Die Herzschwert-Saga von Teak-Wan-Dodo (Die Hüterin des Herzschwertes) ================================================================================ Kapitel 4: 4. Akt: Verlorene Erinnerungen ----------------------------------------- Viele Legenden ranken sich um das Herzschwert. Doch welche ist die wahre? Ich kann es euch sagen. Jede von ihnen ist es. Keine von ihnen ist frei erfunden, Sondern entsprich der Wahrheit. Glaubt jeder von ihnen, Denn dann werdet ihr das Ziel nie aus den Augen verlieren. Der Magus, mächtigster Magier von Konass *** Neugierig lauschte die junge Frau den Worten der beiden Meister, die in graue Roben gewandet, auf einem der kreisrunden Gänge standen und sich leise unterhielten. Sie stand versteckt hinter einer der großen Rüstungen, die stur grade aus sahen und sich auf ihre gewaltigen Schwerter stützten. Dank eines einfachen Zaubers konnte sie jedes gesprochene Wort so deutlich hören, als würde sie dabei stehe. „Es ist ein Wunder, das er noch lebt“, sagte einer der beiden Magier, ein alter Mann mit faltigen Gesicht und einem langen, ungepflegten Bart, der längst ergraut war. Er stützte sich auf einen Eichengehstock, in den unzählige Runen eingraviert worden waren. „Der Sturz hätte eigentlich seinen Tot bedeuten müssen. Niemand kann einen solchen Sturz überleben.“ „Außer“, fiel ihm der andere Meister ins Wort, eine Frau im mittleren Alter, mit schwarzem Haar, das von einer silbernen Haarsträhne geziert wurde. Sie war eine hübsche Frau, mit einem freundlichen Gesicht und warmen, braunen Augen, „er ist begabt in der Magie. Erinnere dich an die Energie, die von ihm ausging, als wir ihn fanden. Selten habe ich so viel bei einem Menschen gesehen.“ Der alte Meister nickte zustimmend. „Wie wahr“, brummte er, während er sich über den Bart strich. „Aber trotzdem. Er hätte tot sein müssen. Alle Knochen im Leib waren gebrochen. Dazu kommen noch seine Wunden. Ich bezweifle, das er überhaupt durch kommt.“ „Ach, Malcolm“, seufzte die Meisterin und verdrehte die Augen. „Du alter Schwarzmaler. Vielleicht solltest du mal wieder in den Garten gehen und dem Gesang der Vögel lauschen, statt die ganze Zeit über in deiner stickigen Kammer zu hocken und über deinen Büchern zu brüten.“ Zur Antwort kam ein unwilliges Brummen, was die Frau hinter der Rüstung zu einem Schmunzeln hin reizen ließ. Sie fragte sich immer wieder, wie die anderen Meister es nur mit dem griesgrämigen Magier aushalten konnten. Immer hatte er etwas zu bemängeln oder murrte wie ein alter Zwerg herum. Vielleicht floss ja etwas von dem Blut des bärtigen Volkes in seinen Adern. Verwundern würde sie es nicht. „Wie dem auch sei“, fuhr die Magierin fort. „Erstmal sollten wir zusehen, dass es ihm recht bald besser geht und er uns berichten kann, was ihm widerfahren ist.“ Sie und der alte Meister wandten sich dem Gang zu und gingen im gemütlichen Gang auf eine nahe Wendeltreppe zu, die sie in das unterste Stockwerk des Turms bringen würde. „Und vielleicht habe ich wirklich Recht und er ist ein Magier.“ Als die beiden Meister die Treppe herunter gestiegen waren, kam die junge Frau aus ihrem versteck hervor. Sie hatte die Kapuze ihrer grauen Robe übergestreift, um zu verhindern, dass niemand ihr rotes Haar entdecken konnte. Als sie sich sicher fühlte, strich sie die Kapuze ab und ließ das zu einem Zopf gebundenes Haar über ihren Rücken fallen. Das schmale Gesicht sah sich aufmerksam um, während sie zur Tür schlich, an der eben noch die beiden Erzmagier gestanden hatten. Vorsichtig legte sie ein Ohr an die Eichenholztür und lauschte. Sie hörte eine Stimme unentwegt leise Worte murmeln. Schnell sah sie sich noch zu beiden Seiten um. Niemand war zu sehen. Sie drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür. Sie betrat das Zimmer, das von einem Bett, einem großen Schrank und einer Wanne beherrscht wurde. Ansonsten war das Zimmer schmucklos, wurde höchstens von einigen Blumen geziert, die auf dem Balkon standen. In dem Bett lag eine regungslose Gestalt, eingewickelt in Verbände und mehreren dicken Wolldecken. Neben dem Bett, auf einem Schemel, saß einer der Heiler des Turms und sah sie überrascht an. Er hatte sein Lied beendet, um zu sehen, wer ihn da besuchen kam. Als er erkannte, um wen es sich handelte, lächelte er müde. „Abigail“, begrüßte er sie beim Namen. „Was suchst du denn hier? Haben die Meister denn nicht verboten, das sich die Schüler hier aufhalten dürfen?“ Sie hob eine Augenbraue und meinte: „Den Schülern, aber nicht den Magiern.“ Sie lächelte. Ihr Lächeln wich aber rasch einem neugierigen Blick, als sie hinter sich die Tür schloss und zum Bett trat. „Wie geht es unserem Gast?“ Der Heiler sah zu seinem Patienten und seufzte. „Er lebt“, berichtet der Heiler. „Fast all seine Knochen sind wieder verheilt, während seine Wunden nur langsam verheilen. Sein Rückgrat ist versehrt geblieben, was mich doch sehr wundert.“ Er sah sie an. „Aber ich weis nicht, ob er in nächster Zeit erwachen wird.“ Abigail nickte verstehend. Sie erinnerte sich nur zu genau an den Aufruhr, den der Fund des Mannes ausgerufen hatte. Die Leute waren kreuz und quer durch die Turmburg gerannt und hatten alles vorbereitet. Einer der Meister und einige Magier waren mit dem verletzten Mann in den Turm zurückgekehrt und hatten ihn in die Obhut der Heiler gegeben. Abigail hatte ihn zuvor gesehen, bevor er in die Kammer gebracht worden war. Sein Körper war zertrümmert gewesen und wilde Tiere hatten sich bereits gütig an seinem Fleisch getan. Es war ein schrecklicher Anblick gewesen. Er hatte einem Menschen nur im Entferntesten geähnelt. Der jungen Magierin war von dem Anblick übel geworden, doch hatte sie ihn nicht abgewandt. Von dem Fremden war eine seltsame Aura ausgegangen, eine die von der Magie stark durchflutet gewesen war. Es hatte Abigail sofort in ihren Bann gezogen. Sie wollte unbedingt wissen, wer dieser Mann war und woher er stammte, das die Meister der Grauen Roben, den neutralen Magiern, die in den Bergen des Antigas-Schlange-Gebirge heimisch waren, nicht zuvor schon von ihm gewusst hatten. Wie Meister Tailia, die Magierin mit der Silbersträhne, glaubte Abigail daran, das sich hinter diesem Mann ein mächtiger Magiewirker versteckte. Doch warum hatte er in der Schlucht gelegen? War seine Magie etwa nicht so mächtig gewesen, das er sich vor einem Sturz hatte retten können? Als hätte der Heiler ihre Gedanken gelesen, sagte er: „Er muss hart gekämpft haben.“ „Gegen wen?“, fragte Abigail neugierig und sah auf den Heiler herab. „Schwarz-Orks“, sagte er grimmig. „Die Biester müssen ihn überrascht haben. Sein linkes Bein wurde von einem ihrer Schwerter verletzt. Und ich glaube, man hat ihm einen Speer in die Seite getrieben.“ Er sah den bewusstlosen Mann eingehend an, als wollte er in dessen Innerstes sehen. „Einer der Orks hat ihn sogar gebissen.“ Die junge Magierin schluckte. „Gebissen?“ Der Heiler nickte. „Ja“, sagte er. „Sie haben ihn gezeichnet.“ Abigail sah voller Mitleid auf den zerschundenen Mann herab. Er wurde gebissen, gezeichnet, ging es ihr durch den Kopf. Schwarz-Orks waren dafür bekannt, das sie alles und jeden angriffen, egal ob es ein Mensch oder eine andere Ork-Sippe war. Die schwarzhäutigen Teufel waren wie Tiere, die nur darauf aus waren Beute zu machen. Wenn einer von ihnen einen Feind biss, egal wohin, war die gesamte Sippe darauf aus, die jenige Person zu töten und ihn zu fressen. Der Fremde hatte es also geschafft sich beißen zu lassen. Das würde bedeuten, die üblen Kreaturen würden ihn in alle Himmelsrichtungen verfolgen, bis sie ihn hatten. „Glaubst du, sie werden sich hier her wagen?“, fragte die Magierin besorgt. Es lag Jahrhunderte her, dass die Orks die Grausteinburg überfallen hatten. Damals hatten die Magier sie mit ihrer Magie zurück treiben können und die Unholde hatten sich nie mehr bei ihnen blicken lassen. Doch nun könnten die Wesen vom Geruch des Mannes hier her gelockt werden und versuchen die Burg zu stürmen. „Wenn es so kommen sollte“, erklang eine ruhige Stimme hinter den beiden, „so sind wir darauf gefasst.“ Heiler und Magierin wanden sich um und erblickten Meisterin Tailia, die ruhig vor der Tür stand. Wie hatte sie es geschafft sich unbemerkt in das Zimmer zu schleichen, fragte sich Abigail, bis sie sich daran erinnerte, wie geschickt die Frau war. „Meister“, sagte Abigail hastig und verneigte ehrfürchtig den Kopf vor der Erzmagierin, während der Heiler mit einem Lächeln ihr zu nickte. „Wird es einmal den Tag geben, wo du dich nicht über die Befehle des Rates hinweg setzen wirst, Abigail?“, fragte die Meisterin seufzend, während sie an die Seite der jungen Frau trat und auf den schlafenden Mann herab sah. Die junge Frau sah sie an und wurde rot vor Verlegenheit. Immer wieder hatte sie den Meistern nicht gehorcht und hatte ihren Dickkopf durchgesetzt. Dennoch hatte man sie in der Grausteinburg behalten und sie zur Magierin ausgebildet. „Entschuldigung“, sagte sie verlegen. Die andere Frau lächelte nur und sah sie kurz von der Seite an, bevor ihr Augenmerk wieder auf den Gast gerichtet war. „Er hat dich also auch neugierig gemacht“, stellte die Erzmagierin fest, während sie den geschundenen Leib, der vom Verband verhüllt war, weiter betrachtete. Abigail nickte. „Ja“, sagte sie ehrlich, denn vor Meisterin Tailia musste sie nie flunkern. Die Frau kannte sie von allen am besten und würde jede Lüge erkennen, die von ihr kam. Sie hatte die junge Frau von Kindesalter her unterrichtet und sie der Magie nahe gebracht. Sie war für Abigail in all den Jahren wie eine Mutter geworden. Obwohl ihre richtige Mutter noch lebte, fühlte sich die junge Frau der Meisterin verbundener, als wäre sie die Frau, die ihr vor vielen Jahren das Leben geschenkt hätte. Mit ihr konnte sie über jedes Thema sprechen, das aufkommen mochte. Die junge Frau setzte sich vorsichtig an den Rand des Bettes und betrachtet den Mann eingehend. „Er strömt ein hohes Maß Magie aus“, sagte sie. „Sein ganzer Körper ist davon erfüllt.“ Sie sah die Meisterin an, die zustimmend nickte. „Aber da ist noch etwas anderes.“ „Etwas anderes?“, fragte die ältere Frau mit dem Silberschopf und sah ihre Schülerin eingehend an. „Ich bin mir nicht ganz sicher“, sagte die junge Frau unschlüssig, während sie mit einer ihrer feuerroten Strähnen spielte und schließlich an dieser herum kaute. Eine Eigenart von ihr, wenn sie konzentriert nachdachte. „Es ist, als würde ich diesen Mann von irgendwoher kennen. Ich bin mir aber sich, ihn nie zuvor gesehen zu haben.“ Sie sah ihre Lehrerin fragend an. „Was kann das zu bedeuten haben?“ Tailia sah die junge Frau nachdenklich an. Schließlich fiel ihr Blick auf dem bewusstlosen Mann. „Es kann verschiedene Erklärungen dafür haben“, überlegte sie. „Etwa eines Traumes wegen, einer Vorhersage, göttliche Fügung und ganz anderen Sachen. So genau kann ich dir das leider nicht beantworten, Abi.“ Die junge Frau seufzte und sah den geschundenen Mann an. Das Gefühl, das sie ihn kannte war erst kürzlich aufgetreten, als sie ihn eingehend betrachtet hatte. Sie konnte es sich selber nicht erklären und das es auch nicht Meisterin Tailia konnte, ließ sie innerlich verzagen. Wer war dieser Mann nur, fragte sie sich. Woher kannte sie ihn bloß? Was auch immer dies zu bedeuten hatte, es hatte etwas mit der Magie, die dem Fremden inne war, zutun. Sie musste diesem Rätsel auf den Grund gehen und darauf hoffen, dass sie einen Hinweis darauf finden würde, der ihre Fragen beantworten würde. Plötzlich schoss die Hand des Mannes vor und packte die ihre. Abigail erschrak schrecklich und schrie. Tailia war sogleich an ihrer Seite und versuchte den Griff des Mannes zu lösen, doch dieser ließ nicht locker und hielt die junge Magierin eisern fest. Ein Stöhnen entrang seiner Kehle. Er wand sich unter der Decke und strampelte sie von sich. „Haltet ihn fest“, wies der Heiler, der längst aufgesprungen und um das Bett herum gerannt war, die beiden Frauen hektisch an. Sie gehorchten. Schnell hielten sie den geschundenen Leib des Mannes fest, der sich dagegen wehrte, doch nicht für lange. Seine Kräfte schwanden rasch und er blieb stöhnend und wimmernd liegen. Abigail befreite ihre Hand von seiner und versuchte erst einmal ihr schneller schlagendes Herz zu beruhigen. Die plötzliche Bewegung des Mannes hatte sie zutiefst erschrocken. Damit hatte sie nicht gerechnet, da sie ihn für zu schwach gehalten hatte. Aber da hatte sie sich eindeutig geirrt. „Er ist wieder ohnmächtig geworden“, stellte der Heiler, der selber nicht weniger überrascht war, als die andern, fest, als kein Laut mehr von seinem Patienten kam. Abigail kam vorsichtiger an das Bett heran getreten und sah den Mann an. Er lag wieder friedlich in den Lacken seiner Ruhestätte, als wäre nichts geschehen. Nur die zerwühlten Decken zeugten von seinem Ausbruch. Bei dem Ausbruch hatte sie einen Anstieg von Magie feststellen können. Sie war von dem Fremden gekommen. Also war er doch in den arkanen Künsten bewandert, dachte die junge Frau, als sie ihren Blick zu Tailia wandern ließ, die mit einem stummen Nicken bezeugte, das auch sie die Magie gespürt hatte. Als die junge Magierin den Mann wieder ansah, fragte sie ihn leise: „Wer bist du?“ *** Nach dem kurzen Erwachen des Mannes hatte Tailia die anderen Erzmagier zusammen gerufen und ihnen davon erzählt. Das Abigail zu Gegen gewesen war, hatte sie verschwiegen, um der jungen Frau Ärger zu ersparen. Die Magierin hatte ihr versprechen müssen, schnell die Kammer zu verlassen, um den Heiler seine Arbeit weiter fortführen zu lassen. Abigail war nur widerstrebend gegangen und die Meisterin wusste sogleich, dass ihr Schützling sich nicht all zu lange fern von dem Objekt ihres Interesses bleiben würde. Die Meister hatten den Worten der Frau genau gelauscht. Sie hatte ebenfalls den Anstieg seiner magischen Kräfte erzählt, doch einigen der Meister war es deutlich anzusehen, das sie ihren Worten keinen Glauben schenkten. Sie glaubten nicht, dass es jemanden geben könnte, der über solche Macht verfügte – außer dem Magus selbst. Tailia hatte aber geschwiegen und erwartete jetzt die Worte ihrer Kollegen. Der erste, der sprach, war der alte Malcolm. „Das klingt sehr…“, er suchte nach den richtigen Worten, „abenteuerlich, Tailia. Nur du hast es gespürt, doch keiner von uns. Bist du dir ganz sicher?“ Die erfahrende Magierin nickte ernst und entschlossen. „Ja, Malcolm“, sagte sie. „Es war ein Hauch von Magie gewesen, doch war sie deutlich zu spüren. Da in der Burg seit Jahrhunderten Magie ausgeübt wird, geh ich davon aus, das ihr den kurzen Anstieg vielleicht für ein Rückstand alter Zauber oder ein Experiment eines Schülers gehalten haben könntet.“ Einige der Meister nickten, doch waren es nur wenige. Der Rest zeigte keine Regung, zu der Behauptung der Erzmagierin. Sie nahm es einfach hin. „Wenn deine Behauptung stimmt“, meinte ein anderer Magier, dessen Gesicht unter der Kapuze seiner Robe verborgen lag und seine Stimme von Jugend durchflutet war, „sollten wir dem nachgehen, um uns selbst davon zu überzeigen.“ Er erhielt zustimmendes Gemurmel. „Ich bin eurer Meinung“, sagte Tailia und freute sich innerlich, dass sie einen möglichen Verbündeten gefunden hatte. Sie wand sich an die andern Meister. „Überprüft dies. Ich bin davon überzeugt, das in unserem Gast große Macht verborgen liegt.“ Ein anderer Meister brummte: „Ich weis nicht. Es ist sicher nur Zeitverschwendung. Es kann sich um die Restmacht eines orkischen Zaubers handeln. Er hätte von einem solchen getroffen worden sein und in die Schlucht gefallen sein.“ „Nein“, meinte der Kapuzenträger. „Die Schwarz-Orks haben keine Magier unter sich, geschweige denn richtige Schamanen, die sich auf die Macht ihrer Götter verlassen können. Sie sind wie Tier, zu keinem klaren Gedanken fähig.“ Tailia konnte dem nur zustimmen. Ihr Kollege sprach weise. Mal wieder hatte er seine Weisheit unter beweis gestellt. Die Magierin fragte sich allmählich, ob der junge Mann seines Alters nicht Lügen strafte. Nicht das sich der Magus hinter der Kapuze des Meisters J´Kar versteckte. Schließlich hatte noch niemand zuvor das Gesicht des Mannes gesehen, der vor einigen Jahren in die Reihen der Grauen Roben eingetreten war. Er war eins der vielen Geheimnisse der Grausteinburg und Tailia wollte es lösen. Ein weiterer Meister, ein Gnom, dessen Gesicht so runzelig war, das man sich schwer daran tat, die kleinen Augen darin zu finden. Er ging gestützt auf einen hölzernen Spazierstock und man sah ihm deutlich das Alter an, das ihn plagte. „Ich schließe mich den Worten J´Kars an“, krächzte der alte Gnom mühselig. Sein Atem ging rasselnd und er musste hektisch nach Luft schnappen, wie ein Fisch, der auf dem Trockenen lag. „Überprüfen wir den Fremden eingehend.“ Wieder schnappte er nach Luft. „Ich melde mich freiwillig.“ „Ich danke euch, Meister Knoll“, sagte Tailia aufrichtig. Der alte Gnom nickte nur, da er mühselig nach Atem rang. Eine der Meisterinnen trat zu dem Meister und half ihm auf einen Stuhl, wo er sich von den Anstrengungen erholen konnte. Der alte Gnom war bereits uralt. Er sollte über sechshundert Jahre alt sein, erzählte man sich. Einst war er ein mächtiger Magier gewesen, der sich in unzählige Abenteuer gestürzt hatte. Doch das Alter hatte ihn eingeholt und daran erinnert, dass auch er nicht unsterblich war. Seine Macht war geschrumpft. Es fiel Knoll immer schwerer einen Zauber zu wirken, egal wie schwer oder einfach er auch war. Selbst die Verjüngungszauber, die er gelegentlich auf sich sprach, wirkten kaum noch. Sein Körper war für die Maßstäbe der Gnome schon zu alt. Im Alter von dreihundert Jahren hätte er längst unter der Erde liegen müssen, doch er hatte sich wiederholt dagegen gesträubt. Tailia wand sich an die anderen Magier. „Ihr habt es gehört, verehrte Kollegen“, sprach sie ruhig. „Selbst Meister Knoll ist bereit dies zu überprüfen. Mit J´Kar sind es nun zwei. Ich würde aber gerne noch eine dritte Meinung einholen.“ Suchend sah sie sich unter den anderen um, die schweigend um sie herum standen. „Ich werde es machen“, schnaubte Malcolm unwillig. Tailia hörte es genau. „Ich bin sicher, das wir nichts finden werden. Selbst mit Knolls Hilfe.“ Die Frau mit der silbernen Strähne nickte zufrieden. „Nun gut“, sagte sie zu dem anderen. „Nehmt ihn ganz genau unter die Lupe.“ Ihr alter Freund sah sie mit gehobenen Augenbraue an, bevor er sich abwandte und davon schlich, gefolgt von J´Kar und Knoll, der auf dem Stuhl saß, der durch einen Zauber eines anderen Meisters zum Leben erweckt wurde, damit sich der alte Gnom nicht so anstrengen musste. Sie nickte jedem dankend zu, bevor sie mit ihnen die anderen Magier verließ. Es gab noch ein Geheimnis mehr in der Grausteinburg, das Tailia unbedingt lösen wollte. Und dafür wollte sie keine Zeit verschwenden. *** Die Sonne sank langsam, um sich für die Nacht zur Ruhe zu legen. Die Tiere des Tages zogen sich in ihre Schlupflöcher und Nester zurück, während die Kreaturen der Nacht allmählich aus ihrem Schlaf erwachten. Broko führte die Gruppe unermüdlich weiter, bis sie in der Ferne schon die ersten Lichter des Zwergendorfes sehen konnten. Fynn, die auf ihrer grauen Stute ritt, sah sehnsüchtig zu den fernen Lichtern, die von Wärme und einem weichen Bett erzählten. Es waren nun zwei Tage vergangen seit dem Treffen mit der Zwergengruppe. Broko hatte ihr und Lorgren angeboten sie in sein Dorf zu bringen, wo sie ihre Vorräte aufstocken und ausruhen konnten. Broko wies den Trupp an zu halten und wand sich den beiden Nichtzwergen zu. „Was ihr da hinten seht ist Zwergenstein“, verkündete der Zwerg feierlich. „Meine stolze Heimat, die den Bergen und seinen Ungeheuern seit Jahrhunderten tapfer trotz.“ Der graubärtige Zwerg verneigte sich tief, so das sein Bart über den Boden strich. „Ich heiße euch herzlich willkommen.“ Einige der anderen Zwerge folgten dem Beispiel ihres Anführers, während die anderen auf die Umgebung achteten. Fynn fühlte sich auf seltsame Weise gerührt. Diese Zwerge hatten bereits verdeutlicht, dass sie Orks nicht mochten, doch hießen sie eine Halbork willkommen. Nirgendwo sonst wäre sie so freundlich empfangen worden, wie hier, vermutete das Halbork-Mädchen. Der Zwerg kam zu ihr herüber und brummte: „Noch vor Sonnenuntergang werden wir durch die Stadttore schreiten.“ Sie nickte nur zur Bestätigung und sah wieder zum Dorf der Zwerge. Zwar sah sie noch keins der Häuser, doch konnte sie sich im etwa vorstellen, wie Zwergenstein aussehen könnte. Broko führte die Truppe weiter. Es kam Fynn wie eine Ewigkeit vor, als sie die Tore des Zwergendorfes erreichten. Vor Staunen weiteten sich die Augen des Mädchens, als sie die Dorfmauer sah. Sie bestand aus festem Granit, der aus dem Boden heraus ragte. Mindestens zehn Manneshöhen hoch war sie. Auf ihr schritten in Stahl gehüllte Zwerge mit Laternen und Armbrüsten bewaffnet auf und ab. Doch was das Mädchen wirklich ins Staunen versetzte – die Mauer allein war schon ein einmaliger Anblick – war ein Turm, der selbst über die Mauer hinaus zu sehen war. Er musste mindestens dreimal so hoch ragen, wie die Mauer selbst. In unzähligen Fenstern schien Licht. Der Turm war, wie auch die Mauer, aus Granit gehauen worden. Doch wirkte er wesentlich kunstvoller bearbeitet, als der Schutzwall an sich. Dazu glaubte Fynn das Leuchten von Edelsteinen zu sehen, die in der Außenwand des riesigen Gebäudes eingelassen wurden. Broko bemerkte ihr Starren und sagte voller Stolz: „Das ist der Edelturm, das Heim unseres ehrwürdigen Priesters und Bürgermeisters, Vater Barador.“ Als das Granittor sich öffnete, von versteckten Zahnrädern bewegt, fügte Broko hinzu: „Er erwartet euch bereits.“ „Das gefällt mir nicht“, hörte Fynn Lorgren murmeln. Als sie sich dem Jerisanen zuwandte, hatte sich sein Gesicht verdüstert. Seine wachsamen Augen huschten von einer Seite zur nächsten, als würde er jeden Moment einen Angriff erwarten. Fynn selbst fühlte in Zwergenstein nur Wärme. „Ganz ruhig“, flüsterte sie dem Mann aus der Wüste zu, um ihn zu beruhigen. „Die Zwerge sind unsere Freunde.“ Als sich ihre Blicke trafen, sie seine braunen Augen erblickte, senkte Fynn verlegen den Blick. Was maßte sie sich an, einen Mann beruhigen zu wollen, den sie nicht einmal richtig kannte. Er war, obwohl sie mit ihm schon so lange reiste, noch völlig fremd. Sie wusste nur seinen Namen und seine Heimat, doch alles andere blieb ihr verborgen. Lorgren sprach nicht viel mit ihr, nur die nötigsten Worte kamen ihm über die Lippen. Er hatte nicht einmal versucht sie zu trösten, als sie nach Ians plötzlichen Tot getrauert hatte. Sie erinnerte sich unwillkürlich an das Gefühl der Wärme, das der Wüstenreiter ausgestrahlt hatte, als sie sich weinend gegen ihn gedrückt hatte. Diese Wärme hatte Fynn schnell beruhigt und eindösen lassen, als würde sie in den Armen ihres Onkels liegen, der sie sanft in den Schlaf wiegte, wie er es immer getan hatte, als sie noch ein kleines Kind gewesen war. Das Mädchen wusste nicht, was dies zu bedeuten haben könnte. Sie spürte, dass ihr Herz schneller zu schlagen begonnen hatte. Das erinnerte sie wiederum an Jakob, als sie den Meuchler das erste Mal gesehen hatte. Ihr Herz hatte ebenfalls so schnell geschlagen. Doch sie war sich sicher, dass ihr Herz nicht für den Mann schlug, sondern vor Aufregung und Verlegenheit. Als sie ihren Blick wieder hob, war der Wüstenreiter bereits neben sie geritten und sah stur grade aus. Das Mädchen folgte seinem Beispiel und riss die Augen weit auf, als sie Zwergenstein sah. Um sie herum standen dutzende von Häusern aus purem Granit. Jedes von ihnen war wie ein Quadrat gehauen worden, doch wiesen die Wände unzählige, kunstvolle Muster und Bildnisse auf. Fynn hatte geglaubt zu wissen, was sie hier erwarten würde, doch sie hatte sich getäuscht. Das Dorf, das in ihren Augen mehr einer Stadt glich, war ein einziges Kunstwerk aus Stein und Granit. Der Respekt vor den Zwergen stieg ins Unermessliche. Das bärtige Volk war ein wahrer Meister im Bearbeiten von Gestein jeder Art, was ihr schon der Edelturm gezeigt hatte, das Wahrzeichen Zwergensteins. Nur wenige Zwerge waren um diese Zeit auf der Straße unterwegs. Doch als sie die Halbork und ihren Begleiter erblickten, blieben sie stehen und beobachten sie voller Misstrauen. Als Broko und seine Männer ihnen berichteten, wen sie da mitgebracht hatten, wich das Misstrauen und nur tiefe Bewunderung blieb zurück. Einige der Zwerge klopften an die Türen der Häuser und erzählten, dass die Hüterin des Herzschwertes ihr Dorf besuchte. Fynn wunderte sich, wie schnell die Straßen gefüllt waren, nachdem sich die Neuigkeit herum erzählt hatte. Männer und Frauen, Kinder und Greise waren auf die Straßen heraus getreten und sahen die Halbork mit ehrfürchtigen Augen an. Einige verneigten sich sogar vor ihr, bis ihr Bärte über den Boden strichen. Andere murmelten aufgeregt miteinander, während andere dem Trupp folgten, um sich an Fynn satt zu sehen. Die plötzliche Aufmerksamkeit der Zwerge beunruhigte das Mädchen. Sie war dies nicht gewohnt. Zumindest nicht so, das sie von Fremden mit freundlichen Blicken begrüßt wurde. Die einzige Aufmerksamkeit von anderen hatte sie durch die Dorfkinder daheim erfahren, die sie immer schikaniert hatten, wo sie nur konnten. Doch hier hieß man sie Willkommen. Sie sollte sich eigentlich gerührt fühlen, doch das war ihr nicht möglich. Unter den Blicken der Zwerge glaubte sie zu schrumpfen. Sie zuckte erschrocken zusammen, als sie die Hand Lorgrens auf ihrer Schulter spürte. Sie sah den Jerisanen mit großen Augen an. Er sah sie nicht an, hielt den Blick nur auf den Weg gerichtet und sagte: „Ganz ruhig, Mädchen. Ich werde über dich wachen.“ Fynn konnte schon beinah nicht glauben, was sie da hörte. Sie dankte dem Mann innerlich. Doch sie erinnerte sich, wieso er dies sagte. Es war seine Pflicht. Zu seinen Worten nickte sie schließlich nur, da sie im Augenblick nicht die Lust verspürte ein Wort mit ihm zu wechseln. Ihr Leibwächter sah sie schließlich doch an und ihre Blicke trafen sich neuerlich. Fynn wusste nicht wieso, aber von neuen klopfte ihr Herz wieder schneller, als sie in die schmalen, braunen Augen Lorgrens sah. Ihr Anhänger verströmte wieder diese wohltuende Wärme, die sie nur von ihrem Onkel gekannt hatte. Wieder fragte sie sich, was dies zu bedeuten hatte. Unwohl fühlte sie sich nicht, nein, sondern geborgen. Sie könnte fast in den Augen versinken. „Wir sind da“, brummte Broko und riss Fynn so aus ihrem Starren. Das Mädchen sah den Zwerg verwirrt an, bevor sie merkte, wo sie angekommen waren. Der Edelturm erhob sich vor ihnen in die Höhe und hüllte das Mädchen in sein warmes Licht. Der Schwertanhänger an ihrer Brust ließ Wärme aufsteigen, die sie einlullte, wie Lorgrens Nähe selbst. Dieser Ort wurde von guten Wesen bewohnt, wusste sie sofort. Hier würde sie sich sicher fühlen können, egal was kommen möge. Nun sah sie, dass in den Turm wirklich Edelsteine eingelassen worden waren. Das Licht der Fackeln erhellte sie und ließ den Turm in einem regenbogenartigen Licht erscheinen. „Wie schön“, murmelte Fynn, die von dem atemberaubenden Anblick gefesselt war. Nie zuvor hatte sie so etwas zu Gesicht bekommen. Nie hatte sie etwas Schöneres gesehen. Der graubärtige Zwerg bemerkte dies und lächelte breit und stolz. „Das ist der Edelturm in seiner ganzen Pracht. So etwas gibt es bei den Menschen nicht, oder?“ Fynn konnte nur nicken, obwohl sie es nicht wusste. Sie war bisher nur in ihrem Dorf gewesen und dies war ihre erste große Reise. „Na warte mal ab, bis wir drin sind, Hüterin.“ Die Zwerge führten sie und Lorgren um den Turm herum, zu einem großen Tor, das im Gegensatz zum Rest Zwergensteins, aus Holz bestand. Dieses wurde von innen heraus geöffnet. Eine Abteilung Zwerge kam heraus marschiert, die allesamt in wallende, weiße Roben gehüllt waren. Sie trugen nur einen eisernen Brustpanzer und einen Hammer oder Streitkolben in ihren Gürteln. „Die Priester Bartax“, erklärte Broko Fynn im ehrfürchtigen Ton, die die anderen Zwerge mit neugierigen Blicken mustert. Die Priester reihten sich vor dem Trupp in ordentlicher Reihe auf. Sie sahen die Halbork mit neutralem Blick an, legten eine Hand auf Herz und Waffe und verneigten sich so tief vor ihr, das ihre Bärte über den staubigen Boden wischten. „Wir heißen die Hüterin des Herzschwertes in Zwergenstein willkommen! Sei Bartaxs Segen mit dir und den deinen!“, erklangen die kräftigen Stimmen der Zwerge laut im Chor. Fynn sah die Zwerge verlegen an. „Danke“, murmelte sie. Als hätte man ihre Worte gehört, hoben die Priester ihre Köpfe gleichzeitig und sahen das Mädchen mit ehrfürchtigen und herzlichen Blicken an. In ihrer Mitte wurde platz gemacht, so das zwei Zwerge hindurch schreiten konnten. Einer von ihnen trug die weiße Robe der Priester, hatte aber einen Harnisch aus purem Gold angelegt und trug einen Hammer und einen Streitkolben im Gürtel. Sein Bart war so weiß wie der Schnee in den Bergen. Sein Gesicht war faltig, doch noch so steinern, wie die der jüngeren Zwerge. Der andere trug die Kleider eines einfachen Bürgers. Sein feuerroter Bart war zu zwei kunstvollen Zöpfen geflochten worden, während sein Haupthaar frei über seinen Rücken fiel. Ihm sah man deutlich seine Jugend an. Broko und seine Zwerge verneigten sich tief vor den beiden Zwergen, doch begrüßten sie nur den Priester. „Wir grüßen dich, Vater Barador“, sagte der graubärtige Zwerg voller Respekt und Ehrfurcht. Der alte Zwerg lächelte und erwiderte den Gruß: „Ich grüße dich, Broko Nuggetbeiser, und deine tapferen Jungs.“ Die Häupter der Zwerge senkten sich noch weiter. „Na hoch mit euch“, brummte Barador schließlich. Die Zwerge gehorchten ihm. Der Priester wand sich der jungen Fynn und ihrem Begleiter zu und neigte sein Haupt zum Gruß. „Ich heiße euch willkommen in Zwergenstein, Hüterin des Herzschwertes. Und auch dich grüße ich, Mensch aus der Wüste.“ Lorgren nickte bloß, während Fynn ihrerseits das Haupt vor dem Zwergengeistlichen senkte. „Ich danke euch, Vater Barador“, sagte sie mit leiser Stimme. Der Zwerg lachte auf und lächelte sie freundlich an. „Ihr braucht nicht ängstlich zu sein, Kind“, sagte er. „In meinem Dorf müsst ihr keine Angst haben. Niemand wird euch ein Leid zufügen.“ „Ich weis“, murmelte Fynn, der es schwer viel, vor einem so wichtigen Mann gleichberechtigt zu wirken. Sie sah sich immer noch als das kleine Mädchen aus Steindorf, das nie etwas Besonderes gewesen war. Doch sie war die Hüterin einer geheimnisvollen Waffe, die für ganz Konass die letzte Hoffnung bedeutete. Mit dieser Rolle konnte sie sich noch immer nicht anfreunden. Wie sollte sie, ein Mädchen, Halb Ork, Halb Mensch, der Welt Frieden bringen? Sie konnte nicht einmal auf sich selbst aufpassen, wie sie bei dem Zusammenstoß mit den Schwarz-Orks hatte schmerzlich feststellen müssen. „Bitte kommt mit in meine Hallen“, bat sie der Zwergenpriester im väterlichen Tonfall. Sie wusste nicht wieso, aber Fynn mochte den alten Zwerg jetzt schon. Sie und Lorgren stiegen von ihren Pferden ab, die von den Zwergen übernommen wurden, und folgten dem Priester und seinen jungen Begleiter. Broko und der weißbärtige Zwerg, mit dem Fynn sich einst am Lagerfeuer unterhalten hatte, folgten ebenfalls ins Innere des Edelturms. Als Fynn die Vorhalle des Turms betrat, stockte ihr der Atem. Die Halle vor riesig, ein Riese hätte ohne weitres auf den Schultern eines anderen hier stehen können, ohne sich den Kopf zu stoßen. Die Wände wurden von unzähligen Fackeln erhellt. Wie auch die Außenwände des Turms zierten Edelsteine sie und unzählige Bildnisse, Muster und Runen waren in die Wände gehauen worden. Doch auch Gemälde waren hier zu finden. Sie zeigten Zwerge, Menschen und auch Elfen. Sicher alles wichtige Leute, dachte Fynn, die die Bilder bewunderte. Einige der Gemälde zeigten große Schlachten, fast ausschließlich von den Zwergen geführte. Auf jedem dieser Bilder war ein Zwerg in einer goldenen Rüstung zu sehen, der einen mächtigen Hammer in Händen hielt und mit einem Kriegsschrei in die Höhe hob. Der Hammerkopf glänzte golden und silbern. Ein Drache hatte seine Schwingen um diesen gelegt, als wolle er ihn mit seinem Leib schützen. Unzählige Runen waren auf der Waffe zu sehen, die in einem blauen Licht zu leuchten schienen. Selbst Lorgren war von dem Blick gefesselt, wie Fynn bemerkte. Sie und der Jerisane waren stehen geblieben, um den Hammer auf einem der Gemälde genauer zu betrachten. Der alte Barador bemerkte dies und erzählte: „Das ist Drakobans Drachenfaust.“ „Drakoban?“, fragte Fynn und sah den Priester an, der zu ihr getreten war und selbst das Gemälde betrachtete. „Der erste König von Thador unter dem Berg“, erklärte der Zwerg. „Er war der größte Held der Sippe Drachenhammer. Er allein hat drei schwarze Dachen mit seinem Hammer erschlagen. Leider ging die Waffe damals zu Bruch. Erst sein Urenkel fügte die Teile wieder zusammen, gemischt mit besten Mithril und den Schuppen eines goldenen Drachen. Daraus schmiedete er Drakobans Drachenfaust. Bis heute trägt ihn jeder seiner Nachkommen. Es ist die Erbwaffe des königlichen Geschlechtes von Thador.“ „Der Traum eines jeden Zwerges“, erklang Brokos Stimme. Als Fynn und Barador zu dem Zwerg sahen, sah er sie erschrocken an und rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Er hat recht“, sagte sein Begleiter und klopfte dem Zwerg auf die Schulter. „Ein jeder Zwerg würde gerne solch eine Waffe tragen. Allein das Schmieden würde das Herz eines jeden Zwerges mit Glück erfüllen.“ Barador nickte. „Wie wahr“, stimmte er dem anderen Zwerg zu. „Der Drachenhammer ist eine mächtige Waffe, geschaffen von einem mächtigen Zwerg, der viele Jahrzehnte für die Herstellung dieses Hammers gebraucht hat. Bis heute hat es kein anderer Zwerg mehr gewagt, eine solche Waffe zu schmieden, aus Furcht, er wäre erfolglos.“ Fynn sah die Zwerge allesamt an. Sie redeten über diesen Hammer, als wäre er ein kostbarer Schatz, der unerreichbar für sie war. Obwohl sie das Zwergenvolk nicht allzu gut kannte, verstand sie die Bärtigen. Sie spürte fast schon die Macht, die allein von dem Bildnis des Hammers ausging. Vielleicht lag es daran, dass sie bei einem Schmied aufgewachsen war. Zwar hatte Berold nie eine Waffe hergestellt, doch ihr Onkel hatte schon einige schöne Stücke gemeistert, die zwar nicht mit denen der Zwerge zu vergleichen waren, doch er war immer stolz auf seine Leistung gewesen. „Ihr habt sicher Hunger“, meinte Barador schließlich, um alle von dem Hammer abzulenken. „Ich habe ein Abendmahl her richten lassen, das eure Bäuche füllen soll.“ Fynn bemerkte erst jetzt, wie hungrig sie doch war. Broko hatte sie zwar einige Male rasten lassen, doch nie hatte jemand die Gelegenheit gehabt etwas zu essen. Ihr Bauch knurrte leise, um seine Zustimmung zu erteilen. Sie sah den Zwergengeistlichen an und nickte. „Ja“, sagte sie nur. Zufrieden nickend führte Barador die kleine Gruppe weiter durch die Halle. Er schwenkte in einen Seitengang, aus dem bereits der köstliche Geruch von gebratenem Fleisch zu ihnen herüber strebte. Fynns Magen knurrte neuerlich, doch sie war nicht die einzige. Sie hörte einen der Zwerge leise schmatzen. Lorgren zeigte indes kein Anzeichen darauf, dass auch er Hunger hatte. Sein Gesicht war wieder wie versteinert. Fynn fragte sich, wieso der Jerisane stets so streng war. Dafür gab es keinen Grund, wie sie fand. Der Gang führte sie höher in den Turm. Fynn spürte deutlich wie der Boden unter ihr anstieg. Der Geruch des Essens stieg immer deutlicher in ihre empfindliche Nase und sie erwischte sich dabei, wie sie sich begierig über die Lippen leckte und über den leeren Bauch rieb. Sie folgten weiter Barador, der sie in einen großen Saal führte. In diesem stand eine riesige Tafel, die reich mit Speisen gedeckt worden war. Braten, Soßen, Früchte, Gemüse und Getränke aller Art standen auf ihr und wartete nur darauf, dass sie verspeist wurden. Diener huschten durch den Saal und stellten sich neben die Stühle. „Bitte nehmt Platz“, bat Barador seine Gäste. Sie alle folgten seinem Wunsch. Als Fynn ihren Stuhl zurückziehen wollte, um sich zu setzen, übernahm das für sie der Diener, der hinter ihrem Stuhl gestanden hatte. „Ihr seit der Gast von Vater Baerador“, sagte der Zwerg zu ihr und Fynn glaubte sich verhört zu haben. Die Stimme des Dieners klang so sanft, als wäre sie die einer Frau. Doch der Zwerg trug einen Bart, zwar nicht so prächtig, wie die der anderen, doch er war deutlich zu sehen. Fynn sah den Zwerg etwas genauer an und erkannte die verräterischen Wölbungen um die Brust des Dieners. Der Zwerg bemerkte dies und meinte: „Ich bin eine Frau, Herrin. Ihr habt wohl noch nie eine Zwergin gesehen, wie?“ Fynn setzte sich peinlich berührt. Doch konnte sie ihren Unglauben nicht verheimlichen, darüber, was ihr so eben die Zwergin offenbart hatte. Selbst die Frauen der Zwerge trugen Bärte! So etwas hätte Fynn nie für möglich gehalten. Sie sah die Dienerin wieder an, die in aller Seelenruhe der Halbork von den Speisen auftischte. Als sie fertig war, verneigte sie sich vor Fynn und verschwand aus ihrem Blickfeld. „Esst bitte“, brummte Barador freundlich. Fynn fing zögerlich an zu essen, doch als sie den ersten Bissen sich auf der Zunge zergehen ließ, war ihr Appetit geweckt. Das Essen schmeckte vorzüglich. Nie zuvor hatte sie besser gespeist, als bei den Zwergen. Das bärtige Volk verstand sich scheinbar auch auf das Zubereiten von Essen. Die andern waren bereits beim Essen. Broko schien noch nie etwas von Essmanieren gehört zu haben. Er schob sich einfach alles zwischen die Lippen, schmatzte geräuschvoll und rülpste laut. Die anderen Zwerge waren nicht leise, doch besaßen sie wesentlich mehr Anstand, als der graubärtige Zwerg. Lorgren aß ungerührt von seinem Teller. Als sie mit dem Essen fertig waren, schenkten die Diener ihnen Krüge mit Bier ein. Fynn betrachtete das zwergische Getränk. Sie war zwar oft im Eberspieß zu Gast gewesen, doch hatte sie noch keinen Tropfen Alkohol getrunken. Sie erinnerte sich nur zu gut an die Männer, die sich betrunken hatten und ihre Sinne nach einigen Bechern nicht mehr beieinander hatten. Barador erhob sich von seinem Platz und hob seinen Humpen in die Höhe. „Ein Hoch auf die Hüterin des Herzschwertes!“, rief er aus und die anderen Zwerge folgten seinem Ruf. „Auf die Hüterin!“, riefen sie. Die Zwerge tranken großzügig von ihrem Bier, während Lorgren seins stehen ließ und nur an einem Becher mit Wasser nippte. Fynn folgte dem Beispiel der Zwerge und nahm einen Schluck von dem Hopfengetränk. Erstaunt stellte sie fest, wie köstlich es schmeckte. Schnell kostete sie einen neuen Schluck. Dieses Bier schmeckte nach Hopfen, aber auch nach Honig und ihr unbekannten Kräutern. „Ich stelle fest“, erklang Baradors Stimme, „das dir unser heiliges Wasser mundet, Hüterin.“ Die Halbork sah zu dem Zwergenpriester und nickte. „Ja“, sagte sie lächelnd und nahm noch einen Schluck. „Nie zuvor habe ich etwas Besseres getrunken.“ „Halt dich lieber zurück, Fynn“, sagte Lorgren. Fynn sah verständnislos zu dem Jerisanen herüber, der sie mit ernstem Blick betrachtete. „Zwergenbier benebelt schnell die Sinne.“ Broko lachte auf. „Ach lass das Mädel doch“, meinte er gutgelaunt. „Wenn ihr unser Bier schmeckt, dann soll sie sich gütig daran tun.“ Er selber trank noch einen kräftigen Schluck und rülpste aus Leibeskräften. Die anderen Zwerge lachten darüber und auch Fynn konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. *** Lorgren sah mit grimmiger Miene zu Broko, der sich neu einschenken ließ. Er konnte die Zwerge nicht wirklich leiden. Für ihn waren die Bärtigen ein ungehobeltes Volk, das sich zwar auf die Herstellung meisterhaften Waffen verstanden, doch denen es eindeutig an Manieren fehlte. Sein wachsamer Blick wanderte zu Fynn, die schon fast begierig von ihrem Kelch trank. Das Mädchen hatte nie zuvor Alkohol angefasst und jetzt wurde sie bereits mit dem starken Bier der Zwerge konfrontiert. Sie würde sicher bald schwanken und dummes Zeug von sich geben, wenn sie weiter davon trank. Und dies musste er verhindern, bevor sich Fynn noch lächerlich vor den Zwergen machte. Sie war die einzige Hoffnung auf Frieden für Konass und als solche durfte sie nicht in Verruf geraten. Fynns Augen trübten sich allmählich, erkannte der Jerisane besorgt. Sie würde nicht mehr lange durchhalten. „Kann ich noch etwas haben?“, fragte sie den Zwergengeistlichen, der zustimmend nickte. Der Zwergendiener, der bei Fynn war, schenkte ihr sogleich von dem Bier ein und Fynn nahm einen großzügigen Schluck, was die Zwerge zu begeistern schien. Das Mädchen setzte den Kelch ab und sah zu den Zwergen und lächelte. Lorgren knurrte innerlich. Sie machte sich jetzt schon zum Gespött. Wenn dies an die Ohren seines Meisters gelangen sollte, würde er von diesen sicher heftig gerügt werden. „Vater Barador“, sagte Lorgren förmlich, während er sich von seinem Platz erhob. „Ich würde die Hüterin gerne auf ihr Zimmer bringen, damit sie sich ausruhen kann. Wir haben eine lange Reise hinter uns und sie benötig dringend Schlaf.“ „Ich bin aber noch gar nicht müde“, protestierte Fynn lallend. Lorgren seufzte innerlich auf. Nein, es war bereits passiert. Das Bier verbreitet bereits seine Wirkung. Der Priester sah von dem Wüstenreiter zu der Halbork und nickte. „Sicher doch, Mensch aus der Wüste. Einer der Diener wird euch dort hin führen.“ Fynn schnaubte ärgerlich. „Ich will aber nicht“, maulte sie, als Lorgren zu ihr kam und von dem Tisch weg führte, während einer der Diener sie aus dem Saal führte. Sie wand sich den Zwergen zu und lallte: „Gute Nacht.“ Die Zwerge erwiderten ihre Worte freundlich, bevor Lorgren mit Fynn aus dem Saal verschwunden war. Das Mädchen torkelte bedenklich, weshalb der Mann aus der Wüste sie festhalten musste, damit sie nicht der Länge nach hinfiel. Dem Mädchen gefiel dies nicht, weshalb es immer wieder versuchte, sich aus seinen Griff zu befreien. Doch Lorgren hielt sie eisern fest. Schließlich ergab sie sich und murrte nur leise herum, wie unfair er doch wäre, sie einfach ins Bett zu bringen. Der Wüstenreiter ließ sich davon nicht berühren. Er tat nur das, was er für das Beste hielt. Und das beinhaltete nun einmal sie ins Bett zu bringen. Der Diener führte sie ungerührt durch den Gang, weiter hoch in den Turm, wo die Zimmer für die Gäste bereits hergerichtet worden waren. Lorgren sah sich um, merkte sich jede Ecke und Gang, an denen sie vorbei kamen, um von alleine hier herausfinden zu können, wenn sie flüchten mussten. Fynn lallte die ganze Zeit nur herum. Plötzlich spürte er ihre Hand, die sich auf seine gelegt hatte. Lorgren sah das Halbork-Mädchen fragend an und sah ihr direkt in die Augen. Sie starrten ihn ununterbrochen an, was ihn beunruhigte. „Was ist?“, fragte er etwas zu schroff. Das Mädchen antwortet erst, als der Diener sie vor ihrem Zimmer gebracht hatte. Er verabschiedete sich und eilte zurück in den Saal, wo seine Dienste weiter benötigt wurden. „Du hast schöne Augen“, sagte sie und klang verträumt. Der Jerisane runzelte die Stirn und sah sie prüfend an. Sie ist betrunken, dachte er. Als er nichts sagte, fuhr sie fort: „Und du bist so stark. Ist das normal?“ „Du bist betrunken“, sagte er schließlich, öffnete die Tür und schob sie in das Zimmer. Das Zimmer war recht groß, größer, als Lorgren erwartet hatte. Ein großes Bett beherrschte es, in dem sicher mindestens zehn Menschen Platz finden würden. An den Wänden hingen Bilder großer Zwergenherrscher und der Berge. Ein Balkon befand sich an der Außenwand und ermöglichte es dem Bewohner auf das Zwergendorf hinab zu sehen. „Bin ich nicht“; brummte Fynn trotzig. Als sie sich das Zimmer ansah, jauchzte sie bei dem Anblick des Bettes. Sie befreite sich von Lorgren und rannte taumelnd zu dem Bett und ließ sich in die Lacken fallen. „Wie weich das ist!“ Sie setzte sich auf und sah zu Lorgren. „Und nur ich darf hier schlafen!“ Lorgren nickte und sagte: „Dann leg dich schlafen. Ich wecke dich morgen früh.“ Als er sich abwandte, rief Fynn: „Du willst schon gehen?“ Sie klang mit einemmal betrübt. Der Jerisane wand sich ihr zu und meinte: „Ja. Ich hab ein eigenes Zimmer.“ „Du willst mich genau so alleine lassen wie Ian“, wimmerte sie plötzlich und brach in unkontrolliertes Weinen aus. Lorgren wurde davon regelrecht überrascht. Er sah sie irritiert an. „Alle lassen sie mich alleine. Mutter, mein Onkel, Ian und jetzt auch du. Ich hasse euch alle!“ Lorgren war schnell bei ihr und packte sie bei der Schulter. Das Mädchen sah zu ihm auf und er konnte die Tränen sehen, die wie ein Wasserfall über ihre Wangen flossen. „Sag so etwas nicht“, sagte er streng zu ihr. „Keiner läst dich alleine.“ „Doch“, erwiderte sie trotzig und mit lautem Schluchzen. Sie klammerte sich and den Jerisanen, der erschrocken zusammen zuckte. „Bitte lass du mich nicht noch alleine, Lorgren. Bitte.“ Der Wüstenreiter wurde von dem Gefühlsausbruch des Mädchens völlig überrumpelt. Der Alkohol hatte ihre Sinne verwirrt und ihren Gefühlen erlaubt nach außen vor zu dringen. Lorgren war kein Mann, der tröstende Worte sprach. Er war ein Mann der Wüste und in dieser fand man nicht immer den gewünschten Trost. Doch dieses Mädchen verlangte regelrecht danach getröstet zu werden. Fynn fühlte sich von der Welt in Stich gelassen. Zögerlich legte der Mann aus der Wüste seinen Arm um die bebenden Schultern des Mädchens. Er erkannte, das seine Aufgabe wohl nicht nur darin lag, sie zu beschützen und nach Jeris zu bringen, sondern auch ihr Trost zu zusprechen, um ihr Seelenheil zu gewährleisten. Bis spät in die Nacht hielt er Fynn fest, um sie mit seiner Gegenwart zu trösten. Als sie schließlich schlief, bettet er sie in die weichen Decken und verließ das Zimmer. Den Rest der Nacht würde sie ohne seine Hilfe verbringen müssen. *** J´Kar sah seine Kollegen der Reihe nach an. Er, Tailia, Malcolm und der uralte Knoll waren in der Kammer des Fremden und standen um das Bett herum. Sie hatten fast die ganze Nacht über den Körper des Mannes untersucht und erstaunt festgestellt, das in ihm erheblich mehr Macht schlummerte, als sie zuvor geahnt hatten. Der maskierte Magier sah den anderen jetzt noch an, wie erstaunt sie waren. Am deutlichsten las er es aber im Gesicht von Malcolm, der als einziger von ihnen nicht davon überzeugt gewesen war. Doch nun wurde der alte Erzmagier eines besseren belehrt. „Tailias Worte stimmen also“, keuchte der Magier und schüttelte ungläubig den Kopf. „Er ist sehr mächtig.“ Tailia sah zu ihrem Freund rüber. „Ich sagte es doch.“ Ihr Blick traf den J´kars. „Doch ich hätte nicht gedacht, wie mächtig er wirklich ist. Als wäre er der Magus.“ „Der Magus“, keuchte Knoll, dem das Reden reichlich schwer fiel, „ist noch mächtiger. Ich habe sie schon einmal gespürt, vor vielen, vielen Jahren.“ Er rang nach Luft. „Damals, als ich noch jung war.“ „Wer er auch immer ist“, fuhr J´Kar fort, „wir müssen dafür sorgen, das er schnell wieder gesund wird. Ich habe viele Fragen an ihn, die es zu beantworten gilt.“ Die anderen nickten zustimmend. Auch sie wollten mehr über den Fremden wissen, den sie tief in den Bergen gefunden hatten. Er war reich mit Magie gesegnet, etwas, was in diesen Zeiten recht selten vorkam. Viele mächtige Magier lebten für sich alleine oder auch in der Grausteinburg, doch die Macht dieses Mannes war atemberaubend. Wenn J´Kar sich den schwarzen Künsten verschrieben hätte, wäre er sich über den Geschundenen her gefallen und hätte ihm all seine Macht entzogen dun sich selber einverleibt. Nur gut, dass er einer der Guten war, dachte er etwas belustigt. „Ich schlage vor, wir teilen es den anderen rasch mit“, schlug Malcolm ernst vor. „Es muss ein Wink des Schicksals sein, das wir ihn fanden.“ Die anderen konnten nur nicken, denn auch sie waren davon überzeugt, dass das Schicksal den Mann zu ihnen geführt hatte. J´Kar hingegen war nicht so felsenfest davon überzeugt. Das Schicksal spielte da sicher eine wichtige Rolle, doch der Maskierte glaubte, dass es da jemanden gab, der dem Schicksal etwas nachgeholfen hatte. Ein jemand, der seit Jahrhunderten durch Konass zog und für Frieden zu sorgen versuchte. Ein jemand, der jedem Volk des Kontinents bekannt war. Ein jemand, der den Titel Magus trug. *** Abigail sah den Meistern nach, als diese die Kammer des Fremden verließen. Verwundert stellte sie fest, dass sie den Heiler weg schickten. Was hatte das zu bedeuten, fraget sie sich, während sie wieder hinter einer der riesigen Rüstungen verborgen war. War der Fremde etwa in dieser Nacht verstorben? Sie wollte diesem Rätsel schnell nachgehen. Als sie sich sicher war, das niemand mehr im Gang verweilte, huschte sie hinüber zur Tür. Verdrossen stellte sie fest, dass diese verschlossen war. Doch sie wäre keine Magierin geworden, wenn sie so ein Hindernis nicht rasch hätte überwinden können. Sie legt eine Hand auf das Schloss und murmelte einige Worte in der geheimen Sprache. Ein Klicken erklang und sie wusste, dass so eben das Schloss geöffnet worden war. Sie öffnete die Tür und verschwand im Zimmer. Als sie die Tür schloss, verriegelte sich die Tür wieder von selbst. Die junge Frau stellte überrascht fest, dass die Magier vier Kohlepfannen herauf beschworen hatten, die um das Bett verteilt standen. In ihnen brannten kleine Feuer. Ihr Qualm war von rötlicher Farbe und umwaberte den geschundenen Leib des Fremden. Ein Zauber der Heilung, erkannte sie. Die Magier wollten, dass der Mann überlebte. Doch der Zauber verwirrte sie. Nie zuvor hatte sie von einem gehört, bei dem Kohlepfannen benötigt wurden. Doch spürte sie seine heilenden Kräfte. Sie selbst war nicht sehr auf diesem gebiet bewandert, doch erinnerte sie sich an den Unterricht. Es musste einer der alten Zauber sein, die allein die Erzmagier der Turmburg beherrschten. Vorsichtig trat sie näher an das Bett, achtete darauf, nicht in den heilenden Nebel zu geraten. Erschrocken sah sie, dass die Magier den Mann von all seinen Verbänden befreit hatten. Er lag nun vollkommen nackt auf dem Bett und lag in tiefer Ohnmacht. Abigail sah, wie der Qualm in die Wunden des Mannes drang. Einige der Wunden schlossen sich vor ihren Augen rasch, während andere nur langsam verheilten. Das Gesicht des Fremden war schrecklich entstellt. Es war völlig entstellt. Abigail glaubte, das rührte von dem Sturz her. Doch auch die Wunden im Gesicht lichteten sich. Das braune Haar wuchs rasch, während sein Gesicht immer mehr an Form gewann. Abigail sah dabei zu, wie die zertrümmerte Nase wieder ihre ursprüngliche Form annahm. Eine leichte Harkennase. Sein Bartwuchs folgte dem Beispiel seines Haupthaares und wusch. Die letzten zertrümmerten Kochen wuchsen knackend zusammen, bis sein Körper vollständig geheilt war. Vor Abigail im Bett ruhte ein junger Mann, der sicher nicht viel älter als sie selber war. Sein Gesicht war fein geschnitten, während die Lippen etwas zu breit wirkten, doch seinem Aussehen keinen Schaden zufügten. Er war drahtig, doch konnte die Magierin die leichten Wölbungen seiner Muskeln sehen. Seine Nacktheit verdrängte sie rasch, denn sein Gesicht fesselte sie. Wieder kam ihr des Gefühl des Erkennens. Woher kannte sie diesen Mann bloß? Sie würde es nur zu gerne wissen, doch dafür musste der Mann erst einmal erwachen. Die Tür ging auf und eine Stimme fraget verärgert: „Was suchst du hier?“ Abigail wirbelte erschrocken herum und erkannte Meister Malcolm, der in der Tür stand, zusammen mit Tailia, J´Kar und einem der Heiler. Ihre Meisterin seufzte leise und schloss die Augen, während J´Kar sie mit seinen Augen, die zu leuchten schienen, musterte, während sein Gesicht in tiefen Schatten lag. Malcolms Gesicht war vor Zorn gerötet. „Dir und den andern war es verboten in diese Kammer zu gehen“, knurrte der Magier und schritt auf sie zu. „I-ich“, stotterte sie, doch eine andere Stimme unterbrach sie. Alle wandten sich dem Bett zu und erkannten, dass der Fremde erwacht war. „Wo… wo bin ich?“, fragte der junge Mann, während seine Augen - das linke war Grün, während das rechte Grau schimmerte - alle Anwesenden musterten. Sein Blick blieb an Abigail haften. Die junge Frau schluckte und trat einen Schritt zurück. Sie sah die Magie, die in seinen Augen schimmerte, so kraftvoll, wie bei keinen anderen sonst. „Ihr seit in der Grausteinburg“, sagte J´Kar mit seiner jugendlichen Stimme freundlich, während er an das Bett des Fremden trat. Der Fremde schien nicht zu verstehen. „Ihr seit bei den Grauen Roben.“ Wieder schien der Fremde nicht zu verstehen und der Maskierte sah zu seinen Kollegen und zuckte unschlüssig mit den Schultern. Die anderen nickten verstehend, während Abigail weiter den nackten Mann ansah. Er schien ihren Blick zu spüren, denn rasch legte er sich die Decke um die Schultern, um sie nicht weiter in Verlegenheit zu bringen. „Ihr seit in den Bergen des Antigas-Schlange-Gebirges“, versuchte es Meisterin Tailia. „Das… das kommt mir bekannt vor“, murmelte der Mann schließlich und sah zum Balkon. „Es ist dunkel?“ Fragend sah er die anderen wieder an. „Es ist bereits über Mitternacht“, erklärte Tailia freundlich. „Wir haben euch vor zwei Tagen gefunden. Ihr wart dem Tode nah, weshalb wir euch hier her brachten und euch gesund pflegten.“ Der Fremde sah die vier Kohlepfannen an und runzelte verwirrt die Stirn. „Wir haben eure Wunden mit Magie geheilt.“ „Magie?“ Tailia nickte, als der Fremde fragte. „Ihr seit Magier?“ „So ist es“, übernahm Malcolm das Gespräch. „Wir, die Grauen Roben, sind der älteste Magierorden in ganz Helios.“ „Helios“, murmelte der Mann nachdenklich. „Ich glaube, ich stamme von dort.“ „Wirklich?“, fragte der alte Magier überrascht. „Aber wieso haben wir euch jetzt gespürt?“ „Gespürt?“, fragte der Fremde verwirrt. Er verstand nicht, was sie meinten. „Eure magischen Kräfte“, verdeutlichte J´Kar die Worte Malcolms. „Ohne sie hätten wir euch nicht finden können.“ „Ich verstehe nicht, was ihr damit meint“, sagte der junge Mann. Er sah wieder Abigail an, sprach aber nicht mit ihr. „Ich weis nur, dass ihr mein Leben gerettet habt. Dafür danke ich euch.“ Die Erzmagier sahen sich fragend an. Abigail, die den Blick des Mannes erwiderte, verstand sie. Sie hatten ihn für einen Magier gehalten, doch er hatte mit seinen Worten ihnen verdeutlicht, das er nicht mal den blassesten Schimmert davon hatte, wovon sie überhaupt sprachen. Die junge Frau fragte sich, wieso dieser Mann dann so mächtig war, wenn er keine Ausbildung in den geheimen Künsten genossen hatte. Er warf immer mehr Rätsel auf. „Ich glaube, wir müssen es euch ganz genau erklären“, sagte J´Kar ruhig. „Aber wir würden gerne erfahren, wer ihr seid, junger Freund.“ Der junge Mann sah den Maskierten an, als wäre ihm ein zusätzlicher Kopf gewachsen: Sein Gesicht war vor Schreck verzerrt, als er die anderen ansah und sagte: „Ich weis es nicht.“ Die Magier sahen ihn bedauernd an, während Abigail all ihr Mitleid, das sie besaß, in ihren Blick legte. Er war nicht nur von den Orks gezeichnet worden, sondern hatte sein Gedächtnis verloren. Vielleicht erklärte dies auch, wieso er keine Ahnung von seiner Macht hatte. Dennoch fand sie dies verwirrend. Er wusste, dass er aus Helios stammte, doch wusste er nicht, dass ihm Magie inne wohnte. Da konnte etwas nicht stimmen. Wieder sah er sie an. Abigail fragte sich allmählich, warum sein Blick immer auf ihr ruhte. Schien er selber zu spüren, das er sie von irgendwoher kannte, wie sie es seit einiger Zeit? Sein grünes Auge musterte sie ununterbrochen, während das Graue sie zu durchleuchten schien. Sie spürte erneut den Anstieg seiner magischen Kräfte. Er setzte, ohne es selber zu wissen, Magiesicht ein, stellte Abigail überrascht fest. Hinter ihr keuchte Tailia auf. Abigail wand sich ihrer Meisterin zu und erkannte, das es auch die anderen bemerkt hatten. Der Fremde hingegen sah sie an, als ob er nicht wüsste, was sie hätten. Unwillkürlich fing Abigail an zu zittern. Sie spürte seine Magie in jeden Teil ihres Körpers, spürte, wie ihr Blut zu rauschen begonnen hatte, ihr Herz schneller klopfte. Sie legte eine Hand auf dieses, um sich zu beruhigen, doch es gelang ihr nicht. „Diese Kraft“, keuchte Malcolm leise, während er den jungen Mann mit großen Augen anstarrte. Er sank auf die Knie und murmelte leise Worte, die sie nicht verstand. Sie waren ihr auch egal, denn die Macht des Fremden erschütterte und erregte sie sogleich. Sie suhlte sich innerlich in der Macht, die im Raum lag, während sie sich gequält wand. Seit er wach war, war es kaum zu ertragen, in seiner Nähe zu sein. Es kam ihr fast so vor, als würde sein Blick sie von innen heraus aussaugen. Selbst die Erzmagier mussten sich stark beherrschen, um ihm nicht zu erlegen. Nur Malcolm konnte sich nicht zusammen reißen. Nie zuvor hatte sie den alten Meister so gesehen. J´Kar wirkte als einzige völlig unberührt davon, denn er legte eine Hand auf die Schulter des Fremden und erregte so seine Aufmerksamkeit. „Ich möchte dich darum bitten, dein rechtes Auge zu verbergen“, bat er den jungen Mann, der ihn verständnislos ansah. Aus den Falten seiner grauen Robe zog der Erzmagier eine Augenklappe und reichte sie dem Mann. Dieser sah auf sie herab, verstand eindeutig nicht, was hier vor sich ging, gehorchte aber. Er legte die Augenklappe an, verdeckte damit sein graues Auge. Augenblicklich verschwand das Gefühl dieser unbändigen Macht aus der Kammer. Abigail sank auf die Knie, da diese sie nicht mehr länger zu tragen vermochten. Erleichtert atmete sie aus. Sie wusste nicht, wie lange sie diesem Blick hätte standhalten können, der sie gequält und gleichzeitig so in Verzückung versetzt hatte. Tailia legte ihr die Hand auf die Schulter und Abigail sah die Erschöpfung in den Augen der älteren Frau. Selbst sie war gegen die Macht nicht gerüstet gewesen. Zusammen halfen sie dem am Boden liegenden Malcolm auf die Beine. Der alte Mann hatte nicht an sich halten können und war vollkommen zusammen gebrochen. Er galt als einer der mächtigsten Magier des Ordens, doch er war der Magie erlegen, wie ein junger Schüler. „Was ist passiert?“, fragte der Fremde mit zitternder Stimme. Er selber schien zutriefst schockiert darüber zu sein, über das, was hier so eben geschehen war. Beruhigend legte J´Kar ihm eine behandschuhte Hand auf die Schulter und meinte: „Trag einfach die Augenklappe. Sie wird euch helfen, mit eurer Macht zu Recht zu kommen.“ Als der junge Mann etwas sagen wollte, unterbrach er ihn. „Ihr solltet euch besser hinlegen und versuchen etwas zu schlafen, junger Freund. Die Nacht währt nicht mehr lange und wir brauchen alle etwas Ruhe.“ Der junge Mann nickte, wobei er nicht den Eindruck machte, dass er noch Schlaf benötigte. Abigail selbst brauchte dringend Schlaf. Der Ausbruch seiner Magie hatte sie sehr erschöpft, wie auch die beiden anderen Erzmagier. So eine überwältigende Kraft war ihr und den anderen sicher noch nie unter gekommen. Nur J´Kar schien damit vertraut zu sein. Er war der Einzige gewesen, der nicht von dem ‚Blick’ des Mannes überwältigt worden war. Wieder einmal warf der rätselhafte Magier neue Fragen auf. Er schien ihren Blick gespürt haben, denn seine Augen richteten sich auf sie. Geh schlafen, erklang seine Stimme sanft in ihrem Geist. Morgen werden wir deine Hilfe sicher noch benötigen. Abigail erschrak innerlich. Der Magier hatte über seinen Geist mit ihr gesprochen. Doch seien Worte, das man ihre Hilfe noch benötigen würde, schienen sie zu überzeugen. Ihre Müdigkeit steigerte sich weiter und nur mühselig schleppte sie sich aus der Kammer. Sie sehnte sich nah ihrem Bett, das einige Stockwerke tiefer lag. Schlafen, hallte es immer wieder durch ihren Kopf, während sie zu ihrer Kammer schlürfte. *** Zufrieden sah J´Kar den anderen Magiern nach, die müde und geschlagen die Kammer verließen. Er selber hatte die ungeheure Macht des jungen Machst selber gespürt, doch er war weniger Anfällig dafür gewesen, als seine Kollegen. Schließlich hatte er einen Ausbruch von solcher Macht bereits am eigenen Leib erfahren und kannte Mittel und Wege, sich nicht neuerlich davon überwältigen zu lassen und, wie Malcolm, wimmernd am Boden zu liegen und nach der Macht eines anderen zu gieren. Er bemerkte, dass der junge Mann Abigail nachsah, sogar dann noch, als sie längst gegangen war. Er hatte sich also nicht getäuscht. Der Bursche schien irgendein Interesse an ihr zu haben. Er hatte ausgesehen, als würde er versuchen sie von irgendwoher wieder zu erkennen. Doch J´Kar wusste, das der Fremde die junge Frau unmöglich kennen konnte. Den gleichen Blick hatte er auch in Abigails Gesicht lesen können. Irgendetwas verband diese beiden miteinander. Er konnte nur erahnen, was dies zu bedeuten hatte. „Sag mir“, begann der Maskierte zu sprechen, „woher stammst du wirklich?“ Der junge Mann sah ihn an und murmelte: „Aus Helios. Ich weis aber nicht mehr woher.“ J´Kar nickte leicht. Der Bursche sprach die Wahrheit. Er spürte es genau. Sein Gedächtnis war bei dem Sturz verloren gegangen. Es gab keinen ihm bekannten Zauber, der dies rückgängig machen konnte. Selbst mit seiner Gabe, mit dem Geist anderer Wesen zu kommunizieren, war es ihm nicht möglich, so weit in die Seele vor zu dringen, um anderen ihre Geheimnisse zu entlocken. Doch es gab Zauber, um die Seele eines Wesens zu erforschen. J´Kar kannte sie alle. Doch an diesem wagte er sie nicht einzusetzen. Zu groß war das Risiko, das ihm die Seele aus dem Leib gerissen werden konnte und für immer durch die Grausteinburg zu geistern, auf der Suche nach Erlösung. „Was hat er nur mit dir gemacht?“, fragte sich J´Kar leise. Der Mann hatte ihn gehört und fragte: „Wer?“ Erstaunt sah J´Kar den Fremden an. Wie hatte er ihn hören können? Er hatte doch leise genug gesprochen, das nicht mal die feinen Ohren eines Elfen ihn hätten verstehen können. Er rügte sich rasch einen Narren, als er sich entsann, dass der Mann von der Magie eines anderen durchflutet wurde, der bereits viele Generationen lang durch Konass gereist war. Er seufzte und erhob sich. „Das musst du nicht wissen, mein junger Freund. Ruh dich jetzt aus.“ Er drückte die Schulter des jungen Mannes erneut und fügte hinzu: „Es wird ein langer Tag auf dich zukommen.“ Mit diesen Worten schritt er zur Tür. Doch bevor er ging, wand er sich dem Fremden noch einmal zu. „Da wir deinen Namen noch nicht wissen, werde ich dich solange Niemand nennen.“ Niemand sah den Magier mit fragenden Augen an. „Wieso Niemand?“ „Weil niemand weis, wie du heißt“, sagte J´Kar lächelnd. „Gute Nacht, mein junger Freund.“ Er verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Der Heiler, der vor dem Ausbruch der Magie sicher gewesen war, da er nicht von Magie berührt war, sah ihn fragend an. „Geh ruhig zu Bett. Unser Gast ist wieder bei bester Gesundheit.“ Der Mann nickte und ging. J´Kar sah ihm nach, bevor er sich abwandte und seine Kammer aufsuchte, die über diesem Stockwerk des Turmes lag. Er würde diese Nacht nicht zur Ruhe kommen, denn er musste die Herkunft von Niemand heraus bekommen. Dafür würde er in die Geisterwelt reisen müssen, damit seien Fragen beantwortet werden konnten. Der maskierte Magier konnte nur hoffen, dass er einen gesprächigen Geist fand. <<<:» Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)