Entitäten 2 von Lanefenu (Stiller Wahnsinn) ================================================================================ Kapitel 3: Drei. Spitzenqualität -------------------------------- „Nummer 172“, hauchte das blonde, nackte Mädchen furchtsam. „Was ist?“ gab ich mit schleppender Stimme zurück und wollte im Grunde gar keine Antwort bekommen. „Ich habe Angst. Ich habe solche Angst!“ wimmerte sie. Nummer 422, das war ihr Name, war erst vor kurzem aus dem ‚Block‘ hierher gebracht worden. Der Block war eine vorübergehende Existenzanlage für uns und die Verhältnisse dort waren zumindest ein wenig besser als das, was hier vorherrschte. „Ich habe Angst und mein Rücken tut weh!“ jammerte sie weiter und hielt sich dabei trotz allem gedämpft, denn jedes lautere Geräusch warf ein verräterisches Echo. „Dann weine“, empfahl ich dumpf. Nummer 422 versuchte, ihre fischweißen Beine auszustrecken, was natürlich völlig unmöglich war. „Ich will hier raus“, schnüffelte sie hicksend. „Ich will raus…raus!“ gewollt oder ungewollt nahm sie meinen Tipp an und brach in Tränen aus. „Heul leiser“, befahl eine vom langen Schweigen krächzend gewordene Stimme einen Kasten weiter oben. „Heul sofort leiser, ehe SIE es bemerken!“ Nummer 422 tat nichts dergleichen und barg ihr feistes Gesicht in den weichen Händen, wie ein Vorhang fielen ihr die ungewaschenen, ölig schimmernden Haare vor das Gesicht. Ihr konnte gerade so ihre Konturen erahnen, es war recht finster in der stickigen, stinkenden Halle, aber darüber hinaus war ich ohnehin schon fast blind. „Ich will raaaauuuuuus!“ greinte die Unglückliche gerade und schluchzte hemmungslos. Ich wand mich unruhig in meinem engen Gefängnis, auch wenn meine verkümmerten, porösen Knochen dabei leise knackten und überraschend erfrischende Schmerzwellen in mein apathisches Bewusstsein sandten. „Oh nein…“, hauchte eine andere Stimme, die vor Angst regelrecht piepsig wurde. „S-sie kommen…i-ich glaube, s-s-SIE kommen…!“ Und tatsächlich öffnete sich das dicke, fensterlose Haupttor, begleitet von einem leisen, elektrischen Summen. Ein entsetztes Stöhnen und Winseln ging durch unsere Reihen, als ein breiter Streifen von grellem Licht in die Halle flutete und unsere empfindlichen Augen blendete. „Bitte, bitte, nicht mich, nehmt nicht mich!“ winselte eine Stimme. Ich selbst hatte schon lange aufgehört, SIE anzuflehen und verfolgte den weiteren Fortgang mit einer gewissen Gleichgültigkeit. SIE trippelten näher, IHRE Füße verursachten leise, tickende Geräusche auf dem Betonboden. Und SIE hatten die ‚Stangen‘ dabei. Aus jedem Käfig, an dem SIE tatenlos vorbei gingen, erklangen dankbare Laute und Seufzer und ich bemerkte ohne rechte Überraschung, dass SIE auf die Reihe zusteuerten, in der auch ich und Nummer 422 lagerten. Mit müden, rot entzündeten Augen stierte ich IHNEN entgegen, aber auch an diesem Tag sollte ich verschont bleiben. Nummer 422 allerdings schien zu spüren, dass sie an der Reihe war und ein kleiner Teil von mir, der sich noch mit dem Denken beschäftigte, dachte daran, dass sie dafür dankbar sein sollte- bei ihr war es schnell gegangen. Ganz offensichtlich teilte das Mädchen meine Meinung nicht und begann atemlos zu kreischen: „Nein, nein oh nein, bitte nicht, nicht, NEIIIN…!“ ihre Hysterie endete so schnell, wie sie begonnen hatte, denn noch bevor sie die gesamte Produktion –uns- mit ihrem Wahnsinn anstecken konnte, stieß einer von IHNEN den ‚Stab‘ durch die Gitterstäbe und rammte ihn Nummer 422 in den Hals. Es gab ein zischendes, brutzelndes Geräusch und das Mädchen brach sofort zusammen; tot. SIE öffneten den verdreckten Käfig und rissen die Leiche heraus, um sie auf einen vorsorglich mitgebrachten Karren zu werfen. Danach wandten SIE sich ohne irgendwelche Struktur anderen Käfigen zu, abermals begannen die Insassen zu bitten und zu betteln, aber auch hier flehte keiner lange. Ich hatte längst den Blick abgewandt, meine Schultern streiften die Wände des Verschlags, sobald ich versuchte, die vor die Brust gepressten Arme zu lockern. Mit geschlossenen Augen hörte ich, wie SIE mit ihrer Ausbeute verschwanden, kurz darauf ertönte wieder das elektrische Summen und Dunkelheit legte sich wie ein schweres Tuch über die Halle. Ich weiß genau, was jetzt mit Nummer 422 und den anderen geschehen wird. Man wird sie sorgfältig waschen und ihnen die lästigen Haare ausrupfen. Sie werden eine Weile in der ‚Kammer‘ ausbluten. Sie werden zerlegt, filetiert, gegart, gepökelt, abgepackt, manchmal auch im Ganzen zum Verkauf angeboten, auf dass ihre Knochen eine Suppe verfeinern oder sie an Festtagen die ganze Familie glücklich machen. Kinder, die mit IHREN rätselhaften Techniken schnell gemästet werden, sind mit etwa vier bis acht Jahren besonders zart und ihr Brustfilet gehört, zusammen mit ein wenig Remoulade und einer Gurkenscheibe, wirklich auf jedes Brötchen. Was übrig bleibt und keine Abnehmer findet, wird verarbeitet und uns überlassen, eine Tatsache, die mich nicht mehr stört, ich esse eigentlich immer. Über meinen seltsam teilnahmslosen, umnebelten Gedanken schlafe ich ein, das kalte Metall drückt sich in meinen Rücken, meine vom eigenen Urin wunden Schenkel drücken sich aneinander, meine Kopfhaut juckt, doch all dies spüre ich nicht mehr, ich schlafe und sehe dabei kurz ein Gesicht von IHNEN vor mir. ES hat Federn, viele Federn, einen Schnabel und abschätzende Augen, die mich, das Produkt, nur einen flüchtigen Herzschlag lang mustern, dann muss ES wieder an die Arbeit, denn ES ist schwer beschäftigt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)