Du starbst für mich... von Lawlya (...doch hast du dir je Gedanken darüber gemacht, wie ich mich jetzt fühle?) ================================================================================ Kapitel 1: One-Shot ------------------- Mit gesenktem Kopf ging das Mädchen auf den Altar zu. Ihre sonst so blasse Haut schimmerte rötlich im Glanz des Feuers. Langsam hob sie ihren Kopf und starrte auf eine freie Stelle, wo sie noch eine Kerze aufstellen konnte. Sie strich sich eine Strähne ihres langen, roten Haares hinters Ohr, die ihr ins Gesicht hing und griff zaghaft nach einem der Teelichter. Aufmerksam suchten ihre Augen, die von einem moosgrün waren, nach einem Streichholz. Neben dem extra für die Teelichter aufgestellten altarähnlichen Gebilde entdeckte sie tatsächlich eine kleine rechteckige Schachtel. Langsam bewegte sich ihre Hand darauf zu und kurze Zeit später brannte die kleine Kerze. Ihre moosgrünen Augen schwammen in Tränen als sie auf die kleine Flamme starrte. Mittlerweile war es schon drei Wochen her, doch das Ereignis ließ sie immer noch nicht los. Sie konnte es einfach nicht aus ihren Gedanken verbannen oder aus ihrem Gedächtnis löschen. Doch Maria war sich gar nicht so sicher, ob sie das überhaupt wollte. Immerhin würde es ebenso bedeuten, ihn zu vergessen und damit auch das, was sie in der kurzen Zeit von ihm gelernt hatte. Die kleine Flamme des Teelichts entführte sie allmählich in ihre Erinnerungen und Maria sah noch einmal zurück. Ein letztes Mal, sagte sie sich insgeheim. Es war Ende August als Maria gerade auf ihre neue Schule kam. Etwas verunsichert und desorientiert hatte sie sich umgesehen und insgeheim gebetet, jemand möge sie doch nun aufwecken, aus ihrem persönlichen Albtraum. Denn vor nicht allzu langer Zeit hatten sich ihre Eltern getrennt. Sie war bei ihrem Vater geblieben, der sich seitdem damit abplagte, irgendetwas aus ihr herauszubekommen. Denn seitdem hatte sie sich zurückgezogen, redete nur das nötigste und lächelte fast nie. Da sich ihr Zustand auch nicht mit guter Zurede ihrer Freunde bessern wollte, entschied er schließlich, umzuziehen. Weg von all den Erinnerungen und dem Rosenkrieg. Er sah sich nach einem neuen Job und kümmerte sich um die neue Schule seiner Tochter. Schließlich waren sie in den Vorort einer größeren Stadt gezogen, wo Maria nun zur Schule ging. Und gerade jetzt stand sie auf dem großen Schulhof und sah sich um. Plötzlich erklang eine Stimme hinter ihr: „Hey, du! Bist du neu hier?“ Sie gehörte einem Jungen, dessen tiefschwarze Haare in der Sonne schimmerten Onyx. Seine blauen Augen funkelten interessiert auf und er musterte Maria neugierig. Die nickte nur auf die eben gestellte Frage. Ihr war nicht danach, neue Freundschaften zu schließen, denn dann wäre sie sich vorgekommen, als würde sie die Erinnerungen an ihre alten Freunde verraten. Etwas irritiert sah er sie an, doch dann zuckte er nur mit den Schultern. „Suchst du das Sekretariat, um dich anzumelden? Du stehst hier so verloren“, fragte er und lächelte freundlich. Jedoch kam keine Reaktion von Maria. Also entschloss er sich, sie einfach zu begleiten. Kurzerhand nahm er ihre Hand und zog sie Richtung Schulgebäude. Maria wehrte sich so gut sie konnte, doch der Junge war eindeutig stärker. „Lass mich los! Ich hab dich nie gebeten, mir zu helfen!!!“, rief sie ihm in wütendem Ton zu. Grinsend drehte er sich um und meinte dazu nur: „Du kannst ja doch sprechen! Ich heiße übrigens Robin. Und du?“ Wütend funkelte Maria ihn an und schwieg. Sie waren sowieso schon im Gebäude und zum Sekretariat würde es hoffentlich nicht mehr weit sein. Tatsächlich blieb Robin nach wenigen Minuten vor einer zweiteiligen Tür stehen und schwang sie mit Elan auf. Er zog Maria in den Raum und blieb mit ihr – er hielt immer noch ihr Handgelenk fest – vor einem großen Schreibtisch stehen. „Guten Tag, Frau Laynd. Ich habe hier die neue Schülerin dabei.“ Fröhlich grinste er die Frau hinter dem Tresen an. Die sah von ihrem Dokument, das sie gerade bearbeitete, auf und schien nicht überrascht zu sein, wen sie da vor sich sah. Anscheinend kam Robin hier öfter vorbei. Dann wandte sie sich Maria zu. Kurz musterte Frau Laynd sie, ehe sie zum Sprechen ansetzte. „Ah, die Neue also...“, sie drehte sich mit ihrem Bürostuhl um und kramte in den Schülerakten, die alle in einem großen Schreibtisch lagerten. Die Chance ließ sich die Rothaarige nicht entgehen und drehte sich zu dem Jungen um. „Du hast mich jetzt hierhergeführt, also kannst du nun verschwinden. Hau ab und lass mich in Ruhe!“ Ihre grünen Augen sprühten Funken und sie entriss Robin entschlossen ihre Hand. „Hm? Ich glaub, ich bleibe noch eine Weile!“ Bevor das Mädchen noch widersprechen konnte, drehte sich die Sekretärin wieder um und hielt eine Akte in der Hand. Sie schlug sie auf und überflog rasch die Informationen. „Maria Cowl, sechzehn Jahre alt. Gut! Hier hast du deinen Stundenplan. Robin wird dich in deine Klasse begleiten!“ „Aber,...“ „Du gehst in dieselbe Klasse wie er, also wird er dich auch bringen. Ihr seid sowieso schon viel zu spät!“, unterbrach sie Maria rabiat und scheuchte die beiden aus dem Raum. Kaum waren sie draußen, gab Robin schon seinen Kommentar ab, den er sich anscheinend vor der Lehrerin verkniffen hatte. „Cool!“, grinste er und drehte sich zu seiner neuen Mitschülerin um. „Gar nicht cool! Das ist schrecklich! Ich kenne dich zwar erst seit knapp zwanzig Minuten, aber ich mag dich nicht!!“ „Was nicht ist, kann noch werden! Der einzige freie Platz in unserer Klasse ist nämlich neben mir. Und jetzt komm, wir sind viel zu spät dran!“ Mit diesen Worten packte er sie wieder am Handgelenk und schleifte sie durch die Gänge. Wieder versuchte sie sich erst loszureißen, doch auch diesmal hatte das wenig Erfolg. „WIE OFT SOLL ICH DIR NOCH SAGEN, DASS DU MICH LOSLASSEN SOLLST!!! ICH KANN SEHR WOHL ALLEINE GEHEN!!!!“, brüllte Maria schließlich so laut sie konnte und bewirkte damit einiges Aufsehen bei den Lehrern, die empört über diese Lautstärke die Köpfe aus den Klassenzimmern steckten. Ruckartig blieb Robin stehen und starrte einige der hochroten Köpfe in den Türen an. Maria Gesicht dagegen nahm die Farbe einer Tomate an. Ihr war es nun doch etwas peinlich, so laut geschrien zu haben. „Was ist denn das für ein Lärm hier draußen?“, empörte sich einer der Lehrkräfte. Ein anderer meinte dazu nur: „Ah, es ist Robin, damit erübrigt sich die ganze Fragerei!“ Schon wenige Minuten später hatte sich die Aufregung gelegt und der Unterricht wurde fortgesetzt. Jetzt konnte sich Maria auch wieder beruhigen und ihr Gesicht nahm seine übliche Farbe an. „Dein erster Tag und du veranstaltest hier so einen Radau!“, bemerkte Robin lächelnd und registrierte, dass sich seine neue Mitschülerin zu beruhigen schien. Dann machten sie sich wieder auf den Weg Richtung Klassenzimmer, wie sie vermutete. Der erste Schultag war mit einigen Schwierigkeiten gepflastert gewesen und umso erleichterter war Maria, als dieser endlich vorbei war. Sie rannte schon beinahe aus der Schule, um nicht doch noch von ihrem neuen Banknachbarn aufgehalten zu werden, der sie den ganzen Tag nicht in Ruhe gelassen hatte. Doch wie sie schon bald feststellen musste, war sie anscheinend doch nicht schnell genug gewesen. „Hey, Maria! Warum hast du's so eilig?“ „Um von dir wegzukommen!“, fauchte sie Robin entgegen. Er hielt kurz an und stockte. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. „Was ist so komisch?!“ „Ach, ich hab nur gerade daran gedacht, wie du heute den ganzen Tag versucht hast, vor mir zu fliehen. Du scheinst mich ja wirklich nicht zu mögen!“ „Das hast du aber gut erkannt. Besonders helle scheinst du ja nicht zu sein!“ Wütend funkelte sie ihn an und wollte sich schon wieder abwenden als er sie einfach wieder am Handgelenk packte und mit sich schleifte. „Lass mich verdammt noch mal los!!! Was soll das denn?! Wird das bei dir zur Angewohnheit?!!“ „Nur so lange bis du endlich mal von allein mitkommst! Ich mag dich nämlich sehr gern, auch wenn du ein bisschen biestig bist!“ Mit offenem Mund starrte sie Robin an, der sie munter weiter mit sich zog und vor sich hingrinste. Sie gingen durch die Innenstadt, wo sie von vielen schief angeguckt wurden, durch die Wohnviertel mit den Ein-Familien-Häusern und schließlich in die Vorstadt. Es war sowieso eine kleine Stadt, daher brauchte sie für den Marsch nicht allzu lange. Maria hatte keine Zeit, sich das Gebäude, zu dem Robin sie geführt hatte, zu betrachte, da er sie sofort mit hineinzog. Ihr Ziel war ein kleines, hübsches Café gewesen, das den Eindruck verbreitete, man sei zu Hause. Ein Tisch für zwei Personen war noch frei und Robin setzte sich auf die eine Seite, wobei er Marias Hand endlich losließ. Ein wenig verstimmt massierte sie sich ihr in Mitleidenschaft gezogenes Handgelenk, doch setzte sie sich trotzdem ihm gegenüber. Ein paar Augenblicke später kam auch schon die Bedienung. Robin nahm nur eine Eisschokolade, doch Maria sagte sich, wenn er sie schon hierherschleppte, konnte sie ihn auch gleich ein wenig ärmer machen. „Einen Schokoeisbecher und einen Bananen-Milchshake bitte.“ Die Bedienung notierte sich alles und eilte dann zum nächsten Tisch. „Du hättest jetzt auch einfach gehen können! Also magst du mich doch ein wenig!“, lächelte Robin und sah dann aus dem Fenster. „Nein, ich hab mir nur gedacht, wenn du schon mit mir ein Café besuchst, kann ich dich auch gleich um ein bisschen Geld bringen!“ Robin quittierte die Antwort nur mit einem charmanten Lächeln. Doch er hatte Recht gehabt. Sie hätte einfach gehen können, doch irgendwie wollte sie das gar nicht mehr als sie hier angekommen waren. Maria schob es darauf zurück, dass sie den Weg nicht umsonst gegangen sein wollte, doch sie fand es wohl einfach zu süß, als dass sie ihn zurückgewiesen hätte. Vielleicht mochte sie ihn ja doch ein kleines bisschen. Seit einem Monat ging Maria nun schon auf ihre neue Schule und sie hatte sich dank Robin von der Trennung ihrer Eltern weitestgehend erholt. Zwar sprach sie mit ihrem Vater immer noch nur das Nötigste und ging ihm so gut es eben ging aus dem Weg, doch sie lächelte wieder und knüpfte neue Freundschaften. Mit Robin verstand sie sich nun sehr gut. Die beiden waren gute und unzertrennliche Freunde geworden, die oft etwas miteinander unternahmen. Und mit dem Schwarzhaarigen wurde es nie langweilig. Er hatte Maria mit seiner sturen und fröhlichen Art wohl am meisten geholfen, über die vergangen Ereignisse hinwegzukommen und nun brauchte er sie auch nicht immer zu überreden, etwas mit ihm zu machen. Maria ließ sich sowieso nur bei Robin richtig gehen, was sie auch sehr genoss. Gerade hatte es zum Schulschluss geläutet und Maria packte ihre Hefte, Blöcke und Bücher ein als Robin sie aus ihren Gedanken riss, was sie heute noch machen wollte. „Hey, Maria! Wollen wir heute nicht mal wieder was zusammen machen? Ich zeig dir meinen Lieblingsplatz!“, grinste Robin fröhlich. Er war unübersehbar froh, dass die Schule endlich aus war. Maria packte noch schnell die letzten Sachen in ihre Tasche und drehte sich dann zu ihm um. „Ja, warum nicht? Ich hab eh nichts zutun!“ Sie lächelte. Manche könnten das als Beleidigung auffassen, so in den Hals kriegen als wäre man ihr egal, doch Robin kannte Maria inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie sich freute. „Na, dann komm!!“, er wollte schon ihre Hand packen als er sich selbst aufhielt. Er musste sie solange zwingen, mitzukommen, dass das schon zum Reflex geworden war. Glücklicherweise nahm Maria ihm das nicht mehr übel. Gemeinsam verließen sie die Schule. Mittlerweile war es September und die ersten Blätter fielen schon von den Bäumen, die nun wahre Kunstwerke waren. Die Blätter hatten sich rot, braun und gelb verfärbt und gaben dem Herbst sein typisches Farbenspiel. Hier kam das ganze noch besser zur Schau als in der Innenstadt, aus der sie gerade gekommen waren, denn sie befanden sich gerade auf einer Allee, die von verschiedenen Bäumen gepflastert war. Robin führte sie zielsicher durch die Straßen und blieb schließlich vor einem heruntergekom-menen Haus stehen. Es schien unbewohnt zu sein und Maria fing an zu rätseln, warum ausgerechnet das Robins Lieblingsplatz war. Der lachte als er ihr verwirrtes Gesicht sah. „Ja, ich weiß. Es sieht nicht besonders schön aus und überall sind Mäuse und Ungeziefer, aber das Haus interessiert mich eigentlich gar nicht! Der Schatz residiert auf dem Dach!!!“ Mit diesen Worten setzte er sich in Bewegung und Maria folgte ihm zögernd. Das Gebäude sah schon sehr baufällig aus und die Farbe des Sonnenuntergangs vervollständigte das gruselige Schaubild. Robin hingegen ging ohne eine Spur von Angst auf das Haus zu und öffnete schwungvoll die Tür. Lange musste er nicht auf seine Freundin warten, denn Maria ging lieber in dieses unheimliche Haus als draußen ganz allein stehen zu bleiben. Außerdem wollte sie unbedingt wissen, was dieser ‚Schatz’ war, von dem Robin gesprochen hatte. Der bahnte sich nun seinen Weg durch etliches Gerümpel und hielt auf die Treppe zu, die in den zweiten und dritten Stock führte. Als sie dann schließlich oben waren, trat er in ein Zimmer und öffnete eine Art Luke an der Decke, die aufs Dach führte. Eine Leiter rutschte herunter und die bei-den konnten hinaufklettern. „Stell dich genau hier hin!“, forderte Robin Maria auf, kaum dass sie einen Fuß auf das Dach gesetzt hatte. Sie gehorchte ihm und wurde immer neugieriger, was es denn in so einem herunter-gekommenen Haus geben sollte, dass es wert war, zu riskieren, dass einem Tonnen von Schutt auf den Kopf fielen. Robin ging auf eine Art Schrank zu, der zwei kleine Türen hatte und auf nicht weit von Maria stand. Doch vorher schien Robin noch etwas einzufallen, denn er kam noch einmal zu ihr zurück und drückte ihr mit den Worten „Hier! Das ist für später!“ eine handvoll Brotstücken in die Hand. Ratlos starrte sie darauf und bemerkte gar nicht, dass Robin wieder auf diese Ding zuging, das hier oben stand. Bevor er die beiden Türen öffnete, hob Maria jedoch den Kopf und starrte gespannt auf Robins Hände. „Ich bin sicher, dir wird es gefallen!“ Mit diesen Worten schlug er die beiden Tore auf und etwas flatterte sofort heraus. Maria konnte nicht sehen, was es gewesen war, doch kurze Zeit später ließ sich etwas auf ihren Händen nieder. Als sie darauf sah, erschrak sie kurz, bevor sie anfing lauthals zu lachen. Es hatten sich doch tatsächlich vier weiße Tauben auf ihre Hände gesetzt und pickten nun fröhlich die Brotstücken auf. „Das ist ja wunderbar! Sind das deine?“, fragend sah sie ihren besten Freund an, erhielt jedoch ein Kopfschütteln. „Nein, die gehörten dem Besitzer des Hauses. Er verstarb vor einer ganzen Weile und irgendwann bin ich aus jux hier eingebrochen. Ich meine, das Haus verfällt sowieso, was könnte ich schon groß kaputtmachen? Und da hab ich dann den Taubenschlag entdeckt und die Viecher haben tatsächlich noch gelebt! Seitdem komme ich hier öfters her und lasse sie ein wenig fliegen.“ „Toll!“, brachte Maria nur heraus, denn während Robin erzählt hatte, hatten sich die Tauben in die Lüfte erhoben und vollbrachten nun das ein oder andere Kunststück. Ihr eigentlich weißes Federkleid leuchtete im Licht des Sonnenuntergangs rötlich und orange und sie konnte ihre Augen nicht von den Vögeln lassen. „D-Du, Maria?“, kam es schließlich ungewohnt zaghaft von Robin, der auch zu den Tauben aufsah. Maria wandte sich ihm zu und sicherte ihm ihre Aufmerksamkeit mit einem „Hmm?“. „Ähm…Na ja, weißt du…ich hab heut sturmfreie Bude und dachte, dass du vielleicht mal mit zu mir kommen willst! Ich war schon so oft bei dir, aber du eben noch nicht!“, haspelte Robin ein wenig herunter, doch das rothaarige Mädchen entschied sich, nicht darauf zu achten. „Ja, gern!“, grinste sie ihn an und freute sich ehrlich. Sie war gern mit Robin zusammen, in seiner Nähe überkam sie eine seltsame Ruhe und Wärme. Und sie war sich sicher, dass es bei ihm nicht anders war. Warum sollte er sonst immer so viel Zeit mit ihr verbringen, wenn es ihm doch unangenehm wäre? Kurze Zeit später brachen die beiden auf. Sie hatten den Vögeln noch eine Weile zugesehen, bevor diese freiwillig wieder in den Taubenschlag geflogen waren und Robin die Tore geschlossen hatte. Auf dem Weg nach unten, was zwangsläufig bedeutete, dass sie wieder durchs Haus mussten, stellte sich Maria schon viel besser an als auf dem Hinweg. Jetzt war sie sich auch sicher, dass hier nichts einstürzen würde. Bis zu Robin war es nicht weit, da er sowieso eher an der Stadtgrenze wohnte. Warum er dann immer in die Schule in der Innenstadt kam, war ihr zwar ein Rätsel, stören sollte es sie jedoch nicht. Kaum eine halbe Stunde später waren sie gemütlich spazierend vor Robins Haustür angekommen. Sofort schloss er auf und ließ Maria den Vortritt. ‚Ladies first’ eben. Neugierig sah sich die Besucherin um und entdeckte auch gleich das Wohnzimmer. Als sie darauf zuging, entwich ihr doch gleich ein entzücktes Jauchzen. In der Wand war ein Kamin eingelassen, vor dem ein großes und breites Sofa stand. Sie konnte sich richtig vorstellen, wie bequem es in dieser Jahreszeit und im Winter sein musste. Natürlich bemerkte Robin den etwas sehnsüchtigen Blick seiner Freundin. „Wenn du willst, mach ich ihn an. Es ist echt gemütlich!!“, grinste er, als er sah, dass Maria errötete. „J-Ja, das wäre nett!“ Nun musste auch sie lächeln. Es war ihr zwar peinlich gewesen, dass Robin sie so leicht durchschaut hatte, doch wenn er es ihr zuliebe schon anbot, wollte sie ihn auch nicht vor den Kopf stoßen. Kaum hatte er die Antwort erhalten, machte er sich auch schon daran, das Holz, das neben dem Kamin gestapelt war – natürlich ausreichend geschützt – in Position zu bringen und es anzuzünden. Sofort wurde der Raum in einen weichen Feuerschein getaucht und alles nahm verschwommene Konturen an. Während vor einigen Sekunden noch alles scharf und klar aussah, wurden Linien jetzt weich. „Komm, setz dich doch!“, bot Robin Maria an und sie kam der Aufforderung mit Freuden nach. Kurze Zeit später lagen beide auf dem Sofa und während Maria in die Flammen starrte und dessen einfach nicht müde wurde, betrachtete Robin ihr Profil. Und musste feststellen, dass sie wirklich hübsch war. Hübscher als alle Mädchen, die er bis jetzt jemals gesehen hatte. Jedenfalls war das seine Meinung. Ob sie weiß, dass sie so hübsch ist?, fragte er sich. „Du bist echt hübsch“, rutschte es ihm auch schon raus, bevor er es noch zurückhalten konnte. Aber was sollte es. Es war schließlich die Wahrheit. Erschrocken schaute die Rothaarige auf. Hatte er das wirklich gesagt? Unwillkürlich spürte sie wie sie rot wurde und schaute auf den Boden, um es so gut wie möglich zu verstecken. „Danke“, flüsterte sie nach einiger Zeit und schaute auf. Das Rot hatte sich in der Zwischenzeit wieder gelegt, doch als Maria Robin da so vor sich sah wie er sie angrinste, kehrte die Farbe sofort wieder zurück. „Meinst du das überhaupt ernst?“, fragte sie unsicher. „Natürlich!“, antwortete Robin ernst und auch etwas empört. „Das sag ich nicht einfach ohne Grund. Das ist absolut wahr!“ Das Grinsen war einem sanften Lächeln gewichen, das jedoch auch verschwand. „Einfach nur die Wahrheit“, murmelte Robin und kam Maria näher. Sie wehrte sich nicht; sie sah dafür auch überhaupt keinen Grund, immerhin wurde diese Wärme in ihr immer stärker und die Ruhe wich nun einer ihr unbekannten Aufregung. Und als Robin ihre Lippen mit seinen verschloss, verwandelte sich diese Aufregung in Erregung und sie ging auf den Kuss ein. Nur leicht lagen ihre Lippen aufeinander, doch beide durchströmte mehr Glück als sie es jemals in ihrem Leben gespürt hatten. Ihre Lippen und ihr ganzer Körper kribbelten und Maria hatte Schmetterlinge im Bauch, jedenfalls glaubte sie, dass sie sich so anfühlen mussten. Als Robin sich von ihr löste, griff eine unbestimmte Angst nach ihr. Angst, ihn zu verlieren. „Robin, ich…“ Sie wurde von einem Finger, der ihr den Mund verschloss, unterbrochen. „Keine Angst!“, flüsterte er ihr ins Ohr, als hätte er gespürt, dass sie sich unendlich fürchtete. „ich verlasse dich schon nicht einfach so. Nicht so wie deine Eltern dich auf gewisse Weise verließen.“ Er lächelte. „Aber du solltest trotzdem mit deinem Vater sprechen und das Kriegsbeil vergraben!“ „Das kann ich nicht“, murmelte Maria unnachgiebig. „Er ist schuld, dass Mutter gegangen ist!“ „Deine Stimme klingt so bitter und doch bist du wunderschön. Aber du musst deinem Vater verzeihen. Das Leben ist viel zu kurz für Bitterkeit. Lebe dein Leben, denn es könnte jeden Moment vorbei sein kann, Maria! Glaub mir, das weiß ich von meinem Vater!!“ Auf einmal schien er überhaupt nicht mehr fröhlich zu sein und Maria begriff, was er damit andeuten wollte. „Er ist tot?“, hauchte sie mitleidig und bekam ein Nicken als Antwort. „Na gut. Dir zuliebe! Vielleicht hast du ja Recht!“ Maria zwang sich zu einem Lächeln und wollte Robin damit aufmuntern. „Tut mir leid, aber ich muss jetzt nach Hause.“ Widerwillig erhoben sich die beiden und Robin begleitete Maria zur Tür. „Wirst du tun, was ich dir gesagt habe?“ Sie schluckte einmal hart, doch dann brachte sie ein halbwegs glaubwürdiges Nicken zustande. „Ja, mach ich.“ Mit diesen Worten wandte sie sich um und ging Heim. Als sie die Tür aufschließen wollte, öffnete ihr auch schon ihr Vater. „Ich hab dich kommen sehen“, erklärte er, erwartete aber keine Antwort. „Ja. Dad, ich muss mit dir reden!“ Verwundert und völlig perplex, dass seine Tochter plötzlich wieder mit ihm sprach, nickte er und führte sie ins Wohnzimmer. „Ich gebe dir die Schuld daran, dass Mum gegangen ist“, platzte es gleich aus ihr heraus. „Ja, Maria. Das glaube ich manchmal auch! Aber deine Mutter war schon immer eine unbeständige Person und sie wollte wohl einfach ihren Freiraum zurückhaben. Ich weiß das alles nicht zu hundert Prozent, doch ich werde immer für dich da sein, auch wenn du mich verachten solltest!“, antwortete Marias Vater traurig. Und nun brach irgendetwas in ihr. In ihrem Blickfeld verschwamm alles und kurze Zeit später bemerkte sie, dass sie weinte. „Vielleicht hast du ja Recht. Vielleicht bist du gar nicht schuld, aber im…im Moment empfinde ich es so! Es tut mir leid, Dad!!!“, schluchzte sie und kam sie furchtbar grausam vor. Und es wurde noch schlimmer als ihr klar wurde, dass morgen Samstag war und sie somit Robin nicht sehen würde. Währenddessen legte ihr Vater Maria die Hand auf den Kopf und versuchte, sie zu trösten: „Mach dir nichts draus. Du kannst absolut gar nichts für deine Gefühle. Lass dir Zeit!“ Kaum hatte er ausgeredet, stürmte Maria in ihr Zimmer und schmiss sich aufs Bett. Kaum hatte sie ihr Gesicht in das Kissen gepresst, schrie sie aus Leibeskräften, um ihren inneren Schmerz loszuwerden. Nach einer Stunde hatte sie sich endlich in den Schlaf geweint. Ungeduldig wartete Maria auf Robin. Nachdem sie am Morgen völlig verweint und mit höllischen Kopfschmerzen aufgewacht war, hatte sie beschlossen, dass sie unmöglich bis Montag auf Robin verzichten konnte. Sie brauchte jemanden, mit dem sie über alles reden konnte. Also hatte sich die beiden im Café Amery verabredet, der Ort, an dem sie ihr erstes Eis zusammen gegessen hatten. Doch er war zu spät. Sie hatte schon versucht, ihn anzurufen, doch sein Handy hatte entweder keinen Akku mehr oder er hatte es absichtlich abgeschaltet. Nachdem sie über eineinhalb Stunden gewartet hatte, verließ sie wütend und enttäuscht das Café. Er hatte versprochen, sie nicht im Stich zu lassen und das war erst gestern gewesen. Auf dem Weg nach Hause starrte sie alles vernichtend an, was ihr irgendwie auffiel. Und dann blieb sie urplötzlich stehen. Auf der anderen Straßenseite rannte doch tatsächlich Robin an ihr vorbei! „ROBIN!!“, rief Maria so laut sie konnte und er hörte sie tatsächlich. Grinsend hob er eine Hand und begrüßte sie. Und das gab den Anstoß zu einer Kettenreaktion. Diese freundliche und unbekümmerte Geste ließ sie einfach rotsehen. Entschlossen trat sie auf die Straße, um ihn zur Rede zu stellen. Als Robin Marias wütenden Gang sah, verschwand auch sein Lächeln und er ließ verunsichert die Hand sinken. „Was denkst du dir eigentlich, mich so lange warten zu lassen?“, rief sie wütend und stampfte weiter auf ihn zu. Nervös fuhr sich ihr gegenüber durch seine schwarzen Haare und schaute zur Seite. Und sofort wurde er leichenblass, alle Farbe wich aus seinem Gesicht. „Du schuldest mir verdammt nochmal eine Erklärung!! Mir geht es echt scheiße, will mich mit dir darüber reden, nachdem du mir gesagt hast, du würdest mich nicht im Stich lassen und dann erscheinst du einfach nicht!!!“ In ihrer Rage erkannte Maria Robins Veränderung überhaupt nicht. „Maria…“, fing Robin mehr als nur nervös und mit zitternder Stimme an, doch sie unterbrach ihn barsch. „Nichts, Maria!! Du bist ein Lügner weißt du das?! Vielleicht reagier ich ja über, aber jetzt muss einfach mal gesagt wer…“ Plötzlich quietschte es laut und durchdringend, Maria zuckte unwillkürlich zusammen. Dann wirbelte sie herum. Mit unglaublicher Geschwindigkeit und mit quietschenden Reifen raste ein Auto direkt auf sie zu. Der Fahrer versuchte offensichtlich noch zu bremsen, doch es war schon zu spät. Mit weit aufgerissenen Augen blickte Maria dem Tod ins Auge. Dann spürte sie, wie jemand sie wegstieß. Hart schlug Maria auf dem Boden auf und trug einige Schürfwunden an Armen und Beinen davon, ihr Kopf blieb unberührt. Als sie sich wieder aufrichtete und den brennenden Schmerz fühlte, zuckte sie kurz zusammen, dann sah sie auf die Straße. Hastig rappelte sie sich auf und stolperte mehr, als dass sie rannte, zu der Unfallstelle. Sofort kniete sie sich vor ihren Retter. „Robin? ROBIN?! Hörst du mich?!!!“ Flatternd öffnete der schwarzhaarige Junge seine Augen und lächelte als er Maria unscharf erkannte. „Hi!“, gab er mit brüchiger und schwacher Stimme von sich. „Du Dummkopf!!! Warum hast du das gemacht?!!!“ Tränen rannen Maria über die Wangen und tropften auf das blutige Gesicht Robins. Der lachte nur leise und musste dadurch husten, wobei er Blut spukte. Nun war auch Maria über und über mit Blut bespritzt, doch das störte sie im Moment nicht. „Das ist doch ganz einfach. Ich liebe dich halt!“ Mit einem letzten Lächeln auf den Lippen schloss er die Augen und öffnete sie nie mehr. Es regnete. Ein passender Zug des Himmels, wenn man den Anlass bedachte, weswegen so viele Leute in die Kirche gekommen waren. Die ganze Schule stand um das Grab herum und legten einer nachdem anderen Blumen darauf. Maria stand ganz hinten und wartete. Worauf, wusste sie nicht so recht. Als der letzte gegangen war, trat sie endlich an den kleinen Hügel. Darauf habe ich also gewartet, dachte sie sich. Dass alle weg sind. Sie war schon total durchnässt, doch das störte sie nicht. Langsam beugte sie sich runter und legte eine schwarze Rose auf den Berg von Blumen. Sie trat aus dem Meer von Weiß überdeutlich hervor. „Ich liebe dich auch“, flüsterte sie, „Und ich werde es nicht vergessen.“ In diesem Moment läuteten die Kirchenglocken und eine Schar weißer Tauben flog über den Friedhof hinweg. Noch immer starrte Maria in die Flamme und sie spürte, wie die Tränen ihr Gesicht benetzten. Sie hatte nicht vergessen und sie schwor sich, das, was er sie gelehrt hatte, immer im Herzen zu tragen. Das Leben war nur von kurzer Dauer und man sollte es nicht ohne ein Lächeln verbringen. Mit einem liebevollen Lächeln drehte sie sich um und verließ die Kirche. Und lebte ihr Leben für ihn weiter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)