er wusste, dass er selbst kein Heiliger war, doch solche Ungerechtigkeiten konnte er einfach nicht mit ansehen.

Als Wada sich hoch gestemmt hatte und mit gesenktem Kopf zur Leiter lief, stieß Aomori mit der stumpfen Seite seines Speers gegen Wadas Fuß, der daraufhin der Länge nach hinfiel.

„Oh Wada-San! Pass auf, dass du kein Loch in den Boden reißt!“, stieß Aomori hervor und konnte sich vor Lachen nicht mehr halten.

In diesem Moment übermannte die Wut Hidetos Selbstbeherrschung. Er machte einen großen Schritt auf die beiden zu und zog sein Schwert. Am liebsten hätte er diese beiden Halunken auf der Stelle erschlagen!

„Yukishiro-San? Was willst du denn?“, fragte Kitami unsicher.

„Er sieht sich nur das Theater an und begibt sich dann wieder leise auf seinen Posten.“, zischte Aomori in drohendem Tonfall.

Hidetos Mut geriet ins wanken. Sollte er sich wirklich mit den beiden prügeln? Mit einem könnte er es sicher aufnehmen, aber mit beiden? Außerdem hatte er sein Schwert schon gezogen… Sollte er sich auf eine bewaffnete Auseinandersetzung mit den beiden einlassen? Langsam ließ er das Katana sinken. Er schaute hinüber zu Wada, der immer noch am Boden lag und Hideto verwundert ansah. Tränen schimmerten in seinen kleinen Schweinsaugen.

„Sag ich’s doch.“, bellte Aomori verächtlich und grinste Hideto herablassend an.

Schnell wie der Blitz ließ Hideto sein Schwert hervorschnellen und durchtrennte Aomoris Speer nur wenige Millimeter über der Hand. Das obere Stück mit der Klinge fiel klirrend zu Boden.

Kitami und Aomori starrten Hideto mit weit aufgerissenen Augen an. Offenbar hatten sie nie im Leben mit dessen Gegenwehr gerechnet.

„Ihr kleinen, widerwärtigen Bastarde!“, stieß Hideto hervor, „Was fällt euch eigentlich ein? Ihr haltet euch wohl für was Besseres!“

„Yukishiro-San, du… du wirst doch wohl nicht?“, stammelte Kitami.

Aomori jedoch zog sein Katana.

„Das wirst du bereuen!“, blaffte er Hideto an. Noch bevor dieser antworten konnte sprang Aomori schreiend auf ihn zu. Hideto schaffte er gerade noch sich unter einem horizontalen Hieb hinweg zu ducken, der ihr glatt enthauptet hätte. Den nächsten Schlag führe Aomori von oben nach unten. Hideto rollte sich geschickt über den Holzboden und erschrak, als Aomoris Klinge direkt neben ihm in das Holz schlug.

Aomori zog verzweifelt am Griff seiner Waffe, doch diese hatte sich im Boden verkeilt und rührte sich nicht. Hideto ergriff die Gelegenheit und trat nach Aomoris Hand, der vor Schmerz aufschrie und sein Schwert losließ.

Aomori schaute Hideto ins Gesicht und unmessbare Wut brannte in seinen Augen. Ohne weiter nachzudenken, zog er sein Kurzschwert und ging damit weiter auf Hideto los. Dieser parierte den Hieb mühelos mit seiner wesentlich längeren Waffe und wich weiter nach hinten aus, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Aomori stach nach Hidetos Brust. In letzter Sekunde riss Hideto sein Schwert empor. Aomoris Wakizashi schleifte kreischend an Hidetos Klinge entlang und bohrte sich in dessen rechten Oberarm. Schmerz durchflutete Hidetos Körper. Der Qualen veranlasste ihn zu schreien, doch er brachte keinen Laut hervor. In Aomoris Augen spiegelte sich Wahnsinn, als verfiele er in einen Blutrausch. Geschwind zog er sein Kurzschwert zurück um erneut zu zustechen.

Doch dieses Mal kam Hideto ihm zuvor. Er schlug ihm mit dem Griff seines Katanas ins Gesicht, woraufhin Aomori zurück taumelte. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und als er das Blut an seiner Hand sah, schien er wieder zu Besinnung zu kommen. Er blickte Hideto entgeistert an, als würde ihm gerade erst bewusst, was er getan hatte.

Plötzlich stürmten zwei Samurai von jeder Seite auf die beiden Streithähne zu. Sie packten Aomori, der Hideto nicht aus den Augen ließ. Seine Augen blickten ihn immer noch fassungslos an. Die anderen Beiden hievten Hideto in die Höhe und trugen ihn die Leite hinunter.
 

Der Kasernenarzt Dr. Ise hatte Hidetos Schulter mit Heilkräutern eingerieben und sie verbunden. Doch Hideto hatte keine Zeit sich auszuruhen. Er musste sofort zu seinem Offizier um sich wegen seiner Taten zu verantworten.

„Die Wunde ist zwar tief, aber nicht lebensgefährlich. Du solltest den Arm eine Weile schonen, doch er wird bald wieder voll belastbar sein.“, sagte Dr. Ise mit seiner ruhigen, freundlichen Stimme und lächelte Hideto ermutigend an. Dr. Ise war ein netter, alter Mann von etwa 60 Jahren. Sein dünnes graues Haar war kurz geschnitten und gepflegt. Er trug einen blauen Umhang, was seinen Rang als Arzt kennzeichnete. Er war stets freundlich zu Hideto gewesen wenn dieser wegen einer Prügelei oder eines Unfalls zu ihm kam.

Hideto bedankte sich kurz und verließ dann den Krankenflügel, der sich in einem Gebäude befand, dass durch einen überdachten Gang mit dem Hauptgebäude verbunden war, in dem auch die Offiziere lebten.

Als Hideto die Tür zum Quartier des Offiziers öffnete, erblickte er Aomori, der bereits auf dem Boden kniete. Der Raum war nicht sehr groß. Nur durch das papierene Fenster an der linken Wand des Raumes fiel schummriges Licht in das Zimmer. Der Offizier saß auf einem erhöhten Podium mit einem kleinen Schreibtisch auf dem ein Tintenfässchen und eine Schreibfeder lagen und war über mehrere Zettel gebeugt, die er eingehend studierte und hin und wieder selbst etwas ergänzte. An der Wand hinter dem Offizier stand ein Wandschirm der mit einer sommerlichen Landschaft bemalt war, die grüne Bäume und einen Fluss zeigte über den Vögel flogen. Der Offizier hatte seinen Helm abgenommen, was seinen kahl rasierten Scheitel mit dem geölten Haarknoten am Hinterkopf zum Vorschein brachte. Als Hideto den Raum betrat, blickte der Offizier auf und sah diesen ernst an.

Hideto kniete sich neben Aomori und blickte diesen dabei kurz an. Dieser hielt den Kopf gesenkt und starrte auf den Boden. Das Blut an seinem Mundwinkel war getrocknet.

„Aomori-San! Yukishiro-San! Für eure kleine Prügelei verurteile ich euch zu einer Woche Nachtwache!“, erklärte der Offizier in leisem aber nichtsdestotrotz Respekt einflößendem Ton.

Beide nickten nur knapp. Sie wussten, dass ihnen keine Rechtfertigung zustand. Bei kleineren Verstößen war dies durchaus üblich, doch bei einem Kampf der auch tödlich hätte ausgehen können, sah die Sache anders aus.

„Ihr könnt gehen.“, sagte der Offizier und wand seinen Blick ab, was den beiden zeigte, dass er das Gespräch als beendet betrachtete.

Hideto und Aomori erhoben sich und verließen schweigend das Gebäude. Als sie auf den Hof schritten blieb Aomori plötzlich stehen. Hideto drehte sich um und sah seinen Kameraden fragend an.

„Das wirst du noch bereuen.“, flüsterte Aomori, der immer noch auf den Boden starrte. Er ballte seine Hände zu Fäusten, so dass die Adern seiner Unterarme pulsierten. Seine Augen waren immer noch weit aufgerissen.

Hideto schaute Aomori verwirrt an, jedoch brachte er keinen Ton heraus. Sprachlos sah er zu wie Aomori ohne weitere Äußerungen zu den Unterkünften lief.
 

Unschlüssig, was er jetzt tun sollte, ging Hideto zur Westmauer zurück und nahm wieder seinen Wachposten ein. Als er die Leiter hinaufgestiegen war und über den Wehrgang lief, sah er Kitami, der mit aschfahlem Gesicht über die Brüstung starrte, als hätte er in der Ferne einen Geist gesehen. Entweder bemerkte er Hideto nicht, oder er gab sich alle Mühe, dass es so aussah. Doch auch Hideto war nicht auf noch mehr Ärger aus und lief einfach an Kitami vorbei, als er Wada einige Meter weiter stehend erblickte. Offenbar hatte dieser auf Hideto gewartet.

„Wada-San.“, sagte Hideto knapp und nickte ihm zu. Er war nicht mit Wada befreundet und hatte auch kein Interesse daran. Er hatte sich nicht um seinetwillen mit Aomori geprügelt, sondern weil dieser einfach nur ein überheblicher Idiot war, der sich am Leid schwächerer weidete, was Hideto nun mal gar nicht ausstehen konnte.

„Yukishiro-San.“, brachte Wada mit zitternder Stimme hervor und versuchte Hideto in die Augen zu sehen, doch dieser blickte starr an seinem dicken Kameraden vorbei, bis er an diesem vorüber gelaufen war. Erleichtert atmete Hideto aus, doch als er ein paar Schritte an Wada vorbei gegangen war, ertönte erneut seine Stimme, doch dieses Mal etwas fester und stärker.

„Yukishiro-San.“, sagte Wada, der sich umgedreht hatte und Hideto nun hinterher sah.

Dieser blieb stehen und sah sich nach seinem Kameraden um. Tränen schimmerten in Wadas Scheinsaugen und seine massigen, hängenden Wangen liefen rot an.

„Danke.“, flüsterte er schließlich und senkte seinen Blick auf den Boden, „So etwas hat noch nie jemand für mich getan.“

Hideto spürte wie auch ihm die Röte ins Gesicht stieg. Mit so einem Gefühlsausbruch Wadas hatte er nicht gerechnet.

„Schon gut.“, versuchte er das Gespräch zu beenden, bevor Wada noch mehr sein Gesicht verlor.

„Nein!“, stieß Wada entschieden hervor, „Diese beiden Kerle haben mich schon unzählige Male so bloß gestellt. Deinetwegen werden sie es sich demnächst zweimal überlegen.“

„Das… äh… freut mich.“, entgegnete Hideto knapp, der sich zwar aufrichtig für Wada freute, jedoch fürchtete, sich Aomori nun zu seinem Todfeind gemacht zu haben. Er wollte sich gerade wieder umdrehen um zu gehen, als Wada wieder seinen Mund öffnete.

„Ich werde nie wieder so schwach sein.“, flüsterte er. Seine Stimme war leise, doch es schwang eine Entschlossenheit mit, die Hideto ihm niemals zugetraut hatte. Er sah wie sich Wadas Faust ballte, so sehr, dass die Sehnen auf seinem Handrücken sichtbar wurden.

„Niemals wieder werde ich mich so unterdrücken lassen. Niemals wieder werde ich so verzagen.“, seine Stimme wurde zunehmend lauter und Hideto fragte sich, ob Kitami, der ja nur wenige Meter stand, ihn mittlerweile hören konnte.

„Von nun an werde ich mich mutig jeder Gefahr stellen!“, sagte Wada entschlossen und schaute Hideto mit einem dankbaren und stolzen Blick in die Augen.

„Das hier… möchte ich dir schenken Yukishiro-San.“, fügte Wada hinzu, der sich sichtlich zusammenreißen musste, um seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Er hielt Hideto seine geschlossene Hand hin. Zögernd machte dieser einen Schritt auf ihn zu und streckte eben falls seine Hand aus. Wada ließ etwas Kleines auf Hidetos Handfläche fallen. Interessiert schaute sich Hideto sein Geschenk an. Es war ein schwarzes Lederband, etwa dreißig Zentimeter lang – eine Halskette – mit einem kleinen hölzernen Anhänger. Er war nicht dicker als Hidetos kleiner Finger und etwa vier Zentimeter lang und von allen Zeiten mit Mustern beschnitzt.

Hideto lächelte ihm erfreut zu. Dann nickte er und machte sich auf den Weg zu seinem Posten. Es freute sich für Wada, der nun endlich über seinen Schatten zu springen schien. Doch wusste Hideto auch nur zu gut, dass aus Eifer und Mut schnell Übermut werden konnte. Und Übermut konnte mitunter ein böses Ende nehmen.
 

Ende des Prologs

Nachtwache…“, raunte Hideto in die laue Nacht hinaus. Er stand auf dem Wehrgang der westlichen Mauer und starrte gedankenverloren in die Ferne. Die Stunde der Ratte war bereits angebrochen. Ein endloser, blau-schwarzer Himmel zog sich wolkenlos dahin und gab unzählige leuchtende Sterne den Blicken ihrer wenigen Beobachter preis. Die leichte Brise trug das beruhigende Rauschen des im Westen liegenden Meeres heran und lies die Hitze des Tages verschwinden.

Wada stand nur wenige Meter von Hideto entfernt. Offenbar hatte dieser ebenfalls Nachtwache als Strafe bekommen. Die beiden hatten noch kein Wort miteinander gesprochen. Vielleicht war Wada sein Gefühlsausbruch vom Mittag peinlich, ging es Hideto durch den Kopf.

„Ist alle in Ordnung, Wada-San?“, fragte er vorsichtig.

„Ja, mir geht es gut, danke.“, sagte Wada leise, aber mit kräftiger Stimme.

Dann trat eine peinliche Stille ein und Hideto wusste nicht, was er sagen sollte, so lenkte er das Gespräch auf ein Gerücht, das seit etwa einer Woche in der Gegend die Runde machte.

„Was hältst du von diesem mysteriösen Tsuchigiri, der Leute tötet, die das Wappen unseres Fürsten tragen?“, fragte Hideto unsicher. Ein Tsuchigiri war ein Mann, der durch die Gegend zieht und scheinbar ohne Grund Leute tötet.

„Ist bestimmt nur ein Gerücht.“, erwiderte Wada, „Meinst du nicht, dass ihn schon jemand getötet hätte, wenn er die Samurai des Fürsten tötet? Ich meine, einige von ihnen sind begnadete Kämpfer.

„Ja, vermutlich hast du Recht.“, pflichtete Hideto ihm bei.

Dann folgte wieder Stille. Doch anstatt weiterhin vergeblich zu versuchen, mit Wada ein Gespräch zu führen, dachte Hideto an Aomori.

Er hatte ihn seit dem Nachmittag nicht mehr gesehen, doch er wusste, dass dieser gerade irgendwo auf einem anderen Teil der Mauer seine Strafe abbüßten musste.

Plötzlich riss leises Gelächter Hideto aus seinen Gedanken. Als wäre er an den frühen Vormittag zurückversetzt, griff er instinktiv nach seinem Schwert. Doch schnell wurde ihm klar, dass dieser Vorfall der Vergangenheit angehörte und er schalt sich einen Narren, wegen eines leisen Geräusches so die Fassung verloren zu haben. Er drehte sich um und sah einige Leute über den Hof laufen. Sie unterhielten sich angeregt und lachten. Hideto erkannte einige seiner Kameraden, die nun eigentlich vorne am Tor wache halten sollten.

„Hey, ihr!“, rief er zu ihnen herunter, „Ihr sollt doch am Tor bleiben!“

Einen Moment schauten die Soldaten verwirrt durch die Gegend bis einer von ihnen Hideto erblickte und auf ihn zeigte, während er etwas zu seinen Leuten sagte, was Hideto aus der Distanz nicht verstehen konnte.

„Was hast du denn hier zu melden?“, rief einer der Soldaten, den Hideto sofort als Kitami identifizieren konnte. Offenbar hatte dieser nach dem Vorfall am Morgen seinen Mut wieder gefunden. Die Gruppe blieb stehen und schaute zu Hideto hinauf, gespannt auf das Wortgefecht der Beiden.

„Geht wieder auf eure Posten! Sonst melde ich euren Verstoß bei unserem Offizier!“, rief Hideto, der insgeheim hoffe, den Offizier schon mit seinen Rufen aus dem Bett zu locken, damit dieser Kitami und seine Kumpanen auf frischer Tat ertappte. Doch niemand kam.

„Oh, Yukishiro-San will uns melden!“, rief Kitami mit übertriebener Betroffenheit und fing an zu lachen.

Hidetos Hand verkrampfte sich erneut um den Griff seines Schwertes. So wenig Autorität zu haben beschämte ihn. Doch was sollte er tun?

„Es hat seit hundert Jahren keinen Krieg mehr gegeben.“, erklärte Kitami, „Wache stehen ist sinnlose Zeitverschwendung.“

Gerade als Hideto noch etwas rufen wollte, zog die Gruppe jubelnd und gackernd weiter. Hideto biss die Zähne aufeinander und verfluchte seine Machtlosigkeit. Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter und er schnellte herum. Wada stand mit gutmütigem Blick hinter ihm.

„Lass dich nicht ärgern, Yukishiro-San.“, sagte er beruhigend, „Diese Idioten bekommen schon noch ihre gerechte Strafe.“ Ein gut gemeintes Lächeln legte sich auf Wadas Lippen und ließ seine dicken Wangen beben.

„Vielleicht hast du Recht, Wada-San.“, entgegnete Hideto, „Lassen wir sie einfach in Ruhe.“

Doch gerade als sich die beiden wieder auf ihre Posten stellten, ertönte die Alarmglocke vom Östlichen Turm her. Hideto wirbelte herum und suchte nach dem Grund für den Alarm. Als er nach Süden blickte, sackte ihm das Herz bis in die Hose. Draußen, direkt vor dem Tor, stand eine Armee, etwa hundert Mann stark, schätzte Hideto. Sie trugen Fackeln und Banner, und auf den Bannern das Symbol der Libelle.

„Das sind Leute von uns!“, schrie Hideto über den Hof, „Die Armee des Fürsten!“

„Aber was wollen die hier?“, fragte Wada verwirrt.

Doch noch ehe Hideto seine Unwissenheit beteuern konnte, segelten die ersten brennenden Pfeile über ihre Köpfe hinweg. Erschrocken warf sich Hideto auf Wada und beiden landeten hart auf dem Holzboden des Wehrganges. In dem Turm hinter ihnen schlugen laut klackernd die Pfeile ein und setzten ihn in brand. Die Alarmglocken aller Türme hallten nun durch die Nacht. Die Soldaten aus den Schlafsälen kamen bewaffnet auf den Hof gerannt und auch mehrere Offiziere betraten verwirrt umherschauend den Platz.

Mit einem lauten Krachen zerbarst das große hölzerne Haupttor der Kaserne und eine wahre Flut von Kriegern mit Schwertern und Speeren bewaffnet, stürmten auf den Hof. Eine wilde Schlacht entbrannte zwischen den Eindringlingen und den Soldaten der Kaserne.

Hideto erhob sich, nahm den Bogen, der ihm von der Schulter gerutscht war, als er Deckung gesucht hatte, zog einen Pfeil aus seinem Köcher und spannte den Bogen. Er zielte auf die Menge, die sich durch das Tor drängte, hier konnte er gar nicht verfehlen, und schoss. Der Todesschrei des Getroffenen ging im Kampfgetümmel unter. Rasch zog Hideto den nächsten Pfeil und feuerte. Auch Wada hatte sich aufgerafft, seinen Bogen gegriffen und schoss nun in die Menge.

Einer nach dem anderen fiel, doch Hideto fiel schwer zu sagen, ob es ein Freund oder Feind war, da die Angreifer dasselbe Wappen trugen wie die Verteidiger.

Plötzlich bemerkte Hideto, wie einige Leute die Leiter hoch kletterten, die sich wenige Meter zu seiner Linken befand. Gerade wollte er sein Schwert ziehen, als er Aomori und Kitami erkannte.

„Ihr!“, brüllte Wada, „Euretwegen konnten diese Krieger uns überrumpeln! Ihr habt euren Posten verlassen!“ Wadas Kopf glühte Rot vor Wut als er diese Worte ausspie.

„Halt dein Maul, Fettsack!“, schnauzte ihn Aomori an und rannte an Hideto und Wada vorbei zum Süd-West-Turm.

„Da drin könnt ihr euch nicht verschanzen!“, rief Hideto ihnen nach, „Ihr sitzt in der Falle!“

Doch Kitami tat Hidetos Einwand mit einer einfachen Handbewegung ab und folgte seinem Freund Aomori.

Hideto wollte den beiden noch hinterher rufen, doch lautes Krachen hinter ihm, ließ ihn erschrocken herumfahren. Zwei Samurai in voller Rüstung waren die Leiter hinaufgeklettert und zogen nun ihre Schwerter.

Auch Hideto zog sein Katana, doch schon beim ziehen der Waffe bemerkte er den schrecklichen Schmerz in seiner Schulter, die von Kampf am Vormittag herrührte. Jedoch biss Hideto die Zähne aufeinander und hob mutig das Schwert zum Kampf.

Sein Gegner war ein Samurai in dunkler Rüstung, welche durch das Feuer, das auf dem Turm hinter ihm loderte, aussah, als würde sie glühen. Er trug einen Helm mit langen Hörnern und eine Gesichtsmaske, die einen Dämonen darstellte.

Hideto wollte lieber der sein, der angreift, anstatt sich zu verteidigen, also sprang er kurzerhand auf den Feind zu und schlug nach dessen Rumpf. Doch sein Gegner wehrte den Hieb mühelos ab und trat Hideto vor die Brust. Dieser wurde von den Füssen gerissen und landete hart auf dem Rücken.

Hidetos Schulter pochte vor Schmerz und er bekam kaum Luft. Nur mit Mühe war er in der Lage, seinen Kopf anzuheben und sich nach seinem Gegner umzusehen.

Dieser lief langsam auf Hideto zu und hielt sein Schwert bereit zum Stich. Hideto konnte sich nicht rühren, geschweige denn seinen Arm zur Parade heben. Verzweifelt blickte er zur Seite und erblickte Wada, der sich hinter einer Kiste versteckt hatte. Als Hideto ihn erblickte, erhob sich Wada und zog sein Schwert. Hideto keuchte verzweifelt: „Nein!“, doch seine Stimme versagte ihm. Er schüttelte den Kopf und versuchte unter allen Umständen Wada davon abzuhalten, die beiden Samurai anzugreifen, denn das hätte seinen Tod bedeutet.

Der Krieger war bei Hideto angekommen und hatte Wada offenbar gar nicht bemerkt. Er hob sein Schwert um Hideto zu erstechen.

Genau in diesem Moment sprang Wada hinter seiner Kiste hervor. Mit einer Flinkheit, die Hideto Wadas Körper niemals zugetraut hatte, machte dieser einen Satz und rammte dem Samurai sein Katana in die Achsel, eine der wenigen nicht gepanzerten Stellen bei Rüstungen.

Der Mann schrie auf, war aber nicht mehr in der Lage, nach Wada zu schlagen, als er tot zu Boden fiel.

Wada zog sein Schwert aus der Leiche seines Gegners und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er stellte sich gerade hin und sah dem zweiten Samurai entgegen. Nie zuvor hatte Wada so sehr wie ein echter Samurai ausgesehen, wie in diesem Moment.

Das Feuer hatte die Szenerie in ein leuchtendes Orange getaucht. Funken sprühten durch die Luft und vom Platz her ertönte immer noch der Lärm des Kampfes. Hideto konnte sich wieder erheben, doch er stand so wackelig auf seinen Beinen, dass er nicht in der Lage war, zu kämpfen. Mühselig hob er sein Schwert auf und hielt sich mit der anderen Hand den Bauch. Durch die Hitze und den Tritt war ihm speiübel geworden. Fast hätte er den zweiten Gegner vergessen, der soeben sein Schwert gezogen hatte und sich nun auf Wada zu bewegte.

„Den schaffen wir zu zweit.“, keuchte Hideto, „Mach dir keine Sorgen.“

Wada nickte siegessicher.

Doch in diesem Moment erschienen weitere Samurai aus dem Bodenloch mit der Leiter und stellten sich hinter ihren Kumpanen.

„Lauf.“, flüsterte Wada entschlossen.

„Was?“, stieß Hideto verwirrt aus, „Ich lasse dich doch nicht…“

Doch Wada schnitt ihm das Wort ab.

„Lauf. Ich will nicht für den Tod des einzigen Freundes verantwortlich sein, den ich je hatte.“

Hidetos Augen weiteten sich, als er den Sinn hinter Wadas Worten erfasste. Er wollte sich für ihn opfern, weil er Wada vor seinen Peinigern beschützt hatte.

„Ich schulde es dir.“, sagte Wada mit fester Stimme, „Es ist mein Schicksal.“

Hideto wollte etwas erwidern, doch Wada stieß ihn mit seinem kräftigen, massigen Arm in Richtung Süd-West-Turm um stellte sich den Gegnern in den Weg.

Hideto war hin und her gerissen. Was sollte er tun? Würde er kämpfen, wobei er kaum mehr stehen konnte, würden sie beide auf jeden Fall sterben. Doch sollte er fliehen und irgendwie aus dieser Hölle herauskommen und überleben, so wäre Wadas Opfer nicht umsonst gewesen.

„Arigato – Danke, Wada-San, mein Freund!“, sagte Hideto und humpelte von den Gegnern weg. Als er den Turm erreichte, öffnete er die dicke Holztür und ging hinein. Doch bevor er diese wieder schloss, schaute er noch einmal nach Wada. Dieser erhob sein Schwert als drei Samurai auf einmal auf ihn losgingen. Er parierte einen Hieb, dann noch einen. Doch dann traf ein Schwert seinen Oberschenkel und er ging in die Knie. Wieder wehrte er einige Schläge ab, doch dann schlitze ihm ein Schwert die Schulter auf, woraufhin er sein Schwert sinken ließ und die drei Samurai ihre Katana in seine Brust rammten. Mit einem stöhnen fiel Wada auf den Rücken und blieb reglos liegen.
 

Eilig verriegelte Hideto die Tür. Als sie fest verschlossen war, lehnte er sich einen Moment dagegen und schloss die Augen. In seinem Kopf spielte sich die ganze Szene noch einmal ab. Er sah Wada, so mutig wie noch nie in seinem Leben. Er sah die Samurai, die ihm weit überlegen waren. Und er sah Wadas kleine Schweineaugen, die leblos in die Ferne blickten.

Ein Geräusch ließ Hideto zusammenzucken. Eine Etage über ihm lief jemand auf und ab. Hideto kletterte die Leiter empor und als er durch den Kopf durch die Luke steckte, hielt ihm jemand eine Klinge vor die Nase.

„Yukishiro-San?“, ertönte Kitamis Stimmt über ihm.

Hideto nickte und zog stieg die letzten Stufen der Leiter hinauf. Diese Etage des Turmes war ein einziger Raum mit einem mit Papier bespanntem Gitterfester, unter dem sich in einigem Abstand das Dach des Tores befand.

Hideto ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Hier gab es nichts, was man sich zur Verteidigung zu nutze hätte machen können. Plötzlich erblickte er einen jungen Mann in einer dunklen Ecke des Zimmers sitzen. Hideto spürte, dass auch er von diesem Mann angeschaut wurde.

„Aomori?“, fragte Hideto vorsichtig.

„Jetzt…“, flüsterte dieser in einem Gefahr verkündenden Ton, „sitzt du in der Falle.“

Hideto erschrak und griff nach seinem Schwert, was er zurück in die Scheide gesteckt hatte, als er die Tür des Turmes verriegelt hatte.

Kitami stieß die Leiter in die Tiefe, um Hideto den Fluchtweg zu versperren.

„Ihr beiden!“, stieß Hideto hervor, „Wie könnt ihr in so einem Moment nur an unsere Fehde denken?“

Doch ohne ein weiteres Wort zog sich Kitami an eine Wand des Raumes zurück und Aomori erhob sich gleichmäßig aus seiner Ecke und zog sein Schwert. Seine Augen blickten Hideto hasserfüllt an. Und wie aus dem nichts, griff er Hideto an. Dieser schaffte es gerade noch sein Schwert empor zu reißen um den Hieb zu blocken, doch Aomori schlug weiterhin wild auf ihn ein. Hideto parierte den Schlaghagel nur mit großer Mühe. Die Schmerzen in seiner Schulter machten jede Bewegung zu einer Qual.

Plötzlich hörte er, wie die Tür zum Turm eingeschlagen wurde.

„Werft ein paar Fackeln hinein, das sollte genügen.“, ertönte eine tiefe Stimme.

Nur einen Moment später stieg Rauch durch die Luke, aus der die Leiter geragt hatte. Der Raum füllte sich in Sekunden mit Qualm. Hidetos Augen brannten und er musste Husten. Doch zum Glück machte auch Aomori dieser Umstand zu schaffen. Er hielt sich eine Hand vor den Mund und taumelte durch den Raum. Irgendwie musste Hideto einen Ausweg aus dieser Falle finden.

Das Fenster!, schoss es ihm durch den Kopf.

Er rannte zum Fenster und schlug es mit dem Griff seines Schwertes ein. Als Kitami dies bemerkte, eilte er zu Hideto hinüber, um von dessen Fluchtweg zu profitieren. Hideto setzte einen Fuß auf die hölzerne Fensterbank, bereit hinaus zuspringen und versuchen, das Dach des Tores zu erreichen. Die Flammen leckten bereits durch die Bodendielen und färbten die Wände schwarz. Bevor Hideto sprang, sah er sich noch einmal nach Aomori um. Auch dieser machte sich auf den Weg zum Fenster, hielt jedoch sein Schwert in die Höhe, um Hideto zu töten.

Als er etwa in der Mitte des Raumes war, krachte plötzlich ein Stück des Bodens unter seinen Füßen weg. Er ließ sein Schwert fallen und hielt sich im letzten Moment fest. Seine Beine baumelten hinunter in den brennenden Raum während sein Oberkörper, auf die Arme gestützt, im Oberen Raum Halt suchte. Hilfe suchend schaute er Kitami an. Doch dieser blickte ihm nur verzweifelt entgegen. Hideto nahm all seinen Mut zusammen und machte einen Schritt auf Aomori zu. Hideto reichte ihm seine Hand, doch Aomori starrte Hideto nur mit wutverzerrter Fratze an.

„Nun mach schon!“, rief Hideto, „Sonst stirbst du!“

„Niemals lasse ich mir von einem wie DIR helfen!“, keuchte Aomori.

Verzweifelt machte Hideto einen weiteren Schritt und griff Aomoris Handgelenk. In diesem Moment brach ein weiteres Stück des Bodens weg. Hideto konnte sich gerade noch mit einem Sprung nach hinten retten, während Aomori in die glühende Tiefe stürzte.

„Yukishirooooo…!“, ertönte seine Stimme, bis ein dumpfer Aufschlag zu hören war. Dann war es bis auf das Knistern der Flammen und das Knacken der berstenden Bodenbretter ruhig.

Entsetzt schaute Hideto auf das Loch im Boden, in dem Aomori verschwunden war. Er konnte es nicht fassen. Doch nun musste er sich selbst retten. Er durfte nicht zulassen, dass Wada umsonst gestorben war.

Er erhob sich und schaute aus dem Fenster. Er war recht weit bis zum Dach des Tores, doch er wusste, dass er es schaffen konnte. Früher, als er noch ein kleines Kind gewesen war, war er im Garten seines bescheidenen Elternhauses immer auf den Bäumen herumgeklettert und vom einen zum anderen gesprungen. Sein Vater hatte ihn seiner Leichtsinnigkeit wegen oft ermahnt, doch Hideto war nie etwas Ernstes passiert.

Er steckte sein Katana in die Scheide und machte sich zum Sprung bereit.

Er stieß sich mit aller Kraft von der Fensterbank ab und griff nach dem Vorsprung des anderen Daches. Er bekam einen Ziegel zu fassen und blieb an der Fassade hängen. Unter ihm ging es etwa fünf Meter in die Tiefe bis auf die niedrige Mauer die das Tor mit dem Turm verband. Ein greller Schmerz durchzuckte seine Schulter, doch er durfte nicht aufgeben. Mühsam zog er sich auf das Dach und blieb erschöpft liegen. Nun war Kitami an der Reihe. Auch er setzte einen Fuß auf die Fensterbank und stieß sich ab. Doch schon im Sprung sah Hideto, dass es nicht reichen würde. Auch auf Kitamis Gesicht spiegelte sich diese Erkenntnis. Verzweifelt ruderte er mit den Armen doch es half nichts. Er prallte gegen die Fassade und stürzte in die Tiefe. Hideto hörte nur noch einen dumpfen Aufprall.

Doch auch dies konnte und durfte ihn nicht an seiner Flucht hindern. Auf der anderen Seite des Daches befand sich eine kleine Leite, mit der man auf das niedrigere Dach der Mauer steigen konnte. Hideto schleppte sich hinüber und stieg die Leiter hinab, wobei er einen Blick auf das Schlachtfeld warf.

Kaum einer seiner Kameraden war noch am Leben. Nur einige Offiziere und wenige Soldaten wehrten sich noch tapfer gegen die Übermacht. Das Hauptgebäude, so wie alle Türme, standen in Flammen.

Hideto erreichte das niedrige Dach von dem aus er ohne große Gefahr auf den Rasen vor der Kaserne springen konnte, um dann zu fliehen. Offenbar waren alle Feinde in die Kaserne vorgerückt, denn vor dem Tor war keine Menschenseele zu sehen. Er machte sich bereit für seinen Sprung, als er entdeckt wurde. Einige Angreifer schossen Pfeile nach. Er ließ sich von der Mauer fallen und rollte sich im weichen, feuchten Gras ab. Unter Schmerzen erhob er sich und humpelte davon. Zwei Samurai folgten Hideto als dieser einen kleinen Abhang hinunter taumelte und unten vor Erschöpfung stehen blieb.

Sie holten ihn ein und zogen ihre Schwerter.

Hidetos Atem ging schwer und vor seinen Augen verschwamm die Umgebung. Sein Kopf dröhnte, jede Faser seines Körpers war wie gelähmt.

Seine beiden Angreifer nährten sich ihm, einer von vorn, einer von hinten.

Doch Hideto wollte nicht sterben.

Er durfte nicht sterben

Als seine Feinde ihn erreicht hatten, wurde ihm schwarz vor Augen. Seine Muskeln spannten sich, als würde würden sie den Kampf kämpfen wollen und plötzlich ertönte in seinem Kopf ein Schrei. Es war ein Kriegsschrei, der immer lauter wurde, bis Hideto das Bewusstsein verlor und Stille und Dunkelheit seinen Geist umhüllten.

Ebenfall in der Provinz Kaga. Ein kleines Dorf in den Bergen im Nord-Osten.

Eine Woche zuvor.
 

Yoshimaru verbeugte sich vor seinem Lehrer, Akio-Sensei, der ihn seit seinem Kindesalter die Kampfkunst lehrte.

Yoshimarus Familie war an einem Fieber gestorben als er ein kleiner Junge war. Er war der einzige aus seinem Dorf, der diese Epidemie überlebt hatte. Allein war er Tage lang durch die Wälder der Umgebung geirrt und schließlich vor Hunger und Erschöpfung zusammengebrochen. Akio-Sensei hatte ihn beim Kräuter sammeln gefunden und mit ihn dieses abgelegene Dorf genommen. An seinen richtigen Namen konnte er sich nicht erinnern, deshalb hatte Akio ihn Yoshimaru genannt und um seinen Lebenswillen zu nähren, lehrte er ihn Onijutsu, eine von ihm selbst kreierte Kampfkunst für den Umgang mit Waffen aller Art: Katana, Wakizashi, Tanto, Bo, Naginata und den unbewaffneten Kampf.

Yoshimaru hatte sich schnell als begabter und eifriger Schüler erwiesen. Bereits in jungen Jahren war er seinem Meister ebenbürtig und besiegte diesen im Zweikampf. Von diesem Zeitpunkt an, erweiterte Yoshimaru diese Kampfkunst und personalisierte sie mit seinem ganz eigenen Kampfstil.

Yoshimaru war etwa zwanzig Jahre alt, genau wusste das niemand, denn als man ihn fand, konnte er sich nicht an sein genaues Alter erinnern. Doch dies war nun schon fünfzehn Jahre her und der untergewichtige Junge wurde zu einem durchtrainierten Mann mit makellosen Manieren und von schönem Äußeren. Akio-Sensei war bereits sechzig Jahre alt und hatte kaum noch Haare auf dem Kopf. Doch seine straffen, gutmütigen Gesichtszüge ließen ihn jünger erscheinen.

„Domo Arigato – Danke für das Training, Akio-Sensei.“, sagte Yoshimaru. Er war kaum außer Atem, doch der alte Mann war nicht mehr so fit wie früher und Yoshimaru wusste, wann er einen Kampf beenden musste, um seinen Meister zu schonen.

Akio-Sensei verbeugte sich vor ihm, bedankte sich ebenfalls und ging dann in das kleine Bauernhaus, das die beiden bewohnten. Yoshimaru machte sich auf den Weg zu den Reisfeldern. Dort half er oft den Frauen bei ihrer Arbeit, was ihn in diesem Dorf von etwa einhundert Seelen sehr beliebt gemacht hatte.

Doch am liebsten half er Yuuka bei ihrer Arbeit auf den Feldern. Die beiden kannten sich schon seit ihrer frühen Kindheit und es war ein offenes Geheimnis, dass sie sich sehr gern hatten.

Er eilte an einigen Feldern vorüber, während Frauen von ihrer Arbeit aufblickten und ihn grüßten. Doch er hatte nur Yuuka im Kopf. Als er sie erblickte hob sie ihr hübsches Gesicht und lächelt ihm entgegen. Ihr wunderschönes Gesicht strahlte unter dem breiten Strohhut. Yoshimaru umarmte sie kurz, dann beugte er sich hinunter um ihr bei der Arbeit zu helfen.

„Wann wirst du dich endlich trauen, Yoshi-san?“, fragte Yuuka mit einem Unterton in ihrer Stimme, der Yoshimaru verriet, dass sie ihn ärgern wollte.

„Was soll ich mich denn trauen?“, entgegnete er belustigt.

„Natürlich meine Eltern zu fragen, ob du mich zu deiner Frau nehmen darfst.“, sagte sie nun etwas ernster, „Du weißt, sie würden ‚ja’ sagen.“

„Ich werde es bald tun, Yuuka-Chan.“, antwortete Yoshimaru nervös. Er hatte sie wirklich gern, er liebte sie, doch hatte er es nie fertig gebracht, sie zu heiraten. Aus irgendeinem Grund, traute er sich nicht, obwohl er sich sicher war, dass ihm die Heirat gestattet würde.

„Das sagst du jedes Mal.“, sagte Yuuka mürrisch und schaute Yoshimaru mit einem Schmollmund an, den er so süß fand, dass er sich ein flüchtiges Lächeln nicht verkneifen konnte.

„Und du nimmst mich nicht ernst!“, beschwerte sich Yuuka.

Gerade als Yoshimaru seine Reaktion bereute und spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss, find Yuuka an zu lachen. Sie beugte sich in das Knöcheltiefe Wasser des Feldes und bespritzte Yoshimaru mit dem kühlen Nass.

Dieser tat es ihr sofort nach und die beiden lachten so laut, dass sich alle anderen Leute, die auf dem Feld arbeiteten, nach ihnen umsahen.

„Möglicher Weise sollten wir lieber weiterarbeiten.“, gackerte Yuuka.

Yoshimaru nickte ihr lächelnd zu und machte sich wieder an die Arbeit.
 

Als die Sonne unterging machten sich die Frauen mit ihren Körben voll Reispflanzen auf den Weg ins Dorf. Auch Yuuka war bereit zu gehen, doch Yoshimarus Korb war noch längst nicht voll, da er ja viel später angefangen hatte, zu pflücken.

„Geh schon mal vor, Yuuka-Chan.“, sagte er erschöpft, „Ich komme gleich nach.“

„In Ordnung, bis gleich Yoshi-San. Komm mich noch besuchen, ja?“, antwortete sie. Die beiden trafen sich oft am Abend und aßen und tranken zusammen oder gingen im Mondschein spazieren.

„Natürlich, Liebste.“, entgegnete Yoshimaru und sah Yuuka noch hinterher, bis ihre Silhouette in der ausziehenden Dunkelheit verschwand. Eilig las er noch weitere Pflanzen auf. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sein Korb voll sein wollte, als er sich aufrichtete und streckte. Diese Arbeit war ganz schön anstrengend für den Rücken.

Plötzlich stieg ihn ein seltsamer Geruch in die Nase. Rauch!

Er schaute in Richtung des Dorfes und sah einen orangenen Punkt in der Ferne. Ohne weiter nachzudenken eilte er los. Er rannte über den Weg, der zwischen den Feldern herführte, über eine kleine Brücke, die über einen Bach verlief. Umso näher er dem Dorf kam, desto stärker wurde der Gestank. Schweiß brach ihm aus als er an Yuuka dachte. Hoffentlich war ihr nichts passiert.

Er durchquerte noch ein kleines Waldstück und dann erreichte er das Dorf. Doch der Anblick ließ ihn versteinern. Alle Häuser standen in Flammen, auf den Wegen lagen Leichen von Männern, Frauen und Kindern. Yoshimaru hetzte zu Akio-Senseis Haus. Auch dieses Gebäude brannte lichterloh. Nichtsdestotrotz trat er die Tür ein und stürmte ins Innere. Sofort erblickte er seinen Meister, der reglos am Boden lag. Yoshimaru hievte ihn auf seine Schulter und trug ihn ins Freie. Er legte den alten Mann auf den Boden und sah in sein Gesicht. Langsam öffnete Akio seine Augen, doch sie blickten in eine unwirkliche Ferne.

„Yoshi…maru…“, keuchte er, seine Stimme verstarb zu einem gequälten Flüstern.

„Sensei, ich bin hier. Ihr seid in Sicherheit.“, entgegnete Yoshimaru schnell.

Akios ernste Gesichtszüge formten ein freudiges Lächeln.

„Alles wird wieder gut, Meister! Haltet durch!“, flehte Yoshimaru, doch seine Bitte wurde nicht erhört. Akio-Sensei hustete trocken, und hörte dann auf zu atmen.

Tränen rannen über Yoshimarus Gesicht, als er die Augen seines Meisters für immer schloss. Doch sofort galt sein Gedanke Yuuka. Er legte Akios Leichnam an den Wegesrand und eilte zu dem Haus, in dem Yuuka mit ihren Eltern wohnte.

Doch so weit musste er gar nicht gehen. Auf halbem Weg entdeckte er einige Leichen, die geflochtene Weidenkörbe auf dem Rücken trugen.

Er musste nur einmal seinen Blick über die Körper schweifen lassen, da entdeckte er schon Yuuka. Geschwind sprang er zu ihr hinüber und fiel neben ihr auf die Knie. Er drehte sie um, so dass er ihr Gesicht sehen konnte. Sie war genau so hübsch, wie zuvor. Doch Blut rann aus ihrem Mundwinkel. Yoshimaru konnte sich nicht länger bändigen und ließ seiner Trauer freien Lauf. Tränen liefen über seine Wangen und fiel auf Yuuka herab. Sein Herz fühlte sich an, als würde es zerspringen, als er über ihre sanfte Wange strich.

Doch plötzlich hörte er ein Geräusch hinter sich.

„Da ist noch einer. Tötet ihn und kommt dann nach.“, sagte eine Stimme in herrischem Tonfall. Dieser Mann musste ihr Anführer sein. Er musste für all das hier verantwortlich sein. Doch als sich Yoshimaru aufrichtete und umdrehte, ritt der Mann bereits auf einem großen schwarzen Pferd davon. Zwei Männer standen ihm gegenüber. Samurai in voller Rüstung, die auf ihren Wappenröcken eine goldene Libelle trugen. Das Zeichen des Fürsten Niu, der über diese Provinz herrschte.

Die beiden zogen ihre Schwerter und liefen auf Yoshimaru zu. Doch dieser stand nur regungslos da. Als der eine Krieger ausholte um ihr zu enthaupten, duckte sich Yoshimaru knapp unter der Klinge hindurch und rammte dem Mann eine kleine Sichel in den Hals, die er aufgehoben hatte, bevor er sich erhoben hatte.

Noch während der Samurai gluckernd zu Boden fiel, ergriff Yoshimaru das Katana des Mannes, entwand es seinem Griff, und ging auf den zweiten Angreifer los. Er täuschte einen Hieb von rechts an, den der Samurai abblocken wollte. Doch in letztem Moment zog Yoshimaru sein Schwert zurück, vollführte eine tollkühne Drehung und stand somit hinter seinem Gegner. Das Schwert hatte er bei der Drehung rotieren lassen, und hielt es nun mit der Klinge nach unten. Er hob seine Arme und stieß mit dem Schwert zu. Die Klinge ging knapp an seiner Taille vorbei und durchbohrte den Rücken seines Gegners, der daraufhin leblos zu Boden ging.

Yoshimaru ließ das Katana fallen und regte sich nicht.
 

Am nächsten Morgen ging eine blutrote Sonne am Horizont auf. Yoshimaru hatte die Leichen der Leute aus dem Dorf beerdigt und ihnen eine kurze Andacht gehalten. Die Körper der beiden Samurai hatte er verbrannt. Nur ein Stück eines Wappenrocks, die goldene Libelle, hatte er aufgehoben und in seinen Kimono gesteckt.

Er stand vor Yuukas Grab und hielt eine blühende Blume in der Hand.

„Ich werde deinen Tod rächen, Yuuka-Chan. Das schwöre ich bei meinem Leben.“, er lies die Blume auf das Grab fallen, „Und dann werde ich wiederkommen, und dir ins Jenseits folgen.“

Eine letzte Träne rann über seine Wange als er sich umdrehte und Yuukas breiten Strohhut aufsetzte. Er trug die Schwerter seines Meisters, da er nie selbst welche besessen hatte.

Dann machte er sich auf den Weg, die Mörder seines Senseis und seiner Geliebten zu finden. Und dank dem Stück Stoff, was er den Angreifern abgenommen hatte, wusste er auch genau, wo er anfangen musste, zu suchen.

Das Zwitschern der Vögel weckte Hideto aus der tiefen Finsternis. Zittrig öffnete er seine Augen – und blickte in die Grimasse eines Monsters! Riesige rote Augen blickten ihn an und ein Maul mit langen, scharfen Zähnen öffnete sich vor seinem Gesicht.

Erschrocken richtete sich Hideto auf, Schmerz durchzuckte seinen Körper und er fiel wieder flach auf den sandigen Boden. Geschwind rollte er sich auf die Seite und blickte dem Ungetüm entgegen.

Vor ihm saß ein Flughörnchen und sah ihn forschend an. Es legte den Kopf zur Seite und wackelte mit seiner kleinen Nase und den langen Schnurrbarthaaren.

Unweigerlich musste Hideto lachen. Er rollte sich auf den Rücken und blickte in den hellblauen Himmel, an dem ein paar weiße Quellwölkchen vorüber zogen. Er schloss seine Augen und genoss den leichten Wind der über ihn hinweg wehte.

Plötzlich brach die Erinnerung wie ein Fluss aus flüssigem Feuer über ihn herein. Der Überfall, die Schlacht, Wada… seine Angreifer!

Hastig richtete er sich auf, ohne auf seine schmerzenden Muskeln zu achten und sah sich um. Wenige Meter links und rechts von sich sah er je eine Leiche liegen. Wuchtige Schwerthiebe hatten ihre Körper verstümmelt und die Köpfe von den Rümpfen getrennt. Beide lagen in einer großen Lache ihres eigenen Blutes. Fieberhaft versucht sich Hideto daran zu erinnern, was geschehen war. Doch so sehr er sich auch anstrengte, das letzte was ihm einfiel war, wie er von den zwei Männern umzingelt worden war. Dann hörte er diesen Schrei und danach war alles weg. Doch wer hatte diese Samurai getötet? Wer hatte ihm das Leben gerettet und war einfach verschwunden? Schon bald bekam er Kopfschmerzen vom ganzen Nachdenken und er entschied sich, es lieber bleiben zu lassen. Eine logische Erklärung schien es ohnehin nicht zu geben.

Hideto ließ seinen Blick über die umliegenden Hügel schweifen und erblickte den großen, qualmenden Haufen Asche, der gestern noch die Kaserne war, in der er ausgebildet wurde. Mühselig schleppte er sich den Gras bewachsenen Abhang hinauf, auf die Wiese vor dem Tor. Die Halme waren von den vielen Füßen zertreten worden. Flecken brauner Erde schimmerten durch das frische Grün. Die weißen, irdenen Mauern der Kaserne hatten schwarze Flecken, die Wachtürme waren heruntergebrannt.

Hideto schritt durch das zersplitterte Tor und blieb auf der Schwelle stehen. Was er sah, ließ heftige Übelkeit in ihm aufsteigen. Alle Gebäude waren bis auf die Grundsteine niedergebrannt. Mitten auf dem Platz war ein riesiger, schwarzer Haufen, von dem immer noch Rauch aufstieg. Aus diesem Berg ragten einige braun-schwarze Hände und Füße, sowie ein paar abgebrochene Speere.

Überwältigt von diesem schrecklichen Anblick drehte sich Hideto um und erbrach an die Mauer. Als er sich vorüber beugte, hing ihm ein kleiner brauner Anhänger vor dem Gesicht. Wadas Glücksbringer. Er umfasste ihn und Tränen sammelten sich in seinen Augen.

Er brauchte einige Minuten, bis er sich wieder gefasst hatte. Er erhob sich und steckte das Amulett unter seinen Kimono.

Hideto schwor sich in diesem Moment, herauszufinden, wer für dieses Massaker verantwortlich war und diesen zur Rechenschaft zu ziehen. Er würde nicht eher ruhen, eh er diesen Schwur wahr gemacht hatte.
 

Die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden und die Hitze des Tages war einer angenehmen Kühle gewichen. Hideto lief an einigen Reisfeldern vorüber auf ein kleines Dorf zu, das den Namen Imazaki trug, eine kleine Ansammlung von Häusern. Doch eines davon, das wusste Hideto, war ein Gasthaus in dem er Essen und eine Unterkunft für die Nacht finden konnte.

Er hatte sich einen langen Stock gesucht, auf den er sich beim gehen stützte, da seine Muskeln immer noch schmerzten.

Als er das Gasthaus des Dorfes erreichte, war die Stunde des Ebers bereits angebrochen. Hideto hatte mehrere Pausen machen müssen, da seine Füße ihn einfach nicht mehr hatten tragen wollen. Als Hideto vor dem alten Fachwerkhaus mit Stroh gedecktem Dach stand, konnte er sich vor Erschöpfung kaum mehr auf den Beinen halten. Auf seinen Stab gestützt taumelte er durch den kurzen kobaltblauen Vorhang auf dem in weißen Schriftzeichen der Name des Gasthauses stand und fand sich in einem kargen Foyer wieder, an den ein langer Flur anschloss. Links und rechts des Durchgangs waren einzelne, mit Trennwänden voneinander abgeschiedene Zimmer. Aus manchen Zimmern schimmerte das gelbliche Licht einer Kerze und der Gestank von abgestandener Luft und Urin stieg Hideto in die Nase.

Plötzlich öffnete sich zu seiner Linken eine Schiebetür und ein kleiner grauhaariger Mann in den Fünfzigern tippelte auf den Flur. Er trug einen kurzen blauen Kimono und ein geflochtenes Strohband um den Kopf.

„Wie kann ich euch zu diensten sein, Herr?“, fragte er in freundlichem Tonfall, der seine Müdigkeit nicht verbergen konnte. Verschlafen rieb sich der Alte ein Auge und sah Hideto fragend an.

„Ich hätte gerne ein Zimmer für dich Nacht und eine Mahlzeit.“, erwiderte Hideto erschöpft. Er öffnete einen kleinen Beutel, den er an seiner Schärpe trug und gab dem Vermieter einige Münzen in die Hand. Dieser ließ seinen Blick nur kurz über die Bezahlung wandern und ließ sie dann in seiner Kimonotasche verschwinden.

„Gern, Herr. Wenn ihr mit bitte folgen würdet.“, der Mann lief mit schnellen kleinen Schritten über den Flur, blieb dann abrupt stehen, drehte sich nach rechts und schob eine mit Papier bespannte Schiebetür auf. Mit einer einladenden Geste verkündete er: „Dieses Zimmer ist frei, Herr Samurai. Euer Mahl werde ich euch gleich bringen lassen.“

Hideto bedankte sich kurz und ging dann in das Zimmer, was ebenso spärlich eingerichtet war, wie das Foyer. Ein einfacher Futon lag auf abgelaufene Tatamimatten, welche den Boden bedeckten. An der linken Wand stand ein kleiner grober Holztisch mit einer Schale Wasser und einer Kerze. In der Wand, die der Tür gegenüber lag, befand sich ein kleines Fenster auf Augenhöhe.

Hideto ließ sich auf den Futon sinken und schloss die Augen. Außer den Grillen, die vor dem Fenster zirpten, herrschte Stille, die er genoss, als wäre sie das kostbarste Gut auf Erden. Nach einigen Momenten hörte er ein leises Räuspern vor der Tür, die gleich daraufhin aufgeschoben wurde und eine Frau rutschte auf den Knien über die Türschwelle ins Zimmer. Sie trug ebenfalls einen einfachen blauen Kimono und ein Band um den Kopf. Auch ihr Alter musste etwa dem des Herbergenbesitzers entsprechen. Hideto mutmaßte, dass dies seine Frau war. Als sie die Tür hinter sich schloss, lief gerade ein anderer Gast des Hauses vorbei, den Hideto im Vorbeigehen nur schemenhaft erkannte.

Bedächtig schob die Frau ein Tablett neben den Futon und verbeugte sich.

„Euer Mahl, Herr.“, flüsterte sie bevor sie ebenso unscheinbar wieder verschwand, wie sie hineingekommen war.

Eilig verschlang Hideto sein Abendessen: Sashimi, Reis und eingelegtes Gemüse, dazu grünen Tee. Dann ließ er sich wieder rücklings auf den Futon fallen und noch bevor er über den Tag nachdenken konnte, war er in einen tiefen, traumlosen Schlaf versunken.
 

Als Hideto wieder erwachte, tanzten feine Staubkörner in durch die Papierfenster fallende Lichtstrahlen. Vor dem Fenster hörte er Menschen, die sich unterhielte, ohne Genaues zu verstehen.

Ausgeruht erhob sich Hideto und bemerkte erfreut, dass sich seine Muskeln erholt hatten. Nur die Schulterwunde machte ihm noch etwas zu schaffen. Er zog sich seinen Wappenrock über, steckte seine Schwerter in die Schärpe und machte sich auf den Weg, das Gasthaus zu verlassen.

Auf dem Flur begegnete er dem Herbergenbesitzer, von dem er sich kurz verabschiedete. Als er durch den blauen Vorhang auf die Straße trat, blendete ihn die Sonne, sodass er sich die Augen mit der Hand abschirmen musste, um etwas zu erkennen.

Vor der Herberge herrschte ein reges Treiben. Leute unterhielten sich, Kinder spielten auf der Straße und Ochsenkarren transportierten Waren zu den Händlern oder Kunden. Doch Hideto hatte keine Zeit mehr, sich auszuruhen. Er musste herausfinden, wer für den Angriff auf die Kaserne verantwortlich war. Doch wo sollte er seine Suche beginnen?

Die Angreifer hatten das Wappen des Fürsten Niu getragen, doch konnte Hideto nicht einfach in den Palast des Lehnsherren gehen und diesen dazu befragen. Doch was blieb ihm anderes übrig, als es zu versuchen? Bis zur Burg des Fürsten mussten es etwa fünf Tage Fußmarsch sein. Ein Grund mehr, sich sofort auf den Weg zu machen, zumal Hideto kein Pferd besaß, was die Reisezeit mehr als halbiert hätte.

Hideto folgte der Straße Richtung Süden aus dem Dorf heraus. Mehrere reisende Händler und Pilger benutzte diese Straße, die geradewegs ins Zentrum der Provinz führte. In Regelmäßigen Abständen gab es hier Gasthäuser, in denen die Reisenden Unterkunft und Nahrung fanden. Ohne genau sagen zu können wieso, fühlte sich Hideto verfolgt. Als würde ihn ein stetiger Schatten begleiten, den er weder sehen, noch anfassen konnte. Wenn er sich umdrehte, erblickte er Bauern, Händler, Lastenträger. Niemanden Verdächtiges. Doch sein Gefühl sagte ihm, dass da jemand oder etwas war.
 

Seit der Zerstörung des Dorfes war Yoshimaru schon etwa sieben Tage unterwegs. Er durchstreifte das Land ohne Weg und ohne Ziel, schlief unter Bäumen und aß, was die Natur hergab.

Wenn er einem Soldaten mit der goldenen Libelle auf dem Wappenrock begegnete, war er diesem immer unauffällig gefolgt und hatte ihn bei einer guten Gelegenheit angegriffen. Leider schien keiner der Männer, die Yoshimaru auf seinem Weg getötet hatte, etwas über den Angriff gewusst zu haben. Oder sie hatten Anweisung erhalten, auf Gedeih und Verderb zu schweigen.

Am Vortag hatte Yoshimaru ein kleines Dorf erreicht. Von dem Geld, was er seinen Opfern abgenommen hatte, kaufte er sich etwas zu Essen und einen weiten Mantel, um seine Schwerter zu verstecken, als er wieder einen dieser gemeinen Meuchelmörder erblickte. Dieser Mann war keine zwanzig Jahre als, ein junger Samurai, wie seine beiden Schwerter an der Hüfte bewiesen. Er trug einen schmutzigen und angekokelten Wappenrock mit der Goldenen Libelle. Er hatte müde ausgesehen und seine Haltung verriet, dass er eine Wunde an der rechten Schulter haben musste. Ein Umstand, der ihn zu einer leichten Beute machen würde.

Als der Fremde in einem Gasthaus Unterkunft suchte, wartete Yoshimaru eine Weile, bevor er selbst ebenfalls ein Zimmer in dieser Herberge mietete. Er bat den Besitzer, ihn wissen zu lassen, wenn der junge Samurai mit der goldenen Libelle das Gebäude verließ und drückte dem alten Mann für diesen Gefallen einige Münzen in die Hand.

Die Gier in den Augen des kleinen Alten verriet Yoshimaru, dass er für Geld alles tun würde. Und da er selbst den Wert des Geldes nicht kannte, war es ihm egal, was er diesem bestechlichen Menschen zahlte.

Am nächsten Morgen hatte der Herbergenbesitzer an Yoshimarus Zimmertür geklopft und ihn von dem Aufbruch des Samurai in Kenntnis gesetzt. Gleich darauf war auch Yoshimaru auf dem Weg Richtung Süden unterwegs. Wie er jemandem folgte, ohne entdeckt zu werden, wusste er ganz genau. Er verstand es vortrefflich, mit der Menge der Reisenden zu verschmelzen und kein Aufsehen zu erregen. Nun musste er nur noch auf die passende Gelegenheit warten, sein Opfer anzugreifen.

Zur selben Zeit, in der Provinz Kaga, an einer Nudelküche an der Straße zwischen Imazaki und Kanazawa, wo sich die Burg des Fürsten Niu befand
 

Hotaru-Chan!“, brüllte Onkel Kenta aus der Küche, einem Raum, der im hinteren Teil des Gebäudes gelegen war, „Die Gäste warten auf ihr Essen! Beweg deinen Hintern her!“

Hotaru kam in die kleine Küche geeilt und nahm ein Tablett mit mehreren Schüsseln Miso-Suppe entgegen.

„Tut mir leid, Onkel Kenta. Ich musste noch…“, doch der massige Mann mit dem kurzen grauen Haar schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.

„Das ist mir egal! Und nun bedien die Gäste!“, fuhr er sie an.

Eilig verbeugte sich Hotaru und huschte hinaus in den Raum, in dem die Gäste saßen. Es war nur ein kleines Lokal, mit drei niedrigen Tischen, an die man sich knien konnte. Vor der Tür, in der ein kurzer blauer Vorhang hing, befand ich eine Veranda, auf der ebenfalls Gäste Platz nehmen konnten.

Hastig schaute Hotaru umher und suchte nach den Kunden, die drei Suppen bestellt haben könnten. In einer Ecke sitzend erblickte sie drei Männer mit kurzen schmutzigen Kimonos und kurz geschorenen Haaren. Hotaru verbeugte sich eilig und stellte das Tablett auf den kleinen Holztisch.

„Was soll das sein, Weib?“, schnauzte einer der Männer, „Wir hatten drei mal Ramen bestellt!“

„Verzeiht, meine Herren. Ich bringe euch sofort euer Mahl.“, entschuldigte sich Hotaru verlegen und sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Sie drehte sich gehetzt um, wobei sie prompt mit ihrem Kimono am Tisch hängen blieb und aus dem Gleichgewicht geriet. Sie fiel der Länge nach hin, das Tablett flog im hohen Bogen durch den Raum und die Schüsseln verteilten ihren Inhalt auf dem sandigen Boden, als sie beim Aufprall zersprangen.

„Hotaru-Chan?“, hallte die wütende Stimme Onkel Kentas aus der Küche, „Hast du wieder etwas fallen gelassen?“

Eilig sammelte sie die Scherben zusammen, legte sie auf das Tablett und brachte die Sachen nach hinten in die Küche.

„Es tut mir Leid, Onkel Kenta.“, sagte die leise und hielt den Kopf vor Scham gesenkt. Als sie keine Reaktion bekam, hob sie ihr Gesicht und fing sich eine schallende Ohrfeige ein.

Eine Hand auf die schmerzende Wange gedrückt, verbeugte sich kurz und nahm dann die Schalen mit Ramen auf, um diese nach vorn zu bringen.

„Das waren die 7., 8. und 9. Schüssel diesen Monat! Das wirst du von deinem Gehalt bezahlen.“, rief Onkel Kenta hinterher.

Als Hotaru den drei Männern ihre Schüsseln mit Ramen hinstellte, zitterte sie vor innerer Anspannung so sehr, dass sie etwas von dem Essen auf den Tisch kleckerte.

„Verzeiht, Herr“, flüsterte sie und zog sogleich einen Lappen auf ihrer Schärpe um den Fleck zu entfernen. Doch dazu kam sie nicht. Einer der Männer stand ruckartig auf und schubste Hotaru zur Seite.

„Du dummer kleiner Tollpatsch!“, schrie er sie an, „Das wirst du bereuen! Ich werde die ein paar Manieren beibringen!“

Er holte mit der Hand aus und wollte gerade auf Hotaru einschlagen, als eine Männerstimme ertönte.

„Man kann niemandem Manieren beibringen, wenn man selbst keine hat.“
 

Hideto erreichte eine kleine Nudelküche an der Straße nach Kanazawa, wo sich die Burg des Lehnsherren befand. Er setzte sich auf die Veranda und genoss die Ruhe und den Frieden als er plötzlich ein lautes Krachen aus dem Gebäude vernahm.

Neugierig geworden, begab er sich hinein und erblickte eine junge Kellnerin, die ihr Tablett fallen gelassen hatte und nun dabei war, die Scherben zusammenzusammeln. Kurz darauf verschwand sie in der Küche und Hideto nahm in einer Ecke des Lokals Platz. Kurze Zeit später kam das Mädchen mit neuem Essen zurück.

Hideto hätte das Mädchen gern als attraktiv bezeichnet, hätte ihre Wange nicht rot geleuchtet wie eine Mohnblüte. Sie hatte schwarzes Haar, dass sie sich am Hinterkopf hochgesteckt hatte. Ihr Pony war fransig und zur Seite gekämmt. Ihr Gesicht wurde von zwei langen Strähnen umrandet, die ihr bis auf die Schultern hingen. Sie trug einen rosa farbenden Kimono mit einem helleren Blumenmuster und eine dunkelbraune Schärpe.

Hideto konnte nicht verstehen, was sie zu den Männern sagte, denen sie ihr Essen brachte, doch plötzlich erhob sich einer von ihnen und stieß das Mädchen zu Boden.

„Du dummer kleiner Tollpatsch!“, schrie er sie an, „Das wirst du bereuen! Ich werde die ein paar Manieren beibringen!“

Zwar wollte sich Hideto nicht in die Angelegenheiten Fremder einmischen, doch wollte er auch nicht zusehen müssen, wie dieses arme Mädchen geschlagen wurde.

„Man kann niemandem Manieren beibringen, wenn man selbst keine hat.“, rief er durch das Lokal.

Der Mann blieb mitten in der Bewegung stehen und sah zu Hideto hinüber.

„Misch dich nicht ein, Rônin!“, blaffte er Hideto an.

„Wenn du sie schlägst, bekommst du es mit mir zu tun.“, drohte Hideto und erhob sich.

„Das werden wir vor der Tür regeln.“, sagte der Mann mit einem siegessicheren Grinsen auf dem Gesicht, „Kommt mit.“, befahl er seinen beiden Kumpanen.

Beim rausgehen sah Hideto das Mädchen noch einmal an. Sie blickte ihm dankbar entgegen und brachte ein gequältes Lächeln zustande.

Als Hideto durch den Vorhang auf die Straße schritt, warteten die drei Männer bereits auf ihn.

„Noch hast du die Wahl, Rônin!“, rief einer der Kerle, „Noch kannst du kneifen.“

Doch Hideto dachte nicht daran, „Mit euch werde ich noch leicht fertig.“, erwiderte er.

Langsam sammelte sich eine Menschenmenge – Schaulustige, die sich den Kampf ansehen wollten.

„Dann mal los, ich hab nicht de ganzen Tag Zeit.“, sagte Hideto herausfordernd und nahm seine Kampfposition für einen unbewaffneten Kampf ein.

Sein Gegner rannt wild schreiend auf ihn zu und zielte mit der Faust auf Hidetos Gesicht. Dieser wich knapp aus und bemerkte dabei etwas Funkelndes an der Hand des Angreifers. Geschickt duckte sich Hideto unter einem Tritt seines Widersachers hindurch und wich ein Stück zurück.

„Angst, Rônin?“, fragte der Mann grinsend.

„Nein, aber ich dachte, wir kämpfen unbewaffnet.“, entgegnete Hideto kühl.

Die Gesichtszüge des Mannes verzogen sich zu einer wütenden Fratze.

„Glaubt nicht, ich hätte euer Suntetsu nicht bemerkt.“, sagte Hideto. Ein Suntetsu ist ein kleiner, spitzer Metallstift, der mit einem Ring an einem Finger gefestigt werden kann. Eine Geheimwaffe, die der Gegner erst bemerkte, wenn er bereits getroffen war.

Der Mann schnaubte verächtlich und ging wieder zum Angriff über.

Geschickt ergriff Hideto das Handgelenk des Mannes mit der rechten Hand, drehte sich links herum und stand somit mit seinem Rücken vor der Brust des Gegners. Er stieß seinen linken Ellenbogen mit Wucht nach hinten und traf die Rippen des Mannes, der daraufhin nach Luft schnappend zu Boden ging.

„Und dieses Spielzeug ist nichts für einen Streithahn wie euch.“, sagte Hideto laut genug, dass ihn die Menge an Zuschauern hören konnte, und trat dem am Bogen kauernden Mann auf die rechte Hand, in der er sein Suntetsu versteckte.

Er schrie auf und öffnete die Finger, sodass jeder die Geheimwaffe sehen konnte. Hideto nahm sie dem Mann ab und steckte sie in seine Schärpe.

„Und nun will ich euch nicht wieder sehen. Macht, dass ihr wegkommt.“, sagte er triumphierend und machte sich auf den weg zurück in die Nudelküche.

Doch die beiden Begleiter des Mannes hatten andere Pläne. Der Eine zückte einen Dolch, der Andere ein Katar, eine Waffe die aus einem Griff mit einer breiten Klinge bestand, die häufig wegen ihrer Genauigkeit Flexibilität von Attentätern benutzt wurde, und stürmten auf Hideto zu.

Doch dieser machte drehte sich rechtzeitig um, zog sein Schwert und wehrte mit einem Hieb den Dolch ab und schnitt dem Mann mit dem Katar die Hand ab. Beide Angreifer fingen an zu schreien, sahen einander an und machten sich aus dem Staub.

Zwar hatte Hideto nicht vorgehabt, diese Männer so stark zu verletzen, doch er hatte keine andere Wahl gehabt, wenn er am Leben bleiben wollte. Hideto steckte sein Katana zurück in die Scheide und begab sich in das Esslokal, wo das Mädchen schon auf ihn wartete.
 

Einen Mann wie diesen hatte Hotaru noch nie gesehen. Natürlich waren schon viele Rônin hier gewesen, doch keiner hatte sie auch nur eines Blickes gewürdigt, geschweige denn, sich für sie eingesetzt.

Und dieser Mann war nicht einmal unattraktiv. Er hatte ein hübsches Gesicht und lange schwarze Haare, die er zu einem Zopf gebunden trug. Der Pony war nicht lang genug, um mit eingebunden zu werden und deshalb hing dieser fransig vor dem Gesicht des Mannes. Auf seinem Wappenrock trug er eine goldene Libelle, das Zeichen des Provinzfürsten, wie Hotaru wusste. War dieser Mann doch kein Rônin?

„Was darf ich euch bringen, Herr?“, fragte sie ihn schüchtern, „Es geht selbst verständlich auf Kosten des Hauses.“

Sie schenkte ihrem Helden ein freudiges Lächeln und vergaß dabei schon fast den ganzen Stress, den sie eben noch hatte.

„Eine Miso-Suppe, bitte.“, antwortete der Fremde und erwidert ihr Lächeln.

Überglücklich hopste Hotaru in die Küche um das Essen zu holen.

Doch als sie zurückkam, fiel ihr vor Schreck das Tablett zu Boden und die 10. Schüssel für diesen Monat zersprang in tausend Einzelteile.
 

Yoshimaru saß unter einem Baum gegenüber der Nudelküche, als plötzlich drei Männer laut lachend heraus auf die Straße traten. Ihnen folgte der Samurai mit der goldenen Libelle auf dem Wappenrock.

Während eines kurzen Wortwechsels, den er nicht verstehen konnte, sammelte sich eine Menschenmenge um die vier Personen. Auch Yoshimaru erhob sich und mischte sich unter die Leute um zu sehen, was dort vor sich ging. Als er erkannte, dass es sich um eine Schlägerei handelte, hatte der Kampf bereits begonnen.

Der Samurai mit der Libelle wich geschickt einem Faustschlag aus und duckte sich unter einem Tritt hinweg.

„Angst, Rônin?“, fragte der Angreifer und grinste seinen Gegner siegessicher an.

„Nein, aber ich dachte, wir kämpfen unbewaffnet.“, antwortete der Samurai, „Glaubt nicht, ich hätte euer Suntetsu nicht bemerkt.“

In diesem Moment fiel auch Yoshimaru der kleine, glänzende Stachel in der Hand des Mannes auf, der sofort wieder nach dem Samurai schlug. Doch der Kampf dauerte nicht lange. Der Samurai trickste seinen Gegner aus und schlug ihn mit seinem Ellenbogen KO. Als er sich auf den Weg zurück in das Lokal machte, griffen ihr noch zwei Männer an, die er mit einem gekonnten Schwerthieb in die Flucht schlug.

Trotz seines Hasses auf alle Krieger, die dieses Wappen trugen, kam Yoshimaru nicht umhin, Bewunderung für den Kampfstil dieses Mannes zu empfinden.

Der Samurai betrat das Gebäude und die Menge löste sich auf.

Nun war die passende Gelegenheit gekommen, diesen Mann herauszufordern. Yoshimaru betrat ebenfalls die Nudelküche.
 

Die niedliche Kellnerin bot Hideto an, die Zeche für seine Suppe zu übernehmen, als Dank dafür, dass er sie vor diesen Rüpeln beschützt hatte. Dankend nahm er dieses Angebot an, da er leider nicht mehr viel Geld in seinem Beutel hatte.

Das Mädchen machte sich lächelnd auf den Weg in die Küche, um Hidetos Miso-Suppe zu holen. Doch plötzlich bemerkte Hideto eine Person vor dem Eingang der Nudelküche. Ihr Kopf wurde von dem blauen Vorhang verdeckt, sowie der Körper in einen weiten Umhang gehüllt war. Etwas Bedrohliches ging von dieser Person aus. War dies sein unsichtbarer Verfolger oder gehörte er zu den Männern, die er soeben besiegt hatte.

„Seid ihr ein Freund dieser Raufbolde und wollt mich herausfordern? Oder haben sie euch bezahlt, mich zu töten?“, fragte Hideto gerade heraus.

„Weder noch.“, erwiderte der Mann, als er durch den kurzen Vorhang trat. Ein breiter Strohhut verdeckte immer noch sein Gesicht, so dass Hideto ihn nicht identifizieren konnte.

„Was ist dann euer Begehr?“, wollte Hideto wissen. Er versuchte vergeblich in der Finsternis unter dem Hut etwas zu erkennen.

„Nur das Blut derer, die mein Leben zerstört haben.“, antwortete der Fremd und senkte dabei seine Stimme zu einem bedrohlichen Flüstern. Und ohne weitere Worte zog er ein Katana unter seinem weiten Mantel hervor und attackierte Hideto.

Hideto sprang behände an die Seite und sah zu wie das Schwert des Fremden den Tisch spaltete, an dem er eben noch gesessen hatte. Nun zog auch Hideto seine Waffe und schlug nach seinem Angreifer, der den Hieb scheinbar mühelos passierte. Sie hielten die Schwerter gekreuzt und sahen sich gegenseitig in die Gesichter.

Plötzlich ertönte ein lautes Klirren und Hideto sah Richtung Küche, wo er die Kellnerin erblickte, die ihr Tablett fallen gelassen hatte und ihn fassungslos ansah.

Der Fremde ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen und löste sich aus der festgefahrenen Kampfstellung. Er sprang mit einem Fuß an die Wand, stieß sich weit nach oben ab, vollführte einen eleganten Salto und hieb dabei nach Hidetos Kopf.

Dieser konnte sich gerade noch unter dem tödlichen Schlag hinwegducken, bevor er in die Knie ging und nach dem Ort schlug, an dem der Fremde landen würde. Doch dieser stieß hielt sich an einem Deckenbalken des alten Hauses fest und schwang sich auf die andere Seite des Raumes, wo er Hideto nun wieder gegenüberstand.

Hideto war erschöpft, sein Atem ging schwer. Schweiß lief ihm über die Stirn und die Stichwunde in seinem Oberarm schmerzte wieder. Lange würde er diesen Kampf nicht kämpfen können. Und gegen so einen guten Schwertkämpfer hatte er noch nie gefochten.

Wieder attackierte der Fremde mit dem Strohhut. Es fand ein wirrer Schlagabtausch zwischen den Beiden statt bei dem sie nach und nach das Lokal in Stücke zerlegten.

Der Koch war wütend aus der Küche gekommen und hatte Hotaru für den Lärm verantwortlich gemacht. Doch als er die beiden Kämpfenden sah, suchte er schnell das Weite.

Nur Hotaru stand noch mit weit aufgerissenem Mund am Rande des Raumes und sah den Beiden sprachlos zu.

„Wieso greifst du mich an?“, brachte Hideto stöhnend hervor, „Was habe ich mit deinem Leben zu tun?“

„Du erinnerst dich bestimmt an das Dorf in den Bergen?“, stieß der Fremde hervor und machte einen horizontalen Schlag quer durch den Raum.

„Nein, welches Dorf?“, fragte Hideto, als er sich unter diesem Hieb hinwegduckte.

„Das Dorf…“, antwortete der Mann mit dem Strohhut und schlug von Oben auf Hideto ein, „…das du und deine Leute vor sieben Tagen niedergebrannt habt!“

„Ich und…“, Hideto wich einem Hieb aus und parierte einen anderen, „meine Leute? Bist du etwa der Tsuchigiri, der so viele Samurai des Niu-Clans getötet hat?“

„Ein paar habe ich schon erledigt.“, keuchte er, offensichtlich auch erschöpft vom Kampf, „Und du bist der Nächste.“

Er schlug mit aller Kraft auf Hidetos Schwert. Greller Schmerz durchzockte dessen Schulter und er ließ den Griff seiner Waffe los, die daraufhin klirrend auf dem Boden landete. Der Fremde hielt Hideto die Spitze seines Schwertes an die Kehle.

„Irgendwelche letzten Worte?“, fragte er und sah Hideto mit hasserfüllten Augen an, „Zum Beispiel wer der Kommandant bei dem Überfall war?“

„Ich weiß von keinem Überfall auf ein Dorf.“, antwortete Hideto, Schweiß lief ihm über die schmutzige Stirn, „Ich bin selbst auf der Suche nach einem Mörder!“

„So? Und da legt ihr einfach ein ganzes Dorf in Schutt und Asche um ihn zu finden?“, keuchte der Mann mit dem Strohhut.

„Nein.“, entgegnete Hideto, als er spürte, wie der kalte Stahl des Katana seinen Hals berührte, „Ich suche nach dem Kommandant eines kleinen Heeres, das gestern unweit von hier die Kaserne, in der ich stationiert war, überfallen und niedergebrannt hat.“

Hideto bemerkte das Erstaunen in den Augen seines Gegners, dennoch ließ dieser nicht locker.

„Na und?“, fragte er wütend, „Die Männer die mein Dorf überfallen haben, trugen dieses Wappen.“, er griff mit der freien Hand in seinen Kimono und holte ein dreckiges Stück Stoff heraus. Als er diesen Fetzen ausbreitete, erkannte Hideto die goldene Libelle. Nun war auch er erstaunt.

„Die Männer, die die Kaserne überfallen haben, trugen ebenfalls das Wappen des Fürsten.“, erklärte Hideto atemlos.

„Wieso sollte ich dir das glauben?“, der Fremde zog sein Schwert ein Stück zurück und wollte gerade zustechen.

„HÖRT AUF!!!“, schrie die Kellnerin schrill, „Kannst du eigentlich keine fünf Minuten ohne dich zu duellieren?“

Verwirrt starrten Beide das Mädchen an. Doch Hideto ergriff die Gelegenheit beim Schopfe und zog sein Kurzschwert mit dem er die Klinge des Fremden von sich stieß.

„Nicht schlecht.“, bemerkte dieser und schob seinen Strohhut etwas nach oben, um mehr sehen zu können.

Plötzlich stieg Hideto der Geruch von Öl in die Nase. Auch sein Gegner schien es bemerkt zu haben, denn auch er schaute sich verwirrt um. Vor dem Eingang entdeckte Hideto den Mann, dem er den Suntetsu abgenommen hatte. Er hielt eine Öllampe in der Hand.

„Brennt!!!“, schrie er und seine Stimme überschlug sich. Er warf die Lampe zu Boden und im Nu stand das ganze Gebäude in Flammen.

„Diese Bastarde müssen Lampenöl um das ganze Haus gegossen haben!“, bemerkte der Fremde.

„Nichts wie raus hier!“, rief Hideto. Doch dann fiel ihm die Kellnerin ein. Er musste sie retten. Der Qualm war mittlerweile so dicht geworden, dass Hideto kaum mehr sehen konnte. Er steckte sein Katana weg und hielt sich eine Hand vor den Mund.

„Fräulein Kellnerin?“, rief er, doch er erhielt keine Antwort.

„Wo ist sie?“, hörte er den Fremden fragen.

„Was geht dich das an?“, hakte Hideto nach und trat nach seinem Gegner, der daraufhin in die Knie ging.

„Dir wird ich’s zeigen!“, stieß dieser hervor und griff nach Hidetos Beinen, der ebenfalls auf den Boden fiel. Die Beiden fingen an sich zu prügeln und verkeilten sich ineinander. Der Rauch wurde immer dichter und brennende Teile des Daches fielen auf sie herunter.

„Wenn wir nicht fliehen, gehen wir beide drauf!“, keuchte Hideto und verdrehte seinem Gegner die Hand.

„Dann nehme ich dich wenigstens mit in die Hölle!“, antwortete der Mann atemlos und versuchte Hideto zu würgen.

Mehr und mehr glühendes Stroh regnete auf sie herab, als sie plötzlich einen kalten Schwall Wasser abbekamen. Verwirrt sahen sie beide auf und entdeckten die Kellnerin, die in der Hintertür stand und einen Holzeimer in den Händen hielt.

„Wollt ihr jetzt hier raus oder was?“, fragte sie in anklagendem Ton.

Ausgerechnet ein Mädchen muss und das Leben retten…“, keuchte der Samurai.

Er saß neben dem Fremden und Hotaru an einem kleinen Fluss in der Nähe der ehemaligen Nudelküche und trank klares kühles Wasser.

Der Fremde hatte seinen Strohhut abgelegt und gewährte nun einen Blick auf sein Gesicht. Als er den Ruß abgewaschen hatte, erkannte Hotaru endlich seine Gesichtszüge. Er war ein sehr attraktiver Mann von etwa zwanzig Jahren mit ausdrucksvollen Augen und einer schönen Gesichtsform. Sein Haar war etwa eine Hand lang und nach hinten gekämmt. Sein Pony hing im wild ins Gesicht. Nun hatte sie schon zwei so attraktive Männer, die nebenbei auch noch unglaublich gute Schwertkämpfer waren, an einem Tag kennen gelernt.

„Du sagst also, die Männer, die deine Kaserne überfallen haben, trugen auch dieses Wappen?“, frage der Mann mit den kurzen Haaren.

„Ja, so ist es.“, antwortete der Samurai, „Und ich habe geschworen sie zu finden und zu töten.“

„Ich verstehe…“, entgegnete der Andere.

„Der Feind meines Feindes ist mein Freund.“, sagte Hotaru frei heraus, weil ihr dieses Sprichwort gerade durch den Kopf ging.

Beide Männer blickten sie stumm an, als hätte sie eben erst bemerkt, dass sie noch da ist. Sie spürte wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg.

„Was starrt ihr mich denn so an?“, stieß sie schließlich hysterisch hervor, „Schließlich habe ich euch beiden das Leben gerettet!“

Hotaru konnte deutlich sehen, wie die beiden Männer angestrengt nachdachten.

„Und deshalb…“, erhob sie die Stimme freudig, „…steht ihr jetzt in meiner Schuld!“

Die Beiden sahen sie fassungslos an.

„Pah…“, erwiderte der Samurai mit dem Wappenrock, „In der Schuld eines Mädchens?“

„Was ist denn euer Wunsch, junge Dame?“, fragte der Rônin mit dem Strohhut.

„Du willst das wirklich machen?“, wollte der Samurai verdutzt wissen.

„Aber natürlich.“, entgegnete der Mann mit den kurzen Haaren ernst, „Immerhin ist es eine Tatsache, dass sie uns das Leben gerettet hat.“

Hotarus anfängliche Skepsis verwandelte sich in Euphorie, als sie diese Worte hörte.

Der Samurai rümpfte die Nase und warf einen kleinen Stein in den Fluss.

„Also schön, was soll ich tun?“, fragte er widerwillig.

Hotaru brauchte nicht lange überlegen. Sie wusste schon genau, was sie von den beiden Vagabunden wollte.

„Ihr müsst mich mitnehmen auf eure Reise.“, sagte sie hoch erfreut.

„Das kommt gar nicht in Frage…“, sagte der Samurai störrisch, „Ich reise allein.“

„Ich ebenfalls.“, ergänzte der andere Mann, „Es tut mir leid.“

Jetzt blieb ihr nur noch ein Weg, die Beiden davon zu überzeugen, sie mitzunehmen.
 

Hideto traute seinen Ohren nicht, als dieses Mädchen vorschlug, ihn zu begleiten. Und dann auch noch diesen Tsuchigiri mitzunehmen… was für eine Schnapsidee.

Hideto schaute das Mädchen ernst an und plötzlich lief ihr eine Träne über die Wange und benässte ihre zarte Haut.

„Aber…“, stotterte sie mit bebender Stimme, „Ich habe doch niemanden mehr… Meine Familie kam bei einer Epidemie um und ich wuchs bei Onkel Kenta, der gar nicht mein Onkel ist und mich schlägt, auf und musste in seiner Suppenküche hart arbeiten… Und nun ist wegen euch auch noch der Platz abgebrannt, an dem ich gewohnt habe… Ihr seid es mir schuldig, euch um mich zu kümmern…“

Hideto sah sie mit aufgerissenen Augen an. Was für ein hartes Schicksal für ein Mädchen.

„Was du sagst, ist wirklich traurig und ihr habt mein tiefstes Beileid, Fräulein. Dennoch würde ich es nicht über mich bringen mit diesem Samurai zu reisen.“, sagte der Tsuchigiri ernst.

„Wie kommst du darauf, dass ich auch nur im Entferntesten mit dir Reisen möchte?“, antwortete Hideto gereizt.

„Jetzt ist aber Schluss mit der Streiterei!“, schritt die Kellnerin ein, „Ihr könnt euch doch nicht den ganzen Tag prügeln! Es wird bald dunkel und wir brauchen ein Quartier für die Nacht. Wir sollten uns beeilen zur nächsten Station an dieser Straße zu kommen, bevor es Nacht wird. Oni sollen hier in den Wäldern ihr Unwesen treiben…“

Das Mädchen schauderte und sah sich verstohlen um. Oni war die Bezeichnung für Dämonen, die Menschen Böses wollten.

„So ein Quatsch, Oni…“, spottete Hideto, „Das sind doch alles Kindermärchen.“

„Dem Stimme ich zu, wenn auch nur widerwillig.“, fügte der Rônin hinzu, „Dennoch hat das Fräulein recht. Wir sollten uns eine Herberge für die Nacht suchen. Im Freien sind wir ein willkommenes Ziel für Meuchler und Diebe.“

„Was auch immer.“, raunte Hideto und erhob sich, „Dann sollten wir uns wohl auf den Weg machen.“

„Also versprecht ihr mir, mich auf eure Reise mitzunehmen?“, fragte das Mädchen immer noch unter Tränen, „Immerhin habt ihr doch das gleiche Ziel und zwei Schwerter sind besser als eins.“

„Ja, schon gut. Eine Weile können wir ja zusammen reisen.“, erwiderte Hideto. Einerseits war ihm die Zusammenarbeit mit diesem Mann, der ihn umbringen wollte zu wider, doch er war es der Kellnerin schuldig, sein Wort als Samurai zu halten.

„Einverstanden.“, sagte der Tsuchigiri nickend, „Ich habe ohnehin den Verdacht, dass ihr keiner der Männer seid, die mein Dorf überfallen habt.“

„Hast du das auch endlich kapiert?“, grunzte Hideto verächtlich. War dieser Mann wirklich zu diesem Schluss gekommen, dass Hideto nicht der war, den er suchte oder war dies nur ein Vorwand, sich in seiner Nähe aufzuhalten um ihn bei der nächsten Gelegenheit zu töten?

„Sehr gut.“, grinste das Mädchen Hideto und den Fremden immer abwechselnd an, „Ich heiße übrigens Hotaru.“ Ihre Tränen und der traurige Gesichtsausdruck waren von ihr abgefallen wie eine Maske, die nach einer Theatervorstellung einfach abgenommen und bei Seite gelegt wurde.

„Yoshimaru.“, sagte der Tsuchigiri und senkte sittsam den Kopf als sich vorstellte.

Fragend blickten die beiden Hideto an.

„Mein Name ist Hideto.“
 

Als die Drei das nächste Gasthaus erreicht hatten, war ein Unwetter aufgezogen. Blitze zuckten über den fast schwarzen Himmel, Donner ließ die Luft beben und strömender Regen verwandelte die Fernstraße in ein gewaltiges Schlammloch. Doch das Gewitter senkte auch die unangenehm heißen Temperaturen des späten Sommernachmittages.

„Meine Sandale ist schon wieder im Matsch stecken geblieben!“, beklagte sich Hotaru schon zum gefühlten hundertsten Mal.

„Jetzt hör endlich auf, zu nörgeln, wir sind ja bald da.“, maulte Hideto, dem das ständige Gejammer der Kellnerin jetzt schon auf die Nerven ging, „Und hör doch endlich auf, dich so an diesen Kerl ranzuschmeißen.“

In der Tat hatte sich Hotaru um Yoshimaru geklammert und klebte an ihm wie seine nasse Kleidung, seit es angefangen hatte zu regnen.

Yoshimaru warf Hideto einen triumphierenden Blick zu. Natürlich mochte Hideto die nervige Kleine nicht sonderlich, doch aus irgendeinem Grund hätte er sie lieber bei sich als bei diesem Verrückten gesehen.

„Aber Yoshimaru hat doch so einen großen, breiten Hut!“, murmelte Hotaru verlegen.

Hideto konnte sich ein lautes Lachen nicht verkneifen, während Yoshimaru mit geschlossenen Augen den Kopf schüttelte.

„Seht doch, da ist eine Herberge!“, rief Hotaru so plötzlich, dass Yoshimaru in dem Schlamm ausrutschte und sich nur mit Mühe und Not auf den Beinen halten konnte.

Hotaru löste sich von ihm und stürmte durch den Platzregen auf die Veranda des Gasthauses und verschwand hinter dem kurzen kobaltblauen Vorhang, der in der Eingangstür hing. Hideto und Yoshimaru folgten ihr eilig in das trockene Foyer des Hauses, in dem sie eine kleine, unsetzte Frau mit einem Kopftuch begrüßte. Sie hatte ein zerknittertes Gesicht und sehr schmale Augen. Die Herberge machte einen sauberen aber ziemlich leeren Eindruck.

„Guten Abend, wir suchen ein Quartier für die Nacht.“, sagte Hotaru freundlich, „Und eine Mahlzeit.“

„Sehr gern, die Herrschaften.“, erwiderte die Gastwirtin, „Wie viele Zimmer benötigen Sie?“

Die alte Frau sah jeden der Reisenden einmal an, als versuche sie zu erkennen, in welcher Beziehung sie zueinander standen.

„Jeder ein eigenes Zimmer.“, antwortete Hotaru und drehte sich zu Hideto und Yoshimaru um, „Wie viel Geld habt ihr noch?“

Hideto wühlte in seinem Beutel, Hotaru zog ihren aus ihrem Kimono und auch Yoshimaru durchsuchte seine Schärpe. Dann hielten alle drei ihre offenen Hände zusammen.

„Also ich habe ein Rio.“, erklärte Hotaru stolz und schaute dann in die Hände ihrer Begleiter, „Nur ein paar Momme?“, fragte sie an Hideto gewandt.

„Mehr hab ich nicht mehr. Mein Sold war sehr niedrig und den Rest habe ich für eine Herberge in Imazaki ausgegeben.“, antwortete Hideto mürrisch. Für ein paar Momme bekam man kein Zimmer.

„Und was soll das, Yoshimaru?“, fragte Hotaru erstaunt mit geweiteten Augen.

Yoshimaru hielt in seiner Hand drei Eicheln und einen kleinen Stein.

„Mehr habe ich nicht. In meinem Dorf gab es kein Geld und das Wenige, was ich erbeutet hatte, musste ich ebenfalls für die Herberge in Imazaki ausgeben.“, beteuerte er mit ernstem Blick.

„Na wunderbar. Was für ein Hinterweltler…“, stöhnte Hotaru, „Also für das Bisschen bekommen wir nicht einmal zwei Zimmer…“

„Mit dem Meuchler schlafe ich nicht in einem Raum! Der ersticht doch seine Feinde von hinten.“, warf Hideto Yoshimaru vor.

„Ich zeige dir gleich, was ich mit meinen Feinden mache!“, erwiderte Yoshimaru ruhig.

„Schluss jetzt! Ihr habt versprochen, euch zu vertragen!“, schritt Hotaru wütend ein, „Außerdem will ich mein Zimmer garantiert mit keinem von euch beiden teilen. Ich bin eine Dame und ihr schmutzige, herumziehende Rônin.“

„Sind sich die Herrschaften einig geworden?“, fragte die Herbergsleiterin freundlich.
 

„Sie besitzen kein Geld…“, flüsterte die kleine Herbergsbesitzerin in die Büsche hinter dem Gebäude, „Nur ihre Schwerter könnten etwas wert sein. Die beiden Männer sind möglicher Weise gute Kämpfer. Ihr müsst absolut leise sein.“

„Wir wissen was zu tun ist, ein altes Weib wie du braucht uns nichts erklären.“, zischte eine leise stimme aus dem Gestrüpp zurück, „Wenn wir die Waffen verkauft haben, bekommst du deinen Anteil.“

Die Frau starrte angestrengt in die Dunkelheit des umliegenden Waldes, doch eine Gestalt vermochte sie nicht auszumachen. Nur Augenblicke später kündete ein fast lautloses Rascheln vom Verschwinden der Anderen. Die Alte stand allein da und schaute in den blau-schwarzen Himmel, der mit kleinen leuchtenden Sternen übersät war.
 

Ihr Anführer ging voraus, ihm folgten zwei seiner Leute, der Rest wartete draußen. Geräuschlos bewegten sie sich über die Veranda, huschten durch eine Schiebetür, welche die Herbergsleiterin einen Spalt offen gelassen hatte, löschten die einzige Lampe auf dem Flur und schlichen in das Zimmer, in dem drei Leute schliefen. Die Finsternis schien sich wie eine Decke über den Raum zu legen. Jeder Mensch hätte nicht einmal Schemen ausmachen können, doch ihre Augen waren es gewohnt, in der Dunkelheit zu sehen.

Während der Anführer die Schwerter des Samurai aufhob, ohne auch nur den leisesten Laut zu verursachen, huschten seine Kameraden wie Schatten zwischen die Schlafenden und zogen langsam ihre Dolche.
 

Hideto hatte lange gebraucht um einzuschlafen, mit der Ruhe brachen seine Erinnerungen wie eine Lawine aus flüssigem Metall über ihn herein. Er sah das Feuer, roch die verbrannten Körper, konnte das Blut spritzen sehen und fühlte es auf seiner Haut.

Nachdem er mehrmals wach gewesen war und die anderen Beiden schlafend vorgefunden hatte, war es ihm schließlich doch gelungen einzuschlafen. Doch plötzlich erwachte er aus seinem traumlosen Schlummer. Etwas stimmte nicht, er hielt die Augen geschlossen und horchte in die Dunkelheit der Nacht hinein. Jemand hatte die Lampe im Flur gelöscht, er konnte deutlich den Qualm riechen der entstand, wenn man einen Docht ausdrückte. Die Geräusche der Nacht waren verstummt, keine Grille zirpte, keine Eule ließ auch nur den leisesten Ruf verlauten.

Hideto konnte die Gefahr geradezu spüren, die sich in diesem Raum befand. Doch hörte er nichts außer dem ruhigen Atem seiner beiden Begleiter. Plötzlich spürte er eine bedrohliche Präsenz hinter sich. Jemand befand sich in dem Raum.
 

Einer der Männer stellte sich zwischen zwei der drei am Boden liegenden Futons, in jeder Hand hielt er einen Dolch. Doch als er auf die beiden Schlafstätten herunterblickte, bemerkte er, dass eine von beiden leer war. Verwundert glitt sein Blick durch den Raum und blieben in einer oberen Ecke hängen, in der etwas Metallenes aufblitzte.
 

Hideto drehte sich ruckartig um und griff nach seinen Schwertern, die er neben seinen Futon gelegt hatte, doch sie waren verschwunden. In der Dunkelheit erkannte er zwei Leute, die im Raum standen, der eine beugte sich über Hotaru, der andere hatte seinen Kopf zur Decke erhoben.

Plötzlich flog eine Gestalt von der Decke zwischen die beiden Schatten. Noch bevor der sich der Eine erheben konnte, hatte die Gestalt, die von der Decke gesprungen kam ihr Katana durch die Luft gewirbelt und den Hockenden mehrmals am Rücken getroffen, der daraufhin aufschrie und zusammenbrach.

Der andere Schatten erhob zwei Dolche zu seiner Verteidigung, doch der Schwert des Anderen umging diese mühelos und schlitze ihm den Brustkorb und die Kehle auf. Mit einem grauenerregendem Gurgeln stürzte auch dieser Mann zu Boden.

Hotaru schreckte auf als sie spürte, wie eine warme Flüssigkeit ihre Haut benetzte. Während sie sich kreischend erhob, erkannte sie drei Schatten in der Finsternis. Einer war Hideto, der sich auf dem Futon zu ihrer rechten befand und ebenfalls aufgerichtet hatte. Den zweiten konnte sie bald als Yoshimaru identifizieren, der sein Katana elegant zurück in die Scheide gleiten ließ. Doch wer war der dritte Schatten, der in der Tür stand?

Dieser drehte sich Eilens um und rannte davon.

„Wer waren diese Bastarde?“, fluchte Hideto, der verzweifelt versuchte, seine Schwerter zu finden.

Plötzlich erhellte ein Licht das Gemach. Yoshimaru stand in einer Ecke des Raumes und hatte eine kleine Lampe entzündet. Er blickte streng durch den Raum.

Hotaru schreckte auf, als die die beiden Leichen links und rechts neben sich auf dem Boden bemerkte. Sie find an zu kreischen und erhöhte sogar noch ihre Lautstärke als sie erkannte, dass sie mit dem Blut dieser Männer besprenkelt war. Mit Blut und Leichen in Berührung zu kommen, war mit das Abstoßendste, was sie sich vorstellen konnte. Verzweifelt kroch sie rückwärts, bis sie mit den Schultern an eine Wand stieß.

„Beruhig dich, Hotaru-Chan.“, sagte Yoshimaru gedämpft, „Wer auch immer sie waren, jetzt sind sie verschwunden.“

Hideto drehte eine der Leichen auf den Rücken um das Gesicht des Mannes zu sehen. Doch dies war bedeckt mit einer roten Maske, welche die Fratze eines fürchterlichen Dämonen zeigte.

„Tja, das sind wohl deine Oni…“, folgerte Hideto schließlich.

Hotaru schluckte trocken als sie die Maske des Mannes sah.

„Offenbar lauern sie Reisenden auf und rauben sie aus. Deswegen herrscht in dieser Gegend das Gerücht über die mörderischen Dämonen.“, erklärte Hideto.

„Und wenn mich nicht alles täuscht…“, ergänze Yoshimaru, „…steckt unsere Herbergsleiterin mit ihnen unter einer Decke.“

„Du meinst…“, begann Hotaru einen Satz, doch sie war nicht im Stande ihn zu beenden.

„Ja…“, sagte Yoshimaru leise, „Sie verkauft Reisende an diese Meuchler.“

Hideto kratzte sich am Kopf und erhob sich seufzend.

„Diese Hunde haben meine Schwerter…“, fluchte er, „Lass uns die Alte fragen wo wir diese Bande finden.“

Yoshimaru nickte zustimmend. Hotaru erhob sich eilig und hüpfte zur Tür hinüber, eifrig darauf bedacht, keine der Leichen oder Blutflecke zu berühren, die über den ganzen Tatamiboden verteilt waren.
 

Ihre hastigen Schritte hallten von den hölzernen Wänden wieder, als Yoshimaru, Hideto und Hotaru über den Flur hasteten und nach der alten Dame suchten. Hideto öffnete die Schiebetür zu den Privaträumen der Herbergsbesitzerin und blieb auf der Schwelle stehen, die Augen vor Schreck weit geöffnet. Als Yoshimaru den Raum einsehen konnte, drehte er sich abrupt um und hielt Hotaru fest, um ihr den Anblick zu ersparen.

Die alte Dame baumelte an einem dicken Strick, der einmal um ihren faltigen Hals führte, von der Decke. Ihre nackten Füße hingen mitten im Raum, unter ihnen, ein umgekippter Hocker.

Hideto wollte die Tür gerade wieder schließen, als er einen Zettel erblickte, der ebenfalls zu Füßen der Toten lag. Zwar widerstrebte es ihm über alle Maßen der Alten zu nahe zu kommen, doch er überwand sich und holte den Zettel raus in den Flur, woraufhin er die Tür endlich zuschob. Dann las er vor:
 


 

Sehr geehrte Reisende,
 

ich bedaure zutiefst, was geschehen ist. Es war nie meine Absicht, irgendjemandem Schaden zuzufügen. Doch ich hatte nie eine Wahl.

Als diese Männer eines Tages hier auftauchten um mich auszurauben, sahen sie einen größeren Nutzen in mir, und so überlebte ich. Doch zu welchem Preis? Die Geister der Toten, die in meiner Herberge ihr Leben gelassen haben, verfolgen mich in meinen Träumen.

Natürlich ist dies keine Entschuldigung für mein Handeln, doch ich bereue es und werde in meinem nächsten Leben dafür Buße tun.

Ich hoffe, dass jemand diese Schurken zu Rechenschaft zieht, doch ich vermag es nicht.
 

Gehabt euch wohl.
 

Moe, Herbergsleiterin
 

Hideto verstummte und ein Ausdruck der Trauer legte sich auf sein Gesicht. Yoshimaru hatte andächtig den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen. Hotaru kämpfte erfolglos gegen ihre Tränen an, die in ihren Augen funkelten und letztendlich über ihre sanften Wangen kullerten.

Hideto, Yoshimaru und Hotaru folgten einem kleinen gewundenen Pfad durch den dichten Wald. In der Dunkelheit konnten sie kaum etwas erkennen, doch der Morgen brach bald an und die erste Helligkeit des Tages ermöglichte den dreien, wenigstens einander und ihre nahe Umgebung zu erkennen. Yoshimaru hatte sich seinen Strohhut umgebunden, so dass er auf seinem Rücken hing. Seine Hand umklammerte den Schwertgriff.

„Meint ihr, wir hätten das wirklich tun sollen?“, fragte Hotaru ängstlich, dich sich dicht an Yoshimarus Rücken hielt.

Nachdem sie das Gasthaus verlassen hatten, hatte Yoshimaru darauf bestanden, das Gebäude mit den drei Leichen in Brand zu stecken.

„Jeder von ihnen war ein Mensch und hatte eine Bestattung verdient.“, erklärte Yoshimaru, „Wir hatten keine Zeit sie zu begraben, demnach ist eine Feuerbestattung unsere einzige Möglichkeit gewesen.“

Yoshimaru hatte noch lange vor dem brennenden Gebäude gekniet und Sutras rezitiert, um den Geistern der Toten den Weg ins Jenseits zu bereiten.

„Und wo wir ziehen, brennen die Häuser…“, raunte Hideto, der voran lief, „Wenn wir nicht bald als Brandstifter gesucht werden, würde es mich wundern… Und dein Schwert, Tsuchigiri, ist auch Mist. Nur jemand, der seine Feinde von hinten ersticht, kann mit dieser Waffe etwas anfangen…“

Yoshimaru hatte Hideto sein Kurzschwert geliehen, da die Räuber dessen Waffen geklaut hatten.

„Wenn du es nicht möchtest, nehme ich es gern zurück.“, erwiderte Yoshimaru ruhig, „Ich fühlte mich ohnehin besser, wüsste ich mein Schwert an meiner Schärpe, statt in deinen unfähigen Händen.“

„Dir werd ich gleich…!“, Hideto drehte sich um und erhob das Kurzschwert als plötzlich ein Pfeil direkt vor seiner Nase hersauste und mit einem lauten Klacken in einem Baum stecken blieb.

Erschrocken drehten sich Hideto und Yoshimaru in die Richtung, aus der der Pfeil gekommen war, während sich Hotaru ins Gebüsch duckte.

„Dort vorn ist einer!“, rief Hideto und wies mit seinem Finger auf einen hohlen Baumstamm, in dem sich etwas bewegte. Hastig eilte er durch das Unterholz auf den Baum zu aus dem ein Mann empor sprang, der eine hellgrüne Dämonenmaske trug. Noch im Sprung zog er sein Katana und landete direkt vor Hidetos Füßen.

Yoshimaru beobachtete sie Szene aufmerksam, er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass dies der einzige Hinterhalt war, den die Oni ihnen gelegt hatten. Plötzlich hörte er Hotaru schrill rufen: „Hinter dir Yoshimaru!“

Er schaffte es gerade noch, sich unter einem horizontalen Hieb eines Schwertes hinwegzuducken, der ihn glatt den Kopf gekostet hätte. Noch im Ducken drehte er sich um 180° und zog beim Aufstehen sein Katana mit dem er nur knapp das Gesicht seines Angreifers verfehlte, der eine hellblaue Dämonenfratze trug.

Die beiden Gegner wechselten ein paar Hiebe ohne einander zu treffen, beide waren zu sehr darauf bedacht, auszuweichen, statt zu parieren.
 

Währenddessen schlug sich Hideto mit dem Mann in der grünen Maske herum. Dieser hatte mit seinem Katana gegenüber Hidetos Wakizashi einen glatten Vorteil was die Reichweite betraf. Trotz Hidetos Finten und schnellen Stichen kam er nicht nah genug an seinen Gegner heran um ihn zu treffen. Doch die Wendigkeit der kurzen Klinge half ihm, jeden Hieb abzuwehren. Aber wenn er nicht bald einen Weg finden würde, seinen Feind zu treffen, würde dies ein endloser Kampf werden.

Yoshimaru sprang über einem Hieb seines Gegners hinweg und stieß sich leichtfüßig von einem Baumstamm ab. Aus der Luft hieb er nach dem Kopf seines Feindes, der sich jedoch um Haaresbreite darunter hinwegducken konnte. Jedoch hinterließ die Klinge einen feinen Ritz im hellblauen Holz der Maske.

„Noch einmal wird dir so etwas nicht gelingen.“, raunte die Stimme hinter der Dämonenfratze und ging wieder zum Angriff über. Doch Yoshimaru war schon auf einen vertikalen Hieb vorbereitet. Wie der Blitz schnellte er vor und rammte dem Oni seine Faust, in der er das Schwert hielt, mitten ins Gesicht, bevor dieser seine Waffe senken konnte. Der Mann erstarrte mehr vor Schreck als vor Schmerz in der Bewegung, die hölzerne Maske hatte wohl die meiste Wucht des Schlages abgefangen. Doch dieser winzige Moment reichte Yoshimaru um seinen Schwertarm zurückzuziehen und dabei die Schulter des Mannes aufzuschlitzen. Sein Katana fiel nahezu lautlos zu Boden und die Augen, die Yoshimaru hinter den kleinen Sehschlitzen der Maske erkennen konnte, blickten ihn mit einer Mischung aus Furcht und Trotz an. Doch anstatt den Mann zu töten, verpasste Yoshimaru ihm einen kräftigen Hieb in die Magengrube, sodass der Oni bewusstlos zu Boden ging.

Hideto wirbelte herum und parierte leicht eine gefährliche Schlagkombination seines Gegners. Doch langsam brach ihm der Schweiß aus und noch war kein Ende des Kampfes in Sicht. Während einer Drehung erspähte er einen weiteren Dämon, der wie aus dem Nichts erschien und sich ihm näherte, dieser trug eine violette Maske und ebenfalls ein Katana.

Einen Kampf gegen zwei Gegner konnte Hideto nicht nur mit einem Kurzschwert gewinnen, das wusste er. Doch trotzdem stellte er sich mutig beiden Herausforderern. Es kostete ihn alle Mühe und Konzentration, die Hiebe beider Männer zu parieren und ihnen auszuweichen, sodass er nun selbst gar nicht mehr zum Angriff kam. So würde der Kampf ein übles Ende nehmen.

Gerade in diesem Moment entdeckte Hideto ein kleines Erdloch zwischen seinen Füßen. Er machte einen schnellen Schritt zurück, woraufhin beide Oni einen Satz nach vorn machten, doch der eine blieb mit seinem Fuß in der Grube hängen und verlor das Gleichgewicht. Dieser kurze Moment, in dem der Mann mit den Armen wedelte um nicht umzufallen, war für Hideto genug Zeit, ihm das Wakizashi in den Brustkorb zu rammen. Allerdings fiel er Mann so zur Seite, dass Hideto das Schwert nicht halten konnte, und es im Rumpf des Mannes stecken blieb, der sich nun den Boden aus der Nähe betrachtete.

Doch was brachte es Hideto, einen Gegner besiegt zu haben, wenn er dadurch seine einzige Waffe verloren hatte?

Der Mann mit der violetten Maske nutze seine Chance, seinen unbewaffneten Gegner zu attackieren. Hideto hob die Arme um seinen Kopf und Rumpf zu schützen. Der Oni setzte zu einem Stich an, doch erstarrte in der Bewegung. Als er an sich herunter sah, guckte die Spitze eines Schwertes aus seiner Brust. Er schaute Hideto fragend an und sank dann leblos zusammen.

Nach Atem ringend schaute Hideto nach vorn. Yoshimaru stand einige Meter entfernt und atmete ebenfalls schwer. Seine nach vorn gebückte Haltung ließ erkennen, dass er sein Katana geworfen hatte, um Hideto das Leben zu retten.

„Jetzt bist du wohl froh…“, raunte Yoshimaru“, … das ich meine Gegner bis weilen von hinten ersteche.“
 

Hideto richtete sich auf und klopfte ruhig seine Kleidung ab.

„Das hätte ich auch noch selbst geschafft.“, blaffte er Yoshimaru an.

Doch dieser lächelte nur kurz, zog sein Katana aus dem Rücken des Toten, wischte das Blut ab und schob es elegant zurück in die Scheide. Auch Hideto las seine verlorene Waffe wieder auf, die in einer der Leichen steckte. Doch seine eigenen Schwerter hatte keiner dieser Männer gehabt.

„So ein Mist.“, fluchte er, „Wo haben die nur meine Waffen?“

„Der Eine, der aus unserem Zimmer fliehen konnte wird sie haben. Ich habe ihn unter diesen Männern nicht gesehen.“

„Sag bloß, du weißt wie der Kerl aussieht.“, wollte Hideto wissen.

„Natürlich nicht. Es war ja vollkommen dunkel. Außerdem trug er eine Maske.“, antwortete Yoshimaru in einem Ton, als wäre dies das Offensichtlichste auf der Welt.

Hideto schnaubte verächtlich angesichts dieser Aussage.

„Doch ich habe die Umrisse seiner Maske erkennen können.“, fuhr Yoshimaru unbeirrt fort, „Er trägt an seinem Vorderkopf zwei lange Hörner nach oben und zwei nach unten. Es muss der Anführer dieser Bande sein.“

„Na prima.“, entgegnete Hideto mit wenig bewunderndem Ton, „Das hilft uns bestimmt ihn zu finden. Vielleicht weiß Hotaru ja etwas. Wo steckt sie überhaupt.“

„Sie stand direkt hinter mir an einem Busch.“, antwortete Yoshimaru verwundert. Erst jetzt bemerkten die beiden, dass Hotaru verschwunden war. Sie suchten eine Weile lang die nähere Umgebung nach ihr ab, doch sie konnten keine Spur finden.

„Was hältst du davon?“, fragte Yoshimaru nach einer knappen Stunde der erfolglosen suche.

„Ich meine, wenn diese Oni nicht meine Schwerter hätten, könnte ich mich jetzt gut aus dem Staub machen.“, brummte Hideto.

„Was für ein ehrenhafter Samurai du doch bist.“, höhnte Yoshimaru.

„Das sagt mir ein Tsuchigiri.“, entgegnete Hideto und grinste angesichts seines guten Konterns.

„Im Gegensatz zu dir bin ich kein Samurai.“, erläuterte Yoshimaru ruhig wie das Wasser eines Sees an einem windstillen Tag, „Ich bin an keinen Ehrenkodex gebunden.“

Als er bemerkte, dass Hideto ihn verständnislos musterte, fuhr er fort, „Ich halte mein Versprechen aus persönlichem Ehrgefühl. Was du tust, ist mir egal. Ich gehe das nun Mädchen suchen. Folge mir, oder lass es sein. Die Entscheidung liegt bei dir.“

Als Hideto keine Anstalten machte, sich zu bewegen, lief Yoshimaru einfach los. Zwar wusste er nicht, wonach genau er suchen sollte, doch irgendwo tiefer in diesem Wald musste das Lager der Diebe sein. Und das galt es zu finden.

Nach einigen Minuten hörte Yoshimaru ein leises Schrittgeräusch hinter sich. Es bewegte sich direkt auf ihn zu kam stetig näher.

„Habe ich es mir doch gedacht.“, sagte Yoshimaru ohne sich umzudrehen, „Du bist kein so übler Kerl wie du vorgibst zu sein.“

„Pah.“, gab Hideto mit einem selbstgefälligen Grinsen zurück, „Hör auf Reden zu schwingen und lauf schneller, bevor ich dir in die Hacken trete.“
 

Die Sonne war bereits aufgegangen und schickte ihre Strahlen wie weiße, glühende Säulen durch das Blattwerk des Waldes. Doch noch immer hatten Yoshimaru und Hideto keine weiteren Spuren von Hotaru oder ihrem Entführer gefunden.

„Wir hätten doch türmen sollen…“, dachte Hideto laut.

„Hör auf meckern wie ein altes Waschweib.“, raunte Yoshimaru zurück, „Jetzt ist es ohnehin zu spät. Ich befürchte wir haben uns hoffnungslos verlaufen.“

Beide blickten nach oben und versuchten durch das Blätterwerk zu erkennen, wo genau die Sonne stand, um herauszufinden in welche Himmelsrichtung sie sich wohl bewegten. Doch die Baumkronen waren so dicht, dass sie es unmöglich genau sagen konnten.

Plötzlich ertönte ein leises Knacken und bei schauten sich erschrocken um.

Niemand war zu sehen.

„Von wo kam das?“, fragte Hideto.

„Es schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen.“, antwortete Yoshimaru ratlos.

Dann ertönte das Knacken wieder, ganz aus der Nähe.

Noch während sich die beiden umsahen, spürten sie, wie der Boden unter ihren Füßen nachgab, doch es war zu spät. Yoshimaru versuchte sich kraftvoll vom Erdboden abzustoßen, trat aber ins Leere. Noch eh sie sich versahen, fielen sie durch einen dunklen Schacht, zusammen mit Erde, einigen Ästen und Blättern und landeten unsanft auf kalter, feuchter Erde.

Ihre Augen brauchten einen Moment, um sich an die plötzliche Dunkelheit zu gewöhnen. Als sie sich von dem Sturz erholt hatten, richtete sich Yoshimaru auf und blickte sich um. Sie befanden sich in einem Unterirdischen Raum, etwa zehn Mal zehn Schritte lang. Das einzige Licht fiel durch das Loch in der Decke, durch das sie hineingestürzt waren. Die abgestandene Luft roch nach feuchter Erde und vermoderten Blättern.

„Verdammt, was war denn das schon wieder?“, fragte Hideto, der sich ebenfalls aufrichtete.

„Entweder ein alter Minenschacht oder eine Falle.“, schlussfolgerte Yoshimaru.

„Danke Herr Oberschlau.“, raunte Hideto, „Da wäre ich auch noch selbst drauf gekommen.“

„Wieso fragst du dann?“, wollte Yoshimaru wissen.

„Ach, lass mich doch in Ruhe.“, brummte Hideto zurück. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er einen Ausgang aus dem Raum auszumachen, doch es schien keinen zu geben.

„Ich schlage vor wir tasten uns an den Wänden lang und suchen einen Ausweg.“, schlug er vor.

„Eine gute Idee.“, erwiderte Yoshimaru, „Aber vergiss, dass ich das je zu dir gesagt habe.“

Die beiden gingen auseinender und befühlten die von Wurzeln durchzogenen Wände, bis Hideto etwas Weiches in die Finger bekam.

„Ein Vorhang…“, murmelte er, „Hier, ich habe einen Weg.“

„Ich ebenfalls.“, rief Yoshimaru von der anderen Seite des Raumes.

„Na dann geh doch da lang!“, gab Hideto zurück, „Ich gehe diesen Weg.“

Er verschwand in der Dunkelheit des Stollens und der Erdfarbene Vorhang verdeckte den Durchgang, als hätte er nie existiert. Kurz darauf verschwand Yoshimaru in dem Gang den er entdeckt hatte, der auf dieselbe Art und Weise versteckt gewesen war.
 

Hideto fühlte sich durch den engen Gang, denn nachdem der Vorhang hinter ihm zugefallen war, hatte ihn totale Finsternis umgeben. Er hätte nicht sagen können, wie lange er diesem Pfad gefolgt war. In der Dunkelheit schien keine Zeit zu existieren. Jeder Meter glich dem anderen. Jeder Linkskurve folgte eine Rechtskurve. Das unterirdische Labyrinth schien sich endlos hinzuziehen.

Doch plötzlich hörte die Mauer auf. Hideto brauchte einen Moment bis er begriffen hatte, dass er sich auf einer Kreuzung befand. Er schaute sich mit zusammengekniffenen Augen um und erkannte in dem Gang zu seiner Rechten ein schwaches Licht in der Ferne.

„Das ist dann wohl das sprichwörtlich Licht am Ende des Tunnels…“, flüsterte er vor sich hin und lief dann in diese Richtung weiter.

Nach einer Weile erreichte Hideto einen kleinen Raum, der von einer Öllampe erleuchtet wurde. In der hinteren Wand befand sich ein etwa Kopfgroßer Schacht auf Augenhöhe, durch den sanftes Licht fiel und frische Luft hineinwehte. Der Boden, sowie die Wände waren hier mit Holz ausgekleidet, dass der Raum nicht einstürzen konnte. Auf dem Boden stapelten sich hölzerne und metallene Kisten, sowie eine große Truhe. An den Wänden lehnten einige Waffen, Speere, Schwerter und Bögen. In einer Ecke erblickte Hideto seine Schwerter.

Seine Augen weiteten sich vor Freude als er seine Waffen in seine Schärpe steckte, dann widmete er sich den Kisten und der Truhe, um zu sehen, was die Oni sonst noch erbeutet hatten.
 

Auch Yoshimaru war von vollkommener Dunkelheit eingeschlossen. Mit einer Hand folgte er der Mauer zu seiner Linken, mit der anderen umklammerte er seinen Schwertgriff, bereit jeder Zeit zu ziehen und zuzuschlagen, obgleich er keinen Zentimeter weit gucken konnte.

Doch sein Gespür sagte ihm, dass etwas auf ihn lauerte. Mehr aus einer Ahnung heraus, ging er in die Hocke und spürte wie etwas über seinen Kopf hinwegzischte. Gespannt hielt er den Atem an und lauschte in die Finsternis hinein.

„Hast du ihn erwischt?“, fragte eine raue Stimme.

„Ich weiß nicht.“, antwortete die Stimme eines jungen Mannes unsicher, „Mach doch mal die Lampe an.“

Ein Funke entsprang der Dunkelheit und wurde schnell zu einer kleinen Flamme, welche die Schemen der beiden Angreifer erkennen ließ, die ihre Blicke durch den Gang schweifen ließen. Doch das Licht wehrte nicht lange.

Yoshimaru nutzte den Moment der Verwirrung und zog sein Schwert während der aufsprang. Schon im Zug schlitzte er dem Mann mit dem Schwert den Brustkorb auf. Noch bevor dieser stöhnend den Boden erreicht hatte, vollführte Yoshimaru eine flinke Drehung und enthauptete den zweiten Mann aus dem Wirbel heraus. Die Lampe fiel zu Boden, zerbrach und tauchte den Gang wieder in Finsternis.

Vorsichtig kletterte Yoshimaru über die beiden Leichen und rutschte fast in ihrem Blut aus, das den Boden des Ganges tränkte. Er folgte weiter seinem Weg und erkannte bald ein Licht, auf das er sich rasch zu bewegte.

Er erreichte einen Raum, der so groß war wie ein Haus. Er selbst stand auf einer Erhöhung die sich etwa zwei Meter über dem normalen Boden befand und spähte hinab auf den Mann mit der gehörnten Maske. Dieser wurde von je einem Mann flankiert, die Masken in verschiedenen Farben trugen und mit diversen Waffen ausgerüstet waren. Einige Schritte hinter ihnen hockte ein gefesseltes Mädchen auf dem Boden – Hotaru!

„Es grenzt an ein Wunder, dass ein einfacher Rônin es bin hierher geschafft hat.“, ließ der Anführer der Bande verlauten, „Du hättest längst tot sein sollen!“, obwohl er sich gelassen gab, erkannte Yoshimaru den Zorn in seiner Stimme.

„“Wie sagt man doch so schön…“, erwiderte Yoshimaru ruhig, und stieg eine schmale Leider hinab, die ihn auf eine Ebene mit den Männern und Hotaru führte, „Wenn man will das etwas richtig getan wird, sollte man es am besten selbst erledigen.“

Hotaru versuchte etwas zu sagen, doch der Knebel in ihrem Mund ließ ihren Ruf zu einem, „Mhmmtnnng, ddddnnn ssssnnn Fmmmmmlll!“, werden.

Die Männer lachten angesichts dieses verzweifelten Versuches, ihren Retter zu warnen.

„Lasst sie frei und ich werde euer Leben verschonen.“, verkündete Yoshimaru ernst und legte seine Hand an seinen Schwertgriff.

„Soll das ein Witz sein?“, höhnte der Anführer der Oni, „Wenn ja, war es kein sehr Guter.“

„Ich beliebe nicht zu scherzen.“, erwiderte Yoshimaru scharf, „Das ist eure letzte Chance eure erbärmliche Haut zu retten.“

Der Onianführer hob seine rechte Hand und seine beiden Wachen bewegten sich auf den Eindringling zu während sie ihre Schwerter zogen. Yoshimaru schob seinen linken Fuß weiter nach hinten und umklammerte den Schwertgriff mit aller Kraft. Er würde eine seiner Lieblingstechniken benutzen, das Battojutsu, die Kunst des Schwertziehens. Ein überaus schneller Angriff der mit tödlicher Wucht auf den Gegner trifft. Sein Gesicht verspannte sich vor Konzentration, als sich ihm seine beiden Feinde langsam nährten.

Hideto durchwühlte eine Kiste mit edlen Stoffen, besah sich einige, roch an manchen und ließ sie wieder in die Kiste fallen. Dann verschloss er diese sorgfältig, packte sie an einem Griff und schleuderte sie in eine Ecke, in der schon mehrere Kisten auf einem Haufen lagen.

„So ein Müll.“, brummte er, „Können die denn nichts wertvolleres Stehlen?“

Er nahm sich die große Truhe vor, doch sie war verschlossen. Nachdem er sich kurz umgeschaut hatte, nahm er eine Lanze von der Wand, schon sie in den dünnen Spalt zwischen Truhe und Deckel und hebelte sie auf. In ihrem Inneren fand er einen Beutel mit Münzen und einen Elegant verzierten Dolch.

„So eine große Truhe für so wenig Inhalt…“, raunte er und schob den Beutel in seine Schärpe.

Plötzlich hallten Kampfgeräusche durch den Raum. Hideto wirbelte herum und zog sein Schwert. Doch es war niemand da. Er schaute in den Gang aus dem er gekommen war, doch sah nur Schwärze. Vorsichtig machte er sich auf den Weg, einen anderen Gang von der Kreuzung auszuprobieren.
 

Die beiden Gestalten mit den Dämonenmasken pirschten auf Yoshimaru zu, wobei sie weiter auseinander gingen um ihn aus zwei Richtungen zu attackieren. Er wich ein Stück zurück, um zu verhindern, dass sich ein Gegner hinter ihn schlich. Doch unweit hinter seinem Rücken war die Wand mit der Leiter, die auf die obere Ebene führte und versperrte ihm so jeden Fluchtweg.

Er atmete gleichmäßig, konzentrierte sich auf das Schwert in seiner Hand und wartete auf den richtigen Augenblick um loszuschlagen. Doch als er einen seiner Angreifer genau beobachtete, bemerkt er, dass dieser an ihm, Yoshimaru, vorbei sah, auf die Wand hinter ihm.

Yoshimaru verstand sofort und plötzlich spürte er eine bedrohliche Präsenz hinter sich. Er zog sein Katana mit atemberaubender Geschwindigkeit, doch anstatt es gegen die beiden Männer zu führen, die ihm gegenüber standen, drehte er sich um die eigene Achse und zog mit der Klinge einen silbernen Kreis des Todes im trüben Licht des unterirdischen Raumes.

Blut spritzte, ein Mann schrie kurz auf, bevor er zu Boden fiel. Ein anderer hatte noch rechtzeitig reagieren können und war mit einem Sprung nach hinten ausgewichen.

Die beiden hatten sich in kleinen Ausbuchtungen der Wand versteckt und mit erdfarbenen Decken bedeckt, um aus dem Hinterhalt angreifen zu können!, schoss es Yoshimaru durch den Kopf. Doch nun hatte er es mit drei Gegnern zu tun.

Blitzschnell schoss einer von ihnen vor und attackierte Yoshimaru mit seinem Schwert. Doch dieser konnte ausweichen und zu einem Gegenangriff ausholen. Aber noch während des Ausholens griff der Oni hinter ihm an, sodass Yoshimaru seinen eigentlichen Angriff nun zur Parade nutzen musste. Noch eh er sein Katana zurückgezogen hatte, trat ihm einer der Männer, der hinter ihn gehuscht war, in den Rücken. Yoshimaru taumelte nach vorne und fühlte wie alle Luft aus seinen Lungen wich. Für einen Moment war er atemlos und nicht in der Lage, sich zu verteidigen. Diese Schwäche nutzten seine drei Gegner sofort und griffen von allen Seiten an.
 

Hideto folgte einem Gang in dem er meinte, die Kampfgeräusche deutlicher zu hören als in den anderen, und schon bald erkannte er ein schwaches Licht. Plötzlich durchbrach ein Todesschrei die unheimliche Stille. Hideto beschleunigte seine Schritte, obwohl er kaum etwas erkennen konnte. Schon bald erreichte er einen Raum, der wesentlich größer war als die kleine Schatzkammer, die er geplündert hatte.

Auf einer Ebene etwa zwei Meter unter ihm sah er drei Männer, die sich um einen vierten scharten. Sie erhoben ihre Waffen und griffen an. In dem Moment erkannte Hideto, dass der Mann in der Mitte Yoshimaru war. Zwar strebte sich alles in ihm dagegen, diesen Tsuchigiri zu retten, der viele Leute seines Fürsten getötet hatte, doch spürte er auch in diesem Moment die Blutschuld die er gegenüber Yoshimaru hatte. Dieser Meuchler hatte keine Sekunde gezögert, seine eigene Waffe zu verlieren um ihm, Hideto, das Leben zu retten. Hideto suchte gar nicht erst nach einer Leiter, sondern sprang ohne nachzudenken hinunter, um Yoshimaru zu helfen. Doch er kam zu spät.

Die Oni sprangen nach vorn, Yoshimaru wirbelte in einem tödlichen Tanz mit seinem Katana, als die Spitzen der Waffen sich rasend schnell auf ihn zu bewegten. Noch einmal drehte er sich im Kreis und schlug zu, dann blieb seine Klinge in der Luft stehen.

Drei von vier Männern vielen zu Boden, doch der eine, der noch stand, war ein Mann mit einer schwarzen Dämonenmaske. Blut benetzte die Spitze seines Katanas. Hidetos Augen weiteten sich vor Entsetzen. Ohne Rücksicht rannte er auf den Oni zu und griff ihn an. Sein Entsetzen verwandelte sich in lodernden Zorn. Zwar gelang es dem Mann, Hidetos ersten Hieb zu blocken, doch der zweite Kostete ihn glatt den Kopf. Er war nicht einmal dazu gekommen, selbst anzugreifen.

Hideto kniete sich in die größer werden Blutlache um nach Yoshimaru zu sehen. Blut tränkte dessen Gi an der linken Schulter und den Hakama am rechten Bein. Doch sein Torso schien unverletzt. Hideto drehte den Gefallenen auf den Rücken, um nach weiteren Verletzungen zu suchen. Erleichterung verdrängte allen Zorn, als Yoshimaru in angrinste.

Er hatte die Klingen seiner Feinde mit seinem Körper abgefangen an Stellen, an denen er keine lebensgefährlichen Verletzungen davon tragen würde. Und dabei mit seinem Kata zwei der Angreifer getötet. Eine beeindruckende Leistung, wie Hideto gestehen musste.

„Das war gut. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“, raunte Yoshimaru nach Luft schnappend.

„Nun werd mal nicht frech.“, antwortete Hideto, „Immerhin habe ich dir grade das Leben gerettet.“

„Damit steht es dann zwei zu eins.“, verkündete Yoshimaru hustend, „Aber einer ist noch da. Ich schätze, der ist für dich…“, er wies mit dem Kopf in Richtung des Onianführers.

Hideto nickte und erhob sich.

„Wollen wir doch mal sehen, wieso gerade du der Anführer dieser Untergrund-Affen-Bande bist.“, rief er durch den Raum, während er mit der linken Hand sein Kurzschwert zog.

Der Oni zog ebenfalls sein Katana, doch in seiner Linken hielt er eine Jitte, ein Gerät, dass eigentlich von Polizisten benutzt wurde. Es bestand aus einem eisernen Stiel von etwa 20 Zentimetern, mit einem etwas kürzeren Eisendorn, der parallel zum Stiel verlief. Sie wurde benutzt um das Schwert eines Gegners abzufangen und zu verkanten.

Hideto erhob sein Schwert und griff an, doch der Oni blockte das Katana locker mit seiner Jitte, die er mit einer leichten Drehung des Handgelenks so verkantete, dass die Klinge feststeckte. Hideto stach mit seinem Wakizashi zu, doch dies parierte der Anführer mit seinem eigenen Katana.

„Glaubst du immer noch, du hättest eine Chance?“, fragte der Oni mit einer tiefen rauchigen Stimme, die den Eindruck, er sei ein Dämon festigte.

„Natürlich.“, erwiderte Hideto trotzig, „Von einem Spinner mit Maske lasse ich mich nicht töten!“

Er holte erneut mit seinem Wakizashi aus, doch der Oni blockte es wieder ohne Probleme ab. Doch nun erhöhte er den Druck auf Hidetos Katana so plötzlich, dass dieser es nicht mehr halten konnte. Das Schwert flog ein paar Meter durch den Raum und landete scheppernd in einer Ecke. Die Augen des Oni verengten sich unter der Maske zu Schlitzen, wahrscheinlich grinste er.

„Das war’s.“, verkündete seine tiefe Stimme, in der Euphorie mitschwang.

„Das glaube ich auch.“, Hideto erhob sein Wakizashi, der Oni seine Jitte. Hideto ließ sein Wakizashi abfangen.

„Hab ich dich!“, rief der Oni aus, und holte Schwung mit seinem Katana, um Hideto zu töten, was allerdings eine Lücke in seiner Verteidigung hinterließ.

„Das glaube ich nicht!“, erwiderte Hideto grinsend.

Mit seiner freien Katanahand zog er einen reich verzierten Tanto aus seiner Schärpe. Hideto sah wie sich die Augen des Mannes vor Schreck weiteten, als er versuchte, seine Verteidigung zu schließen, doch Hideto war schneller. Er ließ den Dolch nach vorn schnellen und traf den Anführer in Bauch, woraufhin dieser seine Bewegungen stoppte. Doch noch gab er nicht auf, er hob sein Katana um es mit letzter Kraft gegen Hideto zu richten, der nun keine Verteidigung mehr hatte.

Doch Hideto ließ sich nach hinten fallen und trat mit aller Kraft gegen den Tanto, der etwa oberhalb des Bauchnabels steckte. Der Oni schrie vor Schmerz auf, als der Dolch ein Stück höher und tiefer in seinen Bauch eindrang. Blut tränkte seine Kleidung und er ging röchelnd in die Knie.

„Du…“, flüsterte er schmerzverzehrt, „du… bist der Oni…“

Dann erlosch das Licht in seinen Augen und er fiel leblos zu Boden. Hideto stand auf und zog seinen neuen Tanto aus dem Körper seines getöteten Gegners, dann las er sein Wakizashi und Katana auf, bevor er zu Hotaru hinüberging und ihre Fesseln durchtrennte.

Hotaru streckte sich, holte aus und schlug Hideto mit voller Wucht in den Magen.

„Ihr Idioten!“, keifte sie, „Wieso hat das so lange gedauert?“

„Was zur…?“, Hideto war sprachlos.

„Vielleicht hattest du Recht, Hideto.“, ertönte Yoshimarus Stimme hinter Hidetos Rücken, und die beiden drehten sich zu ihm um, „Wir hätten einfach türmen sollen.“, Yoshimaru lächelte gequält während Hotaru vor Verzweiflung auf den Boden stampfte.

„Ihr Männer seid doch alle gleich!“, rief sie und machte sich auf den Weg, diese Höhle zu verlassen.

7
 


 


 


 


 

Dieser ganze Ärger mit den Oni hat uns mehr als einen halben Tag gekostet.“, stellte Hideto mürrisch fest, „Und wir haben nicht viel geschlafen und gar nichts gegessen.“

„Aber immerhin hast du Geld aus der Höhle der Diebe geklaut.“, bemerkte Hotaru erfreut.

„Damit sollen wir es bis nach Kanazawa schaffen.“, warf Yoshimaru ein, der sich auf einen stabilen Stock stützte um sein Bein zu schonen. Zwar hatte Hideto, der sich dank seiner zahlreichen Verletzungen der vergangenen Jahre gut mit Heilkräutern und Verbänden auskannte, seine Wunden versorg, doch noch immer schmerzte die Stichwunde bei jeden Schritt. Genauso wie die Verletzung an der Schulter.

„Erstmal sollten wir ein Gasthaus aufsuchen und uns satt essen.“, sagte Hideto, dessen Magen, wie zur Unterstreichung seiner Worte, laut knurrte, „Bei dem Hunger mach’ ich sonst keinen Schritt mehr.“

„Aber dieses Mal bitte Eins, dass wir nicht hinterher abbrennen müssen.“, warf Hotaru betroffen ein.

Das Unwetter am Vortag hatte die Hitze gedämpft, durch die rauchigen Wolken fielen kaum Sonnenstrahlen. Der Verkehr auf der Fernstraße zwischen Imazaki und Kanazawa hatte wieder seinen gewohnten Gang genommen, Händler und Pilger bewanderten die Wege und Trampelpfade, die von der Hauptstraße abgingen und in kleine Dörfer führte.

An einem kleinen Essensstand, der gebratenen Aal und Fisch führte, machten Hideto, Yoshimaru und Hotaru halt, um ihre Mägen zu füllen.

„Biiwa Aal iff fuuupa leppaa!“, erklärte Hotaru, die sich gierig ein Stück nach dem anderen in den Mund warf und die offenbar schluckte, ohne zu kauen.

Auch Hideto schlag sein Essen hinunter, als gäbe es kein Morgen, „Mhmm, ber iff feim Gelb wirbliff werb.“, brachte er kauend hervor.

Yoshimaru saß mit gesenktem Kopf neben ihnen und aß sittsam einen Bissen nach dem anderen, „Wenn man euch so sieht, könnte man meinen, ihr hättet seit Wochen nicht gegessen.“, sagte er leise. Ihm war das Benehmen seiner Begleiter sichtlich peinlich, denn er zog seinen Strohhut noch etwas weiter in sein Gesicht.

Hideto schluckte seinen letzten Bissen runter und warf das Holzstäbchen, auf den die Aalbissen aufgespießt waren, in einen dafür vorgesehenen Holzeimer, in dem nicht aufgegessene Essensreste vergammelten und Fliegen anlockten.

„Wie lange werden wir noch bis zur Hauptstadt brauchen?“, fragte Hotaru, die bereits ihre dritte Portion von dem Händler orderte.

„Vielleicht drei Tage.“, erklärte Hideto, der ebenfalls noch eine Portion Aal bestellte, „Wenn wir nicht mehr aufgehalten werden.“

„Und wenn ihr nicht die nächsten drei Tage damit verbringt, den gesamten Aalvorrat Japans zu verspeisen.“, fügte Yoshimaru hinzu.

Nachdem Hideto und Hotaru jeweils fünf Portionen Aal verputzt hatten, Yoshimaru eine, machten sie sich wieder auf den Weg nach Süden, Richtung Kanazawa, wo Fürst Niu sein Anwesen hatte.
 

Als es dunkel wurde, beschleunigten sie ihre Schritte, um zu einem Gasthaus zu kommen, doch plötzlich blieb Hotaru wie angewurzelt stehen. Nachdem Hideto und Yoshimaru es bemerkt hatten, drehten sie sich zu ihr um. Hotaru starrte in ein kleines Waldstück und regte sich nicht.

„Was ist los?“, rief Hideto, „Hast du einen Geist gesehen?“

Hotaru drehte ihren Kopf zu ihren beiden Begleitern um und strahlte diese lächelnd an.

„Glühwürmchen!“, rief sie begeistert, bevor sie in den kleinen Wald stürmte.

Yoshimaru und Hideto folgten ihr verwirrt. Nach einem kurzen Stück Trampelpfad erreichten sie einen kleinen See, nur wenige Quadratmeter hoch. Hotaru hockte auf dem Boden und sah sich um. Um sie herum schwirrten lauter grüne leuchtende Punkte. Die heraufziehende Dunkelheit, die Spiegelung des abnehmenden Mondes im schwarz-blauen Wasser des Sees, welches ruhig dalag wie ein Spiegel, und die leuchtenden Punkte in der Luft verwandelten diese Lichtung in einen Ort, der einer anderen Welt anzugehören schien.

Yoshimaru kniete sich rechts neben Hotaru in das hohe Gras, das sanft im Wind wiegte. Das grüne Leuchten erhellte ihre Gesichtszüge und ließ Yoshimaru die endlose Bewunderung dieser Szenerie in ihren Augen erkennen. Langsam streckte sie eine Hand aus und beobachtete voller Freude, wie sich ein Glühwürmchen auf sie setzte. Sie kicherte freudig.

Nun kam auch Hideto, der am Rande der Lichtung gewartet hatte, zu dem See gelaufen und ließ sich ins Gras zu Hotarus Linken fallen.

„Ist das nicht wunderschön?“, raunte Hotaru, die mehr mit sich selbst zu sprechen schien, als zu jemand anderem.

Yoshimaru schob seinen Strohhut nach hinten, sodass dieser in seinem Nacken hängen blieb.

„Ja, das Stimmt.“, bestätigte er mit ruhiger Stimme, „Dieser Ort hat eine gerade zu meditative Ausstrahlung.“

„Am Wegesrand mir

der Glühwurm ganz allein war

der Weggenosse,

als einsam ich heraustrat

bei dunklem Abendhimmel“, hauchte Hideto in die Dunkelheit.

Hotaru drehte ihren Kopf in seine Richtung, wodurch sich das Glühwürmchen auf ihrer Hand erschrak und davonflog.

„Was ist das für ein Gedicht?“, fragte sie verwundert.

„Es ist von einem Mönch namens Jakunen und schon über 500 Jahre alt. Meine Mutter hat es mir beigebracht als ich noch klein war.

Hotaru musterte ihn bewundernd und auch Yoshimaru konnte sein Erstaunen nicht verbergen. Doch diese Stille schien Hideto nicht zu gefallen. Er erhob sich und sagte: „Lasst uns ein Gasthaus suchen, eh die Sonne wieder aufgeht.“, und er drehte sich um und ging wieder Richtung Straße.
 

Die Nacht verbrachten sie in einem kleinen Gasthaus an der Hauptstraße, dass sich Aozaki nannte. Hideto hatte die Besitzer, ein junges Pärchen in den Zwanzigern, die das Geschäft seiner Eltern erst vor kurzem übernommen hatten, so lange und eingehend gemustert, dass Yoshimaru sich schon für das Benehmen seines Mitreisenden entschuldigte, bevor sie ihr Zimmer bezogen. Ursprünglich hatte jeder sein eigenes Zimmer gewollt, doch Hotarus Angst vor einem neuerlichen Überfall und ihre Theater reife Vorstellung mit Tränen und Wimmern hatte die beiden Männer schließlich dazu bewogen, sich alle in einem Zimmer zur Ruhe zu legen.

Nach einer erholsameren Nacht als es die letzte gewesen war, nahmen die Drei ein ausgedehntes Frühstück zu sich und folgten weiter ihrem Weg.

Auch der folgende Tag und die Nacht verliefen ohne weitere Zwischenfälle. Mit der Ausnahme, dass Hidetos und Hotarus gewaltiger Appetit mal wieder ihren Geldbeutel gesprengt hatte.

Um die Schulden zu begleichen, die sie bei einer Nudelküche gemacht hatten, da sie zusammen elf Portionen Ramen gegessen hatten, ohne alle zahlen zu können, blieb ihnen nichts anderes übrig als ein paar Stunden in diesem Geschäft zu arbeiten.

„Das ist alles deine Schuld!“, flüsterte Hotaru, die ihrer gewohnten Arbeit als Kellnerin nachging, Hideto, der den Essensraum fegte, im Vorbeigehen zu.

„Wer hat denn auf seine fünfte Portion bestanden, obwohl er lieber auf seine Figur achten sollte, als zu futtern wie ein Samurai im Krieg?!“, erwiderte Hideto genervt.

Eine Schüssel flog haarscharf an seinem Kopf vorbei und zerschellte hinter ihm an der Wand.

„Was fällt dir ein, du Kuh?“, rief er Hotaru nach, die ihm frech die Zunge rausstreckte.

„Wenn ihr noch eine Schüssel zerdeppert, arbeitet ihr morgen noch hier!“, rief der Besitzer des kleinen Restaurants aus der Küche, in der Yoshimaru ihm half, die Zutaten für die verschiedenen Nudelgerichte klein zuhacken. Hotaru kam in die Küche, um die nächsten Schüsseln mit Suppe und Nudeln zu holen.

„Wenn jemand sauer sein müsste, dann doch wohl ich.“, bemerkte Yoshimaru, „Ich habe immerhin nur eine Schüssel gegessen und arbeite trotzdem eure Zeche ab.“

Hotaru blieb neben ihm stehen und sah ihn erstaunt an, als wäre sie sich darüber gar nicht im Klaren gewesen. Plötzlich verbeugte sie sich so hastig, dass sie fast Yoshimaru das Messer aus der Hand geschlagen hätte. Nur mit Mühe konnte er es noch auffangen, bevor es größeren Schaden anrichtete.

„Das tut mir Leid…“, sagte Hotaru bedrückt.

„Schon in Ordnung.“, erwiderte Yoshimaru freundlich lächelnd, „Ich trage es euch nicht nach.“

Hotaru lächelte ihn erfreut an, als plötzlich Unruhe aus dem Esssaal ertönte.

„Was ist denn nun wieder los?“, schnaubte der Gaststättenbesitzer, „Geh nach Vorn und sieh nach Rônin.“, fuhr er Yoshimaru an, der sich kurz verbeugte und mit Hotaru in den vorderen Teil des Gebäudes ging, der durch einen halblangen Vorhang abgetrennt war.

Als sie den Vorraum betraten, sahen sie sofort den Grund für die Unruhe. Ein Mann hatte den Raum betreten und schleppte sich mühsam vorwärts. Er hinterließ eine Spur dunkelroten Blutes auf dem Holzboden. Nach Luft schnappend brach er in der Mitte des Raumes zusammen.

Yoshimaru eilte zu ihm und kniete sich neben den Verletzten. Er war etwa fünfzig Jahre als, hatte schütteres ergrauendes Haar und ein faltiges Gesicht. Er war offenbar ein Bauer oder Handwerker.

„Was ist euch widerfahren?“, fragte er ruhig.

„Diese… diese Banditen…“, keuchte er und Blut lief aus seinem Mundwinkel, „Sie haben mich … überfallen…“, er hustete qualvoll und Spukte Blut auf den Boden.

„Bewegt euch nicht, eure Verletzungen sehen schlimm aus.“, redete Yoshimaru auf den Mann ein. Hotaru stand neben ihm und Tränen traten in ihre hübschen Augen. Hideto besah sich die Wunden des Mannes, sah Yoshimaru an und schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Habt ihr einen letzten Wunsch?“, frage Yoshimaru, „Was immer es ist, ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um ihn euch zu erfüllen.“

Der Mann sah Yoshimaru an und lächelte gequält, „Die Räuber… sie haben mir eine … eine Kette gestohlen… Eine Kette für meine… meine geliebte Tochter… sie wird bald heiraten…“, er hustete erneut und zuckte, als litt er an einem fürchterlichen Krampf.

„Bitte, sprecht weiter.“, sagte Yoshimaru behutsam.

„Bitte…“, fuhr der Mann keuchend fort, „Holt diese … Kette zurück und… bringt sie zu meiner Tochter… Sie ist alles was ich noch habe…“

„Wo finde ich diese Diebe und eure werte Tochter?“, wollte Yoshimaru wissen.

„Die Diebe… treiben ihr Unwesen… überall in dieser Gegend…“, stieß er aus und machte eine lange Pause, „Und meine Tochter… sie wohnt in Kanazawa. Im östlichen Viertel. Ihr Name ist…“

„Wie ist ihr Name?“, hakte Yoshimaru vorsichtig nach.

„Amaya-Chan…“, Tränen traten in seine Augen, als er an seine Tochter dachte, die er nie wieder sehen würde.

„Ich schwöre bei meinem Leben, das ich euren letzten Wunsch erfüllen werde.“, versicherte Yoshimaru dem Mann, „Ihr braucht euch nicht zu sorgen.“

Der Verletzte sah Yoshimaru mit tränennassen Augen an, doch sein Mund formte ein glückliches Lächeln.

„Buddha schütze euch…“, hauchte er und schloss seine Augen für immer.

Yoshimaru legte ihn behutsam auf den Boden und erhob sich, den Kopf gesenkt, und sah zu Hotaru und dann zu Hideto hinüber. Hotaru kullerten dicke Tränen über die sanften Wangen und sie hielt eine Hand vor ihren Mund. Hideto sah Yoshimaru mit einem Blick an, der zwar besagte, dass er diese weitere Störung ihrer Reise nicht willkommen hieß, aber dennoch Yoshimarus Verhalten verstehen konnte.

„Was macht ihr da?“, der Wirt kam tobend in den Esssaal gerannt, „Schafft die Leiche hinaus! Ich will hier keine Toten in meinem Geschäft haben! Bei der spirituellen Verunreinigung verkaufe ich ja nie wieder etwas!“

8
 


 


 


 


 

Was hast du jetzt vor?“, fragte Hideto streng.

Die drei hatten das Nudelhaus gegen Abend verlassen, nachdem der Besitzer entschieden hatte, dass sie zu viel Ärger machten, anstatt ihre Schulden abzutragen.

„Diese Diebe finden, die Kette zurückholen und sie nach Kanazawa bringen.“, antwortete Yoshimaru ruhig und setzte sich seinen Strohhut auf.

„Das kann uns mehrere Tage kosten!“, stellte Hideto wütend fest.

„Ich erwarte von keinem von euch, dass er mich begleitet.“, antwortete Yoshimaru ruhig, „Ich habe es diesem Mann versprochen, und ich werde mein Wort halten.“, er steckte seine Schwerter in seine Schärpe.

„Pah, mach doch was du willst…“, erwiderte Hideto genervt, während er sich von der Holzveranda des Nudelhauses erhob, auf der er gesessen hatte, „Ich gehe direkt nach Kanazawa und suche den, der für das Gemetzel in der Kaserne verantwortlich ist.“

Hotaru schaute panisch vom einen zum anderen und zurück. Sie wollte nicht wieder allein sein. Sie konnte nicht zulassen, dass sich ihre beiden Begleiter jetzt trennten. Was, wenn sie es nicht verhindern konnte? Mit wem sollte sie gehen?

„Dann trennen sich hier unsere Wege.“, erklärte Yoshimaru kühl.

„Aber… aber…“, stotterte Hotaru, die vor Aufregung nicht in der Lage war, einen ganzen Satz zu formulieren.

„Mir soll’s recht sein.“, erwiderte Hideto mit einem selbstgefälligen Grinsen.

Yoshimaru verbeugte sich kurz und drehte sich dann um, mit dem Worten: „Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder. Gehabt euch wohl.“

„Pah.“, gab Hideto von ich und lief in die entgegen gesetzte Richtung.

Tränen stiegen Hotaru in die Augen als sie eilig von einem zum anderen sah. Doch plötzlich verwandelte sich ihre Panik in Entschlossenheit um.

„HALT!“, schrie sie so laut sie konnte. Die beiden Männer blieben stehen, als hätte sie ein Blitz getroffen. Yoshimaru drehte sich um und sah Hotaru fragend an. Hideto schaute auf den Boden.

„Ihr habt mir versprochen, mit mir zu reisen. Und ich werde nicht zulassen, dass ihr euer Versprechen brecht.“, erklärte sie trotzig.

„Geh mit ihm…“, sagte Hideto, „Ich kann keinen Anhang gebrauchen.“

Hotaru schaute zu Yoshimaru hinüber, neugierig auf seine Antwort.

„Ich halte das für keine gute Idee…“, antwortete er, „Ich werde nach einer Diebesbande suchen. Das ist viel zu gefährlich für ein Mädchen.“

„Nicht das es so endet wie letztes Mal…“, fügte Hideto leise hinzu, woraufhin Hotaru ihn verächtlich anschnaubte.

„Du solltest mit Hideto gehen, Hotaru. Wenn ihr Kanazawa erreicht habt, kann jeder seines Weges gehen.“, erklärte Yoshimaru, „In der Stadt findest du bestimmt Anschluss an jemanden, mit dem du reisen kannst.“

Hotaru blickte Yoshimaru trotzig an, doch Tränen schimmerten in ihren Augen. Sie hatte sich gerade an ihre Begleiter gewöhnt und wollte sie nicht schon wieder verlieren. Aus irgendeinem Grund, der für sie keinen Sinn ergab, verbrachte sie gerne Zeit mit diesen Knalltüten.

„Aber ich will sie nicht mitnehmen!“, meldete sich Hideto zu Wort.

„Aber dein Versprechen und deine Schuld als Samurai binden dich an sie.“, erwiderte Yoshimaru rasch, „Du hast keine Wahl.“

Hideto funkelte ihn böse an, „Und du bist nur ein Samurai wenn es dir gerade passt. Wenn nicht, bist du nur der Vagabund. Lächerlich!“

Er drehte sich wieder um und ging los. Über seine Schulter rief er: „Na komm schon, Hotaru.“

Sie blickte Yoshimaru noch einmal an mit ihren großen Augen, in denen Tränen schimmerten. Yoshimaru blickte ihr mit einem freundlichen Lächeln entgegen, dann zog er seinen Strohhut bis in sein Gesicht, drehte sich um und ging. Hotaru wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ihres Kimonos weg und beeilte sich, Hideto wieder einzuholen.
 

Yoshimaru hatte die Nacht unter einem Baum schlafend verbracht, als ihn die ersten Sonnenstrahlen und das frühmorgendliche Vogelgezwitscher weckten. Er schon seinen Strohhut aus seinem Gesicht und erhob sich elegant. Er war am Vorabend nicht mehr weit gekommen und für ein Gasthaus hatte er kein Geld.

Den Vormittag verbrachte Yoshimaru damit, Reisen und in der Gegend wohnende Bauern nach der Diebesbande zu befragen. Doch niemand konnte ihm nützliche Informationen geben. Oder aber die Leute hatten zu viel Angst um ihr Leben. Es geschah nicht selten, dass Banden kleinere Dörfer erpressten, wenn sie selbst in der Gegend lagerten. Ein Indiz dafür, dass Yoshimaru auf dem Richtigen Weg war.

Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt bereits überschritten, als sich Yoshimaru eine Pause könnte. Erschöpft setzte er sich auf den Boden und lehnte sich an den hölzernen Dorfbrunnen. Sie Sonne schien erbarmungslos vom Himmel, kein Wölkchen war zu sehen und kein Lüftchen wehte.

„Ihr sucht nach einer Bande von Dieben, habe ich gehört.“, ertönte eine raue Stimme neben Yoshimaru. Dieser sah sich um und erblickte einen alten Mann, in Lumpen gehüllt. Offenbar ein Bettler.

„So etwas verbreitet sich schnell, in einem so kleinen Dorf wie diesem.“, fuhr der Mann fort, „Doch nach manchen Sachen sollte man einfach nicht fragen.“

„Was ihr nicht sagt.“, erwiderte Yoshimaru gespannt. Der Mann wusste etwas.

„Der letzte, der hier rumgeschnüffelt hat, verschwand über Nacht spurlos.“, erklärte der Bettler.

„Das wird mir nicht passieren.“, antwortete Yoshimaru ruhig, „Es ist besser für euch, wenn ihr mir sagt, was Ihr wisst.“

Der Alte lachte verächtlich, „Wie Ihr wollt, junger Samurai. Ich kann euch erzählen, was ich weiß, was ihr daraus macht, ist eure Sache. Aber sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.“

„Macht euch keine Sorgen, alter Mann.“, sagte Yoshimaru bestimmend, „Ich kann schon auf mich aufpassen. Bitte, sagt mir was ihr wisst.“

Der Bettler lehnte sich zurück und sah in den strahlend blauen Himmel. In der Nähe stiegen einige Vögel lärmend auf.

„Gerade gestern fragte ein junger Mann, kaum älter als Ihr, nach eben diesen Banditen. Er übernachtete im Kyoia, gab ein kräftiges Trinkgeld, wie ich gehört habe. Er nahm ein einfaches Zimmer, doch am Morgen war er verschwunden. Seit dem habe ich ihn nicht wieder gesehen.“, der Bettler machte eine kurze Pause, seufzte, und fuhr dann fort, „Ich habe gehört, dass die Bande in einer Schlucht im Osten lagert. Natürlich kann diese Information auch falsch sein, aber das ist, was man sich hier erzählt.“

„Ich danke euch.“, Yoshimaru erhob sich schwungvoll und richtete seinen Hut.

„Noch etwas, junger Samurai.“, fügte der Bettler hinzu. Yoshimaru sah zu dem alten Mann hinab.

„Auf den Anführer dieser Bande ist ein Kopfgeld ausgesetzt. 50Ryo. Das ist eine Menge Geld. Der Stadthalter, ein Mitglied des Niu-Clans, hat diese Belohnung ausgesetzt, doch niemand traut sich, etwas zu unternehmen. Sie haben alle mehr Angst vor diesen Banditen, als vor unserem trotteligen Stadthalter.“

„Danke für den wertvollen Tipp. Wie finde ich diese Schlucht?“, wollte Yoshimaru wissen.

„Folgt einfach der Straße nach Osten. Sie führt durch diese Schlucht hindurch. Doch seit die Diebe in dieser Gegend lagern, benutzt sie niemand mehr.“

„Ich verstehe.“, Yoshimaru verbeugte sich kurz, drehte sich um und machte sich auf den Weg, „Ich danke euch für alles. Wir werden uns wieder sehen.“

Der Alte lachte erneut, „Wie Ihr meint, junger Samurai. Aber das haben vor euch schon ganz andere gesagt.“
 

Die Sonne nährte sich dem Horizont, als Yoshimaru die steinerne Ebene östlich des Dorfes erreichte. Vor ihm führte der Weg durch eine Schlucht, zwischen zwei Bergen hindurch. Links und rechts des Weges, der gerade breit genug war, dass man mit einem Ochsenkarren hindurch fahren konnte, erhob sich die felsige Wand etwa zehn Meter steil in die Höhe.

Plötzlich hatte Yoshimaru was Gefühl, beobachtet zu werden. Er schnellte herum, doch erblickte niemanden weit und breit.

Langsam und mit bis aufs Äußerste geschärften Sinnen, bewegte sich Yoshimaru den gewundenen Pfand entlang, die Hand am Schwertgriff.

Ein Knacken ertönte hinter Yoshimaru. Er zog sein Schwert und wirbelte herum, doch seine Klinge durchschnitt lediglich die langsam abkühlende Luft.

Seine Augen huschten von links nach rechts und wieder nach links, doch niemand war zu sehen. Plötzlich spürte er eine bedrohliche Präsenz hinter sich, aber noch eh er sich umdrehen konnte, spürte er eine Schwertspitze an seinem Rücken.

„Lass die Waffe fallen!“, ertönte eine kalte, ruhige Stimme.

9
 


 


 


 


 

Auch Hideto und Hotaru hatten die Nacht unter freiem Himmel verbracht. Am nächsten Morgen waren sie früh aufgebrochen, um bald die nächste Stadt zu erreichen.

„Ich habe huuuuuunger…“, jammerte Hotaru.

Genervt stapfte Hideto voran, „Glaubst du, ich habe keinen Hunger? Hör bloß auf, mir auf den Geist zu gehen…“,

„Du bist so gemein!“, rief Hotaru, „Ich wünschte, ich wäre mit Yoshimaru gegangen…“

„Dann geh doch. Von mir aus brauchst du nicht zu bleiben.“, schnauzte Hideto.

Hotaru zog ein beleidigtes Gesicht, antwortete aber nicht.

Den ganzen Tag liefen sie schweigend hintereinander her, vorbei an wandernden Händlern und Pilgern. Doch plötzlich hörten sie lautes Pferdegetrappel hinter sich. Hideto drehte sich um, hob seinen Kopf und schirmte seine Augen mit einer Hand gegen die Sonne ab. Hotaru schaute vorsichtig an ihm vorbei.

Aus der Ferne kam eine ganze berittene Eskorte auf sie zu. Zuerst ritten etwa zwanzig Samurai in glänzenden Rüstungen an ihnen vorüber. Sie trugen große, beeindruckende Helme und Masken, die wie Dämonen aussahen. An ihren Schärpen hingen reich verzierte Schwerter. Dann kamen einige Träger, die eine elegante Sänfte trugen, auf deren Seite die goldene Libelle prangerte. Ihr folgten eine Hundertschaft von Dienern, die das Gepäck trugen, dann noch einige Fußsoldaten mit Naginata und Bögen, ebenfalls in prachtvollen Rüstungen.

„Oh, wow. Wie beeindruckend.“, staunte Hotaru.

„Die Hatamoto des Fürsten.“, erklärte Hideto, „Mein Bruder ist bestimmt unter ihnen.“

„Dein Bruder?“, fragte Hotaru verwundert.

„Ja. Er gehört zur Leibwache des Fürsten.“, fuhr er fort, „Er ist der Stolz unserer Familie.“

So sehr er es auch versuchte, Hideto konnte den traurigen Unterton nicht gänzlich aus seiner Stimme verbannen. Hotaru bemerkt dies, und sah Hideto mitleidig an.

„Hör auf mich so anzusehen.“, motzte Hideto, „Ich kann kein Mitleid gebrauchen.“

„Bist du deswegen so… verschlossen?“, wollte Hotaru wissen.

„Das geht dich gar nichts an. Und auch sonst niemanden. Das ist allein meine Sache.“, erwiderte Hideto garstig.

Hotaru senkte traurig den Kopf. Die Prozession war nun vollständig an ihnen vorbeigezogen und hatte nur eine riesige braune Staubwolke hinterlassen.

Erschöpft von der Wanderung ließ sich Hideto unter einen Baum am Wegesrand falle. Hotaru hockte sich neben ihn.

„Diese Mörder haben in der Kaserne einen sehr guten Freund von mir getötet.“, erklärte Hideto mit belegter Stimme. Ihm war es eigentlich zuwider, darüber zu reden, doch auf irgendeine Weise fühlte er sich bei Hotaru so geborgen, dass er mit ihr über alles reden konnte, „Ich werde dir erzählen, was in der Nacht passiert ist…“

Verwundert, aber zugleich irgendwie gerührt, sah Hotaru ihn mit ihren großen Augen an.
 

Yoshimaru machte sich bereit, nach vorne zu springen, sich dabei zu drehen und seinen Angreifer niederzustrecken. Seine Muskeln spannten sich, doch seine verbundenen Verletzungen schmerzten.

„Denk nicht einmal daran.“, zischte die Stimme bedrohlich, „Du wärest tot, bevor du auch nur eine viertel Drehung machen könntest.“

Yoshimaru spürte die tödliche Energie, die der Fremde ausstrahlte, wie eine Aura, die ihm die Haut zu verbrennen schien.

„Na los. Lass es fallen.“

Betrübt gehorchte Yoshimaru, denn er sah ein, dass er keine Chance hatte. Klingend landete sein Katana auf dem steinernen Boden.

„Diese Diebe gehören mir. Wenn du mir in die Quere kommst, töte ich dich.“, flüsterte der Angreifer, doch seine Worte waren so klar und deutlich als hätte er sie Yoshimaru direkt ins Ohr gesagt.

Yoshimaru hörte ein leises Rascheln hinter sich, als der Druck der Schwertspitze nachließ. Sofort drehte er sich um, doch der Fremde war verschwunden. Verwirrt sah sich Yoshimaru um, doch weit und breit war keine Menschenseele. Wachsam bleibend hob er sein Schwert auf. Doch die bedrohliche Aura war vollkommen verschwunden. Mit einem stählernen Klingen steckte er sein Katana zurück in die Scheide.

Dieser Fremde war eindeutig ein Meister der Kampfkunst. Doch was meinte er damit, dass ihm diese Bande gehöre? War er ein Kopfgeldjäger? Egal wer dieser Kerl war, er durfte sich nicht einschüchtern lassen. Zur Not würde er sich auch diesem Gegner stellen, um sein Versprechen zu halten, die Kette zurück zu holen.
 

Leise und vorsichtig näherte sich Yoshimaru der Schlucht, als er plötzlich ein kleines Feuer zwischen einigen größeren Steinen erblickte. Geschwind zog er sein Katana und schlich im Halbkreis um die Feuerstelle herum, während er versuchte, durch eine Lücke zwischen den Felsen zu erkennen, wie viele Leute hier lagerten. Doch es war niemand zu sehen oder zu hören.

Yoshimaru huschte durch die Schatten und spähte zum Feuer hinüber, dass wild prasselte. Neben der Feuerstelle lagen zwei große Gestalten auf dem Boden, die sich nicht regten. Schliefen sie etwa? Wenn ja, wo was ihre Nachtwache?

Mit gezogenem Schwert schlich Yoshimaru in das Lager hinein, bereit, mögliche Angreifer zu töten. Doch nichts regte sich. Als er näher an die beiden Gestalten herankam, erkannte er auch wieso: Dem einen, einem Mann mittleren Alters mit derbem Gesicht und kurzen Haaren, hatte jemand von einem Ohr zum anderen die Kehle durchgeschnitten. Dem anderen, einem hageren Kerl mit Glatze, ragte etwas aus dem Hals.

Yoshimaru hockte sich neben die Leiche, um den Gegenstand zu identifizieren. Es war ein Shuriken. Ein Wurfstern, wie er oft von Ninja benutzt wurde. Woher auch immer Akio-Sensei dieses wissen hatte, glücklicherweise hatte er es an seinen einzigen Schüler weitergegeben.

Auf einmal fiel Yoshimaru auf, dass er gar keinen Todesschrei gehört hatte, außerdem hatte keiner der Beiden auch nur einen Versuch unternommen, sein Schwert zu ziehen. Sie müssen äußerst schnell und präzise getötet worden sein.

Yoshimaru erhob sich, sah sich kurz um und ging dann weiter in Richtung Schlucht. Was er dort wohl vorfinden würde?
 

Diese so genannte Schlucht war nicht viel mehr als ein Felsspalt, in dem man mit Mühen zu dritt nebeneinander herlaufen konnte. Wie sollte sich hier eine ganze Bande von Räubern verstecken. Ein plötzliches Poltern hoch über seinem Kopf verriet Yoshimaru die Antwort: Die Banditen waren oben auf den Klippen.

Mit aller Kraft die er mit seinem verbundenen Bein aufbringen konnte, sprang Yoshimaru nach vorn und rollte sich ab. Direkt hinter ihm gingen einige Steine von der Größe eines menschlichen Kopfes zu Boden, die ihn glatt zerquetscht hätten.

Yoshimaru reckte seinen Kopf gen Himmel, konnte aber nur den dunkler werdenden Himmel zwischen den Felsvorsprüngen erkennen, als plötzlich wieder etwas von oben auf ihn zukam. Mit einem Satz rette er wieder knapp sein Leben. So konnte das nicht weitergehen. Seine Feinde hatten ihn jedes Vorteils beraubt: Sie wussten wo er war, sie waren auf einer Klippe, wo er sie nicht angreifen konnte, sie besaßen Wurfgeschosse, die ihn bei einem Treffer töten konnten.

Yoshimaru dachte nach, wie er aus dieser Lage entkommen konnte, alles was ihm einfiel, was zum Anfang der Schlucht zu rennen oder zum Ende. Doch was war näher?

Als er nachdachte, hallte ein qualvoller Todesschrei durch die engen Wände der Klippe. Yoshimaru sprang auf und rannte in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Hinter ihm fielen weitere Steine zu Boden, seine Stichwunde am Bein schmerzte bei jedem Schritt. Doch schon bald sah er ein Licht vor sich, den Schein eines Feuers. Noch ein kleines Lager der Diebe.

Er bog um eine scharfe Ecke und fand sich in einem Kreisrunden Raum wieder. In der Mitte loderte ein kleines Feuer, auf dem Boden lagen die Leichen mehrerer Männer. Auf der anderen Seite des Lagers erblickt Yoshimaru einen Mann, der einen langen, schwarzen Mantel trug, ein dicker Zopf hing über seinen Rücken. Als Yoshimaru nach seinem Schwert griff, schnellte der Mann herum. Wieder spürte Yoshimaru die tödlich pulsierende Aura des Mannes.

Sein Mantel hatte einen hohen Kragen, sodass Yoshimaru den Mund des Fremden nicht sehen konnte, die langen Haare verdeckten ein Auge und hingen links und rechts des Gesichtes bis auf das Schlüsselbein hinunter. Der pechschwarze Mantel hüllte seine gesamte Gestalt ein und ließ ihn wie einen Geist erscheinen.

„Du schon wieder?“, drang die zischende Stimme des Mannes zu Yoshimaru hinüber. Dies also war der Mann, der ihn bedroht hatte.

„Wieso tötest du diese Diebe?“, fragte Yoshimaru frei heraus, „Wer bist du?“

Der Fremde sah ihn aus seinem sichtbaren Auge heraus scharf an, als plötzlich wieder Geröll von oben herabfiel. Der Mann mit dem Mantel wich elegant aus und sah dann nach oben.

„Du hast sie auf uns aufmerksam gemacht!“, zischte er.

„Das hast du auch ganz alleine geschafft!“, rief Yoshimaru, der unter einem kleinen Vorsprung Schutz gefunden hatte.

Plötzlich rannte der Fremde auf Yoshimaru zu, der sein Schwert zur Abwehr erhob, bereit für einen Kampf. Der Mann mit dem Mantel streckte seine linke Hand nach Yoshimaru aus und eine silberne Kette schoss aus seinem Ärmel. Diese wickelte sich um Yoshimarus Katana und riss es ihm gleich darauf aus der Hand. Rasch zog er sein Kurzschwert und hieb damit nach seinem Angreifer, der seine rechte Hand nach vorn schnellen ließ und das Schwert mühelos abfing.

Yoshimaru erkannte, dass der Mann einen Katar trug, eine Faustwaffe, bestehend aus drei metallenen Klauen, die er nun wie eine Jitte benutzte. Er fing das Wakizashi ab, verkantete es zwischen den Krallen und entwand es Yoshimarus Händen mit einer geschickten Handbewegung. Das Kurzschwert landete neben dem Katana auf dem steinigen Grund.

„Aus dem Weg!“, zischte der Mann wütend. Yoshimaru blieb nicht anderes übrig, als seine Arme zum Schutz seines Kopfes und Rumpfes zu heben, doch der Fremde griff nicht an.

Stattdessen erhob er seinen Arm und schleuderte etwas nach oben, an dem ein langes Seil hing. Ein leises Klingen bedeutete, dass das Wurfgeschoss irgendwo gelandet war. Der Mann knöpfte mit einer schnellen Bewegung seinen Mantel auf, der daraufhin zu Boden fiel und ergriff das Seil. Yoshimaru erkannte, dass ein schwarzes Tuch die untere Gesichtshälfte des Mannes bedeckte. Geschwind und geschickt wie ein Affe erklomm er die zehn Meter bis oben zur Klippe in Sekunden. Yoshimaru kam nicht umhin, diesen Mann zu bewundern.
 

Plötzlich hörte der Geröllfall auf und es herrschte Stille. Bis einige Todesschreie die Ruhe der hereinbrechenden Nacht durchschnitten. Kurz darauf fiel ein Mann direkt vor Yoshimarus Füße und blieb reglos liegen. Auch seine Kehle war durchschnitten.

Yoshimaru machte einen Schritt in die Schlucht hinein und sah nach oben, dort stand der Mann, vor dem dunkelblau des Himmels kaum zu sehen. Nur Sekunden später war er das Seil eben so geschickt wie er es bestiegen hatte, wieder hinunter geklettert und hob seinen Mantel vom Boden auf. Sein brustlanges Haar verdeckte sein Gesicht vollständig. Er trug einen elegant verzierten Lederwams und lederne Schultern und Handschuhe, die bis auf die Handrücken reichten. Seine weite schwarze Hose endete in ebenso schwarzen Metallstiefeln.

„Wer seid Ihr und was wollt Ihr hier?“, fragte Yoshimaru, der die Gelegenheit nutzte und seine Waffe aufhob.

„Nur den Kopf dieses Mannes.“, zischte der Fremde, der ein gerades Kurzschwert zog und sich neben die Leiche hockte. Mit einem schnellen Schritt durchtrennte er den Rest des Halses und hielt den Kopf in der Hand.

„Eigentlich sollte ich euch töten.“, flüsterte er bedrohlich.

„Versuch es doch.“, sagte Yoshimaru herausfordernd.

Der Fremde lachte leise, „Mut hast du ja, das muss man dir lassen.“, er erhob sich in einer fließenden Bewegung und ließ sein Schwert zurück in die Scheide schnellen, die er horizontal auf Bauchnabelhöhe auf dem Rücken trug. Dann hüllte er sich wieder in seinen Mantel.

„Wieso jagt ein junger Samurai wie Ihr Diebe? Wegen des Kopfgeldes? Das muss ich leider für mich beanspruchen.“, erklärte der Fremde, „Vielleicht sollte ich euch wirklich töten. Nicht das ihr mir noch einmal in die Quere kommt.“

„Das Kopfgeld wäre nur ein nützlicher Nebenverdienst gewesen, ich suche nach einer Halskette, die diese Männer geklaut haben sollen.“, antwortete Yoshimaru ungerührt.

„Ihr seht mir nicht wie ein Mann aus, der Frauenschmuck trägt.“, erwiderte der Fremde.

„In der Tat nicht.“, entgegnete Yoshimaru kühl, „Ich habe einem sterbenden Bauern versprochen, die Kette zu seiner Tochter zurückzubringen. Sie soll bald heiraten.“

„Wie edel.“, höhnte der Fremde, „Aber so sei es. Ich lasse dich leben. Aber den Kopf beanspruche ich für mich. Schließlich habe ich euch die Arbeit erleichtert.“

„Einverstanden.“, sagte Yoshimaru und steckte seine Schwerter zurück in die Scheiden. Die gefährliche Aura des Mannes war gänzlich verschwunden.

„Seid Ihr ein Kopfgeldjäger?“, fragte Yoshimaru, als er die Leichen nach der Kette durchsuchte.

„So etwas in der Art.“, antwortete der Fremde, ohne zu Yoshimaru hinüber zu sehen. Auch er durchsuchte eine der Leichen.

„Ihr töten für euren Unterhalt?“, fragte Yoshimaru weiter.

„Ja, so ungefähr. Hier ist die Kette.“, der Mann stand auf und warf Yoshimaru etwas silbrig Glänzendes zu. Dieser fing die Kette und besah sie sich. Ein filigran gearbeitetes Stück, was bestimmt unglaublich teuer gewesen ist, vor allem für einen Bauern.

„Wie ist Euer Name?“, wollte der Fremde wissen.

„Ich bin Yoshimaru, und wie lautet er Eure?“

„Ich habe keinen Namen.“, antwortete der Mann, „Aber man nennt mich Goh, die Krähe.“

Daraufhin sprang er erneut an das Seil und verschmolz mit dem dunkelblauen Himmel über dem Lager.

Hey liebe Leser!

Ich hab mir überlegt, zwischendurch mal n bisschen was zu erzählen. Zu allem möglichen, Chars, Ideen, Orte usw.
 

Doch zuerst, würd ich gern mal wissen, wer das hier überhaupt liest ^^"

Es wär super lieb wenn jede wenigen, die diese Fanfic lesen zu diesem Kapitel nen kurzen Kommi machen würden =)

Ein einfaches "Hallo" reicht ^^ aber ich würd schon gern wissen, was ihr bis jetzt von der FF haltet.

-Welcher Char gefällt euch am besten?

-Wen mögt ihr garnicht?

-etc ^^
 

Dann hab ich da nch eine erfreuliche Nachricht:

evil_PRI hat mir 2 Fanarts gewidmet :D genau genommen Hideto und Yoshimaru

Einzusehen hier:
 

http://animexx.onlinewelten.com/fanarts/output/?fa=1311938&sort=zeichner&ordner=-1

http://animexx.onlinewelten.com/fanarts/output/?fa=1311277&sort=zeichner&ordner=-1
 

Ich find die voll super :D Vielen Dank dafür!
 

So, jetzt zur FF an sich:

Also ich hab schon sehr positives Feedback bekommen, was Goh, die Krähe angeht ^^

Ich werde ihn auf jeden Fall wieder auftauchen lassen, er erfüllt noch seine Rolle in dem Ganzen, mehr verrat ich hier nicht ^^

Aber ich kann ihn leider nicht mit Hideto und Yoshimaru zusammen kämpfen lassen, ganz einfach deswegen, weil er viel zu stark ist xD
 

Für Vorschläge, Ideen oder Kritik bin ich jederzeit offen. Ich habe die Story in meinem Kopf nicht so eng gestrickt, dass ich da nicht noch ein paar Sachen ändern oder hinzfügen könnte. Aber NEIN, kein Shonen-Ai X'D
 

liebe Grüße

euer Stabi
 

Nun aber zum nächsten Kapitel:
 

10
 


 


 


 


 

„…und dann bin ich am nächsten Morgen aufgewacht und wusste nicht einmal, wer diese beiden Soldaten getötet hat.“, endete Hideto seine Geschichte.

Hotaru hatte die ganze Zeit vor Erstaunen geschwiegen. Hideto hatte nie viel über sich erzählt. Und schon gar nicht über diese Nacht.

Er griff in seinen Ausschnitt und zog ein kleines Stück Holz an einem Faden heraus, „Die ist alles, was ich von Wada habe. Und eine Lebensschuld.“, er machte eine kurze Pause, „Und ich werde nicht eher ruhen, eh er gerecht ist.“, Hidetos Hand verkrampfte sich um den geschnitzten Anhänger, er blickte in die Ferne, doch vor seinem inneren Auge sah er Wada, der ihm zurief, er solle verschwinden und kurz darauf sein Leben ließ.

„Das habe ich alles gar nicht gewusst…“, sagte Hotaru leise, „Es… es tut mir sehr Leid.“

„Mitleid hilft niemandem.“, sagte Hideto traurig, „Soviel habe ich gelernt. Ich werde erst Frieden finden, wenn die Männer, die meine Kaserne überfallen haben, in Lachen ihres eigenen Blutes liegen!“

Hotaru schluckte bei diesen Worten. Seit sie von der Nudelküche fort gegangen war, hatte sie so viel Leid und Tod gesehen, wie ihr ganzes Leben noch nicht.

„Mit jedem Tag den ich verliere, haben diese Bastarde erneut Gelegenheit, unschuldige Menschen zu töten.“, sagte Hideto und Zorn schwang in seiner Stimme mit. Hotaru hätte ihm niemals so ein selbstloses Denken zugetraut. Hideto war für sie wie ein Rätsel, dessen Schlüssel in seiner Vergangenheit lag, von der er nur wenig preisgab.

Hideto erhob sich ruckartig und ließ den Anhänger zurück in seinen Ausschnitt gleiten.

„Hideto…“, sagte Hotaru leise.

„Was?“, sagte er mürrisch, doch ein Hauch von Trauer und Verzweiflung prägte seinen Ton.

Auch Hotaru erhob sich und nahm Hidetos Arm in ihre zarten Hände, „Wenn du nichts dagegen hast… ich meine… ich würde dir gerne dabei helfen, alles herauszufinden.“

„Wie sollst du mir schon dabei helfen können?“, fragte er verhöhnend.

„Das weiß ich noch nicht…“, antwortete Hotaru traurig. In der Tat hatte sie nicht die geringste Ahnung, was sie für Hideto tun konnte, „…aber irgendwann kommt ganz sicher die Gelegenheit, da ich dir irgendwie nützlich sein kann. Da bin ich ganz sicher.“, ein aufmunterndes Lächeln legte sich auf ihre Lippen als sie Hideto in die Augen sah.

Hideto lachte leise, „Wie du meinst. Aber steh mir ja nicht im Weg.“, sagte er ernst, doch während er diese Worte sprach, verwandelte sich seine mürrische Grimasse in ein hoffnungsvolles Lächeln.

„Pass du lieber auf, dass DU MIR nicht im Weg stehst!“, höhnte Hotaru und machte einen großen Schritt vorwärts, wobei sie Hidetos Hand ergriff und mit sich zog, „Lass uns weiter gehen. Wir haben lange genug gerastet.“

„Du hast Recht. Gehen wir.“, erwiderte Hideto. Hotaru ließ seine Hand los und lief munter tänzelnd voraus.
 

Es musste kurz vor Sonnenaufgang sein, als Yoshimaru das kleine Dorf betrat, das in der Nähe der Schlucht gelegen war. Er fühlte sich erschöpft, was kein Wunder war. Er hatte den ganzen Tag nichts gegessen. Doch er war froh, die Kette bekommen zu haben, und das auch noch, ohne selbst jemanden töten zu müssen. Doch die Frage, wer dieser Goh war, ließ ihm keine Ruhe. Seine Waffen und sein Kampfstil erinnerten Yoshimaru an das, was ihm Akio-Sensei über Ninja erzählt hatte – geheimnisvolle Krieger der Finsternis.^

Doch diese waren allgemein als Mythos verschrien, jedenfalls bei den wenigen, die überhaupt etwas zu wissen glaubten.

Plötzlich wurde Yoshimaru von einer vertrauten Stimme aus den Gedanken gerissen.

„Ihr seid also tatsächlich zurückgekommen, junger Samurai?“, krähte der Bettler, der auf dem Rand des Brunnens saß und in die Sterne blickte.

„Wie gesagt: Ich kann schon auf mich aufpassen.“, erwiderte Yoshimaru, erwähnte aber lieber Goh nicht.

„Ich bin beeindruckt. Das hat noch keiner geschafft. Habt ihr den Kopf des Anführers?“, fragte der Alte beiläufig.

„Nein. Von ihm war nicht genug übrig, um einen Kopf zu erkennen.“, log Yoshimaru vorsichtshalber. Irgendwie hatte er den Eindruck, dass hinter dem Interesse des Mannes mehr steckte.

„Verstehe…“, antwortete der Mann betrübt, „Dann gibt es wohl auch kein Kopfgeld.“

„Leider nicht.“, entgegnete Yoshimaru. Natürlich hätte er sich über ein Bett und eine Mahlzeit gefreut, doch gegen Goh hätte er wohl keine Chance gehabt, wie er sich eingestehen musste.

„Wie komme ich nach Kanazawa?“, fragte Yoshimaru, um von Thema abzulenken.

„Folgt der Straße nach Osten bis ihr an eine große Kreuzung kommt. Geht dann nach Süden. In zwei bis drei Tagen solltet ihr die Stadt erreicht haben, wenn ihr wenig rastet und geschwind lauft.“, antwortete der Bettler.

„Ich danke euch. Auch bald.“, Yoshimaru lief weiter, doch seine Kräfte waren am Ende. Er musste schlafen. Wenigstens ein paar Stunden.

„Macht’s gut, junger Samurai.“, rief ihm der Alte hinterher und widmete sich wieder den Sternen.
 

Die Nacht verbrachte Yoshimaru mal wieder unter einem Baum. Die einzige Möglichkeit für einen Vagabunden ohne Geld. Zum Glück war das Wetter stabil, kein Regen, kein Sturm.

Als er am nächsten Morgen seine Augen öffnete, erwachte die Stadt um ihn herum gerade zum Leben. Bauern arbeiteten auf den Feldern, Händler transportierten Waren in Körben oder auf Ochsenkarren durch die staubigen Straßen.

Hungrig erhob sich Yoshimaru und blickte sich um. Egal was, er musste etwas essen. Als er durch die Straßen wanderte und nach Nahrung spähte, erblickte er einen Fischhändler, der einen klapprigen Karren hinter sich herzog. Als dieser um eine Hausecke bog, fiel ein bläulich schimmernder Fisch auf die staubige Straße.

Verstohlen sah sich Yoshimaru um, niemand außer ihm schien es bemerkt zu haben. Möglichst unauffällig nährte er sich dem ausgeweideten Meeresbewohner. Als er diesen erreichte, bückte er sich und hob ihn in einer fließenden Bewegung während des Laufens auf. Nachdem er die Stadt verlassen hatte, machte er nahe des Weges Rast, entzündete ein kleines, behelfsmäßiges Feuer und brat seinen Fisch, als sich jemand von Hinten nährte.

Yoshimaru sprang elegant auf und zog währenddessen sein Katana, dessen Spitze in Richtung eines Fremden zeigte. Er war in Lumpen gehüllt, sein Gesicht wurde durch eine große Kapuze verdeckt.

„Wer seid ihr?“, fragte Yoshimaru streng.

„Die Leute hier nennen mich lediglich Bakemono – Monster.“, erwiderte der Fremde in einer ruhigen, kratzigen Stimme, „Sagt mit, reist ihr nach Kanazawa?“

„Eure Stimme klingt recht jung für einen Obdachlosen oder Verstoßenen.“, bemerkte Yoshimaru, der immer noch sein Schwert auf den Fremden gerichtet hielt.

„Wer sagt denn, dass Verstoßene alt sein müssen?“, fragte der Mann freundlich und ging einen Schritt auf Yoshimaru zu.

„Halt!“, rief dieser, „Ihr wäret nicht der erste, der durch diese Klinge stirbt.“

„Aber ihr würdet doch keinen harmlosen Krüppel töten, nicht wahr?“, der Mann hob einen Arm und schob seine Kapuze nach hinten. Yoshimarus Muskeln spannten sich, doch als er erkannt, was er sah, weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. Leinene Verbände umschlungen den Kopf des Fremden. Sie waren schief gewickelt, als hätte er versucht, sie sich selbst anzulegen, und ließen deshalb an einigen Stellen verbranntes Fleisch erkennen. Ein paar dunkle Haarsträhnen gucken hier und da zwischen den Bandagen hervor und wehten im Wind.

„Was ist euch geschehen?“, fragte Yoshimaru ruhig als er sein Schwert elegant zurück in die Scheide gleiten ließ.

„Ein Feuer, vor etwa einer Woche. Ich hatte Glück, überhaupt überlebt zu haben. Oder aber Pech, wie man es sehen will.“, antwortete der Fremde, „Darf ich mich zu euch setzen?“

„Natürlich.“, erwiderte Yoshimaru freundlich, er empfand Mitleid mit dem Mann, der, nach seiner Stimme zu urteilen, jünger war als er selbst. Der Fremde setzte sich an das Feuerchen, gegenüber von Yoshimaru, der seinen Fisch prüfte, ob er gar war und feststellen musste, dass er bereits angebrannt war. Doch sein riesiger Hunger trieb auch den angekohlten Fisch hinein.

„Wie unhöflich von mir. Mein Name ist Yoshimaru. Darf ich euch etwas von meinem Fisch anbieten?“, fragte er sittsam.

Der Fremde lachte, doch es klang eher wie ein trockenes Rasseln, „Danke nein. Ich esse nichts, das so lange dem Feuer ausgesetzt war wie ich.“

„Verzeiht.“, entgegnete Yoshimaru geschwind.

„Also reist ihr nach Kanazawa?“, fragte der Mann erneut.

„So ist es.“

„Für einen Man wie mich ist es sehr gefährlich allein so weit zu reisen.“, erklärte der Verbrannte, „Dürfte ich euch ein Stück begleiten?“

„Es tut mir Leid, doch ich bezweifle, dass Ihr Schritt halten könnt. Ich habe es recht eilig.“, antwortete Yoshimaru.

„Ich verstehe.“, sagte der Mann betrübt, „In dieser Welt ist einfach kein Platz für Menschen wie mich.“, er erhob sich und wollte gehen.

„Wartet.“, sagte Yoshimaru resigniert, „Ein Stück des Weges können wir durchaus zusammen gehen.“

„Ich danke euch.“, sagte der Mann und versuchte, mit seinen von Brandblasen entstellten Lippen zu lächeln.

Bakemono lief neben Yoshimaru, seine weite Kapuze bis ins Gesicht gezogen, dass niemand seine Bandagen sehen konnte. Er hinkte leicht auf dem rechten Bein, was sie langsamer vorankommen ließ. Hinzu kam noch, dass Bakemono oft Pausen brauchte, da er seinen verbrannten Körper nicht die ganze Zeit belasten konnte.

„Dort vorn ist eine Raststätte.“, keuchte Bakemono, „Lasst uns eine Pause machen.“

„Ich habe leider kein Geld.“, antwortete Yoshimaru betrübt, sein Magen knurrte laut.

Bakemono lachte trocken, „Lasst das meine Sorge sein.“

„Wie darf ich das verstehen?“, wollte Yoshimaru wissen.

Bakemono griff in seinen weiten braunen Umhang und holte einen klingenden Geldbeutel heraus.

„Verstehe.“, sagte Yoshimaru anerkennend, „Ihr steckt voller Überraschungen.“

Als Bakemono ihn schief anlächelte, fuhr Yoshimaru fort, „Ihr tragt einen sehr weiten Mantel. Doch selbst dieser vermag nicht immer Euer Schwert zu verstecken.“

Yoshimaru sah, wie sich Bakemonos Augen weiteten. Ob vor Überraschung oder Furcht vermochte er nicht zu sagen.

„Eurem Auge entgeht nichts.“, gab der Verbrannte zögerlich zurück.

„Ihr wart einst ein Samurai?“, fragte Yoshimaru.

Bakemonos Gesicht verzog sich zu einer Fratze, die wohl ein melancholisches Lächeln hätte sein sollen.

„Ja, so ist es.“, gab er zurück, „Doch so wie ich jetzt bin, kann ich niemandem mehr unter die Augen treten…“

„Falls nicht zu streng mit Euch ins Gericht. Es war sicherlich nicht Eure Schuld, dass diese Tragödie geschehen ist.“, versuchte Yoshimaru ihn zu beruhigen.

Doch Bakemono schwieg. Yoshimaru spürte, dass etwas nicht stimmte, Bakemono verbarg etwas. Doch es war nicht an ihm, Bakemonos Probleme oder Fehler der Vergangenheit zu verarzten. Schweigend betraten sie das Gasthaus und setzen sich in den vorderen Teil, der als Restaurant diente. Eine beleibte Kellnerin brachte ihnen Tee und Soba, die Bakemono bezahlte. Als sich die junge Bedienstete verbeugte, stieß sie dabei einen Eimer mit Wasser zum Putzen um, und das Wasser verteilte sich im ganzen Raum. Unweigerlich musste Yoshimaru an Hotaru denken und seine ernste Miene wurde nachdenklich.

Was Hotaru und Hideto wohl gerade machten? Ob sie wieder in irgendeinen Schlamassel geraten waren? Ob sie schon in Kanazawa angekommen waren?

Doch plötzlich wurde Yoshimaru durch Bakemonos Stimme aus den Gedanken gerissen.

„Ich war Soldat in einer Kaserne, nicht weit von hier.“, begann Bakemono ohne Umschweife zu erzählen, „In jener Nacht war ich an der Reihe, die Nachtwache zu übernehmen. Zusammen mit einem dutzend Anderer hatten wir die Mauern der Kaserne bemannt. Die Nacht war ruhig, kaum ein Lüftchen wehte.“, er machte eine Pause und schloss die Augen, als würde er sich in Gedanken in jene Nacht zurückversetzen um Yoshimaru jedes Detail berichten zu können, „Doch einige Missachteten Ihre Pflicht und verließen Ihre Posten. So geschah es, dass wir den Angriff nicht rechtzeitig erkennen konnten.“, Bakemonos Augen zuckten unter seinen Lidern hin und her, als würde er diese Schlacht ein zweites Mal durchleben, „Die durchbrachen das Haupttor und überraschten die meisten im Schlaf. Ein mutiger Samurai von uns schaffte es, zur Glocke zu gelangen und Alarm zu schlagen, doch wir waren hoffnungslos in der Unterzahl. Sie töteten meine Freunde und verbrannten unsere Kaserne. Durch einen Zufall überlebte ich, doch als ich aufwachte, brannte mein Körper lichterloh. Mit Mühe erreichte ich den nahe gelegenen Fluss. Seit dem bin ich ein Vagabund.“, Bakemono endete seine Gesichte, öffnete seine Augen und trank einen seinen Tee mit einem einzigen Zug leer.

„Ich verstehe…“, entgegnete Yoshimaru betrübt, er brauchte einen Moment, um diese Geschichte in sich aufzunehmen. Plötzlich kam ihm eine Idee.

„Bakemono?“, sagte er erfreut, „Vielleicht sind nicht all Eure Freunde tot. Ich reiste einige Tage zusammen mit einem Jungen, der mir dieselbe Geschichte erzählte, möglicherweise kennt ihr euch.“

Bakemono sah Yoshimaru ungläubig an, konnte aber seine Neugierde nicht verstecken, „Und wer ist das?“

„Sein Name ist Hideto Yukishiro.“, antwortete Yoshimaru freudig. Bakemonos Augen weiteten sich und er sah Yoshimaru an, als hätte er einen Geist gesehen.
 

Hinter eine große Holzkiste geduckt, sah sich Soji die lange Eskorte des Hauses Nyu an. Die stolzen Samurai auf ihren Pferden, die Dienerschaft mit dem Gepäck und die reich verzierte Sänfte mit dem Mitglied der fürstlichen Familie. Als die ganze Formation an ihm vorbeigezogen war, ließ er sich auf den Boden sinken und besah seine kleinen Hände.

Sie waren schmutzig und hatten viele kleine Wunden. Wenn man auf der Straße lebte, und das in seinem Alter, war es nicht leicht zu überleben. Wehmütig dachte er wieder an die großen Samuraikrieger. Sie müssten niemals leben wie er, essen was andere wegwerfen oder stehlen. Schlafen im Dreck oder in Hauseingängen, um wenigstens ein wenig Wärme zu spüren in der kalten Nacht.

Plötzlich hörte Soji Schritte, die auf ihn zukamen, es mussten zwei Mann sein. Er hob den Kopf und blickte die Gasse entlang. Zwei Männer in dunklen Kimonos liefen genau auf ihn zu. Ihre Zotteligen Frisuren und prunklose Schwerter an der Hüfte wiesen sie eindeutig als Ronin aus. Eilig erhob sich Soji, doch bevor er weglaufen konnte, standen die beiden Männer vor ihm.

Angsterfüllt drängte er sich mit dem Rücken an die Holzkiste.

„Na Kleiner?“, sagte der eine Mann in zuckersüßem Tonfall.

„Du bist aber ein hübscher Bengel.“, fügte der andere ebenso schmalzig hinzu.

Soji sah sich panisch nach einem Fluchtweg um, doch er fand keinen. Der eine Mann lachte leise, als der andere seine Hand nach Soji ausstreckte.

„NEIN!“, rief Soji entschlossen. Er schlug die Hand des Mannes weg, stieß sich von der Kiste ab, sprang gegen den Oberschenkel des anderen Mannes und landete auf der Kiste. Eilig sprang er auf der anderen Seite wieder hinunter und fand sich auf einer der vier Hauptstraßen von Kanazawa wieder, alle vier führten von Außerhalb zur Residenz des Fürsten Nyu, dessen Palast in der Mitte der Stadt stand.

Er blickte sich hastig um und hörte, wie die Männer fluchend die Kiste umstießen. Soji blickte über die Straße, wer konnte ihm helfen?

Da fiel sein Blick auf einen jungen Samurai mit zotteligen Haaren, an seiner Hüfte trug er zwei schöne Schwerter und neben ihm lief ein Mädchen, das ihn lächelnd ansah.

Ohne weiter nachzudenken rannte Soji los. Er spürte, wie die Hand von einem der Männer ihn nur knapp verfehlte, er als noch einen Zahn zulegte.

Schnell erreichte er die beiden und warf sich dem Samurai ans Bein.
 

„Und dann, dann habe ich die Nudelsuppe zum dritten Mal hinter einander verschüttet! Kannst du dir das vorstellen?“, fragte Hotaru lachend.

Hideto hob seine Arme und verschränkte seine Hände hinter seinem Kopf. Hotaru tänzelte neben ihm her und lächelte ihn an.

„Nunja… weißt du…“, antwortete Hideto. Seit er Hotaru mehr über seine Vergangenheit erzählt hatte, hatte sie nicht mehr aufgehört zu reden.

Plötzlich nährte sich jemand geschwind von rechts, Hideto drehte seinen Kopf, doch es war zu spät. Ein Junge rannte mit voller Wucht in sein Bein, was beide prompt zu Boden riss.

„Was fällt dir ein?!?“, schrie Hideto wütend, „Guck gefälligst, wo du hinläufst, du Bengel!“

Hotaru sah die beiden verwundert an, als plötzlich ein Mann das Wort ergriff.

„Das ist unser Junge. Rückt ihn raus.“

Hideto schaute sich um und erblickte die Beine von zwei Männern, sie trugen dunkelgraue Kimonos. Schnaufend erhob er sich und klopfte sich den Staub von der Hose.

„Habt ihr nicht gehört?“, sagte der Mann wütend, „Gebt uns den Bengel!“

Hideto sah zu dem Jungen hinab, der sich langsam aufrichtete. Er hatte ein wunderschönes Gesicht, fast dem eines Mädchens gleich. Sein Haar war Kinnlang, der Pony war kurz und verdeckte nicht mal die Augen. An seinem Hinterkopf trug er einen kurzen Zopf. Hideto sah den Jungen an und dachte nach. Der Kleine lächelte Hideto freundlich entgegen.

„Seid ihr taub oder was?!“, meldete sich nun der andere Mann zu Wort, „Her mit ihm oder ihr werdet es bereuen!“

Hideto bemerkte, wie Hotaru ihn furchtsam ansah. Langsam drehte er sich zu den Männern um und hob seinen Kopf. Die Männer waren unrasiert und trugen schäbige Kleidung, doch an ihren Schärpen hingen Schwerter – Ronin.

„Und aus welchem Grund gehört euch der Junge?“, fragte Hideto ernst.

„Das geht Euch gar nichts an!“, bellte der Eine und griff nach seinem Schwertgriff.

„Verstehe…“, entgegnete Hideto kurz, er senkte leicht den Kopf und sah auf den sandigen Boden, „Dann nehmt ihn doch mit.“

„Na also, warum nicht gleich so.“, der Mann ließ sein Schwert los und machte einen Schritt auf den Jungen zu, wobei er bedrohlich seine Hand ausstreckte.
 

Soji traute seinen Ohren nicht, der Samurai wollte ihn wirklich einfach so diesen Männern überlassen! Hastig sah er sich nach einer Lösung um und erblickte… das Schwert des Samurai.

Entschlossen machte Soji einen Satz nach vorne und ergriff das Wakizashi des Samurai. Die Hand des Mannes kam immer näher. Seine Gedanken überschlugen sich. Er spürte den Schmerz, fühlte die Pein. Er sah seine Mutter, die ihm zulächelte, seinen Vater, mit dem strengen aber gutmütigen Blick. Die Hand des Fremden berührte Sojis Schulter. Mit einem Ruck zog er das Kurzschwert und stieß es mit aller Kraft empor.
 

Hideto brauchte einen Moment um zu begreifen, was geschah. Blut spritzte auf seine Lederrüstung, der Mann schrie, während der andere Mann sein Schwert zog und brüllend auf den Jungen losstürmte.

„Hideto, tu was!“, erklang Hotarus verzweifelte Stimme.

Er hatte keine Zeit zu denken, und plötzlich übernahmen seine Reflexe die Kontrolle über seinen Körper. Der Mann lief knapp an Hideto vorbei, als er plötzlich sein Katana ergriff und es in einer halben Drehung des Körpers zog. Seine Klinge sauste durch die Luft und schlitzte dem Angreifer die Seite aus. Dieser stöhnte und fiel leblos zu Boden.

Hideto schaute sich um. Menschen versammelten sich. Hotaru hatte ihre Hand vor den Mund geschlagen. Der Junge sah Hideto an… und lächelte.

12
 


 


 


 


 

Kennt ihr ihn?“, fragte Yoshimaru, „Er müsste in der selben Kaserne gewesen sein wie Ihr.“

Bakemono schaute immer noch entgeistert geradeaus, als sähe er einen Punkt, weit entfernt, der ihn in seinen Bann gezogen hat.

„Bakemono? Ist alles in Ordnung?“, wollte Yoshimaru behutsam wissen. Etwas schien nicht mit Bakemono zu stimmen. Einen Moment später atmete Bakemono ruckartig ein, seine Augenlider blinzelten schnell. Er blickte sich verwirrt um, als hätte er vergessen wo er war. Als er Yoshimaru erblickte, änderte sich sein Gesichtsausdruck und er war auf einmal wieder ruhig und konzentriert.

„Ja ich… ich kenne ihn.“, antwortete Bakemono leise. Zwar war Yoshimaru in der Lage, die Gedanken einer Person zu erahnen, wenn er ihr gegenübersaß, doch bei Bakemono war er absolut ratlos. Zweifellos mussten seine Erlebnisse und die Verbrennungen ihn stark geprägt haben.

„Wenn wir in Kanazawa sind, werden wir ihn treffen.“, erklärte Yoshimaru erfreut, „Da bin ich mir sicher.“, Yoshimaru entschied, einfach weiterhin freundlich zu sein und sein Misstrauen zu verdrängen. Was hatte er für einen Grund, Bakemono nicht zu vertrauen?

„Wollen wir weiter gehen?“, fragte Yoshimaru schließlich. Beide hatten ihren Tee getrunken und eine Kleinigkeit zu sich genommen. Das sollte für den Rest des Weges reichen.
 

Schwer atmend drückte sich Hideto gegen die Rückwand eines kleinen Holzhauses. Sie waren in ein Wohnviertel geflüchtet, nachdem der zweite Rônin ohne seine Hand geflüchtet war. Zwar war es das Recht eines Samurai, einfache Bürger zu töten, ohne einen Tadel dafür zu erfahren, auch war es durchaus Gang und Gebe jemandem bei einem Duell oder einer Rauferei zu töten. Doch trotzdem wollte sich Hideto aus dem ganzen Rummel lieber heraushalten.

Kurzerhand hatte er dem Straßenjungen das Wakizashi aus der Hand gerissen, Hotaru am Handgelenk gepackt und war mit ihr fluchend quer durch Kanazawa gerannt. Jetzt, da sie endlich eine Stelle gefunden hatten, wo gerade niemand anders zugegen war, machten sie halt um zu verschnaufen.

Schweißtropfen liefen über Hidetos Gesicht, die erbarmungslose Mittagssonne heizte die Stadt auf wie einen Ofen. Erschöpft richtete er sich auf und sah hinüber zu Hotaru, die wenige Meter neben ihm an der Hauswand lehnte. Doch was war das? Da war jemand hinter ihr! Hideto schirmte seine Augen mit der Hand ab, um mehr erkennen zu können – der Straßenbengel!

„Was macht er denn hier?“, rief Hideto zu Hotaru hinüber.

„Ich habe ihn natürlich mitgenommen!“, keifte Hotaru zurück und baute sich schützend vor dem Jungen auf, „Ich hätte ihn unmöglich inmitten dieser Meute lassen können.“

„Dieser Bengel ist doch für den ganzen Schlamassel verantwortlich!“, blaffte Hideto und schürzte die Lippen.

„Sei nicht so gemein zu ihm, er ist doch noch ein Kind.“, verteidigte sich Hotaru. Bei dem Gedanken an das Leben des Jungen, machte sich tiefe Traurigkeit in ihr breit. Sie ließ die Arme und den Kopf hängen und dachte daran, was dem Jungen wohl passiert wäre, hätte er nicht Hideto angerempelt.

„Jungen-Prostitution ist heutzutage etwas vollkommen Übliches.“, erklärte Hideto, der angesichts der traurigen Hotaru spürte, wie sein Zorn verflog wie Nebel, der von frischem Wind hinfort geblasen wird. Er drehte sich zur Seite und starrte gegen die Wand des gegenüberliegenden Hauses, „Dieses Schicksal erleiden hunderte von Jungen täglich in ganz Japan, wenn nicht sogar noch mehr.“, verstohlen sah er aus dem Augenwinkel zu Hotaru hinüber und erkannte, dass ihr eine Träne über die Wange lief.

„Aber das… das ist doch schrecklich…“, entgegnete sie leise, „Diese armen Kinder…“

Hideto atmete laut aus und drehte sich wieder zu den Beiden um. Der Junge stand hinter Hotaru und sah sie verwundert an. Plötzlich legte er ihr eine Hand auf die Schulter. Hotaru hob langsam den Kopf und sah den Jungen an. Tränen zeichneten ihr hübsches weiches Gesicht. Als sich ihre Blicke trafen, begann der Junge freudig zu lächeln und Hotaru konnte nicht anders, als selbst zu lächeln.

„Aber eins würde mich noch interessieren…“, begann Hideto neugierig. Hotaru und der Junge sahen ihn verwundert an.

„Wie hast du es geschafft, mein Schwert zu ziehen?“, Hidetos Blick wurde ernst, fast finster, als er den Straßenjungen musterte, der ängstlich einen Schritt zurück machte.

„Wie konntest du, ein einfach Bengel, ohne Probleme das Wakizashi aus meiner Schärpe stehlen und ziehen? Und wie kommt es, dass du damit auch noch umgehen kannst?“, er machte eine unheilvolle Pause. Die angespannte Atmosphäre in der Gasse schien die Geräusche der Umgebung vollkommen zu absorbieren.

„Du bist kein gewöhnlicher Junge, nicht wahr? Wer bist du?“, fragte Hideto argwöhnisch, als der Junge noch einen Schritt nach hinten macht, ihn aber unverändert anlächelte.

„Und wieso lächelst du andauernd?“, bellte Hideto, woraufhin der Junge stolperte und mit seinem Po auf dem sandigen Boden landete.

„Ich… ich…“, stotterte der Kleine.

„HIDETO! LASS DEN JUNGEN IN RUHE!“, ertönte plötzlich Hotarus Stimme so laut, dass Hideto das Gleichgewicht verlor und sich nur knapp davor bewahren konnte, ebenfalls hinzufallen.

Verärgert schaute Hideto zu Hotaru, die auf den Jungen zuging und freundlich lächelte, „Wer bist du? Kannst du uns das sagen?“, fragte sie behutsam und hockte sich hin, da der Junge noch recht klein war.

„Mein Name ist Sojiro Okita, aber man nennt mich Soji.“, antwortete der Kleine tapfer.

„Soso, ein Spross einer Samuraifamilie?“, schloss Hideto daraus, dass der Junge einen Familiennamen trug.

„Mein Vater war ein großer und mächtiger Samurai!“, rief Soji, „Und eines Tages werde ich genau so stark sein wie er!“

Hideto sah dem Jungen in die Augen. Sein Wille, stärker zu werden, brannte in seinen kindlichen Augen.

„Wenn du also ein kleiner Samurai bist …“, Hideto machte wieder eine kurze Pause und genoss den fragenden Blick auf dem Gesicht des Kleinen, „Wieso rennst du dann auf der Straße herum und wirst von solchen eigenartigen Leuten verfolgt?“

Sojis Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an, als er Hidetos Worte aufnahm.

„Mein Vater war ein ehrenhafter Mann!“, rief er unvermittelt und erhob sich ruckartig, sodass Hotaru aus dem Gleichgewicht geriet und sich an der nächsten Hauswand abstützen musste, um nicht umzufallen, „Er hätte meine Mutter und meine Schwester niemals umgebracht! Ich werde herausfinden, wer dafür verantwortlich ist und ihn zur Strecke bringen! Und dazu ist mir jedes Mittel recht!“

Hideto traute seinen Ohren kaum. Sein Erstaunen musste sich auf in seinem Gesicht widerspiegeln, denn Hotaru sah ihn gleichzeitig fragend und entsetzt an.

„Du meinst also, dein Vater ist einem Komplott zum Opfer gefallen?“, fragte Hideto vorsichtig. Er war sich nicht sicher, ob der Junge die Wahrheit erzählte oder nur versuchte, Aufmerksamkeit zu bekommen.

„Ja genau!“, erwiderte Soji, „Mein Vater lebte schon immer in Kanazawa. Früher war es nur ein kleines Dorf. Doch mit dem Bau des Palastes des Fürsten, wuchs das Dorf. Dies zog auch allerhand Gesindel und Abschaum an.“

„Wie diese Kerle…“, fiel ihm Hotaru leise ins Wort. Langsam begann sie zu verstehen.

„Ja. Mein Vater wollte nicht, dass solche Leute hier tun und lassen dürfen, was sie wollen. Er verschaffte sich eine Audienz bei dem Fürsten, doch dieser war nicht zugegen und so musste er mit dessen Stellvertreter vorlieb nehmen. Uyeda Yoshifumi, diese Schlange. Er hat meinen Vater angehört, ihn ausgelacht und wieder davon geschickt. In der folgenden Nacht…“, Soji machte eine Pause und Hideto konnte sehen, wie der Junge seine Zähne fest aufeinander biss, „… ich hörte Geräusche und ging in den Garten um nachzusehen. Doch es war niemand dort. Als sie wieder in das Haus ging, sah ich meine Mutter und meine Schwester auf dem Boden liegen. Beide lagen sie in ihrem eigenen Blut.“, wieder wartete Soji. Sein Blick war erst, doch konnte Hideto keine Trauer in seinen Augen erkennen. Wer war dieser Junge?

„Mein Vater wurde des Mordes an ihnen angeklagt und am folgenden Tag öffentlich hingerichtet. Er war ein rechtschaffener Mann und musste in Schande sterben, nur weil Gauner und Ganoven wie Uyeda hier etwas zu sagen haben.“

„Du glaubst, Uyeda hat deine Familie umbringen lassen?“, fragte Hideto erschrocken.

„Natürlich!“, rief Soji, „Das kann kein Zufall gewesen sein. Außerdem sagt man sich, Uyeda hätte eine Schwäche für Knaben. Er steckt mit diesen Leuten unter einer Decke und fürchtete, mein Vater könnte mehr Leute auf seine Seite ziehen und Uyeda gefährlich werden.“

„Ich verstehe…“, entgegnete Hideto niedergeschlagen. Als er zu Hotaru hinüber sah erkannte er, dass Tränen in ihren Augen schimmerten.

„Hat dein Vater dich auch im Umgang mit dem Schwert unterrichtet?“, fragte Hideto, um das unangenehme Thema zu wechseln.

„Ja.“, antwortete Soji freudig, „Jeden Tag. Doch er sagte immer, ich hätte ein außergewöhnliches Talent für den Schwertkampf. Ich war immer besser als die anderen Jungen in meinem Alter.“

„Darauf würde ich wetten…“, erwiderte Hideto nachdenklich. Dieser Junge musste ein göttliches Talent besitzen, sonst hätte er es niemals geschafft, das Wakizashi zu ziehen. Es muss mehr Instinkt als Übung gewesen sein.

„Wir sollten uns eine Unterkunft suchen.“, sagte Hotaru plötzlich, „Es wird bald dunkel.“

Hideto erkannte, dass sich Hotaru aufgerichtet und ihre Tränen von den Wangen gewischt hatte.

„Aber wir haben kein Geld.“, bemerkte Hideto.

„Vielleicht kann ich da etwas für euch tun.“, sagte Soji lächelnd.

„Wie soll ein Straßenjunge uns helfen, eine Unterkunft zu finden?“, fragte Hideto verächtlich.

13
 


 


 


 


 

Yoshimaru und Bakemono folgten dem Aufmarsch von Soldaten und Dienern in einigem Abstand. Zum einen wollte Yoshimaru einen Blick auf das Gefolge des Fürsten werfen, um möglicherweise einen der Räuber wiederzuerkennen ohne ihnen zu nahe zu kommen. Zum anderen war Bakemono mit seinen Verletzungen immer noch langsamer zu Fuß als die meisten anderen Leute.

Sie erreichten Kanazawa am Nachmittag. Als sie so über die breite Hauptstraße schlenderten, die direkt zum Anwesen des Fürsten Nyu führte, das wie eine Festung im Kern der Stadt lag und durch die massive Größe und Pracht weit über der Stadt aufragte, bemerkte Yoshimaru plötzlich den Geruch von Blut in der Luft. Sofort spitzten sich seine Sinne. Aufmerksam sah er sich um.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Bakemono, der anscheinend die Spannung in Yoshimarus Gesicht ablesen konnte.

„Ich rieche Blut.“, antwortete Yoshimaru knapp. Vorsichtig sah er sich weiter um, als Bakemono plötzlich trocken lachte.

„Was ist?“, fragte Yoshimaru scharf, immer auf einen Angriff befasst. Dies war immerhin die Stadt, in der die Männer mit dem Libellenwappen lebten. Er misstraute jedem, den er auf der Straße sah, jedem, den er irgendwie mit dem Fürstenhaus in Verbindung brachte.

„Dort vorne war eine Blutlache im Sand.“, erklärte Bakemono beiläufig, „Ich habe sie zufällig gesehen, als wir daran vorbeigingen. Es muss wohl eine blutige Rangelei gewesen sein. Mehr nicht.“

Yoshimarus Muskeln entspannten sich, sein Blick wurde lockerer.

„Du hast Recht.“, gab er zu und schob sich den Strohhut aus dem Gesicht, „Ich sollte aufhören hinter jeder Ecke einen Hinterhalt zu vermuten.“

Wieder lachte Bakemono heiser, was jedoch zu einem gequälten Husten wurde.

„Wir sollten uns eine Bleibe für die Nacht suchen.“, entschied Yoshimaru, „Morgen können wir dann nach der Frau suchen, die diese Kette bekommen sollte. Und vielleicht treffen wir auch Hideto und Hotaru wieder.“

„Ja gut.“, antwortete Bakemono. Bei dem Namen Hidetos schien er immer Gedanken zu versinken.
 

Die Stunde der Ratte war bereits angebrochen. Fahl schien das Licht des Mondes auf die leeren Straßen Kanazawas. Kein Mensch war mehr unterwegs, nur hier und da streunte ein Hund durch die engen Gassen der Gebäude und suchte nach Essen. In einigen Tagen würde Vollmond sein. Die Frist wurde langsam knapp. Doch Goh machte sich keine Sorgen. Bis jetzt hatte er noch jeden Auftrag zur vollen Zufriedenheit seines Herrn ausgeführt.

Wie ein Geist bewegte er sich lautlos durch das arme Wohnviertel bis zu dem Haus in dem sie waren. Den Tag über hatte er Nachforschungen angestellt über sie. Wo sie wohnten, wann sie sich trafen, wer alles dazugehörte. Letzteres war ihm besonders wichtig, da er ungern Unschuldige tötete. Doch sollte ihm jemand in den Weg kommen, würde er nicht zögern, alles zu tun, um seinen Auftrag auszuführen.

Goh erreichte das alte Holzgebäude und hockte sich unter ein mit Papier bespanntes Fester. Das Haus war alt und heruntergekommen. Das Strohdach lichtete sich an einigen Stellen, hier und da find das Holz der Wände an zu schimmeln, die Papierbespannungen der Fenster waren schmutzig und übersäht mit Falten, Rissen und Löchern, was es für ihn noch leichter machte, die Leute im Innern zu belauschen.

„Das sieht echt übel aus, Mann.“, sagte eine dunkle Stimme betroffen.

„Halts Maul!“, rief eine garstige Stimme, „Ich weiß wie das aussieht! Sieh lieber zu, dass du es vernünftig verbindest, anstatt mir Sachen zu erzählen, die ich schon weiß!“

Eine hellere Stimme fing leise an zu lachen, bevor sie das Wort ergriff: „Und du sagst, ein Junge habe das getan?“, er brach in Gelächter aus.

„Sei ruhig!“, keifte der zornige zurück, „Wir sollten leise sein. Und ja, es war ein Junge. Er hat sich ein Kurzschwert von einem dahergelaufenen Samurai geklaut.“

„Und dieser Bastard von einem Samurai hat dann Hisuke getötet?“, fragte die tiefe Stimme.

„So ist es…“, antwortete der Garstige, „Das wird er mir noch büßen! Diesem Bengel und dem Samurai werden wir die Hände und Füße einzeln abschlagen.“

„Das ist keine gute Idee.“, meldete sich eine ruhige Stimme zu Wort, die bisher nichts gesagt hatte, „Wir stehen zwar unter dem Schutz der Nyu-Soldaten, aber so ein Blutbad an einem Samurai sollten wir vermeiden. Die wenigen Soldaten, die er mit unserem Schutz befohlen hat, können uns nicht offen gegen diesen Samurai oder eventuelle Freunde von ihm verteidigen. Offiziell gibt es uns nicht.“

„Ja ich weiß…“, brummte die zornige Stimme, „Aber den Jungen werde ich massakrieren! Einen Straßenbengel wird keiner vermissen.“

„Tu was du nicht lassen kannst.“, antwortete die ruhige Stimme gereizt, „Aber pass auf, dass du dich nicht zu weit über die Brüstung lehnst. Wenn du fällst, fällst du allein.“

Goh hörte eine Tür die aufgeschoben wurde und sich gleich darauf wieder schloss. Nun hatte er keine Zweifel mehr. In diesem Haus befanden sich die Leute, die er brauchte. Geschwind erhob er sich und schwang sich um die Hausecke, um den Mann aufzuhalten, der das Gebäude verlassen hatte. Bereit sein Schwert zu ziehen wirbelte Goh herum – doch es war niemand da. Das war nicht möglich. Niemand schaffte es, ihm zu entkommen. Hier musste etwas faul sein. Oder war dieser Mann ein Ninja? Doch Goh hatte keine Zeit, sich mit dem Geflohenen zu beschäftigen. Vorsichtig betastete er die Wand unter dem Fenster, unter dem er gehockt hatte. Sie war vollkommen durchgefault. Perfekt.

Leise wie ein Schatten erhob er sich, ging zu dem Haus gegenüber und nahm sich eines der Holzbretter, die neben der Tür an die Wand gelehnt standen und lief dann zu der Tür des Gebäudes in dem die Männer waren. Nachdem er das Brett so hingestellt hatte, dass die Tür von innen nicht mehr zu öffnen war, kam er zurück zu dem Fenster.

„Gleich Morgen durchstreifen wir die Stadt und suchen den Jungen.“, befahl der Mann mit der grimmigen Stimme. Zustimmendes Gemurmel war zu hören.

Gohs Muskeln spannten sich. Nach dem, was er gehört hatte, befanden sich der Zornige und der mit der tiefen Stimme im linken teil der Hütte, während der Mann mit der helleren Stimme rechts in Richtung Tür stand oder saß.

„Wenn ich diesen Bengel in die Finger kriege werde ich…“

In diesem Moment holte Goh aus und trat mit voller Wucht gegen die morsche Wand, die mit einem matschigen Geräusch nachgab und hinterließ ein Loch direkt unter dem Fenster. Goh zog mit der Schnelligkeit eines Wiesels sein Wakizashi und zerschnitt das Papier und den dünnen Holzrahmen mit einem gezielten Streich.

„Was zur…?“, rief der zornige Mann.

Goh machte einen Schritt in das Haus und sah sich geschwind um. Der Zornige saß hinten links, seine Hand war verbunden. Der mit der tiefen Stimme war dick und stand neben ihm, Verbandszeug in den Händen. Der mit der hellen Stimme lehnte neben der Tür an der Wand – genau wie Goh vermutet hatte.

„Wer bist du? Was willst du hier?“, fauchte der Grimmige.

„Mein Name wird euch im Tod nicht mehr viel nützen.“, entgegnete Goh knapp, seine rechte Hand hielt sein Wakizashi fest in der Hand, die Linke verbarg sich unter seinem weiten Umhang.

„Das werden wir ja sehen!“, rief der Dicke und erhob sich. Das Verbandszeug fiel zu Boden als er nach dem Schwert an seiner Hüfte griff. Doch Goh war schneller. Seine linke Hand schoss unter dem Mantel hervor und schleuderte einen Kunaii – einen Wurfdolch. Dieser traf den Stämmigen in der Brust, der gleich darauf keuchend zu Boden ging.

Der Dünne mit der hellen Stimme zog ein Schwert und stürmte von rechts auf Goh zu. Schnell hob er sein Wakizashi zur Parade und fing so das Schwert des Mannes in der Luft ab. Ein Schlag in den Bauch mit der linken Hand Gohs, an der sich sein Katar befand – die Handklaue mit scharfen Stahlklingen, die sich nun in den Mann bohrten – schickte auch diesen leblos zu Boden.

Goh drehte sich langsam zu dem letzten im Bunde um. Der Mann, dessen rechte Hand anscheinend fehlte, sah Goh mit weit aufgerissenen Augen an.

„Du… du… du…“, stammelte er verängstigt.

„Ich bin dein Henker.“, flüsterte Goh bedrohlich, „Ich verspreche, ich werde es kurz und schmerzlos machen, wenn du mir ein paar Fragen beantwortest.“

Die Miene des Mannes blickte ihn fragend an, offenbar war er verwirrt.

„Wer schützt euch?“, fragte Goh leise aber klar, „Wer deckt eure schmutzigen Geschäfte?“

„Ich… äh… wir… ich meine…“

„Rede!“, zischte Goh bedrohlich, „Oder du wirst mehr Leid erfahren als du dir in deinen schlimmsten Albträumen vorstellen kannst.“, bedrohlich ließ er das Wakizashi in seiner Hand hin und her schwingen.

„Er… er…er war vorhin hier. Seinen Namen kenne ich nicht! Ehrenwort! Er arbeitet für den Fürsten Nyu. Also nicht direkt. Aber er gehört zu seinen Leuten! Ich schwöre es!“, flehte der Mann und hielt sich dabei ängstlich die heile Hand und den verbundenen Stumpf schützend vors Gesicht.

Langsam senkte Goh das Schwert und streckte dem Mann seinen Kopf entgegen.

„Wie heißt er? Wie nennt ihr ihn und wie kontaktiert ihr ihn?“

„Ich weiß es nicht, Herr! Er kommt immer zu uns! Ich schwöre, ich habe keine Ahnung!“

Goh richtete sich auf und steckte das Wakizashi zurück in die Scheide. Er würde diesem Mann einfach das Genick brechen. Das war schnell und unblutig. Bedrohlich machte er einen Schritt auf den Mann zu, der immer noch auf seinem Stuhl saß.

Panisch schaute sich dieser nach einem Fluchtweg um. Goh streckte seine Hände nach ihm aus, als der Mann plötzlich die Kerze vom Tisch in Gohs Richtung schlug. Problemlos wehrte dieser die Kerze mit einem schnellen Schlag ab. Der verängstigte Mann jedoch nutzte diese Gelegenheit. Er sprang auf, rutschte über den Tisch und sprintete zur Tür.

„Du wirst mich niemals kriegen!“, rief er über seine Schulter.

Goh sah ihm ruhig nach, während er eine kleine Flamme an seinem Ärmel ausschlug, die die Kerze dort hinterlassen hatte. Der Mann erreichte breit grinsend die Tür, griff nach dem Ramen und versuchte sie ruckartig aufzuschieben – doch nichts passierte. Entgeistert drehte er sich wieder um und sah Goh mit weit aufgerissenen Augen an.

„Das war ein Fehler…“, flüsterte Goh.

„Nein! Nein Herr! Bitte nicht!“, flehte der Mann und ging dabei auf die Knie. Goh machte einen Schritt auf ihn zu, während seine rechte Hand unter seinem Umhang verschwand.

„Nein!!!“, wimmerte der Mann, drehte sich wieder um und rüttelte vergebens an der Tür.

Gohs Hand schoss wieder hervor. Eine Kette mit einem kleinen Gewicht daran flog durchs Zimmer und schloss sich um den Hals des Mannes. Würgend und keuchend umfasste er den kalten Stahl und versuchte, ihn von seiner Kehle zu entfernen. Ihm blieb die Luft weg, er gurgelte und wand sich. Langsam verschwamm der Raum um ihn herum. Sein eigener rasselnder Atem hörte sich an, als käme er aus weiter Ferne. Dann wurde es dunkel.

Nachdem der Mann aufgehört hatte sich zu bewegen, zog Goh die Kette mit einer eleganten Bewegung wieder zurück. Die Kerze lag auf dem Boden. Nicht mehr lange, und der Boden würde Feuer fangen und Gohs Spuren verwischen. Zufrieden mit seinen neuen Informationen machte sich Goh wieder auf in die laue Nacht.
 

„So gut habe ich schon lange nicht mehr geschlafen!“, Hideto erhob sich erholt und streckte sich. Zufrieden sah er sich in dem großen Raum um. Er war sehr komfortabel eingerichtet. Sein Futon war aus feinen Stoffen, der Tatamiboden war neu und trug keine Spuren von Abnutzung. Die Wände waren geziert von wunderschönen Gemälden die weite Landschaften darstellten, durch die sich Flüsse schlängelten oder über die Vögel hinweg flogen. Am anderen Ende des Zimmers lag Hotaru auf einem Futon, der mit rosanen Kirschblüten bestickt war. Als Hideto zu ihr hinüber sah, richtete sie sich auf und streckte sich ausgedehnt während sie herzzerreißend gähnte.

„Guten Morgen Hotaru-Chan!“, rief er zu ihr hinüber.

Offenbar hatte sich, der gute Schlaf positiv auf Hidetos Laune ausgewirkt, dachte Hotaru freudig als sie zurückrief: „Guten Morgen Hideto-Kun!“

Die Tür wurde aufgeschoben und Soji streckte vorsichtig seinen Kopf durch den Spalt.

„Komm ruhig rein, Soji-Chan! Wir sind wach.“, quietschte Hotaru vergnügt, „Du bist ja wirklich immer für eine Überraschung gut!“

Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Junge mit gesenktem Kopf dastand und sein Gesicht rot leuchtete. Verwundert fragte sich Hotaru, was los war. In ihrer Ratlosigkeit sah sie hinüber zu Hideto.

Dieser konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, „Soji?“, rief er, der Junge sah ihn aus dem Augenwinkel an, „Schämst du dich, weil du glaubst, dass du Hotaru-Chan und mich bei irgendwas gestört hast?“

Hotaru stutzte, und dann begriff sie was Hideto meinte. Soji musste sie beide für ein Paar halten!

„Soji! Nein, keine Sorge! Hideto und ich sind nicht… du weißt schon!“, versuchte sie eilig zu erklären, „Wir reisen nur zusammen! Wir haben nicht …“

Gegenüber fiel Hideto fast vor lachen von der Liege, „Soji?“, brachte er halb erstickt hervor, „Denkst du wirklich ich würde mit so einer…?“, dann fing er wieder zu lachen an.

Als Hotaru diese Worte hörte, wurde sie sauer, obwohl sie selbst nicht sagen konnte, warum. Sie wollte doch genauso wenig mit Hideto zusammen sein wie er mit ihr. Doch trotzdem schmerzte es sie, diese Worte von ihm zu hören. In ihrer Wut sah sie sich um und erblickte einen Kaligraphiekasten auf einem Hocker neben ihrem Futon.

Hideto hing kopfüber von der Liege und war immer noch am Lachen, als er plötzlich einen Pinsel gegen die Stirn bekam. Verdutzt setzte er sich auf und sah Hotaru mürrisch an.

„Musste das sein?“, fragte er leise, doch da flog schon der Tintenstein knapp an seinem Kopf vorbei, „Jetzt ist aber gut.“, er schloss die Augen und merkte, wie er einen weiten Pinsel gegen die Schulter bekam.

„JETZT REICHTS!“, rief er und riss die Augen auf – gerade noch rechtzeitig um zu sehen, wie der Hocker auf ihn zugeflogen kam, ihn mitten im Gesicht traf und ihn wieder in die Horizontale schleuderte.

„Du kleine…“, Hideto erhob sich fluchend, doch plötzlich hielt ihn etwas auf. Soji stand mitten im Zimmer und lachte.

„Ähm… Soji?“, fragte Hotaru vorsichtig, „Ist alles okay?“

„Ihr seid wirklich witzig!“, entgegnete der Kleine, „Wie ein schlechtes Kabuki-Stück!“

14
 


 


 


 


 

„Also, wie finden wir nun diese Ayame?“, fragte sich Yoshimaru.

Er und Bakemono streiften durch die belebten Straßen Kanazawas. Es war ein sonniger Vormittag, die Temperaturen waren angenehm, ein paar kleine Wölkchen zierten den strahlend blauen Himmel. Händler und gemeine Bürger liefen in den sandigen Straßen auf uns ab. Kinder rannten umher und spielten fangen oder ließen hölzerne Kreisel Muster in die Erde malen.

„Ihr Vater sagte, sie wohne im östlichen Wohnviertel. Mehr weiß ich nicht.“, erklärte Yoshimaru weiter.

„Dann sollten wir uns dort umsehen und vielleicht einen Händler fragen.“, schlug Bakemono vor. Dank seines Geldes hatten er und Yoshimaru die Nacht in einem schönen kleinen Gasthaus verbracht, dass sie früh am Morgen verlassen hatten, nachdem sie ein kleines Frühstück zu sich genommen hatten.

„Ich bin sicher, Hideto und Hotaru sind irgendwo hier in der Stadt.“, sagte Yoshimaru, während sie in Richtung östliches Wohnviertel gingen.

„Wenn dem so ist…“, antwortete Bakemono, „…werden wir ihnen bestimmt bald über den Weg laufen.“

„Ja, bestimmt.“, gab Yoshimaru in Gedanken verloren zurück. Er hatte Glück gehabt, dass er Bakemono getroffen hatte, der mit seinem Geld ein Gasthaus und Essen finanzieren konnte. Doch Hideto und Hotaru hatten kein bisschen Geld. Mit einem leichten Kopfschütteln, verwies Yoshimaru diese Gedanken seines Kopfes. Die Beiden würden schon ohne ihn klarkommen. Hideto hatte vorher ohne ihn überlebt und Hotaru hatte ein Talent dazu, immer irgendwie zu bekommen, was sie wollte.

Nach einer Weile passierten sie das Stadttor in das östliche Wohnviertel. Bewaffnete Posten standen in den kleinen Wachhäuschen links und rechts des Tores. Auf der anderen Seite des Holzzaunes ragte ein Feuerwachturm hinauf. Brände waren in so großen Städten wie Kanazawa eine gefährliche Bedrohung. Die Häuser standen so dicht und waren allesamt aus Holz, sodass schon eine Lampe, die zu nah an einen Wandschirm gestellt wurde, einen ganzen Straßenzug in Minuten auszulöschen vermochte.

„Dies scheint das Viertel der Wohnungen für die reicheren Händler zu sein.“, vermutete Bakemono, „Die Häuser hier sind wesentlich prächtiger als die, die wir bisher gesehen haben.“

Und damit hatte er recht. Hier reihte sich nicht Hütte an Hütte sondern Grundstück an Grundstück. Jedes besaß einen kleinen Zaun, der den Vorhof, das Haupthaus mit weiß getünchten Wänden und dunklen Dachschindeln und gelegentlich noch ein kleineres Nebengebäude von den anderen trennte.

„Die geringere Anzahl der Häuser erleichtert uns immerhin die Suche.“, entgegnete Yoshimaru, „Ich werde einen der Torwächter fragen.“

„Nur zu. Ich warte hier.“, gab Bakemono zurück. Er kam mit seinen Verletzungen und Verbrennungen anderen Menschen nicht gern nahe, da sie sonst seine Entstellung sehen würden.

Nach wenigen Momenten kam Yoshimaru zurück.

„Wir müssen der Hauptstraße bis zur zweiten Abzweigung folgen und uns dort links halten. Dann ist es das dritte Haus auf der rechten Seite.“, erklärte Yoshimaru, während er seinen Strohhut zurechtrückte, den er aus Höflichkeit den Wachen gegenüber, abgenommen hatte.

„Dann lasst uns keine Zeit mehr verlieren.“, antwortete Bakemono.

Es dauerte nicht lange, bis sie das Haus gefunden hatten. Es war nicht besonders prachtvoll, wenn man es mit den großen Gebäuden in diesem Viertel verglich. Dennoch strahlte es mit seinem niedrig geschnittenen Bambuszaun, den rötlich getünchten Dachziegeln und den im Fachwerkstil erbauten Wänden eine gemütliche Atmosphäre aus.

Yoshimaru sah sich das Haus genau an, doch sah er keine Menschen. Vorsichtig durchquerte er den Vorgarten und nährte sich der Tür.

„Ich warte hier an der Straße.“, rief ihm Bakemono nach.

Yoshimaru kippte seinen breiten Strohhut nach hinten vom Kopf, sodass er an dem Band im Nacken hing und klopfte an die Tür, „Hallo? Ist jemand zuhause?“

Nachdem von der anderen Seite leise Schritte zu hören waren, wurde die Tür einen Spalt weit aufgeschoben und eine Frau im fortgeschrittenen Alter schaute vorsichtig hinaus.

„Was kann ich für Euch tun, junger Herr?“, fragte sie höflich.

„Ich suche nach Ayame. Könnt ihr mir helfen?“, wollte Yoshimaru freundlich wissen.

„Einen Augenblick bitte, junger Herr.“, entgegnete die Frau und verschwand wieder in dem Haus.

Verdutzt schaute Yoshimaru gegen die Tür. Verwirrt kratzte er sich am Kopf und sah über seine Schulter zu Bakemono, der an der Straße stand und unter seiner Kapuze her beobachtete, was Yoshimaru tat. Irgendwie war Bakemono ein eigenartiger Kerl. Yoshimaru hatte das Gefühl, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Kannte er wirklich Hideto aus der Kaserne? Wer war dieser Bakemono?

„Chr-rrm. Mein Herr?“, riss ihn eine freundliche Frauenstimme aus den Gedanken. Eilig wirbelte er zu der Tür herum und erblickte ein junges Mädchen, vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt. Sie war wunderschön und für einen Augenblick sah Yoshimaru das Gesicht von Yuuka vor sich. Sein Herz setzte einen Schlag lang aus, als er das Mädchen erstaunt ansah.

„Kann ich Euch helfen, mein Herr?“, fragte sie leise, ihre zarte und liebreizende Stimme riss Yoshimaru zurück in die Wirklichkeit.

„Ayame-Chan?“, fragte Yoshimaru höflich und verbeugte sich.

„Ja, die bin ich.“, antwortete das Mädchen und verbeugte sich ebenfalls.

„Euer Vater schickt mich.“, erklärte Yoshimaru mit gesenkter Stimme. Als er die strahlenden Augen des Mädchens sah, die vor Erwartung leuchteten, fügte er hinzu, „Wir sollten uns drinnen weiter unterhalten.“

„Ja, gern!“, rief das Mädchen und öffnete die Tür komplett, sodass der Gast eintreten konnte.

Jetzt konnte Yoshimaru das Mädchen komplett sehen. Sie trug ihre langen Haare offen. Ihr roter Kimono war mit grünen Blättern und braunen Ästen Bedruckt, definitiv einer der teureren Kimonos. Auch das Haus entsprach nicht dem eines einfachen Bürgers. Die Möbel waren aus schwarzer Lackarbeit, ein dekorativer Wandschirm mit Bergen und Vögeln zierte den hinteren Teil des großen Hautraumes von dem sich die Schlafzimmer durch verschiebbare Trennwende abgrenzten.

„Setzt euch, mein Herr. Darf ich euch einen Tee anbieten?“, fragte Ayame freundlich.

„Gern.“, antwortete Yoshimaru, wie lange das Gespräch mit dem Mädchen dauern würde, vermochte er nicht zu sagen.

„O-Hiso. Bring bitte Tee und etwas Gebäck.“, rief Ayame. Sie pflegte offenbar eine sehr freundschaftliche Beziehung zu ihrer Dienerin.

„O-Hiso hat schon für meine Eltern gearbeitet, bevor ich geboren wurde.“, erklärte Ayame freudestrahlend, „Sie hat mich quasi groß gezogen. Mein Vater ist Händler für Waffen und Rüstungen. Und mein zukünftiger Mann ist bei ihm in die Lehre gegangen und wird das Geschäft eines Tages übernehmen.“

„Ich verstehe.“, entgegnete Yoshimaru mit einem freundlichen Lächeln, während er seinen Strohhut neben sich auf den makellosen Tatamiboden legte.

„Also, was lässt mein geliebter Vater mir ausrichten?“, fragte das Mädchen frei heraus. Als sie sah, dass der Blick ihres Gastes ernst wurde, sah sie ihn fragend an. Yoshimaru konnte ihr Unbehagen auf ihrem jungen Gesicht lesen, wie in einem Buch.

„Ich traf ihn in einer Nudelküche, ein paar Tagesmärsche nördlich von hier.“, begann Yoshimaru langsam. Das Hausmädchen O-Hiso stellte ein Tablett mit Tee, zwei Schalen und etwas süßem Gebäck zwischen die beiden und zog sich dann ohne weitere Floskeln zurück. Offenbar ahnte sie, welche Bahnen dieses Gespräch annehmen würde.

„Er war kurz vorher von Dieben überfallen worden.“, führte Yoshimaru seine Geschichte fort, nachdem er sich kurz für den Tee verbeugt hatte.

„Diebe? Oh nein.“, unterbrach ihn Ayame erschrocken, „Ich hatte ihm gesagt, er solle vorsichtig sein. Um die Stadt herum treiben sich allerhand Schurken und Meuchler herum…“

Yoshimaru nahm einen Schluck Tee, um Ayame einen Moment Zeit zu geben, sich zu fangen, dann fuhr er fort, „Er bat mich, seiner Tochter dieses Geschenk zu ihrer baldigen Hochzeit zu überbringen.“, mit gesenktem Kopf griff Yoshimaru in seinen Gi, holte die wunderschöne Perlenkette heraus und überreichte sie dem Mädchen mit beiden Händen. Den Kopf hielt er weiter gesenkt, um Ayames Würde zu wahren indem er ihre Emotionen nicht sah. Er hörte einen tiefen Schluchzer, als sie begriff, was geschehen war. Den Tod direkt anzusprechen, hatte Yoshimaru vermieden, da dies äußerst unhöflich und direkt gewesen wäre. Er hörte, wie das Mädchen die Kette fest in ihrer Hand zusammendrückte und wie sie weinte. Geduldig saß er da und wartete, bis sich das Mädchen beruhigt hatte.

„Ich danke euch, Fremder.“, schluchzte Ayame, „Ich danke euch wirklich vielmals. Ihr habt mir und meinem Vater einen großen Dienst erwiesen. Ich bin sicher, dass er euch ebenso dankbar wäre wie ich.“

„Es war mir eine Ehre, seinen Wunsch zu erfüllen.“, gab Yoshimaru zurück ohne sich zu rühren.

„Wenn ich jemals etwas für euch tun kann, bitte zögert nicht und lasst es mich wissen.“, sagte das Mädchen tapfer.

„Ich komme nicht aus dieser Gegend und weiß nicht, wie lange ich noch hier zugegen sein werde. Aber wenn es mir möglich ist, werde ich darauf zurückkommen. Ich danke euch.“, erwiderte Yoshimaru, wissend, dass er durch die Einforderung seiner Schuld, Ayame die Möglichkeit gab, die Ihre wieder abzutragen. Doch in welcher Situation die Tochter eines Händlers ihm helfen konnte, vermochte er sich nicht vorzustellen.

Er trank seine Teeschale leer und griff nach seinem Hut, „Ich werde mich dann wieder auf den Weg machen. Ich habe noch viel zu tun.“, erklärte er freundlich.

„Ja, natürlich. Seid vielmals bedankt Herr.“, gab das Mädchen zurück. Sie rührte sich nicht. Doch als Yoshimaru aufstand, sich verbeugte und zur Tür ging, hielt ihn etwas zurück. Als er sich umblickte, sah er, dass Ayame seinen Ärmel festhielt. Fragend sah er in ihr tränenüberströmtes Gesicht.

„Wie ist Euer Name, Fremder?“, fragte sie schluchzend.

„Akio Yoshimaru. Aus den Bergen nahe der Küste im Norden.“, antwortete Yoshimaru ruhig. Er hatte wirklich Mitleid mit dem Mädchen. Doch es war nicht seine Aufgabe, sie zu trösten.

„Akio Yoshimaru.“, wiederholte das Mädchen freudig und ein Lächeln erhellte ihr trauriges Gesicht, „Ich werden diesen Namen in Ehren halten.“, widerwillig ließ sie seinen Ärmel los und sah Yoshimaru freundlich an. Ihre Traurigkeit schien durch ihre Dankbarkeit verdrängt zu werden.

„Es war mir eine Ehre.“, gab Yoshimaru zurück, „Ich hoffe, wir sehen uns wieder, Fräulein Ayame.“

Dann schob er die Tür auf und trat hinaus in den Vorgarten.

„Das hoffe ich auch.“, hörte er Ayame leise sagen, als er die Tür hinter sich schloss und den Weg Richtung Straße entlang schritt.

Bakemono hatte sich auf den Boden gesetzt und sich am Bambuszaun angelehnt.

„Da seid Ihr ja wieder.“, sagte er, als er sich mühsam erhob, „Wie ist es gelaufen?“

Yoshimaru senkte den Kopf, „Sie weiß es nun. Aber sie ist stark. Sie wird darüber hinwegkommen.“

Yoshimaru meinte ein Lächeln auf Bakemonos entstellten Lippen zu erkennen.

„Dann sollten wir nun mehr über den Überfall auf das Dorf und die Kaserne herausfinden, meint Ihr nicht auch?“, fragte Bakemono.

„Ja, das sollten wir.“, erwiderte Yoshimaru. Er schüttelte die Gedanken an das traurige Mädchen ab, dass er einen kurzen Moment lag für Yuuka gehalten hatte. Jetzt musste er sich wieder auf seine Aufgabe konzentrieren, diese Mörder zu finden, die für das Massaker in seinem Dorf verantwortlich waren.

Und diese töten.

15
 


 


 


 


 

Hideto, Hotaru und der kleine Soji hatten das besetzte Haus verlassen. Die Besitzen waren ja offenbar verreist gewesen, doch Essensvorräte hatten sie nicht zurückgelassen.

„Nach der Sache mit dem Haus, bin ich gespannt was für Tricks du für das Frühstück auf Lager hast.“, sagte Hideto herausfordernd zu Soji. Der Junge lief neben ihm und als Hideto ihn ansprach, legte er verlegen die Hand in den Nacken und lächelte unwissend.

Hotaru wiederum lief neben Soji, doch sie hörte den beiden gar nicht zu. Viel zu sehr war sie von den Ständen der Händler abgelenkt, die sich links und rechts der staubigen Straße aneinanderreihten. Noch nie hatte sie so viele Läden und Händler gesehen! Hier war Einer, der kleine Windräder verkaufte, ein anderer schnitzte Kindermasken aus Holz, ein dritter räucherte aufgespießten Fisch über einem kleinen Ofen.

„Die große Stadt ist so wunderschön.“, seufzte sie vor sich hin, „Zu schade, dass wir nicht das Geld haben, uns zu amüsieren…“

„Amüsieren?“, fragte Hideto, „Erstmal will ich meinen Magen füllen… Soji? Gibt es hier in der Nähe einen Fluss, sodass wir uns vielleicht einen Fisch fangen können?“, wollte er von dem Jungen wissen.

Der Kleine nickte aufgeregt, „Natürlich!“, ich führe euch hin!“, rief er freudig.

Die Sonne schwebte schon über den Dächern der hölzernen Gebäude, die meistens nur eine Etage besaßen, da diese Gegend oft von kleineren Erdbeben heimgesucht wurde. Eine ständige Gefahr, wie Hideto wusste. Doch solange man im Freien war, konnte nichts passieren.

Dem Jungen folgend, zogen sie durch die halbe Stadt, vermutete Hideto. Mit leerem Magen kam ihm der Weg endlos lang vor. Nach einer ganzen Weile erreichten sie ein Viertel, das ärmlicher wirkte als das, durch das sich die Hauptstraße zog. Hier gab es keine Händler, keine spielenden Kinder. Nur kleine Häuser, Wand an Wand gebaut. Einige hatten kleine Löcher in den Dächern, die meist aus Stroh oder Holzlatten waren. Kaum ein Mensch war hier unterwegs. Bestimmt liegt es daran, dass die Luft hier nach öffentlichen Aborten und Müll stinkt, dachte Hideto. Ihm fehlte die frische Lust, die er in der Kaserne auf dem Land immer um sich hatte.

„Fisch, Fisch, wir fangen uns einen Fisch. Einen Fisch, einen Fisch, einen dicken, frischen Fisch!“, singend stapfte Hotaru hinter Hideto her, Soji lief voran. Die Straßen waren hier nicht so breit, und wenn ihnen jemand entgegen kommen würde, müssten sie ohnehin beschämt Platz machen.

Plötzlich bemerkte Hideto eine Gestalt, die zwischen zwei Häusern in einer engen Gasse stand und zu ihnen hinüber sah. Verdutzt blieb er kurz stehen und sah dem Mann entgegen. Er trug einen weiten Umhang aus Stroh und einen breitkrempigen Hut, sodass Hideto ihn unmöglich erkennen konnte.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Hotaru verwirrt.

„Ja. Es ist nichts.“, log Hideto und lief weiter. Seit sie am Morgen aufgebrochen waren, hatte er das Gefühl, dass sie verfolgt wurden. Er schallt sich einen Narren, in jedem Fremden einen Feind zu sehen. Wer in dieser großen Stadt wollte ihm, einem kleinen Samurai vom Land, schon etwas tun?

„Sind wir bald da?“, fragte Hotaru jammernd, „Sonst verhungere ich noch…“

„Ja, ja! Wir sind gleich da!“, rief Soji freudig, doch Hideto konnte keinen Flusslauf sehen oder hören. Sie waren immer noch mitten in der Stadt.

Eine große dunkle Wolke zog sich vor die Sonne, sodass die ganze Gegend plötzlich in Finsternis zu verschwinden schien. Jeder Schatten wirkte bedrohlich, jede Ecke barg unsichtbare Gefahren. Nervös verkrampfte sich Hidetos Hand um seinen Schwertgriff.

Hotaru blickte ihn fragend an, als Sojis Stimme die unnatürliche Stille, die plötzlich auf der gesamten Stadt zu liegen schien, durchbrach.

„Hier ist es!“, erklärte er freundlich.

Die Drei bogen um eine Hausecke und Hideto erblickte das Gewässer.

„Was soll das denn sein?!“, rief Hideto aus.

Der Fluss war ein Kanal, zu beiden Seiten mit flachem Stein begradigt. Das brackige Wasser war braun-grün von dem Schmutz und dem Abwasser der Stadt. An einigen Stellen ragte ein toter Fisch oder achtlos weggeworfener Müll aus dem zäh dahin fließenden Wasser. Der Gestank was sogar noch schlimmer als im Rest dieses ärmlichen Viertels.

Wütend sah Hideto zu Soji hinüber, der immer noch freudestrahlend lächelte.

„So ein Fußmarsch für nichts?“, rief Hideto, „Hier kann man doch keinen Fisch fangen! Und wenn doch, so wächst einem bestimmt ein zweiter Kopf, wenn man ihn isst!“

Verwirrt schaute Soji zu Boden, lächelte aber unverändert weiter.

„Lass doch den Jungen, Hideto…“, sagte Hotaru besänftigend, „Er wollte uns doch nur helfen.“

„Aber das hier IST keine Hilfe!“, gab Hideto trotzig zurück, „Faulen Fisch finden wir in jeder Tonne!“

„Ja, aber…“, begann Hotaru, doch ein Ruf unterbrach sie.

„Wen haben wie denn da?“, rief eine tiefe Männerstimme. Er klang so rau, als müsste er sich räuspern. Der Mann war etwas größer als Hideto, hatte kurze, glatte Haare und trug einen weiten Kimono lose über seine breiten Schultern geworfen. Im Mundwinkel hing ein langer Grashalm. Neben ihm stand der Mann mit dem Strohumhang und dem Strohhut. Jetzt erkannte Hideto, dass der Hut vorn ein paar schmale Schlitze hatte, dass der Träger sehen konnte, ohne gesehen zu werden.

„Wer seid ihr?“, rief Hideto herausfordernd, „Und was wollt ihr von uns?“, schützend stellte er sich vor Hotaru und Soji.

„Unsere Namen gehen euch nichts an!“, bellte der große Typ feindselig, „Sie werden euch sowieso nichts mehr nützen…“, fügte er drohend hinzu und grinste Hideto übermütig an. Erst jetzt bemerkte Hideto das Schwert an der Schärpe des Mannes – ein Rônin!

„Wir haben euch gestern gesehen…“, erklärte der kleinere Mann mit dem Strohhut, „…auf der Hauptstraße. Ihr habt einen Mann erschlagen und einem zweiten den Arm abgeschnitten.“

„Na und?“, rief Hideto zurück, „Das ist nicht eure Angelegenheit!“

„Leider irrst du dich da gewaltig…“, antwortete der Große, „Die Männer gehörten zu uns!“, wütend ließ er den Kimono von seinen Schultern rutschen, sodass sein massiger, mit Tattoos übersäter Oberkörper zum Vorschein kam, „Außerdem wurden der Verletzte und zwei weitere Männer gestern Nacht ermordet! Einfach hingerichtet! Und nun sagt nicht, ihr hättet nichts damit zu tun!“

Verwirrt schaute Hideto den großen Mann an, „Wovon redest du überhaupt?“, wir haben niemanden hingerichtet! Die beiden Männer gestern Morgen haben UNS angegriffen! Wir haben uns lediglich verteidigt.“

„Schweig, LÜGNER!“, rief der Mann wütend aus und zog sein Schwert – ein Tachi!

Von der Konstruktion und Form her entspricht es quasi einem Katana, doch das Tachi ist im Griff und der Klinge länger. Diese Klinge musste mindestens 2,5 Shaku lang sein, also 75cm.

„Was schaust du denn so verdutzt?“, fragte der Große herausfordernd, „Noch nie so ein langes Schwert gesehen? Mit der Wucht dieser Waffe hau ich euch in Stücke!“

Wütend zog auch Hideto sein Katana, „Kennst du diese Männer, Soji?“, fragte er leise, ohne sich umzudrehen.

„Ja, natürlich.“, berichtete der Junge erfreut, „Der Große gehört zu den Männern, die Kinder für Geld verkaufen. Den kleineren habe ich noch nie gesehen…“

Vielleicht ein Söldner, dachte Hideto, wenn ich einen schnell genug erledige, kann ich den anderen im Zweikampf schlagen. Doch was für eine Waffe benutzt der mit dem Strohhut?

Weitere finstere Wolken zogen den Himmel vollständig zu, während ein böiger Wind aufkam und die Schwüle des Vormittags verdrängte. Ein einziger dicker Regentropfen landete genau zwischen Hideto und dem Mann mit dem Tachi. Wie auf ein Zeichen bewegten sich beide aufeinander zu.
 

Ziellos schlenderten Yoshimaru und Bakemono durch die belebten Straßen Kanazawas. Noch immer konnte Yoshimaru seine Gedanken nicht abschütteln. Immer wieder musste er an Yuuka denken. Sie fehlte ihm so unbeschreiblich.

Ohne über den Weg nachzudenken durchquerten sie schweigend das zentrale Viertel der Stadt und landeten schließlich in einem ärmlich wirkenden Bereich, indem offenbar die weniger gut betuchten Bürger lebten. Der faulige Gestank des Abwasser tragenden Kanals zu ihrer linken wurde nur durch den beißenden Geruch einer Stoff-Färberei auf der rechten Straßenseite überdeckt. Die Gegend schien menschenleer zu sein. Während dunkle Wolken nach und nach den hellblauen Himmel füllten, folgten die Beidem dem Kanal durch das Viertel.

„Wo wollen wir eigentlich hin?“, fragte Bakemono beiläufig.

„Ich weiß nicht…“, entgegnete Yoshimaru verwundert. In Gedanken versunken, hatte er gar nicht bemerkt, wo sie waren und seine Umgebung nur teilweise wahrgenommen, „Wir sollten nach Hideto und Hotaru Ausschau halten.“

„Meinst du wirklich, dass sie in dieser verlassenen Gegend sind?“, wollte Bakemono wissen.

„Ich weiß nicht…“, antwortete Yoshimaru nachdenklich, „möglich wäre es.“

Plötzlich bewegte sich eine kleine gebückte Gestalt auf die beiden zu. Eingewickelt in ein löchriges Leinentuch. Doch Yoshimaru spürte, dass von der Person keine Gefahr ausging. Als sie näher kam, erkannte Yoshimaru, das es sich um einen alten Mann handelte, vielleicht 60 Jahre alt. Sein Haar war weiß und licht, tiefe Falten zogen sich durch sein Gesicht.

„Verzeiht, mein Herr.“, sagte Yoshimaru freundlich und verbeugte sich kurz.

Der Mann schaute ihn verwirrt an. Offenbar fragte er sich, ob der fremde Samurai wirklich mit ihm geredet habe, wo er sich doch so viel Mühe gegeben hatte, unsichtbar zu sein. Nachdem er sich kurz umgeschaut hatte und anscheinend zu dem Schluss gekommen war, dass er der einzige Mensch auf der Straße war, antwortete er, „Äh, ja?“

„Wo sind wir hier?“, wollte Yoshimaru wissen.

„Das hier ist das Viertel in dem sich Kanazawas Schmieden, Nähereien und Färbereien befinden, Herr.“

„Verstehe. Ich danke euch. Habt ihr zufällig einen jungen Soldaten und ein Mädchen in einem rosa Kimono gesehen? Sie sind Freunde von uns und wir suchen sie.“

Vorsichtig blickte der Mann sich um, als hätte er Angst, jemand könnte seine Antwort hören, „Ich weiß nicht wen ihr meint, Herr… Aber ein Stück weiter den Kanal hinunter werden ein paar Leute von den örtlichen Yakuza auseinander genommen… Besser, man ist nicht in der Nähe wenn so was passiert, nicht wahr?“, der Alte zwinkerte Yoshimaru zu und schlurfte von dannen.

„Denkt du was ich denke, Bakemono?“, fragte Yoshimaru gespannt.

„Wir sollten uns das mal ansehen…“, antwortete Bakemono ruhig.
 


 

Hideto holte zu einem vertikalen Schlag aus, doch die langen Arme und das lange Schwert des Mannes ließen ihn gar nicht bis an ihn herankommen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als im letzten Moment seinen Hieb in letzter Sekunde als Block zu nutzen, um nicht von dem Yakuza enthauptet zu werden. Verbissen wehrte Hideto den Schlag ab, die Wucht, die der Hüne mit dieser Waffe aufbrachte, war enorm!

Doch auch die Zeit, die er brauchte, um zu einem neuen Schlag auszuholen war länger als bei einer kurzen Waffe, das wusste Hideto. Er musste nur die Lücke in der Verteidigung abwarten, wenn der Mann ausholte. Das war seine Chance!

Aus seiner Parade heraus, riss Hideto das Schwert diagonal empor während er einen großen Schritt nach vorn machte. Doch sein Gegner grinste nur hämisch.

„Du wagst dich in meine Reichweite? Du bist sehr mutig oder sehr dumm!“, rief er.

Noch eh Hidetos Klinge den Körper des Gegners berührte, schlug dieser ihm den langen Schwertgriff des Tachi ins Gesicht und Hideto wurde nach hinten geschleudert.

„Hahaha!“, grunzte der Große, „Damit hast du nicht gerechnet, was?“

Hideto hob das Katana in eine abwehrende Haltung und spuckte Blut auf den sandigen Boden, „Mit so einem Treffer gibst du dich zufrieden? Lächerlich…“

Das boshaft grinsende Gesicht des Yakuza verwandelte sich in eine Fratze des Zorns.

„Wie kannst du es wagen? Deine Tage sind gezählt!“, erneut holte der Große aus und drosch wuchtig auf Hideto ein. Zwar konnte er die Schläge parieren, da sein kürzeres Schwert wendiger war, doch zum Angriff kam er so nicht.

Die Beiden tauschten einige Schläge aus, doch Hideto konnte keine Verteidigungslücke für sich nutzen.

Hotaru legte einen Arm schützend um Soji, während sie dem Kampf aufmerksam folgte und den Mann mit dem Strohhut um Auge behielt. Als dieser merkte, dass Hotaru ihn ansah, rührte er sich.

„Anscheinend sind wir an einem toten Punkt angekommen…“, zischte er bedrohlich, „Ich werde der Sache etwas mehr … Würze verleihen!“, mit einer schnellen Bewegung ließ er seinen weiten Strohumhang von seinen Schultern rutschen. Darunter trug er einen eng anliegenden Gi und einen Hakama, der zur Hälfte in seinen Beinschützern steckte. Seine Handrücken waren mit ledernen Panzern bedeckt. Doch was hielt er da in der Hand?

„Pass auf Hotaru!“, rief Hideto warnend, „Das ist ein Kusarigama! Eine Distanzwaffe! Eine Sichel an einer Kette!“

Verängstigt schaute Hotaru zu dem Rônin hinüber, der unter seinem Hut her grinste.

„Sehr clever der junge Samurai. Schade, dass es ihm nichts mehr nützen wird…“, zischte er und ließ eine Sichel auf Hotaru zuschießen. Panisch umklammerte sie den kleinen Soji und kniff die Augen fest zu.

Ein metallisches Klingen ließ Hotaru die Augen wieder öffnen.

Hideto hatte einen gewaltigen Sat gemacht und mit seinem Katana auf die Kett geschlagen, die den Mann mit der Sichel verband, so reichte sich nicht bis zu Hotaru und Soji.

„Hideto…“, flüsterte Hotaru verwundert.

„Das war dein letzter Fehler!“, rief der Mann mit dem Strohhut. Er riss an der Kette und die Sichel wickelte sich um Hidetos Klinge. Im selben Moment sprang der Große mit seinem Tachi auf Hideto zu, zum Hieb ausholend.

„Verdammt!“, entfuhr es Hideto, der sein Katana nicht aus der Kette lösen konnte.

Die Klinge des Langschwertes kam mit bedrohlicher Geschwindigkeit näher – und stoppte einige Zentimeter vor Hidetos Hals. Verwundert schaute er über die Schulter und erblickte – Soji! Der Junge hatte sich erneut Hidetos Wakizashi geschnappt. Und er hatte es fertig gebracht, damit die Wucht des Tachi abzuwehren. Der Kleine war wirklich immer für eine Überraschung gut.

„Was zur…?“, entfuhr es dem Mann mit dem Hut, und Hideto spürte, wie sich die Spannung er Kette zu lösen begann. Mit einem Ruck zog er sein Katana aus der eisernen Falle und richtete sich neben Soji auf, während der Große verwirrt einen Schritt zurück machte.

„Wie kann der Knirps mein Tachi abwehren?“, rief er ungläubig, „Das ist doch nicht möglich!“

„Alles in Ordnung Soji?“, fragte Hideto, während sich sein Atem langsam beruhigte.

„Ja.“, antwortete der Junge, „Nur meine Hände sind taub von der Wucht des Schlages…“

„Verstehe.“, gab Hideto zurück, „Ich danke dir später, zuerst zeigen wir’s diesen Gangstern!“

16
 


 


 


 


 

Unsicher, was sie nun tun sollten, sahen ich der große Yakuza und der kleinere Ronin verwirrt an, ließen Soji und Hideto aber nie länger als eine Sekunde aus den Augen.

Hideto überlegte fieberhaft, was er nun tun sollte. Er konnte dem Kleinen keinen erwachsenen Gegner überlassen. Andererseits hatte er keine Chance gegen Beide auf einmal. Wenn nicht bald etwas passierte, konnte das hier übel enden.

„Schnappen wir sie uns!“, bellte der Große, „Sonst tötet uns der Boss!“, er hob sein Tachi hoch über seinen Kopf und lief langsam auf Hideto und Soji zu. Der Ronin ließ seine kleine Sichel bedrohlich neben sich kreisen, während auch er einen Schritt nach vorn machte. Hidetos Hand verkrampfte sich um den Griff seines Katanas. Was sollte er nur tun?

„Hotaru? Soji?“, flüsterte er, „Kann ich euch einen der beiden überlassen? Ich werde versuchen den anderen so schnell wie möglich auszuschalten.“

„Wir werden es versuchen…“, antwortete Hotaru tapfer, sie hatte noch den Dolch unter ihrer Schärpe. Immerhin eine Waffe, von der ihre Gegner nichts wussten, das war ein Vorteil.

„Ja.“, entgegnete Soji kurz. Er schloss die Augen und stand ganz entspannt da mit seinem Schwert.

„Welchen wollt ihr?“, wollte Hideto noch wissen.

„Den Koloss mit dem langen Schwert.“, antwortete Soji, „Dem können wir länger ausweichen.“

„Alles klar!“, gab Hideto zurück, „Passt auf euch auf.“, Hideto drehte sich in Richtung des Ronin und sah diesen ernst an. Gerade als er einen Schritt nach vorn machen wollte, ließ dieser seine Sichel auf Hideto zuschießen.

Zischend sauste die Waffe auf Hideto zu, doch er durfte nicht ausweichen, sonst würde die Klinge Soji oder Hotaru treffen. Kurz bevor die Sichel ihn erreichte, riss Hideto sein Katana empor und mit einem lauten Klingen flog die Waffe des Gegners durch die Luft. Nun war seine Verteidigung weit offen und Hideto machte einen Sprang nach vorn, bereit, seinen Gegner zu töten. Doch anstatt erschrocken zugucken, schaute ihm der Ronin höhnisch grinsend entgegen. Noch bevor Hideto realisieren konnte, was vor sich ging, traf ihr etwas hart vor die Brust. Keuchend hielt er inne, seine Atmung ging schwer, sein Blickfeld verschwamm. Röchelnd ging der auf ein Knie hinunter und versuchte sich auf seinen Gegner zu konzentrieren um gegen die Ohnmacht anzukämpfen.

Als sich sein Blickfeld wieder einigermaßen klarte, erkannte er, was ihn getroffen hatte: Die Kette, an der die Sichel hing, hatte am anderen ende ein Gewicht, eine kleine metallene Kugel, die der Ronin ebenfalls als Wurfgeschoss genutzt hatte.

Immer noch konnte Hideto kaum atmen. Bestimmt war eine seiner Rippen gebrochen. Erzweifelt drückte er seine linke Hand auf die Stelle, welche die Kugel getroffen hatte.

„Hideto, bist du okay?“, fragte Hotaru besorgt. Ohne nachzudenken sprang sie auf und lief zu dem knienden Hideto hinüber.

„Hotaru! NICHT!“, keuchte er, doch es war zu spät. Der Tätowierte sprang auf Soji zu, während der Ronin seine Sichel an der Kette zu sich zurück schießen lies und Hotaru damit attackierte. Hideto versuchte sein Schwert zu heben, doch der Schmerz durchzuckte ihn und ließ ihn zusammenbrechen. Verdammt, fuhr es ihm durch den Kopf, wir brauchen Hilfe!

„HALT!“, ertönte eine ernste Stimme. Der Ronin und der Yakuza hielten erschrocken inne und blickten sich um. Ein Stück links von ihnen, Fluss aufwärts, standen zwei Männer. Der eine war komplett in Lumpen und einen weiten Wollumhang gehüllt, der andere trug einen breiten Strohhut und die Kleidung eines Samurai.

„Yoshimaru!“, entfuhr es Hotaru erfreut.

„Töte sie, schnell!“, rief der Ronin seinem Kumpanen zu und sprang direkt auf Hotaru zu. Unfähig, aufzuspringen, sah Hideto zu, wie der kleine Soji mit einer nahezu unmenschlichen Geschwindigkeit vorsprang und mit dem Wakizashi die Sichel parierte.

„Das war dein letzter Fehler, du Zwerg!“, brüllte der Yakuza und hieb nach dem Jungen. Allerdings hatte er offenbar nicht damit gerechnet, dass der Samurai mit dem Strohhut schneller war als er selbst, voreilte und ihm den Griff seines Katana beim ziehen in die Seite rammte. Schmerz schoss ihm durch den Körper und er ging ebenfalls keuchend auf die Knie.

„Die Nieren sind eine sehr empfindliche Gegend.“, erklärte der Samurai ernst, während er sein Katana kunstvoll zurück in die Scheide gleiten ließ.

Mühevoll richtete sich Hideto auf, „Gut, dass du hier bist…“, sagte er.

„Verdammt!“, rief der Ronin, lies von Soji ab und machte ein paar Schritte zurück. Offenbar waren sie jetzt in der Unterzahl.

„Ich hätte nicht erwartet, dass ich das mal sagen würde… aber es ist gut, dich zu sehen, Tsuchigiri…“, höhnt Hideto.

„Wie dem auch sei…“, erwiderte Yoshimaru ernst, dann wandte er sich an den Yakuza und seinen Ronin, „Und was euch beide angeht: Wenn ihr am Leben hängt, macht euch aus dem Staub und sorgt dafür, dass ihr uns nicht wieder unter die Augen kommt!“

Zögernd knurrte der Tätowierte und umfasste sein Schwert fest. Er atmete immer noch schwer durch den Treffer an seiner Flanke.

„Yukishiro?“, kühl und zittrig schwebte Bakemonos Stimme durch die dicke Sommerluft, die gerade ein wenig durch frischen Wind aufgelockert wurde.

Verwirrt drehte sich Hideto zu dem Mann im Lumpenmantel um, „Wer bist du? Woher kennst du meinen Namen?“

„Er war in deiner Kaserne stationiert.“, erklärte Yoshimaru, ließ dabei aber den Yakuza nicht aus den Augen, „Er wollte dich sehen…“

„Yukishiro … Hideto…“, Bakemonos Krächzen hörte sich merkwürdig an. Seine Stimme klang so freudig erregt.

Unschlüssig sah Hideto den Fremden an. Wer war dieser Mann?

Bakemono bewegte sich gespenstisch langsam zu Hideto hinüber. Auf halbem Weg ließ er seine Kapuze von seinem mit Brandnarben übersäten Kopf gleiten.

„Erkennst du mich nicht mehr?“, krächzte er herausfordernd.

Plötzlich erkannte Hideto seinen Gegenüber. Diese Augen, das hasserfüllte Grinsen. Zwar hatte er den Großteil seiner Haare durch das Feuer eingebüßt und seine Gesichtszüge waren leicht verzerrt. Trotzdem war er sich sicher…

„Aomori!“, rief er erstaunt aus.

Yoshimaru bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Mit einer eleganten Bewegung manövrierte er sich schützend zwischen Bakemono und Hotaru, wodurch er die Kontrolle über den Yakuza verlor. Dieser richtete sich langsam auf und beobachtete das Geschehen gespannt.

„Yoshimaru! Hotaru! Soji! Passt auf! Dieser Kerl wollte mich töten!“, rief Hideto erschrocken.

Hotaru blickte den halb Verbrannten schockiert an. Die Haut seines Gesichts war übersät mit Brandblasen und eiternden Wunden. Auch Yoshimaru schaute Bakemono seinen Gefährten verwundert an. Er konnte es nicht fassen… Ausgerechnet Hidetos Erzfeind anzuschleppen…

„Ich übernehme ihn.“, erklärte er schuldbewusst und umfasste den Griff seines Katana fest.

„Nein.“, antwortete Hideto ernst, „Er ist hier, um gegen mich zu kämpfen.“

„Wie du wünschst.“, Yoshimaru machte einen Schritt zurück, „Dann kümmere ich mich um den Rest.“

Offenbar fühlte sich der Yakuza angesprochen, „Wie ihr wollt! Aber ihr werdet diese Entscheidung nicht überleben!“, wild entschlossen hob er sein Tachi über den Kopf.

„Ihr wartet hier.“, flüsterte Yoshimaru Hotaru und dem Jungen zu, den er nicht kannte.

Tapfer nickte Hotaru, Soji sah den Fremden mit dem Strohhut trotzig an, immer noch Hidetos Kurzschwert in den Händen.

Der Tätowierte rannte wild rufend auf Yoshimaru zu, das Tachi bedrohlich schwingend. Yoshimaru umfasste sein Katana fest und ging leicht in die Hocke. Die Klinge des Yakuza nährte sich geschwind. Stahl blitzte auf. Kurz bevor das Tachi Yoshimaru traf, zog er mit einer fast übernatürlichen Geschwindigkeit sein Katana. Die Wucht des Schlages stieß das lange Schwert des Yakuza bei Seite. Erschrocken blickte dieser seinem Gegner entgegen. Durch eine schnelle Drehung wirbelte Yoshimaru herum und schlug dem Giganten mit voller Wucht seine Schwertscheide in die Rippen.

Keuchend, ging der Yakuza in die Knie, nun schon zweimal an derselben empfindlichen Stelle getroffen.

„Deine letzte Chance.“, sagte Yoshimaru ernst, „Flieht oder sterbt.“

„Ihr passt nicht auf!“, ertönte die Stimme des Ronin. Zischend flog seine Sichel auf Yoshimaru zu. Ruckartig riss dieser seine Schwertscheide empor, sodass die Klinge der Sichel hinein glitt. Durch ein leichtes Schräghalten der Saya blockierte Yoshimaru die Sichel und der Ronin konnte sie nicht zurück ziehen.

„Ich passe immer auf!“, erklärte Yoshimaru.

„Verdammt.“, der Auftragskiller murmelte wilde Flüche vor sich hin, als er nach einem Weg suchte, den Fremden zu töten. Doch die Sichel war nicht seine einzige Waffe…

Yoshimaru hatte zwar die Kontrolle über die Sichel, doch konnte er nicht angreifen, ohne die Spannung in der Kette zu lösen und somit die Waffe freizugeben.

Eine Pattsituation.

Doch der Ronin zog mit der anderen Hand einen Wurfdolch aus dem Strohumhang und ließ ihn in Richtung Hotaru und Soji fliegen.

Erschrocken ließ Yoshimaru die Schwerthülle fallen, machte einen Satz nach links und wehrte das Wurfgeschoss mit seinem Katana ab.

„Jetzt haben wir dich!“, brüllte der Yakuza, der sich erhob und auf Yoshimaru zusprang. Im selben Moment eilte auch der Ronin nach vorne, ein Kurzschwert in der Hand und bereit, Yoshimaru zu töten.

Den Ausweglosigkeit der Situation erkennend, ging Yoshimaru ganz in die Hocke, als plötzlich der kleine Junge neben ihm stand.

„Was machst du hier Kleiner?“, rief er aus. Doch erkannte er den Willen zu helfen in den Augen des Kindes.

Das Schwert des Ronin und das Langschwert des Yakuza kamen bedrohlich nahe, als der Straßenjunge sein Kurzschwert hob, und damit das Tachi abwehrte. Der Aufprall der Waffen ließ den Kleinen erzittern und er verlor das Gleichgewicht.

Die Klinge des Ronin verfehlte Yoshimaru und schlitzte stattdessen den Arm des Jungen auf. Blut tropfte auf den sandigen Boden.

Doch binnen des Bruchteils einer Sekunde erhob sich Yoshimaru in einem tödlichen Wirbel seines Schwertes. Seine Klinge blitzte durch die Luft und traf den Ronin an Hals und den Yakuza quer über die Brust.

Der Auftragskiller ging gurgelnd zu Boden und regte sich nicht mehr, der Tätowierte strauchelte einen Meter zurück und ging stöhnend in die Knie. Seine massige Gestalt machte ihn äußerst widerstandsfähig. Doch in diesem Zustand konnte nicht einmal er noch kämpfen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  Nellas
2016-10-24T08:47:55+00:00 24.10.2016 10:47
Armer Wada ^^ Schöner Einstieg in die Geschichte
Von:  FrankFanta
2009-04-28T13:46:33+00:00 28.04.2009 15:46
argh..xD
du hast ja gesagt, cliffhanger, aber mit so einem hab ich nicht gerechnet... wann ist das andere fertig? :3
Von:  FrankFanta
2008-08-26T18:34:21+00:00 26.08.2008 20:34
Yoshimaru kann einem richtig Leid tun! Nicht, dass der nochmal irgendwie irgendwo zusammenbricht oder so? Oder angegriffen wird und sich vor Schwäche nicht richtig wehren kann?
*wilde mutmaßungen aufstellt* ^___~
Aber das "Monster" macht richtig Lust auf mehr.. ich weiß ja jetzt, wer's ist, aber ich freu mich schon, wie's weitergeht^^ bloß kein kreatief jetzt, ich bin gespannt! *hibbel*
Racheee~ *gröl*
<3
PRI
Von:  FrankFanta
2008-06-30T22:19:15+00:00 01.07.2008 00:19
hihi, Hotaru ist so cool..xP
Und Hideto wird einem gleich um einiges sympathischer..*nod*
Er ist also doch nicht so ein selbstverliebtes Stück...Dreck...naja..^^
(das ist Dreck...aber das interessiert dich ja sowieso nicht..! xDD)
Ne, aber gefällt mir! Auch die Länge, ich bin gespannt auf das Nächste^^
Man hat auch sehr gut so den dunklen gang vor Augen, wenn man liest, machst du sehr gut... d^.^b


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