Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 28: Die Wahrheit verändert alles ---------------------------------------- "Bitte sagt mir, dass ihr von alledem nichts wusstet.", verlangte Aston, als er seinen beleibten Körper in den Stuhl hinter seinem Schreibtisch wuchtete. "Das kann ich nicht.", gab sie offen zu, während sie sich vergeblich in dem hellen Raum nach weiteren Sitzgelegenheiten umsah. Van schloss hinter ihr die Tür. "Allen hat mir gegenüber zugegeben, dass er mit eurer verstorbenen Tochter Marlene Herzog Cid gezeugt hat." "Es ist also wahr. Und ihr habt keine Geheimnisse vor einander.", köderte der König Astorias. "Ich wusste es auch.", bestätigte Van. "Allerdings erst seit Hitomi vom Mond der Illusionen zurückgekehrt ist." "Warum habt ihr mir nie etwas gesagt?" "Wir haben es nicht einmal Cid offenbart.", rechtfertigte sich Hitomi. "Es war ein Geheimnis, das wir keinesfalls preisgeben wollten." "Wer ist Wir?", erkundigte sich Aston. "Ich werde niemanden an den Pranger stellen, aber es waren meinen Erkenntnissen nach kaum eine Hand voll Leute, die eingeweiht waren." "Ich nehme, Elhad war nicht darunter. Wie hat er es heraus gefunden?" "Bedienstete tuscheln.", gab Van zu bedenken. "Um die schnelle Niederkunft eurer Tochter haben sich bestimmt Gerüchte gerankt. Außerdem könnte eine der Dienerinnen Marlene beim Schreiben des Tagebuches beobachtet haben." "Eure Majestät, ich weiß ehrlich nicht, was ihr von mir erwartet.", sagte Hitomi mit leiser Verzweiflung. "Ich habe begrenzte Erfahrung in der Diplomatie und ihr schickt mich los ein Pulverfass zu löschen." Bei der Erwähnung des Fasses wurden Astons Augen schmal, doch nur einen Moment später hatte er seine Maske der milden Verwunderung aufgesetzt. "Ich bin enttäuscht.", äußerte er sich entsprechend. "Bisher dachte ich, ihr würdet euch mehr zutrauen. Ihr könnt nicht ernsthaft erwarten in eine Königsfamilie einzuheiraten und dann nicht vor Herausforderungen gestellt zu werden." "Schon, aber..." "Du selbst wolltest mehr als nur rumsitzen.", wandte ihr Mann schelmisch ein. "Das hast du mir gesagt." "Fall du mir nicht auch noch in den Rücken!", keifte die junge Königin. "Als ich euch sagte, ich hätte euch gern an meiner Seite, tat ich das auch wegen eurer forschen Art, mit der ihr die Menschen verteidigt, die euch wichtig sind, sowohl mit Worten wie auch neuerdings mit übersinnlichen Kräften.", eröffnete ihr Aston und genoss dabei Vans erbosten Blick. Zwar hatte er jegliche Heiratspläne mit dem exotischen Juwel, das vor ihm stand, aufgegeben und war wild entschlossen, Trias für seine Intrigen bluten zu lassen. Das hielt ihn aber nicht davon ab auf seine eigene Weise Spaß an der Beziehung der beiden zu haben. "Und wie Elhad treffend bemerkte, flegt ihr zu Cid ein enges Verhältnis. Daher bin ich mir bei euch so sicher, wie bei kaum jemand anderen, dass ihr alles geben werdet und sämtliche Mittel ausschöpft, um diesen Konflikt friedlich beizulegen." "Mittel, von denen ich noch nicht einmal weiß, dass es sie gibt?", stichelte Hitomi. "Zu wissen gibt es da nicht viel. Findet heraus, was die Parteien wollen und schlagt einen Kompromiss vor, bei dem beide Seiten ihr Gesicht wahren. Schon habt ihr eine Einigung.", meinte Aston leichthin. "Ich schlage vor, ihr fangt jetzt damit an. Cid dürfte in seinen Gästegemach sein und sich nach Zuwendung sehnen." "Er hat seine Dienerin.", blockte die Königin sauer. "Wir sind noch nicht fertig miteinander." "Doch, seid ihr!", ging Van dazwischen. "So ungern ich es auch zugebe, er hat Recht, Schatz. Bitte erfülle deine Aufgaben, damit wir unseren nachgehen können." "Aber..." "Wir müssen die Evakuierung Farnelias besprechen. Sei so gut und lass uns allein!", bat Van herrisch. Hitomis Augen sandten Blitze zu beiden Männern abwechselnd. Schließlich gab sie klein bei und stampfte aus dem Zimmer. "Sie hat Feuer.", stellte Aston leicht beeindruckt fest, nachdem die Tür hinter ihr lauthals in den Rahmen fiel. "Oh ja!", bestätigte Van seufzend. Draußen im Gang warteten mehrere Dienerinnen. Erst beachtete sie Hitomi nicht und ging wie ein aufgescheuchtes Huhn im kleinen Kreis, leise vor sich hin fluchend. Als schließlich eine der Bediensteten den Mut aufbrach sie anzusprechen, verebbte ihre Wut, als sie in das eingeschüchterte Gesicht der eigentlich älteren Dame sah. "Schon gut.", beruhigte sie, wohl auch sich selbst. "Bitte bringt mich zu seiner Hoheit Herzog Cid von Fraid." Die Frau nickte und ging mit einer einladenden Geste langsam voran. Eine andere folgte Hitomi. Keine Chance zu fliehen, stellte sie verstimmt fest. Zusehends kam sie aber runter von ihrem hohen Ross und die Erkenntnis setzte sich durch, dass Cid gerade sehr viel schlimmeres durchmachen musste als herum geschuppst zu werden. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, in der sie durch verwinkelte, reich verzierte Gänge schritten und breite Treppen überwanden. Mehr als einmal hatte Hitomi das Gefühl einen Umweg zu gehen. Ob es wohl Bereiche gab, die man Besuchern vorenthalten wollte? Schließlich kamen sie zu einer Tür, vor der eine schweigsame Frau mittleren Alters wartete. Ihr Blick war starr auf den Boden gerichtet, während sie sich an die Wand lehnte. Hitomi brauchte kein Hellseher zu sein um zu wissen, dass diese bescheiden gekleidete Frau in ihren Innern äußert aufgewühlt war. "Fräulein Wareh.", begrüßte sie die dunkelhäutige Dienerin. Die Frau schreckte auf und vollführte eilig einen Knicks. "Majestät!", begrüßte sie die Königin verlegen. Diese lächelte verständnisvoll. Schließlich stand vor ihr nicht irgendeine Dienerin, sondern die Frau, die Cid sich als die Autoritätsperson in seinen noch jungen Leben ausgewählt hatte. Sie war es, die seiner verstorbenen Mutter am nächsten kam. Tanai Wareh hatte diese Aufgabe augenscheinlich mit ihrem ganzen Herzen angenommen. "Wie geht es ihm?", fragte Hitomi einfühlsam. "Ich weiß es nicht.", gab Tanai widerwillig zu. "Er kam plötzlich in sein Gemach gestürzt und hat mich raus geschickt. Erst weigerte ich mich, aber er benutzte das Wort, das mich von meiner Sorgfaltspflicht entbindet und seinem Befehl unterstellt. Eigentlich hat er mir geschworen, es nur einzusetzen, wenn es wirklich wichtig ist." "Ich gehe rein!", verkündete Hitomi entschlossen. "Möchtet ihr dabei sein?" „Aber ihr könnt doch nicht einfach...“, protestierte die Dienerin, doch die Königin schüttelte den Einwand einfach ab. „Ich bin nicht an sein Wort gebunden.“, begründete sie ihr Handeln und legte ihre Hand auf die Türklinke, hielt dann aber inne. Nachdenklich musterte sie Cids Vertraute. „Wenn ich es recht bedenke, solltet ihr doch draußen bleiben.“ Dann verschwand sie hinter der Tür und ließ die ratlose Dienerin zurück. Nachdem sie leise die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ sie den Raum auf sich wirken. Die Möbel, das Bett, die Wände, alles sollte hell und freundlich wirken, verbreiteten im Moment aber nur Kälte und Einsamkeit. Mitten im Raum auf dem Boden hockte Herzog Cid, allein und verlassen, kaum 12 Jahre alt, niedergeschmettert von der Verantwortung tausender Generationen, gebeutelt von so vielen Schicksalsschlägen, wie sie manch anderer in hundert Jahren nicht erlebt. „Cid? Ich bin's, Hitomi.“ Sie glaubt kaum, dass er reagieren würde, wollte ihm dennoch die Chance lassen, sie raus zu schicken. Doch er saß weiterhin einfach nur da, die Knie an das Kinn gepresst, das Tagebuch seiner Mutter in der Hand. Und er überraschte sie. „Wo ist mein Vater?“, fragte er mit gebrochener Stimme in den Raum hinein, ohne sich zu ihr umzudrehen. Hitomi brauchte ein paar Augenblicke, ehe sie sich eine Antwort zurecht gelegt hatte. „Er ist tot.“, antwortete sie aus tiefster Überzeugung. „Lüg mich nicht an!“, fuhr Cid sie wütend an. „Du weißt genau, von wem ich rede!“ „Nein, weiß ich nicht.“, erwiderte sie unnachgiebig. „Ein Vater zeugt dich nicht in einer einzigen Nacht, nur um dann alle Brücken abzubrechen. Ein Vater ignoriert dich nicht dein ganzes Leben lang, nur um für ein paar Tage aufzutauchen, wenn es ihm passt, und dann wieder mir nichts dir nichts zu verschwinden.“ Langsam ging sie auf das verstörte Kind zu. „Ein Vater glaubt an dich und lässt nicht eine Sekunde auch nur einen Zweifel aufkommen, dass du sein Sohn bist. Er bringt dir alles bei, was er weiß und sieht dann mit Freuden zu, wie du ihn überflügelst. Er lässt dich teilhaben an seinen Erfahrungen und schickt dich dann in die Welt hinaus, damit du deine eigenen machen kannst. Du hattest einen Vater. Leider ist er auf dem Schlachtfeld gestorben.“ Sie ging hinter ihn auf ihre Knie und umarmte ihn sanft. „Es tut mir Leid.“ Hitomis Worte hatten in Cid einen Damm gebrochen, die Tränen flossen in Strömen. Seine freie Hand packte nach Halt suchend ihre Arme und hielt sie verzweifelt fest. „Was soll ich nur tun?“, schluchzte er, woraufhin ihr Herz in die Zehenspitzen sackte. In Wahrheit hatte sie keine Ahnung, was gerade in ihm vorging. Wie sollte sie ihm da einen Rat geben? „Ich weiß nicht einmal, wer ich bin!“ „Als du heute morgen in den Spiegel geschaut hast, konntest du dich nicht wiedererkennen?“, fragte sie leise. „Was spielt das jetzt für eine Rolle?“, schrie Cid und versuchte sich zu befreien. Mit dem unguten Gefühl einen Fehler gemacht zu haben, ließ Hitomi ihn gewähren. „Jetzt ist alles anders. Mein Vater...“ „Nichts ist anders. Du weißt lediglich etwas, das du heute morgen noch nicht wusstest.“, widersprach sie. „An deinem Erbgut hat sich nichts verändert und auch deine Erziehung ist dieselbe. Sowohl dein Vater als auch deine Mutter haben dich geliebt und genauso solltest du sie in Erinnerung behalten.“ „Aber wird er mich auch immer noch lieben, wenn er die Wahrheit weiß? Die verändert alles!“, verzweifelte Cid. „Wie kannst du dir so sicher sein, dass er es nicht wusste?“, stellte sie ihn in Frage. „Glaubst du nicht, dass er deiner Mutter verzeihen und dich als seinen eigenen Sohn angenommen haben könnte?“ Cid schlug die letzten Seiten des Tagebuchs auf. „Davon steht hier nichts.“ „Vergiss das Buch für eine Sekunde und sag mir, was du denkst. Du hast deinen Vater am besten gekannt.“ Wie ein Häufchen Elend sackten seine Schultern zusammen, schließlich ging er jedoch in sich und kam wenige Augenblicke später zu einer Entscheidung. „Es wäre möglich.“, gab er zu. „Mutter und Vater haben sich geliebt. Ich hab sie nie anders erlebt. Und Vater war zwar hart, aber nie grausam.“ „Kannst du dir vorstellen, was Van tun würde, sollte jemand es offen bezweifeln, dass Merle seine Schwester ist?“, fragte sie weiter, froh darüber endlich auf den richtigen Trichter gekommen zu sein. „Er würde ihn vierteilen mit seinem eigenen Schwert.“, erwiderte Cid schmunzelnd. Er konnte sich noch gut an den Ball erinnern, auf dem Van sie dem Adel vorgestellt hatte. „Weißt du, warum?“, führte Hitomi den Gedanken weiter. „Nicht weil sie von ihrer Geburt an tatsächlich seine Schwester gewesen wäre, sondern weil sie es immer gewesen ist. Seine Zuneigung zu ihr ist überhaupt nicht vom wirklichen Verwandtschaftsgrad abhängig. Ich glaube, dein Vater und er sind vom gleichen Schlag.“ Cids Mundwinkel zogen leicht nach oben und eine weitere Träne kullerte seine Wange hinunter. „Die Frage ist jetzt, ob das Verhältnis zu deinem Vater gelitten hätte, wenn du gewusst hättest, dass er dich nicht gezeugt hat.“ „Nein.“, äußerte sich Cid gerührt. „Wenn überhaupt ist es besser als je zuvor.“ „Du bist sehr stark.“, lobte die Königin den kleinen Herzog und fuhr mit ihrer Hand zärtlich durch sein goldenes Haar, woraufhin sein Kopf diese verlegen abschüttelte. „Draußen steht und wartet eine Frau darauf eingelassen zu werden. Sie mag nicht deine Mutter sein, aber du bist für sie wie ein Sohn.“ „Tanai!“, begriff Cid. „Oh nein, ich hab sie...“ Die Spitze von Hitomis Finger auf seinen Lippen unterbrach ihn. „Glaub mir, das macht nichts. Ich hol sie und lass euch beiden allein. Du hast ihr mit Sicherheit viel zu erzählen. Morgen früh komm ich noch einmal vorbei.“ „Danke, Hitomi!“, flüsterte Cid, während sie sich erhob. „Du und Mutter...ihr beide seid euch ebenfalls sehr ähnlich.“ „Vielen Dank.“, erwiderte sie sichtlich bewegt. „Ich hoffe, ich kann eines Tages das gleiche über dich und eines meiner Kinder sagen.“ Als Hitomi die Tür öffnete, reichte ein Wort und die Dienerin stürzte besorgt in das Zimmer. Sofort fiel sie über Cid her und umarmte ihn innig, woraufhin er versuchte sie zu beruhigen. Hitomi musste bei diesem Anblick ausgiebig lächeln, ehe sie ihr Versprechen wahr machte und den Raum verließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)