Die Herzschwert-Saga von Teak-Wan-Dodo (Die Hüterin des Herzschwertes) ================================================================================ Kapitel 5: 5. Akt: Ein langer Weg --------------------------------- Ein alter Freund von mir sagte einst: „Lieber einen Schluck klares Wasser, Als einen Humpen schlechtem Bier.“ Ich weis bis heute nicht, was er mir damit sagen wollte. Doch ich bin mir sicher, dass es ein guter Rat war. Wenn irgendwer da draußen ihn kennt, Dann kann es nur ein Zwerg sein. Denn mein Freund war ein Zwerg und ein großer Held dazu. Dorn Schwarzbär, Barbarenkrieger aus den Nordländern Konass *** Der Tag brach an. Bereits um die frühen Morgenstunden, wo die Bergluft noch kühl und eisig war, ging es in Zwergenstein geschäftig zu. Die Zwerge, von Natur aus ein geschäftiges Volk, waren längst auf den Beinen und gingen ihren Geschäften nach. Sie waren bereits bei dem ersten Sonnenstrahl aus den Betten gestiegen und nach einem reichhaltigen Morgenmahl ihre Geschäfte geöffnet. Die Wachen auf der Wehrmauer wurden durch Kameraden ausgewechselt, die für sie die Morgenschicht übernehmen würden, während die Nachtschicht sich zur Ruhe begeben würde. Die Kinder rannten frohen Mutes durch die Straßen und spielten lautstark zusammen. Selbst im Edelturm war alles auf den Beinen. Die Zwergenpriester kümmerten sich um ihre Aufgaben, wie sie es jeden Morgen nach dem Gebet an ihren geliebten Gott, Bartax, dem Zwergenvater, taten. Obwohl sie Männer des Glaubens waren, betätigten sie sich ebenfalls an der Arbeit in den Schmieden. Doch sie sangen während der Arbeit geheiligte Reime, die dem Eisen mehr Kraft geben sollten. Lorgren kümmerte sich um die Ausrüstung und den Proviant, den Vater Barador ihm und Fynn für ihre lange Reise überlassen hatten. Dank der Hilfe einiger Diener gingen die Vorbereitungen schneller voran, als der Jerisane es sich erhofft hatte. Eins musste er dem bärtigen Volk schon lassen: sie waren schnelle und sorgfältige Arbeiter. Lorgren sattelte seinen Wüstenhengst, der zufrieden seinen Hafer kaute. Als er den Sattel fest gemacht hatte, sah er zu der einsam, an einen Pflock gebundene Stute, die ebenfalls sich ihren Hafer schmecken ließ. Fynn war noch nicht erschienen, obwohl Lorgren sie längst geweckt hatte. Das Zwergenbier hatte ihr eindeutig nicht gut getan. Als er in ihr Gemach gekommen war, hatte sie noch tief und fest geschlafen. Als er sie weckte, war sie mit starken Kopfschmerzen erwacht und hatte sich darüber ausgelassen, wie schlecht es ihr ginge und das sie nie wieder Bier anrühren würde. Ihr Gesicht war blass gewesen und kurz darauf war sie von Übelkeit übermannt worden und zum Nachttopf gestürzt, wo sie ihren Magen entleert hatte. Der Jerisane hatte sie zu Barador gebracht, der sich in diesem Moment wohl noch um sie kümmerte. „Guten Morgen, großer Mann“, erklang die Stimme des Zwerges Broko nah bei ihm. Lorgren wand sich dem Zwerg zu und nickte leicht zum Gruß, sprach aber kein einziges Wort. Der Zwerg störte sich nicht daran, sondern streckte sich ausgiebig. „Ach, was für ein herrlicher Tag. Wie gemacht für einen Spaziergang durch die Berge, meinst du nicht auch?“ „Vielleicht“, erwiderte Lorgren trocken, da ihm an kein Gespräch mit dem Zwerg lag. Ihm war der Zwerg zu wider, worum er auch keinen Heller machte. Er sah wieder zum Tor des Edelturms und hoffte, das Fynn endlich auftauchen mochte, doch zu seiner Enttäuschung erschein bloß ein Zwerg, der weiteren Proviant brachte. „Das Mädel ist noch beim ehrwürdigen Vater“, sagte der Zwerg, der das Starren des Jerisanen richtig gedeutet hatte. „War ziemlich blass um die Nase, die arme. Verträgt wohl kein gutes Bier, obwohl ich fand, das sie schon ordentlich was herunter gebracht hat, für jemanden, der nie zuvor das Bier meines Volkes gekostet hatte.“ Die Lobsagungen drangen nicht bis zu dem Wüstenreiter vor. Die Sitten und Bräuche des bärtigen Volkes interessierten ihn nicht im Geringsten. Selbst das Volk an sich war für ihn von geringem Interesse. Das einzige, was ihn jetzt interessierte, war, wann Fynn endlich erscheinen würde. Sie hatten noch einen langen Weg vor sich, der mindestens einen Zehntag dauern würde, bis sie in der Wüste selbst ankommen würde. Und jede Minute, die ungenutzt verstrich, verringerte die Chance unbehelligt ans Ziel ihrer reise zu gelangen. Sicher waren andere Meuchler hinter ihnen her. Skorms Diner waren dafür bekannt, das sie ihre Beute nicht so schnell aufgaben. Er wollte so schnell wie möglich in der Heimat seines Herren ankommen und Fynn in die sicher Obhut seines Meisters geben, der vermochte, sie vor aller Augen zu verstecken, bis sie heraus fanden, wo sich das Herzschwert befand. Denn er zweifelte daran, dass man es bereits herausgefunden hatte, wo es versteckt lag. Zu viele jahrhunderte hatte man danach gesucht, doch nie hatte ein Sterblicher es gefunden. „Bist ja heute wieder so gesprächig wie ein Fels“, brummte der graubärtige Zwerg, der aus einer Gürteltasche eine Pfeife zog und diese gemächlich mit Pfeifenkraut stopfte. Kurz darauf hielt er ein Streichholz, dessen Kopf bereits brannte, in den Pfeifen kopf und zog an dessen Ende, bis das Kraut entflammt war. „Vielleicht solltest du mehr unter Leute kommen, Mann aus der Wüste.“ „Vielleicht“, murrte Lorgren den Zwerg an, „solltet ihr auch weniger Reden, Zwerg.“ „Da ist aber einer mit dem falschen Fuß aus dem Bett geklettert“, gluckste der Zwerg amüsiert. Es war klar, dass er keine Angst vor dem Jerisanen hatte. Eigentlich hatte ein Zwerg vor nichts Angst, außer, das die Esse in ihrer Schmiede ausgehen könnte. „Oder hast du nicht genug Schlaf bekommen? Man munkelt, du wärst verdammt spät aus den Gemächern der Hüterin gekommen.“ Mit vor Zorn funkelnden Augen fuhr der Jerisane zu dem Zwerg herum und hätte beinah seinen Dolch gezogen, um ihn zu töten, konnte sich aber noch so weit beherrschen. „Hüte deine Zunge, Zwerg“, zischte Lorgren Broko an, der ihn bloß mit angehobener Augenbraue ansah, „sonst wirst du keine mehr haben.“ „Ach?“, gab der Zwerg ungerührt von sich. „Und du einarmiger Hampelmann willst der jenige sein, der sie mir heraus schneidet? Mit welcher Armee?“ „Sei unbesorgt“, erwiderte der Jerisane eine Spur ruhiger, doch sein Zorn war längst nicht erloschen. „Dafür werde ich keine benötigen.“ Broko lachte auf und schüttelte amüsiert den Kopf. „Bist ein echter Spaßvogel, Mensch“, kicherte er belustigt. Doch rasch wurde seine Miene hart wie Felsgestein. „Aber ich würde einem Kampf mit dir nicht aus dem Weg gehen, Mann aus der Wüste. Meine Axt würde sich über etwas Abwechslung freuen und dein Blut würde sie sicher gut schmieren.“ Beide funkelten sich Unheil verkündend an. Man spürte regelrecht den Zorn, der zwischen den beiden brodelte. Keiner der Anwesenden kam ihnen freiwillig zu nah. Denn zu groß war die Gefahr, dass beide aufeinander losgingen. „Auseinader ihr beiden Streithähne“, erklang die grollende Stimme eines anderen Zwerges. Als beide Krieger sich dem Zwerg zuwandten, erkannten sie den jungen Zwerg mit dem feuerroten Bart. Er stand nicht weit ab von ihnen und funkelte sie mit zusammen gekniffenen Augen an, während er seine Hände in die breiten Hüften gestemmt hatte. „Ich hab keine Lust euch auseinander zu drängen.“ „Dann misch dich besser nicht ein, Junge“, brummte Broko unbeeindruckt, bevor er seinen Blick wieder auf den Jerisanen richtet, der ihn sogleich erwiderte. Der andere Zwerg brummte ungehalten und stampfte mit einem Fuß auf den Boden auf. „Jetzt hört mit dem Blödsinn auf, ihr beiden!“, knurrte er ungehalten dun ging dazwischen. Mit seinen stämmigen Armen schob er beide voneinander weg. Zwerg und Wüstenreiter waren erstaunt über die Kraft des jungen Zwerges. „Ich sag es nicht noch einmal. Wenn ihr nicht hören wollt, dann werde ich euch gehörig die Köpfe durchrütteln. Und ich verspreche euch, das wird sehr schmerzhaft werden.“ Die Augen des Zwerges streiften die der beiden anderen und jeder von ihnen wusste, dass der Zwerg nicht scherzte, sondern jedes Wort ernst meinte. Lorgren glaubte fast, der Zwerg wäre ihm gewachsen. „Schon besser“, brummte der rothaarige Zwerg und trat einen Schritt von den beiden zurück. In diesem Moment kamen Fynn, in Begleitung von Barador und dem weißhaarigen Zwerg, der Brokos Truppe angehörte, aus dem Edelturmtor geschritten. Das Mädchen hatte wieder an Farbe gewonnen und wirkte kräftig genug die lange Reise auf sich zu nehmen. Statt dem Kleid, das sie zu Anfang der Reise getragen hatte, hatte sie Hosen und Hemd angelegt. Über dem Hemd trug sie eine lange Weste, die schon faste in Mantel war. Ihre Füße steckten in langen Reiterstiefeln, die sich ihren Bewegungen perfekt anpassten. Ein langer Umhang lag um ihre Schultern und auf ihrer Brust ruhte der Schwertanhänger. Als sie bei ihnen ankamen, betrachtet Lorgren sie eingehender. Er konnte sich nicht erinnern, dass sie solche Kleider mitgenommen hatte. Wo hatte sie diese also her? Sein Blick fiel schließlich auf Barador, der zufrieden lächelte. „Diese Kleider haben einst einer Heldin aus Helios gehört“, erklärte der Zwerg auf Lorgrens Blick hin. „Sie hat Zwergenstein immer wieder mal besucht. Sie hat einige Sachen hier gelassen. Schon seit vielen Jahren kommt sie uns nicht mehr besuchen. Ich gehe davon aus, das sie längst zu den Göttern aufgestiegen ist, was mein altes Herz sehr traurig stimmt. Doch sollte sie noch leben, wäre sie sicher damit einverstanden, das Fynn einige ihrer Sachen trägt.“ Der Wüstenreiter sah nun wieder die Halbork an. Es schien ihm fast so, als hätte man die Kleider allein für sie gemacht. Tatsächlich lagen sie perfekt an. Diese Heldin musste ein genau so zierliches Persönchen wie Fynn gewesen sein, überlegte er. Das Mädchen erwiderte verlegen seinen Blick und senkte ihren sogleich. Der Mann aus der Wüste störte sich nicht weiter daran. Als er sich ab wand, fiel ihm der Dolch auf, der an dem Gürtel hing, den sie um die Hüften trug. Die Waffe war eindeutig nicht von Zwergenhand geschaffen worden. Zwar kam ihm die Machart der Klinge nicht bekannt vor, doch wusste er, dass keiner der Zwerge einen schlichten Dolch herstellen würde. „Dann können wir wohl aufbrechen“; stellte der Jerisane schlicht fest und begab sich zu seinem Hengst, der schon ungeduldig auf ihn wartete. „Einen Moment bitte“, bat Barador ihn. Der Mann aus der Wüste wand sich ihm zu und runzelte fragend die Stirn. Der alte Priester trat zu Fynn und sagte: „Verehrte Fynn. Darf ich dich um einen gefallen bitten?“ Das Mädchen legte den Kopf schief und sah auf den Zwerg hinab. „Abers ich doch“, sagte sie offen. „Was wünschst du von mir?“ „Bitte nehme einige meiner Leute mit dir“, sagte er zu ihr. Lorgren sah den Zwerg ungläubig an. Zwerge sollten mit ihnen ziehen? Nein, das würde er nicht zu lassen. „Das ist nicht möglich“, sprach er rasch dazwischen. „Zwerge sind in Jeris unerwünscht, schon seit Generationen.“ „Das weis ich, Mensch aus der Wüste“, brummte der Zwergengeistliche, „doch in Zeiten, wie diesen, wird man die alten Fehden sicher vergessen können. Schließlich liegt uns allen an der Hoffnung von Konass etwas. Wir alle wollen endlich wieder Frieden haben. Selbst wir kriegerischen Zwerge lieben den Frieden.“ Fynn sah zwischen den beiden Männern hin und her und sagte schließlich: „Ich würde mich geehrt fühlen, einige deiner tapferen Krieger mit mir zu nehmen.“ Lorgren konnte das enttäuschet Stöhnen nicht unterdrücken. Wie konnte Fynn nur so naiv sein? Kannte sie die alten Fehden zwischen den Zwergen und dem Volk der Wüste nicht? Sicher nicht. Sonst würde sie nicht so dumm handeln. Diese Zwerge würden ihnen mehr Probleme bereiten, als sie verhindern würden. Jeder Wüstenmensch würde sie angreifen, weil er eine Bedrohung in ihnen sah. „Ich danke dir, oh Hüterin des Herzschwertes“, sagte der alte Zwerg feierlich dun verneigte sich so tief, das sein Bart, der seit Jahrzehnten den Boden nicht mehr gestreift hatte, darüber fegte. „Möge Bartax schützend seinen Hammer über dich und deine Gefährten halten, damit deine Reise sicher verläuft.“ Fynn nickte lächelnd. „Ich danke dir, Vater Barador“, sagte sie zu ihm und verneiget sich vor dem Zwerg. Dieser fühlte sich peinlich berührt und senkte verlegen den Blick. Als er wieder aufsah, traf sein Blick auf den rothaarigen Zwerg und auf den mit dem weißen Haar. „Ihr beide werdet sie begleiten und auf ihrer Reise mit allen euch erdenklichen Mitteln unterstützen“, wies er beide Zwerge an, die sofort nickten. Als sein Blick auf Fynn traf, sprach er weiter. „Diese beiden sind gute Männer, die euch sicher durch die Berge führen werden.“ Die beiden Zwerge traten vor. „Es ist uns eine Ehre, dich zu begleiten“, sagte der weißhaarige Zwerg und senkte das Haupt. „Ich bin Flint Felsspalter.“ „Und mich nennt man Valzar“, stellte sich der andere Zwerg vor, dessen beiden Bartzöpfe über den Boden fegten, während er sich vor Fynn verneigte. „Mein Hammer steht dir jeder Zeit zu Diensten.“ „Moment mal“, mischte sich Broko ein. „Also ohne mich wird hier keiner eine Hüterin in die olle Wüste schaffen.“ Der Zwerg wand sich der jungen Halbork zu und verkündete feierlich: „Egal ob Ork, Wüstenräuber oder Riese, ich werde dich mit meinem Leben beschützen. Mögen ach so viele Feinde uns den Weg versperren, meine Axt wird eine große Schneise in ihre Reihen schlagen, damit du sicher an dein Ziel gelangst. Ich bin dein Zwerg, Hüterin des Herzschwertes.“ Lorgren konnte nicht glauben, was er da eben miterlebt hatte. Gleich drei Zwerge hatten Fynn sogleich die Treue geschworen. Es würde unweigerlich ihre Reise durch die Wüste erschweren, das wusste er. Zwerge waren in Jeris genau so erwünscht, wie Orks in Helios. Das bärtige Volk war seit jahrhunderten mit dem Volk der Wüste verfeindet, allein deshalb, weil es mit Helios verbündet war. Zwar herrschte seit langen Jahren kein Krieg zwischen den beiden Reichen mehr, doch wurzelte der Hass zwischen beiden noch tief. Allein die Händler konnten sicher zwischen beiden Ländern hin und her pendeln, ohne in Gefahr zu laufen, von den Truppen der Reiche überfallen zu werden. Sie mussten sich nur Gedanken um Banditen machen. Fynn wand sich Lorgren zu und schien seinen Groll zu spüren. Sie setzte einen bittenden Blick auf, der ihn zu erweichen versuchte. Es schien zu wirken. Zwar wurzelte seine Wut über ihre zu rasche Entscheidung in ihm, doch hielt er sie so weit zurück, um ihr ruhig zu zunicken. Sie dankte ihm mit einem Lächeln. Lorgren wusste nicht wieso, aber er glaubte in ihren Augen mehr zu lesen, als den Dank für seine stumme Zustimmung. Lag da noch ein viel tiefer verwurzelter Danke? Wenn dem so war, wofür war dieser? Er würde genug Zeit dafür haben, dies heraus zu finden. Denn ein langer Weg lag vor ihnen. *** Dank geheimer Schleichwege der Zwerge kam die kleine Gruppe rasch voran und sparte einige Tage. Seit dem Aufbruch aus Zwergenstein waren drei Tage vergangen. Flint, der der älteste der drei Zwerge war, hatte vorgeschlagen, ein kleines Dorf an den Grenzen Jeris aufzusuchen, um sich dort mit neuem Proviant einzudecken. Dort wollten die Zwerge, die auf struppigen Bergponys ritten, ihre Tiere gegen Wüstenponys eintauschen. Lorgren hatte dem zugestimmt. Der Wüstenreiter hatte klar gemacht, dass sie die Wüste im schnellen Tempo durchqueren würden. Die Zwerge hatten sich damit zufrieden gegeben. Es war Abend geworden, als der Trupp sein Lager aufschlug. Schnell war ein Feuer entfacht und ein Zelt aufgeschlagen worden. Das zelt hatten die Zwerge für Fynn mitgenommen, damit sie vor Wind und Wetter geschützt war, während sie schlief. Fynn hatte gemeint, das sie auch ohne schlafen könnte, doch Broko hatte ihr widersprochen dun darauf bestanden, das sie das Zelt aufschlugen. Das Mädchen hatte schließlich nachgegeben und die Zwerge ihre Arbeit verrichten lassen. Flint stand am Feuer und rührte in dem Topf, den sie über der Feuerstelle aufgebaut hatten, während Fynn ihm zur Hand ging. Valzar, der recht verschwiegen war, übernahm freiwillig die erste Wache zusammen mit Lorgren. Broko saß an einem Felsen gelehnt und rauchte in aller Ruhe seine Pfeife. Flint probierte von seinem Eintopf und brummte unschlüssig. „Hmm“, schmatzte er und sah die Halbork an. „Ich glaub, da fehlt etwas.“ Er reichte Fynn den hölzernen Löffel, damit sie kosten konnte. Das Mädchen nahm einen Bissen. Sie nickte. „Ja“, stimmte sie ihm zu. Sie nahm etwas von den Gewürzen des Zwerges und fügte sie dem Eintopf hinzu. „Ich glaube, das müsste reichen.“ Als der kahlköpfige Zwerg probierte und grunzte zufrieden. „Also jetzt dürfte nichts mehr fehlen“, verkündete er und lächelte das Mädchen an. Seit den drei Tagen, die sie zusammen reisten, waren der Zwerg und die Halbork Freunde geworden. Flint war stets an der Seite des Mädchens und unterhielt sich mit ihm. Fynn lernte viel von den Bergen, die sie durchwanderte und der Kultur der Zwerge. Er hatte sie sogar über Zwerginnen aufgeklärt. Einigen von ihnen wuchsen Bärte, wie den Männern. Das machte sie ganz besonders begehrenswert bei den männlichen Zwergen, hatte Flint erklärt. Kurz darauf hatte er von seiner Frau geschwärmt, die, seiner Meinung nach, den prächtigsten Bart aller Zwerginnen von Zwergenstein hatte. Der Zwerg holte eine Pfanne hervor und schlug mit einem Löffel auf diese, erzeugte damit ordentlich Krach. „Essen fassen!“, rief er mit kräftiger Stimme, die klang, als würde eine Lawine nieder gehen. Die anderen Mitglieder ihrer Truppe kamen gemächlich zur Feuerstelle. Der einzige, der ausblieb, war - wie nicht anders zu erwarten – Lorgren. „Wo ist Lorgren?“, fragte Fynn Valzar, als der Zwerg ihr seine Schale reichte, in die sie reichlich von dem Eintopf gab. „Er hält weiterhin Wache“, sagte er. „Meinte, er hätte keinen Hunger.“ Fynn seufzte, als sie Valzar seine Portion gab. Ihr Blick schweifte zu der Stelle, wo der Wüstenreiter seine einsame Wache hielt. Seit ihrem Aufbruch hatte er noch weniger Worte mit ihr gewechselt und dann auch nur, wenn es sich um ein wichtiges Thema gehandelt hatte. Ansonsten war er ihr wiederholt ausgewichen. Das Mädchen wusste zwar, das er über sie wachte, wenn sie schlief, doch ansonsten hielt er sich sehr zurück. Sicher war er wieder wütend auf sie, dass sie den Zwergen erlaubt hatte, sie zu begleiten. Genau das verstand sie nicht. Was störte den Jerisanen so sehr daran, mit Zwergen zu reisen? Lorgren hatte die alten Fehden zwischen dem Wüstenvolk und den Zwergen kurz erwähnt, bevor sie abgereist waren, doch seitdem war kein Wort mehr darüber gefallen. Das Mädchen hatte sich nicht getraut die Zwerge danach zu fragen, obwohl sie wusste, dass sie sie sicher aufgeklärt hätten. Sie wollte es lieber von dem Wüstenreiter hören. Doch wie sollte sie auf ihn zu gehen? Lorgren wich ihr immer wieder aus, wenn sie mit ihm sprechen wollte. Das schien sein normales Verhalten zu sein, denn als sie auf Brokos Truppe gestoßen waren dun sie mit ihnen gereist waren, war er ihr ebenfalls immer ausgewichen. Der Jerisane war ein Rätsel für sie. Er benahm sich seltsam in ihren Augen. Er benahm sich immer zu förmlich vor ihr, als wäre sie eine Dame von adliger Geburt. Dennoch spürte sie die Wärme, die von dem Schwertanhänger ausging, wenn sie bei ihm war. Der magische Schmuck, der die Herzen der Menschen durchleuchten konnte, erwärmte sich erheblich stärker bei dem Jerisanen, übertraf sogar die Wärme, die sie bei ihrem Onkel spürte. Sie fühlte sich in seiner Nähe geborgen, wie bei keinem anderen zuvor. Sie verstand dies nicht. Was hatte das zu bedeuten? Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Valzar erhob sich und brummte: „Ich bring besser dem Wüstenmann etwas, bevor er noch zu hungrig wird.“ Fynn sprang auf. „Ich mache das!“, sagte sie etwas zu laut, was die drei Zwerge doch ziemlich überraschte. Sie schöpfte in eine Schüssel Eintopf, schnappte sich Brot und huschte zum Posten des Jerisanen. *** „Also wenn ihr mich fragt“, meinte Broko, als er Fynn nach sah, „glaube ich, das das Mädel ziemlich verknallt in den Wüstensohn ist.“ Flint, der sich seine Pfeife angezündet hatte und ins Feuer sah, nickte leicht. „Könnte sein“, meinte er nachdenklich. Obwohl er und Fynn sich nur seit kurzer Zeit kannten, hatte er die kleine Halbork schon in sein herz geschlossen. Halbork hin oder her, sie war ein liebes Mädchen, egal was andere sagen mochten. Der Zwerg wagte sogar zu behaupten, dass sie grade deswegen die Hüterin des Herzschwertes geworden war. Valzar, der sich sonst immer recht zurück hielt, wagte zu sagen: „Woher wollt ihr das wissen? Ich kenne die Menschen und es kommt mir nicht wirklich so vor, als wären sie im Liebestaumel gefangen.“ Die beiden anderen Zwerge, die einige Jahrzehnte älter waren, als der Zwerg mit den Bartzöpfen, sahen ihn eine Weile an, bevor sie breit grinsten. Der Jüngere erwiderte ihren Blick verwirrt. „Mein Junge“, begann Broko, während Flint amüsiert den kahlen Kopf schüttelte, „du warst nicht oft genug mit Menschen zusammen, scheint es mir. Wohn einmal ein Jahrzehnt unter ihnen, wie Flint und ich, und du wirst ihr überaus kompliziertes Liebesleben verstehen lernen.“ „Ich weis nicht“, brummte Valzar verlegen und senkte den Blick. „Menschen sind ziemlich seltsam.“ *** Lorgren stand allein auf seinem Posten und sah in die einbrechende Nacht. Valzar war von dem Rufen Flints zum Essen gelockt worden. Obwohl der Zwerg recht Wortkarg war, hatte er den Wüstenreiter gefragt, ob er ihm etwas mitbringen solle, doch Lorgren hatte abgelehnt. Der junge Zwerg war schließlich gegangen und hatte ihn alleine gelassen. Diesen ungestörten Augenblick genoss er nun. Doch die Ruhe war rasch dahin, als er sich nähernde Schritte hörte. Er wusste sofort, wer da kam. Jemand, den er im Moment nicht um sich haben wollte. „Lorgren“, erklang Fynns Stimme hinter ihm. Er reagierte nicht darauf, sondern sah weiter stur in die Ferne, „ich habe dir etwas zu Essen mit gebracht.“ „Ich hab keinen Hunger“, antwortete er emotionslos. Es stimmte nicht wirklich, das er keinen Hunger hatte, doch sein Stolz, den Fynn zum wiederholten Mal verletzt hatte – so fand er es – verbat es ihm einfach, sich zu ihr zu setzen und so zu tun, als wäre nichts gewesen. Er sollte die Führung übernehmen und sie sicher nach Jeris bringen, doch immer wieder hatte sich das Mädchen eingemischt und über seinen Kopf hinweg entschieden. Wie sollte wer so seinen Auftrag zur Zufriedenheit seines Herrn erfüllen, wenn man ihm immer wieder Steine in den Weg warf? „Ich glaub dir nicht“, sagte sie. Fynn war näher gekommen, erkannte der Wüstenreiter, doch rührte er sich nicht vom Fleck. „Du bist wieder wütend auf mich. Hab ich recht?“ Lorgren wand sich ihr nun zu. Das Mädchen sah ihn aus traurigen Augen an. „Wieso sollte ich wütend sein?“, fragte er tonlos. Seine Miene verriet genau so wenig, was er fühlte und dachte. „Ich spüre es“, sagte sie zu ihm, ohne seinem Blick auszuweichen. „Bitte sag mir, wieso. Ich verstehe es nicht.“ Der Wüstenreiter blieb lange Zeit stumm. Ihm fiel auf, das sie ihm Eintopf mitgebracht hatte, sowie etwas Brot. Ihm wurde klar, dass sie dies als Vorwand genutzt hatte, um zu ihm zu kommen. Egal ob sie das Essen mitgebracht hätte oder nicht, Lorgren war wirklich nicht bereit dazu, mit ihr über den Grund seiner Wut zu diskutieren. Sie war ein Mädchen und würde weinend davon rennen, sobald sie den Grund erfahren hätte. Sie glich allen jungen Mädchen, die mit naivem Blick durch die Welt gingen. „Lorgren“, sagte Fynn ernst. Sie stellte die Schüssel mit ihrem dampfenden Inhalt und das Brot weg und trat auf den Mann aus der Wüste zu, „ich werde nicht gehen, bis du mir endlich sagst, was los ist.“ Lorgren konnte deutlich in ihrem Gesicht lesen, das sie es ernst meinte. Der Jerisane schloss kurz die Augen, bevor er sagte: „Deine Naivität bringt uns immer weiter in Gefahr.“ Verwirrung spiegelte sich im Gesicht des Mädchens wieder. „Wieso das?“ Sie verstand nicht, was er meinte. „Du hast den Zwergen erlaubt mit zu kommen“, fuhr er fort. „Ja“, erwiderte sie nickend. „Umso mehr wir sind, desto geringer ist das Risiko, das wir überwältigt werden.“ „Nein“, unterbrach er sie. „Das genaue Gegenteil ist hier der Fall. Du kennst die Geschichte meines Landes und der Zwerge nicht. Seit Jahrhunderten sind wir Feinde.“ Fynn sah ihn mit fassungslosen Augen an. Bevor sie etwas sagen konnte, sprach er weiter. „Unsere Völker haben sich vor vielen Jahrhunderten bekämpft, bevor es zu einem schwankenden Frieden kam. Zu jener Zeit war mein Volk ebenfalls mit Helios im Krieg verwickelt. Die Zwerge waren schon damals mit den Rittern verbündet und zogen mit ihnen in die Schlacht. Nach dem Friedensbeschluss zogen beide Seiten sich zurück und begannen mit dem Wiederaufbau unserer Städte. In dieser Zeit kam es in den bergen immer wieder zu Auseinadersetzungen zwischen meinem Volk und der Zwerge.“ „Das… das hab ich nicht gewusst“, stotterte Fynn, während sie Lorgrens mit großen Augen ansah. „Kaum einer weis das aus deiner Heimat“, meinte er leicht hin. „Nur die Zwerge und die Jerisanen wissen das noch. Deshalb sieht man so selten jemanden aus meinem Volk in den Bergen. Die Zwerge lassen uns kaum passieren.“ „Aber wie bist du dann hindurch gekommen, um mich zu finden?“, wollte das Mädchen wissen, dessen Neugier geweckt worden war. „Ich hab darauf geachtet, dass ich keinem Zwerg über den Weg laufe“, erzählte er ruhig. Sein Blick fiel auf das Lagerfeuer, wo die drei Zwerge allein saßen und sich unterhielten. „Doch nun wird es schwer werden, durch die Wüste zu kommen. Meine Leute lassen genau so wenig Zwerge durch die Wüste ziehen. Jeder Jerisane, der seine Heimat liebt, wird sich auf unsere Gefährten stürzen und versuchen sie zu töten oder die Krieger alarmieren.“ Lorgren sah den Schreck, der in den Augen des Mädchens geschrieben stand. Sie hatte wirklich nicht gewusst, was sie da angerichtet hatte. Doch der Fehler konnte noch behoben werden. Im Außenposten der Zwerge konnten sie die drei Bärtigen zurücklassen und ihnen mitteilen, dass sie von dort aus alleine zu Recht kommen würden. Fynn und er wären ein wesentlich schwerer zu finden sein, als mit den drei Zwergen zusammen, die die kalte Bergluft gewohnt waren, während der Jerisane in der Hitze der Wüste aufgewachsen war. Er teilte Fynn seine Gedanken mit und sie erwiderte: „Wenn ich dadurch verhindern kann, das den dreien nichts passiert, werde ich deinem rat folgen.“ Das Mädchen klang nicht sehr erfreut die drei Zwerge wieder zurück zu schicken. Lorgren wusste, das sie mit einem der Zwerge bereits Freundschaft geschlossen hatte. Die beiden hingen praktisch immer zusammen und das Mädchen lauschte den Geschichten des alten Zwerges voller Interesse. Doch sie verstand, wie wichtig es für ihre Mission war, das sie nicht auffielen. Ein Mann, der mit einer Halbork reiste viel schon genug auf, doch mit drei Zwergen zusammen noch mehr. Fynn könnte er als Dienerin ausgeben, denn sein Volk hielt sich gelegentlich Halborks als Diener oder gar Sklaven. Zufrieden nickte er. „Gut“, sagte er zu ihr und legte seine Hand auf ihre Schulter, worauf sie ihn ansah. „Morgen werden sie davon in Kenntnis setzen.“ „Das ist nicht mehr nötig“, erklang eine strenge Stimme. Valzar war zurückgekehrt und stand nun nicht weit ab von den beiden. Er hatte die stämmigen Arme in die Hüften gestemmt und sah beide mit ernster Miene an. „ich habe eure Worte vernommen, Mann aus der Wüste, und respektiere eure Sorge um das Leben der Hüterin, wie auch die Sorge des Mädchens um unser Leben. Doch würde ich davon abraten, uns einfach zurück zu lassen.“ „Und wieso sollte ich das?“, fragte Lorgren grimmig. „Mein Auftrag lautet, sie sicher in meine Heimat zu bringen. Doch mit drei Zwergen im Schlepptau wird das schwer werden.“ „Ganz einfach“, sagte der Zwerg und trat näher heran. „Weil ich dabei bin.“ Lorgren legte die Stirn in Falten. „Was meinst du damit, Zwerg?“, wollte er wissen. „Weil ich der König von Thador unter dem Berg bin.“ *** Die Enthüllung des Zwerges hatte den ganzen Trupp überrascht. Selbst die beiden Zwerge wurden vollkommen von der Information überrumpelt, dass ihr König mit ihnen gereist war. Flint schien nicht allzu überrascht zu sein, doch deutlich sah man ihm den Schock an, der ihm ins sonst so harte Gesicht geschrieben stand. Der Zwergenkönig hatte Lorgren und Fynn erklärt, das er noch all zu bekannt unter seinem Volk war, weil er erst seit einem Winter der König über sein Volk war. Sein ehrwürdiger Vater, Valzarban Drachenhammer, war vor einigen Monaten bei einem Kampf mit den wilden Schwarz-Orks ums Leben gekommen und hatte seinem einzigen Sohn den Thron überlassen. Nun saßen alle vor dem Feuer, während Valzar, nun in der Rüstung seiner Ahnen gehüllt, vor ihnen stand. Die Rüstung bestand aus Goldmithril, einer Mischung aus Gold und Mithril, die allein dem Zwergenvolk von Thador bekannt war. Die Rüstung schützte den Zwergenkönig von Kopf bis Fuß, gewährte ihm aber erstaunlich viel Bewegungsfreiheit, was sie einem kleinen Zauber zu verdanken hatte, der vor langer Zeit von einem Urahnen Valzars verwendet wurden war. Das Haar, das ihm sonst über den Rücken fiel, hatte er sich zu einem strengen Zopf flechten lassen, der nun über seinen Rücken fiel. Der Kopf wurde von einem Helm in der Form eines Drachenkopfes geschützt, der, wie der Rest der Rüstung, aus Goldmithril bestand. Den legendären Hammer seiner Sippe, Drakobans Drachenfaust, hatte sich der junge Zwerg auf den Rückengeschnallt. „Ich glaub es einfach nicht“, murmelte Broko, als er seinen König vor sich sah, in all seiner Pracht. „Mein König reist mit mir, wie jeder andere. Und ich habe ihn sogar angepöbelt.“ Ein frustriertes Stöhnen entrang seiner Kehle, als er seine Hände beschämt vors Gesicht hielt. Valzar winkte ab. „Mach dir deswegen keinen Kopf, Broko Nuggetbeiser“, meinte der Zwergenkönig leicht hin. „Das kann jedem passieren: Außerdem stört es mich nicht.“ Lorgren, der hinter Fynn Stellung bezogen hatte, sah zu dem Zwergenkönig und fragte unverwandt: „Was hat euch aus euren Hallen nach Zwergenstein getrieben, König der Zwerge?“ Valzar sah den Mann aus der Wüste offen an. „Ein alter Brauch, der bei meiner Familie üblich ist“, erklärte er. „Ein jeder Drachenhammersohn muss, sobald er die Krone auf dem Haupte trägt, ein Jahr in die Ferne ziehen und sich den Thron verdienen.“ „Er muss als Held zurück kehren“, meinte Flint, der an seiner Pfeife zog. „Ein alter Brauch, an den sich einige Zwerge nicht einmal mehr erinnern. Musste dasselbe auch machen, um mir meinen Familiennamen zu verdienen.“ Broko schnaubte abfällig. „Ein veralteter Brauch“, meinte er abfällig. „In meiner Familie war er nie geläufig.“ „Das liegt daran, dass deine Familie nicht so alt ist wie die meine oder die unseres Königs“, erklärte Flint, der weit älter war als Broko. Er sah hinüber zu seinem König und fragte: „Aber wieso wart ihr in Zwergenstein?“ Valzars Blick fiel auf Fynn, die ihn mit großen Augen ansah. „Wegen ihr“, sagte er. „Wegen mir?“, fragte Fynn, die nicht wusste, was sie davon halten sollte. Der Zwergenherrscher nickte. „Vater Barador hat es vorausgesagt“, brummte Valzar Drachenhammer. Er sah die anderen an und fuhr fort zu erzählen. „Eines Nachts ist ihm ein Diener Bartaxs erschienen und hatte ihm von der Ankunft der Hüterin des Herzschwertes berichtet. Doch den genauen Zeitpunkt hatte er ihm verschwiegen. Der ehrwürdige Priester hatte meinen Vater davon berichtet und ich hatte die Aufgabe, sie willkommen zu heißen. Als ich dann aufbrechen wollte, wurde mein Vater getötet. Ich wurde gekrönt und musste in die Ferne ziehen, um als Held zurück zu kehren. Daher entschloss ich mich, dem Wunsch meines Vaters zu entsprechen und die Hüterin willkommen zu heißen.“ „Und schließlich habt ihr euch entschlossen, ihr zu folgen, egal wo ihr Weg sie hinführen würde“, endete Lorgren für den Zwerg, der zustimmend nickte. „Sie soll aus dir einen Helden machen“, erkannte Flint. Der Blick des alten Zwerges hing an dem Zwergenkönig. Verlegen nickte Valzar. „Ja“, gestand er dun sah Fynn entschuldigend an. „Ich wollte nicht dein Vertrauen missbrauchen, Hüterin.“ Bevor Fynn etwas sagen konnte, mischte sich Lorgren ein. „Das hätte dir früher einfallen können, Zwergenkönig“, knurrte er Valzar an, der seinem zornigen Blick standhielt. „Lorgren“, rügte Fynn den Jerisanen. „Nein, Fynn“, unterbrach er sie. „Selbst ein König, egal von welchem Volk, hat nicht das Recht, jemanden einfach für seine Zwecke zu missbrauchen.“ „Du gehst zu weit“, knurrte Broko, der seine Axt zückte und aufsprang. Lorgren zog in einer fließenden Bewegung seinen Krummsäbel und machte sich auf den Angriff des Zwerges gefasst, der die Ehre seines Königs mit seinem Blut rein waschen wollte. Schnell schritt Valzar ein und bellte: „Runter mit deiner Axt!“ Sein Untertan sah ihn ungläubig an und wollte etwas erwidern, doch der Zwergenherrscher schnitt ihm das Wort ab. „Er hat Recht. Ich habe egoistisch gehandelt. Selbst mir ist es nicht erlaubt, jemanden für meine Zwecke zu benutzen.“ Sein Blick fiel auf Fynn und er ging vor ihr in die Knie. „Kannst du mir verzeihen, Hüterin?“ Fynn sah den Zwerg verlegen an. Sie fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Kein König sollte sich vor ihr, einem einfachen Mädchen, verneigen. Sie stand auf und zog Valzar auf die Beine. „Ich verzeihe dir, aber bitte geh nie wieder vor mir in die Knie“, bat sie ihn. „Kein König soll sich vor mir verneigen.“ Der Zwerg räusperte sich verlegen und meinte: „Nun gut. Aber dann bitte ich dich, mich in deine Dienste zu stellen. Ich will so meine Tat sühnen.“ Fynn sah unsicher zu Lorgren. Nun wollte sie vorher seinen rat einholen, bevor sie sprach. Nicht noch einmal sollte er wütend auf sie sein, weil sie zu voreilig gehandelt hatte. Der Jerisane erwiderte ihren Blick. Er nickte leicht, um ihr zu verdeutlichen, dass sie nun selbst entscheiden müsste. Hier war allein ihr Wille wichtig. Schließlich handelte es sich um einen König, der sich ihr beugen wollten, und kein einfacher Krieger, der sich ihr aufschwatzen wollte. Als sie wieder ihren Blick auf den Zwergenkönig richtet, sah er sie mit bittenden Augen an. „Ich“, sie stockte, „ich würde mich glücklich schätzen, wenn du mit deinen Männern mich bis zum Rand der Berge begleiten würdest.“ Valzar richtete sich auf und nickte. „Wie du wünschst, ehrenwerte Hüterin“, brummte er einverstanden. Fynn wand sich wieder Lorgren zu. Der Wüstenreiter nickte ihr anerkennend zu. Innerlich freute sie sich und sogar ein lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Endlich hatte sie etwas getan, was den Mann aus der Wüste zufrieden gestellt hatte. Ihr Anhänger erwärmte sich wieder und sie spürte sich wieder geborgen in der Nähe des Mannes. Sie beschloss für sich, immer erst den Rat des Jerisanen einzuholen, bevor sie eine Entscheidung fällte. Sie würde sich von ihm leiten lassen, wie von einem Lehrmeister, der ihr seinen Unterricht näher brachte. „Ich schlage vor“, erklang Flints Stimme, „dass wir uns alle zur Ruhe legen. Die Ereignisse dieser Nacht haben uns doch alle recht überrascht.“ Lorgren nickte. „Gut. Ich werde mich auf meine Wache begeben.“ „Ich komme mit“, brummte Valzar. „Aber mein König!“, empörte sich Broko. „Das ist keine Aufgabe für euch.“ „Ach halt den Mund“, knurrte Valzar. „Ich bin nicht nur ein König, sondern auch ein Krieger. Und als solcher kann ich auch Wache halten. Also werde ich das auch tun, wie jeder andere auch. Leg dich hin und nerv mich nicht weiter, Broko Nuggetbeiser.“ Dem Zwerg klappte vor Überraschung der Mund auf dun er brachte kein Wort über die Lippen. Flint amüsierte sich darüber, während Fynn zum Zelt hinüber ging und für die Nacht zurückzog. Sie würde wieder die einzige sein, die sich vor der Wache drücken würde. Und im Moment war es ihr sogar ganz recht, denn die Ereignisse dieses Tages hatten sie müde gemacht und sie fiel schnell in einen tiefen Schlaf. *** Die wellenlose Oberfläche des Blutes zeigte das schlafende Mädchen. Obrikhan grinste zufrieden. Sein Suchzauber wurde von mal zu mal immer effektiver. Nun hatte er auch feststellen können, wo sich die Hüterin des Herzschwertes aufhielt. Sie war in den Bergen des Antigas-Schlange-Gebirges unterwegs, in Begleitung des jerisanen und dreier Zwerge, von denen einer in eine goldene Rüstung gewandet war. Obrikhan vermutete einen König des bärtigen Volkes, war sich da aber noch nicht ganz sicher. Mit den Zwergen hatte er in all den Jahren nie viel zutun gehabt. Sie sahen für ihn sowieso alle gleich aus. Allein der Halbork galt sein Interesse. Nach langer Suche hatte er sie endlich wieder gefunden. Für vier volle Tage war sie seinem Suchzaubern immer entgangen. Der Hohepriester vermutete, dass sie sich in irgendeinen Tempel der Zwerge versteckt haben mochte. Die dortigen Priester hatten durch ihre Gebete sicher verhindert, dass sein magischer Blick das Mädchen entdecken konnte. Diese heidnischen Kreaturen, hatte er immer wieder gefaucht. Doch nun wurde sie nicht mehr von Zwergengeistlichen beschützt. Nun war sie seinen Blicken wieder ausgeliefert. Er hatte das Geschehen an diesem Abend genau beobachtet. Der Goldengerüstete Zwerg hatte sich vor die Gruppe gestellt und irgendetwas erzählt. Leider war der Zauber nicht in der Lage seine Worte wieder zu geben, aber das störte Obrikhan nicht. Er hatte sich allein auf seine Beobachtungen konzentriert. Ihm war nicht entgangen, dass sich die Halbork häufig in den Schutz des Wüstenmannes zurückgezogen hatte, wenn es ihr nur möglich war. Ebenso war ihm aufgefallen, dass die beiden immer wieder anderer Meinung waren und sich deshalb oft aus dem Weg gingen. Der welke Priester überlegte, ob man dies gegen die Hüterin verwenden konnte. Rasch kam ihm eine Idee. Grinsend sah er das Bild der schlagenden Halbork an. Er setzte sich vor die Schale, die bis zum Rand mit Blut gefüllt war, und fing an zu singen. Es war ein aufwendiges Gebet an seinen geliebten Gott, das Obrikhan schon seit vielen Jahren nicht mehr intoniert hatte. Doch noch immer erinnerte er sich an die altern Verse, als hätte er sie erst heute von Skorm erfahren. Seine Stimme klang finster wie die Nacht und war so kalt und schneidend wie der eisige Wind seiner Heimat. Während er sang, schob er einen Finger in das noch warme Blut, als wolle er die Halbork erreichen. Schließlich war es auch sein Ziel sie zu erreichen, doch nicht mit seinem Körper, sondern mit seinem Geist. Er wusste um seine abgrundtief schwarze Seele, die vom Gott der Eroberung und Zerstörung geformt worden war, bis sie seinen Wünschen entsprochen hatte. Er sendete Bilder aus seinem leben als Jünger Skorms, die Schlimmsten, an die er sich noch erinnerte. Sie sollte sich in einem Alptraum verlieren und so ihr Leben aushauchen. Vor vielen Jahren hatte er denselben Zauber gegen einen Zauberer ausgesprochen, der einen Eroberungsfeldzug Otomors massiv gestört hatte. Der Magier war wahnsinnig geworden und musste schließlich von seinen eigenen Männern gestoppt werden, damit er nicht ihr Feldlager vernichtete. Obrikhan glaubte, das es auch bei dem Mädchen wirken würde. Schließlich war sie von schwachem Verstand und würde den brutalen Bildern Obrikhans keinen Widerstand liefern können. Zufrieden stellte er fest, dass sie sich bereits im Schlaf zu winden begonnen hatte. Er schickte ihr das Bild eines Kleinkindes, dem er vor Jahren das noch schlagende Herz aus der Brust geschnitten hatte, weil seine Eltern nicht an den allmächtigen Skorm geglaubt hatten. Das Gesicht der Halbork verzerrte sich vor Abscheu. Zufrieden mit dem kleinen Erfolg, sendete er ihr bereits das nächste Bild. Eine junge Frau, die von ihm und zwei Mitbrüdern auf übelste Weise geschändet worden war, bis sie vor Erschöpfung gestorben war. Wieder wand sich das Mädchen im Schlaf und kalter Schweiß lief ihr über die Stirn. Obrikhan konnte sich die Qual der Hüterin vorstellen. Niemand konnte seiner schwarzen Seele widerstehen. Schon viele hatte er in den Wahnsinn getrieben, allein mit den abartigen Bildern seines Gedächtnisses. Und auch sie würde nicht davon kommen, schwor er sich. Das Bild eines Mannes, der von einer wilden Bestie zerrissen wurde folgte als nächstes. Dann eine Frau, die als Hexe auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Immer mehr Bilder hagelten auf die Halbork nieder, bis sie zu schreien begonnen hatte. Der welke Priester ergötzte sich an ihrer Qual und dankte seinem Gott für dieses wertvolle Gebet. Er spürte schon, wie ihr Geist zu brechen begann, als plötzlich eine Gestalt im Bild erschien. Es war der Jerisane, der zu der Halbork stürzte und an den Schultern rüttelte. Doch sie wachte nicht auf. „Versuch es ruhig weiter, du Narr“, kicherte Obrikhan amüsiert. Es war bereits zu spät. Niemand vermochte mehr ihr zu helfen. Übergangslos schlug das Blut Wellen. Der alte Priester riss voller Unglauben die Augen auf. Was geschah da so eben? Irgendwas oder wer störte den heiligen Zauber. Obrikhan sang wieder, diesmal intensiver, doch es half nichts. Irgendetwas störte erheblich den Zauber und ließ das Blut in der Schale unkontrolliert Wellen schlagen. Mit einem Mal spritze das Blut aus dem Gefäß und traf Obrikhan. Der Oberste der Bruderschaft von Skorm fiel schreiend zurück und landete auf seinem krummen Rücken. Eine neuerliche Fontäne Blut spritze auf. Dann war alles vorbei. Vorsichtig erhob sich der alte Priester und schlich zu der Schale. Das gesamte Blut war daraus hervor gespritzt und hatte sich auf dem Boden seiner Kammer verteilt. Obrikhan war fassungslos. So etwas war ihm in seinem ganzen Leben noch nie passiert. Er verstand nicht, was da vor gefallen war. Nur ein anderer, mächtiger Zauber hätte seinen aufheben können. Doch ihm war keiner bekannt. War vielleicht einer der Zwerge ein Priester? Unmöglich, entscheid er. Er hätte es gespürt, als er ihre Bilder studiert hatte. Doch wie war das nur möglich? Allein Skorm konnte ihm das sagen. *** Weinend hatte sich Fynn an die Brust des Jerisanen gedrückt, während er sie im Arm hielt und zu beruhigen versuchte. Das Mädchen war völlig aufgelöst. Ihr ganzer Körper zitterte unkontrolliert, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Ihre Augen waren vor Angst und Schreck geweitet. Valzar sah ins Zelt. „Wie geht es ihr?“, fragte der Zwergenkönig besorgt. Lorgren sah ihn nicht an, als er sprach: „Sie ist völlig aufgelöst. Irgendetwas muss sie zu Tode erschreckt haben.“ Valzar nickte verstehend. Er streckte Drakobans Drachenfaust ins Zelt und schloss die Augen. Der Wüstenreiter verstand nicht, was der Zwerg damit bezwecken wollte. Der junge Zwerg öffnete die Augen und brummte: „Irgendjemand hat einen Zauber auf sie geworfen. Einen ganz üblen.“ Lorgren starrte den Zwerg ungläubig an. Nun hatten die Häscher Otomors Fynn doch noch gefunden. Sie hatten auf magischen Weg nach ihr gesucht und erfolg gehabt, wie er feststellen musste. Der Angriff auf das Mädchen hatte ihm gezeigt, das er sie nicht beschützen konnte. Er war kein Magier, der ohne weiteres einen Zauberbann weben konnte, um seinen Schützling zu verteidigen. Wie sollte er sie nur beschützen? Ihm fiel auf, dass ihre Brust wie Feuer brannte. Vorsichtig schob er sie von sich, doch Fynn drängte sich wimmernd an ihn und war nicht bereit sich von ihm zu trennen. Er schnaubte leise frustriert. Er versuchte es nicht noch einmal, um das Mädchen nicht noch mehr zu verängstigen. Schließlich bemerkte er, wie die Hitze allmählich schwand und nur noch ein wohlig warmes Glühen zurück blieb. Sofort wusste der Wüstenreiter, woher das Glühen stammte. Der Anhänger in der Form eines Schwertes hatte seine Magie eingesetzt, um seine Trägerin zu beschützen. Doch wie war das möglich gewesen? Fynn war nicht bewandert auf den geheimen Künsten. Sie hatte bis vor kurzem nicht einmal das Geheimnis um ihr Erbe gekannt. Wie sollte sie da einen Zauber kennen? „Was ist?“, fragte Valzar, der seinen Hammer aus dem Zelt gezogen hatte. Lorgren sah ihn an und sagte: „Fynn ist nicht so wehrlos, wie wir gedacht haben.“ Als sein Blick auf das Mädchen fiel, war Fynn wieder eingeschlafen. Die Erschöpfung hatte sie überwältigt, doch nun wirkte sie ruhiger. Allein ihre Hände, die sich in den Stoff seines Hemdes verkrallt hatten, zeugten vor dem Vorfall. Vorsichtig tastete der Jerisane nach dem Anhänger und hob ihn leicht an, so dass auch Valzar ihn sehen konnte. Der Zwerg musterte den Anhänger ehrfürchtig. Er erwiderte den Blick des Wüstenreiters und stimmte mit einem Nicken seinen Worten zu. Lorgren sah den Anhänger und fragte sich, wie viel macht dieser unscheinbare Gegenstand innehatte. Egal wie viel es war, er vermochte Fynn vor allem Übel zu beschützen und allein das zählte. Für diese Nacht würde Lorgren über das Mädchen wachen, beschloss er und verkündete es auch Valzar, der ihm zustimmte. Der Wüstenreiter legte sich zu Fynn und schloss sie in den Arm, damit sie sich weiterhin sicher fühlen konnte und den Schlaf der Gerechten finden konnte. *** Fynn erwachte, als sie die Stimmen der geschäftigen Zwerge vernahm. Vorsichtig öffnete sie die Augen und blinzelte etwas. Langsam erhob sie sich, verharrte mitten in der Bewegung und sah neben sich. Sie konnte nicht glauben, was sie da sah. Lorgren! Der Wüstenreiter lag schlafend neben ihr und sein Arm lag um ihre Hüfte. Fynn schoss die Röte ins Gesicht. Was machte er bei ihr? Hatten sie etwa…? Nein, rügte sie sich. Sie erinnerte sich wieder an den Alptraum von letzter Nacht. Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken. Nie zuvor hatte sie so einen abartigen Traum gehabt. Sie hatte gesehen, wie ein alter, faltiger Mann einem Kleinkind vor den Augen seiner Eltern das Herz aus dem Leib gerissen hatte und noch viel widerwärtige Bilder. Diese Bilder geisterten noch jetzt durch ihren Geist, ließen sie innerlich würgen. Und immer war derselbe Mann der Täter gewesen. Ein alter Mann, dessen Gesicht so runzlig war, das man seine Haut auseinander ziehen konnte. Seine Augen waren klein und hinterhältig gewesen, während sein Lächeln von einer bösartigen Seele erzählte. Sie kannte diesen Mann nicht und sie wollte ihm auch nie begegnen, denn die Angst vor seinen Taten war tief verwurzelt und hätte ihr den Verstand geraubt, wenn da nicht eine tiefe Wärme erschienen wäre. Eine gestalt war erschienen und hatte Fynn schützend in seine Arme genommen. Die herzliche Wärme, die von der Gestalt ausgegangen war, hatte sie sich sicher fühlen lassen. Bilder, die ihr zu nahe gekommen waren, wurden von der Wärme einfach verbrannt, als würden sie bloß aus einfachem Papier bestehen. Als sie aufsah, um ins Gesicht ihres Retters zu sehen, war sie erwacht und hatte unter einem Vorhang von Tränen Lorgren erkannt, der sie an der Schulter gerüttelt hatte. Sofort hatte sie sich schluchzend an den Wüstenreiter geklammert und Schutz bei ihm gesucht. Die Wärme war geblieben und hatte zu ihrer Beruhigung beigetragen, bis das Mädchen schließlich an der Brust des Jerisanen eingeschlafen war. Den Rest der Nacht hatte sie traumlos überstanden. Hatte Lorgren die ganze Nacht bei ihr verbracht, fragte sie sich, während sie das ruhige Gesicht des Mannes betrachtete. Sein Gesicht wirkte so unschuldig im Schlaf, das sie sich unwillkürlich fragte, wie dieser Mann am Tage immer so ernst und verbissen drein sah. Lorgren wirkte so völlig anders, als sie ihn kannte. Unwillkürlich überkam sie der Drang, sein Gesicht zu berühren, bevor die Maske des kalten Kriegers wieder darauf erschien. Vorsichtig streckte sie die Hand nach Lorgren aus. Sie zögerte, als seine Wange nur wenige Zoll von ihren Fingern entfernt war. Sollte sie dies wirklich machen? Was würde Lorgren von ihr denken? Diese Entscheidung traf der Jerisane selbst. Seine Augen klappten auf und sahen die Halbork an. Das Mädchen erschrak und ihr herz klopfte wie verrückt vor Überraschung. Der Mann aus der Wüste erhob sich von seinem Lager, zog dabei seinen Arm zurück und blinzelte etwas. Als er sie wieder ansah, fragte er: „Hast du gut geschlafen?“ Wieder war er der kalte Krieger geworden, seufzte Fynn innerlich. Sie nickte. „Ja“, sagte Fynn leise, während sie sich allmählich beruhigte. Sie bedauerte es, dass er erwacht war. Er hatte so friedlich gewirkt, als er geschlafen hatte. Das Bild hatte sich in ihren Geist gebrannt und würde ihr noch lange in Erinnerung bleiben. Schnell fügte sie hinzu: „Danke.“ Lorgren betrachte sie eine Weile, bevor er nickte und aus dem Zelt krabbelte, um den Zwergen zu helfen. Fynn sah dem Wüstenreiter bedauernd nach. Gerne hätte sie mehr als nur ein Wort mit ihm gewechselt, ihm gesagt, wie dankbar sie ihm wirklich war, dafür, das er sich um sie gekümmert hatte und in der Nacht über sie gewacht hatte. Doch er hatte sich mit einem einfachen Danke zufrieden gegeben und war gegangen. Fynn suchte nach ihrem Anhänger und zog ihn aus dem Hemd, als sie ihn fand. Sie spürte die wohltuende Wärme, die noch von Lorgrens Nähe herrührte. Nur langsam erkaltete sich der Anhänger, bis nur noch ein Hauch von dem da war, was Fynn eben noch gespürt hatte. Sie sah das Erbstück an und seufzte leise. Sie wünschte sich, sie könnte irgendwie die Wärme des Mannes im inneren des Anhängers bewahren. Leider war dies ihr nicht möglich. Allein seine Nähe konnte ihr das Gefühl von Sicherheit und Ruhe geben. *** Obrikhan saß im gepolsterten Sessel seines Arbeitszimmers und sah über den großen Schreibtisch zu den zwei Männern, die die Kleider der Klingen Skorms trugen. Ihre Gesichter lagen in den Schatten der Kapuzen ihrer Umhänge verborgen, wie es üblich war für ihren zwielichtige Orden. Doch wusste der Oberste der Bruderschaft, dass ihre Blicke auf ihm ruhten. Er konnte es deutlich spüren. Der rechte Mann war mit einem muskulösen und hünenhaften Körper gesegnet, während der linke vergleichsweise schlaksig wirkte und von gewöhnlicher Größe war. Der rechte Mann trug kein Hemd, sondern nur eine schwarze Weste, die einen Blick auf die Tätowierung auf seiner Brust gewährte. Ein Totenkopf, der von einer purpurnen Sonne umrahmt wurde. Seine Beine wurden von einer nachtschwarzen Hose bedeckt, während seine Füße in ledernen Stiefeln steckten. An seinem Gürtel hing ein Morgenstern mit bösartigen Stacheln. Der andere war komplett in Schwarz gewandet. Er sah wie jeder andere Meuchler der Klingen aus. An seinem Gürtel baumelten zwei Kurzschwerter, von denen Obrikhan wussten, das sie über eine ganz besondere Gabe verfügten. Nachdem der Oberste seinem Zorn die ganze Nacht über Luft gemacht – ein Novize hatte dabei mit einem Auge bezahlen müssen, als er seinen Obersten beruhigen wollte – und bei Skorm Trost gesucht hatte, hatte er die beiden Skormklingen zu sich rufen lassen. Die beiden Männer waren unter ihren Ordensbrüdern die besten Krieger und Meuchler und verfügten jeder über Gaben, die es ihnen bisher immer erlaubt hatten, ihre Aufträge zur vollen Zufriedenheit Skorms zu erfüllen. Sie standen in der Gunst des Zerstörers und Eroberers. Obrikhan ließ einen Novizen eine Schale mit Blut bringen. Als diese ihm gereicht wurde, stellte er sie vorsichtig auf den Tisch und berührte die Oberfläche mit einem seiner knochigen Finger. Die Berührung ließ Wellen entstehen, die sich rasch wieder legten. Da Obrikhan zurzeit die Halbork nicht ausfindig machen konnte, ließ er ein Bild aus seinen Erinnerungen erscheinen. Schnell war das Bild erschienen. „Seht sie euch genau an“, wies er die beiden Meuchler an. Die Skormklingen traten an den Tisch und sahen in die Schale, wo das Bild der Halbork zu sehen war. Der muskulöse Mann knurrte bedrohlich, als wäre er mehr Tier, als Mensch. Der andere betrachtet ruhig das Bild und merkte sich jede Einzelheit ihres Gesichtes. „Merkt euch ihr Gesicht. Ihr werdet sie in der Wüste von Jeris finden. Diese Missgeburt muss sofort ausgeschaltet werden. Es ist Skorms Wille.“ „Für Skorm“, pflichtete der Hüne dem Obersten bei und nickte heftig. „Für den Zerstörer und Eroberer“, sagte der Schlaksige und senkte respektvoll das Haupt. Zufrieden nickte Obrikhan. „Geht und findet sie“, sagte er grinsend. „Bringt sie zu mir, damit wir ihr Herz Skorm opfern können.“ „Herz“, knurrte der muskulöse Mann hungrig und der Oberste sah, wie dessen Augen vor Gier aufblitzten. „Ganz ruhig“, meinte der andere und legte eine behandschuhte Hand auf die breiten Schultern des anderen. Er wand sich seinem Herrn und Meister zu und sagte: „Wir sind für die Jagd bereit, mein Oberster.“ „Sehr gut“, kicherte der greise Hohepriester und rieb sich die welken Hände begierig. „Dann geht und findet sie rasch. Umso schneller ihr sie hier her bringt, desto besser.“ Bevor beide ginge, fügte er hinzu: „Und es soll nicht euer Schaden sein. Wenn ihr das Mädchen zu mir gebracht habt, erhaltet ihr alles, was ihr wünscht.“ Die beiden Meuchler wechselten einen Blick und nickten dem alten Mann zu, bevor sie gingen. Obrikhan sah ihnen nach, auch, als sich die Tür den beiden schloss. Er hatte gut daran getan, diese beiden zu wählen. Mit ihren Fähigkeiten und Talenten würden sie die Hüterin schnell finden und zu ihm bringen. Skorm wäre überaus erfreut über das Opfer, wie auch der Imperator, der mehr als einmal klar gemacht hatte, wie viel ihm am Tot des Mädchen lag. Er würde beide zufrieden stellen, wie er es gewohnt war. Mit diesen Gedanken nahm er die Schale und trank das Blut, um sich an dem Lebenssaft einer Jungfrau gütig zutun und daraus neue Kraft zu schöpfen. *** Als die Sonne am Mittagshimmel stand, sahen Fynn und ihre Gefährten von einem großen Plateau auf die Weiten der Wüste von Jeris herab. Das Mädchen konnte nicht fassen, wie viel Sand da vor ihren Augen lag. Lorgren hatte ihr erklärt, das die Wüste ein Meer aus Sand war, doch sie hätte sich nicht mal im Traum vorstellen können, wie weitläufig die Wüste doch war. Bis zum Horizont erstreckte sich der Wüstensand und sie ahnte, dass sie noch weit darüber hinausging. „Ein halbes Jahr würdest du brauchen, um an ihr Ende zu kommen“, hatte Flint erzählt und Lorgren hatte dem alten Zwerg zugestimmt. Fynn konnte es einfach nicht glauben. Ein Land aus Sand. „Morgen müssten wir unten in Sandstein sein“, brummte Flint neben ihr. Ein Zehntag war bereist verstrichen, seit dem Alptraum. Ohne weitere Vorfälle waren sie vorangekommen, hatten dabei weitere Schleichwege der Zwerge genutzt, um noch näher an ihr Ziel zu kommen. Und nun brauchten sie nur noch einen Tag, bis sie Sandstein, den Zwergenaußenposten, erreichen würden. Lorgren, der neben dem Zwerg stand, spähte in die ferne Wüste. Fynn konnte es ihm deutlich ansehen, das er sich auf die Heimkehr freute. Zu lange hatte er im eisigen Westen, wie er es nannte, verbracht. Seine Welt war der Wüstensand und seine heiße Sonne. Sein Hengst hatte bereits freudig gewiehert, als der erste warme Wind sein Fell gestreift hatte. Das Tier wusste ebenfalls, das es schon bald wieder durch den Wüstensand laufen konnte. „Können wir nicht schon heute Abend da sein?“, fragte Lorgren, als er den Zwerg neben sich ansah. Broko schnaufte hinter ihm. „Sicher doch“, meinte er. „Aber dafür müssten wir einen Hang herunter klettern und die Tiere zurück lassen. Aber da du nur noch einen Arm hast, wird das wohl nichts.“ Der Zwerg grinste gemein. Lorgren sah den Zwerg finster an. Die beiden hatten sich immer noch in den Haaren. Seit ihrer Abreise nutzte Broko jede Chance, um den Wüstenreiter zu reizen. Der Zwerg schien es regelrecht darauf anzulegen, mit Lorgren zu kämpfen. Fynn wusste um das Streitgespräch der beiden, das sie vor ihrem Aufbruch aus Zwergenstein gehabt hatten. Valzar hatte sie davon in Kenntnis gesetzt, als Broko und Lorgren sich einander finster angesehen hatten. Fynn wusste nicht, wie lange das gut gehen konnte. Sie wollte keinen Streit unter ihren Gefährten, denn alle waren ihr lieb und teuer. „Nuggetbeiser, zügle deine Zunge“, knurrte Valzar Drachenhammer, als es dem Zwergenkönig zu viel wurde. Er trat zu den beiden und funkelte beide mit warnenden Augen an. „Wenn ich noch einmal einen so abfällig über den anderen reden höre, dann setzte es was. Verstanden?“ Beide nickten unwillig. „Gut. Und jetzt lasst uns weiter. Vielleicht schaffen wir es noch vor dem frühen Morgen den Außenposten zu erreichen.“ Die Gefährten steigen auf ihre Pferde und Ponys und ritten weiter. Flint, der sich in den bergen am besten auskannte und schon einige Male in Sandstein gewesen war, führte sie an. Hinter ihm ritten der Reihe nach Valzar, Fynn, Lorgren und Broko. Der weißbärtige Zwerg führte sie über eine alte Handelsstraße seines Volkes, die in ein grünes Tal führte. Die heimischen Tiere flüchteten vor den Eindringlingen, als diese beim Weiden auf der saftigen Wiese gestört hatten. Ohne davon Kenntnis zu nehmen ritt Flint auf seinem struppigen Bergpony weiter. Schon bald verließen sie das Tal und steigen weiter die Berge hinab. Die Stunden verstrichen ohne, dass etwas passierte. Allein Broko beschwerte sich darüber, das nichts passierte. Flint, der sich zu Fynn hatte zurück fallen lassen, flüsterte ihr unter vorgehaltener Hand zu: „Er ist unausgeglichen. Zulange hat er keinen Kampf mehr gehabt.“ Fynn konnte ihm nur zustimmen. Broko war am Anfang der reise völlig aus dem Häuschen gewesen. Doch nun murrte er die ganze Zeit nur herum und ärgerte Lorgren, wo er nur konnte. Flint hatte sicher Recht. Broko war ein Zwerg und als solcher liebte er einen ordentlichen Kampf. Die Nuggetbeiser, Brokos Familie, war von allen Zwergen Zwergensteins die kampfwütigste, hatte Flint ihr erzählt. Wenn ein Kampf drohte, waren die Nuggetbeiser immer ganz vorne mit dabei und richteten den größten Schaden unter ihren Feinden an. Der Abend brach heran. Flint wollte die Gruppe zur Rast halten lassen, doch etwas erregte die Aufmerksamkeit des alten Zwerges. „Leise“, zischte der Zwerg den anderen zu, die hinter ihm rasch die Waffen zogen. Etwas kam auf sie zu. Vorsichtig rutschten die Zwerge aus den Sätteln und machten sich auf einen möglichen Kampf gefasst. Flint, der zwei Hämmer, einer golden, der andere silbern, als Waffen nutzte, kniff die Augen zusammen. Die Zwerge waren in der Lage im Dunklen genau so gut zu sehen, wie am Tag. Er entdeckte eine Gestalt, die sich schlürfend auf ihn zu bewegte. Als er erkannte, um was für ein Wesen es sich handelte, schob er die beiden Hämmer in seinen Gürtel zurück und eilte ihr entgegen. Die anderen folgten ihm rasch. Als sie ihn erreichten, hielt er einen verwundeten Zwerg in den Armen. Drei Pfeilschafte ragten ihm aus dem Rücken. Sein Hemd und das Kettenhemd waren getränkt in sein Blut. Sein steinhartes Gesicht war blass wie Kreide. Sein Atem ging stoßweise. „Was ist dir passiert, Junge?“, fragte Flint den anderen Zwerg. Mühselig sah er den Weißbärtigen an. „Sandstein“, keuchte er schwach, „wurde… angegriffen. Sie… über die Mauer… Waren zu viele. Haben… haben alle getötet.“ „Wer hat euch angegriffen?“, drängte Valzar den verletzten und trat einen Schritt näher. Der Zwerg sah den König seines Volkes an und seine Augen weiteten sich vor Staunen. „Schwarze…“, jappst er angestrengt, bevor er die Augen verdrehte. Kurz darauf starb er, in den Armen Flints. Fynn wand sich ab, denn sie konnte den Anblick des Zwerges nicht weiter ertragen. Lorgren blieb an ihrer Seite, um die drei Zwerge mit ihrem toten Verwandten alleine zu lassen. Broko kochte vor Zorn. Sein Gesicht hatte sich rot verfärbt und er biss die Zähne zusammen, dass es schon wehtat. Valzar senkte das Haupt und betete im Stillen für das Seelenheil des Zwerges, dessen Namen er nicht einmal gekannt hatte. Flint legte den Leichnam vorsichtig auf den Boden und stand auf. Auch er schloss die Augen, um für ihn zu beten. „Diese Mistkerl“, knurrte Broko zornig, ballte die Hände zu Fäusten. „Das werden sie mit ihrem Blut bezahlen.“ „Beruhig dich, Broko“, brummte Flint mürrisch. „Das bringt uns jetzt auch nichts mehr.“ „Beruhigen? Man hat Zwerge getötet, Flint! Zwerge!“ Broko trat zu dem anderen Zwerg, bis sich beider Nasen aneinander pressten. „Ich werde diese Hunde jagen und jeden von ihnen töten!“ „Wir wissen nicht einmal, wer sie angegriffen hat“, meinte der alte Zwerg, ohne dem wutentflammten Blick des graubärtigen Zwerges auszuweichen. „Na sicher wissen wir, wer es war“, hielt Broko dagegen. „Hast du ihn denn nicht gehört? Schwarze! Es waren diese verdammten schwarzen Orks! Diese schwarzen Teufel!“ „Das ergibt keinen Sinn“, meinte Valzar, der bis eben noch geschwiegen hatte. Er kniete neben den toten zwerg und rollte ihn auf den Rücken. „Seit wann stellen Orks so gute Pfeile her?“ Er wies auf die sauber geschnitzten Schäfte. „Das sieht mir eher nach Menschenwerk aus.“ Lorgren kam zu ihnen und kniete sich zum Zwergenkönig und sah sich ebenfalls die Pfeile an. Er nickte schließlich. „Ja“, stimmte er Valzars Vermutung zu. „Diese Pfeile wurden von Menschen gemacht und abgeschossen.“ Er sah die beiden anderen Zwerge an. „Aber ich weis nicht, wer euren Außenposten angegriffen haben mochte.“ „Das waren sich lausige Wüstenhunde“, knurrte Broko und sah den Jerisanen mit finsterer Miene an, als würde er an dem Tot der Zwerge schuld sein. Schnell schritt Flint ein, bevor sein Freund eine Dummheit begann. „Das glaube ich weniger“, sagte der Zwerg, während er dafür sorgte, dass der graubärtige Zwerg nicht auf den Wüstenreiter losging. „Es gibt keinen Grund dafür, dass die Wüstenmenschen uns angreifen. Sie sind nicht an den Bergen interessiert.“ „Pah!“, schnaubte Broko. „Diese gemeinen Hunde wollen doch nur unser Blut vergießen. Die haben noch nie einen Grund fürs Morden gebraucht!“ „Wag es nicht so über mein Volk zu sprechen“, knurrte Lorgren den Zwerg an. „Wir sind keine Mörder.“ „Komm her, du elender Sandwühler“, herrschte Broko ihn an und wollte sich auf ihn stürzen, doch Flint hielt ihn fest. Valzar sprang vor und verhinderte grade noch, das Lorgren seinerseits auf den graubärtigen Zwerg losging. „Lass mich los!“, brüllte Broko. „Ich werde diesem Mistkerl den Schädel einschlagen!“ „Ruhe!“, erklang die laute Stimme Fynns. Alle sahen überrascht zu dem Mädchen, das nicht weit ab von ihnen stand und mit Tränen in den Augen zu ihnen sah. „Bitte streitet nicht.“ Flehend sah sie jeden von ihnen an. Valzar ließ Lorgren los, der ruhig stehen blieb, und ging zu Fynn. „Sie hat recht“, seufzte der Zwerg. „Streit und Beschuldigungen bringen uns hier nicht weiter. Wir müssen handeln.“ „Was schlägst du vor, Zwergenkönig?“, fragte der Wüstenreiter. Er wand sich dem Mann aus der Wüste zu und sagte: „Wir gehen nach Sandstein.“ <<<:>>> Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)