Merry Christmas von Yurippe (~Ohne dich ist Weihnachten nur halb so schön~) ================================================================================ Kapitel 3: Erkenntnisse ----------------------- Inzwischen war die Abenddämmerung angebrochen, und es schneite in dicken Flocken vom immer dunkler werdenden Himmel. Auf ihrem Heimweg kam Haruka an den unzähligen erleuchteten Fenstern vorbei, hinter denen Familien oder Paare saßen, und fröhliches Gelächter drang von überall her an ihre Ohren. Sie zog ihre Jacke enger um sich und steckte ihre Hände in die Taschen, um die Kälte abzuwehren, die von ihr Besitz ergriff. „Frierst du etwa?“ Shuu musterte sie besorgt. „N-nur ein bisschen“, wehrte Haruka ab. „Von wegen ein bisschen. Deine Zähne klappern ja! Hier, nimm erst mal meinen Schal.“ Fürsorglich drapierte er den blauen Schal um seine Freundin. „Und wieso trägst du eigentlich keine Handschuhe?“ Er zog seinen linken Handschuh aus und streifte ihn über Harukas linke Hand. Ihre rechte Hand nahm er in seine, die nun ohne Handschuh war, und zog sie in seine Manteltasche. „Immer muss man sich um sich kümmern“, grummelte er, doch Haruka konnte sehen, dass er es nicht böse meinte. „Wer hat dir denn diesen Schal gestrickt, hm? Das war ja wohl ich.“ „Dann frage ich mich, wieso du nicht gleich noch einen für dich selber mitgestrickt hast. Ist dir die Wolle ausgegangen oder wie?“ „Sehr witzig, Shuu. Nur zu deiner Information, stricken ist nicht gerade einfach. Ich war schon froh, dass ich einen hinbekommen habe.“ Daraufhin brach ihr Begleiter in Gelächter aus . „Wieso habe ich mir nur so was gedacht? Typisch für dich, ehrlich.“ Haruka wollte entrüstet die Hände in die Hüften stemmen, doch er hielt immer noch ihre Hand in seiner Tasche fest. „Ich mache ja nur Spaß“, beschwichtigte er sie. „Trag doch erst mal den Schal hier für eine Weile, bis du deinen fertig gestrickt hast.“ „Als ob ich mir noch mal so viel Arbeit machen würde! Außerdem hab ich ganz vergessen, wie das ging...“ Wieder musste Shuu lachen. „Du bist echt zu niedlich, weißt du das? Lass das mit dem Schal mal meine Sorge sein. Ich muss ja eh immer auf dich aufpassen.“ „Das ist überhaupt nicht wahr! Nenn mir eine Gelegenheit, bei der ich wirklich deine Hilfe gebraucht habe.“ „Nun, zum Beispiel damals auf Wundereiland, als Team Rocket dich an den Baum gehängt hatte und die Isso und ich zu deiner Rettung geeilt sind..:“ „Und wer hat da wen zuerst gerettet? Wenn ich dir davor nicht hinterhergesprungen wäre, als du wegen der Beeren abgestürzt bist, wärst du jetzt gar nicht mehr hier!“ „Dann hätte ich dich aber auch nicht vor Team Rocket retten können. Und das andere Mal, als Harley dich beim Wettbewerb austricksen wollte...“ „Schon kapiert, du bist der strahlende Retter. Und jetzt lass uns schneller gehen, ich will heim ins Warme.“ Shuu grinste. „Wenn du das mit dem Retter noch mal wiederholst...“ Haruka verdrehte im Spaß die Augen. „Du bist mein Retter, zufrieden?“ „Ich hatte nicht das Gefühl, dass du das gerade ernst gemeint hast. Noch mal, bitte.“ „Du bist mein Held“, meinte Haruka und drückte ihm einen Kuss auf seine vor Kälte gerötete Wange. „Und jetzt lass uns endlich heimgehen.“ In Gedanken versunken hatte sie nicht einmal mitbekommen, dass sie inzwischen angekommen war. Sie schloss die Tür des kleinen Häuschens auf, das sie sich für den Winter gemietet hatte, und betrat das warme Wohnzimmer. Sie hatte an vielen Wettbewerben teilgenommen, seit sie sich von Shuu verabschiedet hatte, aber in den letzten Monaten war ihr und auch ihren Pokemon etwas die Kraft ausgegangen, sodass sie beschlossen hatte, für eine Weile kürzer zu treten. Vielleicht war es auch von Anfang an eine dumme Idee gewesen. Wer wusste denn schon, ob der Höhepunkt ihrer Karriere als Koordinatorin nicht schon längst überschritten war? Oder bekam sie ohne ihn wirklich nichts auf die Reihe? In Wahrheit, so gestand sie sich ein, hatte sie sich gewünscht, dass er sie damals zurückgehalten hätte... Von den Wettbewerben schaltete Shuu um auf den Wetterbericht. Er hoffte auf etwas Ablenkung, und außerdem fragte er sich, wieso es im subtropischen Hoenn schneite. So etwas konnte zwar vorkommen, aber all die Jahre, die er in LaRousse City gelebt hatte, war er nie selbst Zeuge eines solchen Phänomens geworden. Fast fühlte er sich vom Schnee verfolgt. Da war er extra nach Hoenn zurückgekehrt, um nicht an das schmerzhafte letzte Weihnachten erinnert zu werden, und trotzdem konnte er nicht entkommen. Vielleicht war das seine Strafe dafür, dass er ihre Gefühle nicht bemerkt hatte, oder eher getan hatte, als würde er sie nicht bemerken. Hätte er damals bloß früher etwas gesagt. Wenn er ihr gesagt hätte, dass er ihre Gefühle verstand, dass auch er die Wettbewerbe vermisste... statt dass sie beide allein durch die Weltgeschichte irrten und krampfhaft versuchten, sich aus dem Weg zu gehen und sich bei Wettbewerben nicht zu begegnen. Sie hätten wieder gemeinsam auf die Reise gehen können wie damals, als sie noch Kinder waren, vollkommen frei und ungezwungen. So schwer wäre das doch nicht gewesen, da war er sich sicher. Wenn er sie doch damals nur zurückgehalten hätte... Von nebenan schallten Weihnachtslieder in Harukas Zimmer, und der Duft von frisch gebackenen Plätzchen zog durch die Fensterritzen herein. Haruka kauerte auf dem Boden und drückte einen blauen Schal fest an sich. Den Schal, den sie damals von Shuu zu Weihnachten bekommen hatte, nachdem sie ihm in den Ohren gelegen hatte, dass sie unmöglich einen zweiten stricken konnte. Er hatte tatsächlich einen aufgetrieben, der seinem ähnlich sah. Zwar war das Material anders und Harukas Seidenschal wirkte eleganter als der, den sie für Shuu aus Wolle gestrickt hatte, aber die Farbe war tatsächlich fast die selbe. Er hatte sich offenbar viel Mühe bei der Suche gegeben. Was zur Hölle hatte sie sich damals eigentlich gedacht? Wieso hatte sie ihn nicht gefragt, ob er nicht mit ihr zusammen wieder auf Reisen gehen wollte, so wie all die Jahre davor auch? Waren diese Jahre nicht sowohl ihre glücklichsten als auch ihre erfolgsreichsten gewesen? Wenn sie jetzt so darüber nachdachte, dann fragte sie sich, ob sie nicht einfach nur kalte Füße bekommen hatte. Auf dem Fußboden zu hocken und zu heulen würde die Situation nicht verbessern, wurde ihr klar. Aber was sollte sie tun? Sie wusste ja nicht einmal, wo er gerade war. Ob er Weihnachten zu Hause verbrachte? Schließlich hatten sie fast ein Jahr lang kein einziges Wort miteinander gesprochen. Sicher hatte er keine Lust, sie jemals wieder zu sehen. Aber nun musste sie es wissen. Hektisch rannte Haruka umher und warf wahllos Gegenstände in eine Reisetasche. Zum Schluss legte sie sorgfältig den blauen Schal auf das Durcheinander. Dann machte sie sich auf den Weg zum Flughafen. „Verdammt, Shuu, das sieht dir doch überhaupt nicht ähnlich!“ Wütend schlug er mit der geballten Hand auf den Tisch. Er war doch niemand, der die Dinge einfach so hinnahm, wie sie waren. Und selbst wenn er Haruka nicht zurückgewinnen würde, so hätte er wenigstens Gewissheit und könnte irgendwann wieder in die Zukunft blicken, anstatt ständig der Vergangenheit nachzutrauern. Entschlossen packte er alles wichtige in seine Tasche, rief sich ein Taxi und verließ das Haus in Richtung Flughafen. Erst unterwegs fiel ihm ein, dass er gar nicht wusste, wo sie sich im Moment aufhielt. Ob sie Weihnachten bei ihrer Familie in Blütenburg verbrachte? Shuu zog sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer von Harukas Elternhaus. Nach einigen Sekunden meldete sich Masato, Harukas jüngerer Bruder. „Shuu, lange nichts von dir gehört, wie geht es dir?“ „Gut, danke. Sag mal, deine Schwester ist nicht zufällig daheim, oder?“ „Nein, ist sie nicht. Sie meinte, sie würde nicht extra von Sinnoh herkommen. Und außerdem hat sie die letzten paar Weihnachtsfeste auch mit dir verbracht, statt nach Hause zu kommen... Moment, soll das heißen, du weißt nicht, wo sie gerade ist?“, fragte er jüngere ungläubig. „Das ist gerade alles etwas kompliziert. Kannst du mir bitte einfach sagen, wo sie ist?“ Shuu hatte weder die Zeit noch die Geduld, jetzt die komplette Geschichte ihrer Trennung zu erzählen. „Soweit ich weiß, ist sie in Jubelstadt, aber...“ „Danke!“, schnitt Shuu ihm das Wort ab. Dann eilte er zum nächstgelegenen Schalter, um einen Flug zu buchen. „Da haben Sie aber Glück. In ein oder zwei Stunden soll der Schneefall so stark werden, dass kein Flugzeug mehr hier starten oder landen kann. Also ist Ihr Flug wohl der letzte. Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie ein paar Tage lang keine Flüge mehr hierher zurück bekommen werden.“ Seine kleine Tasche schulternd, begab Shuu sich an Bord des Flugzeugs. Schon bald würde er in Jubelstadt sein und Haruka wiedersehen... Haruka saß nun schon eine ganze Weile im Flieger nach LaRousse City. Sie konnte nur hoffen, dass Shuu auch tatsächlich dort war, schließlich hatte sie einfach nur ins Blaue hinein geraten und war zum erstbesten Ort gefahren, der ihr eingefallen war. Eine Stimme aus den Lautsprechern riss sie aus ihren Gedanken. „Meine Damen und Herren, bitte begeben Sie sich auf Ihre Sitze und schnallen Sie sich an. Uns wurden soeben Turbulenzen im Luftraum über LaRousse City gemeldet...“ Hoffentlich geht das gut, dachte Haruka noch, als das Flugzeug plötzlich senkrecht in die Tiefe ging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)