Hoffnung zu Asche von matvo (Schatten und Licht, Band 2) ================================================================================ Kapitel 33: Große Verantwortung auf schmalen Schultern ------------------------------------------------------ „Ich bin überrascht.“, gab Irene zu. „Deine Koje ist tatsächlich kleiner als meine.“ Hitomi lächelte angesichts der Verlegenheit des adeligen Mädchens. Der Kapitän des Luftschiffs hatte den beiden Frauen Irenes gut ausgestattete Kabine zuerst gezeigt und dann Hitomi zur ihrer begleitet. Irene war ihnen ohne Einladung gefolgt. „Höre ich da etwa Neid?“, erkundigte sich die junge Königin scherzhaft, während sie versuchte einen Weg durch ihr Gepäck zu finden, das fast den gesamten Boden vereinnahmte. „Ich glaube, man hat uns verwechselt.“, schwafelte die lebhafte Adelige weiter. „Das hier ist kaum ein angemessener Raum für eine so hoch stehende Persönlichkeit.“ „Du hast mein Leben gerettet. Van hat Cid gebeten, er möge dich entsprechend behandeln.“, erklärte Hitomi, während sie das Bett, den kleinen Tisch mit einer Schüssel voll Wasser darauf und den Schrank betrachtete. Zwischen den kargen Möbeln war kaum Raum zu atmen. „Keine Bange, das geht in Ordnung.“ „Ich wollte ja eigentlich warten, aber ich glaube, ich muss dich sofort zu mir einladen.“ „Du kannst mir ruhig Zeit lassen, mich einzurichten und bequemere Kleidung anzuziehen.“ „Du kannst dein Kleid alleine ablegen?“, fragte Irene erstaunt. Hitomi schaute erst verdutzt und dann beschämt drein. „Nein, kann ich nicht.“, gab sie zu. „Tatsächlich bin ich es so sehr gewohnt, mich alleine anzuziehen. Ich hab die Schnüren ganz vegessen..“ „Irgendwo muss es hier auf dem Schiff auch Dienerinnen geben.“, überlegte die Adelige. „Sie sind sicher mit Cid und seinem Onkel vollauf beschäftigt.“, wandte Hitomi ein und äußerte dann einen gewagten Vorschlag. „Wie wärs? Du hilfst mir beim Umziehen und ich helfe dir dann in deiner Kabine.“ Einladend wandte sie dem Mädchen den Rücken mit den Schnüren zu. „Einverstanden.“, sagte Irene und zog ihre Handschuhe aus, als wäre es selbst verständlich. Hitomi war wenig überrascht, dass das Mädchen keine Scheu davor hatte, auch niedere Arbeiten zu verrichten. Sie löste die Bänder jedoch etwas unbeholfen und zog manches mal etwas zu fest, doch Hitomi gab acht, sich nichts anmerken zu lassen. Ihr teures Diplomatengewand sank beinahe achtlos zu Boden. Schnell hob sie es auf, breitete es auf dem Bett aus und legte es zusammen, wie sie es bei den Dienerinnen Farnelias beobachtet hatte. „Möchtest du das Unterkleid ebenfalls wechseln?“, erkundigte sich Irene schüchtern. „Bitte.“, antwortete Hitomi. Als sie schließlich unverhüllt in der Kabine stand, fiel ihr das neugierige Augenpaar auf, mit dem das Mädchen sie musterte. „Ist etwas?“ Statt etwas darauf zu erwidern, nahm sich Irene ungefragt den Schwamm neben der Wasserschüssel, tränkte ihn und presste an Hitomis Rücken. Diese lachte schallend auf. „Vorsicht, das Wasser ist kalt!“ „Verzeihung.“, bat sie förmlich und fuhr nur ruhiger fort Hitomi zu waschen. „Majestät?“ „Irene.“, erwiderte diese betont zutraulich, die die Spannung des Mädchens beinahe greifen konnte. „Würdet ihr...Ich meine, könntest du eine Gesellschafterin brauchen?“ „Du willst für mich arbeiten?“, hakte Hitomi erstaunt nach. „Ich kann gut mit Zahlen umgehen und kenne mich mit Etikette aus. Lesen kann ich auch. Ich kann dir helfen an den Höfen der Adligen zu bestehen. Ich meine, weil du doch...“, sprudelte es aus ihr heraus, bis sie stockte. „Weil ich nur eine Bürgerliche bin, die nichts vom Leben am Hof versteht?“, beendete die junge Königin ihren Satz melancholisch. „Bitte verzeih, ich...“ „Du hast recht, ich brauche Hilfe.“, gab sie zu. „Aber glaubst du nicht, dass du etwas voreilig bist? Du bist immer noch die Erbin deines Vaters.“ „Seine Werften werden vom Adel boykottiert und nur von wenigen befreundeten Händlern mit Aufträgen versorgt. Und nicht einmal sie werden dem Unternehmen treu bleiben, wenn sich kein männlicher Erbe findet.“, erklärte Irene leise. „Du hast Angst vor einem gesellschaftlichen Abstieg?“ „Ich habe Angst, einen ihrer Söhne heiraten zu müssen!“, stellte sie gekränkt klar. „Ursprünglich sollte ich an die Konkurrenz gehen, um die Werften zu retten, doch sie lehnten die Bedingungen im Ehevertrag ab. Daraufhin hat mein Vater es sich in den Kopf gesetzt mich mit einem reichen Händler zu verheiraten. Mit den Töchtern seiner Kunden bin ich zwar befreundet, aber ihre Söhne sind die Pest. Die sehen mich nur als Trophäe, die sie auf ihren Hausbällen herumzeigen und danach ordentlich durchvögeln können.“ „Woher kennst du denn diesen Ausdruck?“, fragte Hitomi ungläubig. „Einer der besagten Söhne hat ihn mir gegenüber benutzt, als wir mal alleine waren. Er hatte ihn mir auch erklärt und gedroht, er könne mir es auch jederzeit zeigen.“ „Was passiert, wenn du dich weigerst?“ „Ich werde enterbt oder muss verkaufen, sobald mein Vater tot ist. Mit einer Frau werden keine Geschäfte gemacht.“, informierte Irene die Königin schlicht. „Ich werde zwar nicht mittellos sein. Es kommt öfter vor, dass eine Adlige fällt. Aber sie werden verachtet und müssen sich als Gesellschafterinnen den Spott ihrer Arbeitgeber aussetzen, um etwas essen zu können. Es kann auch sein, dass ich Glück habe. In diesem Fall finde ich irgendwo eine respektvolle Anstellung als Gouvernante.“ „Möchtest du etwa meine Gouvernante sein?“ „Nein, ihr seid doch erwachsen. Und verheiratet.“, wiegelte sie erschrocken ab. „Eben hast du noch gesagt, du würdest mich in Etikette unterrichten.“ „Aber...“ Irene sah aus, als wolle es im Boden versinken. Hitomi wandte sich ihr zu und drückte sie an ihre noch trockene Front. „Ich zieh dich nur auf.“, beruhigte sie das Mädchen und überlegte. Mit ihren dreizehn Jahren an Lebenserfahrung galt Irene in Gaias Gesellschaft bereits als heiratsfähig. Es wurden sogar schon ein Säugling im Arm und einen unterm Herzen von Ehefrauen ihres Alters und Standes erwartet. Hitomi hingegen konnte gar nicht anders als in ihr ein Kind zu sehen. Ein verunsichertes und zutiefst verstörtes Kind. „Ich verdanke dir mein Leben und diese Schuld werde ich nicht vergessen. Du wirst immer auf meine Hilfe zählen können, wie auch immer sie aussehen soll. Wenn du eine respektierte Arbeit suchst...davon gibt es in Farnelia jede Menge. Und wenn du einen Mann suchen möchtest, mit dem du glücklich werde kannst, unterstütze ich dich dabei.“ „Wirklich?“ „Das ist sozusagen mein Spezialgebiet.“, schmunzelte Hitomi. Irene schluckte den Klos, der ihr schon seit Monaten im Hals steckte, nun endlich runter. Erleichtert befreite sie sich aus der Umarmung. „Danke...Ich weiß nicht...Vielleicht nehme ich dein Angebot an. Irgendwann.“ „Möchtest beenden, was du angefangen hast?“, wechselte Hitomi das Thema und streckte dabei ihre Arme vom Körper weg. „Natürlich.“, antwortete Irene hastig und machte sich ans Werk. Sie war noch eifrig dabei, als die Königin merkte, dass von der Beklommenheit, die sie sonst hatte, wenn sie von Dienerinnen gebadet wurde, nichts wahrnahm. Anscheinend war es vor allem eine Sache des Vertrauens zwischen einem Untergebenen und des Herren, wenn die Privatsphäre so wie jetzt ohne Vorbehalte fiel. Nachdem Irene sie mit eine Tuch abgetrocknet hatte, dass sie - wiedermal ohne zu fragen - aus einer der Taschen gekramt hatte, half sie der Königin in ein bequemeres Kleid. „Dann werde ich mich mal revanchieren.“, lächelte Hitomi unbekümmert. Mit spürbaren Tatendrang zog sie das Mädchen in deren Kabine. Nachdem sie die Tür sicher verschlossen hatte, zog sie ihr die Kleidung aus und wusch sie kräftig von den Schultern über ihren Rücken hin abwärts. Als sie sich schließlich den Schwamm am Schlüsselbein ansetzte, überwand Irene vollends ihre Scheu und sprach aus, was ihr auf der Zunge brannte. „Hast du Angst?“, fragte sie gerade heraus. „Wovor?“, erkundigte sich Hitomi. „Vor der Schlichtung, der ganze Diplomatie. Allein die Verantwortung...Merle hat mir erzählt, du bist nicht dazu erzogen worden, soviel Verantwortung zu übernehmen.“ „Das stimmt.“, gab sie Irene recht. „Aber ich musste schon vor Jahren lernen Verantwortung zu übernehmen. Die Alliierten haben wegen mir schließlich Krieg gegen Zaibach geführt.“ „Aber dafür konntest du nichts. Sagt zumindest Merle.“ „Kannst du etwas dafür, dass du eine Adlige bist, deren Heirat das Schicksal vieler bestimmen kann?“, konterte Hitomi. „Manchmal muss man einfach einen Schritt nach vorn machen und Verantwortung übernehmen, wenn man dadurch Menschen helfen kann. Ansonsten muss man mit der Schuld leben, sie im Stich gelassen zu haben.“ Sie konnte jetzt noch das kalte Metall spüren, dass sich um ihren Körper schlang. Irene schwieg betreten und der Königin dämmerte es, dass sie ihr vielleicht den falschen Rat gegeben hatte. „Aber ich habe zwei Dinge über Verantwortung gelernt.“, fuhr sie fort. „Keiner hat die Verantwortung seine Leben in irgendeiner Weise für andere zu opfern. Eine solche Entscheidung muss freiwillig und ohne Angst vor Schuldgefühlen getroffen werden. Ansonsten bereut man sie, wie auch immer sie ausfällt. Außerdem ist eine Pflicht, sobald man sie angenommen hat, meist weniger erdrückend, als wenn direkt davor steht. Man muss nur den Mut haben mit viel Schwung anzufangen, dann trägt der einen ziemlich weit.“ „Ich soll also nicht heiraten, um die Einkünfte der Werftarbeiter zu sichern?“, schlussfolgerte Irene. „Das kannst nur du wissen. Du musst mit den Folgen der Heirat leben, ob du nun Ja oder Nein sagst.“, berichtete Hitomi sie und legte das Tuch beiseite. „Aber was kann ich denn sonst tun? Die Kinder der Arbeiter...die meisten kenne ich persönlich.“, argumentierte sie, während Hitomi ihr ins Unterkleid half. „Du könntest ihren Vätern neue Arbeit vermitteln. Du könntest die Werft verkaufen und das Geld unter den Arbeitern für einen Neubeginn aushändigen. Sie könnten selbst Kaufmänner werden.“ „Dafür fehlt den meisten die Bildung. Bis auf die Vormänner und Verwalter kann fast niemand lesen und schreiben.“ „Bring es ihnen bei. Du könntest die Werft auch den Arbeitern als eine Art Gesellschaft schenken. Oder ein ganz verrückter Gedanke: Du leitest die Werft selbst.“, ermunterte sie Hitomi und hielt ihr dann ein Kleid aus dem Gepäck vor die Nase. „Nein, das nicht. Es müsste noch ein paar weiße dabei sein.“, lehnte sie ab und sagte dann niedergeschlagen: „Mit Frauen macht man keine Geschäfte.“ „Gibt es denn Frauen, mit denen Mann Geschäfte machen könnte?“, fragte die Königin arglistig und gab Irene damit zu denken. „Keiner behauptet, dass es leicht sein wird, aber mit den richtigen Verbindungen...“ „Die hab ich nicht.“, resignierte das Mädchen. „Du kennst doch mich.“, widersprach Hitomi, und präsentierte ihr ein weiteres Kleid, das Irene nickend zustimmte. „Ja. Und? Seit wann braucht Farnelia Schiffe?“ „Oh, für Luftschiffe, die auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten sind, hätten wir sicher die ein oder andere Verwendung. Mit ein bisschen Phantasie könnte man diese auch in einer Werft für normale Schiffe bauen. Und außerdem...du kennst mich und ich kenne Dryden Aston ehemals Fassa, den Kopf der Händlergilde.“ „Glaubst du, er würde den Werften meines Vaters aus Mitleid Aufträge verschaffen?“, zweifelte Irene. „Nein, er würde aber dafür sorgen, dass deine Position als Erbin anerkannt und deine Werften die gleiche Chance erhalten wie andere auch.“, konterte Hitomi, während sie an ihr und dem Kleid Hand anlegte. „Mein Vater zahlt den Arbeitern mehr als seine Konkurrenten und ich werde es nicht übers Herz bringen das zu ändern.“ „Dann müssen deine Schiffe eben besser sein.“, meinte die Königin leichthin. „Wie ich schon sagte, Farnelia würde für ein Luftschiff, das besonders gut für den Transport von Weizen, Milch oder Backwaren geeignet ist, sicher mehr zahlen als für einen gewöhnlichen Frachter. Wir würden das Schiff auch als Prestigeprojekt betrachten, um Werbung für unsere landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu machen. Wir bräuchten eigentlich nur noch jemanden, der sich trauen würde sein Produkt unseren Wünschen flexibel anzupassen. Jemanden, der den Mut hat, neue Ideen in das Schiff zu verbauen.“ „Wie würde dieser jemand denn an diesen Auftrag kommen?“, erkundigte sich Irene neugierig. „Über Verbindungen, aus denen sich ein Termin ergibt. Sozusagen eine Gelegenheit, bei der das Konzept des Schiffs anhand von Modellen oder Zeichnungen präsentiert werden könnte und das Königspaar überzeugt werden müsste.“, spekulierte Hitomi weiter. Plötzlich umarmte Irene sie stürmisch. „Langsam.“, beschwichtigte sie. „Noch ist nichts beschlossen.“ „Nein, aber es gibt Hoffnung.“, freute sich das Mädchen. Als sie wieder genug Abstand hatten, sah die Königin unbändigen Tatendrang vor sich. „Außerdem gibt es nicht nur Farnelia. Meinst du, Würdenträger würden sich über fließendes, heißes Wasser in ihren Kabinen freuen?“ „Oh ja! Man könnte die Wannen auch so bauen, das Luft in das Wasser geblasen wird.“ „Ihh!“ Irene schauderte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)