Alles, was ich bin ... von Namida_Hyuga ================================================================================ Kapitel 1: Alles, was ich bin ... --------------------------------- „Dir hätte sonst was passieren können, verdammt!!, schnaubend ging Kanon vor Miku, der verunsichert auf dem Sessel im Wohnzimmer der WG saß, hin und her. Eine halbe Stunde war diese Standpauke nun schon auf ihn nieder gewittert. Teruki, Yu-ki und Takuya saßen auf der Couch und schwiegen betroffen. „Jetzt beruhig dich bitte wieder, mir ist doch nichts passiert …“ „’Nichts passiert’ nennst du das?!“, der Bandleader blieb plötzlich vor ihm stehen und deutete verheißungsvoll auf den dicken Druckverband am Fuß, und die vielen Schrammen, die den süßen Sänger übersäten. Er schnellte auf ihn zu, um sich an den Sessellehnen abzustützen und so Mikus Gesicht gefährlich nahe zu kommen. „Du bist verprügelt worden, ich glaub dir ist gar nicht klar, was das bedeutet!!“, seine schwarzen Augen blitzten ihn geheimnisvoll an und der Dunkelblonde konnte echte Sorge darin erkennen, was ihm ein schlechtes Gewissen bescherte. Dennoch ließ er sich nach einer kurzen Pause, die er brauchte um sich gegen diesen eindringlichen Blick zu wehren, dazu hinreißen etwas zu entgegnen. „Natürlich weiß ich das… Schließlich bin ich derjenige, der verprügelt wurde …“ Dagegen wollte der Größere nichts mehr sagen, stieß sich stattdessen schwungvoll zurück in die Vertikale, um sich dann haareraufend wegzudrehen. „Ich hätte mit dir gehen sollen… Scheiße…“ „Und dann?! Meinst du, du hättest mich beschützen können, gegen drei Männer auf einmal?!“ Kanons Arme klatschten zurück an seine Hüften, er zog die Hände hoch in seine hinteren Taschen, „Ich hätte es versucht… gemusst, schließlich hab ich es ver…“, er hielt erschrocken inne. „Naja, auch egal… Wie soll ich das denn dem Management erklären? Ich muss für morgen alle Proben absagen… und für die nächsten Tage wahrscheinlich auch …“, versuchte er sich zu retten, das verwirrte Aufsehen der anderen, ignorierte er gutes gehend. „Es tut mir Leid…“, mehr brachte Miku jetzt nicht hervor, er war so wie so total geschafft von dem ganzen Tag, die lange Zeit im Studio, dann hatte er sich entschieden, allein zurück zur Wohnung zu gehen, um Luft zu schnappen und mal abzuschalten, dann waren diese drei Typen aufgetaucht und hatten ihn wegen seiner großen Augen angemacht. Miku hatte ja nicht ahnen können, dass ihn sein neu gewonnenes und schwer erarbeitetes Selbstbewusstsein in die Falle jagen würde, dass sie so ausrasten würden, als er ihnen salopp eine mehr als gute Antwort auftischte. Als er versuchte Reißaus zu nehmen, war er umgeknickt und somit leichte Beute für das intolerante Pack. Und er würde Kanons Blick niemals vergessen können, der ihm die Tür geöffnet hatte, nachdem er sich humpelnd nach Hause geschleppt hatte. Es war ihm so vor gekommen, als wäre der Bassist geschockter gewesen, als er selbst. Jedenfalls hatte er ihn noch nie so angesehen… Miku war nicht nur wegen der Standpauke klar, dass er dem manchmal ein wenig trocken und unnahbar Seienden wohl sehr viel bedeutete. Ihm war auch klar, dass er sich nicht wegen den Proben so aufregte. „Ja, ist schon okay… Hauptsache es geht dir gut. Ich geh und ruf im Studio an“, damit verschwand der Schwarzhaarige, mit den blondierten Blocksträhnen in der Tür. Miku stützte den Kopf auf die Hand, er zuckte zusammen, weil er gegen die Schürfwunde an seiner Stirn gekommen war. „Dass er sauer werden kann, dachte ich mir, aber er hat ja gar nicht mehr aufgehört mit dir zu schimpfen… Gerät er öfter so in Rage?“, wollte der frisch zur Band gestoßene Takuya unsicher wissen, und blickte nebenbei kurz zu Yu-ki, der genauso überfordert, und ebenfalls neu in der Formation war, aber trotzdem bescheid zu wissen schien. Teruki meldete sich zu Wort und stellte seinen Kaffee wieder auf den Tisch zurück: „Ja, er kann oft mal stinkig werden, aber das gibt sich dann schnell auch wieder, wie du gesehen hast… Aber ich muss zugeben, das war das erste Mal, dass er dermaßen ausgetickt ist…“, sein Blick fiel auf den Frontmann, der immer noch regungslos im Sessel verweilte und tief nachzudenken schien. Er bemerkte dass ihn das Gesagte wohl noch mehr gekränkt hatte. „Er macht sich nur Sorgen um dich…“, versuchte er den Kleineren zu beschwichtigen. „Ich weiß“, kam es wie in Trance zurück und dann wie auf Knopfdruck hievte sich Miku hoch und stützte sich auf die Krücken, die An Cafes Drummer prophylaktisch aufgehoben hatte. „Ich geh dann schlafen… Ich brauch jetzt erst mal Ruhe…“, die anderen nickten verständnisvoll und wünschten ihm eine gute Nacht. Was für ein scheußlicher Tag. ~~~ Angekommen im Flur schlich Miku sich so gut es ging an Kanons Zimmertür, die einen Spalt weit offen stand, vorbei, doch das Klacken der Krücken drohte ihn zu verraten. Miku hasste dieses Geräusch jetzt schon. Und tatsächlich hörte er Kanon am Telefon mit Ida sprechen, die bei ihrer Plattenfirma die Arbeit der Band kontrollierte. Plötzlich fasste er einen Entschluss! Ihm fiel Kanons abgebrochener Satz von vorhin wieder ein. Er wollte wissen, was es damit auf sich hatte. Also stellte er sich an die Tür, lehnte halb an den Rahmen, um den verstauchten Fuß ein wenig zu entlasten. Er hörte wie Kanon fast gleich darauf sein Gespräch beendete. Jetzt war es an der Zeit für den dunkelblonden Sänger auf sich aufmerksam zu machen. Doch Miku hielt inne. Er lauschte genauer, als er vernahm, dass der Bassist erneut eine Nummer wählte. Innerlich rollte er mit den Augen…, aber ihm stockte der Atem als er hörte, wen er an der Strippe hatte. „Konichi wa… Tsukiyama-san…“ Was? Warum rief der Bandleader bei seinen Eltern an? Was hatte denn das zu bedeuten? Miku erkannte aus dem Kontext, dass seine eigene Mutter am Telefon war. Kanon erzählte ihr von dem Vorfall. Aber warum tat er das? War Miku denn nicht alt genug, seine Eltern selbst an zu rufen?! Am liebsten wäre er dazwischen geplatzt, doch seine gute Erziehung hielt ihn davon ab. Erst recht, als er hörte, dass die Unterredung der beiden plötzlich ziemlich private Inhalte preisgab. „Ich weiß, ich hab es versprochen…, ich hab halt nur einen Moment nicht aufgepasst. Es tut mir wirklich Leid!“, Pause, „“Ich kann es nicht mehr rückgängig machen… Ich hätte ihn nicht allein gehen lassen sollen, wär ich doch nur mitgegangen, verdammt…“, Pause, „Das hätte ich gemusst… Schließlich bin ich für ihn verantwortlich.“ Wie jetzt?! Verantwortlich?! Hallo?! War Miku dreizehn, oder was?! „Ja … aber ich weiß doch auch nicht, was ich jetzt machen soll…“, da war echtes Bedauern in der Stimme seines Freundes, zu viel Bedauern… Was war denn nur los, Donnerlittchen!?! Aber Miku musste sich jetzt zusammen reißen, das Gespräch war schließlich auch zu interessant, um es zu unterbrechen. „Bitte tun Sie das, Sie wissen doch, dass Ihr Mann nicht auf mich hört…“ Was hatte Kanon denn mit seinem Vater am Schaffen? Häh…?! Über Mikus Kopf bildete sich langsam ein übergroßes, dickes Fragezeichen. Offenbar versuchte seine Mutter aber den Jüngeren zu beruhigen… „Sie wissen doch, dass ich das nicht absichtlich mache… ich mag Miku wirklich sehr…“, er legte die Hand halb auf das Gesicht, anscheinend machte die ganz Sache ihn wirklich fertig. So hatte Miku seinen Freund noch nie gesehen, und dabei hatte er das vorhin schon mal gedacht. „Zu sehr…“, fügte er nach rhetorischem Schweigen hinzu, die, so schien es, auch Mikus Mutter abgewartet hatte. Er wusste nicht genau, warum ihm gerade eine angenehm warme Röte auf die Wangen sprang. Was… meinte… er denn damit?! Und warum dieser gewisse Tonfall? „Das weiß er nicht ... Ich weiß auch nicht, warum ich das gerade Ihnen erzähle, aber ich möchte dass Sie wissen, wie viel er mir bedeutet. Keine Sorge, ich lass die Finger von ihm ... wenn Sie das meinen ... aber darum geht es jetzt nicht.“ Sein Herz beschleunigte. Was? Was?! Was??! Über was sprachen die beiden da bitte?! Gut, dass seine Mutter gerade dran war, denn Miku brauchte einen Moment, um diese kleine, große Überraschung zu schlucken. Seine Hände fingen an zu zittern. Das erklärte, warum Kanon sich so wahnsinnige Sorgen gemacht hatte. Aber da war doch noch etwas anderes? Was war das zum Beispiel für ein Versprechen, das ihn offenbar an seine Eltern band? Oder umgekehrt? Aber irgendwie wurde ihm das gerade zu viel ... der ganze Tag war schon zu viel geworden. Er drehte sich um. So sehr es ihm auch auf der Seele brannte die Wahrheit zu erfahren, aber er merkte wie ihm zunehmend immer schwindliger wurde. Seine Beine wollten ihn schon gar nicht mehr tragen. Nur unterbewusst schnappte er nach den Krücken, so leise wie möglich. „Ja, machen Sie das bitte ... Wir schaffen das ... gemeinsam ...“, hörte er Kanon noch leise zu seiner Mutter sagen, bevor er den Knopf mit dem rotem Hörer drückte. Miku konnte nicht mehr darüber nach denken, was da wohl auf ihn zukam. Er wollte nur noch weg. Weg, in sein Zimmer, die Augen schließen und abschalten. Niemanden mehr hören und sehen. Er ließ sich auf sein Bett fallen, verfluchte innerlich die kontinuierlich, nervigen Schmerzen in seinem Fuß, die ihn wahrscheinlich am Einschlafen hindern würden. Ihm gingen auch die Bilder des Tages nicht mehr aus dem Kopf. Sobald er die Lider schloss, sah er diese drei Typen vor sich und die Mauer, die er streng mit halbzugekniffenen Augen fixiert hatte, als sie auf ihn eingetreten hatten. Er musste bestimmt eine dreiviertel Stunde dort in der nassen Gasse gelegen haben, niemand hatte ihm geholfen, niemand hatte ihn beschützt. Die Blicke der Passanten und derer die ihn in der U-Bahn dumm angequatscht hatten, die besser an ihm klebten, als seine durchweichten dreckigen Klamotten. Kanons erschrockenes Gesicht und die Standpauke, die folgte, nach dem er ihm stumm vor Wut den Fuß verbunden und die Schrammen versorg hatte. Dieser eindringliche Blick, als er ihm so nahe war. Miku rieb sein Gesicht in seinem Kissen, als wollte er die nun wieder aufkommende Röte von seiner Haut wischen, doch natürlich funktionierte das nicht. Er erinnerte sich an das belauschte Gespräch. Er wusste nicht, was er von dieser Geheimbrodelei halten sollte ... Sollte er sauer sein ...? Aber angesichts dieser anderen Sache, die er innerlich gar nicht erst beim Namen nennen wollte, konnte er das nicht wirklich. Anscheinend hatte Kanon seinen Eltern versprochen, auf ihn auf zu passen. Aber die Tatsache, dass das alles auch was mit seinem Vater zu tun hatte, machte ihm Angst. Mikus Vater war schon immer mehr als streng gewesen und er wusste ganz genau, was seine Mutter sich jetzt in diesem Moment anhören musste, wie er ausrasten würde, so besorgt, so leidenschaftlich, so ... scheinheilig ... Am liebsten hätte er sich jetzt in die Bahn gesetzt, um zu ihr zu fahren und sie zu beschützen. Aber er wusste auch, dass er keine Chance hätte, gegen diese Rage. Jetzt erst recht nicht. So vergingen ein paar Stunden ... Was für ein scheußlicher Tag. ~~~ Klopf, klopf. Er wollte doch seine Ruhe haben. Teruki lugte um die Ecke. „Hey ... geht’s dir ein bisschen besser…?“ Miku schwieg - gute Antwort… Der Drummer war feinfühlig genug, um sofort zu verstehen, dass es jetzt schlimmer war, als vorhin. Die Tür ging auf. Er kam herein. Und mit ihm auch Takuya. Da musste irgendwo ein Nest sein ... „Wir haben nur gesehen, dass bei dir noch Licht brennt und da haben wir uns Sorgen gemacht.“ Miku atmete auf. Er war ja gar nicht so alleine, wie er eben noch gedacht hatte. Da war Teruki, der schon immer bedingungslos zu ihm gehalten hatte, und Takuya entwickelte sich offenbar gerade in die gleiche Richtung und von Yu-ki wusste er mehr als gut, dass er sich auch immer seine Gedanken machte. Und Kanon ... ja ... Kanon ... hatte womöglich all die Jahre seinen eigenen Kampf gekämpft, um ihn zu beschützen. Und schon spürte er eine warme Hand an seinem Kopf, die ihm beruhigend die Haare glatt strich. Er kannte diese Hand gut, denn sie war immer da gewesen, wenn er sich schlecht gefühlt hatte, immer. Also erhob Miku sich und lächelte den Größeren an. Terukis Blick war verständnisvoll und vertrauenserweckend. Takuya schien nur aufmerksamer Beobachter sein zu wollen. Aber Miku schätzte sein Bemühen, sich besser in die Band einzufügen, sehr. „Ich weiß, dass du jetzt durch den Wind bist, aber was willst du denn tun? Willst du Anzeige gegen unbekannt erstatten?“ „Ich, ach, das bringt doch eh nichts ... Am Ende gerät das nur in die Medien ...“ „Willst du das denn einfach auf dir sitzen lassen?!“ Miku hob kurz die Schultern, als Takuya ihn von seinem Schreibtischstuhl her angesprochen hatte. „Aber sag mal, Teruki, weißt du was von ... einem ... Versprechen, dass Kanon meinen Eltern gegeben hat?“ Überraschtes Kopfschütteln. „Was meinst du denn damit?!“ „Ich hab vorhin ein Gespräch von ihm und meiner Mutter mitgehört ...“ „Was hat Kanon denn mit deiner Mutter zu tun?!“ „Tja, das ist die Frage des Tages ...“ „Nein, davon weiß ich nichts ... Aber, er hätte sich vorhin scheinbar fast verplappert ...“ Takuya klinkte sich schnell wieder in das Gespräch ein. „Ja, den Eindruck hatte ich auch ... Ich denke, du solltest ihn mal direkt darauf ansprechen, wenn ihr beide euch ein wenig beruhigt habt. Und vielleicht ...“ Klopf, klopf. Dunkelblonde Locken und eine große Sonnenbrille schauten herein, die Tür wurde weiter auf gemacht. Ein Nest ... aber wirklich ... „Du, äh ... Miku, deine ... Eltern sind hier ...“ Das hätte ihm sicher den Boden unter den Füßen weg gezogen, wenn ich er darauf gestanden hätte. „Was?!“ „Ja, sie standen urplötzlich vor der Tür ... Ich musste sie rein lassen ... und ...“ „Was ist denn hier für eine Versammlung?“ Kanon tauchte hinter dem Keyboarder auf. „Mikus Eltern sind hier ...“ Sein Blick versteinerte. Er stierte am anderen vorbei auf den Boden. „Ich klär das schon ... Ich glaube, die wollen zu mir ...“ „Was meinst du denn damit?“, wollte Yu-ki wissen, doch seine Frage blieb unbeantwortet. Hilflos sah Miku mit an, wie sein Freund sich auf die Wohnzimmertür zu bewegte, dahinter verschwand und sich seinem Vater entgegenstellte. Und dessen schlechte Laune war bald nicht mehr zu überhören. Er schrie den gesamten Wohnblock zusammen, und Kanon bekam das alles ungefiltert ab. Die anderen wollten ihm zur Hilfe eilen. Doch Miku hielt sie zurück. „Ihr bleibt hier ... hier in meinem Zimmer! Das ist eine Sache, die ich alleine mit den dreien klären muss ...“, meinte er und humpelte an den verdutzten dreien vorbei, schob Yu-ki ebenfalls ins Zimmer und schloss die Tür. Vor dem Wohnzimmereingang blieb er einen Augenblick stehen, um sich beinahe in Originallautstärke anzuhören, was sein Vater Kanon vorwarf. „ Wir hatten eine Abmachung, Freundchen!! Falls du ich noch daran erinnerst… Du konntest sie nicht halten, und ich möchte nicht hören, dass ich hier der Böse bin ... dass ich das jetzt tun muss, ist allein deine Schuld, damit musst du leben und der Rest euer Spielmannskapelle auch!!“ „Ich verspreche Ihnen, dass so etwas nicht wieder vorkommt ... Ich werde besser auf ihn Acht geben und ...“ „Das kannst du dir sonst wo hinschieben!! Ich war die ganze Zeit dagegen, dass Miku sich euch anschließt. Ich glaub ja nicht, dass ihr schlechte Kerle seid, insofern man bei Bou davon sprechen konnte, aber ich hatte gleich ein ungutes Gefühl. Miku hatte schon immer Probleme, sich gegen seine Mitmenschen durchzusetzen. Er ist schwach! Ich hab dir gesagt, dass ich das Projekt An Cafe nur akzeptiere, wenn du auf ihn Acht gibst und das hast du nicht getan ... Also leb jetzt mit den Konsequenzen ... Miku wird An Cafe verlassen!!“ Dessen Hand rutschte von der Klinke. Nein ... das hatte er jetzt nicht gesagt, oder?! Er musste sich verhört haben. Hieß das etwa, dass sein Vater damals nur zugestimmt hatte, dass er An Cafe gründen und den Plattenvertrag unterschreiben durfte, wenn Kanon auf ihn Acht geben sollte? Das würde die plötzliche Sinneswandlung seines Vaters erklären, der immer strikt gegen die Band gewesen war. Er hatte damals ganz überraschend doch zugestimmt. Pah! Miku hatte doch allen Ernstes schon geglaubt, dass seinem Vater die charakterliche Wandlung, die er in den letzten Jahren, gerade durch die Band und durch ihren Erfolg, gemacht hatte, aufgefallen wäre ... Dass er bemerkt hätte, dass Miku sich verändert hatte, selbstbewusster war und nicht mehr der kleine verweichlichte Jungendliche von damals. Dass er stärker geworden war. „Bitte tun Sie ihm das nicht an ... bitte ... tun Sie uns das nicht an. Wenn Miku geht, dann wird es An Cafe nicht mehr geben ... Sie zerstören nicht nur seinen Traum, sondern auch unseren“, versuchte es Kanon diplomatisch. „Er ist unersetzbar für uns ...“ „Das habt ihr über Bou auch gesagt ...!“ Rumms!! Miku hatte die Tür auf gestoßen und starrte seinen Vater fassungslos an. „Lass Bou da raus!!“ Erschrocken schauten alle im Raum ihn an. „Bou ist Bou und Takuya ist Takuya!! Es geht nicht darum, ob der eine den anderen ersetzt, oder nicht. Die gemeinsame Zeit, die wir erlebt haben, die harte Arbeit die wir hinter uns haben, um dahin zu kommen, wo wir heute sind, das ist es, worauf es ankommt und was ich bewahren möchte. Und jeder in der Band hat seinen Teil dazu beigetragen und ist auf gleiche Art und Weise wichtig!! Es geht nichts ums Line Up, ob vier oder fünf, die Botschaft ist es, die An Cafe zu dem macht, was An Cafe ist!! Sie ist es, die immer bleiben wird, ob nun mit mir, oder auch ohne mich!!“ Miku stellte sich so gut es ging nah vor seinen Vater, schaute ihm direkter in die Augen als jemals zuvor. „Meinetwegen kannst du mich aus der Band werfen, dass du als Anwalt die Mittel dazu hast, ist mir klar, du warst eh nie etwas anderes als ein Rechtsverdreher, aber dann musst du dir auch im Klaren darüber sein, dass ich dir das niemals verzeihen werde!! Ich werde nie wieder derselbe sein, und das hier ist nur ein Vorgeschmack dessen ...“ Seit wann konnte Miku so laut sprechen? Seit wann hatte er so viel Wut im Bauch? Dieses gefährliche Funkeln in den Augen? Sein Vater wollte Luftholen um etwas zu sagen, doch, er ließ ihn gar nicht erst dazu kommen ... „Ja, ich weiß, es hat eine Zeit gegeben, in der ich schwach war. In der ich jeden Tag Angst hatte, in die Schule zu gehen, weil ich mir ständig Kommentare anhören musste wegen meiner großen Augen, eine Zeit, in der ich einsam war ... aber das ist vorbei! Durch die Musik hab ich mich verändert, meine Freunde haben mich verändert, die Fans haben mich verändert. Wenn ich im Fernsehen zu sehen bin, ein Video von uns läuft, glaubst du, das ist nur Show?! Nein! Das ist echt!! Ich bin nicht mehr der kleine, weinerliche Akiharu! Diese Band hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Dass du als mein eigener Vater das nicht mitbekommen hast, ist mehr als traurig. Und wenn du mich zwingst auszutreten, dann mach das ruhig ... Ich weiß, dass der Sinn der Sache bestehn bleibt. Nur für mich ist es Scheiße, denn dann zerstörst du alles, was ich habe ... und alles, was ich bin ...“ Miku machte eine Pause, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, das nutzte sein Vater natürlich sofort. „Deine Mutter und ich haben uns nur Sorgen um dich gemacht, deshalb haben wir Kanon gebeten, dass er auf dich aufpasst, das war die Voraussetzung, wir haben es doch nur gut gemeint.“ „Hör endlich auf damit!!“ „Womit?“ „Dich ständig hinter anderen Leuten zu verstecken!! Das machst du immer!! Immer war es Mama, oder meine Schwester, oder Kanon, oder ich… Lass das, sieh dir Mama doch an ...“ Er zeigte auf sie. Mikus Mutter hatte sich halb verzweifelt an Kanon gelehnt, der schützend den Arm um sie legte. Sie hatte nie gewollt, dass die Situation so eskalierte. „Jetzt erzähl mir nicht, dass du dich hinter dieser zerbrechlichen Frau verstecken willst! Im Gegensatz zu dir hat sie verstanden, worauf es mir ankommt, was ich möchte, sie hat mich gesehen.“ „Aber ich wollte doch nur, dass du in Sicherheit bist, dass es dir gut geht ...“ „Hast du das auch gewollt, als du mich damals immer wieder verprügelt hast ...? Als du mich gegen die Treppe geschleudert hast? He? Die blauen Flecken, die hatte ich nicht von den Schülern in meiner Schule, nicht von meinem strengen Onkel ... Wer will mich beschützen und mich in Sicherheit wiegen? Du!? Oder dein schlechtes Gewissen ...!?“ Wieder starrten alle ihn nur fassungslos an. Auch Mikus Mutter schien davon nichts gewusst zu haben. Sie brach nun vollends in Tränen aus und klammerte sich an Kanon so fest es ging. „Du kannst dich nicht immer hinter anderen verstecken, auch hinter deinen Gesetzen nicht ... Ich hab nie was gesagt, weil ich Mamas Traum von einer heilen Familie nicht zerstören wollte. Aber ich kann nicht mehr schweigen. Ich bin alt genug, um selbst für mein Leben selbst zu entscheiden, selbst auf die Schnauze zu fliegen, kapier das endlich! Und versuch nicht Vergangenes wieder auszubügeln ... die Narben auf meinem Rücken erinnern mich jeden Tag daran ... auch wenn es für dich vielleicht nur eine Erinnerung ist ... Da bist du platt, was?! Was ist jetzt? He? Geht dir der Arsch auf Grundeis ...?!“ Sein Vater holte aus! Miku presste die Augen zusammen! Es knallte! Doch der Schlag traf ihn nicht! - Er hatte Kanon getroffen ... Der schwankte. Blieb aber stehen. Miku schaute nur verwirrt blinzelnd auf den Rücken seines Freundes. „Was soll das denn?!“, fragte sein Vater bebend. Kanon blieb ruhig, wischte sich das Blut vom Mund. „Ich beschütze Miku ... so, wie Sie es wollten ...“ Er blickte den größeren fest an, der wie ein Baum vor ihm stand, „Und das werde ich immer tun ... Schließlich habe ich es versprochen“, sagte er mit leidenschaftlichem Nachdruck, ebenso gewiss, wie gefasst. Und Mikus Vater ging zwei Schritte rückwärts, als ihm die wilde Entschlossenheit des Bassisten gewahr wurde, und der ihn mit einem Blick, finsterer als die Nacht, taxierte. Miku legte den Kopf zwischen die Schulterblätter des anderen und lächelte. „Ist schon gut, Kanon ... ich schaff das schon“, meinte er nur mit lieber Stimme und schlurfte an ihm vorbei. Wieder stellte er sich vor seinen Vater und sagte ihm dann ebenfalls ganz ruhig: „Dass man sich, wenn man nur ein bisschen mutig ist, alles gibt und sich nicht unterkriegen lässt, wenn man nur hart genug an sich arbeitet, dass man sich dann zum Positiven verändern kann, stärker werden kann. Und zwar nicht allein, sondern gemeinsam mit den Menschen, die man wirklich liebt. Dass man alles, was man investiert, dadurch hundertfach zurück bekommt und mit Phantasie der Welt Farbe geben kann, alle Normen dadurch erträglicher machen und aus der Konvention der Gesellschaft ausbrechen kann, um sich selbst zu verwirklichen – das ist Oshare Kei. Das ist die Botschaft von An Cafe! Das ist das, was ich dir beweisen wollte, was wir der Welt zeigen wollen ... dafür lebe ich ... vielleicht gerade deshalb, weil ich das beste Beispiel dessen bin. Du kannst alle Gesetze ziehen und kneten! Du kannst dich meinetwegen auf den Kopf stellen ...“ Nun ging er ein paar Schritte vorwärts, die Schmerzen waren wie weggeblasen. Und sein Vater wich tatsächlich zurück. Denn Miku blickte ihn nun mit derselben Entschlossenheit an, die ihm eben Kanon schon entgegen gebracht hatte. „Ich werde ... An Cafe nicht verlassen!!“ Damit kehrte Stille ein. Sein Vater schickte einen Blick zu seiner Frau, die schüttelte nur den Kopf – dann ging er ohne sie ... Sie klappte zusammen, wie ein Kartenhaus und Kanon kniete sich schnell zu ihr herunter, um sie fest zu halten. Für sie war eine heile Welt zusammen gebrochen. Was sollte sie jetzt tun? Sich von ihm trennen? Wie sollte sie das Mikus jüngerer Schwester erklären? Als er dazu kam, ließ Kanon schnell von ihr ab. Der Dunkelblonde zog sie ein eine feste Umarmung. „Es tut mir Leid ... Mama, es tut mir so Leid ... aber ich habs nicht mehr ausgehalten ...“ Auch er hatte jetzt Tränen in den Augen. Kanon wollte wieder aufstehen, doch Miku hinderte ihn daran, schaute ihn eindringlich an. Er legte seinen Arm um den Dunkelhaarigen, um ihm zu zeigen, dass er keinesfalls böse auf ihn war. Kurz darauf tauchten auch die anderen ihm Raum auf und setzten sich, auf Terukis Geheiß, ebenfalls zu den dreien auf den Boden. Sie hatten natürlich alles mitgehört. Sie bildeten einen Schutzwall um Mikus Mutter, indem sie alle die Arme um sie legten und sich gegenseitig festhielten. Sie brauchte jetzt allen Trost den sie kriegen konnte. Da verstand sie zum ersten Mal wirklich, was diese Band Miku für eine Stütze gewesen war, denn sie wusste, dass sie sich alle ohne auch nur eine Sekunde zu zögern schützend um ihn stellen würden, wenn er Hilfe brauchte, oder schwach war. Allen voran Kanon, der ihn bedingungslos liebte. Und sie war überwältigt davon, dass sie nun, obwohl der Großteil der Band sie nicht wirklich kannte, in die Mitte gesetzt und von allen anderen beschützt wurde. So kompromisslos selbstverständlich ... Und sie hielten sie solange fest, bis ihre Tränen getrocknet waren. Sie redeten ihr immer wieder Mut zu und versprachen ihr, dass sie ihr helfen würden und dass sie erst mal hier bleiben könnte. Schließlich zauberten sie ihr sogar wieder ein Lächeln aufs Gesicht. ~~~ Etwas später am Abend war Kanon auf sein Zimmer gegangen. Er musste einen Augenblick allein sein. Es hatte beinahe eine Katastrophe gegeben. Miku hatte ihm zwar versichert, dass sein Vater ihn in Ruhe lassen würde, do so richtig traute er dem Frieden nicht. Er ließ sich auf seinen großen Schreibtischstuhl mit Lederpolsterung sinken – sein Chefsessel ... Er versprach sich in diesem Moment selbst, dass er Miku nie wieder irgendeiner Gefahr aussetzen würde. Immer auf ihn aufpassen würde. Doch ihm blieb nur zu hoffen, dass sich derjenige, der ihn genau darum gebeten hatte, nicht als größte Bedrohung herausstellen würde. Und selbst wenn, würde er alles geben, das war er Miku schuldig. Klopf, klopf. Die Tür ging auf, Mikus Mutter stand darin und schaute etwas besorgt zu ihm herunter. Sie schloss hinter sich und stellte sich neben Kanon auf, der sie verwundert ansah. „Ich ... wollte mich nur bei dir entschuldigen, dafür, dass wir dir so eine große Bürde auferlegt haben ... Aber wir haben uns wirklich Sorgen gemacht ... naja, ich zumindest ... Es tut mir wirklich Leid, Kanon-kun ...“ Sie legte die Arme um seine Schultern, nachdem sie sich zu ihm herunter gebeugt hatte. „Das ist schon in Ordnung, schließlich wollte ich ihn auch beschützen ... Sie wissen doch, wie viel er mir bedeutet ...“ „Ja ... und ich bin dir auch nicht böse deswegen ... ich finde nur ...“ „Was ...?“ „Ich finde, du solltest es ihm sagen ...“ Kanon schüttelte nur den Kopf. „Doch, solltest du ...“ „Und was soll das bringen ...? Ich würde nur schon wieder etwas aufreiben, was die Band belasten würde, und das möchte ich nicht, es ist gut so, wie es jetzt ist.“ Mikus Mutter löste die Umarmung und schaute den Bandleader eindringlich an, nachdem sie sein Gesicht wieder zu sich gedreht hatte. Sie wusste, sie würde ihn weich kriegen, schließlich würde nicht einmal der unnahbarste Bassist auf Erden dem Charme einer Mutter entkommen. „Aber sonst erfährst du doch nie, was er davon hält ...“ „Will ich das denn?“ „Also interessieren würde es mich schon ...“ (Also Eigennutz, nichts als purer Eigennutz ... *drop* ...) „Miku ist nicht schwul, das weiß ich ...“ „Ja, das ist so, aber ich bin mir sicher, dass es gut für ihn wäre, wenn er wüsste, wie sehr du ihn magst. Ich kenne ihn, es beruhigt ihn ungemein, wenn er weiß, das es jemanden in seiner Nähe gibt, der ihn wirklich liebt ...“ Kanon verschränkte die Arme und schaute sie trotzig an. „Woher wollen sie wissen, dass ich ihn liebe und nicht nur auf Sex aus bin?“ Tsukiyama-san gab ihm eine Kopfnuss, während sie ein wenig rot wurde, wegen seiner direkten Wortwahl. Sie kicherte höflich hinter hervorgehaltener Hand. „Du Baka-kun, das sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock ...“ Der junge Mann schüttelte kurz die Mähne, die gleich darauf wieder perfekt und glatt lag. „So verschlagen, wie du immer tust, bist du bei Weitem nicht ... Das habe ich gleich bemerkt ...“ „Aber was hätte ich denn davon?!“ „Gewissheit und kein schlechtes Gefühl mehr, weil du ein Geheimnis vor ihm hast ... Lass es dir noch mal durch den Kopf gehen ...“ „Nein. Das würde nur unangenehme Situationen hervorrufen ... Und das will ich nicht ...“ „Du willst ihm doch bloß nichts sagen, weil es bedeuten würde, dass du etwas von dir Preis geben müsstest, du verschwiegener Badboy~ ...“ Sie zwinkerte ihm zu. Er war durchschaut. Und offenbar auch geschlagen, denn er lächelte etwas unsicher. Verdammt, dieser dunkelhaarige, knuffige Typ, der so umwerfend frech grinsen konnte, wenn er wollte, war ihr so ans Herz gewachsen. Sie hatte es gar nicht mal richtig gemerkt. Nachdem Miku mit seinen Freundinnen in der Vergangenheit immer Pech gehabt hatte und jedes Mal wegen Liebeskummer so unglücklich gewesen war, dass er tagelang nichts aß, sich verschanzte, beinahe ins Krankenhaus gekommen wäre, ertappte sie sich tatsächlich bei dem Gedanken, dass es schade sei, dass ihr Sohn nicht auf Männer stand. Welche Mutter dachte denn so was? Aber sie empfand Kanon eben als eine Kostbarkeit, die sie nur zu gerne an Mikus Seite sehen würde. Auch wenn das vielleicht für etwas Furore in der Medienlandschaft gesorgt hätte. Auch wenn ihr Mann Gift und Galle hervorgewürgt hätte. Sie überraschte sich sogar selbst mit dem Gedanken, dass die beiden eigentlich ein süßes Pärchen abgegeben hätten. Wenn nicht, hatte sie ja immerhin noch eine zweites Kind, das versorgt werden wollte, auch wenn das noch ein wenig Zeit hatte ... Man konnte sich diesen Rohdiamanten ja mal warm halten ... Okay?! Sie war definitiv verrückt geworden ... „Du machst das schon“, sagte sie mit einem Muttilächeln und zerwuschelte ihm die Haare, einmal Schütteln, wieder glatt ... beneidenswert. „Oyasumi nasai ... Kanon-kun ...“ Dann war sie, nachdem er ihr auch eine Gute Nacht gewünscht hatte, in der Tür verschwunden. ~~~ Unterwegs auf dem Flur begegnete ihr Miku, der gerade aus der Küche bog. „Hey, geht’s dir ein bisschen besser?“ „Selbe Frage ...“ Beide lachten halblaut, was durch das Gackern der anderen im Essbereich und klirrendes Geschirr fast noch übertönt wurde. „Ich will nur kurz zu Kanon, meinen Verband erneuern lassen ...“ Tatsächlich hatte der durch das ganze Hin und Her an diesem Abend sehr gelitten und fledderte langsam ab. Seine Mutter streichelte ihm kurz über den Handrücken, dann sagte sie leise: „Mach das ... und sei ein bisschen lieb zu ihm, ja? Er hat es wirklich verdient ...“ „Das bin ich doch immer“, grinste der Sänger zurück. Sie grienten beide um die Wette. Dann ging sie weiter in Richtung Gackern, Miku schaute ihr sanft hinterher. Er wusste, er müsste jetzt alles geben, um sie zu unterstützen. Er war froh, dass auch die anderen sich um sie kümmerten und sie aufheiterten. „Ah, Tsukiyama-san ... wollen Sie vielleicht auch etwas trinken?“, hörte er Teruki fragen. „Ja! Ich hätte jetzt wirklich sehr gerne einen An Cafe!!“, alle lachten, Miku auch. Er wusste, sie würde es schaffen ... Klopf. Klopf. „Ja?“, kam von innen. Miku öffnete die Tür, sah Kanon, der ihn erstaunt musterte, auf der Fensterbank in seinem coolen Zimmer sitzend, bei weit offenem Fenster, eine gedrehte Caster Mild rauchend und wieder musste er lächeln, denn scheinbar hatte es sich Kanon endlich angewöhnt, während er rauchte, zu lüften, nachdem Miku ihm schon hundert Mal gesagt hatte, dass er es tun sollte, eh noch irgendjemand einen Erstickungstod sterben würde, der sein Reich betrat. (Teruki, zum Bleistift, der Nichtraucher war ...) Süß, dass er endlich auf ihn hörte ... „Was ist denn los?!“ Miku sagte nichts, sondern schüttelte nur den Fuß ... die weiße Mullbinde fiel runter, er schaute den anderen mit Sternchenstrahleaugen an und setzte sein weißestes Zahnpastalächeln auf. Der Typ mit der Skunkfrisur auf dem Fenstersims grinste, zog noch einmal an seinem Glimmstängel, bevor dieser den Weg nach unten in eine der Hecken antrat. „Ich dachte eigentlich, du wärst schon groß ...“ Da wars wieder, diese feiste Grinsen, dass die Mädchen reihenweise umhaute ... Er zwinkerte und erhob sich, während der Sänger auf einem Bein zu seinem Drehstuhl hopste. Der Jüngere kniete sich vor Miku runter, der ihm eine neue kleine Einwegpackung gab. Der Frontmann musste schlucken, als Kanons Hand kurz seine Haut berührte. Das fühlte sich jetzt irgendwie intensiver an. Wow, wie vorsichtig er war, um ihm nicht weh zu tun. Nachdenklich ließ Miku den Blick über seine Hände, die Arme hinauf, die wohlmöglich stärker waren, als er glaubte, in das gesenkte Gesicht des anderen wandern. Verweilte bei den Wimpern, die konzentriert auf und ab schlugen, diese dunklen Knopfaugen, dieser schmollige, volle Mund, der seinen Ausdruck immer ein wenig eingebildet wirken ließ. Diese kleine Schramme, die ihn daran erinnerte, dass Kanon sich so mutig seinem Vater entgegengestellt, diesen harten Schlag für ihn abgefangen hatte. Die Tatsache, dass genau er es war, der sich vermutlich in ihn verliebt hatte, faszinierte Miku ungemein. Er konnte sich nicht erinnern, je etwas dafür getan zu haben, war sogar manchmal ziemlich forsch zu ihm gewesen, wenn Kanon sich aus Gewohnheit mal wieder über ihn oder Bou lustig gemacht hatte. „Na?! Worüber denkst du nach, hm?!“ Miku musste wie wild blinzeln, als sein Gegenüber ihn aus den Gedanken riss. Er versuchte, seine leichte Röte zu verstecken, indem er eine gute Antwort gab: „Ach, weißt du ... ich dachte nur gerade darüber nach ... dass ich mich daran gewöhnen könnte ...“ „Tus lieber nicht ... Einen Stützverband zu tragen, wenn man eigentlich keinen braucht, schränkt die Beweglichkeit doch sehr ein ... Es sei denn, du möchtest, dass Humpeln dein neuester Spleen wird ...“ Beide lachten. Gut, dass Kanon sich verkniffen hatte, direkt auf den anrüchigen Ton in Mikus Stimme reagiert zu haben. „Kanon ...?“ „Ja, Chefchen?“ „Wieso Chefchen? Egal ... Ich wollte mich noch bei dir bedanken ... dafür, dass du mich vor meinem Vater beschützt hast ...“ „Och ... ich denke du hast dich schon ganz gut allein gewehrt, nein, mal im Ernst, sein Gesicht war Gold wert!“ „Irgendwie schon, oder?!“ Ein Nicken des anderen folgte. „Ich muss mich bei dir entschuldigen“, wurde der Dunkelhaarige mit einem mal wieder ernst. „Ich ... Es tut mir Leid, dass ich dir nichts von dem Abkommen mit deinen Eltern erzählt habe ... Aber ich wollte nicht, dass du mir das ausredest, weil du dich zu bemuttert fühlst ...“ „Das sagst du demjenigen, der sich so gerne von dir den Fuß verbinden lässt, obwohl ers auch allein könnte ...“ „So gerne, ja?“ Wo hatte der Typ nur gelernt so charmant, schräg zu lächeln, verdammt! War ja zum Dahinschmelzen ... „Hm ...“ Miku verlor sich in den Augen des anderen, die plötzlich ein ganz anderes Glänzen bekamen. Ein Gefährliches ... Der Bassist ließ seine Finger kurz ein Stück das freie Bein des anderen hinaufwandern, nur ganz leicht, was Miku erschrocken zusammenfahren ließ. „Kanon!“ Dieser lachte nur schallend. „Na? Wieder zurück aus deinem Traumland?“ Miku glühte. „Du bist doof ...“ Das wurde nur wieder mit einem Lachen quittiert. Miku holte leicht aus, um seinem Freund einen leichten Klaps gegen die Wange zu geben, doch da Kanon, noch immer mit einem Bein angewinkelt kniend, zurückwich, streifte er nur kurz seine Haarsträhnen, die ihm im Gesicht hingen. Er fing zudem noch Mikus Hand ab. Aber anstatt sie frei zu geben, behielt er sie erst mal im leichten Griff. Miku ließ sich wieder an die Sessellehne fallen. Doch Kanon ließ nicht locker. Der Dunkelblonde schloss die Augen. Er ging einen Augenblick in sich. So fühlte es sich also an, wenn er seine Hand hielt. Sehr sanft und warm, das hätte er nicht gedacht. So neu, so vertraut, so ... gut. Warum ließ er nicht los? Miku öffnete die Augen, er hatte eine Entscheidung getroffen. Der andere sah ihn immer noch verwundert an. „Kanon ... ich glaub, ich muss dir was beichten“, fing er wieder an. Der Größere schien auf einmal abwechselnd rot und blass um die Nase zu werden. „Und ... um was geht es?“, fragte er ganz vorsichtig und sein Herz beschleunigte, als er merkte, dass auch Miku scheinbar unter denselben Symptomen litt. „Ich hab ... vorhin ... dein Gespräch mit meiner Mutter belauscht ...“ „Welches?“, fragte Kanon entsetzt, dann schoss ihm ein, dass es eigentlich egal war, welches Gespräch er gehört hatte ... „Das Telefonat, meine ich ...“ „Wie viel hast du gehört?“ „Alles?“ Kanon sah am Ausdruck in Mikus Augen, dass er die Unterredung richtig gedeutet hatte. Er schloss die Augen, um wirklich tief zu seufzen ... „Ist heute nicht schon genug passiert?“, fragte er ruhig. Sein Gegenüber verstand aber, dass die Frage rhetorisch gemeint war. Kanon wollte aufstehen, doch Miku legte die Hände auf seine Schultern. „Bleib bitte hier ...“ Sie sahen sich wieder an. Es herrschte peinliches Schweigen. Er legte seine Stirn an die des anderen. „Ich möchte, dass du immer bei mir bleibst ... Auch wenn, oder gerade weil die nächste Zeit wahrscheinlich ziemlich holprig wird ...“ Er ließ die Rechte an Kanons Hals hinaufwandern, um sie auf seine Wange zu legen. Die andere ließ er in die halboffene schwarze Lederjacke gleiten und auf dem Schlüsselbein ruhen. „Aber ich weiß, dass ich keine Angst zu haben brauche ... egal, vor was auch immer ...“ Er lächelte wunderschön, als er seinem verwirrten Freund wieder in die Augen sah, um dann flüsternd zu hauchen: „Denn ich hab ja jemanden, der mich beschützt, damit ich das alles beschützen kann, was ich habe ... und alles, was ich bin ...“ Damit gab er ihm einen verführerisch leichten Kuss auf die Schramme, die ein wenig zog, doch Kanon fand Gefallen daran – überhaupt hatte er gerade alles auf Durchzug geschaltet. Seine Lider flatterten fahrig zu, als Mikus Gesicht an seinem vorbeizog und er anfing an seinem Ohrläppchen zu knabbern. Er konnte das dreiste Grinsen des Sängers förmlich spüren, als er ihm leise hauchend ein unwiderstehliches Angebot machte: „Alles andere überlass ich dir ...“ Diese Chance würde er zweifelsohne sofort nutzen. Er tippte mit dem Finger auf Mikus Brustbein und drückte ihn zurück in den Bürostuhl, fast gleichzeitig und ebenso in Zeitlupe stand Kanon auf und stützte sich dann wieder, mit einem anrüchigen Schlafzimmerblick, auf den Lehnen ab. Miku fühlte sich gerade an die Standpauke erinnert. Doch erwiderte er diesen verruchten Blick mit der gleichen Intensität. Insgeheim hatte er sich schon immer gewünscht mal eine solche Reaktion bei dem anderen auszulösen, der ihn sonst in solchen Dingen nicht ernst genommen zu haben schien. Und als Kanon dieses erwartungsvolle Glitzern in den Augen des anderen vernahm, mit den geweiteten Pupillen und sah, wie der Dunkelblonde sich gierig über die Lippen leckte, wusste er das Miku vorhin recht gehabt hatte: Er war wirklich nicht mehr das schwache Kerlchen von früher – und er war froh darüber. Er liebte diese großen, schönen Augen, die ihn schon damals in ihren Bann gezogen hatten. Und er wusste, er würde es ihm immer wieder sagen, bis Miku keine Komplexe mehr deshalb haben würde. Sie kamen sich immer näher, Mikus Herz schlug ihm bis zum Hals, doch er ließ sich nichts anmerken. Er krallte sich stattdessen kurz in Kanons Jacke, ließ dann los und spielte mit dem Reißverschluss, den er schließlich mit zittrigen Händen runter zog, während ihre Lippen sich endlich trafen. Er stemmte sich dem anderen etwas entgegen, als er dessen feuchte Zunge spürte, die versuchte in seinen Mund einzudringen. In dem Moment, als er es zuließ, fiel alle Anspannung von ihm ab. Er ließ sich einfach fallen. Schließlich gab es niemanden, dem er mehr vertraut hätte. Er ließ die Finger an Kanons Gürtel wandern und sie dahinter verschwinden, um ihn näher an sich zu ziehen. Dann hob er die Schulter und rutschte ein wenig nach rechts, um sich an den Sitz zu schmiegen. Er zog das Bein an, keuchte kurz in das Zungenspiel hinein, als Kanon seine Hand von seinem Knie her seinen Oberschenkel hinauf geistern ließ, den Stoff seiner kurzen Hose nahm er einfach ein Stück mit. Schweratmend lösten sie sich wieder voneinander, und der Größere begann nun seine Halsbeuge mit roten Flecken zu übersähen, was Miku entzückend schnurren, und ihn ein bisschen kichern ließ – er war offenbar kitzlig. „Du ... Kanon ...?“ „Hm?“ „Hattest du nicht meiner Mutter versprochen, die Finger von mir zu lassen ...?“ „Ich kann nicht jedes Versprechen halten ... ist auch egal, solange ich ein bestimmtes Versprechen halte ...“ „Was denn für eins ...?“ Kanon biss zärtlich in Mikus Schulter und dieser fiepte. „Das weißt du ganz genau ...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)