Bloody Mary (Der Gast) von -innocent- ================================================================================ Kapitel 1: Blickkontakt ----------------------- „Der geht aufs Haus.“ ,entgegne ich freundlich einem Kerl, der gerade seinen leeren Geldbeutel durchforstet und stelle ihm ein kleines, edles Glas Gin hin. Er blickt erstaunt auf, dann auf die schimmernde, gold-orange Flüssigkeit und augenblicklich umrahmt ein dämliches Lächeln seine Zahnlücke. Ich bleibe noch kurz an seinem Tisch stehen und beobachte, wie er den ersten Schluck nimmt. Die runzlige Hand umklammert das Glas und die helle, fast durchsichtige Haut spannt sich auf prallen Adern. Ich reiße mich mühsam von dem bläulichen Muster weg und gehe weiter meiner Arbeit, als Kellner in einem rustikalen Pub, nach. Die jüngere Generation verschlägt es höchst selten hierher. Meine Kundschaft besteht aus altbekannten Gesichtern mit geröteten Nasen. Menschen, die fast nur noch Gefallen am Alkohol finden und mich Nacht für Nacht ein wenig davon kosten lassen. Wirklich Kenntnis davon nimmt eigentlich niemand mehr, der stumm vor sich hin sabbernd mit der Stirn auf der Tischplatte seinen Rausch ausschlafen möchte. Nachdem ich meine Art Trinkgeld bekommen habe, wecke ich sie auf und geleite sie zur Tür hinaus. Das ganze hat sich zu einem Rhythmus entwickelt, den ich jedesmal aufs Neue durchspiele. Das notwendige Werkzeug halte ich unter den Tresen griffbereit. Eine Flügelspritze, der dünne Gummischlauch und ein paar Servierten vollführen den Akt, den Akt des Trinkens. Auch, wenn ich Blut schon seit fast 40 Jahren regelmäßig und ohne weiteren Schaden für den Spender, zu mir nehme, beschleicht mich immer wieder ein mulmiges Gefühl des Verbotenem, so als müsste jedesmal ein Kätzchen sterben. Ich lehne mich gegen die kalte Steinmauer hinter der Bar und suche nach leeren Gläsern oder Tellern. Nichts dergleichen, auch winkt mich niemand heran. Für einen Moment schließe ich die Augen und konzentriere mich auf den Geruch des Blutes, der an jedem haftet. Das Rauschen, wenn es durch Adern strömt, höre ich nur ganz leise, wie ein Flüstern, das meinen Namen verlauten lässt. Das Knarzen der Tür zerstört die innere Ruhe und lässt mich aufsehen. Ein Mann, den ich für 25 schätzen würde, tritt herein. Er sieht geschäftlich aus, wie ein schmieriger Businesstyp oder einer von der Mafia. Zumindest halte ich ihn nicht für den braven, rechtschaffenen Bürger. Die dunklen, langen Haare zurückgegelt, reichen bis über den weißen Hemdkragen. Der Drei-Tage-Bart lässt ihn noch verruchter aussehen. Ohne seinen tadellos sitzenden, schwarzen Anzug und der schwarzen Krawatte, hätte ich ihn für einen weiteren Säufer gehalten. So nur für einen gestressten Geschäftsmann. Ich mustere die glänzenden Lederschuhe, als die sich in meine Richtung bewegen. Ich senke den Blick und tue so, als wäre ich die ganze Zeit mit der Mischung eines Drinks beschäftigt gewesen. Ich spüre seine Anwesenheit. Er muss auf dem Barhocker vor mir Platz genommen haben. Ich schauspiele noch ein wenig länger, als ich den Kopf langsam hebe und ein überraschtes Gesicht, über den neu eingetroffenen Gast, aufsetze. Er lächelt. Offenbar hat er mich durchschaut. Doch er geht nicht weiter darauf ein. „Bloody Mary.“ „Äh, was?“ , frage ich zögernd, sein leises Zischen nicht wirklich verstanden. Wieder taucht das überlegene Lächeln auf, während er sich übertrieben deutlich wiederholt: „Bloody Mary.“ Ein ungewöhnlicher Wunsch. Ich schenke meine Aufmerksamkeit wieder meiner Arbeitsfläche. Darauf ruht das Glas Bloody Mary, das ich vorhin als Täuschungsmanöver gemixt hatte. Meine Abneigung gegen diesen Typ wächst von Minute zu Minute. Genervt greife ich nach dem Drink und stelle es ihm auf den Tresen. Am Fenster hebt jemand die Hand. Erleichtert und fast zu stürmisch, kümmere ich mich um die Kundschaft und noch ein paar andere. Dann habe ich wieder nichts zu tun. Ich stehe mitten im Raum und weigere mich zurück zur Bar zu gehen. Ich schüttle den Kopf. Mich wegen diesem zwielichtigen Kerl verrückt zu machen. Ich will gerade zur Bar gehen, als ich seinen musternden Blick bemerke. Der Arsch beobachtet mich. Dennoch stapfe ich zurück. Seine Augen folgen mir ununterbrochen. „Mann, was willst du von mir?“ ,keife ich ihn an. Breit grinsend streckt er mir sein leeres Glas entgegen. „Entschuldigung.“ ,bringe ich so höflich, wie nur möglich, hervor und komme mir dabei wie der letzte Idiot vor. „Noch mal dasselbe oder einen anderen Wunsch?“ ,frage ich gelangweilt. Er beugt sich vor um über den Tresen zu sehen. „Gar nichts vorbereitet? Dann bin ich wunschlos glücklich.“ ,zieht er mich auf. Er hinterlässt einen Zehner und verlässt den Pub ohne ein weiteres Wort. Ich starre noch einige Sekunden die Tür an, bevor ich nach dem Schein schnappe und ihn in meinem Geldbeutel verschwinden lasse. Meine Arbeit dauerte nur noch ein paar Stunden, bis die Letzten gegangen oder eingenickt waren. Nach dem demütigendem Erlebnis heute, gönnte ich mir eine Extraportion des roten Lebenssaft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)